Overlord – Light Novel, Band 08 - Kugane Maruyama - E-Book

Overlord – Light Novel, Band 08 E-Book

Kugane Maruyama

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Beschreibung

In der Vergangenheit wurden sowohl Enri als auch Nphelia von Ainz Ooal Gown gerettet. Seitdem konnten die beiden ein ruhiges Leben im Dorf Carne verbringen und es in vollen Zügen genießen, behütet von Goblin-Leibwächtern. Doch mit dem Verschwinden des Weisen Königs des Waldes ist das fragile Gleichgewicht der Macht in der Region zusammengebrochen und es naht eine neue Bedrohung.

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Seitenzahl: 459

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Geschichte 1: Enris hektisches, ereignisreiches Leben

1

Enri Emmotts Tag begann früh. Noch bevor die Sonne aufging, musste sie mit der Vorbereitung des Frühstücks beginnen. Das lag zum einen daran, dass sie im Gegensatz zu ihrer verstorbenen Mutter noch nicht so sehr an diese Arbeit gewöhnt war, weswegen sie dafür länger brauchte. Zum anderen lag es an der riesigen Menge Essen, die sie zubereiten musste.

Für Nemu, sich selbst und die neunzehn Goblins zu kochen, die Enri die Treue geschworen hatten – einundzwanzig Personen plus zwei weitere, also insgesamt dreiundzwanzig –, bedeutete, dass sie mehr als ausgelastet war; ihre allmorgendliche Aufgabe als Schlacht zu bezeichnen, traf es da schon besser. Enri konnte nach wie vor kaum glauben, dass der Berg an Zutaten, der sich vor ihr auftürmte, nach einer einzigen Mahlzeit verschwunden sein würde.

»Nun, er ist ja auch sechsmal so groß wie vorher.«

Sie holte tief Luft, krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit. Schweigend hackte sie das Gemüse, dann wechselte sie das Messer und schnitt das Fleisch in Scheiben. Die Reihenfolge, was wann zubereitet werden musste, stand bereits fest.

Enri war nie eine besonders gute Köchin gewesen – dass es ihr dennoch gelang, eine solche Menge in so kurzer Zeit und auf derart effiziente Weise zu verarbeiten, war ein perfektes Beispiel dafür, wozu Menschen unter Druck fähig waren.

Das Klappern von Enris Arbeit weckte ihre kleine Schwester, die sich verschlafen die Augen reibend in die Küche kam.

»Morgen, Enri. Ich helfe dir.«

»Morgen, Nemu. Hier ist alles in Ordnung, also mach bitte, worum ich dich gestern gebeten habe.«

Einen Moment lang verzog Nemu das Gesicht zu einem Schmollen, doch schließlich gehorchte sie, ohne sich zu beschweren, und antwortete mit einem schlichten »Na guuut«, bevor sie davonschlurfte.

Enri hielt einen Moment lang inne, während Schmerz ihr Herz durchzuckte.

Früher war ihre zehnjährige Schwester ein lebhaftes Mädchen gewesen, das keine Skrupel gehabt hatte, seinen Willen durchzusetzen, seit dem Angriff war ihre kindliche Unschuld jedoch verflogen und sie befolgte jede von Enris Anweisungen ohne Widerworte. Es war geradezu deprimierend, was für ein braves Mädchen sie geworden war.

In Enris Gedanken flackerte die Erinnerung an das warme Lächeln ihrer Eltern auf. Der Angriff lag zwar bereits einige Monate zurück, die emotionalen Narben waren allerdings noch nicht vollständig verheilt.

Wären sie an einer Krankheit gestorben, hätte sie wenigstens Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Vielleicht hätte der Schmerz nicht so lange angehalten, hätte es sich um einen tragischen Unfall oder eine Naturkatastrophe gehandelt, die niemand zu verantworten hatte. Doch mit dem Tod ihrer Eltern verhielt es sich anderes. Es gab Täter, die die Schuld daran trugen.

Enri kniff die Augen zu. Sie tat ihr Bestes, um sich vor den anderen keine Schwäche anmerken zu lassen. Wenn jedoch niemand in der Nähe war, nagte die Einsamkeit an ihrem Herzen.

»Ja …«

Mit geschlossenen Lidern sah sie ihre liebevollen Eltern vor sich. Selbst als sie ihre Augen öffnete, waren sie nach wie vor da. So viele rührende Erinnerungen erfüllten ihren Verstand.

Gefangen im finsteren Mahlstrom der in ihr tobenden Gefühle – dem Hass auf die Menschen, die ihre Eltern auf dem Gewissen hatten –, ließ sie das Tranchiermesser kräftig heruntersausen. Die Wucht trieb die Klinge durch das Fleisch, hinterließ einen sauberen Schnitt. Sie runzelte die Stirn wegen der Scharte, die sie versehentlich im Schneidebrett hinterlassen hatte. Ich sollte nicht so dumm sein. Wenn aus der Schneide ein Stück herausbricht, ist das nur schwer zu reparieren. Tut mir leid, Mutter.

Dieses Messer hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Sie entschuldigte sich für ihren unachtsamen Umgang damit und versiegelte das Loch in ihrem Herzen.

Als sie mit dem Finger an der Klinge entlangfuhr, um sicherzugehen, dass nichts abgesplittert war, öffnete sich die Tür neben ihr. Die kleine Statur belegte, dass es sich nicht um einen Menschen handelte. Er gehörte zu einer als Goblins bekannten Rasse von Halbmenschen.

»Guten Morgen, Chefin. Ich bin heute dran … Stimmt was nicht?« Der Goblin verbeugte sich höflich und betrachtete besorgt Enris Hände.

Obwohl sie nichts weiter als ein einfaches Mädchen aus einem Dorf war, benahm sich der Goblin wie ein Untergebener. Immerhin war sie es gewesen, die ihn beschworen hatte. Als die Dorfbewohner nach dem Angriff darüber diskutiert hatten, dass sie vermutlich Wachposten aufstellen sollten, hatte sich Enri plötzlich an das Item erinnert, das sie erhalten hatte, und als sie es benutzt hatte, waren diese Goblins erschienen. Die Dorfbewohner waren entsetzt gewesen und hatten sich vor den Monstern gefürchtet. Doch als sie ihnen erklärt hatte, dass die Goblins mit einem Item beschworen worden waren, das der Retter des Dorfes, Sir Ainz Ooal Gown, ihr gegeben hatte, hatten sie sich ein wenig beruhigt. Selbstverständlich vertrauten die Dorfbewohner Ainz Ooal Gown. Schließlich waren sie ihm unendlich dankbar. Die seitdem von den Goblins geleistete Arbeit hatte auch die letzten Zweifel der Leute hier zerstreut.

»Guten Morgen, Kaijari. Ich war ein bisschen zu aggressiv mit dem Messer …«

Bei Kaijari handelte es sich um einen dieser beschworenen Goblins. Seine besorgte Miene, zusammen mit der gerunzelten Stirn und allem anderen, schien eher zu einem menschenfressenden Bären zu passen, dessen Winterschlaf man gestört hatte. »Das ist nicht gut. Pass bitte besser auf. In diesem Dorf gibt es niemanden, der schmieden kann, das weißte doch. Unsere Ausrüstung können wir auch nicht reparieren.«

»Oh, stimmt …«

Kaijari bemühte sich, die Laune zu heben, indem er sagte: »Nun, wir werden uns schon was einfallen lassen«, und machte sich daran, beim Frühstück zu helfen. Aus einem mitgebrachten Topf holte er schwelende Glut und zündete den Ofen mit geübten Handgriffen an. Wie schnell die kleine Flamme zu einem lodernden Feuer wurde, war ein Beweis für seine Geschicklichkeit.

Trotzdem kann er nicht kochen … Ich frage mich, woran das liegt.

Die Goblins waren nicht einmal dazu in der Lage, einfache Gerichte selbst zuzubereiten. Anfangs hatte sie gedacht, es läge daran, dass sie sich nur von rohem Fleisch und Gemüse ernährten, allerdings hatte sich herausgestellt, dass sie gekochtes Essen bevorzugten. Natürlich aßen sie grundsätzlich alles, was ihnen vorgesetzt wurde, ob roh oder gegart, aber …

Vielleicht können beschworene Wesen nicht kochen? Nun, ich bin ja nur ein Dorfmädchen, woher sollte ich so was also wissen? Nachdem sie zu dieser Schlussfolgerung gelangt war, konzentrierte sie sich wieder auf ihre Arbeit. Das Messer war glücklicherweise nicht beschädigt. Es dauerte nicht lange, bis die beiden mit dem Kochen fertig waren.

Nun stand viel mehr Essen auf dem Tisch als damals, als ihre Mutter noch für die Familie gekocht hatte.

Außerdem gab es Fleisch. Selbstverständlich hatte ihre Familie immer einen Anteil von dem bekommen, was die Waldläufer gelegentlich von der Jagd mitgebracht hatten, doch das war nicht einmal annähernd so viel wie jetzt. Das lag daran, dass das Dorf inzwischen ein größeres Gebiet bejagte.

Das umliegende Waldgebiet von Tob versorgte sie mit den Gaben der Natur: Brennholz, wildes Obst und Gemüse, Tierfleisch und ‒felle sowie alle Arten von Kräutern.

Man hätte ihn als Schatzkammer bezeichnen können, allerdings lebten in diesem Wald auch Monster. Da die Dorfbewohner nicht riskieren wollten, von ihnen bis nach Hause verfolgt zu werden, hatten sie bis vor Kurzem nicht wirklich Gelegenheit gehabt, diese Reichtümer für sich zu nutzen. Damals war es ihnen bestenfalls gelungen, Spezialisten mit Erfahrung und Vertrauen in ihre Jagdfähigkeiten loszuschicken, um ein paar wenige der Schätze außerhalb des Territoriums des Weisen Königs des Waldes zu entwenden. Doch nach dem Auftauchen der Goblins und dank der Tatsache, dass der Weise König des Waldes fort war, hatte sich die Situation grundlegend geändert.

Die Dorfbewohner konnten das Gebiet endlich betreten und unbehelligt die Gaben der Natur ernten. Die Bemühungen ihrer neuen, mächtigen Freunde waren großartig, immerhin verschafften sie ihnen Zugang zu Fleisch, das vorher nur schwer zu bekommen gewesen war. Frisches Obst und Gemüse kam regelmäßiger auf den Tisch. Die Ernährung des Dorfes hatte sich beachtlich verbessert. Und da alle wussten, dass die Goblins Enri dienten, durfte sich ihr Haushalt als Erster am erlegten Wild bedienen.

Zudem war vor Kurzem eine Waldläuferin in das Dorf gekommen, die ebenfalls dafür sorgte, dass es mit dem kleinen Ort bergauf ging. Früher hatte sie sich als Abenteurerin in E-Rantel ihr Geld verdient. Seit sie in das Dorf gezogen war, arbeitete sie mit den Waldläufern zusammen und entwickelte sich zu einer geschickten Jägerin. Dank ihrer Vergangenheit als Kriegerin konnte sie hervorragend mit dem Bogen umgehen und somit große Beutetiere erlegen, sodass ihnen noch häufiger Fleisch zur Verfügung stand.

Selbstverständlich wirkte sich die bessere Ernährung auch auf Enris Körper aus. Sie beugte den Arm, spannte ihn einen Moment lang an. Die entstehende Wölbung war beachtlich.

Ngh, ich habe das Gefühl, ich baue in letzter Zeit immer mehr Muskeln auf …

Die Goblins wollten sie wahrscheinlich loben, indem sie Dinge sagten wie: »Bekommst langsam dicke Arme, was?«, »Lass uns noch stärker werden«, »Ziemlich schicke Muckis!«, »Mach dir stramme Bauchmuskeln zum Ziel«, »Siehst gut aus«, doch als Frau war das ein bisschen – vielleicht sogar ziemlich – kompliziert.

Ich habe zwar nicht so viel zugelegt, wie sich die Goblins erhofft haben … trotzdem wäre mir lieber, ich würde bleiben, wie ich bin …

Während sie damit begann, die Teller zu füllen, stellte sie sich vor, wie sie wohl am Ende aussehen würde, wenn sie dermaßen an Muskeln zulegte, wie es sich die Goblins erhofften, verdrängte das Bild jedoch hastig wieder. Das Ganze störte sie mehr, als sie zugeben wollte.

Was die Portionen anging, würde sich niemand über geringfügige Unterschiede aufregen. Ein Teller Suppe ohne Fleisch hingegen könnte zu einem großen Problem werden. Während sie die dampfende Flüssigkeit verteilte, vergewisserte sie sich, dass sich in allen Schalen die gleiche Menge und das gleiche Verhältnis an Zutaten befand.

Ihr lief der Schweiß von der Stirn, als sie endlich fertig war.

»Na schön, wir müssen die anderen Goblins und Nphi rufen.«

»Ja, ganz genau.«

»Ich gehe sie rufen!«

Als sie sich umdrehte, stand Nemu mit funkelnden Augen da.

»Hast du alles erledigt, worum ich dich gebeten habe?« Als ihre Schwester dies mit einem Nicken bestätigte, nickte auch Enri. »Ja? Dann geh und hole Nphi und …«

»Nein, ich rufe die Goblins!«

Obwohl Nemu ihrer älteren Schwester laut ins Wort gefallen war, hatte Enri keine Einwände. Kaijari brachte mit einem knappen Nicken seine Dankbarkeit zum Ausdruck.

»In Ordnung, danke. Dann werde ich wohl Nphi holen gehen.«

»Das ist eine gute Idee! Ich komm mit, Chefin.«

Damit wäre niemand mehr im Haus, aber das stellte kein Problem dar. Enri hatte noch nie von irgendwelchen Einbrüchen im Dorf gehört. Zusammen mit Kaijari machte sie sich auf den Weg und folgte Nemu nach draußen.

Während sie im Licht der Morgensonne losgingen, wehte eine Brise über sie hinweg, die die Düfte der Wiese mit sich brachte. Als sie die frische Luft tief einatmete, bemerkte sie, dass Kaijari das Gleiche tat. Sie musste unwillkürlich lächeln, und als der Goblin das bemerkte, verzog er das Gesicht zu einem bösartigen Grinsen. Früher hätte sich Enri davor gefürchtet; nachdem sie so lange mit diesen Wesen zusammengelebt hatte, wusste sie allerdings mit Sicherheit, dass es sich dabei um einen Ausdruck von Fröhlichkeit handelte.

Auf dem Weg zum Nachbarhaus genoss Enri das angenehme Wetter. Eines der Gebäude, die nach der jüngsten Tragödie leer gestanden hatten, wurde derzeit von der Familie Baleare bewohnt, die früher Apotheker in E-Rantel gewesen waren.

Ihr Haushalt bestand aus zwei Personen: der Apothekermeisterin Lizzie Baleare und ihrem Enkel, Enris Freund Nphelia Baleare. Beide hielten sich in ihrem Haus auf, wo sie Kräuter zu Medizin verarbeiteten.

Nicht am Dorfleben teilzunehmen, galt als schlechtes Benehmen, was dazu führte, dass die Gemeinschaft distanziert blieb oder einen im schlimmsten Fall völlig ausgegrenzte – bei den Baleares verhielt es sich allerdings anders.

Die Arbeit eines Apothekers – die Produktion von Medikamenten, um Krankheiten und Verletzungen zu behandeln – war in einem kleinen Dorf wie diesem unverzichtbar. Solange sie Arzneimittel herstellten, würde niemand mehr von ihnen verlangen.

In einem Ort wie Carne, in dem es keinen Priester gab, der Heilmagie anwenden konnte, war es besonders wichtig, über einen Apotheker zu verfügen. In etwas größeren Siedlungen dienten die Priester häufig auch als örtliche Apotheker. Wenn diese ihre Heilmagie einsetzten, verlangten sie dafür eine angemessene Gebühr. Das mussten sie sogar. Sollten die Dorfbewohner nicht in der Lage sein zu bezahlen, wurden die Priester mit Arbeit entschädigt. Oder sie verwendeten Kräuter für diejenigen, die sich nichts anderes leisten konnten. Diese Art der Behandlung war kostengünstiger als Magie.

Unter den Goblins gab es einen Kleriker, der kleine Wunden im Handumdrehen schließen konnte, allerdings waren sich die Dorfbewohner einig, dass sie seine Kräfte für ernsthafte Verletzungen aufsparen sollten. Zudem waren seinen Fähigkeiten klare Grenzen gesetzt: Unter den wenigen Zaubern, die der Kleriker beherrschte, befanden sich keine, mit denen man Krankheiten oder Vergiftungen behandeln konnte. Aus diesem Grund waren alle dafür dankbar, dass die Familie Baleare in ihrem Haus blieb und sich der Herstellung von Medikamenten widmete.

Doch obwohl sie eine dermaßen wichtige Arbeit erledigten, kam fast niemand zu Besuch oder verirrte sich auch nur in die Nähe ihres Zuhauses. Der Grund dafür wurde deutlich, als sie sich dem Gebäude näherten.

Enri rümpfte die Nase. Kaijari tat das Gleiche, nur eben auf eine bedrohlichere Art. Rund um das Haus der Baleares hing ein unangenehmer, stechender Geruch in der Luft. Er wirkte geradezu giftig. Wenn man Kräuter zerkleinerte, verströmten sie gelegentlich einen beißenden Geruch, trotzdem hatten dieser zumindest etwas Frisches und Natürliches an sich; das hier hingegen roch geradezu gefährlich.

Während Enri durch den Mund ausatmete, klopfte sie an die Tür.

Nachdem sie das ein paarmal wiederholt hatte, kam ihr der Verdacht, dass die beiden möglicherweise nicht zu Hause waren. Im selben Moment bemerkte sie, wie sich jemand auf der anderen Seite der Tür bewegte. Einen Augenblick später klickte das Schloss und die Tür wurde geöffnet.

Urk! Sie wollte sich nichts anmerken lassen, nichts sagen, doch die ihr entgegenschlagende Luft war unerträglich.

Der enorme Gestank reizte ihre Nase und ihren Mund, ließ ihre Augen tränen. Das Ganze war so schlimm, dass der beißende Geruch draußen im Vergleich dazu regelrecht harmlos erschien.

»Morgen, Enri!«

Die Augen, die sie durch eine Lücke in Nphelias langem Pony erkennen konnte, waren geöffnet, aber furchtbar blutunterlaufen. Er musste wieder mal die ganze Nacht wach geblieben sein, um an seiner Alchemie zu arbeiten.

Bei diesem Gestank in der Luft wollte sie den Mund nicht öffnen, allerdings wäre es unhöflich gewesen, die Begrüßung nicht zu erwidern.

»M…Morgen, Nphi.«

Sofort fühlte sich ihre Kehle rau und kratzig an.

»Guten Morgen, Chef.«

»Guten Morgen, äh, Kai … Kaijari. Ich schätze, es ist Morgen, oder? Ich habe so konzentriert gearbeitet, dass ich es nicht bemerkt habe, aber da die Sonne schon so … Die Zeit vergeht wie im Flug … Ich habe die ganze Nacht mit Experimenten verbracht, darum bin ich ziemlich müde …« Er gähnte laut.

»Sieht aus, als hättest du dich wirklich auf deine Arbeit konzentriert …«, begann sie, aber bevor sie ihm sagen konnte, dass das Frühstück fertig war, und ihn auffordern konnte, seine Großmutter zu rufen und mitzukommen, fiel Nphelia ihr ins Wort. Nun, vermutlich nicht absichtlich. Er war einfach dermaßen aufgeregt.

»Es ist unglaublich, Enri!«

Er beugte sich durch den Türrahmen, lehnte sich ihr entgegen. Der schreckliche Geruch hing in seiner Arbeitskleidung, deshalb hätte sie am liebsten etwas Abstand gehalten, allerdings war sie seine Freundin, darum unterdrückte sie den Drang, vor ihm zurückzuweichen.

»W…was denn, Nphelia?«

»Hör zu! Es ist uns endlich gelungen, einen Trank mit einem neuen Verfahren herzustellen! Das ist absolut bahnbrechend! Wir mischen die verfügbare Lösung mit Kräutern und als Ergebnis bekommen wir einen lila Trank!«

Sie konnte nur seufzen, denn sie verstand nicht, was daran erstaunlich sein sollte. Ist es der gleiche Effekt wie bei Rotkohl, den man in Wasser einweicht?

»Und er schließt wirklich Wunden! Die Heilungsgeschwindigkeit ist genauso hoch wie bei Tränken, die nur aus alchemistischen Zutaten hergestellt worden sind!«

Nphelia krempelte einen Ärmel hoch, um Enri zu zeigen, dass auf seinem schlanken Arm keine Schnitte zu sehen waren. Sein Arm könnte dünner als meiner sein, dachte sie, während er unbeirrt fortfuhr.

»Und darum …«

»Schon gut, schon gut, bitte hör auf.« Kaijari trat unversehens an die beiden heran. »Bist wegen Schlafmangel im Rausch, verstehste? Chefin, kannst das mir überlassen, warum gehste nicht schon zurück?«

»Bist du sicher?«

»Kein Problem! Ich spritz ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht und tu, was mir sonst noch einfällt, um ihn zu beruhigen. Dann kommen wir gleich nach. Die anderen machen sich doch bloß Sorgen, wennde zu spät zurückkommst, oder? Was ist übrigens mit Großmutter?«

»Sie ist immer noch mit ihren Experimenten beschäftigt … Ich habe das Gefühl, sie wird nicht frühstücken. Tut mir leid, ich weiß, du hast dir mit der Zubereitung große Mühe gemacht …«

»Oh, das macht nichts. Ich dachte mir schon, dass Lizzie wahrscheinlich nichts essen wird.«

Das war schon öfters vorgekommen, weswegen es keine Überraschung war.

»In Ordnung, Chefin, dann kannste dich ja jetzt ruhig auf den Rückweg machen.«

Wenn er es so ausdrückte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehorchen.

»Na gut, danke.«

Mit einem Auge auf Enris kleiner werdende Gestalt warf Kaijari Nphelia einen kalten Blick zu. »Was glaubste, wasde da machst? Weißte nicht, dass Frauen Männern, die über ihre Hobbys reden, nur dann zuhören, wenn sie sie mögen? Wenn ein Mann mit einer Frau, die nicht in ihn verliebt ist, über seine Hobbys labert, vergrault er sie!«

»Entschuldigung. Es ist nur so, dass diese erstaunliche Sache passiert ist, also … Ich meine, es ist so unglaublich! Bahnbrechend!«

Nphelia hatte es offensichtlich immer noch nicht begriffen; Kaijari brachte ihn mit einem Seufzer und einer Handbewegung zum Schweigen. »Biste sicher, dass es dir gut geht? Bist doch in die Chefin verliebt, oder?«

Nphelia schluckte und nickte bestätigend.

»Dann zeig ihr, dass sie dir wichtiger ist als deine Medikamente!«

»Okay, ich werde es versuchen.«

»Versuchen reicht nicht! Musst es tun! Musst sie dazu bringen, sich in dich zu verlieben. Wir stehen voll und ganz hinter dir. Nicht nur das, ihre kleine Schwester hat auch versprochen zu helfen. Musst dich zusammenreißen!«

»Stimmt schon …«

»Wennde darauf wartest, dass sie dir sagt, dass sie dich mag, wird wahrscheinlich einer auftauchen, der sie dir vor der Nase wegschnappt! Musst deinen Mut zusammennehmen und endlich mal den Mund aufmachen!«

Nphelia fühlte sich, als hätte man ihm ein scharfes Messer in die Brust gerammt.

»Das ist eine harte Ansage, schon klar, aber ich weiß ja, dassde dein Bestes gibst, Chef. Früher haste kaum ein Wort rausbekommen und jetzt unterhältste dich regelmäßig mit ihr!«

»Damals habe ich sie nicht sehr oft gesehen. Nur wenn ich hergekommen bin, um Kräuter zu sammeln … Seitdem ich hier lebe, habe ich definitiv mehr Zeit mit ihr verbracht als vorher.«

»Das ist die richtige Einstellung, weiter so! Zuerst müssen wir sie auf deine Stärken aufmerksam machen. Ich hab eine Dame aus dem Dorf gefragt, und es stimmt, Frauen mögen starke Männer. Sie war zwar neunundvierzig, aber …«

»Was Muskeln angeht, bin ich nicht besonders zuversichtlich. Sollte ich mehr bei der Feldarbeit helfen?«

»Nein, du hast ja so einen.« Kaijari tippte sich an den Kopf, um zu verdeutlichen, wovon er sprach. »Das ist deine Waffe. Ich dachte mir, Magie könnte auch helfen. Aber schau mal, hier ist der Plan: Wenn ich oder einer der anderen denken, es gäb eine gute Gelegenheit, deine Vorzüge zu zeigen, stellen wir uns so hin. Wenn wir das machen, sagste oder tuste was, das sie dazu bringt, sich in dich zu verlieben.« Kaijari nahm eine Haltung ein, die seinen kräftigen Bizeps zur Geltung brachte. »So, kapiert? Und wenn wir meinen, dassde weitermachen sollst, stellen wir uns so hin.« Als Nächstes streckte er seine Brust heraus. Der Goblin war klein, verfügte allerdings über den kräftigen Körper eines Kriegers.

Was soll das Gehampel?, dachte Nphelia. Gleichzeitig war ihm klar, dass sie ihm nur behilflich sein wollten, darum brachte er es nicht über sich, diesen seltsamen Plan anzuzweifeln. Eine Frage musste er dennoch stellen. »Also, äh, warum macht ihr das für mich? Ich weiß, ihr seid Enri treu ergeben, trotzdem verstehe ich nicht, warum ihr mir helfen wollt.«

»Was für eine dumme Frage«, antwortete Kaijari verärgert und fuhr in der deutlichen, langsamen Art zu sprechen fort, mit der man einem kleinen Kind etwas erklärte. »Wir wollen, dass die Chefin glücklich ist! Von diesem Standpunkt aus betrachtet biste das Ziel. Also müsst ihr so schnell wie möglich heiraten!«

»Wir müssen uns doch gar nicht beeilen! Wir könnten uns auch einfach langsam näherkommen, verstehst du?«

»Das wär zu spät. Von der Schwangerschaft bis zur Geburt dauert es doch eine ganze Weile, oder?«

Als der Goblin auf das zu sprechen kam, was hier in der Gegend für gewöhnlich als Resultat einer heterosexuellen Beziehung geschah, blinzelte Nphelia ein paarmal, während sein Gesicht rötlich anlief. »Ja. Ich glaube, es dauert ungefähr neun Monate.«

»Dann bleibt euch nicht genug Zeit, um vierzehn – ich meine, zehn – zu bekommen.«

»Zehn?! Ich glaube, das wären zu viele!«

In der Regel hatte ein Bauer etwa fünf Kinder. In rauen Gegenden, wo man damit rechnen musste, dass es einige nicht bis ins Erwachsenenalter schafften, lag der Durchschnitt höher, während er in Orten mit Priestern, die Kranke heilen konnten, oder in der Stadt, wo es Verhütungsmittel gab, leicht sank.

Dass eine Frau zehn Kinder bekam, war definitiv nicht üblich.

»Was redeste denn da? Für einen Goblin ist das völlig normal!«

»Wir sind keine Goblins!«

»Na gut, vielleicht gibt es Unterschiede zwischen den Rassen, aber willst doch sicher, dass sie viele Kinder bekommt und glücklich ist, oder?«

»Ich kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass viele Kinder sie nicht glücklich machen würden, aber irgendwie kommt mir der Gedanke komisch vor …«

»Hmm.«

Kaijari legte den Kopf schief, doch Nphelia hatte keine Lust, sich zu erklären. Alles in allem war er für die Unterstützung der Goblins dankbar.

»Na gut, gehen wir. Fürs Erste will ich, dassde zumindest irgendwas machst. Wenn ihr euch zu sehr wie Familie betrachtet, wird es nur unnötig schwer, die nächste Stufe zu erreichen … Andererseits könnte dieser Weg – wenn auch langsamer – ebenso zum Ziel führen.«

»Wie kommt ihr nur auf das alles?« Nphelia schüttelte den Kopf. »Großmutter, ich gehe zum Frühstück zu Enri. Kommst du mit?«

Aus dem Inneren des Hauses hörte er eine ablehnende Antwort. Vermutlich würde sie die Zeit über ihren Experimenten verbringen. Eine Pause, um zu essen, stellte in ihren Augen reine Zeitverschwendung dar. Er konnte auf geradezu schmerzliche Weise nachvollziehen, wie sie sich fühlte.

Die verschiedenen alchemistischen Instrumente in diesem Haus waren alle äußerst fortschrittlich – von den meisten wussten die beiden nicht einmal, wie man sie korrekt verwendete. Eine Kammerzofe des Zauberers Ainz Ooal Gown hatte ihnen die Gerätschaften gebracht und gesagt, er und seine Großmutter sollten sie benutzen, um neue Tränke und Gegenstände herzustellen. Zusätzlich hatte sie noch andere Dinge dabeigehabt wie etwa ein legendäres Kraut, das angeblich dazu in der Lage war, sämtliche Krankheiten zu heilen.

Als sie sich erkundigt hatten, wie sie die Lösungen, Materialien und unbekannten Instrumente einsetzen sollten, hatte die Kammerzofe ihnen lediglich mitgeteilt: »Denkt selbst darüber nach«, womit sie so schlau wie zuvor waren.

Deshalb arbeiteten sie seither ohne jegliche Unterbrechung und führten alle erdenklichen Experimente durch – sie waren überzeugt, dass sie bereits Fortschritte gemacht hatten. Selbst wenn sie nur langsam vorankamen und gelegentlich herbe Rückschläge hinnehmen mussten. Dies waren vermutlich die arbeitsreichsten zwei Monate in Nphelias sowie Lizzies Leben gewesen.

Das jüngste Ergebnis ihrer Anstrengungen war ein lilafarbener Trank, der nun Lizzies Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch nahm und bei Nphelia dafür sorgte, dass er nicht wusste, wo ihm vor lauter Aufregung der Kopf stand.

»Ich bringe dir dann was mit, Großmutter.« Mit diesen Worten schloss Nphelia die Tür und sah Kaijari an. »Also, gehen wir?«

Selbst wenn sie mit dem Essen warten wollten, bis alle eingetroffen waren, bot Enris Haus nicht genug Platz für die gesamte Truppe. Aus diesem Grund aßen sie draußen, sofern es das Wetter zuließ. Das machte es zumindest erträglich, wenn es unter den Goblins zu Reibereien kam. Wären alle drinnen gewesen, hätte Enri viel schneller die Geduld verloren. Nichtsdestotrotz war es zu laut.

»Genau das will ich damit sagen: Die Chefin wird meine Frau!«

»He, haste unsere Abmachung vergessen, dassde dich nicht an sie ranmachen sollst?!«

»Ja! Wennde dich nicht dran hältst, dann mach ich das auch nicht!«

»Was?! Ich hab’s als Erster gesagt!«

Mehrere Goblins stießen ihre Stühle zur Seite und standen auf. Ein paar andere sprangen auf den Tisch.

Enri zügelte ihre Wut und rief: »Beruhigt euch bitte, das gilt für alle!«

Doch das Feuer in den Augen der Goblins loderte weiter.

»Es ist zwecklos, so einen Aufstand zu machen, Brüder! Die Sache ist bereits entschieden. Seht euch dieses glänzende Stück Fleisch an!«

Auf dem Löffel, den ein Goblin namens Kuuneru in die Höhe hielt, befand sich ein winziges Stück Huhn, das auf den ersten Blick wie eine Bohne aussah. Es war dermaßen klein, dass man Enri keinen Vorwurf machen konnte, dass sie es beim Versuch, allen die gleiche Portion zu servieren, übersehen oder gar nicht als Fleisch erkannt hatte.

»Ich hab mein Fleisch schon gegessen, aber am Boden meiner Schüssel hab ich noch mehr gefunden! Hattet ihr etwa auch ein zusätzliches Stückchen Fleisch in eurer Schüssel? Hattet ihr nicht, oder? Mit anderen Worten: Das ist Liebe!«

»Ach, mach dich nicht lächerlich! Sie hat’s bloß mit einem Stück Gemüse verwechselt!«

»Oder haste dir das vielleicht nur eingebildet? Wahrscheinlich war das, wasde davor gegessen hast, in Wirklichkeit eine Kartoffel, und mehr Fleisch als dieses mickrige Stückchen haste gar nicht bekommen. Pass auf, du könntest sie vergraulen. Denk dran, unser Gott sagt: Ihr sollt Enri glücklich machen.«

»Dein Gott ist vermutlich böse, Konaa!«

Die Hälfte der Goblins stand auf, die restlichen jubelten ihnen sitzend zu und stachelten sie an. Ausgerechnet Nemu beteiligte sich an den Zwischenrufen. Ein paar hielten sich ganz heraus und konzentrierten sich weiterhin auf das Essen. Nphelia gehörte auch dazu.

»Rubinpulver … magische Federn … ein Stößel aus Tonelico … ein Mörser … ein Mö… ein Mör…?« Er murmelte vor sich hin, während er seine Suppe aß, wobei sein Löffel ohne Unterlass zwischen Teller und Lippen hin- und herwanderte. Sein Haar verdeckte seine Augen, sein Blick war allerdings höchstwahrscheinlich nicht allein auf die reale Welt fokussiert, sondern richtete sich immer wieder nach innen, um allerlei Gedankengängen zu folgen.

»Alles in Ordnung, Nphi?«

Sie wusste nicht, wie heftig dieser Streit noch werden würde, sollte es ihr nicht gelingen, die Goblins zu bremsen. Allerdings verhielt sich Nphelia eigenartig, weswegen sie ihn nicht ignorieren konnte. Vermutlich hatte er schon zu lange nicht mehr geschlafen. Kaum dass er sich gesetzt hatte, war seine Konzentration buchstäblich zersplittert und hatte sich in alle Richtungen zerstreut. Als sie mit dem Essen begonnen hatten, war von seinen Lebensgeistern und seiner Intelligenz kaum etwas zu sehen, sodass es wirkte, als hätte sich ein Untoter zu ihnen an den Tisch gesetzt.

»Ja … alles gut … Enri … Suppe …«

»He, Nphi. Wach auf!«

»Haste nicht gesagt: ›Keine außer Nemu‹?!«

»Die Dinge stehen jetzt anders. Nemu ist zehn Jahre alt und ungefähr so groß wie wir, also dachte ich, sie wär eine junge Dame … Dann hab ich erfahren, dass Menschen offenbar erst mit fünfzehn als erwachsen gelten!«

»Echt?! Ist das dein Ernst …? Die Chefin und die anderen sind also keine Hobmenschen oder so?«

Die ungestüme Unterhaltung der Goblins nahm weiter Fahrt auf, sodass es kaum möglich war, ihr zu folgen. Enri wollte gerade fragen, was ein Hobmensch war, allerdings verloren sie das Interesse an den Sticheleien und stießen zufällig auf ein neues Streitthema.

»He! Haste etwa mein Brot geklaut?«

»Mein Wolf hat Hunger! Sei nicht so geizig!«

»Ihr alle!« Enri hob die Stimme, doch sie wurde von dem Geschrei übertönt. Während Rufe und Spott laut wurden, flogen Löffel und Teller umher. Sie warfen mit leeren Schüsseln – zumindest wurde so kein Essen verschwendet –, dennoch war das kein Verhalten, das Enri einfach so dulden konnte. Schließlich fasste sie sich ein Herz, zog die Augenbrauen zusammen und holte tief Luft.

»Bin mir ziemlich sicher, dass Wölfe Fleischfresser sind! Magst zwar ein höheres Level haben als ich, trotzdem sollteste dir keine Illusionen machen, wie ein echter Nahkampf zwischen uns ausgehen würde!«

»Sehr interessant! Wie wär’s, wenn ich dich dran erinnere, wasde gestern zu Abend gegessen hast?!«

Als Enri schließlich aufsprang, kehrten alle gleichzeitig auf ihren Platz zurück und widmeten sich brav ihrer Mahlzeit.

»Würdet ihr euch bitte beruhigen?!«

Ihr Schrei hallte über den ansonsten stillen Tisch.

»Oh …«

Ratlos ließ sie den Blick über die Goblins wandern. Alle trugen eine Miene zur Schau, die zu sagen schien: Wir haben doch gerade in aller Ruhe gefrühstückt. Stimmt etwas nicht?, und: Dein plötzlicher Ausbruch ist ziemlich verstörend. Nach einem Moment des Schweigens errötete Enri und ließ sich schwer auf ihren Platz fallen.

»Pft! Hahaha!« Nemu brach das Schweigen als Erste, indem sie losprustete. Dann konnte sich auch Enri nicht zurückhalten und hielt sich kichernd den Bauch, während die Goblins vor Lachen fast von ihren Stühlen fielen.

Ihr Timing war beeindruckend gewesen. Vermutlich hatten sie das alles bereits vorher bei einem Treffen bis ins kleinste Detail geplant, möglicherweise sogar geprobt. Es war zu komisch, dass sie so viel Aufwand in etwas dermaßen Albernes gesteckt hatten.

»Ah, das ist verdammt lustig. War das von Anfang an euer Plan?« Sie hatte so sehr gelacht, dass sie sich nach wie vor Tränen aus den Augen wischte, während sie so tat, als wäre sie verärgert.

»Natürlich, Chefin. Wir würden um solche Sachen nie ein so großes Aufheben machen.«

»So ist es, Ma’am!«

»Ganz genau!«

Sie prahlten und untergruben ihre Fragen mit ihrem üblichen scherzhaften Grinsen, ohne dabei einen Hauch von Schuldgefühlen zu zeigen. Enri konzentrierte sich allerdings auf Kaijari und starrte ihn an. Er schien sich unwohl zu fühlen und mied ihren Blick, bevor er zur Antwort ausweichend murmelte: »Na ja, ich würde sagen, heute Morgen haste etwas niedergeschlagen gewirkt, Chefin.«

»Ihr seid mir vielleicht welche …«

»Immerhin sind wir deine Leibwächter.«

»Das stimmt!«

»Ja, wir sind deine Leibwächter!«

»Wir haben uns sogar eine Pose überlegt für den Moment, wenn wir auftauchen und zu deinem Schutz in Aktion treten.«

»Ganz genau, wir nehmen dich und Nemu so in die Mitte …«

»Was?! Mich auch?«

»Ja, natürlich! Dann hebste majestätisch die Arme … so in etwa!«

Selbst wenn man es so nett wie möglich beschrieb, wirkte der Goblin bei seiner Vorführung wie ein auf dem Rücken liegender Frosch.

»Äh, nein danke. Ich weiß gar nicht so recht, was ihr mit ›Leibwächter‹ meint … Nphi, findest du das nicht auch ein bisschen …?« Hilfe suchend wandte sie sich an ihren alten Freund, doch da war niemand.

Aus einer Vorahnung heraus senkte sie den Blick. Er lag mit dem Gesicht in seiner Suppe auf dem Tisch.

»Nphi!« Sie wurde blass, während sie seinen Namen rief und ihn hochzog.

Konaa eilte sofort zu ihr und riss mit den Fingern die Augen des erschöpften Nphelia auf. »Er schläft bloß … Wenn wir ihn bis Mittag schlummern lassen, geht’s ihm danach wieder gut.«

»Nphi … Was sollen wir nur mit dir machen?«

Sie nahm ihn huckepack und machte sich auf den Weg zu einem Zimmer in ihrem Haus, wo sie ihn hinlegen konnte. Hinter sich hörte sie Stimmen.

»Häh? Läuft das normalerweise nicht andersherum?«

»Wir sollten dazu besser nichts sagen, Nemu.«

»Chef …«

Während sie den schlafenden Jungen ins Bett brachte, dachte Enri nach. Sobald das Dorf die Weizenernte eingeholt hatte, würde der Steuereintreiber kommen. Enri fragte sich, wie sie die Anwesenheit der Goblins am besten erklären sollte.

Soll ich einfach sagen, dass wir sie beschworen haben? Vielleicht kann ich sie meine Untergebenen nennen? Oder …

Enri dachte daran, wie rücksichtsvoll sie sich ihr gegenüber verhielten. Sie beschützten sie nicht nur, sie verstanden auch ihre Gefühle. Sie überlegte, wie sie sich erkenntlich zeigen könnte. Die Goblins konnten ziemlich laut werden, andererseits waren sie sehr zuverlässig. Sie stellten ihre neue Familie dar – es musste doch etwas geben, das sie für sie tun konnte …

Während sie das gerade gejätete Unkraut einsammelte, wischte sich Enri mit dem sauberen Handrücken den Schweiß aus dem Nacken, der ansonsten ihren Kragen hinablief. Es handelte sich um eine ganze Menge Grünzeug, das sie bereits entfernt hatte, und das dabei zerdrückte Gras verströmte einen frischen Duft. Nach stundenlanger Arbeit auf dem Feld klebte ihre schweißgetränkte Kleidung an ihrer Haut. Sie fühlte sich ekelig und müde.

Um ihre Stimmung ein wenig zu heben, dehnte sie ihren Rücken und ließ den Blick schweifen. Vor ihr erstreckte sich ein Stück Land, auf dem sie Weizen ausgesät hatte. Die Ähren wurden immer dicker. Während die Erntezeit unaufhaltsam näher rückte, würde das Getreide eine gelbe Färbung annehmen. Der Anblick eines ganzen Feldes sich wiegender Halme, die im Sonnenlicht golden schimmerten, war beeindruckend, doch vorher musste sie sämtliches Unkraut entfernen. Sollte sie sich nicht darum kümmern, würden die Feldfrüchte nicht so schön werden. Es war an der Zeit, diese lästige Aufgabe hinter sich zu bringen.

Sich zu strecken, half ihr dabei, Verspannungen und Steifheit abzuschütteln. Ihr war von der Feldarbeit warm und die aufkommende Brise fühlte sich gut an.

Die Böe brachte noch etwas anderes mit sich – Geräusche aus dem Dorf.

Sie hörte Hämmern und auch Gesänge, die den Arbeitergruppen bei der Konzentration helfen sollten – alles Dinge, die sie noch nie im Dorf erlebt hatte.

Zurzeit wurde an verschiedenen Projekten gearbeitet. Am wichtigsten waren der Bau einer Palisadenwand und eines Wachturms. Es lag auf der Hand, dass damit die Befestigung des Dorfes verbessert werden sollte.

Carne lag in der Nähe des Großen Waldes von Tob – dabei handelte es sich um einen bedrohlichen Ort, in dem Monster lebten. Ohne starke Befestigungen war es unmöglich, in der Umgebung eines solchen Gebietes sicher zu leben.

Allerdings verfügte ihr Dorf mit seinen in Reihen um den Dorfplatz herum angelegten Häusern über nichts, was man auch nur im Entferntesten als Verteidigungsanlage hätte bezeichnen können; jeder konnte einfach hereinspazieren. Eine Zeit lang hatte das kein Problem dargestellt – denn obwohl sie sich in der Nähe des Waldes befanden, waren keine Monster über sie hergefallen.

Das lag daran, dass der Weise König des Waldes hier über sein Territorium geherrscht hatte. Kein Monster hätte es gewagt, sein Hoheitsgebiet zu durchqueren, wodurch die Dorfbewohner so sicher gewesen waren, als hätten sie wohlbehütet hinter einer eisernen Mauer gelebt.

Doch dieser Schutz galt nicht, wenn die Gefahr von Menschen ausging. Imperiale Ritter hatten die Siedlung angegriffen und zahlreiche Bewohner getötet. Niemand redete sich länger ein, dass sie weiterhin sicher sein würden.

Darum hatte man den Vorschlag des Goblin-Anführers Jugemu, das Dorf zu befestigen – er hatte dabei auch erwähnt, dass sie bei einem erneuten Angriff möglicherweise nicht in der Lage sein würden, alle zu beschützen –, einstimmig angenommen. Jeder Einzelne von ihnen wurde nach wie vor von grausigen Albträumen geplagt.

Als Erstes rissen sie die Häuser ab, in denen niemand mehr wohnte, und benutzten das Holz für den Palisadenzaun. Das reichte selbstverständlich nicht aus, daher mussten sie im Wald Bäume fällen. Sollten sie sich zu tief in das Gebiet vorwagen, liefen sie Gefahr, unabsichtlich in das Territorium des Weisen Königs einzudringen, also beschränkten sie sich auf den Waldrand. Selbstverständlich wurden sie dabei von den Goblins beschützt.

Dank dieser Zusammenarbeit schwand die Angst der Dorfbewohner vor den Goblins fast vollständig. Vielleicht trug die Tatsache, dass die Dorfbewohner von Rittern – Menschen wie sie selbst – angegriffen worden waren, zusätzlich dazu bei. Im Gegensatz dazu arbeiteten die Goblins, obwohl sie Angehörige einer anderen Rasse waren, unter Enris Befehl, um das Dorf zu unterstützen. Mit anderen Worten, es war nicht richtig, anderen allein deshalb zu vertrauen, weil sie zu derselben Rasse wie man selbst gehörten.

Vor allem aber waren die Goblins mächtig. Goblin-Krieger hielten Ausschau, und selbst wenn sie sich verletzten, wurden sie von dem Goblin-Kleriker Konaa geheilt. Da sie sich zudem derart nett und freundlich verhielten, fiel es schwer, sie nicht zu mögen.

Und so hatten die Goblins nach wenigen Tagen im Dorf Wurzeln geschlagen und sich bald zu einer unersetzlichen Präsenz entwickelt. Ein Blick auf ihr Haus genügte, um das jedem vor Augen zu führen. Obwohl sie zu einer anderen Rasse gehörten, lebten sie in einem großen neuen Gebäude, das man extra für sie in unmittelbarer Nähe von Enris Heimstätte errichtet hatte.

Die Dorfbewohner und die Goblins erarbeiteten gemeinsam einen Plan zum Ausbau der Verteidigung, doch leider mangelte es ihnen an Arbeitern, wodurch es ihnen zunächst nur möglich gewesen war, einen schlichten Zaun zu bauen.

Genau zu diesem Zeitpunkt hatte der Weise König des Waldes, der das Dorf bislang vor Monstern geschützt hatte, sein Territorium verlassen, um einem herausragenden Krieger in schwarzer Rüstung zu folgen. Alle hatten so hart an der Fertigstellung des Zaunes gearbeitet, nur um dann feststellen zu müssen, dass er niemals ausreichen würde, um sie zu schützen.

Inzwischen lebten sie allerdings hinter einer großen Palisadenwand.

Die Dinge hatten sich zum Besseren gewendet, als eine unvergleichliche Schönheit, die behauptete, eine der Kammerzofen von Ainz Ooal Gown, des Retters des Dorfes, zu sein, ihnen einige Steingolems gebracht hatte.

Golems wussten nicht, was Erschöpfung war, und befolgten stillschweigend ihre Befehle – zudem waren sie weitaus stärker als Menschen. Da sie sich jedoch mitunter als ein wenig ungeschickt erwiesen, konnte man den Golems keine Aufgaben überlassen, die Feingefühl erforderten, dennoch verkürzte ihre Hilfe die Bauzeit enorm. Die Golems schufteten ohne Schlaf und Pause, also ging es mit der Errichtung der Palisade schnell voran.

Für die Dorfbewohner und die Goblins wäre es unmöglich gewesen, diese riesige Menge an Arbeit alleine zu bewältigen, doch die Golems brachten sie zum Abschluss – sie fällten eine enorme Anzahl Bäume und gruben die Löcher, um die mächtigen Stämme fest im Boden zu verankern. Somit wurde die Umfriedung, deren Fertigstellung normalerweise mehrere Jahre gedauert hätte, in nur wenigen Tagen errichtet. Zudem war sie länger, höher und stabiler als ursprünglich geplant.

Sie machten nicht nur bei der Palisade Fortschritte, sondern auch bei den Wachtürmen. Dadurch verfügte das Dorf sowohl im Osten als auch im Westen über einen befestigten Ausguck.

»Chefin, ich bin hier drüben fertig.«

Enris Gedanken wurden unterbrochen, als Paipo, der Goblin, der mit ihr zusammen Unkraut jätete, nach ihr rief.

»Oh! Danke.«

»Nichts zu danken.«

Paipo winkte mit einer dreckverschmierten Hand ab, das änderte jedoch nichts an ihrem Empfinden, dass sie ihm niemals genug danken könnte.

Nach dem Verlust ihrer Eltern fiel es ihr schwer, sich um das Land ihrer Familie zu kümmern. Normalerweise hätte ihr jemand aus dem Dorf geholfen, doch da es überall an Arbeitskräften mangelte, hatte jeder mit seinen eigenen Feldern alle Hände voll zu tun. Als die Goblins begonnen hatten, ihr unter die Arme zu greifen, hatte sich das Problem in Luft aufgelöst. Und nicht nur Enri bekam Hilfe.

Sie hörte, wie jemand ihren Namen rief, und als sie sich umdrehte, entdeckte sie eine mollige Frau, die auf sie zukam. Neben ihr trottete ein Goblin her.

»Enri, Liebes. Oh, vielen Dank. Ich habe mein Feld mit der Hilfe von Herrn Goblin komplett bestellt.«

»Das ist großartig. Sie machen das alle freiwillig. Bitte bedanke dich bei ihnen persönlich.«

»Oh, ich habe mich schon bei Herrn Goblin bedankt. Er sagte, sie wären lediglich Untergebene und ich solle ihrer Chefin danken!«

Bei der Erwähnung von »Chefin« verzog Enri kaum merklich das Gesicht, es gelang ihr allerdings, die Grimasse in ein Grinsen zu verwandeln. Die Goblins hatten angeboten, Haushalten zu helfen, die bei dem Angriff Arbeitskräfte verloren hatten. Die Frau vor ihr gehörte zu einer solchen Familie.

Wer könnte solch rücksichtsvollen Goblins misstrauen? Sie waren bessere Nachbarn als einige der Menschen in Carne. Selbstverständlich hatten sich solche Geschichten herumgesprochen und dazu geführt, dass inzwischen alle eine gute Meinung von den kleinen Monstern hatte.

»Übrigens, wo sind die anderen Goblins? Ich dachte mir, ich lade sie alle zum Essen ein.«

»Die anderen sichern entweder die Umgebung oder helfen den Neuankömmlingen, aber ich werde es sie wissen lassen.«

»Oh. Gut, dann richte es ihnen bitte aus, Enri, meine Liebe. Ich werde mir etwas Besonderes einfallen lassen. Ich schätze, diesem hier kann ich sofort etwas Feines kochen.«

»Wirklich? Dann nehm ich dein Angebot gern an. Tut mir leid, Chefin, aber ich bin heute drüben bei Frau Molger.«

Als Enri nickte, machten sich die Frau und der Goblin neben ihr auf den Weg zurück ins Dorf.

»Ich hoffe nur, die ganzen Leute, die sich einverstanden erklärt haben hierherzuziehen, werden verstehen, dass ihr nicht böse seid …«

»Bei unserer ersten Begegnung haben sie ziemlich erschrocken aus der Wäsche geguckt. Scheint, als hätten sie uns für Feinde gehalten«, antwortete Paipo.

»Ich vermute, in anderen Grenzdörfern ist es völlig normal, Halbmenschen als Feinde zu betrachten …«

»Deshalb bieten wir ja auch so häufig an zu helfen. Trotzdem ist es nicht leicht.«

»A…aber sie gewöhnen sich an euch, nicht wahr? Vor Kurzem habe ich jemanden gesehen, der ganz normal gegrüßt hat.«

»Nun, genau wie die Menschen hier erinnern sich die Übersiedler daran, wie sie angegriffen und ihre Familien getötet wurden. Vielleicht ist das Ganze für sie sogar noch schwerer.«

Das Schicksal von Carne war brutal, nichtsdestotrotz hatte etwa die Hälfte der Dorfbewohner überlebt. In einigen Dörfern hatten die Ritter fast die gesamte Bevölkerung umgebracht. Bei jenen, die Carnes Ruf nach neuen Siedlern gefolgt waren, handelte es sich um Überlebende aus diesen Dörfern.

Die beiden verfielen in Schweigen, während sie über das grausame Schicksal dieser Leute nachdachten. Enri streckte ihren Rücken erneut, bevor sie in den Himmel blickte. Die Mittagsglocke hatte noch nicht geläutet, dennoch war es fast so weit und sie waren mit der Feldarbeit weit gekommen.

»Na schön, sollen wir zu Mittag essen?«

Sie kannte Paipos zerknautschtes Gesicht gut genug, um zu erkennen, dass er fröhlich lächelte.

»Genau, was ich hören wollte! Dein Essen ist köstlich, Chefin.«

»Nein, ist es nicht.« Sie lachte und errötete dabei.

»Doch, wirklich! Wir reißen uns drum, dir bei der Feldarbeit zu helfen – weil wir alle dein leckeres Essen wollen.«

»Ah, haha! Warum koche ich dann nicht einfach für alle? So wie wir es beim Frühstück machen.«

Für zwei Leute zu kochen, war dasselbe, wie für zwanzig zu kochen … oder auch nicht. Das Zerkleinern der Zutaten für dermaßen viele Portionen stellte eine Herausforderung für sich dar. Da würden ein oder zwei Töpfe niemals ausreichen. Das wäre eine Menge Arbeit. Doch wenn sie daran dachte, wie viel sie den Goblins verdankte, schien das überhaupt kein Problem zu sein.

»Nein, nein, ist schon in Ordnung. Dein Essen ist die Belohnung für denjenigen, der sich gegen die Konkurrenz durchsetzt.«

Unsicher, was sie tun sollte, lächelte Enri den kleinen grinsenden Halbmenschen an. Sie wusste, die Goblins hatten »Schere, Stein, Papier« gespielt, um zu entscheiden, wer ihr helfen durfte, allerdings war sie sich nicht sicher, ob ihre Kochkünste das alles rechtfertigten.

»Na schön, sollen wir zurückgehen und essen?«

»Klingt gut …«

Nachdem er das gesagt hatte, schwieg Paipo plötzlich und starrte mit seinen scharfen Augen in die Ferne. Enri keuchte erschrocken angesichts des abrupten Wechsels vom lustigen kleinen Halbmenschen zum gestandenen Krieger und folgte seinem Blick.

Sie entdeckte einen Goblin, der auf einem schwarzen Wolf ritt, wobei es den Anschein hatte, als würden die beiden mühelos dahingleiten, während sie sich über die Wiese in Richtung des Dorfes bewegten.

»Das ist Kyuumei.«

Der Goblin-Trupp, den Enri beschworen hatte, bestand aus zwölf Goblins mit Level 8, zwei Goblin-Bogenschützen mit Level 10, einer Goblin-Magierin mit Level 10, einem Goblin-Kleriker mit Level 10, zwei Goblin-Reitern mit Level 10 und einem Goblin-Anführer mit Level 12, insgesamt waren es also neunzehn Mitglieder.

Kaijari, den sie am Morgen gesehen hatte, und Paipo, der ihr auf dem Feld geholfen hatte, gehörten beide zu den Goblins mit Level 8, während Kyuumei, der gerade in seiner pelzbesetzten Lederrüstung auf seinem pechschwarzen Wolf auf sie zukam, Level 10 war.

Die Goblin-Reiter hatten die Aufgabe übernommen, über die Wiesen zu reiten und als Frühwarnsystem zu fungieren. Sie kehrten regelmäßig in Dorf zurück, um Bericht zu erstatten.

»Ja.« Paipos Stimme klang angespannt. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Zumindest bekam sie diesen Eindruck.

»Was ist los?«

»Er ist ein bisschen früh dran. Eigentlich sollte er draußen am Waldrand Wache halten … Ob was passiert ist?«

Paipos Erklärung ließ Angst in Enri aufkeimen – die Sorge, dass ein weiterer blutiger Angriff bevorstehen könnte, machte sich in ihr breit.

Während die beiden ihm schweigend entgegenblickten, preschte der große Wolf mit Kyuumei auf dem Rücken auf sie zu. Das schwere Keuchen des Tieres verriet ihnen, wie sehr sie sich beeilt haben mussten.

»Was gibt’s?«

Auf Paipos Frage hin nickte Kyuumei Enri zu, bevor er antwortete: »Scheint, als wär in der Nähe des Waldes was passiert.«

»Was denn?«

»Ich weiß es nicht genau. Es ist nicht wie beim letzten Mal, als ein großer Haufen Kerle in Richtung Norden unterwegs war …«

»Meinst du Ritter?« Enri fiel ihm, ohne darüber nachzudenken, ins Wort. Auch wenn sie genau wusste, dass sie in dieser Situation nichts ausrichten konnte, musste sie es wissen. Sie war außerstande, die Furcht von jenem Tag, an dem das Dorf angegriffen worden war, abzuschütteln.

Die andere Gruppe, von der die Goblins sprachen, war mehrere Tausende Mann stark gewesen und hatte auf ihrem Weg nach Norden Spuren hinterlassen. Die Fußabdrücke passten von der Größe her zu Menschen, doch da sie offenbar barfuß unterwegs gewesen waren, hatten die Goblins geschlussfolgert, dass es sich nicht um Menschen handelte.

»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube nicht, dass es Ritter sind. Vielmehr scheint es so, als wär tief im Wald irgendwas passiert.«

»Oh.« Unwillkürlich stieß Enri ein erleichtertes Seufzen aus.

»Nun, ich werde erst mal unserem Anführer Bericht erstatten.«

»In Ordnung. Gute Arbeit.«

»Danke.«

Sie winkten und Kyuumei ritt auf seinem Wolf davon. Sie blickten ihm nach, bis sie ihn durch das sich langsam öffnende Dorftor huschen sahen.

»Also, sollen wir zurückgehen?«

»Ja.«

Nachdem sie sich am Brunnen gewaschen hatten, kamen Enri und Paipo zu Hause an, wo ein junges Mädchen rief: »Willkommen zurück, Enri!«

Zusammen mit der Begrüßung hörten sie das schabende Geräusch von zwei aneinander reibenden Steinen. Als sie sich umschauten, entdeckten sie Nemu, die im Schatten des Hauses die Steinmühle benutzte.

Von der Mühle ging ein beißender Geruch aus, der Enri in der Nase stach. Er ähnelte jenem, der bis vorhin an ihren Händen gehaftet hatte, war allerdings doppelt so stark – genug, um ihn selbst aus dieser Entfernung wahrzunehmen.

Nemu war bereits daran gewöhnt, wodurch es für sie kein Problem darzustellen schien, doch als die Ausdünstungen Enri in die Nase stiegen, traten ihr die Tränen in die Augen. Paipos Gesichtsausdruck hinter ihr veränderte sich nicht, wobei sich unmöglich sagen ließ, ob ihn eine Eigenheit seine Rasse vor der Wirkung des strengen Aromas verschonte oder ob er es einfach für unhöflich hielt, vor der kleinen Schwester seiner Herrin das Gesicht zu verziehen.

»Da sind wir wieder. Wie läuft es? Ist es dir gelungen, sie anständig zu mahlen?«

»Ja, perfekt. Sieh doch!« Nemu betrachtete das Ergebnis ihrer Arbeit mit einem zufriedenen Lächeln. Bevor Enri das Haus verlassen hatte, war der Haufen an Kräutern, um den Nemu sich kümmern sollte, von stattlicher Größe gewesen – inzwischen waren nur noch ein paar wenige übrig. »Unglaublich, oder? Ich bin so gut wie fertig!«

Nemu hatte die Kräuter zu einer Paste zerrieben und in ein Gefäß gefüllt, genau so, wie Enri es ihr aufgetragen hatte. Um sie einzulagern, wurden die meisten Kräuter entweder getrocknet oder gemahlen, abhängig von der Sorte.

»Beeindruckend. Du hast hart gearbeitet, Nemu!«

Enris aufrichtiges Lob zauberte sichtbaren Stolz auf Nemus Gesicht, allerdings errötete sie dabei. Irgendwann hatte ihr entweder Nphelia gezeigt, wie man die Mühle handhabte, oder sie hatte schlichtweg beschlossen, ihrer Schwester zu helfen, und den Umgang mit dem Gerät auf eigene Faust gelernt. Auf jeden Fall hatte sich ihre Geschicklichkeit verbessert, sie war gründlich und schnell geworden.

Kräuter stellten eine wichtige Einnahmequelle für Carne dar. Das Leben in einem Grenzdorf erforderte viel Arbeit und bei diesen Erzeugnissen handelte es sich vermutlich um die einzige Spezialität ihrer Heimat.

Der Verkauf dieser Produkte hatte sich schon vor langer Zeit als unverzichtbare Methode erwiesen, um Geld zu verdienen, aus diesem Grund wussten die Dorfbewohner, wo sie reichlich Kräuter aller Art finden konnten.

Enri grübelte schweigend vor sich hin. Von all den verschiedenen Arten von Kräutern, die die Dorfbewohner sammelten, erzielte dieses den höchsten Gewinn. Da die Pflanzen ihre medizinische Wirkung jedoch erst kurz vor der Blüte entfalteten, bildeten sie bestenfalls einen Nebenverdienst. Die Dorfbewohner hatten bereits sämtliche bekannten Stellen, wo sie wuchsen, abgeerntet. Selbstverständlich bestand die Möglichkeit, dass es tiefer im Wald weitere Vorkommen gab.

Allerdings wimmelte es im Wald von Monstern. Enri konnte nicht einfach hineinspazieren, als wäre sie auf dem Weg zu einem Picknick. Nun hingegen konnte sie sich auf die Unterstützung der Goblins verlassen, ebenso wie auf Nphelia, der viel Erfahrung im Sammeln von Kräutern besaß. Wenn sie sie um Hilfe bat, könnten sie vermutlich ein hübsches Sümmchen verdienen.

Nach kurzem Zögern sprach Enri Paipo darauf an. »Ich würde gerne losziehen und an einem neuen Platz Kräuter sammeln. Würdest du mitkommen?«

Eigentlich gab es keinen Grund, warum Enri sich selbst auf den Weg machen musste; theoretisch hätte sie die selbstsichersten Goblins alleine in die gefährlichen Tiefen des Waldes schicken können. Das Problem war eine merkwürdige Schwäche der beschworenen Wesen. Sie hatten sich beim Suchen von Kräutern sowie beim Schlachten von erlegten Tieren als unerwartet inkompetent erwiesen.

Ebenso verhielt es sich mit ihren mangelhaften Kochkünsten. Enri konnte ihnen ein Kraut zeigen, allerdings waren sie außerstande, Exemplare derselben Sorte zu finden, selbst wenn diese direkt vor ihrer Nase wuchsen. Es war verwirrend, dennoch fehlten ihnen diese Begabungen schlichtweg. Zudem gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass sie in der Lage waren, diese Fähigkeiten zu erlernen oder zu erwerben. Es schien fast, als hätte man dieses Wissen aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Wenn es also um das Sammeln von Kräutern ging, musste jemand die Goblins begleiten.

»Macht mir nichts aus, in den Wald zu gehen, aber es könnte etwas heikel werden, wennde mitkommst.«

»Was? Wirklich?«

»Ja, hat Kyuumei nicht gerade gesagt, dass irgendwo tief da drin was passiert sein könnte? Bei so was gerät der ganze Wald in Aufruhr.«

Enri wirkte verwirrt, darum erklärte er ihr: »Manchmal verlegen vorsichtige Monster ihr Revier. Wenn das passiert, bringt das auch umliegende Territorien zumindest vorübergehend durcheinander und das sorgt für eine Menge Unruhe. Schlicht gesagt ist es dann wahrscheinlicher, einem Monster zu begegnen, wodurch das ganze Gebiet gefährlicher wird. Wenn man Pech hat, kann man sogar außerhalb des Waldes auf Monster treffen. Es ist völlig egal, wie wagemutig man ist, gibt ja keinen Grund, der Gefahr geradewegs in die Arme zu laufen, oder?«

»Ich verstehe …« Enri fragte sich, ob sie tatsächlich »wagemutig« war, darum schrieb sie die Bemerkung den üblichen Schmeicheleien der Goblins zu und ließ es dabei bewenden. »Es hatte ja vorher schon den Anschein, als hätte es eine große Abwanderung gegeben. Irgendwas muss hier los sein, oder?«

»Ich weiß es nicht. Hab wirklich keinen Schimmer. Ich würd’ gerne ein paar von uns in den Wald schicken, um der Angelegenheit nachzugehen … aber jeder, der loszieht, könnte nachher bei der Verteidigung des Dorfes fehlen … Oh! Wie wär’s, wenn wir Abenteurer schicken?«

»Das lässt sich nicht so einfach bewerkstelligen.« Enri runzelte die Stirn. »Nphi hat gesagt, dass es teuer ist, Abenteurer anzuheuern. Angeblich würde der Fürst in E-Rantel einen Teil der Kosten übernehmen, aber allein unseren Anteil zu decken, könnte sich als schwierig erweisen.«

»Ah …«

»Vielleicht würde es klappen, wenn wir viele Kräuter sammeln und verkaufen könnten, ansonsten besteht unsere einzige andere Möglichkeit darin, das Item zu verkaufen, das Sir Gown uns gegeben hat …«

Ainz Ooal Gown hatte ihr zwei Hörner geschenkt. Eines hatte sie bereits benutzt, doch das andere hielt sie nach wie vor in ihrem Haus versteckt.

»Mach das nicht, Chefin. Wenn’s so weit kommt, wär’s besser hineinzublasen.«

»Nein, natürlich werde ich es nicht verkaufen.«

Sie wollte nicht zu der erbärmlichen Sorte von Mensch gehören, die ein großzügiges Geschenk verkaufte. Selbst wenn es so weit käme, dass sie in ernsthafte Schwierigkeiten gerieten, falls sie es nicht verkaufen sollten, wäre sie dennoch dagegen. Vor allem wollte sie sich nicht als undankbar erweisen, schließlich sorgte sich Ainz Ooal Gown weiterhin so sehr um das Dorf, dass er sogar eine Kammerzofe mit Golems geschickt hatte.

»Was für ein Dilemma. Wir können diese Kräuter nur zu dieser Jahreszeit sammeln, und auch wenn es ein bisschen gefährlich ist, möchte ich wirklich gerne losziehen, wenn es sich denn irgendwie einrichten lässt …«

Enri lächelte die nervös wirkende Nemu an. Sie wollte nichts tun, was ihr letztes verbliebenes Familienmitglied beunruhigen würde, genauso würde es ihr allerdings missfallen, sich die Gelegenheit entgehen zu lassen, dringend benötigtes Geld zu verdienen. Möglicherweise waren ihre Prioritäten ein wenig falsch gesetzt, trotzdem musste sie ihre Schuld bei denjenigen begleichen, die ihr Leben für das Dorf aufs Spiel setzten – bei denen, die sie als ihre Herrin betrachteten.

Ich muss einen Haufen Geld verdienen und schauen, was ich tun kann, um den Goblins neue Ausrüstung zu kaufen. Plattenrüstungen oder was auch immer ihnen einen guten Schutz bieten könnte. Diese Person mit der schwarzen Rüstung … Wie hieß sie doch gleich noch mal?

Sie hatte keine Ahnung, wie viel Waffen und Rüstung kosteten, aber es musste eine beträchtliche Summe sein. Das war genau der Grund, warum Paipo sie mit ausgestreckter Hand aufhielt, als sie eine entschlossene Miene aufsetzte und bereit schien, noch in diesem Moment loszupreschen.

»Nun, das ist bloß meine Meinung. Ich werde unseren Anführer danach fragen, also triff keine voreiligen Entscheidungen. Ich will keinen Ärger dafür bekommen, dass ich irgendeine halbgare Idee vorbringe, und ich wette, der Chef würde auch gerne alle möglichen Kräuter in die Finger bekommen.«

Gerade als Enri überlegte, was sie tun sollte, vernahm sie ein niedliches kleines Grummeln. Als sie den Blick hob, schaute sie geradewegs in Nemus unzufriedenes Gesicht.

»Ich habe Hunger, Enri. Lass uns essen!«

»Ja, entschuldige. Räum das auf und wasch dir die Hände. Ich koche das Mittagessen.«

»In Ordnung!« Mit dieser gut gelaunten Antwort zerlegte Nemu die Mühle und füllte den grünen Brei mit einem Spatel in einen kleinen Topf. Enri machte sich auf den Weg zum Hauseingang und dachte: Ich frage mich, was ich kochen soll …

2

Enri stand am Rande des Großen Waldgebietes von Tob. Selbstverständlich war sie nicht alleine. Alle Mitglieder ihres treuen Goblin-Trupps hatten sie begleitet.

Die Goblins hatten zum Schutz Kettenhemden und Rundschilde angelegt, an ihrer Hüfte baumelten breite Macheten. Auf der anderen Seite hingen Beutel, in denen sie kleine Items transportierten. Dazu trugen sie braune kurze Hosen und feste Schuhe, die aus pelzigen Tierfellen hergestellt waren. Was ihre Ausrüstung anging, waren sie komplett ausgestattet. Sie überprüften ein letztes Mal, ob ihre Trinkschläuche voll und ihre Macheten scharf waren.

Der Grund dafür, warum sie neben dieser Ausstattung keinen Proviant, Schlafrollen oder Ähnliches mitgenommen hatten, war die Absicht, ihr Vorhaben schnell zu erledigen, anstatt Stunden mit der Erkundung des Waldes zu verbringen.

Nicht jeder von ihnen war zu Enris Schutz dabei. Ihr Hauptziel bestand darin, die Informationen des Wolfsreiters genau zu untersuchen. Sie wollten feststellen, was im Wald geschehen war. Da sie jedoch ausschließlich das Dorf beschützen mussten, beschlossen sie, sich auf die Umgebung der Siedlung zu beschränken, statt in die Tiefen des Waldes vorzudringen.

Nur drei Goblins begleiteten Enri beim Kräutersammeln. Nphelia war ebenfalls dabei. Er war bereit aufzubrechen und trug Kleidung, die zum Umherstreifen im Unterholz geeignet war. Dank ihm würden sie bestimmt alles finden können, was sie benötigten.

Er musste ihren Blick gespürt haben und legte den Kopf schief, um sie fragend anzuschauen. Sie wedelte mit den Händen, um zu verdeutlichen, dass sie nichts Bestimmtes im Sinn hatte, dennoch schien er sich Sorgen zu machen, denn er kam zusammen mit einem großen Goblin zu ihr herüber.

Der Goblin war dermaßen hünenhaft, man konnte kaum glauben, dass er zur selben Rasse gehörte. Er trug einen schweren, grob gearbeiteten Brustpanzer und ein abgenutztes Großschwert auf dem Rücken.