Nice Girls reloaded - Barbara Bilgoni - E-Book

Nice Girls reloaded E-Book

Barbara Bilgoni

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Beschreibung

Dieses Buch ist die Fortsetzung von "Nice Girls Verrückte Hühner - leicht ergraut". Vier Golden-Ager-Damen finden sich in einer WG direkt am Wiener Opernring zusammen. Angie, die Gründerin der etwas anderen Wohngemeinschaft ist eine ehemalige Hippiebraut. Sie hat die Ära des "Summer of Love" mit Leib und Seele gelebt, mit allen Konsequenzen. Die freie Liebe hat ihr nämlich im Teenager-Alter ein Baby beschert. Die Konsequenzen hatte sie vollkommen allein zu tragen. Trotz alledem glorifiziert sie der Zeit noch immer und kleidet sich bis heute im Stil der Golden Sixties. Mit ihren drei Mitbewohnerinnen erlebt sie etliche Höhen und Tiefen im täglichen Leben. Ein sonderbarer Hund und drei Katzen ergänzen die illustre Mädelsrunde. es gibt daher jede Menge Remmidemmi.

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Barbara Bilgoni

Nice Girls reloaded

Remmidemmi überall

© 2022 Barbara Bilgoni

Facebook: Barbara Bilgoni

Instagram barbarabilgoni

Mail: [email protected]

https: www.barbara-bilgoni.at

Umschlag: tredition GmbH

Korrektorat: Carolin Kretzinger

Druck und Distribution im Auftrag des Autors/der Autorin:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN

Softcover:

978-3-347-48481-8

ISBN

Hardcover:

978-3-347-48484-9

ISBN

E-Book:

978-3-347-48494-8

ISBN

Großschrift:

978-3-347-47596-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor/die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine/ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors/der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Vorwort

Angie, ein Späthippie, außerdem Leihoma, bekam durch die Fügung des Schicksals eine wunderbare Loftwohnung am Wiener Opernring vererbt. Sie gründet eine Mädels-WG für leicht ergraute, verrückte Hühner.

Mit Mel, Ria, Inga, den Katzen Cicero, Kleopatra und Othello sowie Hund Dee-Dee geht’s rund an der noblen Adresse, denn Angie frönt noch immer ihren alten Gewohnheiten aus dem ,Summer of Love´.

Mel ist die Leiterin eines Leseclubs für Kinder. Ria arbeitet ehrenamtlich in der Gruft, einem Treffpunkt für Obdachlose. Inga, ja die feine Inga, die verstoßene Seidenfabrikantengattin hat so ihre Probleme mit der wilden Horde. Ihre Anpassung gelingt erst nach etlichen Hoppalas. Aber sie gelingt.

Am Ende sind die Mädels eine eingeschworene Gemeinschaft.

Und jetzt geht´s weiter!

Viel Spaß beim Lesen!

Nice Girls reloaded

Remmidemmi überall

 In der etwas anderen WG, der ,Nice-Girls´-WG ging es immer zu wie in einem Bienenstock: laut und geschäftig.

Gerade erst war Inga zurückgekommen von ihrem Kurzausflug zu ihrer „liebenden“ Tochter. Sie hatte eigentlich gemeint, dort willkommen zu sein, weil sie der Menagerie in der Wohngemeinschaft doch lieber entkommen wollte. Die liebe Greta, ihr leibliches Kind, gut situiert und wohl verheiratet, hatte die Mutter jedoch in ein fensterloses Kellerkammerl gleich neben der Waschmaschine verfrachtet und hätte sie dort am liebsten gleich wieder vergessen.

Angie, Ria und Mel hatten nach anfänglicher Freude, die etwas zickige Inga losgeworden zu sein, bald festgestellt, dass etwas Gravierendes fehlte wie das Salz in der Suppe – nämlich eben jene oft spießige und manchmal auch sauertöpfische Inga, geschiedene und „entsorgte“ Seidenfabrikantengattin Breitner.

Noch jemand hatte Inga sehnlichst vermisst: Othello, Rias Kater. Er wurde vor Gram melancholisch und stellte das Fressen ein. Cicero, genannt Cici, und Kleopatra, kurz Kleo, die beiden Katzengeschwister, hatten Ingas Fortgang jedoch nicht einmal bemerkt.

Um nun auf ihre Heimkehr zurückzukommen: Es wurde natürlich eine Party abgehalten. Dazu gab es in der großen, lichtdurchfluteten Loftwohnung, gleich gegenüber der Wiener Staatsoper, eine gemütlich eingerichtete Küche mit Essecke.

Sooft eine Besprechung oder eine Feier angesagt war kamen die vier Mädls, Angie, Ria, Mel und Inga, hier zusammen und dann wurde gegessen und getrunken, eher mehr getrunken allerdings, was das Zeug hielt. Da waren sie unschlagbar.

Angie war soeben vom Supermarkt nach Hause gekommen, wo sie alles Nötige besorgt hatte. Die Mädels liebten nämlich Prosecco und Knabberzeug. Aber noch etwas hatte Angie erledigen müssen. Sie hatte abermals auf dem schwarzen Brett einen Zettel ausgehängt, auf dem zu lesen stand:

Mitbewohnerin ab Mitte fünfzig für meine

Nice Girls WG gesucht.

Bitte melden!

Verrücktes Huhn bevorzugt.

Darunter vermerkte sie ihre Handynummer und den ganzen Text umkränzte sie mit Blümchen. Ria hatte nämlich in der Gruft in Wien den ehemaligen Arzt Bruno kennengelernt und war im Begriff, mit ihm zusammenzuziehen. Es würde also irgendwann in Zukunft wieder ein Zimmer frei werden.

Doch nichtsdestotrotz wurde jetzt erst einmal Ingas Wiederkehr gefeiert. Othello hatte sich gemütlich auf ihrem Schoß zusammengerollt und ganz allmählich begann die spröde Inga, die Tiere und Kinder hasste, den kleinen treuherzigen Kerl zu lieben. Sie mochte gar nicht an Rias Auszug denken. Die würde ja ihre Katzen sicher mitnehmen wollen. Angies Hund, Dee-Dee, konnte da leider nicht mithalten. Sein Äußeres beleidigte ihren Sinn für Ästhetik, denn er war ein echtes Kind der Liebe, ein Potpourri aus Dackel und Dogge, aber ein herzensguter, lieber Kerl.

Nun erhob Angie, die Gründerin der WG und Wohnungsinhaberin, ebenso Späthippie und Leihoma, das Glas und richtete das Wort an die Heimkehrerin:

„Liebste Inga. Fein, dass du wieder da bist. Wir konnten mit dir nicht leben, aber ohne dich noch viel weniger!“

Es folgte ein allgemeines Zuprosten und die Angesprochene zerdrückte ein paar Tränchen der Rührung und streichelte unter dem Tisch Othello sanft das Bäuchlein.

„Aber noch etwas gibt es zu verkünden. Dazu übergebe ich das Wort an Ria“, fuhr Angie fort.

„Meine Lieben! Ihr habt ja meine diversen Rendezvous mitbekommen. Da war der Bade-schlapfen-Typ, dann der, der bei seiner Mama wohnte, dann der mit der Modelleisenbahn und der Herr General, der eine Kammer des Schreckens sein Eigen nannte, die er mir nur zu gern hätte zeigen wollen. Sie alle waren keine geeigneten Kandidaten. Aber dann kam Bruno. Ich hab euch ja schon öfter von ihm erzählt. Er lebt derzeit noch im neunerhaus1, wo er nur ein kleines Zimmer hat, aber wir schauen uns schon nach einer geeigneten Wohnung um. Ja, und dann wird es ernst für mich. Dann werde ich euch verlassen. So, jetzt ist es raus!“ Auch ihr entschlüpften ein paar Tränchen.

Alle prosteten ihr voller Freude zu, denn es war ja wirklich eine glückliche Fügung, dass Ria nach all den Nieten endlich einen anständigen Mann getroffen hatte. Aber natürlich war es auch eine Zeit des Innehaltens, der Rückschau und des Aufbruchs, denn wieder würde jemand Fremdes hier bei ihnen einziehen. Das würde sicher abermals das ein oder andere Problem geben.

Spät abends löste sich das kleine Frauengrüppchen auf und jede ging in ihr eigenes Zimmer. Wie selbstverständlich folgte Othello Inga wie ein Schoßhündchen. Er hatte halt einen Narren an ihr gefressen. Warum, wusste keiner so genau. In der Nacht kuschelte er sich wieder zwischen Ingas Schulter und Kopf und dort hielt er seine wohlverdiente Schlummerstunde. Inga hatte es aufgegeben, ihn zu rügen, denn sie hatte ihn inzwischen viel zu lieb gewonnen.

Tags darauf erhielt sie einen Anruf ihres Anwalts. Das Geld vom Hausverkauf ihres Mannes war eingegangen. Inga und Moni, ihre „Nachfolgerin“, hatten dem guten Georg Breitner nämlich die Daumenschrauben angesetzt. Nachdem er Inga wegen Moni rausgeworfen hatte, musste auch die neue Frau Breitner ihren Job kündigen und fristete ein ebenso tristes Hausfrauenleben wie weiland Inga. Der liebe Herr Seidenfabrikant poussierte längst mit Britta, der neuen Sekretärin.

Inga und Moni waren daraufhin resolut zur Tat geschritten und hatten ihn ein wenig erpresst. Sie wollten die barbarische Art und Weise öffentlich anprangern, wie die klitzekleinen, herzallerliebsten Seidenraupen getötet wurden, damit reiche Schickimicki-Leute Seidenschals und Krawatten tragen konnten. Georg Breitner, der auch ein angesehener Förderer des Tierschutzes war, wollte seine Reputation jedoch nicht verlieren und ging auf die Erpressung ein. Er verkaufte seine Familienvilla zugunsten der beiden abgeschriebenen Damen.

Nun war also das Geld eingelangt. Ein Termin wurde vereinbart. Moni würde auch kommen.

Die beiden Damen trafen sich im Café vor der Kanzlei und grinsten wie die Honigkuchenpferde. Bereits vor dem offiziellen Anwaltstermin zwitscherten sie einen Piccolosekt auf den lieben Georg. Möge ihm die Nase verdorren!

Die Formalitäten waren bald erledigt, der Anwalt würde den beiden den jeweiligen Betrag auf ihre Konten überweisen. Seine Honorarnote würde folgen.

Dann standen sie wieder auf der Straße und überlegten, was sie zur Feier des Tages anstellen könnten.

„Ich hab eine Idee. Wir gehen in den Schönheitssalon und lassen uns so richtig verwöhnen. Was meinst du?“, fragte Inga ihre Mitstreiterin.

„Na ja, wenn du so fragst, eine Ballonfahrt wär mir da schon lieber. Das ist so richtig was, wo man sich sein Leben lang gern daran erinnert“, meinte Moni ein wenig enttäuscht.

„Warum nicht beides? Leisten können wir es uns ja jetzt. Heute Schönheitssalon, am Wochenende Ballonfahrt! Na, ist das eine Idee?“

Damit konnte Moni gut leben. So rief Inga sofort in ihrem Stammsalon an und buchte zwei Termine für ein Rundum-Paket der Luxusklasse.

*

1 Obdachloseneinrichtung in Wien.

 M el war als Obfrau des Leseclubs für Kinder auch rund um die Uhr beschäftigt. Es hatte sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass die angemieteten Räumlichkeiten auf Dauer zu klein wurden. Etwas Größeres musste her. Sie hatte daher viele Zusammenkünfte mit den Sponsoren des Vereins. Leider war man bis dato noch zu keiner befriedigenden und vor allem finanzierbaren Lösung gekommen. Mel lag dieser Club jedoch sehr am Herzen, denn es war ihr ein echtes Anliegen, den Kindern die Liebe zu Büchern näherzubringen. Sie selbst hatte in ihrer Kindheit schon Bücher über alles geliebt und mochte sie heute nicht mehr missen.

Es gab ja leider genügend Eltern, die den Kindern nicht mehr vorlasen, sie lieber vor den Fernseher oder die Playstation setzten und froh waren, wenn die Kleinen ruhiggestellt waren.

Mel durchforstete daher sämtliche Zeitungsannoncen, das Internet und alle Immobilienbörsen, bis jetzt leider ohne Erfolg. Würde der Club gar aufgelöst werden müssen? Sie und auch Dee-Dee und vor allem die Kinder wären unsagbar traurig. Das durfte nicht passieren.

Am Abend erzählte sie in der WG-Küche von der Misere. Alle verstanden sie nur zu gut. Ria hatte zwar jetzt andere Sorgen, denn auch sie suchte ja eine Bleibe für sich und Bruno. Der hatte in der Zwischenzeit Gott sei Dank Arbeit in einem Labor gefunden, was mit seinem Beruf als ehemaliger Arzt zumindest etwas gemein hatte. Er konnte also auch ein finanzielles Scherflein beitragen.

Aber leicht war die Suche auf dem Wohnungsmarkt trotzdem nicht.

Die Mädels hörten den Problemen aufmerksam zu und versprachen, über Lösungen nachzudenken.

Am Schluss erzählte Inga noch von ihrem erfolgreichen Tag in der Kanzlei und von dem herrlichen Verwöhn-Programm, das man sich anschließend gegönnt hatte. Da waren zuerst Maniküre und Pediküre, dann eine Ganzkörper- und Fußreflexzonenmassage, Klangschalentherapie, Schokoladenpackung zur Entspannung, danach noch Friseur und zu guter Letzt die kosmetische Gesichtsbehandlung. Sie fühlte sich wie neugeboren. Und eine neue Bekannte hatte sie in Moni auch gefunden.

Dann berichtete sie noch von der geplanten Ballonfahrt. Alle waren hellauf begeistert. Und so fragte Angie, ob sie nicht alle mitfahren könnten.

Die Freude war groß. Inga würde Monis Einverständnis einholen. Sie lief sofort in ihr Zimmer, um zu telefonieren. Moni war von der Idee auch sehr angetan und so war der Ausflug beschlossene Sache, nur der Termin war noch nicht fixiert. Das musste natürlich begossen werden! Die zweite Flasche Prosecco wurde geköpft.

Dann gingen Mel und Angie mit Dee-Dee Gassi, der auf dem Weg einige Bekannte traf und mit diesen auch etliches zu besprechen hatte. Hundethemen natürlich. Die Runde dauerte daher an die zwei Stunden.

Als sie endlich wieder daheim waren, stellten sie fest, dass die anderen schon schliefen, daher zogen auch sie sich zurück.

Angie legte eine LP von Creedance Clearwater Revival2 auf. Sie war aber inzwischen so rücksichtsvoll, Kopfhörer zu benutzen, denn die Lautstärke, die sie liebte, ließ zum Teil Wände einstürzen. Sie zündete sich Räucherstäbchen an und rauchte einen Joint. So, jetzt war auch ihr Tag perfekt. Was wollte man mehr? Abermals schwelgte sie in Erinnerungen an die alten Zeiten.

Mel, die Dee-Dee noch einmal gefüttert hatte, legte sich in ihr Bett, die Sorgen um den Club ließen sie jedoch nicht einschlafen. Ein Gedankenkarussell begann sich zu drehen. Ihr kam schließlich zwar tatsächlich eine Idee, die war jedoch nur im Sommer durchführbar. Man könnte doch im Park vorlesen. Den Kindern würde es sicher gefallen. Aber was wäre in der kalten Jahreszeit? Oder bei Regen? Probleme über Probleme …

Inga lag ebenfalls noch immer wach. Auch sie hatte ja so ihre Sorgen. Ria wollte doch wegziehen. Was wäre dann mit Othello? Würde sie ihn mitnehmen? Mit Sicherheit. Und das jetzt, wo Inga ihn endlich in ihr Herz geschlossen hatte! Und noch ein Problem tat sich auf: Was sollte sie bloß mit dem vielen Geld machen, das sie heute erhalten hatte? Ausgeben? Spenden? Unter den Polster legen? Es stimmte schon, dass Besitz Sorgen bereitete.

Und Bruno, der lag gleichfalls schlaflos in seinem Bett. Er dachte an die Zukunft. An die bevorstehende Zeit mit Ria. Sie war für ihn die Frau seiner Träume. Aber wo sollten sie gemeinsam leben? Würden sie eine geeignete Wohnung finden, die auch leistbar war? Er konnte hier im neunerhaus nicht ewig bleiben, musste Platz für neue Bedürftige machen. Und überhaupt war das kein Zustand, hier in dem kleinen Zimmerchen. Er konnte Ria doch nicht mal auf einen Kaffee in sein Reich einladen.

*

2 US-amerikanische Rockband aus Berkeley, Kalifornien.

 F rüh morgens spielte Angies Handy die Melodie „Satisfaction“. Das war der derzeitige Klingelton. Den wechselte sie jedoch fast wöchentlich. Eine Frau Newerkla war am Apparat. Diese war völlig aufgelöst. Angie konnte kein Wort verstehen, so sehr weinte die Frau. Angie ließ sie fürs Erste einmal reden. Schließlich beruhigte sich die Anruferin und Angie verstand die ersten klaren Worte: kleine Tochter … Spital … berufstätig … Oma letzter Ausweg. Da sie jedoch aus dem Gespräch nicht wirklich schlau wurde, nannte sie der Frau ihre Adresse und bat diese, herzukommen.

Es dauerte keine Stunde, da läutete es. Angie drückte auf den Türöffner und sagte der Besucherin, sie möge in den letzten Stock kommen. Nach drei Minuten stieg eine völlig abgemagerte Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm aus dem Lift. Angie bat sie herein und führte sie in die Küche.

Es stellte sich heraus, dass das Kind eine aufwendige Behandlung, nämlich eine Chemotherapie, im Spital benötigte. Die Kleine würde zwei Wochen im Krankenhaus bleiben müssen. Die Ärzte hatten der Mutter freigestellt, sich ebenfalls aufnehmen zu lassen. Das war jedoch nicht möglich, weil die Frau verwitwet war und arbeiten musste. Ihr Chef hatte ihr die vierzehn Tage Pflegeurlaub nicht bewilligt. Sie wollte aber ihr Kind auch nicht allein in der Obhut der Krankenschwestern lassen und da kam nun die Leihoma ins Spiel.

„Bitte, ich bitte Sie inständig. Sie wurden mir von der Oma-Agentur genannt. Könnten Sie meine kleine Claudia die zwei Wochen begleiten? Ich flehe Sie an. Ich habe sonst keine ruhige Minute, wenn ich in der Arbeit bin.“

Angie musste schlucken. Sie hatte früher bereits den kleinen Stefan beaufsichtigt, ihn sogar hierher in die WG gebracht, weil seine Mutter ruhebedürftig gewesen war. Sie hatte Emma und Yvonne in deren Wohnung versorgt, weil die Mama sich um ihre verunfallten Eltern in Norddeutschland kümmern musste. Aber so einen Fall hatte sie noch nie gehabt.

Da trat Mel in die Küche, die von dem Klingeln an der Tür aufgewacht war. Ria folgte ihr, noch ziemlich verschlafen. Auch sie setzten sich rundherum an den Tisch und hörten sich die Geschichte zu Ende an. Sie waren ergriffen.

Angie erbat sich zehn Minuten Bedenkzeit kredenzte, der Frau einen Kaffee und der kleinen Claudia einen Kakao und verzog sich in ihre Räumlichkeiten.

Mel holte inzwischen schnell ein Kinderbuch aus ihrem Zimmer und las der Kleinen eine nette Geschichte vor. Ria kümmerte sich um die aufgelöste Frau und sprach ihr Mut zu. So erfuhr sie auch, dass das kleine Mädchen Leukämie hatte und eine Therapie benötigte. Eine bittere Pille für die verwitwete Mutter, deren Chef so gar kein Herz für seine Mitarbeiter hatte.

Da kam auch schon wieder Angie herein. „Ich mach´s! Gar keine Frage. Einer Mama in Not muss ich einfach helfen. Wann soll es losgehen?“

„Morgen um acht Uhr muss Claudia im St. Anna Kinderspital sein. Könnten Sie eventuell heute schon mit zu uns kommen, dass sich mein Mädchen noch ein bisschen an Sie gewöhnen kann? Sie sind ja sonst eine vollkommen Fremde für sie. Ich würde dann jeden Tag nach der Arbeit vorbeikommen und Claudia besuchen. Sie können mich auch jederzeit anrufen, aber frei bekomme ich halt leider nicht.“

„Gut, ich packe meine Sachen zusammen, alles, was ich für zwei Wochen brauche und dann komm ich gleich mit Ihnen mit. Ist das so okay?“

Frau Newerkla begann erneut zu weinen, ergriff Angies Hand und küsste sie mehrmals in ihrer übergroßen Erleichterung.

„Frau Newerkla, bitte hören Sie auf. Das ist nicht nötig. Ich mache das gern. Claudia und ich werden uns schon mögen. Bin gleich wieder da.“

Sie eilte in ihr Zimmer und packte rasch das Nötigste zusammen, Bekleidung und Waschzeug, einen E-Book-Reader und ihre geliebte Musik samt Kopfhörer. Gott sei Dank hatte sie nicht nur LPs, sondern auch einen mp3-Player. Darüber war sie jetzt wirklich froh.

„Mädls, passt mir auf die WG auf! Ihr könnt mich jederzeit auf dem Handy erreichen. Ich muss das einfach machen. Das versteht ihr sicher. Also, macht´s gut.“ Und weg war sie mitsamt Mutter und Kind.

Mel lief ihnen noch nach bis zum Lift mit fünf Kinderbüchern in der Hand. „Nimm die mit. Die werdet ihr brauchen können.“

Und schon stiegen die drei in den Aufzug.

Ria und Mel schauten sich ratlos an. Da erschien auch Inga in der Küche. Sie hatte noch den Bademantel an und blickte fragend in die Runde. Sie wurde schnell aufgeklärt und nickte nur. Inga hatte es ja nicht so sehr mit Kindern, obwohl sie selber eine Tochter hatte. Aber irgendwie waren die Kleinen immer lästig und laut und schmutzig. Ihre Greta hatte sie auch nur auf Georgs Wunsch hin bekommen.

In der Zwischenzeit waren Frau Newerkla, Angie und Claudia in der Wohnung der beiden angekommen. Sie war klein, aber sauber. Die Mutter brachte die beiden ins Kinderzimmer, wo sich die Leihoma interessiert umsah. Es gab sehr viele Kuscheltiere, etliche Kinderbücher und drei Puppen sowie einen Bären. Der hieß Teddy, wie Claudia ihr treuherzig erklärte. Na klar, wie sollte er auch sonst heißen?

Angie ließ sich jedes einzelne Tier persönlich vorstellen. Da gab es Lucki, den Delfin, Doris, die Giraffe, Andi, den Beagle, und so weiter. Angie schlug nun vor, dass man alle Kuscheltiere auf eine Seite des Bettes setzen sollte, die morgen ins Krankenhaus mitkämen.

Das war nun eine schwere Entscheidung für das kleine Mädchen, denn es hing an jedem einzelnen. Schließlich einigte man sich auf drei, mit der Option, dass Mama eventuell nach ein paar Tagen die Tiere austauschen würde.

Dann packten die Mutter und Angie die Sachen für die Kleine zusammen und am Abend las Angie Claudia noch die Geschichte von Flapsi, der kleinen Fee, vor. Gott sei Dank war das Mädchen recht umgänglich und hatte gar keine Scheu vor Angie. Die hatte das schon öfter festgestellt, dass Kinder gerne auf sie zugingen. Das freute sie immens, denn es erleichterte ihr die Arbeit als Leihoma sehr.

Mit einem zarten Piepsstimmchen sagte Claudia: „Ich weiß, dass ich ganz arg krank bin. Und Mama ist sehr traurig. Aber ich bemüh mich immer, tapfer zu sein, damit sie nicht weinen muss.“

Jetzt musste Angie schlucken. So ein liebes Kind und so schwer krank. War das nicht ungerecht? Manchmal wollte man wirklich zweifeln.

Später legte Frau Newerkla eine Luftmatratze neben Claudias Bett, auf der sie schlafen wollte. Sie bot Angie ihr Zimmer an. Zuvor wollte diese jedoch von der Mutter noch ein paar Details aus deren Leben erfahren. Es war ihr immer wichtig, die genauen Umstände des Notfalls zu kennen. Nur so konnte sie sich auf Eltern und Kinder richtig einlassen.

Die Frau erzählte ihr, dass ihr Mann vor zwei Jahren bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle ums Leben gekommen war. Ewald hatte er geheißen. Er war ein liebender Gatte und Vater gewesen und eigentlich hatten sie insgesamt drei Kinder geplant. So war es jetzt allerdings bei Claudia geblieben. Das Mädchen war drei Jahre und zwei Monate alt und hatte gerade erst mit dem Kindergarten begonnen, als sich die ersten Anzeichen der heimtückischen Krankheit gezeigt hatten. Zuerst war es nur eine auffällige Blässe, dann kamen unerklärliche blaue Flecken auf der Haut der Kleinen hinzu. Immer wiederkehrendes Fieber und Mattigkeit ließen bei der Mutter jedoch alle Alarmglocken läuten. Da Claudia auch etwas abgenommen hatte, ging sie kurzerhand zum Kinderarzt mit ihr.

Der hörte sich die Aufzählung der Symptome an und blickte sorgenvoll drein. Er dokterte gar nicht lange herum und schickte die beiden sofort ins Kinderspital für eingehende Untersuchungen. Dort stellte sich dann bald die bittere Wahrheit heraus. Die kleine Claudia litt an Leukämie. Für Frau Newerkla stürzte die Welt ein. Ihr Kind war sterbenskrank! Der behandelnde Arzt, Doktor Schmitz, war zwar einfühlsam und nett und redete ihr gut zu, ändern konnte er die niederschmetternde Diagnose jedoch auch nicht. Zumindest war das St. Anna Kinderspital herausragend in der Behandlung kleiner Patienten. Es hatte einen guten Ruf und sehr viele Förderer.

Nun weinte Frau Newerkla bitterlich und Angie tröstete sie liebevoll. Sie sprach ihr Mut zu und bemühte sich sehr um die verzweifelte Frau. Sie kochte für beide noch Melissentee und überredete Silvie, so durfte sie die Mutter nun nennen, bald ins Bett zu gehen. Die Frau musste unbedingt zur Ruhe kommen. Sie würde ihre Nerven noch brauchen.

Angie bedankte sich für die überlassene Liegestatt. Sie hörte dann noch eine Zeit lang Musik und endlich schlief auch sie ein.

Um halb sieben früh morgens läutete der Wecker und Frau Newerkla machte das Frühstück. Angie konnte sehen, dass ihr das Herz wehtat, weil sie ihr einziges Kind nicht zu der Chemo begleiten konnte. Sie hätte sicher alles dafür gegeben. Aber leider brauchte sie ihren Job dringend, um die kleine Familie über Wasser zu halten.

,Den blöden Chef soll der Teufel holen´, dachte Angie bei sich. ,In so einer Situation gehört eine Mutter zu ihrem Kind und basta´!

„Wo arbeitest du eigentlich?“, fragte sie Silvie.

„In dem großen Supermarkt, gleich unten in unserem Haus. Ein Megakonzern, aber halt leider ohne Herz für die Mitarbeiter“, seufzte sie zum Steinerweichen. Dann musste sie auch schon aufbrechen. Supermärkte sperren ja zeitig auf. Sie gab ihrem Mädchen noch einen dicken Schmatz, umarmte es herzlich und bemühte sich, ihre Tränen zu verbergen. Das Kind sollte nicht noch zusätzlich belastet werden.

„Mama, sei nicht traurig. Ich hab ja Lucki mit. Der wird mich beschützen“, sagte die Kleine noch tröstend zu ihrer Mutter.

Silvie gab Angie einen Wohnungsschlüssel und beschrieb noch einmal genau, wo die beiden hinmussten und bei welchem Arzt sie sich melden sollten. Sie verabschiedete sich verzagt auch von der Leihoma und ging.

Angie zog der Kleinen schließlich eine dicke Jacke an, denn es war inzwischen Herbst geworden. Dann verließen auch sie die Wohnung Richtung Krankenhaus.

Nach kurzer Straßenbahnfahrt waren sie angekommen und suchten die Kinderonkologie. Dort hielt sie nach Doktor Schmitz Ausschau.

Bei einer Tür wurde sie fündig. Sie klopfte leise und trat ein, als sie ein Herein! hörte. Sie stellte sich höflich vor und beschrieb die prekäre Situation. Es stellte sich aber schnell heraus, dass der Kinderarzt bereits Bescheid wusste, dass Angie anstatt der Mutter die kleine Claudia begleitete. Frau Newerkla hatte ihm im Vorfeld die Lage erklärt.

Der Doktor führte die beiden in ein helles, bunt eingerichtetes Krankenzimmer, in dem bereits ein anderes Mädchen in einem Kinderbett lag.

„Das ist unsere kleine Tina, sie ist in Claudias Alter. Die beiden werden sich sicher gut verstehen. Tina, was sagst du? Jetzt hast du eine Freundin hier bei dir im Zimmer und ihr könnt den ganzen Tag plaudern. Ist das nicht fein?“

Tina sah erfreut zu Claudia und winkte ihr schüchtern zu. Ihr blasses Gesichtchen versetzte Angie einen Schock. Sie wurde sich erst jetzt langsam bewusst, dass sie es hier mit schwer kranken Kindern zu tun hatte. Sie ließ sich aber nichts anmerken und lächelte das Mädchen freundlich an.

„Was hast du denn da für einen süßen Kasperl sitzen? Ist das dein Freund?“

„Ja, der soll auf mich aufpassen, hat meine Oma Susi gesagt. Er sitzt immer hier auf meinem Polster, und wenn ich traurig bin, erzählt er mir eine lustige Geschichte und dann geht es mir gleich wieder besser.“

Doktor Schmitz forderte nun Claudia auf, sich ihr Nachthemd anzuziehen. Sie hatten von daheim welche mitgebracht, damit sich das Mädchen wohler fühlte. Also kramte Angie rasch ein Leiberl mit buntem Pumucklaufdruck heraus und half dem Kind, sich umzuziehen. Die Kleine legte sich dann brav ins Bett und drückte Lucki fest an sich. Doktor Schmitz bat Angie nun kurz vor die Tür.