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Dieses Taschenbuch beschreibt Märchen und Sagen aus Litauen. Die baltischen Staaten waren schon immer faszinierend. Die Märchen und Sagen werden aus alten Quellen bezogen und neu veröffentlicht. Mit dem vorliegenden Buch lernt man mit den Sagen und Märchen nicht nur die eigene Heimat besser kennen, sondern auch die Märchen der fremden Lande, die doch so vertraut sind.
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Seitenzahl: 324
Veröffentlichungsjahr: 2025
Herausgeber
Erik Schreiber
Märchen Sagen und Legenden
Nixenmärchen
Saphir im Stahl
Märchen Sagen und Legenden 2
e-book: 9
Titel: Nixenmärchen
Erscheinungstermin: 01.11.2025
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Herrmann Vogel
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb neobook
Herausgeber
Erik Schreiber
Märchen Sagen und Legenden
Nixenmärchen
Saphir im Stahl
Inhaltsverzeichnis
Die gefangenen Seelen
Die Seejungfrau
Die Wasserfräulein
Die Wasserfee vom Karersee
Die Nixe vom Karersee
Der Nixer
Der arme Nix
Rammeken
Die drei Nixen von Jupille
Necker fängt einen Mann
Der schlimme Nix
Die singende Nixe
Die Merminne zu Schouwen
Der Fluch der Nixe vom Neusiedler See
Der Donaufürst von Strudengau
Der Dank der Donaunixe von Strudengau
Das Donauweibchen
Die Seejungfrauen im Tilsiter Schlossteich
Der Kaiserin Wundersohn
Die dem Wassernix versprochenen Kinder
Der Knabe und der Wassermann
Die Jungfrau der Quelle
Die Wasserfrau
Bertold und die Seejungfrau
Die Neraide
Die Neraiden an der Mühle
Die Meerjungfrau
Der arme Nix
Meerminne
Brauhards Seejungfer
Der Wassermann
Die Magd bei dem Nix
Die Meerminnen
Die Nebelnixe
Die Nixe aus der Totenlache
Die Nixe von Nidden
Die Nixe von Trotha
Die Nixei und das Weingartenloch
Die Saalnixen
Die Wassernixe und der Mühlknappe
Magdeburger Nixen
Meerweiblein
Niesen im Wasser
Nix
Nix Flerus
Nix Schlitzöhrchen
Nixen in Theilheim und im Gründlersloch
Nixenbrunnen
Nixenflüsse bei Leipzig
Die Nixe
Der Wassermann
Die Meermaid
Die Wasserjungfer
Die Nixe von Weltenburg
Der Wassernix
Der Wassermann in der Mühle
Quellen
Herausgeber
Erik Schreiber
Märchen Sagen und Legenden
Nixenmärchen
Saphir im Stahl
Märchen Sagen und Legenden 2
e-book: 9
Titel: Nixenmärchen
Erscheinungstermin: 01.11.2025
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Herrmann Vogel
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb neobook
Herausgeber
Erik Schreiber
Märchen Sagen und Legenden
Nixenmärchen
Saphir im Stahl
Inhaltsverzeichnis
Die gefangenen Seelen
Die Seejungfrau
Die Wasserfräulein
Die Wasserfee vom Karersee
Die Nixe vom Karersee
Der Nixer
Der arme Nix
Rammeken
Die drei Nixen von Jupille
Necker fängt einen Mann
Der schlimme Nix
Die singende Nixe
Die Merminne zu Schouwen
Der Fluch der Nixe vom Neusiedler See
Der Donaufürst von Strudengau
Der Dank der Donaunixe von Strudengau
Das Donauweibchen
Die Seejungfrauen im Tilsiter Schlossteich
Der Kaiserin Wundersohn
Die dem Wassernix versprochenen Kinder
Der Knabe und der Wassermann
Die Jungfrau der Quelle
Die Wasserfrau
Bertold und die Seejungfrau
Die Neraide
Die Neraiden an der Mühle
Die Meerjungfrau
Der arme Nix
Meerminne
Brauhards Seejungfer
Der Wassermann
Die Magd bei dem Nix
Die Meerminnen
Die Nebelnixe
Die Nixe aus der Totenlache
Die Nixe von Nidden
Die Nixe von Trotha
Die Nixei und das Weingartenloch
Die Saalnixen
Die Wassernixe und der Mühlknappe
Magdeburger Nixen
Meerweiblein
Niesen im Wasser
Nix
Nix Flerus
Nix Schlitzöhrchen
Nixen in Theilheim und im Gründlersloch
Nixenbrunnen
Nixenflüsse bei Leipzig
Die Nixe
Der Wassermann
Die Meermaid
Die Wasserjungfer
Die Nixe von Weltenburg
Der Wassernix
Der Wassermann in der Mühle
Quellen
Die gefangenen Seelen
Jack Dogherty war ein Fischer, wie sein Vater und Großvater vor ihm. Wie diese, lebte auch er ganz allein mit seiner Frau in seinem Häuschen am Meeresstrand in der Grafschaft Clare. Die Leute wunderten sich, dass die Familie Dogherty sich dieses weltentlegene, rings von steilen Felsen umgebene, wogenumrauschte Plätzchen zum Wohnsitz ausgesucht hatten. Aber die Doghertys wussten wohl, warum.
Dunbey Bay war der einzige Ort an der ganzen Küste, wo es sich gut wohnte. Es war eine kleine Bucht, in welcher ein Boot so geschützt liegen konnte, wie ein Vogel in seinem Nest; und aus dem Hintergrund streckte sich eine Felsplatte in die See hinaus. Wenn nun, was nicht selten geschah, ein Sturm auf dem Atlantischen Ozean wütete und an der Küste sich starker Westwind erhob, dann zerschellte manch reichbeladenes Schiff an diesen Felsen, und was kam dann nicht alles ans Land! Ganze Ballen mit schöner Baumwolle und Tabak, Fässer, große und kleine, mit Wein, Rum, Cognac und Wachholderbranntwein gefüllt, kurz, ein Dogherty lebte in dieser Bucht wie ein Edelmann auf seinem Gut.
Die Doghertys waren freundlich und hilfreich, wenn es einmal einem schiffbrüchigen Matrosen glückte, das Land zu erreichen; oft zog auch Jack auf seiner kleinen Zille hinaus und half der Mannschaft eines gescheiterten Schiffes ans Land. Wenn aber das Schiff zerschellt und die Bemannung ertrunken war, wer möchte Jack tadeln, dass er heimtrug, was er fand?
„Und wer wird dadurch benachteiligt?“, pflegte Jack zu sagen; „der König, Gott segne ihn!, ist doch wahrlich reich genug und braucht nicht noch das, was die See mir beschert.“
Trotzdem Jack das Leben eines Einsiedlers führte, war er ein gutherziger, munterer Bursche. Einem anderen wäre es auch schwerlich gelungen, Biddy Mahony zu überreden, das behagliche, schmucke Haus ihres Vaters in der Mitte der Stadt Ennis zu verlassen und fortan so viele Meilen entfernt mitten unter den Felsen zu leben, wo Robben und Seemöwen ihre einzigen Nachbarn waren. Aber Biddy wusste sehr wohl, dass Jack der richtige Mann war, mit dem eine Frau glücklich und behaglich leben konnte; denn er versah die meisten Herrenhäuser des umliegenden Landes nicht nur mit Fischen, sondern auch mit den unerwarteten reichen Gaben, die in die Bucht geschwemmt wurden. Und sie hatte ihre Wahl nicht zu bereuen, denn keine Frau aß und trank besser, keine Frau war sonntags in der Kirche besser gekleidet, als Frau Dogherty.
Es war nur natürlich, dass Jack mancherlei seltsame Dinge zu sehen und zu hören bekam, aber er kannte keine Furcht, ja, es war sogar der sehnlichste Wunsch seines Herzens, einmal mit einem Nix zusammenzutreffen. Jack hatte gehört, dass sie ein menschenfreundliches Volk wären, und dass eine Bekanntschaft mit ihnen immer Glück bringe. So oft er in der Ferne auf der Oberfläche des Meeres die Meermänner in ihren nebligen Gewändern zu sehen glaubte, da ruderte er spornstreichs auf sie los. Wie oft schalt ihn Biddy in ihrer sanften Weise, wenn er den ganzen Tag draußen auf dem Meere gewesen war, ohne einen Fisch heimzubringen. Wenn Biddy gewusst hätte, auf was für Fang sein Sinn gerichtet war!
Jack ärgerte sich oft, dass er nie einen Nix ordentlich zu Gesicht bekam, und sie waren doch an der Küste so häufig wie Hummer. Er ärgerte sich umsomehr, als sein Vater und Großvater sehr oft Nixen gesehen hatten, ja, er erinnerte sich sogar, als Kind gehört zu haben, dass sein Großvater, der sich als erster der Familie in Dunbey Bay niedergelassen hatte, mit einem Nix geradezu vertraut gewesen war. Und so lieb war ihm der Nix gewesen, dass er sich nur aus Furcht vor dem Priester davon abhalten ließ, ihn bei einem seiner Kinder Gevatter stehen zu lassen.
Endlich schien Jack das Glück hold zu sein und ihm nicht versagen zu wollen, was es seinem Vater und Großvater vor ihm gewährt hatte. Als er nämlich eines Tages weiter als sonst die Küste entlang geschlendert war, sah er, gerade als er umkehren wollte, etwas auf einem Felsen hocken, was er nie zuvor gesehen hatte. Der Körper war, soviel er aus der Entfernung sehen konnte, grün, und er hätte schwören können, dass das Ding einen Dreispitz in der Hand hielt. Jack stand eine gute halbe Stunde da und betrachtete es mit gespannter Aufmerksamkeit; die ganze Zeit über rührte es sich nicht vom Fleck. Endlich war Jacks Geduld zu Ende, er tat einen lauten Pfiff und einen Ruf, als der Nix, denn ein solcher war es, in die Höhe fuhr, den Dreispitz aufsetzte und kopfüber von dem Felsen in die Flut tauchte.
Jacks Neugierde war auf das höchste gestiegen, und er ging geradewegs auf die Stelle zu, doch es war nichts mehr von dem Nix mit dem Dreispitz zu sehen. Jack dachte so viel darüber nach, dass er sich zuletzt einbildete, er habe alles nur geträumt.
An einem sehr stürmischen Tag, als die See haushohe Wellen warf, beschloss Jack, einen Blick auf den Nixenfelsen zu werfen; sonst war er immer nur an schönen Tagen dort gewesen. Als er hinkam, sah er richtig den Nix. Er schlug Purzelbäume auf dem Felsen, tauchte in die Flut, kam wieder empor und tauchte wieder unter.
Von nun ab konnte Jack den Nix sehen, so oft es ihm beliebte; er brauchte nur einen recht windigen Tag zu wählen. Aber das befriedigte ihn auf die Dauer nicht; wem man einen Finger reicht, der will die ganze Hand. Er wollte die Bekanntschaft des Nixes machen. Und es gelang ihm.
Eines Tages ging er wieder zu der Stelle, von wo er einen guten Ausblick auf den Nixenfelsen hatte, da erhob sich ein so furchtbarer Sturm, dass er in einer Höhle, deren es sehr viele an der Küste gab, Schutz suchen musste. Als er eintrat, sah er zu seiner Verwunderung den Nix dort sitzen. Er hatte einen Fischschwanz, Schuppen auf den Beinen und Flossen an den kurzen Armen, grünes Haar, lange, grüne Zähne, eine rote Nase und Schweinsäuglein. Er trug keine Kleider, hielt den Dreispitz unter dem Arm und schien in ernste Gedanken vertieft.
Jack war trotz alles Mutes ein wenig eingeschüchtert, aber „jetzt oder nie“ dachte er. So ging er denn kühn auf den in Gedanken versunkenen Nix zu, nahm seinen Hut ab und machte ihm eine tiefe Verbeugung.
„Euer Diener, mein Herr“, sagte Jack.
„Der deine, Jack Dogherty“, erwiderte der Nix.
„Wie, Euer Gnaden wissen meinen Namen?“, rief Jack aus.
„Sollt' ich ihn etwa nicht wissen, Jack Dogherty? Ich hab' deinen Großvater gekannt, mein Lieber, lange bevor er Judy Regan, deine Großmutter, zur Frau nahm! Ach, Jack, lieber Jack, wie gern hab ich deinen Großvater gehabt! War das ein prächtiger Herr! Nie hab' ich vorher oder nachher, über oder unter dem Wasser seinesgleichen in der edlen Kunst des Zechens gesehen. Ich hoffe, mein Junge,“ fügte er mit lustigem Augenblinzeln hinzu, „ich hoffe, du bist sein würdiger Enkel!“
„Es kommt auf einen Versuch an“, sagte Jack.
„Nun, es freut mich, dich so wacker sprechen zu hören. Wir müssen besser miteinander bekannt werden, und wäre es nur um deines Großvaters willen. Aber dein Vater, Jack, mit dem war nichts anzufangen.“
„Ich kann mir wohl denken“, sagte Jack, „dass Ihr manch mächtigen Zug tut, um da unten in der kühlen, nassen Flut Euer Blut bei einiger Wärme zu erhalten. Aber darf ich so frei sein, zu fragen, wo Ihr den Stoff hernehmt?“
„Wo nimmst du ihn denn her, Jack?“, fragte der Nix und zupfte mit Daumen und Zeigefinger an seiner roten Nase.
„Haha“, rief Jack, „jetzt geht mir ein Licht auf; ich hoffe nur, Euer Gnaden haben unten einen guten trockenen Keller, wo Ihr ihn aufbewahrt.“
„Verlass dich auf mich“, sagte der Nix mit schlauem Zwinkern seines linken Auges.
„Es verlohnt sich gewiss sehr, den Keller anzusehen“, fuhr Jack fort.
„Du hast recht, Jack“, sagte der Nix, „und wenn du mich am folgenden Montag um dieselbe Zeit hier treffen willst, dann werden wir weiter über die Sache sprechen.“
Jack und der Nix schieden als die besten Freunde von der Welt.
Am folgenden Montag trafen sie wieder zusammen, und zum Erstaunen Jacks hatte der Nix zwei Dreispitze mit, unter jedem Arm einen.
„Darf ich mir die Freiheit nehmen, zu fragen“, sagte Jack, „warum Euer Gnaden heute zwei Hüte mithaben? Ihr wollt mir doch nicht vielleicht gar einen davon schenken, damit ich ihn der Seltenheit wegen mit nach Hause nehme?“
„Nein, Jack“, erwiderte er, „ich komme nicht so leicht zu meinen Hüten, dass ich mich so rasch davon trennen könnte. Aber ich will, dass du mit mir hinunterkommst und mit mir zu Mittag speisest, und zu dem Zwecke hab' ich dir den Hut mitgebracht.“
„Der Herr bewahre und beschütze uns!“, rief Jack erstaunt aus, „Ihr wollt doch nicht, dass ich zum Meeresgrund hinunter fahre? Ich würde doch sicher in dem Salzwasser ertrinken. Was würde die arme Biddy anfangen? Was würde sie dazu sagen?“
„Was liegt daran, was sie sagt, du Tropf? Wer kehrt sich an ihr Zetern? Dein Großvater hätte nicht solche Einwendungen gemacht. Wie oft hat er sich diesen selben Hut aufgesetzt und ist mir mutig in die Tiefe gefolgt! Wie oft haben wir zusammen gespeist und manche Muschel voll Branntwein dort unten auf dem Grunde des Wassers miteinander geleert!“
„Ist das Euer Ernst?“, fragte Jack, „wohlan denn, hol mich der und jener, wenn ich meinem eigenen Großvater nachstehen will. Hier ist meine Hand. Ich gebe mich ganz in Eure Gewalt, es gilt Leben oder Tod.“
„Jetzt bist du der Großvater, wie er leibt und lebt“, sagte der alte Meermann, „komm also und folge meinem Beispiel.“
Sie verließen die Höhle, gingen in die Flut hinein und schwammen dann ein Stück, bis sie zu dem Felsen gelangten. Der Nix kletterte auf den Gipfel desselben und Jack folgte ihm. Auf der andern Seite fiel der Felsen so jäh ab wie eine Mauer, und die See sah so tief aus, dass Jack einiges Zagen empfand.
„Nun, Jack“, sagte der Nix, „setze den Hut auf, und halte nur ja die Augen ganz offen. Halte dich an meinem Schweif fest, und folge mir, dann wirst du was zu sehen bekommen.“
Er sprang hinein, und Jack folgte ihm mutig nach. Sie fuhren lange Zeit dahin, und Jack glaubte, es würde kein Ende nehmen. Manchmal wünschte er, mit Biddy gemütlich am Kamin zu sitzen. Aber was nützte der Wunsch, jetzt, da er sich so viele, viele Meilen unter den Wogen des Atlantischen Ozeans wähnte? Er hielt sich fest an den Schweif des Meermannes, so schlüpfrig er auch war. Endlich kamen sie aus dem Wasser heraus und waren zum großen Erstaunen Jacks auf trockenem Land auf dem Grunde der See. Sie landeten vor einem hübschen Haus, das sehr nett mit Austernschalen gedeckt war. Der Nix wendete sich zu Jack um und hieß ihn willkommen.
Halb vor Verwunderung, halb außer Atem nach der schnellen Fahrt durch das Wasser, war Jack kaum imstande zu sprechen. Er blickte um sich und sah kein lebendes Wesen, außer Krabben und Hummern, die gemächlich auf dem Sand spazieren gingen. Über ihm wölbte sich das Meer wie der Himmel, und die Fische bewegten sich darin, wie Vögel in der Luft.
„Warum so stumm, Jack?“, fragte der Nix, „du hattest wohl keine Ahnung, dass ich hier unten so ein schmuckes kleines Anwesen besitze? Bist du erstickt oder ertrunken, oder grämst du dich um Biddy, he?“
„O nein“, erwiderte lachend Jack und zeigte seine blanken Zähne, „aber wer in aller Welt hätte sich auch so etwas gedacht.“
„Komm, Jack, wir wollen jetzt sehen, was wir zu essen bekommen.“
Jack verspürte wirklich großen Hunger, und er war nicht wenig erfreut, als er aus dem Kamin eine Rauchsäule aufsteigen sah, die verriet, was drinnen vorging. Er folgte dem Nix ins Haus und in die schöne Küche; die war reichlich mit allem Nötigen ausgestattet. Ein großer Anrichtetisch war da und eine Menge Pfannen und Töpfe, und zwei junge Meermänner kochten. Dann führte ihn sein Wirt in das Zimmer; das war freilich ziemlich schäbig. Es war weder Tisch noch Stuhl darin, Bretter und Holzblöcke versahen ihre Stelle. Doch brannte ein gutes Feuer im Kamin, und Jack fühlte sich bei dem Anblick desselben ganz behaglich.
„Jetzt komm'“, sagte der Nix, „ich werde dir zeigen, wo ich die – du weißt schon, was ich meine – aufbewahre.“ Und er warf ihm einen schlauen Blick zu.
Dann öffnete er eine kleine Türe und führte Jack in einen schönen Keller, der war mit Fässern aller Art von unten bis oben gefüllt.
„Was sagst du dazu, Jack Dogherty? Eh? Glaubst du nun, dass man sich's auch unter dem Wasser behaglich einrichten kann?“
„Ich zweifle nicht daran“, erwiderte Jack und das Wasser lief ihm im Munde zusammen.
Als sie in das Zimmer zurückkehrten, war das Essen bereit. Es war freilich kein Tischtuch da, aber was schadete das? Jack hatte auch zu Hause nicht immer eins. Die feinste Familie im Lande hätte sich dieses Mittagessens an einem Fasttag nicht zu schämen brauchen. Es gab natürlich die besten Fische. Steinbutt, Stör, Seezunge, Hummer, Austern und viele andere kamen mit den allerbesten ausländischen Schnäpsen zugleich auf den Tisch. Die Weine, sagte der alte Meermann, seien ihm für seinen Magen zu kalt.
Jack aß und trank, bis er nicht mehr weiter konnte. Dann ergriff er eine Muschel voll Cognac und sagte: „Auf Eure Gesundheit, Euer Gnaden. Euern Namen weiß ich merkwürdigerweise noch nicht, trotzdem wir doch jetzt schon so lange miteinander bekannt sind.“
„Das ist wahr, Jack, ich hab' nie daran gedacht. Aber spät ist besser als gar nicht. Mein Name ist Coomara.“
„Was für ein schöner Name!“, rief Jack aus und füllte seine Muschel von neuem. „Auf Euer Wohl, also, Coomara, mögt Ihr Euch noch fünfzig Jahre Eures Dasein freuen!“
„Fünfzig Jahre,“ wiederholte Coomara, „ich bin dir wirklich sehr verbunden! Wenn du fünfhundert gesagt hättest, das wäre doch wenigstens der Mühe wert gewesen.“
„Auf Ehre“, rief Jack aus, „ihr erreicht ein hohes Alter hier unten! Ihr habt meinen Großvater gekannt, der ist nun seit sechzig Jahren tot. Es ist wohl ein gesundes Wohnen hier?“
„Gewiss, gewiss. Geh', Jack, bediene dich.“
Sie leerten eine Muschel nach der anderen und Jack fand zu seiner ungeheueren Überraschung, dass die Getränke ihm nicht zu Kopf stiegen. Offenbar war die Wasserfläche über ihnen die Ursache, dass sie kühle Köpfe behielten. Der alte Coomara fühlte sich immer behaglicher und sang mehrere Lieder; aber Jack konnte sich nur an den Schluss eines einzigen Liedes erinnern:
„Rum fum boodle boo,
Ripple dipple ritty doo;
Dum doo doodle coo,
Raffle taffle tschittiboo!“
Endlich sagte der Nix zu Jack: „Nun, mein Lieber, werd' ich dir meine Sammlung von Merkwürdigkeiten zeigen, komm' mit!“
Er öffnete eine kleine Tür und führte Jack in ein großes Zimmer, wo dieser eine Menge Krimskrams sah, den Coomara im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Was aber Jacks Aufmerksamkeit am meisten erregte, waren Hummerbüchsen, die auf dem Boden die Wand entlang aufgestellt waren.
„Nun, Jack, wie gefallen dir meine Merkwürdigkeiten?“, fragte der alte Meermann.
„Auf Ehre, sehr sehenswert“, sagte Jack; „aber dürfte ich mir die Frage erlauben, was die Hummerbüchsen da bedeuten?“
„Ach! Du meinst die Seelenkäfige?“
„Was, Euer Gnaden?“
„Die Dinger, in denen ich die Seelen aufbewahre.“
„Ja, was für Seelen denn, Euer Gnaden?“, fragte Jack höchlich erstaunt, „die Fische haben doch keine Seelen?“
„Oh nein“, erwiderte Coomara ganz ruhig, „die nicht, das sind die Seelen von ertrunkenen Matrosen.“
„Der Herr beschütze und bewahre uns vor allem Bösen!“, murmelte Jack, „wie in aller Welt seid Ihr dazu gekommen?“
„Einfach genug. Wenn ich sehe, dass ein tüchtiger Sturm im Anzuge ist, so brauche ich nur zwei Dutzend von diesen Büchsen aufzustellen; sobald dann die Matrosen ertrunken sind und ihre Seelen herauskommen, so sind die armen Dinger, die doch an die Kälte hier unten nicht gewöhnt sind, fast erfroren; da suchen sie in meinen Büchsen Schutz, ich sperre sie dann zu und bringe sie hierher ins Trockene. Tut es den armen Seelen nicht gut, ein so vortreffliches Quartier zu bekommen?“
Jack war so erstaunt, dass er nicht wusste, was er sagen sollte; er schwieg also. Sie gingen in das Speisezimmer zurück und tranken noch ein wenig von dem ausgezeichneten Cognac, dann dachte Jack, es sei schon spät und Biddy würde ängstlich werden; er stand also auf und meinte, nun sei es Zeit, dass er sich auf den Weg mache.
„Ganz wie du willst, Jack“, sagte Coomara, „aber nimm noch einen Abschiedstrunk, bevor du gehst, denn du hast eine kalte Reise vor dir.“
Jack war viel zu höflich, als dass er den Abschiedstrunk abgelehnt hätte.
„Werd' ich wohl“, sagte er dann zum Meermann, „meinen Weg nach Hause finden?“
„Was kann dir geschehen“, erwiderte sein Wirt, „wenn ich ihn dir zeige?“
Sie gingen hinaus, und Coomara setzte Jack einen Dreispitz auf, aber verkehrt, dann hob er ihn auf seine Schulter, um ihn von Stapel zu lassen.
„So“, sagte er und gab ihm einen tüchtigen Schub, „du wirst genau an derselben Stelle hinauskommen, von der wir hereingekommen sind; vergiss nur ja nicht, Jack, mir den Hut wieder herunterzuwerfen.“
Damit schoss Jack wie eine Blase in die Höhe, surr, surr, surr, bis er zu dem Felsen kam, von welchem er hinabgesprungen war. Dann warf er den Dreispitz ins Meer; der sank unter wie ein Stein.
Es war ein schöner Sommertag. Die Sonne ging gerade unter. Einsam funkelte ein Stern an dem wolkenlosen Firmament, die Wogen des Atlantischen Ozeans erstrahlten in einem Meer von goldigem Licht. Als Jack sah, dass es schon so spät war, machte er sich auf den Heimweg; doch sagte er Biddy kein Wort davon, wo er den Tag zugebracht hatte.
Jack musste viel an die armen Seelen denken, die in den Hummerbüchsen eingesperrt waren, und der Gedanke, wie er sie erlösen könnte, beschäftigte ihn unausgesetzt. Anfangs wollte er mit dem Pfarrer über die Sache sprechen, aber was hätte der tun können, und was kümmerte sich der Nix um den Pfarrer? Coomara war übrigens ein guter Kerl und wusste nicht, dass er etwas Unrechtes tat. Überdies hätte sich Jack selbst damit geschadet, wenn man erfahren hätte, dass er mit Meermännern zu Mittag speiste. Er fasste also den Plan, Coomara zum Mittagessen einzuladen und alles aufzubieten, damit er sich einen Rausch antrinke. Dann wollte er den Dreispitz nehmen, in die Tiefe tauchen und die Seelen aus den Hummerbüchsen befreien. In allererster Reihe war es nötig, Biddy fernzuhalten, denn Jack war klug genug, seine Absicht zu verbergen.
Jack wurde also mit einem Mal sehr fromm und sagte Biddy, es wäre wohl beider Seelenheil zuträglich, wenn sie zum Johannisbrunnen in der Nähe von Ennis eine kleine Wallfahrt unternähme. Biddy war derselben Ansicht, und so machte sie sich denn an einem schönen Morgen bei Tagesanbruch auf den Weg, nachdem sie Jack noch strenge aufgetragen hatte, das Haus zu hüten. Als die Luft rein war, ging Jack zu dem Felsen hinüber und gab Coomara das verabredete Zeichen, das heißt, er warf einen großen Stein in das Wasser. Sofort tauchte der Nix empor.
„Guten Morgen, Jack“, sagte er, „was willst du von mir?“
„Es ist nicht der Rede wert, Euer Gnaden“, erwiderte Jack. „Ich nehme mir nur die Freiheit, Euch zum Mittagessen einzuladen.“
„Ich komme sehr gern, Jack; um welche Stunde speist du?“
„Wie es Euch am besten passt, Euer Gnaden – vielleicht um ein Uhr, damit ihr noch bei Tageslicht nach Hause könnt.“
„Gut, ich komme, du kannst bestimmt auf mich rechnen.“
Jack ging nach Hause und richtete ein feines Mittagessen her; dann brachte er Cognac in solcher Menge, dass sich zwanzig Männer daran hätten betrinken können.
Zur Minute kam Coomara, seinen Dreispitz unter dem Arm. Das Mittagessen war bereit, sie setzten sich zu Tisch und aßen und tranken wacker drauf los.
Jack gedachte der armen Seelen unten in den Hummerbüchsen und tat Coomara beim Cognac tüchtig Bescheid. Er spornte ihn auch an, zu singen, weil er ihn so unter den Tisch zu bringen hoffte, aber er vergaß, dass sie nicht die See über ihren Köpfen hatten. Der Cognac berauschte ihn; Coomara taumelte nach Hause, während Jack stumm wie ein Stockfisch am Karfreitag unter dem Tische lag. Er erwachte erst am folgenden Morgen, und da befand er sich in einem traurigen Zustand.
„Es ist vergebens“, sagte Jack, „so ist dem alten Zecher nicht beizukommen; wie in aller Welt kann ich den armen Seelen aus den Hummerbüchsen helfen?“
Nachdem er fast den ganzen Tag darüber nachgedacht hatte, kam ihm plötzlich ein Gedanke.
„Ich hab's“, rief er und schlug sich in seiner Freude aufs Knie, „ich hab's! Ich möchte darauf schwören, dass er, so alt er auch ist, noch nie einen Tropfen echten Bergthaues gesehen hat; der wird seine Wirkung nicht verfehlen. Wie gut, dass Biddy noch zwei Tage fortbleibt! Da kann ich es ein zweites Mal mit ihm versuchen.“
Er lud den Nix wieder ein, und der lachte ihn aus, dass er so wenig vertrug, und sagte ihm, dass er seinen Großvater nie erreichen würde.
„Versucht es nur noch einmal“, erwiderte Jack, „und ich bürge Euch dafür, dass ich Euch unter den Tisch trinke.“
„Ich tue dir gern einen Gefallen, wenn es in meiner Macht steht“, sagte Coomara.
Diesmal wässerte Jack seinen eigenen Cognac tüchtig, dem Meermanne aber gab er den stärksten Cognac, den er besaß. Endlich sagte er: „Ich bitte, Euer Gnaden, habt ihr je einmal echten Bergthau getrunken?“
„Nein“, antwortete der Nix, „was ist das, und woher kommt es?“
„Oh, das ist ein Geheimnis“, sagte Jack, „aber es ist der rechte Stoff. Wenn er nicht fünfzigmal besser ist als Cognac oder Rum, so könnt Ihr mich einen Lügner schimpfen. Biddys Bruder hat mir gerade für ein Fässchen Cognac ein wenig davon geschickt, und da Ihr ein alter Freund meiner Familie seid, so hab' ich ihn aufgehoben, um Euch damit aufzuwarten.“
„Na, lass mal sehen, was es ist“, sagte Coomara.
Der Whisky, den Jack seinem Gast einschenkte, war ganz ausgezeichnet, und Coomara war entzückt. Er trank und trank und sang „Rum fum boodle boo“ dazu und lachte und tanzte, bis er auf den Boden fiel. Bald war er fest eingeschlafen. Da griff Jack, der ganz nüchtern geblieben war, nach dem Dreispitz, rannte zum Felsen, sprang hinein und erreichte bald Coomaras Haus.
Alles war so still wie ein Kirchhof um Mitternacht, kein Nix, weder alt noch jung, war zu sehen. Er ging hinein und stürzte die Hummerbüchsen um, aber er sah nichts; nur ein leises Pfeifen und Zirpen war hörbar, als er die Büchsen in die Höhe hob. Er war überrascht, doch erinnerte er sich, dass die Pfarrer oft gesagt hatten, kein lebendes Wesen könne die Seele sehen, geradeso wenig wie den Wind oder die Luft. Nachdem er nun alles für sie getan hatte, was in seiner Macht stand, setzte er die Hummerbüchsen wieder so hin, wie er sie gefunden hatte, dann sprach er ein Gebet für die armen Seelen.
Nun dachte Jack an den Rückweg. Er setzte sich den Hut verkehrt auf, wie es sich gehörte. Aber als er draußen war, fand er, dass das Wasser so hoch über seinem Kopfe stand, dass er keine Hoffnung hatte, je hineinzugelangen, denn nun war Coomara nicht da, um ihn, wie sonst, auf seine Schulter zu heben. Er schaute sich überall nach einer Leiter um, konnte aber keine finden, und es war auch weit und breit kein Felsen zu sehen. Endlich kam es ihm vor, dass die See an einer Stelle tiefer herabhing als überall sonst; er entschloss sich also, dort einen Versuch zu machen. Gerade als er hinkam, sah er den Schweif eines großen Stockfisches vor sich. Da sprang er in die Höhe und ergriff den Schweif, und der erstaunte Stockfisch schnellte empor und zog Jack mit hinauf. In dem Augenblick, da der Dreispitz das Wasser berührte, schoss Jack auch schon wie ein Korken in die Höhe. In kurzer Zeit erreichte er den Felsen und eilte, ohne sich einen Augenblick aufzuhalten, nach Hause, hocherfreut über das fromme Werk, das er vollbracht hatte.
Inzwischen ging es zu Hause schön zu. Denn kaum hatte Jack das Haus verlassen, um sich zu den Seelen zu begeben, als Biddy von der Wallfahrt heimkam.
Als sie in das Haus eintrat, sah sie auf dem Tische alles durcheinander liegen.
„Das ist eine nette Geschichte“, sagte sie, „der Lump! Ich Unglückliche! Während ich für sein Seelenheil bete, hat er sich irgendeinen Vagabunden aufgelesen und mit ihm zusammen den ganzen Bergthau, den ihm mein Bruder geschenkt hat, und alle Schnäpse, die er an die Edelleute verkaufen sollte, ausgetrunken.“
Da hörte sie ein seltsames Grunzen, sie blickte zu Boden, und da sah sie den Nix unterm Tische liegen.
„Heilige Jungfrau, beschütze mich“, rief sie aus, „er liegt da wie ein Tier! Ja, das Trinken, das macht den Menschen zum Tier. Oh weh, oh weh! Jack, liebster Schatz, was soll ich mit dir anfangen? Oder vielmehr, was soll ich ohne dich anfangen?“
Unter solchen Klagen ging Biddy hinaus, sie wusste selbst nicht wohin, als sie plötzlich die wohlbekannte Stimme Jacks hörte, die ein lustiges Lied sang. Wie froh war Biddy, ihn frisch und gesund wiederzusehen, und nicht in ein Tier verwandelt, das weder Fisch noch Fleisch war! Jack musste ihr nun alles erzählen, und obwohl Biddy ihm eigentlich böse sein wollte, weil er ihr nicht schon früher alles gestanden hatte, so musste sie doch zugeben, dass er den armen Seelen einen großen Dienst erwiesen hatte.
Hand in Hand kehrten sie versöhnt ins Haus zurück. Jack weckte Coomara auf. Als er sah, dass der Nix ein wenig missgestimmt war, bat er ihn, sich nichts draus zu machen, denn das sei schon manchem braven Mann passiert. Er sagte ihm ferner, das käme nur daher, dass er an den Bergthau nicht gewöhnt sei, und empfahl ihm, das Gift durch Gegengift zu vertreiben.
Aber der Meermann schien der Meinung, dass er genug getrunken hatte. Übel gelaunt stand er auf; er besaß nicht einmal so viel Lebensart, Jack ein höfliches Wort zu erwidern, sondern schlich sich davon, um sich durch einen Sprung in das Salzwasser abzukühlen.
Der Nix erfuhr niemals, dass die Seelen nicht mehr in seinem Besitze waren. Er und Jack waren weiter die besten Freunde von der Welt. Was aber die Befreiung der Seelen aus ewiger Verdammnis betrifft, so hat es darin noch kein Mensch Jack gleich getan. Er fand immer neue Ausflüchte, um ohne Wissen Coomaras in dessen Haus zu gelangen; dann wendete er die Hummerbüchsen um und ließ die Seelen entfliehen. Nur eines ärgerte ihn: dass er sie niemals sehen konnte. Aber da er wusste, dass das unmöglich war, so musste er sich endlich zufriedengeben.
Sein Verkehr mit dem Meermann dauerte noch einige Jahre. Eines Morgens aber, als Jack wie gewöhnlich einen Stein ins Wasser warf, bekam er keine Antwort. Er warf einen Stein nach dem anderen hinein, aber keine Antwort folgte. Er ging fort und kam am nächsten Morgen wieder, aber es half nichts. Da er keinen Dreispitz hatte, so konnte er nicht nachsehen, was aus dem alten Coomara geworden war. Vermutlich war der Alte mittlerweile gestorben oder in eine andere Gegend gezogen.
Die Seejungfrau
Es war einmal ein alter Fischer, der fing eine Zeitlang nur sehr wenig Fische. Da tauchte eines Tages dicht vor seinem Boote eine Seejungfrau empor, die fragte ihn, ob er viele Fische finge.
„Nein“, antwortete der alte Mann.
„Was für Belohnung“, fragte ihn die Seejungfrau, „verheißest du mir, wenn ich dir Fische im Überfluss ins Netz schicke?“
„Ach“, sagte der alte Mann, „ich besitze blutwenig.“
„Willst du mir deinen erstgeborenen Sohn geben?“, fragte sie.
„O ja, wenn ich je einen haben sollte. Aber ich habe keinen und werde nie einen haben, denn ich und meine Frau, wir sind beide schon alt.“
„Sage mir, was du besitzest.“
„Ich habe nur eine alte Mähre, einen alten Hund und meine Frau. Ich hab' sonst nichts auf der Welt.“
„Hier sind drei Körner, die du noch heut abends deiner Frau geben sollst“, fuhr die Seejungfrau fort, „hier drei andere für den Hund und drei für dein Pferd. Diese drei hier aber sollst du hinter deinem Haus pflanzen. Und es wird die Zeit kommen, da wird deine Frau drei Söhne haben und der Hund drei Junge und die Mähre drei Füllen. Und hinter deinem Haus werden drei Bäume emporwachsen, und wenn einer von deinen Söhnen stirbt, so wird einer von den Bäumen verdorren, du aber wirst von nun ab Fische fangen im Überfluss. Doch denke daran, dass du mir deinen ältesten Sohn bringen musst, sobald er drei Jahre alt geworden ist.“
Alles ging in Erfüllung, wie es die Seejungfrau vorausgesagt hatte, und der alte Mann fing Fische in Menge. Aber als das dritte Jahr sich seinem Ende näherte, da wurde er sehr niedergeschlagen und bekümmert und kam zusehends von Kräften. An dem Tage, da das dritte Jahr um war, fuhr er wie gewöhnlich aufs Meer hinaus, um zu fischen, aber er nahm seinen Sohn nicht mit.
Da tauchte die Seejungfrau dicht vor seinem Boot auf und fragte: „Hast du mir deinen Sohn gebracht?“
„Nein“, erwiderte der Fischer, „ich hab' ihn nicht mitgebracht, ich habe ganz vergessen, dass gerade heute die drei Jahre um sind.“
„Schon gut“, sagte die Seejungfrau, „behalte ihn noch vier Jahre; vielleicht kannst du dich dann leichter von ihm trennen.“
Überglücklich, dass er seinen Sohn noch vier Jahre behalten dürfe, kehrte der alte Mann nach Hause zurück. Er fuhr fort, Fische zu fangen, die ihm reichlich ins Netz kamen, aber als das vierte Jahr seinem Ende zuging, da wurde er vor Kummer ganz krank, er aß nicht und trank nicht, und seine Frau wusste nicht, was ihm fehlte. Diesmal wusste er nicht, was er tun sollte, doch war er fest entschlossen, auch diesmal seinen Sohn nicht mitzunehmen.
Wieder fuhr er wie sonst aufs Meer hinaus, um zu fischen, und wieder tauchte die Seejungfrau dicht vor seinem Boote empor und fragte ihn: „Hast du mir deinen Sohn gebracht?“
„Ach“, erwiderte der Fischer, „ich hab' ihn auch diesmal vergessen.“
„Kehre nach Hause zurück“, sagte die Seejungfrau, „aber von heute in sieben Jahren musst du ihn mir ganz bestimmt bringen. Es wird dir dann nicht leichter fallen, dich von ihm zu trennen. Inzwischen wirst du weiter Fische haben in Überfluss.“
Voller Freude kam der alte Mann heim. Er konnte seinen Sohn weitere sieben Jahre behalten, länger, glaubte er, würde er wohl nicht leben und also die Seejungfrau nicht mehr sehen.
Aber das Ende der siebenten Jahres kam heran, und wieder empfand der Fischer Kummer und Sorge. Er fand Tag und Nacht keine Ruhe.
Eines Tages fragte ihn sein ältester Sohn, was ihn betrübe.
Der Vater wollte zuerst nicht mit der Sprache heraus.
Da sagte der Bursche, dass er es erfahren müsse, und endlich erzählte ihm der Vater von dem Übereinkommen zwischen ihm und der Seejungfrau.
„Sei unbesorgt“, sagte der Sohn, „mache mit mir, was du willst.“
„Du sollst aber nicht zu ihr gehen, mein Sohn, und wenn ich mein Leben lang keinen Fisch mehr fange.“
„Wenn du nicht willst, dass ich mit dir gehe, so bestelle mir beim Schmied ein festes, starkes Schwert, damit will ich mein Glück versuchen“, sagte der Sohn.
Da ging der Vater zum Schmied, und der machte ihm ein tüchtiges Schwert. Als er damit heimkam, da ergriff es der Sohn; kaum aber hatte er es ein- oder zweimal geschwungen, so zersprang es in hundert Splitter.
Da bat er seinen Vater, ihm ein anderes Schwert machen zu lassen, das aber sollte noch einmal so schwer sein. Sein Vater tat es, aber es erging dem neuen Schwert nicht besser als dem Ersten: Er zerbrach es in zwei Hälften.
Da ging der alte Mann zum Drittenmale zum Schmied, und der schmiedete ein Schwert, wie er noch nie zuvor eines gemacht hatte.
„Hier hast du das Schwert“, sagte der Schmied, „es gehört eine tüchtige Faust dazu, es zu schwingen.“
Der Fischer brachte es seinem Sohne, der es probierte.
„Das ist recht“, sagte er, „nun ist es hohe Zeit, mich auf den Weg zu machen.“
Am folgenden Morgen sattelte er das schwarze Pferd und ritt, von seinem Hund gefolgt, von dannen. Unterwegs stieß er auf ein totes Schaf; ein großer Hund, ein Falke und ein Fischotter stritten sich darum. Da stieg er vom Pferde und verteilte das Aas so unter die drei, dass der Falke einen, die Fischotter zwei und der Hund drei Teile davon erhielt.
Darauf sagte der Hund: „Wenn dir ein flinker Fuß oder ein scharfer Zahn nützen kann, dann denk' an mich, und ich will dir zu Hilfe kommen.“
Dann sagte der Fischotter: „Wenn dir ein schwimmender Fuß in der Tiefe eines Sees zustatten kommen kann, so denk' an mich, und ich will dir zu Hilfe kommen.“
Zuletzt sprach der Falke: „Wenn du in Not gerätst, aus der dich hurtige Schwingen oder krumme Krallen befreien können, so denk' an mich, und ich will dir zu Hilfe kommen.“
Darauf ritt er weiter, bis er das Schloss eines Königs erreichte. Dort nahm er einen Dienst als Kuhhirte an, und sein Lohn sollte groß oder klein sein, je nachdem die Kühe viel oder wenig Milch gaben. Er trieb das Vieh auf die Weide, aber diese war spärlich. Daher gaben sie auch nicht viel Milch, als er sie heimgetrieben hatte, und so bekam er an diesem Abend auch nur wenig Speise und Trank.
Am nächsten Tage ging er viel weiter mit ihnen und kam endlich zu einer grasreichen Wiese in einem grünen Tal, wie er ihresgleichen noch nie gesehen hatte.
Aber als er das Vieh wieder heimtreiben wollte, da kam ein ungeheurer Riese mit gezogenem Schwerte auf ihn zu.
„Hiu! Hau! Hogaraich!!!“ rief er aus. „Schon lange sehnen sich meine verrosteten Zähne nach Menschenfleisch. Das Vieh ist mein, denn ich hab' es auf meinem Grund und Boden getroffen, und du wirst bald ein toter Mann sein.“
„Das kann man noch nicht wissen“, sagte der Hirte, „es ist leichter gesagt, als getan.“
Sie gingen aufeinander los. Der Hirte zog sein haarscharfes Schwert, und während des Kampfes sprang der schwarze Hund dem Riesen auf den Rücken. Der Hirte tötete den Riesen; dann sprang er auf das schwarze Pferd und begann, das Haus des Riesen zu suchen. Er fand es bald; der Riese hatte in der Eile Tür und Tor offen gelassen. Der Hirte trat ein und fand Geld und Kostbarkeiten und gold- und silberbesetzte Kleider in Hülle und Fülle.
Zu Beginn der Nacht ging er wieder in das königliche Schloss zurück, aber er nahm nichts aus dem Hause des Riesen mit. Und als am Abend die Kühe gemolken wurden, da gaben sie viel Milch. An dem Abend bekam er reichlich zu essen und zu trinken, und der König war ungeheuer froh, einen so guten Hirten bekommen zu haben.
So ging der Hirte täglich in das grüne Tal, aber endlich war die Wiese abgegrast. Da beschloss er, ein wenig tiefer in das Land des Riesen einzudringen. Dort fand er einen ungeheueren Park und reichliches Gras. Er holte also das Vieh und brachte es in den Park.
Kaum waren sie drinnen, so kam ein ungeheurer Riese wütend herangestürmt.
„Hiu! Hau! Hogaraich!!!“ rief er. „Heute nachts werd' ich meinen Durst mit deinem Blute löschen!“
„Das kann man noch nicht wissen“, sagte der Hirte, „es ist leichter gesagt, als getan.“
Die beiden gingen aufeinander los. Hei, wie da die Schwerter blitzten! Es schien, als sollte der Riese den Sieg über den Hirten davontragen. Aber da rief dieser seinen Hund, und der sprang dem Riesen an den Hals. Rasch hieb ihm der Hirte den Kopf ab.
An dem Abend kam er sehr müde nach Hause. Wieder hatten die Kühe viel Milch, und die ganze königliche Familie war froh, dass sie so einen Hirten hatte.
Er ließ das Vieh eine Zeitlang in dem Park weiden. Aber als er eines Abends heimkam, da wurde er nicht wie sonst von der Kuhmagd freundlich begrüßt, sondern alles weinte und jammerte.
Er fragte nach der Ursache des Kummers. Da erzählte ihm die Kuhmagd, dass sich in dem See ein großes Ungeheuer mit drei Köpfen befinde, das erhalte jedes Jahr eine Jungfrau als Tribut, und diesmal sei das Los auf die Königstochter gefallen, die am folgenden Tag um die Mittagszeit von dem Ungetüm erwartet wurde. Doch sei ihr Freier entschlossen, sie zu retten.
„Welcher Freier?“, fragte der Hirte.
„Ein tapferer Ritter“, sagte die Kuhmagd. „Wenn es ihm gelingt, das Ungeheuer zu töten, dann wird er die Königstochter heiraten, denn der König hat sie demjenigen, der sie rettet, zur Frau versprochen.“