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"Was ist wirklich? Wirklichkeit kann man auch erfinden.", belehrt Großmutter Maria ihren Enkel Jakob Baran. Jacob wuchs bei seiner Großmutter auf. Die schönsten Jahre seines Lebens. Während eines gemeinsamen Venedigaufenthaltes wünscht sich die Großmutter: "Hier möchte ich einmal begraben sein. Meine Asche soll in der Lagune zerstreut werden, am liebsten in den Salzwiesen am Ende der Via di Lio Piccolo." Im Mittelpunkt dieser Erzählung steht ein junger Mann, ein Niemand, der Handelsvertreter Jacob Baran, vereinnahmt von einer scheinbar ausweglosen, parasitären Desaster-Gesellschaft.
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Seitenzahl: 33
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Tredition GmbH, Hamburg
© 2017 Rolf Dieter Kaufmann
ISBN 978-3-7439-2964-7 (Paperback)
ISBN 978-3-7439-2965-4 (Hardcover)
ISBN 978-3-7439-2966-1 (E-Book)
Rolf Dieter Kaufmann
oder
Ein sanfter Wellengang verteilt die Asche ins Unsichtbare
„Ohne Zweifel, das ist mein Sohn!“, sagt Major Jacob McConnor in seinem dreiunddreißigsten Lebensjahr, am 14. März 1972, an seinem Geburtstag.
Vor ihm, in Windeln, sein am 11. März 1973 geborener Winzling, in einem der vielen Gitterbettchen in der Kinderstation einer Münchener Klinik liegend.
Jacob verabschiedet sich von seinem Jungen, indem er zärtlich die kleinen Händchen des Kindes streichelt. Danach geht er in Zimmer 0321, wo seine deutsche Geliebte, sein europäisches Verhältnis, Else Baran, sich vom Aufwand für die Schwangerschaft und den Unwägbarkeiten der Geburtshilfe erholt.
„Ich muss nach Amerika zurück, Else, nach Washington DC genau!“
Die achtzehnjährige Else klopft ihrem Geliebten, dem US-Soldaten und Vietnam-Kriegsteilnehmer mehrfach auf seine hingehaltene Hand, als wolle sie sagen, „Ist schon in Ordnung Jacob.“
Else schaut Halt suchend zum klaren Morgenhimmel hinter den großen Fensterscheiben.
„Ist Vietnam zu Ende?“, fragt sie Jacob McConnor.
„Ja, Vietnam ist gestrichen!“, antwortet er.
„Gut so!“, sagt sie.
Jacob McConnor ergänzt, mit sich und seinen eigenen Worten beschäftigt:
„Wir haben diesen unnötigen Krieg verloren. Er ist eine Niederlage unseres Wertesystems und der Anfang vom Ende der Vormachtstellung der USA in der Welt. Sie haben uns zum Äußersten getrieben und darüber hinaus, sowie zu nicht notwendiger Grausamkeit. Amerika, die gefräßige und durch Machtfülle verblendete Spinne in der Mitte eines weltumspannenden Netzes.“
Verbitterung weht in seinen Worten.
„Es ist ernüchternd, wenn man im Nachhinein Betrachter einer halsbrecherischen Sachlage und zugleich in diese verwickelt ist.“
„Du bist zickig!“, hatten seine Kameraden ihn oft ermahnt.
An Else sich wendend: „Ja, gut! Ich schicke dir regelmäßig eine Summe Geldes für die Aufzucht, für Unterhalt, die Erziehung und Bekleidung meines Sohnes.“
Und nach kurzer Pause: „Nenne ihn Jacob!“
„Das klingt so akademisch!“ antwortet Else.
„Was meinst du damit, Else, es klingt so akademisch! Der Name?“
„Nein das meine ich nicht. Aber für die Aufzucht, für Unterhalt, Erziehung und die Bekleidung meines Sohnes klingt so akademisch.“
„Das wirkt auf mich so gebildet. Du bist ein gebildeter Mann!“
„Else, mache es gut!“, verabschiedet sich Jacob McConnor.
„Es fällt mir schwer, dich zu verlassen, Else! Ich frage mich, wann ich dich wiedersehe.“
Das waren seine letzten Worte. Dann verließ er mit Tränen in den Augen das Zimmer. „Mach es gut! Take care!“
Else hatte es kommen sehen. Das Kind Jacob war ein Unfall. So sagte sie bis ins Jahr 1983 jedem. Jacob war ein Unfall.
Bis zu Jacobs neuntem Geburtstag, am 11. März 1982, kamen regelmäßige Geldzuwendungen bzw. Unterhaltszahlungen aus Amerika. Genug für beide, ihr Auskommen zu sichern und ein bescheidenes Leben zu führen.
Nach Jacob Barans neuntem Geburtstag, nach dem 11. März 1982, ließ Else den Fotografen Eduard Flansch in ihre Wohnung kommen.
Eigentlich kam er von selbst, weil Else über Jahre hinweg immer wieder erwähnte, sie wolle Jacob-Senior ein Bild von Jacob-Junior schicken.
Der Fotograf Eduard Flansch mochte den manierlichen und freundlichen Jacob sehr. Flanschs waren Nachbarn von Else und Jacob. Das Ehepaar blieb kinderlos.
Jacob-Junior verschickte vier Bilder von sich und seiner Mutter an Jacob-Senior, mit vier Worten: „Mir geht es gut! I am feeling fine!“
Danach kamen aus den USA keine Geldzahlungen und auch sonst keine Lebenszeichen mehr.
Am neunten Geburtstag von Jacob schrieb Else einen Brief an Jacob McConnor. Es kam keine Reaktion. Ein paar Wochen später sandte sie ein Schreiben an dessen Freund, den Major Donald Smith, ebenfalls Vietnam-Kriegsteilnehmer.