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Zamorra schwirrte der Kopf. Er setzte sich in einen der Lesesessel und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Es fiel ihm unheimlich schwer. Nicole legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter. "Hier bahnt sich etwas an, dessen Tragweite wir noch nicht erahnen können", murmelte Zamorra gepresst. "Die Entropische Konstellation, Tin Yarsen und diese merkwürdige Vision. Alles steht in einer Verbindung damit. Eine Stimme hat mich aufgefordert, Tin Yarsen, die Goldene Stadt zu finden!"
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Der Fluch von Tin Yarsen
Vorschau
Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
(Teil 1)
von Michael Mühlehner
Zamorra schwirrte der Kopf. Er setzte sich in einen der Lesesessel und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Es fiel ihm unheimlich schwer. Nicole legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter.
»Hier bahnt sich etwas an, dessen Tragweite wir noch nicht erahnen können«, murmelte Zamorra gepresst. »Die Entropische Konstellation, Tin Yarsen und diese merkwürdige Vision. Alles steht in einer Verbindung damit. Eine Stimme hat mich aufgefordert, Tin Yarsen, die Goldene Stadt, zu finden ...!«
London
»Entspanne dich bitte, Barnabas. Du hättest dem Ober beinahe den Arm gebrochen.«
Mehr als das. Er war dem Tod sehr viel näher gewesen. Ein schneller Schlag mit dem Ellenbogen gegen den Kehlkopf ...
Er hatte sich gerade noch beherrscht, aber woher hätte er auch wissen sollen, dass er nur das Glas seiner Begleiterin wechseln wollte.
Es war kein Angriff, musste sich Barnabas in Erinnerung rufen. Der Mann wollte nur höflich sein, dienstbeflissen.
Aber Damona hatte leicht reden. Das hier war ihre Welt. Sie war es gewohnt, bedient zu werden.
Verdammt, dachte Barnabas. Der Ober hatte sich pikiert zurückgezogen, und einige der Gäste im Restaurant hatten sich umgedreht, missfallend auf ihn geblickt.
Er gehörte nicht hierher. Nicht in dieses Restaurant, dass sich langsam auf der Spitze eines Turmes um seine Achse drehte. Nicht in Damonas Nähe.
Wie lange noch, dachte er mürrisch. Er hasste es, aufzufallen, angestarrt zu werden.
Er fühlte sich nackt und schutzlos.
Damonas Welt hatte Regeln und Gesetze, die ihm fremd waren. Ihre Art zu leben und zu arbeiten, die Tage mit Zeit zu füllen. Sie nahm alles so einfach und leicht, und jedes Mal, wenn er versuchte, sie über Gefahren aufzuklären, die seine Anwesenheit mit sich brachten, lachte sie ihn nur aus und nahm ihn nicht ernst.
Was daran liegen mochte, dass auch seine Begleiterin nach menschlichen Maßstäben schwer zu beurteilen war.
Er saß einer Hexe gegenüber.
Normalerweise wären sie Todfeinde, doch Damona King gehörte nicht der Schwarzen Familie an, nicht der Spezies der Nocturnen und Dämonen. Sie lebte im Verborgenen und schirmte sich vor der Welt der Magischen ab.
Ihre Beweggründe kannte Barnabas nicht, sie hütete ihre Geheimnisse und hielt sich bedeckt. Was sie aber nicht davon abhielt, ihm zu helfen.
Zwei Wochen lebte er nun schon auf ihrem Hausboot an der Themse, gab ihm Obdach und kümmerte sich um den Höllenbann, dem er unterlag. Und um vieles mehr.
Eine Hexe, die das Leid Bedürftiger zu lindern versuchte.
Keine Teufelsdienerin, die kleine Kinder fraß, Menschen mit Flüchen belegte, dem Satan als Buhlgefährtin diente und Seelen fing.
Einer Frau wie Damona King war er noch nie begegnet. Allerdings kam er nicht gegen seinen paranoiden Zwang an, alles infrage zu stellen, überall eine Falle zu wittern. Stets misstrauisch und auf der Hut zu bleiben. Bisher hatte diese Einstellung sein Überleben garantiert.
Sein Gesicht blieb finster, als die Hexe leicht lächelte und das Weinglas hob. Die Flüssigkeit darin funkelte rubinrot.
Ihr Alter war schwer zu schätzen, vielleicht Anfang sechzig, das Haar pechschwarz und schulterlang, die Züge ebenmäßig mit hoch angesetzten Wangen, die Brauen fein gezeichnet. In den dunklen Augen glomm ein geheimnisvolles Zauberfeuer. Die schmalen Lippen fein geschwungen, die Nase schmal und gerade. Obwohl nicht mehr jung, war sie noch immer eine elegante Schönheit.
Für den Restaurantbesuch hatte sie ein blaues Kleid gewählt mit silberfarbenen Applikationen. Die Brüste zeichneten sich groß und schwer darunter ab. Um ihren schlanken Hals hing eine eigenwillige Kette mit Edelsteinstücken und silbernen Anhängseln. Runenzeichen, wie Barnabas wusste.
Einer der vier Ringe an ihren Händen zeigte ein Pentagramm, unauffällig und leicht zu übersehen. Ein weiteres Schutzsymbol.
Um diesen Besuch im Restaurant zu ermöglichen, hatte sie viele magische Vorbereitungen treffen müssen, damit sie den Abend ungestört verbringen konnten.
Er fühlte sich alles andere als wohl.
Der schwarzhaarigen Frau entging seine innere Zerrissenheit nicht, den tiefen Zwiespalt, der ihn von den anderen Menschen trennte.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er sein Glas noch nicht erhoben hatte. Er musste noch viel lernen.
Die Regeln und Sitten gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wo er herkam, gab es keine Gesetze, keine Ordnung. Nur Gewalt und Tod.
Der Wein schmeckte ungewohnt.
Damona hatte ihr leichtes Lächeln beibehalten.
»Da war also dieses Haus«, sagte sie langsam und bedächtig, nahm das Gespräch dort wieder auf, bevor es von dem Zwischenfall mit dem Kellner unterbrochen wurde. Und weil er Schwierigkeiten hatte, die menschliche Sprache zu verstehen, wenn sie schnell gesprochen wurde. Dabei verfügte er über ein großes Sprachrepertoire, wie sie herausgefunden hatte. Von Altlatein über Altgriechisch und aramäisch, diversen afrikanischen Dialekten und den bekannten Weltsprachen reichte seine Kenntnis. Für einen Drifter aus den Intermundien eine unglaubliche Leistung.
Seine Brauen zogen sich über den tief liegenden, hellgrauen Wolfsaugen zusammen. Das grimmige Gesicht wirkte noch eine Spur angespannter, als er ihren Worten folgte.
»Das Reisende Haus der Madame Zodiac«, erwiderte er holprig. Jedes Wort klang roh und abgehakt. Aber diese Art zu sprechen, würde sich legen. Er hatte Stimme und Kehlkopf lange nicht mehr für menschliche Laute benutzt.
»Als die Wilde Schar mich in den Steingruben von Lamech fast stellte, tauchte es wie ein Phantom zwischen den Felsen auf. Ich hatte die Wahl zwischen der Horde und der Erscheinung.«
»Und du hast vorher noch nie von dieser obskuren Madame Zodiac gehört«, stellte die Hexe weiter fest. »Noch von dem Reisenden Haus.«
Barnabas Kiefermuskeln mahlten bei der Erinnerung daran. Der hagere Mann schüttelte leicht den Kopf. Seine Pupillen bewegten sich unruhig durch den Raum, wie ein Tier, dass seine Umgebung nach einer Gefahrenquelle absuchte. Seine Finger umklammerten die Tischkante.
Unter dem schwarzen T-Shirt zuckten sehnige Muskelbündel, die Schulterknochen drückten durch den Stoff. Barnabas schlaksiger Körper erweckte den Eindruck von Ausgezehrtheit, doch das täuschte. Straffe Muskeln und flachsige Sehnen lagen unter Haut und Fleisch. T-Shirt und Jeans verbargen die Spuren alter und neuer Verletzungen, die ein Flechtwerk von Narben hinterlassen hatten.
»Madame Zodiacs Kuriositätenkabinett! Wer Hoffnung sucht, trete aus freiem Willen über die Schwelle. So stand es auf einer der Fensterscheiben neben dem Eingang. In einer Schrift, die ich nicht zuordnen konnte, aber die jeder lesen kann.« Barnabas unterbrach sich kurz. »Es ist gefährlich, diesen Schritt zu wagen.«
Damona sagte nichts, blickte ihn nur auffordernd an.
»Das Haus ist eigen, und seine Herrin ebenso. Wer Schuld auf sich geladen hat, muss einen Obolus entrichten. Das kann auch aus freien Stücken passieren. Erst dann wirst du vom Haus akzeptiert.«
Ein dunkler Schatten glitt über seine finsteren Züge. Seine Augen funkelten in einem grimmigen Licht.
»Ich nehme an, du hast dich geweigert.«
»Madame Zodiac machte eine ... Ausnahme.«
Er überlegte angestrengt, kniff die Lider zusammen. Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte.
»Ich kann mich nicht mehr erinnern. Sie sprach von einer Mission. Es war alles sehr verwirrend. Ich habe von dem Mann mit der Macht einer Entarteten Sonne geträumt.«
Wieder hinderte er sich am Weitersprechen, tat es aber dann doch.
»Und von dir.«
In den abschätzenden Blick, mit dem er die Hexe maß, lag etwas Lauerndes. Als würde er nach einem verräterischen Zeichen suchen, das ihm bestätigte, Damona triebe ein falsches Spiel.
Sie tat ihm nicht den Gefallen, seine Paranoia zu unterstützten.
»Es war kein Zufall, dass ich dich gefunden habe«, überlegte sie ernst. »Da steckt Absicht dahinter.«
Sie hatte keine Fragen gestellt, als sie ihn nackt und bewusstlos am Ufer der Themse fand, zwischen angeschwemmten Treibgut eingeklemmt, halb ertrunken.
Die Suche nach Motiven für ihre Kamera führte sie öfters zu abgelegenen Orten am Fluss, jenseits der Promenaden und belebten Kais. Sie fotografierte die schmutzigen Plätze, wo Industrieabfälle die Natur vergifteten, leckende Wracks im Wasser dahinrosteten und Öl und andere Schmierstoffe in den Kreislauf des Flusses gerieten.
Die Fotostorys verkaufte sie an Umweltmagazine, das Honorar floss direkt weiter an gemeinnützige Organisationen.
Damona hatte gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse einzuschränken. Und unter dem Radar zu bleiben. Ihre Feinde würden niemals ganz aufhören, die Suche nach ihr fortzusetzen. Dazu hatte sie der Hölle viel zu schwer zugesetzt.
Von den neun Leben, über die eine Hexe verfügte, blieb nur noch dieses übrig. Ihr letztes endete auf einem Jahrmarkt, ziemlich blutig und schmerzhaft.
Barnabas blieb skeptisch, aber Damona ließ sich davon nicht abbringen.
»Unser Zusammentreffen hat eine Bedeutung. Du erinnerst dich nicht mehr an den Traum?«
Da war nur Leere in seinem Kopf.
»Vielleicht wäre Hypnose eine Möglichkeit, die Erinnerung zurückzuholen.«
Seiner Miene war anzumerken, was er davon hielt.
»Es ist nur eine Überlegung, Barnabas. Vielleicht kehrt sie ja von alleine zurück. Diese Madame hat eine Mission erwähnt, und du bist Teil davon. Genauso wie der Mann aus deinem anderen Traum.«
Nachdenklich schweifte der Blick der schwarzhaarigen Hexe durch das Restaurant. Sie ließ sich seine Worte nochmals durch den Kopf gehen.
Die Macht einer entarteten Sonne.
Damona kannte nur einen Mann, auf den diese Umschreibung zutraf.
Professor Zamorra!
Große Halle des Höllenpalastes
Stygia fühlte sich gesättigt wie selten in ihrem Leben. Entspannt, doch in verführerischer Pose kauerte sie in dem bequemen Prunksessel und genoss die magischen Impulse, die davon ausgingen. Belebend, kräftigend.
Es war ein ganz besonderes Möbelstück, aus Menschenknochen gezimmert, Sitz- und Rückenfläche mit Jungfrauenhaut überzogen, die Polster mit Frauenhaar gefüllt. Und darin eingebettet all die verzweifelten Emotionen und Gefühle, die die Sterblichen während ihres grauenvollen Todes durchlitten. Herrlich stimulierend.
Um sie herum lagen oder kauerten die Teilnehmer der dämonischen Orgie am Boden, auf Bänken, Diwanen oder Kissen. Alles Vertreter des Höllenadels, die ranghöchsten Dämonen im Reich der Finsternis. Einträchtig versammelt im Zeichen der Animalischen Periode.
Im Saal stank es wie in einem Schlachthaus, der marmorne Boden war glitschig von Blut, Eingeweiden, Körpersäften und spermischer Lymphe. Pheromone und andere, schwere Duftstoffe und Ausdünstungen durchdrangen die schwefelhaltige Luft.
Paarungszeit! Der Sexualtrieb der Schwarzblütigen erreichte während dieser Phase seinen Höhepunkt.
Hemmungslos gaben sie sich allen Arten der körperlichen Lust hin, fielen getrieben vom Fieber der Leidenschaft übereinander her und vereinigten sich in orgiastischer Wollust.
Purpurnes Licht tauchte den Großen Saal in Halbdämmer. In den felsartigen Nischen der Kolonaden, die sich um die vier Seiten der martialisch konzipierten Halle zogen, flackerten die Kochfeuer der Hexen unter bauchigen Kupferkesseln. Grüngelber Qualm stieg aus den riesigen Kochtöpfen empor. Menschliches und tierisches Gebein diente als Feuerholz. Halbnackte Vetteln rührten mit großen Kochlöffeln den Inhalt der Kessel um.
Im Saal selbst gaben sich die Dämonen einer Ruhepause hin, ihr Schnarchen, Grummeln, Grunzen und Stöhnen füllte jeden Winkel bis hoch zur stalaktitenbewehrten Decke aus.
Stygia genoss diese einzigartige Atmosphäre der Animalischen Periode. Mit einer lasziven Bewegung griff sie zur Seite und entnahm einer Schädelschale ein faustgroßes Seelenlicht.
Ihre dolchartigen Reißzähne fetzten einen Bissen aus der goldenen Kugel.
Einfach superb!
Sie musste an sich halten, um das Seelenlicht nicht einfach hinabzuschlingen. So etwas verspeiste man mit Genuss.
Neben ihr, auf einem Diwan, rührte sich Belial, ihr Gemahl und Fürst der Finsternis. Bei den nahtlos aufeinanderfolgenden Orgien hatte er nichts anbrennen lassen. In absehbarer Zeit würden etliche Bälger des Fürsten die Hölle bereichern. Allerdings ohne Anspruch auf irgendwelche Titel oder Erbe.
Einzig und alleine mit Stygia durfte Belial einen Thronerben zeugen. Doch die Herrin der Hölle schob diesen Zeitpunkt noch vor sich her. Im Gegensatz zum restlichen Dämonenadel konnte sie sehr wohl in dieser Phase zwischen Paarungsdrang und reiner Vergnügungssucht unterscheiden. Und Stygia war keine Dämonin, die sich zu irgendetwas zwingen ließ.
Trotzdem fühlte sie schon wieder, wie es ihr heiß im Unterleib wurde und ihre Libido sich mit lüsterner Intensität meldete.
Sie warf Belial einen Blick zu, dieser beobachtete jedoch dröge die huschenden Schatten von Inkubi und Sucubi, die über die aufgeblähten Leiber der grunzenden Dämonen huschten. Dazwischen versahen extra gezüchtete Homunkuli ihren Dienst, räumten auf, so gut es möglich war, brachten neue menschliche Sklaven und entsorgten angeknabberte Körperteile. Nebenbei servierten sie aufwachenden Schwarzblütlern Speise und Trank.
Nach der Animalischen Periode würden die Homunkuli beseitigt werden. Die Vorgänge in der Großen Halle gingen dem Dämonenpöbel nichts an. Die Paarungssitten des Höllenadels blieben für Außenstehende ein Geheimnis.
Stygia setzte sich aufrecht hin und versuchte die Hitze, die sie befallen hatte, zu ignorieren. Ganz schaffte sie es nicht. Vielleicht lag es an dem menschlichen Aussehen, das sie für die Zeit der Orgien gewählt hatte. Eine verführerisch schöne Frau mit großen Brüsten, geschwungener Taille, langen, mitternachtsblauen Haaren und dem Gesicht eines verruchten Engels. Ihre Haut strahlte in einem kupfernen Rot, die Augen flammten gelb wie die eines Tieres. Aus der hohen Stirn wuchsen gedrehte Hörner.
Ein Geflecht aus Riemen war das einzige Kleidungstück. Ihre weiblichen Attribute waren unübersehbar. Aus dem volllippigen Mund peitschte eine gespaltene Vipernzunge.
Kaum hatte sie das Seelenlicht verschlungen, öffnete sich ein metallbeschlagenes Tor, und Hofmarschall Urianus trat mit bedeutungsvollen Schritten ein.
Irgendwie schaffte er es, einen geradlinigen Weg zwischen all den liegenden Dämonen zu finden, ohne die Wichtigkeit seines Erscheinens zu mildern.
Auf halben Wege blieb er stehen, verneigte sich vor den zwei dämonischen Exzellenzen und verkündete mit laut hallender Stimme: »Eure höllischen Majestäten – Ich verkünde das Erscheinen Herzog Andraxgors, Fürst aus der Sphäre der Intermundien! Sein Tross lagert am Nocturnen Portal! Er bittet um Einlass in die Große Halle, um der Herrin der Hölle seine Aufwartung zu machen.«
Nanu, dachte Stygia und wetzte mit den Schulterblättern an der Rückenlehne. Die elektrisierenden Ströme, die sie durchpulsten, weckten ihre Neugier. Belial an ihrer Seite gab nur ein weiteres Grunzen von sich.
»Es sei gewährt!« ordnete die Herrin der Hölle an. Urianus nickte salbungsvoll, hämmerte den zweieinhalb Meter hohen Marschallstab auf den Boden und löste damit eine magische Reaktion aus. Eine breite Gasse entstand inmitten der Großen Halle. Dämonen, Teufel und Hexen wurden von unsichtbaren Kräften zur Seite geschoben.
Der Hofmarschall wusste, was sich gehörte. Zugleich drehte er sich halb und rief: »Herzog Andraxgor aus den Gefilden der Intermundien!«
Höllische Klänge begleiteten den Einzug des Herzogs. Der Boden bebte unter dem Stiefeltritt gepanzerter Rüstungen. Das Purpurlicht schuf blutrote Reflexe auf Kettenhemden und Rüstungen, auf handtellergroßen Schuppen und undurchdringlicher Drachenhaut.
Herzog Andraxgor war eine stattliche Erscheinung, drei Meter groß, wuchtig, ausgestattet mit gewaltigen Muskeln und wohl auch einem imposanten Gemächt, wie die Beule unter dem Metallkilt verriet. Links und rechts über die Schulterblätter ragten zwei doppelklingige Streitäxte. In dem wolfsartigen Gesicht glühten die schräg stehenden Augen wie Kohlestücke.
Der Herzog strahlte Charisma und eine unglaubliche Präsenz aus. Seine Leibgarde nahm hinter ihm in zwei Reihen Stellung.
Auf halbem Weg blieben die höllischen Krieger stehen, während sich Andraxgor den zwei Majestäten bis auf sieben Schritte näherte.
Er trug einen prächtigen Hörnerhelm unter dem linken Arm, das Material mit dem Fell eines erlegten Einhorns bezogen.
Stygia hatte noch niemals etwas von dem Herzog gehört. Die Intermundien gehörten zwar zur Hölle, und damit war sie deren Herrin, doch jeder Dämon von Rang und Namen mied diese Sphären der Finsternis. Dort hauste nur primitives Höllengezücht. Fernste Provinzen, primitiv, barbarisch und roh. Domänen des Chaos, einen immerwährenden Wandlungsprozess unterzogen, mit unterschiedlichen, oft verwirrenden Zeitläufen. Die Bewohner dort hatten kein Niveau, keine Kultur. Fremde und Besucher wurden zuerst auf ihre Essbarkeit geprüft. Wenn das nicht klappte, machte man gnadenlos Jagd auf sie.
Die Zwischenwelten waren in Stygias Augen nur zu etwas gut: die Reihen der Teufelslegionen mit anspruchslosen Kriegern zu füllen.
Verwunderlich, dass ein Herzog der Intermundien es bis zum Nocturnen Portal geschafft hatte. Sollte Größeres in Andraxgor stecken?
»Was hat euch an den Hof der Herrin der Hölle geführt, Herzog Andraxgor?« verlangte die Dämonenfürstin zu wissen. Sein Rang war mit dem eines wahren Höllenherzogs nicht zu vergleichen. Selbst der niedrigste Landadel der infernalischen Gefilde war höhergestellt als dieser Krieger aus den Zwischenwelten. Trotzdem haftete ihm etwas an, auf das Stygia reagierte. Sie wurde sich der unzähligen Augen bewusst, mit denen der Höllenadel ihr Gespräch verfolgte. Beinahe körperlich spürte sie das Beben des Herzogs unter dessen eiserner Rüstung. Ihre vibrierenden Sinne nahmen moschusartige Duftstoffe wahr, tierische Ausdünstungen, sexuell stimulierende Pheromone. Der Herzog war brünstig, da gab es keinen Zweifel. Sie versuchte, nicht darauf zu reagieren.
»Die Animalische Periode!« grollte Andraxgor. »Ich fordere das Recht ein, mich mit der Herrin der Hölle zu paaren!«
Ein donnernder Aufschrei ging durch die Halle, ließ die Wände erbeben und verstummte schlagartig, als Fürst Belial kurz die Stimme erhob.
»Ruhe!«