9,99 €
In Ohne Filter entfaltet sich ein poetisches Universum aus Sehnsucht, Resignation und dem unermüdlichen Streben nach dem Unerreichbaren. Mit einer rohen, ungeschönten Sprache führt der Band durch Erinnerungen, die flimmern wie altes Filmmaterial, und zeichnet Orte nach, die Nostalgie und Entfremdung gleichermaßen hervorrufen. Die Gedichte sind Momentaufnahmen: von Pariser Nächten voller Rausch und Leidenschaft, von dichten Wäldern, in denen Chopin widerhallt, und von Sommertagen in der Provence, duftend nach Rosmarin und Lavendel. Sie erzählen von wilden Träumen, die an den Schatten der Vergangenheit zerschellen, und von Begegnungen, die sich wie ein Tanz auf Messers Schneide anfühlen. Ohne Filter ist rau, visuell und kompromisslos – ein Werk, das die Schönheit und das Scheitern des Lebens ohne Beschönigung einfängt. Es bleibt kein Raum für falschen Glanz; stattdessen öffnen sich Welten voller Intensität, Humor und schonungsloser Ehrlichkeit. Ein Band, der berührt, aufrüttelt und im Gedächtnis bleibt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
JORN STRATEN
OHNEFILTER
GEDICHTE
Jorn Straten, geboren 1972 in Goslar, ist ein deutscher Schriftsteller. Er lebte mehrere Jahre in München und arbeitete dort für eine Fluggesellschaft, einen privaten Fernsehsender und ein Verlagshaus. Neben diversen Gedichtbänden wie Feurio (2021) hat er mehrere Romane publiziert. Auf Saudade (2021) folgten Envie (2022), Im Osten der Insel (2023) und Anaïs, Freitag, Ich (2024).Alle in diesem Gedichtband vorkommenden Personen, Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Ereignissen sind rein zufällig. Es werden unter anderem Themen wie Drogenmissbrauch behandelt. Es ist wichtig zu wissen, dass Unterstützung verfügbar ist, und es keine Schande ist, um Hilfe zu bitten. Die bundesweite Sucht- und Drogen-Hotline: 01806 313031 (kostenpflichtig, 0,20 € pro Anruf aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunknetz), ist 24 Stunden da, online unter www.sucht-und-drogen-hotline.de. Die deutsche Telefonseelsorge bietet 24h kostenlose und anonyme Beratung rund um die Uhr und kann an geeignete Beratungsstellen weiter verweisen: 0800 111 111 oder per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de.
»Wenn das hier klappt dann sind wir frei, und wenn wir sterben sind wir Stars.«GAST, Kennedy Space Center
Morgens um vier
im Innenhof
unter dem schwachen Licht
einer Laterne.
Zwischen meinen Fingern
glimmt die Gauloises.
Ich blase ihren Rauch
in den schwarzen Himmel.
Diese merkwürdige Welt,
jetzt steht sie still –
kein Laut ist zu hören.
Ob sie schläft?
Meine Kippe trifft
den dunklen Asphalt.
Bald kommt erstes Licht.
Es wird Zeit.
Ein letzter Tanz
auf glutverziertem
Boden.
Die Zangen der Krebse
glänzten in der Sonne,
zeigten stolz empor,
gen Himmel.
Wie Säbel alter Piraten.
Sie trieben auf Kokosnüssen
in die Bucht, bereit,
die Insel zu erobern,
für ihre Sache zu sterben.
Einer trug eine Augenklappe.
Und der sprang ins Wasser,
erreichte den Strand
und schrie:
»Yo Ho, Yo ho! Zahltag,
ihr Schweine!«
Es ist drei Uhr nachts,
du hältst ein Glas Wein
in deiner Hand, lächelst.
Ich drücke die Zigarette
im Pizzakarton aus.
Die letzten Autos
fahren durch die Straßen
bringen den Fahrer hin,
wo er sein muss
oder sein möchte.
Irgendwo wirft jemand
eine Flasche an die Wand.
Sie zerplatzt wie ein Traum
und dann schläft die Stadt,
um unseren Balkon.
Die Nacht bleibt Zeuge,
der Wein unsere Muse.
Wir wissen, dass wir
schweigen können, Stille
stört uns nicht mehr.
Seit Stunden reden wir
über Träume, über die Zeit,
über das, was bleibt,
über Vergänglichkeit
und Wirklichkeit.
Wir trinken auf das Leben,
auf das, was sein wird,
im Schein der Sterne,
während sich die Welt
um uns verliert.
Und du sitzt da,
von deiner Decke umhüllt,
aus der nur dein Kopf
und eine Hand schauen,
die ein Glas hält.
Stunden rasen wie Minuten,
bald wird es hell,
dann beginnt ein neuer Tag,
der unsere Träume stiehlt.
Was bleibt, sind Spuren
der Erinnerung
und der Glanz
dieser Nacht.
Ich sah brennende,
sinkende Schiffe.
Umschlungen von
inselgroßen Oktopoden.
Seeleute mit Goldmünzen
gefangen im Netz
auf dem Weg in die
Tiefen des Meeres.
Ich sah kämpfende
Leviathane,
riesige Seeschlangen,
die sechs Köpfe der Skylla.
Ich hörte ihre Melodie.
Von Zerstörung und Schönheit,
Chaos und Befreiung.
Sie sterben,
ohne zu leben.
Tanzen in meinem Kopf.
Sie schreien
auf mich ein:
Du bist ein Held!
Wer braucht sie schon?
Ich hebe mein Schwert,
im Glanz der Sonne.
So ist das Leben –
ein endloser Kampf
gegen Schatten.
Ich klage euch an,
brülle in die Nacht.
Teile den Mond,
lasse Sterne
vom Himmel stürzen.
Diese Gaststätte am Wald,
in der man eigentlich nie
seine Ruhe fand.
Im alten Speisesaal
hingen Köpfe toter Tiere
an der Wand.
Die hatten nichts mehr zu tun,
schauten einem lediglich
beim Essen zu.
Am schlimmsten war
ein mächtiger Hirsch.
Dieser verdammte Hirsch.
Der mit seinen Augen
auf unsere Tische
stierte.
Diese großen Augen,
als Innereien
auf den Tellern lagen.
Und dann noch
diese verdammte Musik,
über die Heimat,
Ruhm und ihren Wald.
Seine großen Augen,
als ich meine Gabel
in den Bregen stach.
Dieser Fleischsaft,
der über meine Hände
und die weiße Decke
spritzte.
Dieser Hirsch.
Er bewegte seinen Kopf,
röhrte laut an seiner
gemusterten Tapete.
Sein wütender Blick
zu den anderen Tierköpfen
an der Wand.
Sie schrien.
Sie schrien.
Sie schrien.
Und unsere Mäuler
gingen auf
und zu.
Weidmannsheil.
Weidmannsdank.
Es war Sonntag,
ich fuhr wieder über das Land –
wollte ans Meer, wusste,
dass es nicht ging, es war
tausende Kilometer entfernt.
Es war mir egal. Stets sagte ich mir:
»Heute fahr’ ich ans Meer!«
Als ob das so wichtig wäre.
Es war nie das Meer selbst,
das mich zog, sondern die Scheiß-Illusion,
dass ich es erreichen könnte.
Selbst wenn es de facto unmöglich war.
Dort angekommen bin ich nie.
Jedes Mal brauchte ich Unmengen Zeit,
zu merken, dass ich in Träumen lebte.
Aber was bleibt manchmal übrig?
Auf all meinen Fluchten
fuhr ich durch tote Dörfer,
vorbei an Wäldern, Tankstellen,
endlosen Feldern
und verlassenen Höfen.
Ich mochte das Knistern im Radio,
dieses ständige Rauschen
das mich beruhigte und
mit dem ich mich betrog.
Die Straßen waren leer,
mein Kopf,
das ganze Land war leer –
nur mein Aschenbecher lief über.
Die Welt schuldete mir etwas.
Ein kleines Stück Hoffnung
mehr verlangte ich nicht.
Stunden später bog ich irgendwo ab.
Rechts, links, spielte das eine Rolle?
Nicht jede Frage
hat eine Antwort.
Vielleicht wollte ich sehen,
was um mich herum
noch alles so war.
Vielleicht wollte ich wissen,
ob andere Menschen
das Meer suchten.
Hatten sie auch diese Momente,
waren sie verloren wie ich?
Meine Rückfahrt
glich nie einer anderen.
Natürlich fragte ich mich,
warum ich auf der Hinfahrt
stets denselben Weg wählte.
Warum brach ich dort
nicht die Regel?
Schließlich war klar,
dass mich keine dieser Straßen
je ans Meer bringen würden.
Vielleicht habe ich das Meer
nie erreicht,
weil ich es im Herzen
nie wollte.
Es war einfacher,
sich leiten zu lassen,
weiterzumachen,
weiter zu fahren,
zu versuchen
den ganzen Scheiß
hinter sich zu lassen.
Das Meer war nichts
als ein billiger Traum.
Ein weiteres Versprechen,
das Sie nie hielt.
Weg, nur weg,
von all diesen Worten.
Durch die Straßen rennen,
ohne Ziel, ohne Rast.
Kein Extra-Leben.
Was hast du erwartet?
Nichts ist mehr so,
wie es mal war.
Ich renne so schnell
wie ich kann.
Meine Schritte hallen
auf dem Asphalt.
Ein monotones Geräusch,
es lässt meinen Kopf
verstummen.
Ich renne weiter, einsam
durch die Nacht.
Manche Tage sind wie
die leeren Seiten
eines Buches.
Sinnlos.
Einfach leer.
Es fehlt jede Lust
sie zu füllen.
Unter einer Sonne,
die brennt, aber
keine Wärme hat.
Wir verglühen
mit der Zeit.
Auf einer Parkbank im Grünen,
morgens gegen vier,
blickte ich auf die Stadt unten im Tal.
Plötzlich zerriss ein Knall die Nacht,
ein Blitz so grell, so laut,
dass ich zunächst nichts sah.
Als meine Augen
sich an die Dunkelheit gewöhnten,
stand eine Gestalt auf der Wiese.
Ein dürrer Kerl,
mit Armen lang bis zu den Knien,
Augen groß wie Untertassen.
Er war nackt, dürr,
mit aschgrauer Haut.
Es war ein Alien.
Mit hängenden Armen
kam er auf mich zu.
Ich öffnete entspannt ein Bier.
Er hielt inne,
riss den Mund auf – ein Quietschen ertönte,
als hätte ein rostiger Türrahmen
von Existenzkrisen gesprochen.
Der Alien kam weiter auf mich zu.
Bestimmt war er Lichtjahre unterwegs,
bevor er hier landete,
in dieser Welt
voll Krieg und Neid.
Dann stand er vor mir und sah mich an.
Er war hässlich,
aber ich war es wohl auch für ihn.
Allein in einer fremden Welt,
wir hatten was gemein.
»Bierchen?«, fragte ich,
reichte ihm eine Dose.
Seine riesigen Hände
umklammerten das Bier gierig,
seine Augen blitzten wild.
»Hansa Pils«, sagte ich lachend.
Wortlos setzte er sich zu mir,
kippte die Dose in seinen Schlund
und schluckte sie ganz.