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Abschluss der Ross-Thomas-Edition: Band 25! Drei Kandidaten treten bei den ersten freien Wahlen im fiktiven afrikanischen Albertia an, das danach von der britischen Krone unabhängig werden soll. Der Rohstoffreichtum macht das Land für diverse Unternehmen attraktiv und öffnet der politischen Korruption Tür und Tor. Der brillante PR-Mann Peter Upshaw, der eine erfolgreiche Werbe-Agentur mit Sitz in London vertritt, heuert den gewieften politischen Strategen Clinton Shartelle an, um der Kampagne »ein bisschen amerikanisches showbiz einzublasen« – und dafür zu sorgen, dass Chief Akomolo die Wahl gewinnt. Beide müssen tief in die (dreckige) Trickkiste greifen, denn auch die CIA arbeitet hinter den Kulissen daran, ihren eigenen Kandidaten um jeden Preis durchzubringen. In Stimmenfang bedient sich Ross Thomas explizit seiner Erfahrungen als politischer PR-Mann und Wahlkampforganisator: In den 1960er-Jahren erhielt er von einer Londoner Agentur den Auftrag, die Präsidentschaftskandidatur des Stammesführers Chief Obafemi Awolowo im gerade unabhängig gewordenen Nigeria zu organisieren. Eine gekürzte deutsche Ausgabe erschien 1970 unter dem Titel "Urne oder Sarg, Sir?" »Die Struktur von Romanen über Betrug und doppeltes Spiel, um politischen oder persönlichen Vorteil, lässt sich auf ziemlich alle Konstellationen übertragen. Das sind uralte Themen, conditio humana, und deswegen werden sie nicht aussterben. Wer stürzt den König, wer setzt ihn auf den Thron? Ich könnte ewig darüber schreiben.« Ross Thomas
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Ross Thomas, Stimmenfang
Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, verarbeitete seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen in seinen Politthrillern, in denen er vor allem die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. In Stimmenfang bediente sich Ross Thomas explizit seiner Erfahrungen als politischer PR-Mann und Wahlkampforganisator: In den 1960er-Jahren hatte er von einer Londoner Agentur den Auftrag erhalten, die Präsidentschaftskandidatur des Stammesführers Chief Obafemi Awolowo im gerade unabhängig gewordenen Nigeria zu organisieren.
Ihm wurde zweimal der Edgar Allan Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimipreis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.
Ross Thomas
Stimmenfang
Ein afrikanischer Wahlkampf
Aus dem amerikanischen Englischvon Gisbert Haefs
Alexander Verlag Berlin
Alexander Verlag Berlin – unabhängiger Verlag seit 1983
Erste vollständige deutsche Ausgabe in neuer Übersetzung.
© für diese Ausgabe by Alexander Verlag Berlin 2025
Alexander Wewerka, Fredericiastr. 8, D-14050 Berlin
[email protected] · www.alexander-verlag.com
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel The Seersucker Whipsaw © 1967 by Ross Thomas
Licensed with Ross E. Thomas, Inc.
Die gekürzte deutsche Erstausgabe erschien 1984 unter dem Titel Urne oder Sarg, Sir? im Ullstein Verlag, Frankfurt a. M./Berlin/Wien.
Lektorat: Marilena Savino
Umschlaggestaltung und Satz: Antje Wewerka
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-89581-641-3 (eBook)
Confound their politics,
Frustrate their knavish tricks …
Old Song
Vereitle ihre Politik,
Durchkreuze ihre Schurkenstreiche …
Altes Lied
FÜR HARRIET
Meine Suche in vier Städten nach Clinton Shartelle endete in Denver, wo er für die Kwikway Truckers auf einem sandigen Baseballfeld Ecke 29th und Champa Shortstop spielte. Er spielte barfuß und hielt im inneren Teil des Spielfelds.
Die Tafel mit dem Spielstand zeigte die letzte Hälfte des neunten Durchgangs an und auch, dass die Truckers mit sechs zu fünf vor den Pueblo Ironmen führten. Am ersten Mal wartete ein Mann der Schlägerpartei auf die Chance, seinen Lauf zu beenden. Die Zuschauerbänke, die an der dritten und ersten Grundlinie entlang standen, waren zu drei Vierteln besetzt: Verwandte und Freunde der beiden Mannschaften und einfach Leute, die ein kostenloses Baseballspiel für einen angenehmen Zeitvertreib an einem warmen Juliabend hielten.
Ich suchte mir einen Sitzplatz neben einem fetten Mexikaner, der aus Zeitungspapier Tamales aß und dem Pitcher Ratschläge gab.
»Hau das Ei weg, Baby!« schrie der Mexikaner, eine gewölbte Hand zur Verstärkung an den Mund gelegt. Wahrscheinlich hatte er Polypen; jedenfalls gab etwas seiner Stimme einen wuchtigen Nachhall, der in der Nachtluft knisterte.
»Wo gibt’s die Tamales?« fragte ich.
»Unten, Block drei, is’n Typ mit nem Wagen«, sagte der Mexikaner. Ich ging hin und kaufte drei Tamales bei einem alten Mann mit weißem Schubkarren auf Fahrradreifen. Zum Einwickeln nahm er The Denver Post, aber die einzelnen Tamales waren in Maisblätter gerollt. Sie kosteten je fünfundzwanzig Cent.
Ich ging zurück zu den billigen Plätzen und setzte mich wieder neben den Mexikaner. Der Pitcher versuchte einen weiteren schnellen Ball, aber der war zu niedrig und ging ins Aus. »Wieso trägt der Mann, der Shortstop spielt, kein Sportzeug?« fragte ich den Mexikaner.
»Moment«, sagte er und rief dem Pitcher noch etwas Aufmunterndes zu. »Der hat vorher mit hier draußen gesessen und zugekuckt, und wie Connors sich den Knöchel verstaucht, geht er zu dem Manager und redet mit dem, und dann geben sie ihm den Handschuh von Connors, und seitdem spielt er mit. Ist auch gar nicht schlecht.«
»Connors ist der normale Short, ja?«
»Isser, hat sich aber den Knöchel verdreht, im zweiten Inning, als er nach nem Sprung doof gelandet ist.«
»Und der große Typ spielt seitdem?«
Der Mexikaner kaute seinen Tamal zu Ende, leckte sich die Finger ab und nickte. »Genau«, sagte er, nachdem er sich gereinigt hatte.
Der Werfer holte weit mit dem Arm aus und gab dem Ball viel Effet. Es ging jetzt um die Entscheidung. Der Schläger erwischte den Ball aber noch mit einem saftigen Schlag, und der Mann vom ersten Mal rannte auf das zweite los. Der hartgeschlagene Ball kam flach ins Feld und prallte in einem nicht vorherzusehenden Winkel vom Boden ab, aber Shartelle erwischte ihn im Sprung und gab ihn mit einer eleganten Drehung in der Luft an den Feldspieler am zweiten Mal weiter, als ob er im ganzen Frühjahr und Sommer nichts anderes getan hätte. Der zweite Baseman schaffte einen guten Wurf zum ersten Mal, pünktlich fürs Double Play.
»Wie finden Sie das?« sagte der Mexikaner.
»Er kann jetzt nach rechts gehen«, sagte ich.
»Nicht schlecht für so nen alten Knacker.«
»Meinen Sie den Shortstop?«
»Der muss an die vierzig sein.«
»Und noch ein paar drüber«, sagte ich und ging von den billigen Plätzen nach unten zur Bank der Kwikway Truckers.
Ich war Clinton Shartelle noch nie begegnet, hatte aber Bilder von ihm in dem umfangreichen Dossier gesehen, das die Agentur zusammengestellt und in Leder hatte binden lassen, wodurch es beinahe einer Präsentation von Anaconda Copper glich. Kleinlich waren wir bei der Agentur nicht. Die Bilder waren überwiegend Pressefotos, grobkörniges Zeug von AP, UPI’s Wide World, Black Star und den übrigen kommerziellen Häusern. Auf fast allen befand sich Shartelle im Hintergrund, anscheinend nur zufällig im Bild, knapp rechts hinter den Hauptpersonen. Auf den meisten Aufnahmen machte er ein besorgtes Gesicht, als versuchte er sich zu erinnern, ob er den Grill ausgemacht hatte. Auf anderen stand er neben verschiedenen Männern – jung, alt und mittleren Alters –, die strahlten, wenn auch mit irgendwie glasigen Augen, oder ein leeres Lächeln aufsetzten und kleine Siegesgesten machten: Daumen und Zeigefinger, die ein O bildeten, oder zum Boxergruß über dem Kopf gefaltete Hände.
Die Bilder zeigten Shartelle als Mann mit einem Gesicht in der Form eines verbeulten Herzens. Sein Kinn endete in einer groben Spitze, über die sich ein breiter Mund zog. Seine Nase war auf der richtigen Spur, bis sie etwa die Hälfte der vorgesehenen Strecke zurückgelegt hatte, wo sie dann leicht nach links abbog. Es war eine gute Nase, eine kräftige Nase. Auf den Bildern waren seine Augen dunkel und blickten direkt, die linke Augenbraue immer gehoben, was ihm einen fragenden Ausdruck gab. Falls dieses Gesicht überhaupt etwas verriet, dann eine Art amüsierter Besorgnis, die noch nicht zynisch war, aber kurz davor.
Als ich ihn erreichte, frottierte er sich mit einem Handtuch das kurzgehaltene Haar, das sein Markenzeichen war. Der Schopf lief oberhalb der Stirn spitz zu und war schneeweiß, seit seinem neunzehnten Lebensjahr.
»Gut gespielt, Mr. Shartelle«, sagte ich.
Er drehte sich um und sah mich an. »Für einen Scout der Pittsburgh Pirates sind Sie ein bisschen zu jung«, sagte er. »Aber es ist nett, einem Mann in meinen Jahren so etwas zu sagen.«
»Sie haben den Ball prima gefangen und gut weitergegeben. Ich bin Peter Upshaw.«
Er legte das Handtuch auf eine Bank, und wir schüttelten uns die Hand. »Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Upshaw.«
»Ich suche Sie seit fünf Tagen. Sie kommen gut herum.«
»Sie lassen sich Zeit, Mr. Upshaw, aber Sie schaffen es.«
Ich lächelte. »Ein Überbleibsel aus meiner College-Zeit, als ich Versicherungen verkauft habe.«
»Und was verkaufen Sie jetzt?«
»Nichts. Ich arbeite für Padraic Duffy. In London.«
»Den Duffy?«
»Denselben.«
Shartelle nickte und blickte auf, als die Lampen des Baseballplatzes gelöscht wurden. »Und wie geht es dem armen irischen Jungen aus Chicago, der unbedingt Englands nobelster Lord werden will?« Es schien ihn nicht wirklich zu interessieren.
»Er war neulich einen Monat in New York. Wir haben alle gehofft, dass man sich ebenso gefreut hat, ihn da zu haben, wie wir uns gefreut haben, dass er dort war.«
»Er hat sich also nicht geändert, nehme ich an?«
»Nein, er hat sich nicht geändert.«
Shartelle warf mir einen abschätzenden Blick zu und nickte wieder leicht. »Und die Initialen hat er auch nicht geändert?«
»Nein. Sie stehen immer noch für Duffy, Downer und Theims. Limited.«
»Erfolgreich, wie ich höre.«
»Sehr.«
»Padraic Francis Duffy – oder Pig, wie wir ihn genannt haben.«
»Jetzt züchtet er welche, falls Sie das interessiert.«
»Sieht ihm ähnlich«, sagte Shartelle. »Schweine züchten, nur um zu beweisen, dass ein Schweinestall, solange er irisch ist, ein Kunstwerk sein kann. Chester Whites?«
»Poland Chinas.«
Shartelle zog ein Päckchen Picayunes aus der Tasche und bot mir eine an.
»Ich wusste nicht, dass die noch hergestellt werden«, sagte ich.
»Man kann sie in Tabakläden kriegen, Läden, die nur Tabakwaren verkaufen. Die meisten Drugstores führen sie nicht.«
»Sie sind stark.«
»Mir wird es hier ein bisschen kühl«, sagte Shartelle. »Wollen wir nicht in mein Hotel gehen? Da kann ich duschen, und dann können Sie Ihren Spruch aufsagen.« Er sah sich auf dem verlassenen Baseballplatz um. »Irgendwie finde ich, das ist nicht der richtige Ort, um einen Vorschlag von Pig Duffy zur Kenntnis zu nehmen.«
Shartelle hatte eine kleine Suite im alten Teil des Brown Palace Ecke 16. und Broadway. Sie bot einen Blick auf die Berge, war in einer Mischung aus italienischem Landhausstil und Mid-Century Modern eingerichtet, wies etwa zwei Dutzend Bücher und einen üppigen Getränkevorrat auf. Es sah aus, als hätte er sich zu einem langen Aufenthalt niedergelassen.
»Sind Sie verheiratet, Mr. Upshaw?«
»Nicht mehr.«
»Na ja, ich schätze, diese Lebensweise wird einen verheirateten Mann kaum reizen.«
»Wahrscheinlich hängt das davon ab, wie lange er verheiratet ist.«
Shartelle grinste. »Könnte glatt sein. Machen Sie sich doch einen Drink, während ich dusche. Im Kühlschrank ist ein Kübel mit Eis, und der Kühlschrank ist die unterste Tür von dem Ding da, das wie ein escritoire aussieht.«
Ich goss eine Portion Virginia Gentleman in ein Glas, ließ zwei Eiswürfel hineinplumpsen, wobei etwas von dem Whiskey aus dem Glas spritzte, fügte Wasser hinzu und ging zum Fenster hinüber, um zu sehen, was das Gebirge bei Nacht zu bieten hatte. Hoch oben waren ein paar Lichter, aber bei Nacht sah Denver fast so aus wie Birmingham, New Orleans und Oklahoma City, die drei anderen Städte, wo ich nach Clinton Shartelle gesucht hatte.
Er kam aus dem Schlafzimmer und trug ein weißes Hemd, eine gelb, grün und schwarz gestreifte Krawatte, die rechtmäßig den Lancashire Fusiliers gehörte, eine dunkelgraue Flanellhose und schwarze Halbschuhe. Sein dichtes weißes Haar war gebürstet und lag eng am Kopf in einem feuchten, ordentlichen Stapel.
»›Denver‹, hat ein früher Siedler mal bemerkt, ›besitzt pro Quadratmeter mehr Sonnenschein und Hurensöhne als jeder andere Ort in den Vereinigten Staaten.‹ Er könnte recht gehabt haben. Jedenfalls würde sich Pig Duffy hier ganz zuhause fühlen.« Er ging hinüber zum falschen Schreibtisch und ließ ein wenig Eis in ein Glas fallen. »Wie ich sehe, haben Sie was zu trinken, Mr. Upshaw.«
»Alles bestens.«
Er setzte sich auf einen Stuhl mit Armlehnen und trank einen Schluck Whiskey. Aus der Ferne mochte er wie sechzig wirken, bis man sah, wie er sich bewegte. Dem Dossier nach war er dreiundvierzig. Aus der Nähe, wenn man das Haar ignorierte, sah er aus wie zweiunddreißig oder dreiunddreißig, trotz des breiten Munds und der krummen Nase. Ich schloss, es müsse an seinen Augen liegen. Man hat viel Unsinn über kindliche Blicke geschrieben, aber Shartelle schien die Welt mit den grauen, lernbegierigen Augen eines Neunjährigen zu betrachten, dem man gesagt hat, er müsse den unter einer Parkbank gefundenen zehn-Dollar-Schein sparen. Zwar weiß er, dass er nie wieder einen finden wird, er weiß aber auch, wenn doch, dann wird er es nie wieder einem sagen.
»Was für eine Rolle spielen Sie denn in Duffys Charade, Mr. Upshaw?«
»Ich bin leitender Mitarbeiter.«
»Welche Sparte?«
»Public Relations.«
»In London?«
»Ja.«
»Beim Duschen habe ich über Ihren Namen nachgedacht. Vor langer Zeit haben Sie mal eine Artikelserie über Ungarn geschrieben.« Er nannte die Zeitung, für die ich gearbeitet hatte.
»Stimmt. Das ist lange her.«
»Und jetzt sind Sie also Hausschreiber für Pig Duffy?«
»In diesem Jahr werden wir ›Public-Relations-Praktiker‹ genannt.«
»Wie haben Sie mich gefunden?«
»Ich habe mich beim National Committee in Washington erkundigt. Die hatten einen ungefähren Reiseplan. Ich habe Sie nur immer verpasst. Meine Anweisung lautet, Ihnen den Vorschlag persönlich zu unterbreiten, nicht am Telefon.«
Shartelle stand auf und ging zum Fenster, durch das man das nächtliche Panorama von Denver sah. »Und wie lautet Pigs Vorschlag?«
»Er sagte mir, ich sollte zuerst das Honorar erwähnen.«
»Sieht ihm ähnlich.«
»Es sind dreißigtausend.«
»Oh?«
»Pfund, nicht Dollar.«
»Ich sage noch einmal ›Oh!‹ und lege ein gewisses Interesse hinein.«
»Das kann ich Ihnen nicht verübeln.«
»Eine Wahlkampagne?«
»Ja.«
Shartelle wandte sich vom Fenster ab und sah mich an. »Wo?«
»In Afrika.«
Er lächelte, und das Lächeln wuchs zu einem Lachen. Einem entzückten Lachen. »Ich will verdammt sein«, sagte er, verschluckte sich und lachte abermals. »Hol mich der Teufel! Niemand außer diesem Hundesohn aus einem irischen Slum würde sich das zutrauen.«
»Er hat einiges einzusetzen.«
»Mr. Upshaw, er hat Mumm – Klöten wie aus Eisen. Ich habe im Lauf der Jahre einige Leute gesehen, die gern hoch pokern, aber was absolute Dreistigkeit angeht, kann keiner dem Landedelmann Padraic Duffy das Wasser reichen.«
»Er redet gut über Sie«, sagte ich in wackerer Verteidigung meines Arbeitgebers.
Shartelle zog einen Stuhl näher an meinen heran, setzte sich, beugte sich dann vor und klopfte mir aufs Knie. »Das sollte er wohl auch, Mr. Upshaw. Bei Gott, das sollte er! Sie wissen nichts über den ollen Pig Duffy und mich, und die Geschichte ist zu lang, um sie jetzt zu erzählen; ich will aber soviel sagen: Er sollte wirklich gut über mich reden.«
»Er sagt, Sie hätten ein- oder zweimal zusammengearbeitet.«
»Hat er Ihnen vom letzten Mal erzählt?«
»Nein.«
»Ich glaube nicht, dass er vielen Leuten davon erzählt, aber als die Sache beendet war, habe ich ihm gesagt, so wie ich jetzt mit Ihnen rede, wenn er meinen Namen je auch nur im selben Atemzug mit seinem erwähnte, würde ich ihm endgültig die Lampe auspusten.« Er klopfte mir noch einmal aufs Knie. »Und das habe ich ihm gesagt wie ein Südstaaten-Gentleman dem anderen.«
»Duffy ist aus Chicago«, sagte ich.
»Nicht, wenn er in New Orleans ist, nein. In New Orleans sagt er den Leuten, er wäre aus Breaux Bridge. Wo kommen Sie her, Mr. Upshaw?«
»North Dakota, Fargo.«
»Also, wenn Pig nach Fargo käme, würde er da behaupten, er wäre aus Mandan. Oder Valley City.«
»Sie kennen North Dakota?«
»Junge«, sagte er, »in diesem Land gibt’s verdammt wenig Orte, die ich nicht kenne. Und wenn ich Sie ›Junge‹ nenne, dann ist das nur meine absichtlich schlichte Art zu reden, bei der sich die Leute offenbar wohl fühlen und meinen, ich wäre nicht zu helle, was ich vermutlich auch nicht bin.«
»Nennen Sie mich Pete.«
»Hatte ich vor.«
»Ich glaube, ich möchte noch einen Drink.«
»Nur zu. Also, was ist das mit Afrika?«
Ich bediente mich wieder beim Virginia Gentleman. »Duffy ist aufgefordert worden, die Strategie, die Leitung der Kampagne und die Öffentlichkeitsarbeit für Chief Sunday Akomolo zu übernehmen, der Premier von Albertia werden möchte, wenn das Land am nächsten Labor Day von der Krone unabhängig wird.« Danach musste ich Luft holen.
»Wer ist Chief Akomolo?«
»Der Führer der zweitgrößten politischen Partei des Landes, der National Progressives.«
»Wie viele liegen im Rennen?«
»Es gibt vierzehn Parteien – aber nur drei von denen zählen.«
»Wie kommt es, dass Duffy dazu aufgefordert wurde?«
»Kakao. Er hat den Werbeetat des Cocoa Marketing Board an Land gezogen und seine übliche Promotion durchgezogen.«
Shartelle nickte. »Ich habe davon gehört. Die Kakao-Futures sind dadurch ziemlich in Bewegung geraten.«
»Eine Zeitlang war Kakao ein reichlich volatiler Rohstoff«, sagte ich etwas salbungsvoll. »Chief Akomolo gehört dem Cocoa Board von Albertia an, ist Duffy begegnet und hatte die Idee.«
Shartelle stand auf und ging wieder zum Fenster. »Okay, kurz und knapp: Wie hoch ist der Einsatz, um den es geht?«
»Kein Limit. Das Land hat zwanzig Millionen Einwohner – vielleicht eine Million mehr oder weniger. Es hat einen der besten Häfen an der Westküste. Es hat Öl, das noch nicht angetastet wurde, Bodenschätze, eine solide Landwirtschaft und eine eingebaute Zivilverwaltung, die noch hundert Jahre und einen Tag lang funktionieren wird, ehe sie zusammenbricht oder jemand vergisst, eine Akte abzulegen. Dafür haben die Briten gesorgt.«
»Wer zählt die Stimmen aus?«
»Die Krone.«
»Dann wird also der Bursche, der diesmal durchkommt, beim nächsten Mal die Stimmen auszählen.«
»Vermutlich.«
»Es wird also tatsächlich nur einmal eine Wahl geben, die erste, weil beim nächsten Mal die, die drin sind, dafür sorgen werden, dass es keine weitere mehr gibt.«
»Sie kennen sich offenbar mit der afrikanischen Politik aus.«
»Nein, ich kenne mich mit Politik überhaupt aus. Ich habe sie mein Leben lang studiert. In manchen Kreisen werde ich als führende Autorität angesehen, und das sage ich in aller Bescheidenheit.«
»Ihre Erfolgsbilanz ist beeindruckend, habe ich mir sagen lassen.«
»Was ist für Duffy drin?«
»Nicht so viel, wie Sie vielleicht glauben. Das Gesamtpaket beträgt fünfhunderttausend Pfund. Ihr Anteil wären dreißigtausend, wie gesagt.«
»Und wenn der Häuptling gewinnt?«
Ich blickte zur Decke. »Weiß ich wirklich nicht. Sagen wir einfach, es gibt wahrscheinlich ein stillschweigendes Übereinkommen, dass dann alles an DDT fällt – Werbung, Propaganda, Beratung, Marketing, Entwicklungsstudien – einfach alles.«
»Wieviel macht das alles zusammen aus, nach Ihrer Schätzung?«
Ich hob die Schultern. »Ich glaube, einen Jahresumsatz von zwanzig Millionen.«
»Dollar?«
»Pfund.«
Shartelle gluckste und schüttelte langsam den Kopf. »Na, ist das denn nicht was? Der alte Pig hat sich einen Niggerkandidaten von sechsundfünfzig Millionen Dollar pro Jahr eingehandelt und ruft um Hilfe. Mich. Das ist wirklich was.«
»Er hat gesagt, dass Sie das sagen würden.«
»Was?«
»Niggerkandidat.«
»Stört es Sie?«
»Mich stört nicht sehr vieles, Mr. Shartelle.«
»Junge, lassen Sie sich eines sagen.«
»Was?«
»Pig würde es nicht stören.«
Das folgende Schweigen zog sich hin. Ich zündete mir eine Zigarette an, eine anständige Lucky Strike, und rauchte sie ohne Freude, während Shartelle mich mit einem leichten Lächeln ansah. Es war das gleiche Lächeln, mit dem er einen Fünfzehnjährigen bedacht hätte. Dagegen war nichts einzuwenden; ich kam mir wie dreizehn vor.
»Also, wir können die ganze Nacht hier sitzen, und Sie können weiter abfällige Bemerkungen über Duffy machen, aber er bezahlt mein Gehalt. Regen Sie sich also nicht auf, wenn ich nicht mitsinge.«
Shartelle grinste. »Na na, Pete, Sie sind nur stinkig, weil ich von Niggern geredet habe, oder etwa nicht?«
»Nein«, sagte ich. »Ich bin nicht stinkig.«
»Also, Junge, ich könnte jetzt meine Mitgliedskarten beim NAACP und CORE raussuchen und sie Ihnen zeigen. Oder Ihnen freundliche Briefe in die Hand drücken, die mir ein paar meiner farbigen Freunde geschrieben haben, die bei dem ganzen Bürgerrechte-Tamtam sehr aktiv waren. Oder als Gentleman aus dem Süden könnte ich Ihnen sagen, dass ich die Farbigen kenne, weil ich mit ihnen aufgewachsen bin, was stimmt, oder dass ich eine gute alte farbige Mammy hatte, die ich mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt geliebt habe, was auch stimmt. Ich könnte direkt vor Ihren Augen Beweise vorführen – echte Beweise –, dass ich wahrscheinlich der größte Niggerfreund auf der Welt bin, und als Zugabe könnte ich Ihnen in allen Einzelheiten eine bildschöne Mulattin beschreiben, die ich in Chicago umworben habe und wahrscheinlich geheiratet hätte, wenn sie nicht mit einem glattzüngigen Verkäufer für Feuerwehrautos abgehauen wäre. Er war Jude, glaube ich. Wenn ich also Nigger sage, dann nur, weil ich es nicht ertrage anzuhören, wenn ein breitmäuliger Bursche wie ich aus Opelousas oder Natchez versucht, Nee-ger zu sagen, und ihm das Wort wie eine Gräte in der Kehle stecken bleibt. Wenn ich Nigger sage, hat das überhaupt nichts zu bedeuten, ich halte mich nämlich an Shartelles Theorie der Rassenbeziehungen, und Shartelles Theorie wurde auf Grund von verdammt vielen Erfahrungen mit ebenso vielen Schwarzen wie Weißen gebildet und geformt, und, Junge, Sie kommen damit in den Genuss der Ergebnisse langer Stunden ernsthaften Nachdenkens und anstrengender Studien, und ich bin gewiss keiner, der für Introspektion viel übrig hat. Ich bin, wie Sie vielleicht bemerkt haben, mit einer extrovertierten Persönlichkeit gesegnet.«
»Ist mir aufgefallen.«
»Gut denn. Shartelles Theorie für harmonische Rassenbeziehungen ist einfach und gradlinig. Meine Theorie besagt, dass wir entweder den Niggern ihre Rechte zuerkennen müssen – nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern jedes verdammte Recht, das es gibt, vom Wählen bis zum Huren, dass wir ihnen all diese Rechte einräumen müssen und ihr Recht darauf durch Gesetze erzwingen müssen, und damit meine ich scharfe Gesetze, die das FBI auf den Plan rufen, bis jeder einzelne von ihnen ebenso gleichberechtigt ist wie Sie weißer, angelsächsischer Mittelschicht-Protestant. Ich habe entweder gesagt, und das meine ich ernst. Entweder Sie geben ihnen das Recht, Ihre Tochter zu heiraten, falls Sie eine haben, und sorgen dafür, dass sie nicht nur die gleichen Rechte auf sozialen Status und Bildung haben, sondern auch die gleichen wirtschaftlichen Rechte – die gleichen Mittel und Möglichkeiten wie Sie, draußen in einer dieser schönen Vorstadtsiedlungen nach ihrem Glück zu streben statt in einem Slum. Und dann werden sie genauso sein wie ihr Weißen mit all euren gesunden moralischen Werten, eurer christlichen Tugend und eurer kostbaren Zusammengehörigkeit. Selbstverständlich verlieren sie dabei vielleicht irgendwas, so etwas wie Kultur, aber das hat nichts zu bedeuten. Also ich sage, entweder tun wir das für sie – machen sie wie alle anderen auch – oder, bei Gott, wir sollten sie in den Boden rammen wie Zeltpflöcke!« Shartelle schmetterte die Faust auf den Tisch, um mir zu demonstrieren, wie Zeltpflöcke in den Boden gerammt werden.
»Was meinen Sie mit ›euren‹ Rechten auf sozialen Status, Shartelle? Sie stecken doch ebenso tief drin.«
»Aber nein, Junge. Meine Urgroßmutter war eine niedliche kleine Oktorone aus New Orleans. Jedenfalls hat mein Daddy mir das erzählt. Und dadurch bin ich zu einem Vierundsechzigstel farbig, was in den meisten Südstaaten mehr als genug ist. Also, wer hat ein größeres Recht, Nigger zu sagen als wir Nigger?«
»Sie nehmen mich auf die Schippe, Shartelle.«
»Vielleicht tue ich das, Junge, aber ganz sicher werden Sie es nie wissen, oder?« Er machte eine Pause und grinste hämisch. »Aber Sie werden doch nicht behaupten wollen, dass das irgendetwas zu bedeuten hätte, wie?«
Am nächsten Morgen frühstückten wir zusammen. Shartelle hatte gesagt, er wolle Duffys Vorschlag in der Nacht studieren. »Ich werde ihn überaus gründlich erwägen, wie ein Kongressabgeordneter einem Wähler schreibt, der eine Brücke über den Grand Canyon plant.«
Beim Frühstück trug er einen dunklen, karierten, perfekt gebügelten Anzug, ein blaues Oxfordhemd mit Button-Down-Kragen und eine blau-schwarz gestreifte Krawatte, die er bei einem anderen englischen Regiment geliehen haben musste. Wir bestellten Würstchen, Eier, Toast, Kaffee und Milch für Shartelle. Er bestellte gewöhnliche Spiegeleier, ich auf beiden Seiten gebratene.
»Ich habe in der Nacht ein paar Telefongespräche geführt, Pete«, sagte Shartelle und strich Butter auf ein Stück Toast.
»Mit wem?«
»Ein paar Leuten in New York. Pig hat da ein bisschen angegeben. Das war zu erwarten. Aber es gibt etwas anderes, was Sie interessieren könnte – Sie werden auf Opposition stoßen.«
»Welcher Art?«
»Eine andere Agentur.«
Ich machte ein Gesicht wie Eisenhower, als man ihm sagte, MacArthur sei gefeuert. »Wen?«
»Renesslaer.«
»Oh. Oder vielleicht sollte ich sagen oh, oh.«
»Genau meine Reaktion«, sagte Shartelle. »Der Name Renesslaer trifft bei mir einen Nerv. Wie wenn ein Schuljunge mit den Fingernägeln über die Wandtafel kratzt.«
Ich überlegte einen Augenblick. »Sie haben Niederlassungen in London, Stockholm, Kopenhagen, Brüssel, Paris, Madrid, Frankfurt, Zürich, Rom, in einem Dutzend Städten in den Staaten, in Hongkong, Bombay, Tokio und Manila. Welche habe ich ausgelassen?«
»Toronto, Sydney und Johannesburg.«
Es gibt alle möglichen Werbe- und PR-Agenturen. Einige sind verzweifelte Ein-Mann-Unternehmen, die von den Provisionen leben, die ihnen ähnlich verzweifelte Radiosender und Verlage zahlen. Es gibt die schnellen, hitzigen Agenturen, die mit einem Erfolgsfeuerwerk starten und dann sanft in den gewöhnlichen Ablauf der Geschäftswelt gleiten, ganz wie Hersteller von Badarmaturen. Und dann gibt es Agenturen wie Duffy, Downer, and Theims, Ltd., Multimillionen-Dollar-Konzerne, die dank Charme, Genie, Überschwang und der Geschäftsmoral eines bankrotten Zirkus laufen. Schließlich gibt es noch etwa ein Dutzend Agenturen, deren Größe, Finanzkraft und Rücksichtslosigkeit nur ihrem überwältigenden Verständnis für Mittelmäßigkeit gleichkommt. Diesen Agenturen und den sie umschwärmenden Lotsenfischen verdankt die Nation das gegenwärtige Niveau ihres Fernsehens, Radios und des größten Teils der so profitabel exportierten amerikanischen Subkultur.
Von diesem runden Dutzend Agenturen war Renesslaer die dritt- oder viertgrößte, und während die meisten von ihnen ihr Vermögen mit der Befolgung von Menckens Gesetz machten und alles auf den schlechten Geschmack des amerikanischen Publikums setzten, hatte Renesslaer ein Weltgewissen entwickelt.
»Mit dieser Agentur haben sie eine weltweite Abteilung für öffentliche Angelegenheiten eingerichtet«, sagte Shartelle düster. »Und sie kombiniert die übelsten Aspekte von Moralischer Aufrüstung, Friedenskorps und internationalen Rotariern. Sie haben einen Vortrags-Service, der bei einem garantierten Publikum von fünfhundert Zuhörern innerhalb von zwölf Stunden einen Redner an jeden Ort der Welt fliegt. Und der hält den Vortrag in der Sprache der Zuhörer. Sie haben Büros für Ozeanien, Südwestafrika, Italien und Island. Soviel ich weiß, auch eins für die Antarktis.«
»Ich habe davon gehört«, sagte ich. »Sie verschicken den Text der Vorträge überall hin. Sie sind übersetzt und kommen überall in der Welt an dem Tag an, an dem der Vortrag gehalten wird. Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele davon gedruckt werden.«
Shartelle schenkte uns aus der Zinnkanne Kaffee nach. Er trank ihn schwarz, ich nahm Zucker.
»Mir fällt ein, dass sie voriges Jahr diese spezielle Wahl in Kalifornien bearbeitet haben«, sagte er.
»Für welche Seite?«
»Sie hatten den Typen, der früher im Film den Schurken gegeben hat. Der Mann, der immer der Gute war, hat um eine halbe Million Stimmen verloren.«
»Waren Sie mit von der Partie?« fragte ich.
»Hätte ich sein können, aber ich hatte ein bisschen rumgeschnüffelt, und mir war das alles zu riskant. Wie diese Halbirren abstimmen, kann ich nicht kalkulieren. Aber offenbar hat Renesslaer es geschafft, dass genug von denen im letzten Moment die Seite wechseln.«
Ich malte mit meinem Löffel ein paar Muster auf die Tischdecke. Shartelle war stumm und distanziert.
»Wer ist Renesslaers Klient?« fragte ich.
Shartelle wühlte in seiner Jackentasche und zog ein Stück Papier heraus. »Ich habe mir den Namen aufgeschrieben, wollte Sie nach ihm fragen. Renesslaers Klient ist Hadschi Sir Alakada Mejara Fulawa. Er stammt aus Nord-Albertia, wie man mir sagte. Was bedeutet Hadschi?«
»Das bedeutet, dass er nach Mekka gepilgert ist.«
»Soll das heißen, dass Renesslaer einen Nicht-Christen als Kandidat hat? Was wissen Sie sonst noch von ihm?«
»Er wurde in England erzogen und spricht Englisch mit perfektem Oxfordakzent, wenn es so etwas gibt. Er ist reich – ich meine damit die Sorte reich mit Privat-Jet und einer Flotte Rolls-Royce. Er ist der natürliche Herrscher über sieben Millionen Albertianer und lebt in einem Palast unmittelbar südlich der Sahara, der etwas von Tausendundeine Nacht hat. Die Briten lieben ihn, weil er die Unruhestifter in Schach gehalten hat.«
»Und Pig Duffy will, dass ich nach Albertia gehe und die Wahlkampagne für den alten Häuptling leite – wie heißt er gleich … Akomolo – und auch noch Sunday Akomolo –, gegen diesen Araber Hadschi Sir Alakada Mejara Fulawa. Also, ist das nicht ein Name, der einem einfach nur so von der Zunge rollt?«
»Soviel ich gehört habe, hat er schon ein paar Zungen ausreißen lassen.«
Shartelle schüttelte langsam den Kopf, ein breites, boshaftes Grinsen auf dem Gesicht und schieres Entzücken in den Augen. »Ich sage Ihnen, Petey, das ist Richard Halliburton und Rudolph Valentino und Tarzan zu einem Paket zusammengepackt und mit einem hübschen blauen Band fest verschnürt. Mann, das ist außenpolitische Intrige und Madison Avenue und Trader Horn und Afrika! Und Pig Duffy sitzt da mitten drin, tappt herum und quiekt um Hilfe, und dann kommt der alte Clinton Shartelle, mit Tropenhelm und Buschhemd ausstaffiert, zur Rettung angestürmt. Mann, ist das schön!«
»Nennen Sie mich Peter«, sagte ich. »Nennen Sie mich Pete oder Mr. Upshaw oder Hey, Sie, aber um Gottes willen, nennen Sie mich nicht Petey!«
»Aber Junge, Sie reagieren schon wieder empfindlich auf meine Art zu reden.«
»Ach, zum Teufel, nennen Sie mich, wie Sie wollen.«
»Also, ich nehme an, dass Sie bei der Kampagne für Häuptling Akomolo mitarbeiten werden.«
Ich nickte. »Ich habe den kurzen Strohhalm erwischt.«
»Was genau soll Ihre Aufgabe sein?«
»Schreiben. Falls jemand da ist, der es liest.«
»Ah, das ist sehr schön. Was für ein Schreiber sind Sie, Pete?«
»Ein schneller. Nicht gut, bloß schnell. Wenn ich nicht schreibe, kann ich die Bleistifte spitzen und die Drinks mixen.«
»Und was genau erwartet Pig von mir?«
Ich sah ihn an und grinste. Es war das erste Mal an diesem Morgen, dass ich lächelte. »Mr. Duffy sagte, er möchte gern, dass Sie – und ich zitiere – ›der Kampagne ein bisschen amerikanisches Rambazamba einblasen‹.«
Shartelle lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte zur Decke hinauf. »Hat er das gesagt? Was hätte ich Ihrer Meinung nach zu tun?«
»Sie haben den Ruf, in den USA der beste Manager von Kampagnen zu sein, bei denen es um Hauen und Stechen geht. Sie können ehrlich Anspruch erheben auf sechs Bürgermeister von Metropolen, fünf Gouverneure, drei Senatoren und neun Kongressabgeordnete. In vier Staaten haben Sie die Verkaufssteuer abgeschafft und in einem haben Sie sie durchgebracht. In zwei Staaten haben Sie eine Ölabgabesteuer durchgebracht und in einem davon dafür gesorgt, dass die daraus resultierenden Einnahmen für den Schulbau verwendet werden. Mit anderen Worten, Sie sind der beste Mann, der zu haben ist, und Padraic Duffy lässt Ihnen ausrichten, dass er das gesagt hat. Sie sollen alles tun, was getan werden muss, damit Häuptling Akomolo gewählt wird.«
»Ich will Ihnen was sagen, Pete. Ich bin gerade am Ende einer sentimentalen Reise, wie man es nennen könnte.«
»Wieso das?«
Shartelle griff nach der Rechnung, zeichnete sie ab und stand auf. »Machen wir einen kleinen Spaziergang.«
Wir verließen das Hotel und gingen den Broadway in Richtung zur Colfax hinauf. Shartelle paffte eine seiner Picayunes.
»Bei dem Baseballspiel gestern Abend bin ich rein zufällig vorbeigekommen, kurz nachdem ich ein Haus gekauft hatte«, sagte er. »Für einen alten Sack war ich gar nicht so schlecht.«
»Sie sind dreiundvierzig. Kennedy hat mit dreiundvierzig Touch Football gespielt, mit schlechtem Rücken.«
»Ich gebe zu, ich bin halbwegs rüstig, aber das verdanke ich alles jugendlicher Weisheit und meinen frühreifen Lesegewohnheiten.«
»Sie haben vorhin eine sentimentale Reise erwähnt«, sagte ich. »Ist ungefähr einen Block her.«
»Die sentimentale Reise hängt mit meiner Jugend zusammen. Ich habe einmal hier in dieser Stadt gewohnt, wissen Sie.«
An der Colfax bogen wir ab, Richtung Capitol mit seiner goldenen Kuppel, an dem sich eine Markierung befindet, die besagt, dass genau diese Stelle der Stadt Denver 1609 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Eine Meile hoch und immer eine Meile voraus.
»Von 1938 bis 1939 habe ich hier gewohnt, in einem Haus mit meinem Daddy und einer Freundin von ihm. Nicht weit von dem Baseballplatz entfernt, der – wie Sie vielleicht bemerkt haben – in einer etwas kümmerlichen Umgebung liegt. Damals war es das reine Elendsviertel. Ich war sechzehn, siebzehn Jahre alt. Mein Daddy und ich waren im Herbst aus Oklahoma City hergekommen, in einem großen schwarzen 39er LaSalle Coupé. Wir sind ins Brown Palace gezogen, und mein Daddy hat ein Stück Land bei Walsenburg gepachtet, sich eine Bohranlage und eine Mannschaft beschafft und drei der tiefsten trockenen Löcher gebohrt, die es je gab.«
Shartelle fasste mich am Arm und steuerte mich in einen Drugstore. Wir setzten uns in eine Nische und bestellten noch einmal Kaffee.
»Tja, Sir, mein Daddy ging wieder mal pleite. Er hatte in Oklahoma City geräubert und für zehn Produzenten in den Feldern im Osten etwas zustande gebracht und hatte die Taschen voll Geld, wenn er auch dafür wegen wilden Bohrens eine Weile sitzen musste. Er hat das Blaue vom Himmel heruntergelogen, dass es in Colorado Öl gäbe. Und er hatte natürlich recht. Er hatte nur an der falschen Stelle gebohrt.«
Die Kellnerin brachte uns den Kaffee. Shartelle rührte in seinem. »Wir sind aus dem Brown Palace ausgezogen und haben dieses Haus gemietet, das ich gestern gekauft habe. Ich und mein Daddy und seine Freundin. Sie hieß Golda Mae, ein hübsches kleines Ding. Es waren wirklich schwere Zeiten, aber ich habe einfach mit meinen Lektionen weitergemacht und meinen Daddy sich um die Finanzen sorgen lassen.«
»Was für Lektionen?« fragte ich.
»Mein Charles-Atlas-Fernstudium, Junge. Ich habe den ganzen Kursus über dynamische Spannungen durchgenommen. Eine Anzeige aus TheSpider ausgeschnitten und ihn bestellt. Das war, als mein Daddy in Oklahoma City gut bei Kasse war. Verdammt, es war nichts anderes als Isometrie, das gleiche, was sie heute alle machen, aber ich habe die Lehrbriefe befolgt, als ob sie das Evangelium wären, und deswegen bin ich heute so fit.«
»Und was wollen Sie mit dem Haus machen, das Sie gekauft haben?«
Shartelle legte eine Hand vor sich auf den Tisch und machte eine abrupte Wischbewegung. »Jetzt drängen Sie mich nicht. Wenn ich etwas erzähle, dann auf meine Weise. Bald nachdem das Geld alle war, ist Golda Mae weitergezogen, und danach waren wir nur noch mein Daddy und ich. Es hat mir leidgetan, dass sie gegangen ist, sie war nämlich wirklich eine sehr angenehme Person. Eines Tages also ruft mein Daddy mich zu sich und sagt: ›Mein Sohn, ich verdiene nicht genug für uns beide, deshalb wirst du wohl eine Zeitlang selbst für dich sorgen müssen. Aber ich sag dir was: Du kannst den LaSalle haben.‹
Das war von ihm ein großzügiges Angebot, wenn auch wertlos. Wissen Sie, es war Winter, und wir hatten nicht genug Geld für Frostschutzmittel, deshalb ist der Zylinderblock vom LaSalle eingefroren und geborsten. Er war aber das Einzige, was er anzubieten hatte, und er hat das Angebot gemacht, und wir haben nicht über die Tatsache gesprochen, dass der LaSalle keinen Heller wert war. Ich habe mich bei ihm bedankt und das Angebot höflich abgelehnt – so, wie er es mir beigebracht hatte.« Shartelle machte eine Pause und rührte noch ein wenig in seinem Kaffee. »Gestern habe ich also das Haus in Denver gekauft, und vorher drei andere in New Orleans, Birmingham und Oklahoma City. Das sind die vier, in denen mein Daddy und ich am längsten gewohnt haben. Jetzt gehören sie mir, und wann immer ich Lust dazu habe, kann ich hineingehen und die Zimmer ansehen und mich an frühere Zeiten erinnern, oder auch nicht.«
»Wollen Sie in diesen Häusern wohnen?« fragte ich.
»Nein, ich werde der Hauswirt sein. Ich vermiete sie für einen Dollar im Jahr an arme Farbige. Die einzige Bedingung ist, dass ich jederzeit kommen und mich darin umschauen kann. Das ist doch nicht zuviel verlangt, oder?«
»Für einen Dollar im Jahr nicht.«
»Das habe ich mir gedacht.«
Wir standen auf. Ich bezahlte an der Kasse, und wir gingen über die Colfax zum Broadway zurück. Es war ein heller, kühler Julimorgen in Denver, und ich sah mich um und versuchte mir vorzustellen, wie es gewesen war, als vor siebenundzwanzig Jahren ein Siebzehnjähriger aufgefordert wurde, in seinem Erbteil loszufahren – allerdings hatte das Erbteil einen geborstenen Zylinderblock.
»Was ist aus Ihrem Vater geworden?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Wir haben uns nach einiger Zeit aus den Augen verloren. Ich habe seit fünfundzwanzig Jahren nichts von ihm gehört.«
»Haben Sie je versucht, ihn zu finden?«
Shartelle sah mich an und lächelte. »Kann ich nicht behaupten. Finden Sie, ich hätte es versuchen sollen?«
»Wie soll ich das wissen?«
Wir gingen schweigend weiter. Dann fragte Shartelle: »Wie bald will Pig mich in London haben?«
»So bald wie möglich.«
Er nickte. »Dann reisen wir am besten heute ab.«
Am nächsten Tag um 10 Uhr Mittlerer Greenwich-Zeit oder um 4 Uhr Eastern Standard Time oder um 2 Uhr Mountain Standard Time holte ich Shartelle im Dorchester in London ab. Wir waren die ganze Nacht über geflogen, nachdem wir in New York knapp den Anschluss erwischt hatten. Shartelle trug eine verschlafene Miene, einen leichten grauen Anzug, weißes Hemd und blaue Strickkrawatte. Das weiße Haar war gebürstet, und um die grauen Augen zuckte es leicht, als er meine Melone und den sorgfältig gerollten Regenschirm registrierte.
»Ich überlasse es Duffy, den Stetson zu tragen«, sagte ich ihm. »Ich versuche, mich der Umgebung anzupassen.«
Wir unterhielten uns wenig beim Frühstück und gingen dann die wenigen Blocks zum Büro zu Fuß. Jimmy, der Portier, mit allen seinen Ordensbändern aus dem Zweiten Weltkrieg und einigen zusätzlichen auf der Brust, hieß mich zuhause willkommen. Ich stellte Shartelle vor. »Es freut mich immer, wenn uns ein Gentleman aus Amerika besucht, Sir«, sagte Jimmy.
»Ist Mr. Duffy schon da?« fragte ich.
»Gerade eingetroffen, Sir. Höchstens vor einer Viertelstunde.«
Shartelle folgte mir die Treppe zu meinem Büro hinauf. Ich stellte ihn meiner Sekretärin vor, die sagte, sie freue sich, dass ich wieder da sei. Auf meinem Schreibtisch lagen zwei Zettel, Mr. Duffy zurückzurufen. Shartelle sah sich im Zimmer um. »Entweder steht dieses Unternehmen am Rand des Bankrotts, oder es verdient zu viel Geld«, sagte er.
»Warten Sie nur, bis Sie Duffys Gehäuse gesehen haben.«
»Das Einzige, was hier nicht hineinpasst, Junge, ist diese Maschine«, sagte Shartelle und deutete auf meine Schreibmaschine, eine etwa fünfunddreißig Jahre alte L. C. Smith.
»Das sei eine Andeutung von Klasse, meint Duffy. Es hat die Firma zehn Pfund gekostet, das verdammte Ding überholen zu lassen. Wenn er Klienten hier herumführt, erzählt er ihnen, ich hätte meinen ersten namentlich gezeichneten Artikel darauf geschrieben und könnte auf etwas anderem keine Zeile schreiben.«
»Benutzen Sie das Ding jemals?«
Ich setzte mich hinter meinen U-förmigen Schreibtisch und schwang eine elektrische Smith-Corona-Reisemaschine heraus. »Ich benutze die. Sie ist schneller. Wie schon gesagt, ich bin ein Schnellschreiber.«
Shartelle ließ sich in einem der drei hochrückigen schwarzen Ledersessel nieder, die um meinen Schreibtisch versammelt waren. Jeder hatte einen massiven Teakholzwürfel mit einer Schieferplatte neben sich, und auf jedem stand ein Keramikaschenbecher in leuchtenden Farben.
»Wie der gute alte Mann gesagt hat, Sie haben einen Teppich auf dem Boden und Bilder an der Wand. Was fehlt, ist nur ein bisschen Musik in der Luft.«
Ich drückte auf einen Knopf. Gedämpft ertönte Fahrstuhlmusik, etwas aus Camelot. Ich drückte wieder auf den Knopf, und es wurde still.
Shartelle grinste und steckte sich eine Picayune an. »Eins ist mir aufgefallen«, sagte er. »Sie haben keine Tür.«
»Die einzigen Türen im Haus sind die eine zur Straße, die vorgeschriebenen Feuertüren, die zu den Klos und vier für die Damentoiletten. Alle anderen hat Duffy rausnehmen lassen. Er sagt, dass jeder, der jemand aufsuchen will, jederzeit die Möglichkeit haben soll, seinen Kopf reinzustecken. Geheimnisse gibt’s nicht bei Duffy, Downer und Theims. Es ist ein Irrenhaus.«
Wie auf ein Stichwort stürmte der Hüter des Irrenhauses herein. »Shartelle, verdammt, was hast du so lange getrieben?« fragte er. Es war Duffy, in ländlicher Aufmachung. Er trug einen grünen Tweedanzug, dessen Gewebe so locker war, dass man es mit einem dicken Nagel durchbohren konnte, ohne ein Loch zu hinterlassen. Sein Hemd war so blassgrün, wie es diesseits von Weiß möglich war, und seine Krawatte bestand aus schwarzer und grüner Wolle. Ich sah zwar nicht hin, war aber sicher, dass er dazu derbe braune Wanderschuhe trug.
Shartelle löste sich aus dem schwarzen Ledersessel, nahm seine Zigarette in die linke Hand und streckte seine rechte langsam Duffy entgegen. Er ließ sich Zeit. Ein Lächeln, das reines Entzücken auszudrücken schien, legte sein Gesicht in Falten, während er den Kopf leicht auf eine Seite neigte. Ich war vergessen. Duffy besaß Shartelles ungeteilte Aufmerksamkeit. Es war die Shartelle-Behandlung. Zuneigung und Sympathie lagen in seinem Blick, doch wichtiger war, er zeigte ein echtes und zutiefst persönliches Interesse an dem Menschen, dem er die Hand schüttelte. Wenn ich an Duffys Stelle gewesen wäre, ich hätte die Brücke gekauft und vermutlich auf die Fähre eine Option genommen.
»Pig Duffy«, sagte Shartelle, und sein Grinsen wurde noch breiter. »Ich schwöre, es ist die reine Freude, dich so gesund und gut in Form zu sehen.«
Duffy ließ das Pig durchgehen, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Er packte Shartelles rechte Hand mit seinen beiden und schüttelte sie wieder und wieder. Er warf den Kopf zurück und kniff seine blauen Augen zusammen. »Neun Jahre, Clint. Ich habe versucht, mich zu erinnern, wo es gewesen ist, als ich heute morgen hereinfuhr. Chicago, die Stockyards Inn.«
»Am 22. Juli.«
»Um vier Uhr morgens.«
»Suite 570.«
»Bei Gott, es stimmt!« Duffy ließ Shartelles Hand los. »Du hast dich überhaupt nicht verändert, Clint. War der Flug erträglich? Hat mein Junge hier sich ordentlich um dich gekümmert?«
»Mr. Upshaw ist die Höflichkeit in Person. Und ich möchte hinzufügen, ein erstklassiger Verkäufer. Ich bin hier.«
Duffy gönnte mir einen flüchtigen Blick aus seinen blauen Augen. »Wie geht’s, Pete?«
»Sehr gut.«
»Haben Sie Clint über alle Einzelheiten informiert?«
»Nur über die Highlights.«
»Er erwähnte dreißigtausend Pfund«, sagte Shartelle mit seinem herzlichen Lächeln. »Es war von allen Highlights das hellste. Wieso treibst du dich in Afrika herum? Ist das nicht etwas außerhalb deines Territoriums?«
Duffy legte los. »Als ich davon hörte, hab ich das auch gedacht, Clint. Ich dachte: ›Padraic, du hast schon genug am Hals. Du hast gar nicht die Zeit, dich so um die Sache zu kümmern, wie es nötig ist.‹ Dann hab ich überlegt, ob es nicht jemand gibt, der die Kampagne durchziehen könnte.« Er machte eine Pause, kaute nachdenklich an seiner Unterlippe und blickte zu Boden. Seine Stimme wurde sanft und nahm etwas von stillem Respekt an. »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es nur einen Mann gibt – nicht in England, nicht in den Staaten, sondern nur einen Mann auf der ganzen Welt. Und das ist Clint Shartelle.« Er hob den Blick, sah Shartelle direkt an und sagte demütig: »Deshalb habe ich Clint Shartelle gebeten, mir zu helfen.« Wieder machte er eine Pause, ehe er – fast beiläufig, aber nicht ganz – hinzusetzte: »Und wichtiger noch, Afrika zu helfen.«
Shartelle schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Es war eine Geste unverhohlener Bewunderung, wie sie der Konzertmeister der Darbietung eines Virtuosen entgegenbringt. Seine Stimme klang fast so sanft wie die Duffys, und der Flieder schien zu blühen, als er sagte: »So vorgetragen, Padraic, könnte niemand sich weigern.«
Duffy strahlte auf, packte Shartelle am Arm und steuerte ihn auf die ewig offene Tür zu. »Ich hab den ganzen Vormittag für dich freigehalten, Clint. Wir wollen ein wenig plaudern, und dann kriegst du den Kandidaten zu sehen. Er ist vor zwei Tagen angekommen und fliegt heute Nachmittag wieder zurück, aber ihr könnt euch beim Lunch vertraut machen.« Duffy wandte den Kopf. »Kommen Sie mit, Pete.« Ich hielt das für einen netten Nebengedanken.
Wir gingen durch die Halle, vorbei an Duffys zwei Sekretärinnen, bis dahin, wo »Der Hutständer« den offenen Eingang zu seinem Büro hütete. »Der Hutständer« war eine Statue aus verschweißtem Metallschrott. Sie ragte auf einem Onyx-Sockel, war über zwei Meter hoch und sollte die Kreuzigung darstellen. Das war jedenfalls der eigentliche Name. Die größte Querstrebe sah verdächtig nach der verrosteten Stoßstange eines 1937er DeSoto aus, eines Wagens, der einmal bei den Autoverrückten in Los Angeles sehr beliebt gewesen war. Leicht angeheitert und ein bisschen ignorant nach einem besonders guten Mittagessen hatte ich einmal meine Melone daran gehängt. Duffy wollte danach eine Woche lang nicht mit mir reden, aber seitdem nannten alle es »Der Hutständer«. Shartelle streifte ihn mit einem beifälligen Blick, als wir in Duffys Büro gingen.
Es war nicht wirklich ein Büro; eher war es ein riesiges Wohnzimmer, und es roch nach Leder dank der sechseckigen Stücke sechs Millimeter dicker Kuhhaut, die als Tapete dienten. Es gab Ausblick auf den Platz und die Botschaft, einen Kamin, in dem Feuer brannte, ein paar extrem gemütliche Sessel und einen großen Kaffeetisch aus Eiche, hergestellt, wie Duffy behauptete, aus dem hinteren Ende eines riesigen uralten Weinfasses. Hier und da standen, strategisch verteilt auf individuellen Wandregalen, Produkte der wichtigsten Kunden: eine Dose Instant-Tee, eine Packung Taschentücher, eine Flasche Ale, das Modell eines Jets, die Miniatur eines Bankhauses, ein Automodell, eine Packung Kakao und ein Zigarettenpäckchen. Jedes Objekt hatte seine eigene Nische, die es nur für eine Jahresrechnung von über drei Millionen Pfund gab. Einen Schreibtisch gab es nicht, wohl aber ein Telefon in Reichweite von Duffys Sessel, der in einer Ecke hinter dem ungeheuren Weinfasskaffeetisch hockte.
Duffy nahm seinen Platz ein und deutete für Shartelle und mich auf zwei Sessel. Shartelle sah sich in dem Raum lange und genau um und nickte dann beifällig. »Du bist bei den Engländern ganz schön vorangekommen, könnte man meinen«, sagte er zu Duffy.
»Wir wachsen, Clint, erweitern uns jedes Jahr etwas.«
Wir wurden unterbrochen von Wilson Davis, dem Art Director. Er klopfte nicht an, sondern kam einfach herein und hielt Duffy einen Entwurf unter die Nase.
»Hallo, Pete«, sagte Davis zu mir.
»Wie geht’s, Wilson?« fragte ich.
»Wenn er sich irgendwann entscheidet, was er will, wird es mir ganz gut gehen.«
»Macht er dir das Leben schwer?«
»Das ist die vierte Runde. Wohlgemerkt, die vierte.«
»Damit kommen wir der Sache schon näher, Wilson«, sagte Duffy. »Das ist etwas, wovon man sagen kann, dass es das Wahrzeichen von DDT trägt.«
»Schlecht ist es nicht«, räumte Wilson ein.
»Gut. Dann machen Sie weiter.«
»Überlegen Sie es sich auch nicht noch einmal?«
»Nein. Das ist die Grundlage für die Kampagne, die ich versprochen habe. So werde ich sie führen.«
Wilson nahm den Entwurf vom Kaffeetisch und ging.
»So geht es den ganzen Tag«, sagte ich zu Shartelle. »Die DDT-Politik der offenen Türen.«
»Spart wirklich Zeit«, sagte Duffy. »Beseitigt psychologische Probleme. Dieser junge Mann ist ein begabter Art Director – der beste in London und so gut wie jeder, den man in New York finden kann. Wenn er mich sprechen will, kommt er einfach herein. Er muss sich nicht erst an einem halben Dutzend Sekretärinnen oder Assistenten vorbeikämpfen. Er braucht nicht eine halbe Stunde vor einer verschlossenen Tür zu warten und sich zu fragen, ob ich gerade über ihn rede. Er kommt einfach herein, sagt, was er zu sagen hat, und ist eine Minute später wieder draußen. Seine Zeit ist etwa fünf Guineas die Stunde wert. Ich schätze, diese Methode erspart ihm eine halbe Stunde Wartezeit plus eine weitere halbe Stunde, die ich Empörzeit nenne, wenn er in sein Büro zurückkommt.«
»Klingt vernünftig«, sagte Shartelle, »und da du gerade von Geld redest, sollte ich dich an meine üblichen Bedingungen erinnern.«
»Ein Drittel jetzt, ein Drittel bei Halbzeit und ein Drittel eine Woche vor Abschluss der Arbeit. Richtig?«
»Plus Spesen«, sagte Shartelle.
Duffy griff nach dem Telefon und wählte eine einstellige Nummer. »Würden Sie feststellen, ob Mr. Theims schon den Scheck für Mr. Shartelle gegengezeichnet hat? Schön, bringen Sie ihn herein.«
Eine von Duffys Sekretärinnen brachte den Scheck. Duffy prüfte ihn und reichte ihn Shartelle. »Zehntausend Pfund.«
Shartelle warf einen Blick darauf und steckte ihn in eine seiner Brusttaschen. Er zog sein Päckchen Picayunes heraus und zündete sich eine an. »Pig, alter Kumpel«, sagte er, »was genau soll ich für dich tun, um dieses Geld zu verdienen?«