Porkchoppers - Ross Thomas - E-Book

Porkchoppers E-Book

Ross Thomas

4,9

Beschreibung

Donald Cubbin, Alkoholiker und Vorsitzender einer der größten Gewerkschaften Amerikas, weiß, dass der Kampf um seine Wiederwahl hart wird. Er weiß, dass sein Assistent mit seiner Frau schläft, dass sein Gegenkandidat ein Psycho ist und dass die Wahlen höchstwahrscheinlich manipuliert werden. Cubbin weiß jedoch nicht, dass jemand einen Killer auf ihn angesetzt hat … Ross Thomas ist "der Mann für die unaufgeregt präsentierte Analyse jener Verbrecherpools, die man Politik, Wirtschaft, Militär und Medien nennt". Wiglaf Droste Porkchopper n [pork chops, Gewerkschaftsslang für wirtschaftliche Vorteile + -er]: ein Gewerkschaftsfunktionär, der nach Ansicht seiner Kollegen hauptsächlich von Eigennutz motiviert wird. (Webster's Third New International Dictionary)

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Ross Thomas, Porkchoppers

Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, richtete in den fünfziger Jahren das deutsche AFN-Büro in Bonn ein und arbeitete als Journalist, Gewerkschaftssprecher und Public-Relations- und Wahlkampfberater für Politiker in den USA. Seine vielfältigen Erfahrungen verarbeitete er in seinen Politthrillern, in denen er vor allem die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurden zweimal der Edgar Allan Poe Award und viermal der Deutsche Krimi Preis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.

Ross Thomas

Porkchoppers

Aus dem Amerikanischenund mit Nachbemerkungenvon Jochen Stremmel

Alexander Verlag Berlin

Die Ross-Thomas-Edition im Alexander Verlag BerlinHerausgegeben von Alexander Wewerka

Umweg zur Hölle. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-FallAm Rand der Welt. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-FallVoodoo, Ltd. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-FallKälter als der Kalte Krieg. Ein McCorkle-und-Padillo-FallGelbe Schatten. Ein McCorkle-und-Padillo-FallDie Backup-Männer. Ein McCorkle-und-Padillo-FallDämmerung in Mac’s Place. Ein McCorkle-und-Padillo-FallGottes vergessene Stadt · Teufels Küche · Die im Dunkeln · Fette Ernte · Der Yellow-Dog-Kontrakt · Der achte Zwerg · Der Messingdeal ·Dornbusch

Neuübersetzung 2016Die deutsche, stark gekürzte Erstausgabe erschien 1973 unter demTitel Wahlparole: Mord im Ullstein Verlag, Frankfurt am Main/Berlin.Die amerikanische Originalausgabe erschien 1972 unter dem TitelThe Porkchoppers. © by Ross Thomas© für die Neuübersetzung by Alexander Verlag Berlin 2016Alexander Wewerka, Fredericiastr. 8, D-14050 [email protected] · www.alexander-verlag.comUmschlaggestaltung: Antje WewerkaAlle Rechte vorbehalten.ISBN 978-3-89581-414-3 (eBook)

Für Warren Bayless

Die Ereignisse und Figuren in diesem Buch sind fiktiv, und falls irgendwas davon der amerikanischen Arbeiterbewegung zustoßen würde, wäre das nicht nur reiner Zufall, sondern auch ein bißchen schade.

PORKCHOPPERn [pork chops, Gewerkschaftsslang für wirtschaftliche Vorteile + -er]: ein Gewerkschaftsfunktionär, der nach Ansicht seiner Kollegen hauptsächlich von Eigennutz motiviert wird.

Webster’s Third New International Dictionary

1

Es waren alte Hundert-Dollar-Scheine, inzwischen ein bißchen schlaff, sogar ein bißchen schmierig, und einer von ihnen hatte einen Riß, den jemand säuberlich mit einem Streifen Tesafilm geklebt hatte. Anfangs hatte es fünfundsiebzig davon gegeben, aber als sie Truman Goff erreichten, waren nur noch fünfzig übrig – fünfzig Einhundert-Dollar-Scheine, 5.000 Dollar, und genau der Preis, den Truman Goff beschlossen hatte, in diesem Jahr in Rechnung zu stellen.

Die 5.000 Dollar hatten drei Wochen gebraucht, um bei Goff anzukommen. Das lag nur zum Teil an der chronischen Trödelei der Post. Der größere Teil der Verzögerung war auf die fünf anderen Personen zurückzuführen, die sich an der ursprünglichen Summe von 7.500 Dollar bedient hatten, wobei jeder zwei, drei oder sogar zehn der Scheine für sich herausnahm, bevor er die übrigen zusammen mit der weißen 7,5 x ˛12,5 cm großen Karte, die den mit Bleistift in – wie es die meisten Zeitungen gern nennen – einfachen Druckbuchstaben geschriebenen Namen trug, wieder versiegelte und an die nächste Adresse schickte.

Erster Anlaufpunkt für die 7.500 Dollar und den Namen in Druckbuchstaben war das im vierten Stock in der Innenstadt von Minneapolis gelegene Ein-Raum-Büro eines zweiundfünfzig Jahre alten Privatdetektivs gewesen, der sich auf etwas spezialisiert hatte, was er Klienten gegenüber immer als elektronische Überwachung bezeichnete. Der Name des Detektivs lautete Karl Syftestad, und die meisten seiner Klienten waren Ehemänner mittleren Alters, die glaubten oder nur hofften, daß Syftestad hintenrum etwas über ihre Frauen rausfinden könnte, was vor Gericht im Scheidungsverfahren verwendbar wäre.

In guten Jahren brachte Syftestads Agentur im Benser Building ihm ein Nettoeinkommen von 9.000 Dollar ein, das er pflichtschuldig den Leuten von der Steuer in Staat und Bund meldete. Normalerweise schaffte er es, weitere, nicht gemeldete neun- oder zehntausend Dollar damit zu verdienen, daß er etwas arrangierte, das er als Vorstellung betrachtete.

Für 300 Dollar konnte er dich jemandem vorstellen, der dir einen neuen Cadillac oder Continental für nur 3.500 Dollar verkaufen würde, wenn du dir nicht allzuviel Gedanken über die Gültigkeit seines texanischen Fahrzeugbriefs machtest. Für eine Tracht Prügel berechnete Syftestad 500 Dollar und versicherte seinen Kunden immer, daß das angehende Opfer »todsicher mitkriegt, daß er eine anständige Abreibung bekommen hat«. Die Tracht Prügel wurde von einem Feuerwehrmann aus Minneapolis nach Dienstschluß verabreicht. Syftestad und der Feuerwehrmann teilten sich das Honorar von 500 Dollar paritätisch.

Der Brief mit den 7.500 Dollar wurde Syftestad am 14. August, einem Montag, um 11 Uhr zugestellt. Die einzige andere Post war eine Werbesendung von einem Großhändler für Kameras aus St. Louis, die Syftestad gewissenhaft las, bevor er sie in den Papierkorb warf. Er las seine ganze Post gewissenhaft, weil er nicht viel bekam.

Bei dem braunen rechteckigen Briefumschlag, der die 7.500 Dollar enthielt, gab es außer dem mit Bleistift geschriebenen Namen auf der weißen Karte nichts zu lesen. Syftestad kannte den Namen und hatte den Eindruck, daß er ihm irgendwie Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse, weshalb er die Lippen spitzte und zwei falsche Töne pfiff. Dann zählte er das Geld.

Es war das siebte Mal in vier Jahren, daß Syftestad so einen Brief erhalten hatte, wie er jetzt vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Der erste, der kam, hatte nur 5.000 Dollar enthalten – und einen mit Bleistift geschriebenen Namen. Er war zwei Tage nach einem Anruf angekommen, den Syftestad von einem Mann erhalten hatte, der sich ihm als Bill, Just Bill, vorstellte.

»Wird Ihnen gefallen, was ich Ihnen erzählen werde«, hatte der Mann gesagt, der behauptete, sein Name sei Just Bill.

»Was wird mir gefallen?«

»Wir lassen Sie dann und wann zwei Scheine dafür verdienen, daß Sie nichts tun.«

»Was ist nichts tun?«

»Nichts tun ist nichts tun. Sie kriegen einen Umschlag mit etwas Geld drin. Sie müssen nur Ihre zwei Scheine rausnehmen, einen anderen Umschlag finden, und das, was übrig ist, an eine Adresse schicken, die ich Ihnen geben werde. Sie müssen Ihre eigenen Briefmarken kaufen.«

»Das ist alles?« hatte Syftestad gefragt.

»Das ist alles. Das ist absolut alles. Wie gesagt, es ist dafür, daß Sie nichts tun.«

»Yeah, nun, ich weiß nicht – «

»Syftestad.«

»Yeah?«

»Wir mögen Sie. Tun wir wirklich. Wir möchten nicht erleben, daß Ihnen irgendwas zustößt, und wir haben Sie aus dem Grund ausgesucht, weil wir glauben, Sie wissen, wie leicht jemand etwas zustoßen kann. Mache ich mich verständlich?«

»Yeah«, hatte Syftestad gesagt. »Gewissermaßen.«

»Na, das ist ja prima. Es geht einfach nur darum, ein bißchen Post zu spielen. Das ist eigentlich alles.«

»Sind Sie sicher, daß das alles ist?«

»Warum sollte ich Sie anlügen?«

»Warum nicht? Alle anderen tun es auch.«

Der Mann, der sich Bill nannte, hatte auf eine traurige, blecherne, humorlose Art gelacht, als wollte er demonstrieren, daß er wisse, wie es geht. »Also auf unserer Seite gibt’s keine betrügerischen Machenschaften, und ich bin mir sicher, daß es auch auf Ihrer Seite keine betrügerischen Machenschaften geben wird, wenn Sie mir folgen können, und ich glaube, daß Sie das tun.«

»Hmh-mhm. Ich kann Ihnen folgen.«

»Gut, dann ist das geklärt. Haben Sie was zum Schreiben?«

»Ich hab was.«

Über das Telefon hatte der Mann, der sich Bill nannte, Syftestad langsam einen Namen und eine Adresse in East St. Louis, Illinois, diktiert. Es war eine einfache Adresse, und der Name war noch einfacher, aber Bill forderte Syftestad zweimal auf, ihn vorzulesen. Als er überzeugt war, daß Syftestad alles richtig notiert hatte, sagte Bill: »Nur noch eins.«

»Was?«

»Verlieren Sie die Adresse nicht.«

Dann hatte Bill aufgelegt, und Syftestad hörte nie wieder von ihm – außer indirekt durch die Briefe, die das Geld und die mit Bleistift geschriebenen Namen enthielten. Der erste Brief hatte 6.000 Dollar enthalten. Die nächsten drei stiegen auf 6.500 Dollar, dann auf 7.000 Dollar, wo sie bis zum siebten und letzten geblieben waren, der 7.500 Dollar enthielt.

Weil Syftestad ein ungebildeter Mann war, hatten ihm die mit Bleistift geschriebenen Namen in den vorangegangenen sechs Briefen nichts gesagt. Falls er ein gewissenhafter, sorgfältiger Leser der Minneapolis Tribune gewesen wäre, hätte er vielleicht einen, zwei oder sogar drei der Namen im Lauf eines Jahres gesehen, sich allerdings vermutlich nicht an sie erinnert, weil sie in kurzen, langweiligen Meldungen von AP oder UPI über etwas ziemlich Anspruchsvolles und daher Uninteressantes begraben gewesen wären, das in Los Angeles oder New York oder Chicago oder Washington passiert war.

Aber Syftestad las nicht mehr viel Zeitung, von einem gelegentlichen Blick in den Sportteil abgesehen. Das an Nachrichten, was er seiner Ansicht nach brauchte, bekam er vom Fernsehen geliefert, und da bekamen die meisten Leute ihre Nachrichten her, und die sechs Namen, die während der vergangenen vier Jahre auf seinem Schreibtisch gelandet waren, gehörten nicht zu der Sorte, die bei den Nachrichtensendern auftauchten.

Deshalb war Syftestad mit seiner Unkenntnis ganz zufrieden, weil er schlau genug war zu glauben, daß er wüsste, warum ein Fremder ihm die Aufgabe übertrug, große Geldsummen an eine Adresse in East St. Louis zu schicken. Ich würde meinen Namen todsicher nicht auf einer dieser kleinen weißen Karten geschrieben sehen wollen, dachte Syftestad immer, wenn er überhaupt daran dachte, was nicht oft war, weil nicht genug Geld darin steckte, um oft daran zu denken, und außerdem war es irgendwie unangenehm, und Syftestad dachte nicht gern an etwas Unangenehmes, wenn er es vermeiden konnte, und das konnte er normalerweise.

Aber der Name, der auf der Karte geschrieben stand, die jetzt vor ihm auf dem Schreibtisch lag, sagte ihm etwas, weil er zu einem Mann gehörte, der Leute engagierte, die dafür sorgten, daß er gelegentlich in den Fernsehnachrichten genannt wurde. Die Leute, die er dafür engagierte, waren ziemlich erfolgreich, weil die Position, die der Mann bekleidete, hinlänglich wichtig war, um einiges an nationalem Interesse zu erregen. Vielleicht nicht viel, aber einiges.

Syftestad stieß mit dem rechten Zeigefinger gegen die Karte. Der Name auf der Karte bedeutete Geld, falls er rauskriegen konnte, wie man ihn einsetzte. Einen oder zwei Augenblicke lang wurde Syftestad beinahe enthusiastisch angesichts der Möglichkeiten. Der Enthusiasmus ließ nach, als er sich an den Mann erinnerte, der sich am Telefon Bill genannt hatte. Du bist nicht schlau genug, um gegen Leute wie den anzutreten, sagte er sich. Du bist gerade schlau genug, Post zu spielen. Also seufzte er, nahm zwei Einhundert-Dollar-Scheine von dem Stapel, der vor ihm lag, faltete sie und steckte sie in die Hosentasche, fand einen Briefumschlag und benutzte einen Kugelschreiber, um Namen und Adresse des Mannes in East St. Louis, Illinois, in Druckschrift darauf zu schreiben, den Namen und die Adresse, die ihm vor vier Jahren genannt worden waren.

2

Drei Tage später, am 17. August, einem Donnerstag, wurde der Umschlag, den der Privatdetektiv aus Minneapolis in den Briefschacht geworfen hatte, in einer Eckkneipe an der Kreuzung Margate Avenue und Winder Street in East St. Louis, Illinois, zugestellt, was bedeutete, daß der Brief seinen Weg mitten in ein professionell raues Viertel in einer Stadt gefunden hatte, die von Leuten, die sich normalerweise in solchen Dingen auskennen, als professionell rau betrachtet wurde.

Die Eckkneipe bekam von ihrem Eigentümer und Betreiber Julius C. Eames, einem Schwarzen, der etwas mehr als 96 Kilo wog und das Lokal vor acht Jahren bei einem Würfelspiel drüben in Joplin, Missouri, gewonnen hatte, indem er nach Ansage einen Zweierpasch warf, genau diesen Namen: The Corner Bar. Seitdem hatte Eames nicht viel gespielt, weil er überzeugt war, das ganze Glück, das der Herr für ihn bestimmt hatte, an jenem Abend in Joplin verbraucht zu haben, als er das Spiel mit der Kneipe und 5.469 Dollar Bargeld verlassen hatte. Jetzt gab er sich damit zufrieden, eine anständige Menge Dixie Belle Gin, Smirnoff Wodka, Thunderbird-Wein und Falstaff-Bier zu verkaufen. Er verkaufte auch ziemlich viel Seagram’s Seven, aber nicht viel Scotch.

Mit der Corner Bar verdiente er seinen Lebensunterhalt, aber nicht genug für ein Leben, das man als gut bezeichnen konnte, und deshalb ergänzte er sein Einkommen, indem er seinen Gästen mit kleinen Darlehen aushalf. Er lieh ihnen 50 Dollar am Freitag, und sie zahlten ihm eine Woche später 60 zurück. Eames hatte normalerweise Außenstände von 1.500 Dollar, und es gab nicht viele säumige Schuldner, teils, weil die meisten seiner Gäste für die Gewährung von Kleinkrediten wirklich dankbar waren, und teils, weil sie alle von dem Überfall wußten.

Zu dem Überfall war es vor vier Jahren gekommen, kurz nachdem Eames von dem Mann angerufen worden war, der sich Just Bill nannte und von Eames so ziemlich die gleiche Dienstleistung verlangt hatte, die Syftestad sich in Minneapolis zu erbringen bereit erklärt hatte. Eames hatte kurzerhand abgelehnt. Drei Tage später war ein hochgewachsener, schlanker brauner Jüngling in die Corner Bar marschiert, hatte einen Iver Johnson Sportrevolver Kaliber .22 auf Eames gerichtet und Geld verlangt. Eames hatte nachdenklich genickt und war um die Theke herumgegangen mit Blick auf den schlanken Jüngling, der dreimal auf ihn schoß, bis Eames bei ihm ankam, ihm den .22er abnahm und mit der Kante der linken Hand das Genick brach.

Als Eames neun Tage später aus dem Krankenhaus kam, war er so was wie ein Held im Viertel. Außerdem erhielt er noch einen Anruf von dem Mann namens Bill.

»Uns hat irgendwie gefallen, wie Sie mit dem Jungen fertiggeworden sind, den wir Ihnen vorbeigeschickt haben«, hatte Bill gesagt. »Soweit wir hörten, haben Sie wirklich saubere Arbeit geleistet.«

»Das heißt, Sie haben ihn geschickt?«

»Das ist richtig. Natürlich war er nur ein Junge. Wir hätten jemand vorbeischicken können, der ein bißchen älter ist. Mit einer größeren Kanone. Sie wissen, was ich meine.«

»Hmh-mhm«, hatte Eames gesagt. »Weiß ich genau. Vielleicht sagen Sie mir besser noch mal, was Sie von mir wollen.«

Also hatte Bill es ihm gesagt, und jetzt konzentrierte sich Eames zum siebten Mal mächtig, während er in der hinteren Nische der Corner Bar saß und mühsam den Namen eines Mannes in Druckbuchstaben hinschrieb, der in Buffalo, New York, lebte. Eames machte sich nicht die Mühe, den Namen des Mannes zu lesen, der mit Bleistift auf die weiße Karte geschrieben worden war.

Der Mann, der in Buffalo lebte, war dort vor sechsunddreißig Jahren geboren worden und betrieb mittlerweile ein italienisches Restaurant, das er von seinem Vater Frank Martelli geerbt hatte, der 1959 gestorben war, als er friedlich in seinem Wohnzimmer saß. Der Bestattungsunternehmer hatte nicht viel mit Frank Martelli machen können, weil die Schrotkugeln den größten Teil seines Kopfs mitgenommen hatten, und deshalb war der Sarg beim Begräbnis geschlossen gewesen. Der jüngere Martelli, der von jedem Frank Junior genannt wurde, obwohl sein richtiger Name Enrico war, übernahm das Restaurant nach dem Tod seines Vaters, und weil er den Mund hielt, ließen ihn die früheren Geschäftspartner seines Vaters weitgehend in Ruhe.

Als Frank Junior am 21. August, einem Montag, den Brief von Eames erhielt, nahm er fünf der Einhundert-Dollar-Scheine, stopfte sie in eine Hosentasche und steckte die verbleibenden sechsundsechzig Scheine in einen braunen Umschlag, den er schon an eine Postfachnummer in Jack, Oklahoma, adressiert hatte. Frank Junior kannte den Namen, der mit Bleistift auf die weiße Karte geschrieben worden war, und bekreuzigte sich. Seit dem Tod seines Vaters hatte er sich seiner Religion zugewandt und war beinahe fromm geworden, aber nicht so sehr, daß er jemals irgend jemandem von dem mit Bleistift geschriebenen Namen auf der weißen Karte erzählt hätte, nicht einmal seinem Priester.

Das Postamt in Jack, Oklahoma, befand sich in dem Gemischtwarenladen, dessen Eigentümer und Betreiber seit zweiundvierzig Jahren der alte Wimple war. Als der Brief aus Buffalo, New York, eintraf, steckte er ihn in das Fach von diesem neuen Kerl. Dieser neue Kerl benutzte den Namen Bryan Simpson, und er wohnte inzwischen seit sechs Jahren mit seiner Frau auf einer 160-Morgen-Farm ungefähr neun Meilen außerhalb von Jack, wo er ein paar Hereford-Rinder auf der Weide stehen hatte, aber außer Schwarzeichen nichts anbaute, soweit die meisten Leute sehen konnten. Jeder in der Umgebung von Jack glaubte, daß Simpsons Frau Geld hatte, weil er eindeutig eine träge Type war und obendrein eine Menge trank. Außerdem wirkte er ein bißchen indianisch, was – in diesem Teil von Oklahoma – nur etwas war, worüber man eine Bemerkung fallenließ, aber nichts, worüber man sich aufregte oder Sorgen machte.

Simpson öffnete den Brief erst, als er zurück auf seiner Farm war. Zuerst zählte er das Geld und legte sechs der Scheine für sich beiseite. Er warf einen Blick auf die weiße Karte und grinste, als er den Namen erkannte. Das wäre mit Sicherheit etwas, was man sich im Fernsehen anschauen sollte, dachte er. Nachdem er den Umschlag adressiert und mit den sechzig Einhundert-Dollar-Scheinen und der weißen Karte mit dem bleistiftgeschriebenen Namen zugeklebt hatte, ging er zu dem Wandschrank und holte eine kleine graue Geldkassette heraus und schloß sie auf.

Er legte die sechs Einhundert-Dollar-Scheine in die Kassette zu dem anderen Geld, das von den 126.000 Dollar übrig war, die er an einem Sommernachmittag in Washington vor etwas mehr als sechs Jahren ganz allein aus der Zweigstelle der Riggs National Bank an der L Street mitgenommen hatte. Dann stieg er in seinen Chevrolet Pickup und fuhr 81 Meilen nach Fort Smith, wo er den Brief abschickte.

Von Fort Smith, Arkansas, flogen das Geld und die weiße Karte nach Los Angeles, wo sie am 29. August, einem Dienstag, Miss Joan Littlestone zugestellt wurden, die in einem Apartment im 900er Block an der Hilldale ungefähr einen Block unterhalb des Sunset Boulevard wohnte. Miss Littlestone war dafür bekannt, intelligent, freundlich und sowohl Kunden als auch Angestellten gegenüber überaus korrekt zu sein. Sie betreute sechs junge Frauen und genoß in dem Gewerbe, in dem sie in der einen oder anderen Funktion siebenunddreißig ihrer dreiundfünfzig Jahre beschäftigt war, hohes Ansehen. Als der Mann namens Just Bill sie angerufen hatte, war sie sogleich einverstanden, das zu tun, was er von ihr wollte, weil es in ihrem Wesen lag, das zu tun, was Männer von ihr wollten, so bizarr es auch sein mochte. Das Honorar von 1.000 Dollar pro Weiterleitung kam ihr lächerlich hoch vor, aber sie hatte es nicht in Frage gestellt. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, daß manche Männer gern mehr zahlten, als sie sollten; daß manche Männer tatsächlich gern betrogen wurden, und Miss Littlestone versuchte wie immer nach Möglichkeit entgegenkommend zu sein, wenn das Risiko niedrig war. Oder wenigstens nicht zu hoch.

Sie nahm zehn von den Geldscheinen für sich und schrieb dann sorgfältig den Namen und die Adresse des Mannes, der in Baltimore wohnte, in Druckbuchstaben auf den Umschlag. Sie warf einen Blick auf die Karte, die mit dem Geld gekommen war, aber nur der Vorname, der mit Bleistift darauf geschrieben war, blieb ihr in Erinnerung. Nachnamen hatten sich in Miss Littlestones Geschäft nicht als besonders nützlich oder zuverlässig erwiesen, und sie hielt sich selten mit ihnen auf.

Der Brief brauchte sechs Tage, um die Strecke von Los Angeles bis Baltimore im Flugzeug zurückzulegen, weil es am Flugplatz O’Hare in Chicago ein kleines Durcheinander gab. Der Brief wartete auf Truman Goff, als er in seinem Reihenhaus mit den fünf Zimmern in West Baltimore ankam, nachdem er einen ganzen Tag in seinem Job als Leiter der Obst- und Gemüseabteilung in einem Safeway-Laden im Zentrum der Innenstadt abgerissen hatte, wo die Zahl der Kleindiebstähle mit einer stetigen, fast vorhersagbaren Quote zunahm.

Goff fuhr einen Oldsmobile Toronado, was für einen Einkaufsleiter im Supermarkt ziemlich extravagant war, aber nicht so extravagant, daß sich irgend jemand fragen würde, woher er das Geld dafür hatte. Man würde die Tatsache, daß er das Auto besaß, auf seine Maßlosigkeit zurückführen und annehmen, daß es genausowenig bezahlt war wie ihre eigenen, und wie ihre eigenen vermutlich auch nicht abbezahlt sein würde, bis es den Geist aufgäbe, und dann würde Truman Goff gucken müssen, wofür er es in Zahlung geben konnte.

Als Goff an diesem Montagabend Anfang September nach Hause kam, saß seine zehn Jahre alte Tochter Miranda wie üblich vor dem Fernseher. Es war fast neun Uhr, weil der Safeway, in dem er arbeitete, bis acht Uhr geöffnet war.

Goff sagte: Wie geht es dir, zu seiner Tochter, die antwortete: Hi, Daddy, und er ging weiter in die Küche und sagte: Was gibt’s Neues, zu seiner Frau, während er den Kühlschrank aufmachte und eine Dose National Beer herausnahm.

»Nicht viel«, sagte seine Frau. »Du hast einen Brief bekommen. Er war heute in der Post.«

»Von wem?«

»Ich mache deine Post nicht auf.«

»Ich hab nur gedacht, es stünde vielleicht außen drauf. Ein Absender.«

»Ich hab keinen gesehen.«

»Wo ist er denn?«

»Wo die Post immer liegt. Auf dem Tisch im Eßzimmer. Wann willst du essen?«

»Wenn ich mein Bier getrunken habe«, sagte Goff. »Was gibt es denn?«

»Die Schweinekoteletts, die du am Samstag mitgebracht hast. Ich hab sie nicht in den Tiefkühler getan, und deshalb essen wir sie besser. Schweinefleisch hält sich nicht gut.«

»Yeah, ich weiß«, sagte Goff und ging mit seinem Bier von der Küche ins Eßzimmer und nahm den braunen Briefumschlag in die Hand. Er glaubte zu wissen, was er enthielt, war sich aber nicht sicher. Es konnte ein Köder für pornographische Bilder sein, dachte er. Sie schickten das Zeug manchmal in unauffälligen Umschlägen wie dem hier los, mit handgeschriebener Adresse und allem.

Goff steckte den Umschlag in seine Tasche und ging in das Zimmer, das seine Frau als Gästezimmer und er als Hobbyraum bezeichnete. Darin standen eine Couch, aus der man ein Doppelbett machen konnte, ein Ahornschreibtisch mit einer Öffnung für die Knie, die Nähmaschine seiner Frau, eine kleine Kommode und ein Bücherregal mit vier Einlegeböden, das hauptsächlich mit Taschenbuchwestern vollgestellt war, abgesehen von einer großen Bibel und einer drei Jahre alten Ausgabe des Who’s Who.

Nachdem er seine Bierdose auf den Schreibtisch gestellt hatte, öffnete Goff den Brief, indem er die Lasche mit dem Zeigefinger aufriss. Er lächelte nicht, als er das Geld darin sah. Er zählte die fünfzig Einhundert-Dollar-Scheine schnell auf den Schreibtisch, bevor er sie einmal faltete und sich in die linke Gesäßtasche steckte, die er zuknöpfte. Er schaute die Karte an und dann zur Decke hoch, wobei er den Namen lautlos mit den Lippen formte, bis er sich sicher war, daß er ihn nicht mehr vergaß. Er riß die Karte in winzige Stücke und ging durch den Flur ins Bad, wo er die Stücke in die Toilette warf und spülte.

Als er aus dem Bad kam, rief ihm seine Frau aus der Küche zu: »Bist du jetzt fertig?«

»In einer Minute«, rief er zurück.

»Es wird kalt.«

»In einer Minute, gottverdammt«, schrie er und ging zurück in den Hobbyraum, nahm die Ausgabe des Who’s Who

3

Donald Cubbin sah aus, als müsse er Präsident von irgendwas sein, möglicherweise von den Vereinigten Staaten, oder, falls sein Kater nicht zu allzu schlimm war, von der ganzen Welt. Stattdessen war er Präsident einer Industriegewerkschaft mit Sitz in Washington, deren Mitgliederzahl um die 990.000 lag, je nachdem, wer das Zählen übernahm.

Cubbins Gewerkschaft war kleiner als die der Automobilarbeiter und die der Transportarbeiter, aber ein bißchen größer als die der Stahlarbeiter und der Maschinenschlosser, und da die ersten beiden zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der AFLCIO waren, hieß das, daß er Präsident der größten Gewerkschaft im offiziellen Haus der Arbeit war.

Cubbin war Präsident seiner Gewerkschaft seit den frühen fünfziger Jahren, als er nach dem Tod des Good Old Man, der ihr erster Präsident und eigentlicher Gründer war, in den Job hineinstolperte. Der Gewerkschaftsvorstand, der sich zu einer Sondersitzung traf, hatte den Schriftführer/Schatzmeister dazu bestimmt, bis zur nächsten zweijährlichen Wahl als Präsident zu fungieren. Als Schriftführer/Schatzmeister hatte Cubbin fast sechzehn Jahre damit verbracht, dem Good Old Man die Tasche zu tragen. Nachdem er zum Präsidenten ernannt worden war, hatte er schnell gemerkt, daß es ihm gefiel, und bald festgestellt, daß es eine Reihe von Leuten gab, die begierig und erpicht darauf waren, ihm die Tasche zu tragen, und das gefiel ihm besonders. Also hatte er fast neunzehn Jahre an dem Job festgehalten und sich seiner Vergünstigungen erfreut, zu denen unter anderem ein Gehalt, das stetig bis auf sein derzeitiges Niveau von 65.000 Dollar pro Jahr gestiegen war, eine fette, beitragsfreie Altersversorgung, eine praktisch nicht rechenschaftspflichtige Aufwandsentschädigung, ein chauffierter Cadillac, der so groß war wie der eines Kabinettsmitglieds, und große, auf Dauer gebuchte Suiten im Madison in Washington, im Hilton in Pittsburgh, im Warwick in New York, im Sheraton-Blackstone in Chicago und im Beverly-Wilshire in Los Angeles gehörten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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