Oculus - Das Ende der Zeit - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Oculus - Das Ende der Zeit E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

John Sinclair, der berühmte Geisterjäger bei Scotland Yard, wurde von einer mysteriösen Organisation aus seiner Zeit in eine unbestimmte Zukunft geholt. In dieser Zukunft ist die Erde von außerirdischen Monstern überrannt worden. Die Menschheit hat sich in wenige Bergfestungen zurückgezogen. In solch eine wird John Sinclair gebracht, um den Menschen im fast verlorenen Krieg zu helfen. Doch bald muss er feststellen, dass die Monster einen Weg gefunden haben, ihre Tentakel auch bis in die Festung auszustrecken ...


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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Im Inneren des K2. Irgendwann.

Whitechapel, London. 1937

Auf dem Weg nach London. Morgen

An Bord der Lovecraft, Mittelmeerraum. Irgendwann

In der Tube, London. 1937

Westminster Bridge, London. Morgen

Highgate Cemetery, London. 1937

An Bord der Lovecraft, über dem Kanal. Irgendwann

Highgate Cemetery, London. 1937

Themseufer, London. Morgen

Themseufer, London. Irgendwann

Highgate Cemetery, London. 1937

Themseufer, London. Morgen

Themseufer, London. Morgen – Irgendwann – Morgen

Highgate Cemetery, London. 1937

Themseufer, London. Morgen

Themseufer, London. Morgen

Themseufer. London. Morgen

Chicxulub, Yucatan. 67.234.678 bc

Epilog: London, England. Jetzt

Über das Buch

John Sinclair, der berühmte Geisterjäger bei Scotland Yard, wurde von einer mysteriösen Organisation aus seiner Zeit in eine unbestimmte Zukunft geholt. In dieser Zukunft ist die Erde von außerirdischen Monstern überrannt worden. Die Menschheit hat sich in wenige Bergfestungen zurückgezogen. In solch eine wird John Sinclair gebracht, um den Menschen im fast verlorenen Krieg zu helfen. Doch bald muss er feststellen, dass die Monster einen Weg gefunden haben, ihre Tentakel auch bis in die Festung auszustrecken …

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein, am 15. August 1953 in Weimar geboren, lebt mit seiner Frau Heike und seinen sechs Kindern, umgeben von einer Schar Katzen, Hunde und anderer Haustiere, in der Nähe von Neuss. Mitte der fünfziger Jahre kam Hohlbeins Familie in den Westen und schlug ihr Domizil in Krefeld auf. In Krefeld absolvierte Wolfgang Hohlbein seine Schule und später eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Zeitweise hielt er sich durch Nebenjobs, wie etwa als Nachtwächter, über Wasser.Wolfgang Hohlbein ist ein Erzähler, es reizt ihn nicht nur die Lust am Fabulieren, sondern auch das freie Spiel mit ungewöhnlichen Ideen und fantastischen Einfällen.

Er ist ein Workaholic, der in der Zeit von Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden arbeitet. Sieben Tage in der Woche legt er selbst in seinen seltenen Urlauben kaum den Stift aus der Hand. »So ist das eben, wenn man das große Glück hat, aus seinem Hobby einen Beruf machen zu können«, bemerkt er selbst dazu.

Laut einer Aufstellung in Focus (Nr. 40, November 2006) liegt die Gesamtauflage von Wolfgang Hohlbein bei 35 Millionen Exemplaren. Er ist damit »einer der erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart«. Der Wegbereiter neuer deutscher Phantastik und Fantasy wurde bislang in 34 Sprachen übersetzt. Er hat bereits 160 Romane verfasst, den überwiegenden Teil alleine, etliche Kinder- und Jugendbücher gemeinsam mit seiner Frau Heike und einige wenige Erwachsenenromane mit Co-Autoren.

Zahlreiche Preise und Auszeichnungen hat Wolfgang Hohlbein erhalten. Vom »Preis der Leseratten« 1983 bis zum »Bester Autor National« Deutscher Phantastik-Preis 2004, dem »Sondermann-Preis« auf der Buchmesse 2005 und dem »Nyctalus« im November 2005.

Inzwischen fördert Hohlbein auf verschiedene Weise selbst Nachwuchstalente. Die Nachwuchsförderung liegt ihm besonders am Herzen. »Wer in seiner schreiberischen Karriere am Anfang steht, tut sich oft sehr schwer, einen Verlag zu finden«, weiß Hohlbein aus eigener Erfahrung.

Wolfgang Hohlbein

OCULUS

Das Ende der Zeit

Ein John Sinclair Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Jan F. Wielpütz, Bergisch GladbachSinclair-Expertise: Florian Hilleberg, GöttingenTitelillustration: © muratart/shutterstockUmschlaggestaltung: Thomas KrämerE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4940-5

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Im Inneren des K2. Irgendwann.

Das allererste Gefühl war Erstaunen, und ich wusste nicht einmal worüber. Dann begriff ich es doch, und es war gleich zweierlei: Nämlich überhaupt über irgendetwas staunen zu können, und als logische Konsequenz daraus das Erstaunen, noch am Leben zu sein. Ein ganz kleines bisschen war es wie nach meinem ersten Erwachen in dieser erschreckenden zukünftigen Welt, nur dass es diesmal lediglich wenige Augenblicke dauerte, bis meine Erinnerungen zurückkamen, und das mit solcher Wucht, dass ich wahrscheinlich das Gleichgewicht verloren hätte, hätte ich nicht ohnehin schon flach auf dem Rücken gelegen.

Ich erinnerte mich an alles. Vor allem an den Geschmack meines eigenen Blutes auf der Zunge, und eine nasse, rot besudelte Knochenspitze, die aus meiner Brust ragte.

Ich sollte nicht mehr am Leben sein – und wenn doch, dann mindestens große Schmerzen haben.

»Versuchen Sie nicht, es zu erzwingen, John«, sagte eine Stimme irgendwo über und hinter mir. »Das macht es nur schlimmer.«

Ich hatte keine Ahnung, wovon die Stimme sprach und wem sie gehörte – oder doch, aber das konnte nicht sein –, hatte aber trotzdem das Gefühl, besser auf sie zu hören. Es gelang mir nicht ganz, aber einen Großteil der Erinnerungsfetzen und Bilder und Gefühle, die hinter meiner Stirn durcheinanderwirbelten, konnte ich weit genug ausblenden, um nicht ganz wegzudriften, und nach einigen weiteren Sekunden (oder Stunden, da war ich nicht ganz sicher) wagte ich es immerhin, die Augen zu öffnen, und erlebte ausnahmsweise eine angenehme Überraschung. Wenn ich tot und in der Hölle war, dann war sie nicht besonders aufregend: Ich blickte auf eine der mir schon vertrauten Decken aus nacktem Metall, die in Wände aus ebenso langweiligem Metall übergingen. Etwas stimmte nicht, aber ich war noch nicht wach genug, um sagen zu können was.

Behutsam versuchte ich mich zu bewegen und stellte nicht nur fest, dass ich es konnte, auch der Schmerz, auf den ich instinktiv immer noch wartete, kam nicht. Vermutlich war ich bis unter die Haarspitzen mit Schmerzmitteln vollgepumpt, was mir nicht besonders gefiel, mich aber im Moment trotzdem erleichterte.

»Lassen Sie es langsam angehen, John«, sagte die Stimme noch einmal. Ich erkannte sie jetzt ganz zweifelsfrei, aber das änderte nichts daran, dass es vollkommen unmöglich war: Saron war vor meinen Augen gestorben.

Was ihn nicht daran hinderte, in diesem Moment in mein Blickfeld zu treten und mit einem Ausdruck auf mich herabzusehen, den er wahrscheinlich für ein aufmunterndes Lächeln hielt – auch wenn es eher einem schadenfrohen Grinsen glich.

»Saron?«, brachte ich mühsam heraus. Meine eigene Stimme klang fremd in meinen Ohren, und das Sprechen bereitete mir nicht nur Mühe, sondern Schmerzen. Es fühlte sich an, als wäre in meinem Inneren etwas zerbrochen, dessen Kanten nun bei jedem Atemzug aneinanderscheuerten. »Aber du bist …«

»Tot?« Saron gab sich nicht einmal Mühe, anders als amüsiert zu klingen. Er lachte, aber es wirkte nicht echt, denn er sah tatsächlich aus wie der sprichwörtliche Tod auf Latschen. Er war kreidebleich, und seine Lippen zitterten; genau wie seine Finger, die er rasch zu Fäusten ballte, als er meinen Blick bemerkte. »Nicht ganz, aber es hätte nicht viel gefehlt, das stimmt.«

Ich versuchte erst gar nicht zu verstehen, was das alles bedeutete, sondern stemmte mich mit zusammengebissenen Zähnen auf beide Ellbogen hoch und sah mit klopfendem Herzen an mir herab. Ich war nackt, was mir einigermaßen peinlich war, aber der Gedanke entglitt mir sofort wieder, als ich an meiner Brust hinabsah. Ich hätte erwartet, einen Verband zu sehen oder auch irgendeinen High-Tech-Schnickschnack, und schlimmstenfalls die schreckliche Wunde, die mich um ein Haar umgebracht hätte.

Nichts von alledem war zu sehen. Dicht unterhalb meines Herzens gewahrte ich eine dünne, halbmondförmige rote Linie, die aussah wie eine schon seit vielen Jahren verheilte Narbe.

»Eure Ärzte haben gute Arbeit geleistet.«

Saron sah mich verständnislos an, und nun musste ich wieder an mein erstes Zusammentreffen mit Admiral Baines denken, die mir einen ebenso verwirrten Blick zugeworfen hatte, als ich sie auf einen Arzt ansprach.

»Es gibt hier doch Ärzte, oder?«, fragte ich unbehaglich.

Saron deutete ein Schulterzucken an.

»So etwas gibt es bei uns nicht«, fügte eine sanfte Stimme aus dem Nichts hinzu.

»Was soll das bedeuten?«, ächzte ich.

»Wir brauchen schon lange keine Ärzte mehr, John«, antwortete Oculus. »Ihr optimierter Körper ist sehr viel robuster als alles, was zu Ihrer Zeit auch nur vorstellbar gewesen wäre. Und er verfügt über enorme Selbstheilungskräfte. Abgesehen von der totalen Vernichtung gibt es nicht viel, was nicht nach einigen Stunden oder allerhöchstens Tagen Ruhe von selbst wieder heilen würde.«

»Und wie lange … ist es her?«, fragte ich unbehaglich.

»Etwa zwölf Stunden«, antwortete Saron.

»Wir hätten Ihnen mehr Ruhe gegönnt, aber ich fürchte, uns bleibt nicht mehr sehr viel Zeit«, fügte die Computerstimme hinzu.

»Wieso?«

»Ich erkläre dir alles unterwegs«, sagte Saron. »Glaubst du, dass du gehen kannst? Ich kann dich tragen, wenn es sein muss. Ich bin stark genug.«

Das glaubte ich ihm sofort, setzte mich aber mit einem Ruck auf und schwang die Beine von der harten Pritsche, auf der ich aufgewacht war. Vielleicht ein bisschen schnell, denn mir wurde prompt ein wenig schwindelig. Ich versuchte es zu überspielen, und Saron war diskret genug so zu tun, als merke er es nicht.

Schließlich glitt ich behutsam von der Pritsche herunter und deutete an mir hinab. »Soll ich so mitkommen?«

Saron griente nur, doch gleich neben mir erhob sich eine verchromte Metallsäule aus dem Boden, auf der eine Garnitur der hier allgemein üblichen Kleider in fröhlichem Schwarz lag, zusammen mit einem Paar robuster Kampfstiefel und einem schweren Gürtel mit zahlreichen Taschen und Schlaufen – und einem großen Pistolenhalfter, aus dem ein klobiger Griff ragte. Ich legte alles bis auf den Waffengurt an und warf Saron einen fragenden Blick zu. »Eine Waffe?«

»Wir sind in Schwierigkeiten, John«, sagte Saron ernst.

»Und ich dachte, das wäre hier der Normalzustand.«

Saron blieb ernst, und ich legte den Gürtel an. Er wartete, bis ich ihn geschlossen hatte, dann trat er neben mich und zog die Waffe aus dem Halfter. »Es ist ganz simpel«, sagte er. »Sie funktioniert wie eine ganz normale Pistole, wie Sie sie vermutlich kennen. Entsichern. Zielen. Abdrücken.«

Er demonstrierte die Schritte auch gleich routiniert, wobei er das Abdrücken zu meiner Erleichterung nur andeutete.

»Wieso sieht sie so seltsam aus?«, fragte ich mit einer Geste auf den eher an einen Föhn oder einen Entenschnabel erinnernden Lauf, der ein bisschen aussah wie ein normaler Pistolenlauf, der unter eine Hochdruckpresse geraten war.

»Sie verschießt keine Patronen, wie Sie sie kennen, John, sondern Flechettes«, erklärte Saron.

»Ach so«, sagte ich, schwieg eine Sekunde und fragte dann: »Und was ist das?«

Saron lächelte zwar flüchtig, ließ aber auch zugleich das Magazin aus dem Griff schnappen und drehte es so, dass ich seinen Inhalt sehen konnte, der tatsächlich nicht aus Patronen oder irgendwelchen anderen Geschossen bestand, sondern etwas, das man gut für übereinandergestapelte Münzen hätte halten können. Ich legte demonstrativ die Stirn in Falten, und Saron zog – sehr behutsam und mit spitzen Fingern – eines der bizarren Geschosse heraus; eine vielleicht anderthalb Zoll messende Scheibe aus Aluminium oder einem ähnlichen Metall, die kaum so dick sein konnte wie ein Haar. Das Magazin musste Hunderte davon enthalten.

»Sie müssen sehr vorsichtig sein, wenn Sie nachladen«, sagte er. »Sie wären nicht der Erste, der einen Finger verliert. Er wächst zwar nach, aber es tut verdammt weh.«

Wie kam er auf die Idee, dass ich dieses Teufelsding nachladen würde, geschweige denn benutzen?

»Der Rand ist nur unwesentlich dicker als ein Molekül«, fuhr Saron mit einem Unterton von Begeisterung in der Stimme fort, und während er das Magazin wieder einsetzte und mir die Waffe auch gleich ins Halfter schob. Wo sie auch bleiben würde, wenn es nach mir ging. »Sie arbeitet nicht mit Explosivgeschossen, wie die Schusswaffen, die Sie vielleicht aus Ihrer Zeit kennen, sondern mit sehr schnell wechselnden Magnetfeldern.«

»Eine Railgun.«

Saron wirkte zuerst überrascht, dann beinahe beeindruckt. Er nickte. »Ja, ich habe gehört, dass das Prinzip schon zu Ihrer Zeit bekannt war. Zumindest theoretisch. Die Flechettes erreichen gute zehnfache Schallgeschwindigkeit. Die Reichweite ist nicht besonders groß, aber sie sind auch das Einzige, das wirklich effektiv gegen die Shoggoten wirkt.«

»Ideal, um Tentakel abzuschneiden oder andere Körperteile«, bestätigte ich, konnte mich aber eines eisigen Fröstelns auch nicht erwehren. Die Waffe mochte ja effektiv sein, aber ich hatte gesehen, was sie anrichtete, und war nicht sicher, ob ich ein derart brutales Zerstörungsinstrument wirklich benutzen wollte. Nicht einmal gegen einen Shoggoten. Ich wollte eine entsprechende Bemerkung machen, dann besann ich mich eines Besseren und sah ihn ernst an. »Was ist passiert?«

»Wir müssen weg«, antwortete er. »Ich erkläre dir alles auf dem Weg nach oben. Du bist sicher, dass du gehen kannst?«

Das war ich ganz und gar nicht, also trat ich nur forsch an ihm vorbei und nahm das Risiko in Kauf, mir an der Wand die Nase einzurennen, falls sich die unsichtbare Tür nicht an der Stelle befand, an der ich sie vermutete. Aber sie war es – vielleicht öffneten und schlossen sich die Wände hier auch nach Belieben, auch das hätte mich nicht mehr wirklich überrascht –, und dicht vor mir teilte sich die Metallwand entlang einer haarfeinen senkrechten Linie.

Dahinter flackerte rotes Licht. Eine Alarmsirene heulte, nicht besonders laut, aber mit einer schon fast schmerzhaften Frequenz, und die Luft roch nach schmelzendem Kunststoff, heißem Metall und verbranntem Fleisch. Ich meinte, das Prasseln von Flammen zu hören, aber auch entfernte Schreie, durcheinanderhastende Schritte und vielleicht auch Schüsse, und darunter, noch weit entfernt, aber unverkennbar, ein schrilles Pfeifen und Trällern, das mir auf fürchterliche Weise bekannt vorkam. Ich blieb wie angewurzelt stehen.

»Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte Saron.

»Wofür?«

»Wir evakuieren die Festung«, antwortete Oculus. »Sie sollten sich beeilen, John. Die Lovecraft startet in Kürze, und sie kann nicht warten. Nicht einmal auf Sie.«

Ich setzte mich zwar gehorsam in Bewegung, fragte aber trotzdem: »Aber was ist denn passiert? Ich dachte, ihr hättet sie zurückgeschlagen?«

Ein heftiges Zittern lief durch den Boden und die hinter mattem Metall verborgenen Felswände; ein Gefühl, als erzittere der zweitgrößte Berg der Welt bis in seine Grundfesten. Was natürlich vollkommen unmöglich war.

Aber warum erschreckte mich der Gedanke dann so sehr?

Das Licht flackerte. Saron beschleunigte seine Schritte, und ich musste mich sputen, um mit ihm mitzuhalten. Als wir das Ende des Ganges erreichten, betraten wir eine weitere jener winzigen Liftkabinen, die ich schon kannte und die mir nach wie vor suspekt waren.

Die Tür glitt gehorsam hinter uns zu, aber es dauerte eine quälend lange Sekunde, bis die virtuelle Tastatur auf der Wand daneben erschien, und sie flackerte und fluktuierte auf beunruhigende Weise. Eine gute alte Schalttafel mit Knöpfen, die man drücken konnte, hatte doch ihre Vorteile.

Saron brauchte drei Versuche, um die Tasten in dem Moment zu erwischen, in dem sie aufleuchteten, und der Lift setzte sich in Bewegung, zwar so lautlos, wie ich es gewohnt war, aber spürbar zitternd und ruckelnd, und nicht einmal annähernd so schnell wie bisher.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich.

»Ja«, antwortete Saron. Er war ein erbärmlicher Lügner.

»Also, was ist passiert?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, behauptete Saron. »Ich bin erst kurz vor dir aufgewacht. Admiral Baines hat mich geschickt, um dich zu holen.«

»Ja, sicher«, seufzte ich, gab ihm noch ein paar Sekunden, um sich eines Besseren zu besinnen, und sagte dann: »Oculus?«

Ich bekam keine Antwort, abgesehen davon vielleicht, dass sich zum Ruckeln des Aufzuges jetzt auch noch ein erbärmliches Kreischen gesellte.

»Oculus?«, fragte ich noch einmal.

»Die Kommunikation ist beeinträchtigt«, sagte Saron. Diesmal log er vermutlich nicht, aber ich spürte trotzdem, dass es nicht die Wahrheit war.

»Und was heißt überhaupt, ihr evakuiert?«, fuhr ich fort. »Ich dachte, diese Festung ist uneinnehmbar.«

»Ja, das dachten wir bisher auch«, antwortete Saron, »aber wie es aussieht …«

Aus dem Quietschen wurde ein in den Zähnen schmerzendes Kreischen, und der Lift kam mit einem Ruck zum Halten, der uns beide gegen die Wand torkeln ließ. Das Licht flackerte und war jetzt nur noch ein matter Glanz, in dem ich selbst Sarons Gesicht kaum noch erkennen konnte, und plötzlich roch es durchdringend nach verbranntem Öl.

Saron begann lautstark zu fluchen, boxte zwei- oder dreimal dort gegen die Wand, wo jetzt eigentlich die Schalttafel erscheinen sollte, und zog dann seine Waffe. Noch bevor ich auch nur begriff, was er vorhatte, jagte er einen Strom silberner Flechettes in die Wand, und die Geschosse zerfetzten die Tür so mühelos, als bestünde sie aus Papier.

Dahinter kamen grauer Beton und schwarzer Granit zum Vorschein – und ein doppelt handbreiter Streifen aus flackerndem rotem Licht. Die Kabine war zwar zwischen zwei Stockwerken zum Halten gekommen, aber mit ein wenig Glück reichte der Spalt, um sich hindurchzuquetschen. Saron steckte seine Waffe ein, riss die verbogenen Reste der Tür mit bloßen Händen auseinander und zog sich mit einer kraftvollen Bewegung nach oben. Kaum dort angekommen, drehte er sich auf dem Bauch herum und streckte die Hände aus, um mir zu helfen. Ebenso mühelos, wie er gerade das Metall der Tür zerrissen hatte, zog mich Saron durch den Spalt nach oben.

Er hatte es noch nicht ganz getan, da erscholl hinter mir ein Laut, den meine überstrapazierten Nerven zum Anlass nahmen, um mich noch ein bisschen zu quälen, indem sie mir weiszumachen versuchten, es wäre der peitschende Knall eines zerreißenden Drahtseils. Allmählich fragte ich mich, was ich meinem eigenen Unterbewusstsein eigentlich getan hatte, dass es mich ständig auf diese Weise attackierte.

Möglicherweise nichts, denn als ich mich herumdrehte und aufrichtete, war die Liftkabine verschwunden, und hinter der aufgebrochenen Tür gähnte nur die Dunkelheit eines bodenlosen Schachtes.

Ich drehte mich wieder zu Saron herum und schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Das war knapp«, sagte ich. »Ich schulde dir was.«

Saron winkte großmütig ab und zog dann blitzartig seine Waffe und feuerte.

Ein halbes Dutzend silberner Blitze jagte auf mich zu und um Haaresbreite an mir vorbei, um mit einem nassen Klatschen in etwas hinter mir zu stanzen.

Entsetzt fuhr ich herum und sah gerade noch etwas Schwarzes, das keine fünf Meter hinter mir zu einer blubbernden Pfütze zerlief. Ein abgetrennter Tentakel wand sich wie ein getretener Wurm auf dem Boden, und mir rann ein eisiger Schauer über über den Rücken.

»Danke«, sagte ich knapp.

»Wir müssen weiter«, sagte er. »Die Lovecraft wartet nicht, und wir haben noch ein gutes Stück vor uns.«

Ich setzte mich gehorsam in Bewegung.

Eine ganze Weile kamen wir gut voran, ohne auf weitere Hindernisse oder gar Shoggoten zu stoßen, und schließlich erreichten wir einen steilen Aufstieg, dessen Konstrukteure sich anscheinend nicht hatten entscheiden können, ob sie eine Leiter oder eine Treppe bauen sollten. Er führte weit genug nach oben, um mich gehörig außer Atem zu bringen, und mündete in einer runden Kammer mit einer Tür, die jedem begehbaren Safe aus meiner Zeit zur Ehre gereicht hätte. Saron öffnete sie mit einer geschickten Bewegung.

Und auf der anderen Seite wurde alles anders.

Das Licht flackerte, aber es war nicht nur das Blitzen des Alarms, sondern der hektische Schattentanz von Flammen, die an zahlreichen Stellen in der großen Halle tobten, in die wir hineintraten. Auch hier heulte eine Sirene, doch das Geräusch ging beinahe in dem allgemeinen Lärm unter, der wie eine Flutwelle über uns hereinbrach: Schreie, Schüsse und das Krachen von Explosionen und ein machtvolles Tosen und Rauschen, wie das Geräusch einer weit entfernten Feuersbrunst, die sich anschickte, die ganze Welt zu verzehren. Die Luft war so schwer von Hitze und Brandgeruch und dem Gestank von brennendem Plastik, dass sie bei jedem Atemzug wie mit dünnen Messerklingen in die Kehle schnitt und mir die Tränen in die Augen trieb. Überall loderten Feuer, und die Metallverkleidung der Wände war brandgeschwärzt und an zahlreichen Stellen geborsten, sodass der nackte Fels dahinter zum Vorschein kam oder auch zerstörte Apparaturen und zerrissene Kabel aus denen Funken sprühten und brennende Flüssigkeiten tropften. Zahlreiche reglose Körper lagen auf dem Boden, manchmal beinahe friedlich, als hätten sie sich nur zu einem kleinen Schläfchen ausgestreckt, andere so schrecklich zugerichtet, dass mein Blick davor zurückschreckte wie eine Hand vor glühendem Eisen.

»Da lang!« Saron deutete nach links, wo eine womöglich noch steilere Treppe (ohne Geländer) an der Wand in die Höhe führte. Der Anblick weckte unangenehme Erinnerungen in mir, aber immerhin brannte es dort oben nicht; oder wenigstens nicht an allzu vielen Stellen. Und es wurde nicht gekämpft.

Ganz anders als vor uns. In all dem Qualm und zuckenden Feuerschein war es unmöglich, Einzelheiten zu erkennen, aber die Schreie und Schüsse sprachen eine eindeutige Sprache, und dazwischen war auch immer wieder das unheimliche Trällern und Pfeifen der Protowesen zu hören. Und da war noch etwas: Auch wenn ich absolut nichts außer einem allgemeinen brodelnden Chaos erkennen konnte, war mir doch vollkommen klar, dass die Verteidiger verloren. Kaltes Entsetzen griff nach meinem Herzen und lähmte meine Gedanken.

Hintereinander polterten wir die hallende Metalltreppe hinauf, und als hätte es das Schicksal auf eine getreuliche Wiederholung angelegt, tauchte etwas Schwarzes und Peitschendes auf, das mit schnappenden Mäulern und tödlichen Knochenklingen auf uns losstürmte.

Saron schoss es in Stücke, ohne auch nur langsamer zu werden, und stürmte auf eine schmale Galerie hinaus. Zur Rechten war nichts; auf der anderen Seite zweigten in regelmäßigen Abständen große, türähnliche Öffnungen ab. Hinter den meisten herrschte nur lastende Dunkelheit, einige wenige waren aber auch beleuchtet und gewährten mir einen Blick in die dahinterliegenden Räume; winzige kahle Kammern, deren Wände zum Großteil nicht mit Metall verkleidet waren wie hier sonst allgemein üblich, sondern aus dem nackten Fels herausgeschnitten. Sie waren einfach, fast schon primitiv eingerichtet und so winzig, dass man mit ausgestreckten Armen beide Wände hätte erreichen können, wenn man in der Mitte stand, und ein großgewachsener Mann wie Saron konnte sich wahrscheinlich so gerade eben darin aufrichten, ohne gegen die Decke zu stoßen. Hätte es Gitter vor den Ausgängen gegeben, wäre ich sicher gewesen, es mit der zukünftigen Version eines unterirdischen Alcatraz zu tun zu haben. Ich stellte auch eine entsprechende Frage, während ich hinter Saron herhastete, bekam aber nur ein knappes Kopfschütteln zur Antwort, und einen sonderbaren Schulterblick, den ich im ersten Moment nicht richtig deuten konnte.

»Unsere Quartiere«, antwortete er nach einem knappen Dutzend weiterer Schritte dann doch.

»Und wer ist uns?«, wollte ich fragen, sprach das letzte Wort aber nicht einmal mehr aus, weil mir die Erkenntnis gar zu schockierend schien. Dass nicht alle Bewohner dieser gigantischen Bergfestung in einer Science-Fiction-Wunderkiste lebten, in der das Mobiliar aus dem Nichts erschien und unsichtbare Kobolde ihnen jeden Wunsch von den Augen ablasen, war mir natürlich klar gewesen, aber dieser Unterschied war… brutal. Es gab wohl doch noch eine Menge über diese Welt, was ich nicht wusste. Und wahrscheinlich auch gar nicht wissen sollte.

Was wir zu meiner Erleichterung nicht fanden, waren Tote. Hier und da waren die Spuren noch nicht lange zurückliegender Kämpfe unübersehbar, aber es gab keine Verletzten oder gar Leichen: Dafür tobte der Kampf unter uns mit umso größerer Verbissenheit, und ich hatte auch nicht vergessen, was uns hier oben erwartet hatte.

Saron eilte weiter so schnell und zielstrebig voraus, dass ich all meinen Atem brauchte, um mit ihm Schritt zu halten, und keine Gelegenheit bekam, eine weitere Frage zu stellen – wie zum Beispiel die, was wir eigentlich hier oben taten, statt den armen Teufeln dort unten zu helfen. Ganz unbeschadet von allem, was ich gerade selbst gedacht hatte, hatte ich längst meine Waffe gezogen und richtete sie mit klopfendem Herzen auf jeden dunklen Durchgang, an dem wir vorbeikamen; ohne es auch nur selbst zu merken.

Am Ende der Galerie angekommen, erwartete uns die nächste steile Metalltreppe, die zu einer weiteren Galerie hinaufführte, über der sich sogar noch eine dritte befand, und darüber eine weitere und vielleicht sogar noch mehr, weil sich mein Blick irgendwo in der Höhe verlor. Über uns mussten sich Hunderte dieser zellenähnlichen Kammern befinden, wenn nicht Tausende. Die Erkenntnis wollte mir etwas sagen, aber alles ging zu schnell, und ich war viel zu aufgeregt, um dem Gedanken bis zu seinem Ende zu folgen.

Statt die nächste Treppe hinaufzueilen, verschwand Saron hinter einer der dunklen Öffnungen kurz davor. Ich hörte ihn einen Augenblick rumoren, dann glomm ein mattes düsterrotes Licht auf, in dem ich Saron auf den Knien im Hintergrund der winzigen Zelle sah. Voller Unbehagen folgte ich ihm; nicht weil ich eine Gefahr befürchtete, sondern weil mir allein die Enge und Ärmlichkeit dieses Lochs in der Felswand den Atem abschnürte. Der Gedanke, dass an einem solchen Ort Menschen leben sollten, war erschreckend. Ich hätte nicht einmal einen Hund hier eingesperrt.

Etwas knirschte, und Saron löste einen Teil der Wandverkleidung und ließ ihn achtlos fallen. Dahinter kam ein rechteckiger Schacht zum Vorschein, in dem die Sparversion des High-Tech-Liftes in die Höhe führte, wie ich sie hier kennengelernt hatte: rostige Leitersprossen, die eher schlampig in den nackten Fels getrieben worden waren.

»Schnell jetzt!« Saron scheuchte mich mit so herrischen Gesten durch die Öffnung, dass ich umgehend gehorchte, folgte mir ebenso rasch und befestigte die Klappe wieder an ihrem Platz, bevor er mich beinahe noch ungeduldiger die wenig Vertrauen erweckenden Leitersprossen hochjagte.

Die Luft war hier drinnen so trocken und verbraucht, dass sie in der Kehle brannte, und meine Fantasie wurde nicht müde, die Dunkelheit über uns mit den ausgesuchtesten Schreckensvisionen zu bevölkern. Wenn uns auch nur eines der Protomonster hier herein folgte, dann waren wir erledigt.

»Die dritte Klappe«, rief Saron von unten. »Sie müssen sie einfach nur aufstoßen!«

Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, kletterte aber verbissen weiter und erblickte nach einem Dutzend Sprossen tatsächlich ein rostiges Gitter, das kaum groß genug erschien, um mich hindurchzuquetschen. Außerdem gefiel mir die Dunkelheit dahinter nicht.

Tapfer kletterte ich weiter, passierte das zweite Gitter und sprengte das dritte mit zwei, drei entschlossenen Stößen mit dem Handballen heraus. Dahinter wartete ein klaustrophobisch enger pechschwarzer Gang, der sich scheinbar endlos dahinzog. Aber an seinem Ende lockte ein blasses Licht, und das allein reichte, um mich noch einmal mit neuer Kraft zu erfüllen. Irgendwie schaffte ich es nicht nur, nicht stecken zu bleiben, sondern auch das Gitter an seinem Ende aufzustoßen und mich aufzurichten.

Ich fand mich in einer winzigen, hoffnungslos vollgestopften Kammer wieder, die wohl als Vorrats- oder Abstellraum diente, aber auch einen verwüsteten Eindruck machte. Das Licht flackerte, und Brandgeruch lag in der Luft. Ganz schwach drangen Geräusche durch die Wände, nicht genau zu identifizieren, aber beunruhigend.

Saron kroch hinter mir aus dem Lüftungsschacht, richtete sich auf und zog in derselben Bewegung die Waffe. Rasch huschte er an mir vorbei, streckte die Hand nach der (ganz normalen) Tür aus und öffnete sie einen schmalen Spalt.

Er atmete erleichtert auf. »Alles in Ordnung. Sie sind noch nicht hier.«

Mit einem Ruck zog er die Tür ganz auf und schlüpfte hindurch, während er zugleich die Waffe einsteckte. Ich folgte ihm in den dahinter liegenden Gang und durch eine weitere, äußerst massive Tür.

Wir befanden uns wieder in dem gewaltigen Hangar, in dem ich die Lovecraft verlassen hatte. Das riesige Luftschiff hatte sich bereits in die Höhe erhoben, und gerade in diesem Moment glitten die gewaltigen Panzertore auf, und helles Sonnenlicht und dünne, eiskalte Luft strömten herein.

Die Halle wimmelte nur so von Menschen. Hunderte, wenn nicht Tausende, die über Rampen und Leitern an Bord des schwebenden Giganten eilten und auch jetzt wieder einen nicht endenden Strom von Vorräten und Nachschubgütern aller Art verluden. An einer Stelle, nicht einmal sehr weit entfernt, war eine breite Rampe herabgelassen worden, über die eine Art Schlitten nach oben gezogen wurde, auf dem ein gewaltiger schwarzer Quader lag. Der Anzahl der Männer nach zu schließen, die sich mit Stahlseilen und Ketten damit abmühten, musste er eine Tonnen wiegen. Der Anblick erinnerte mich an alte Abbildungen ägyptischer Sklaven, die die gewaltigen Steinquader zum Bau der Pyramiden transportierten, und er hinterließ ein sehr ungutes Gefühl in mir. Ich fragte mich erneut, warum man keine Maschinen für derart schwere Arbeiten einsetzte, kam auch jetzt zu keiner überzeugenden Antwort, jedenfalls keiner, die mir gefallen hätte.

Saron legte mir die Hand auf die Schulter und schob mich mit mehr oder weniger sanfter Gewalt weiter – weniger, je näher wir dem Luftschiff kamen, denn trotz ihrer schon fast absurden Größe war die Halle hoffnungslos überfüllt. Es mussten Tausende sein, zum Großteil Männer in den schwarzen Uniformen, wie ich sie mittlerweile ebenfalls trug, aber auch einige wenige Frauen, und erstaunlicherweise kein einziges Kind oder auch nur ein Halbwüchsiger. Konnte es sein, dachte ich schaudernd, dass der allergrößte Teil der verbliebenen Menschheit aus Klonen bestand?

Je näher wir der Lovecraft kamen, desto schwieriger wurde es, überhaupt noch vorwärtszukommen, und gerade, als ich endgültig stecken blieb, wurde die Menge vor uns rüde auseinandergesprengt, und ein ganzer Trupp schwer bewaffneter Soldaten nahm rings um uns Aufstellung. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen, denn sie trugen klobige Helme mit verspiegelten, insektenhaften Visieren, die ihnen etwas Bedrohliches verliehen; aber ich spürte trotzdem, dass sie meinetwegen gekommen waren, schon bevor sich ihr Anführer an mich wandte.

»Mister Sinclair? Bitte kommen Sie mit uns.«

Sein rüder Ton strafte die Wahl seiner freundlichen Worte Lügen, und dass der Lauf seines Gewehres rein zufällig in meine Richtung wies, trug auch nicht gerade dazu bei, dass ich ihn in mein Herz schloss. Ich machte einen Schritt, blieb wieder stehen und drehte mich um und sah genau das, was ich befürchtet hatte: Saron wollte sich mir anschließen, wurde aber von gleich zwei Soldaten daran gehindert. Er sah sehr wütend aus.

»Was ist mit ihm?«, fragte ich.

Der Mann vor mir schüttelte den Kopf. »Wir haben nur Befehl, Sie zu suchen, Sir.«

Sir klang gut, fand ich. Und schließlich hatte es schon einmal funktioniert.

»Dann befehle ich Ihnen jetzt, ihn ebenfalls mitzunehmen«, sagte ich in genau bemessenem, ganz sacht überheblichem Ton. Mein Gegenüber zögerte, sodass ich noch hinzufügte: »Worauf warten wir?«

Ich konnte spüren, wie es hinter dem verspiegelten Visier arbeitete, doch schließlich fuhr der Mann auf dem Absatz herum und stürmte los. Wir durchquerten die Halle und liefen die Rampe hinauf. Sie führte in einen gewaltigen Laderaum, der aber zugleich auch winzig wirkte, denn er war bis auf den letzten Quadratzentimeter mit Menschen und Material vollgestopft. Wir waren noch nicht ganz oben angekommen, da begann sich die Rampe hinter uns zu schließen, und das Motorengeräusch wurde lauter. Ich meinte auch noch andere beunruhigende Laute zu hören, unwillige Rufe und Schreie, aber wir wurden zu schnell weiter und in einen Aufzug bugsiert.

»Wohin bringen Sie uns?«, fragte ich.

»Admiral Baines und Ratsherr Jarvin möchten mit Ihnen sprechen, John«, antwortete eine wohlklingende Stimme aus dem Nichts. »Sie waren schon in Sorge, dass Sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen.«

»Hallo Howard«, sagte ich. »Verrätst du mir, was überhaupt los ist? Wohin fliegen wir? Und was wollen sie von mir?«

»Ich glaube, das möchten Ihnen die Admirale lieber selbst erklären«, erwiderte die Stimme der Lovecraft. »Aber wir sind auch schon da.«

Die Aufzugtüren glitten auf, und Saron und ich traten auf die Brücke der Lovecraft hinaus. Während unsere Bewacher – ich vermute, Jarvin hätte das Wort Eskorte bevorzugt, aber ich fand Bewacher passender – zurückblieben.

Der große Raum summte nur so vor Aktivität. Jedes einzelne Pult war besetzt, überall blinkten Lichter, summte und flackerte und piepste es, und ich blickte in so manches Gesicht, das starr vor Anstrengung und Konzentration war. In dem einen oder anderen Augenpaar meinte ich auch ein ängstliches Funkeln zu erkennen, aber ich zügelte meine Neugier; wenn auch nur mit Mühe. Marisa und Jarvin standen vor der großen Panoramascheibe und schienen uns schon zu erwarten.

Während wir den großen Raum durchquerten, begann sich das Bild hinter der Scheibe zu verändern. Die Hallenwände schienen in die Tiefe zu sinken.

»Wir starten?«, fragte ich überrascht. »Da unten müssen noch Tausende darauf warten, an Bord zu gehen.«

»Ja, und ich hoffe, wir schaffen es noch rechtzeitig«, sagte Jarvin. Seine Meine verfinsterte sich, als er Saron neben mir gewahrte, aber er verbiss sich jeden Kommentar. »Wo zum Teufel waren Sie so lange?«

»Wir mussten durch die Lüftungsschächte nach oben klettern«, antwortete Saron, ehe ich es tun konnte. »Die unteren Ebenen sind überrannt worden.«

»Und Sie haben ihn sicher heraufgebracht.« Baines machte ein anerkennendes Gesicht. »Das haben Sie gut gemacht. Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, Saron.«

»Ja, das sind wir«, bestätigte Jarvin, unterließ es aber auch nicht, verächtlich die Lippen zu verziehen. »Aber jetzt melden Sie sich bei Ihrer Einheit. Ich bin sicher, es gibt dort irgendeine nützliche Aufgabe für Sie.«

»Es wäre mir lieber, wenn er bleibt«, sagte ich rasch. »Wenigstens bis ich weiß, was hier los ist.«

»Sie scheinen ja einen regelrechten Narren an diesem Zombie gefressen zu haben«, sagte Jarvin verächtlich. »Aber meinetwegen. Wir klären das, sobald wir hier heraus sind. Falls wir es noch schaffen.«

»Sie wollen einfach verschwinden?«, fragte ich fassungslos.

»Wir haben jetzt schon mehr Passagiere an Bord, als eigentlich zu verantworten ist«, mischte sich Marisa ein. »Und ich fürchte, Jarvin hat Recht. Es wird knapp.«

Das gewaltige Luftschiff glitt nun quälend langsam aus dem Berg heraus. Die Panoramascheibe verdunkelte sich automatisch, um uns vor dem grellen Sonnenlicht über den Gipfeln des Himalaja zu schützen, aber ich sah trotzdem die gewaltige Menschenmenge, die sich unter dem startenden Luftschiff versammelt hatte. Natürlich wusste ich, dass es unmöglich war und wir viel zu weit entfernt waren, aber ich bildete mir trotzdem ein, ihre verzweifelten Schreie zu hören und das Entsetzen in ihren Augen zu erkennen, als sie begreifen mussten, dass sie zurück und dem sicheren Tod überlassen wurden.

»Aber das … können Sie doch nicht tun!«, keuchte ich. »Sie können all diese Leute doch nicht einfach im Stich lassen!«

Marisa sah mich nur traurig an und hob gleichzeitig die Hand, um jemandem hinter mir ein Zeichen zu geben. Das Motorengeräusch wurde schlagartig lauter, und der Boden begann heftig zu zittern, während die Lovecraft einen regelrechten Satz nach hinten machte und aus dem Berg hinaussprang. Mit einer Schnelligkeit, die bei einem Gefährt dieser Größe schier unmöglich schien, raste die Lovecraft von der Flanke des K2 weg, bis selbst die gewaltige Hangaröffnung zur Größe einer Münze zusammengeschrumpft war. Und wir wurden immer noch schneller.

»All diese Menschen …«, murmelte ich noch einmal, und Marisa führte den Satz mit brechender Stimme zu Ende:

»… sind bereits tot, John, und wir vielleicht auch, wenn wir Pech haben.« Sie hob die Stimme. »Wie lange noch, Howard?

»Eine Minute«, antwortete die körperlose Stimme des Schiffes. »Allerhöchstens.«

»Eine Minute bis wann?«, fragte ich.

Ich bekam keine Antwort, aber in der oberen rechten Ecke der Scheibe erschien eine mattgrüne Anzeige, die einen Countdown ab sechzig begann. Der gigantische Umriss des K2 schrumpfte immer noch weiter zusammen, und als er die dreißig erreichte, begann die Lovecraft zu wenden, sodass der titanische Berg langsam nach links auszuwandern begann und dann scheinbar zurücksprang, denn offensichtlich war auch dieses Fenster kein Fenster, sondern ein riesiger dreidimensionaler Bildschirm.

Bei zwanzig Sekunden meinte ich einen winzigen, unerträglich hell gleißenden Punkt am Himmel zu erkennen, der rasend schnell zu einer zweiten Sonne heranwuchs und immer noch größer und greller wurde. Als der Countdown die zehn unterschritt, verdunkelt sich das Fenster, sodass die Gipfellandschaft des Himalaja zu einem bloßen Schattenriss aus Schwarz vor noch tieferem Schwarz wurde, wie ein Blick in eine mond- und sternenlosen Nacht.

»Achtung, Einschlag«, sagte Howard.

Das Fenster wurde noch einmal dunkler, und im allerletzten Moment schloss ich sogar die Augen.

Aber ich sah trotzdem, wie etwas Weißglühendes von der Größe einer kleinen Stadt mit unvorstellbarer Geschwindigkeit vom Himmel fiel, gegen die Flanke des K2 prallte und den gesamten Berg in einer Explosion aus verzehrendem weißem Feuer auseinandersprengte.

Whitechapel, London. 1937

»Wo hast du eigentlich gelernt, ein Automobil zu fahren?«, fragte Robert.

Rowlf bedachte ihn mit einem stirnrunzelnden Blick, ohne dass sich sein Griff um das Lenkrad auch nur um eine Winzigkeit lockerte. Seine Knöchel stachen wie runde weiße Narben durch die Haut.

»Hab ich auch nicht«, sagte Rowlf. Er hockte mit halb angezogenen Knien und den Kopf so weit gesenkt, dass sein Kinn fast auf dem Steuer lag, auf dem Fahrersitz. »Aber so schwer kann’s nicht sein. Ist auch nur ’ne bessere Droschke, nur ohne Pferde und Peitsche.«

Robert behielt wohlweislich alles für sich, was ihm dazu auf der Zunge lag. Rowlfs Fahrkünsten waren bisher beide Kotflügel des Wagens zum Opfer gefallen, der linke Scheinwerfer sowie zwei Straßenschilder und mindestens eine Katze; von den zahlreichen Passanten, die sich mit mehr oder weniger verzweifelten Sprüngen auf das Trottoir gerettet hatten, ganz zu schweigen. Aber sie lebten, und das Automobil fuhr noch, und das war immerhin schon etwas.

»Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte Robert.

Bentley – oder was immer er jetzt auch war – war das letzte Mal vor einer Viertelstunde nur ein kleines Stück vor ihnen aufgetaucht, und man hätte meinen sollen, ihn mit dem schnellen Automobil ganz ohne Mühe einholen zu können, und das wäre wohl auch der Fall gewesen – hätte es nicht den Verkehr gegeben, für den das Wort Katastrophe eindeutig nicht mehr ausreichte. Robert hatte geglaubt, in New York den schlimmsten vorstellbaren Verkehr erlebt zu haben, aber das stimmte nur insofern, dass er sich das, was sie in der Themsemetropole vorgefunden hatten, beim besten Willen nicht hätte vorstellen können. Oft genug kamen sie kaum noch im Schritttempo vorwärts, und ein- oder zweimal war der Fahrzeugstrom sogar ganz zum Erliegen gekommen. Robert fragte sich, wohin das noch führen sollte. Was nutzte es, wenn irgendwann vielleicht jedermann ein solches Automobil besaß, aber es dann eben so viele waren, dass der Platz auf den Straßen einfach nicht mehr ausreichte?

Rowlf schien von solcherlei Überlegungen gänzlich unbeeindruckt zu sein und begeisterte sich sichtlich immer mehr für die für ihn neue Erfahrung des Autofahrens, und er gab sich auch weiter zuversichtlich, Bentleys Spur nicht zu verlieren. Was Roberts Meinung nach schon längst geschehen war.

Jetzt, da sie sich mehr und mehr vom Stadtzentrum und den besseren Wohngegenden entfernten, nahm der Verkehr zwar wieder ab, doch seit sie Whitechapel erreicht hatten, wurden die Straßen auch schmaler und unübersichtlicher, und der Moment war abzusehen, an dem sie mit dem Automobil gar nicht mehr weiterkamen.

»Und du bist sicher, dass er hier entlanggelaufen ist?«, fragte er schließlich, und eigentlich nur, um das Thema zu wechseln; und damit Rowlf nicht etwa noch auf die Idee kam, ihm zu demonstrieren, wie wenig er das tonnenschwere Gefährt wirklich beherrschte.

»Nein«, antwortete er auch prompt. »Tut aber nichts machen. Ich weiß, wo er hinwill.«

»Und wohin will er?«, seufzte Robert.

»Dahin wo wir auch hinwollen«, antwortete Rowlf.

Robert schluckte die Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag. »Und wohin wollen wir? Ich weiß. Zu meinem Grab.«

Er hob rasch die Hand und stützte sich dann um so hastiger am Armaturenbrett ab, als Rowlf am Lenkrad kurbelte und zugleich hart auf eines der zahlreichen Pedale vor sich trat, um einem Velofahrer auszuweichen, der von links die Fahrbahn kreuzte. Soweit sich Robert mit den britischen Verkehrsregeln auskannte, war das sein gutes Recht, aber das hielt Rowlf nicht davon ab, ihn mit einer regelrechten Schimpfkanonade einzudecken. Das Fahrrad entging der breiten Stoßstange des Wagens, aber der Fahrer verriss den Lenker, prallte mit dem Vorderrad gegen den Bordstein und schlug einen uneleganten halben Salto, an dessen Ende er so wuchtig auf dem Rücken landete, dass Robert es selbst im Wageninneren noch zu hören meinte.

»Trottel«, schimpfte Rowlf.

Robert drehte sich hastig auf seinem Sitz herum und verrenkte sich halb den Hals, um nach dem Radfahrer Ausschau zu halten. Zu seiner Erleichterung richtete sich der Mann aber auch schon wieder auf, ein wenig derangiert, aber immerhin noch fähig, wütend eine Faust in ihre Richtung zu schütteln.

»Findest du nicht, dass es an der Zeit wäre, mit dem Unsinn aufzuhören und mir zu verraten, was hier eigentlich vorgeht?«, fragte er.

»Ich hab dir alles gesagt, was ich wissen tu«, behauptete Rowlf wenig überzeugend. »Howard hat mir gesagt, wo wir das Buch finden tun und deinen Stockdegen, und auch wo wir hingehen sollen und wann – und das ist alles.«

»Und die Sinclairs?«, erinnerte Robert.

»Und die Sinclairs«, gestand Rowlf.

»Und Bottwood.«

»Und Bottwood«, räumte Rowlf ein.

»Und?«

»Und nichts«, behauptete Rowlf. Robert wusste, dass er log. Er seufzte sehr tief.

»Es ist gut möglich, dass wir das hier nicht überleben«, sagte er. »Ist dir das klar?«

»Ich wär überrascht, wenn wir’s überleben tun«, sagte Rowlf.

»Wenn du das wirklich glaubst«, sagte er ernst, »meinst du nicht, es mir schuldig zu sein, mir die Wahrheit zu sagen?«

»Aber das tue ich«, behauptete Rowlf und ließ den Wagen mit quietschenden Reifen herum und in eine Gasse schleudern, die so schmal war, dass Funken aus den Kotflügeln stoben und beide Spiegel abgerissen wurden. »Ich weiß nur, dass was Schlimmes passieren wird, wenn wir’s nicht aufhalten tun.«

Robert gab auf. Rowlf redete oft genug in Rätseln, ohne es zu wollen. Wenn er es noch dazu absichtlich tat, hatte es wenig Zweck, etwas verstehen zu wollen.

Ganz davon abgesehen, dass er das unbehagliche Gefühl hatte, es gar nicht so genau wissen zu wollen.

»Da ist er«, sagte Rowlf. Er gab nicht nur noch mehr Gas, sondern machte auch eine Kopfbewegung nach vorne. Roberts Blick folgte der Geste. Im ersten Moment sah er nichts als vorüberrasende schmutzige Ziegelsteinwände, aber dann gewahrte er einen Schemen ganz am Ende der Gasse – die zu seinem Schrecken nicht wieder ins Freie führte, sondern vor einer massiven Ziegelsteinmauer endete.

»Bentley?«

»Sieht so aus«, bestätigte Rowlf.

Dann geschah alles gleichzeitig. Der Motor brüllte auf, als Rowlf beschleunigte und den Wagen durch die immer enger werdende Gasse jagte. Die vorderen Kotflügel rissen ab und flogen über ihre Köpfe davon. Der Wagen machte einen gewaltigen Satz nach vorne, und Robert stemmte sich mit durchgedrückten Armen gegen das Armaturenbrett und erkannte sogar noch, dass es tatsächlich Bentley war, der vor ihnen an der Mauer stand und dem heranrasenden Wagen ohne die mindeste Furcht entgegensah. Die gewaltige Motorhaube rammte zuerst Bentley, dann die Mauer und pulverisierte mit gut zwei Tonnen Metall und Glas und Leder alles, was ihr im Weg war. Robert hatte das Gefühl, dass seine Ellbogen und Schultergelenke ebenso gesprengt wurden, verlor den Halt auf dem Sitz und flog durch die zerberstende Windschutzscheibe nach vorne und über die lange Motorhaube hinweg. Neben ihm erging es Rowlf ganz genauso, während das gesamte Haus wie unter einem Hammerschlag erbebte und ein Getöse losbrach, als fiele es komplett zusammen.

Mit mehr Glück als wirklicher Absicht kam Robert mit einer Rolle wieder auf die Füße, zehrte seinen restlichen Schwung mit einem halben Dutzend ungeschickter Stolperschritte auf und fuhr am Ende dieser Bewegung herum, um wieder auf ein Knie zu sinken. Der Stockdegen sprang wie von selbst aus seiner Hülle und in seine Hand, und der Kristallknauf mit dem eingebetteten Shoggotenstern wurde warm, dann heiß. Die Luft war so voller Staub, dass er kaum drei Schritte weit sehen konnte. Das ganze Haus zitterte und bebte noch immer. Putz und Steine regneten von der Decke, und er hatte schon wieder das Gefühl von etwas Uraltem und Gefährlichem, das sie beschlich und belauerte.

Neben ihm kam Rowlf hustend wieder auf die Beine und bot einen einigermaßen grotesken Anblick, denn seine Hände umklammerten immer noch das zerbrochene Lenkrad. Sein linker Ärmel war aufgeschlitzt, und Robert konnte die tiefe Schnittwunde erkennen, die er davongetragen hatte. Robert rappelte sich ganz auf, eilte zu Rowlf und streckte die freie Hand aus, um ihm zu helfen, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Etwas regte sich neben ihm. Unter dem Wagen.

Rowlf versuchte einen warnenden Schrei auszustoßen, brachte in der mit Staub geschwängerten Luft aber nur ein atemloses Krächzen zustande, und Robert hätte es wohl auch gar nicht gehört, denn das, was er sah, war einfach zu grässlich, selbst für jemanden wie ihn, der eine lebenslange Erfahrung mit absonderlichen, unheimlichen und vor allem tödlichen Dingen hatte: Was von Bentley übrig war, war hoffnungslos unter der zusammengestauchten Motorhaube des gleichnamigen Luxuswagens eingeklemmt – oder sollte es eigentlich sein.

Stattdessen zerliefen seine zerschmetterten Überreste endgültig zu einer schwarzen Pampe, die blubbernd unter der geborstenen Stoßstange zu einer formlosen glibberigen Pfütze herausfloss, aus deren Mitte sich etwas Großes und Gefährliches mit peitschenden Armen und einem glotzenden Zyklopenauge erhob. Aber nur für weniger als eine halbe Sekunde, dann floss es zu einer originalgetreuen, wenn auch pechschwarzen Kopie von Roberts altem Nachbarn zusammen.

Nun gut, nicht ganz originalgetreu vielleicht. An die aus einer boshaften Intelligenz geborene Mordlust in seinen Augen konnte er sich ebenso wenig erinnern wie an das peitschende, in einer rasiermesserscharfen Klinge auslaufende Ding, das die Stelle seiner Zunge eingenommen hatte und nach Roberts Gesicht schlug, noch während er damit beschäftigt war zu glotzen. So perplex, wie er war, kam er nicht einmal auf die Idee, sich zu wehren oder wenigstens auszuweichen.

Nicht einmal eine halbe Sekunde, bevor sich der tödliche Knochendolch in seinen Hals gebohrt hätte, flog ein zerbrochener Ziegelstein an ihm vorbei und klatschte mit solcher Wucht ins Gesicht des Bentley-Dings, dass die groteske Kreatur einen Schritt weit zurückstolperte und die tödliche Zunge ihr Ziel verfehlte.

Der brutale Angriff beeindruckte das Monster nicht sonderlich, doch der Moment, den es brauchte, um sich wieder zu fangen und erneut zum Angriff überzugehen, reichte Robert, um endlich aus seiner Schreckstarre zu erwachen und die Waffe zu ziehen. Der Shoggotenstern im Knauf des vermeintlichen Spazierstocks leuchtete wie eine winzige gefangene Sonne, und er meinte die verheerende Kraft zu spüren, die in seinem Herzen erwachte und nur darauf wartete, sich auf den verhassten Gegner zu stürzen. Als die Zunge das nächste Mal nach ihm schlug, ruckte die Klinge wie ein silberner Blitz hoch und trennte sie ohne den mindesten fühlbaren Widerstand ab. Das Bentley-Ding prallte mit einem trällernden Schrei zurück, während die abgeschnittene Zunge zu Boden fiel und sich dort in schwarzen Morast verwandelte.

Rowlf schleuderte einen zweiten Stein, der das Monstrum zwar verfehlte, es aber dennoch weiter zurücktrieb. Einen Moment lang trällerte und pfiff es Robert noch wütend an, dann fuhr es auf der Stelle herum und humpelte und floss auf eine vollkommen absurd aussehende, aber erstaunlich schnelle Art davon.