Rettungskreuzer Ikarus 87: Archiv der Sterne - Michael Mühlehner - E-Book

Rettungskreuzer Ikarus 87: Archiv der Sterne E-Book

Michael Mühlehner

0,0

Beschreibung

Das Archiv der Sterne – eine kosmische Legende, die unermesslichen Reichtum und absolute Macht verspricht. Träumerei oder doch Wahrheit? Als bei einem Attentat auf Estona der Handelsattaché Gur Vosat des Freien Raumcorps getötet wird, muss die Crew der Ikarus rasch feststellen, dass viele Bewohner des Maragone-Sektors die Mär für Wirklichkeit halten. Politische und kriminelle Gruppierungen scheuen vor keiner Gewalttat zurück, um Zugriff auf das Archiv der Sterne zu bekommen. Captain Sentenza und seine Besatzung werden zum Spielball von Verrat und Verschwörung, als sie versuchen, die Hintergründe des Attentats aufzuklären. Dabei wird die Ikarus gekapert und die Crew als Geiseln festgesetzt. Roderick Sentenza muss den Zugang zum Sternen-Archiv finden, will er verhindern, dass die Besatzung des Rettungskreuzers getötet wird.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 168

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Impressum

Prolog

Weitere Atlantis-Titel

Impressum

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Oktober 2022 Alle Rechte vorbehalten. © Dirk van den Boom & Thorsten Pankau Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Endlektorat: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-859-5 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-860-1 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Der Rettungskreuzer Ikarus des Freien Raumcorps wird dafür eingesetzt, in der besiedelten Galaxis sowie jenseits ihrer Grenzen all jenen zu helfen, die sich zu weit vorgewagt haben, denen ein Unglück zugestoßen ist oder die anderweitig dringend der Hilfe bedürfen. Die Ikarus und ihre Schwesterschiffe sind dabei oft die letzte Hoffnung bei Havarien, Katastrophen oder gar planetenweiten Seuchen. Die Crew der Ikarus unter ihrem Kommandanten Roderick Sentenza wird dabei mit Situationen konfrontiert, bei denen Nervenstärke und Disziplin alleine nicht mehr ausreichen. Man muss schon ein wenig verrückt sein, um diesen Dienst machen zu können – denn es sind wilde Zeiten …

Mein Name ist Kapitän Harknett. Ich gehöre weder einer Gilde noch einer Zunft an, bin weder Lakai noch Vasall eines Konzerns oder eines Konsortiums. Ich bin Freifahrer, schließe meine eigenen Verträge und transportiere Fracht, die ich mir selbst aussuche. Ich bin frei und unabhängig. Aber ich stimme den anderen Kapitänen der Freifahrer zu. Es brechen dunkle Zeiten an, ein ungewisses Schicksal breitet sich über die Galaxis aus. Niemand weiß, was passieren wird, wie die Zukunft in diesen unheilvollen Tagen aussehen mag. Darum bin ich hier, um meinen Beitrag für die nächsten Generationen zu leisten. Darum stehe ich im Archiv der Sterne und gebe ein Geheimnis preis, das nur ich kenne.

Aus dem ›Choral der morphogenetischen Felder des Sternenarchivs‹

»Dort ist dein Ziel, Roderick Sentenza! Fornaks Herberge, doch sei gewarnt, nur Mascim schlafen sicher im Haus der Sieben Monde!«

Sentenzas unheimlicher Führer schien mit den Schatten zu verschmelzen, und noch während er sprach, verschwand die zerlumpte Gestalt in der hereinbrechenden Dämmerung der Nacht.

Die Dankesworte des Captains der Ikarus versickerten ungehört in der Stille.

In der heraufziehenden Dunkelheit zeigte sich bereits der vierte Mond. Damit kündete sich ein Ereignis an, das nur alle 49 Tage stattfand. Die sieben Monde von Pangree würden sich wie an einer Perlenschnur aufgereiht am Nachtfirmament zeigen. Und heute war es so weit.

Sentenza spürte die Ungeduld, die ihn ergriffen hatte.

Auf der anderen Seite des kleinen Platzes stand die eingeschossige Herberge auf einer vier Meter hohen Terrasse. Wie alle anderen Bauten und Gebäude von Ubo-Tante bestand auch die Herberge aus Sand und Stein.

Pangree war eine raue, trockene Wüstenwelt, mit wasserarmen, fast winzigen Meeren, ausgedehnten Ödgebieten und massiven Gebirgen. Die Stadt Ubo-Tante lag am Rande der Room-Wüste und war eine von vier Ansiedlungen. Über jede herrschte ein Mascim-Fürst. Pangree galt als Zufluchtsort für Piraten, Banditen, Plünderer und Glücksritter. Völker aus dem Zentrum der Milchstraße traf man hier fast gar nicht, und wenn, dann handelte es sich mit Sicherheit um Halsabschneider oder Agenten.

Das Freie Raumcorps betrieb einen kleinen Stützpunkt in der Stadt. Und Roderick Sentenza war hier, um das Verschwinden einer Corps-Agentin zu klären. An und für sich überließ er solche Fälle den zuständigen Spezialisten des Geheimdienstes, aber bei dieser Agentin handelte es sich um Adora Jargen, zu der er ein sehr freundschaftliches Verhältnis pflegte. Eigentlich war sie mehr so etwas wie sein Protegé und er hatte ihren Werdegang über Jahre hinweg verfolgt.

Sie war eine der besten Agentinnen des Corps und musste einer großen Sache auf der Spur sein. Vor zwei Tagen verschwand sie völlig überraschend. Ihre Berichte hatten zum Schluss immer alarmierender geklungen. Adora hatte dafür gesorgt, dass sie heimlich auch an Sentenza weitergeleitet wurden. Offenbar war sie einer großen Verschwörung auf die Schliche gekommen und vertraute ihre Rückendeckung nur dem Captain der Ikarus an.

Auf Pangree breitete sich wie ein Pestgeschwür das Erwachen einer uralten Religion aus. Der Kult von den Sieben Monden erhob sein Haupt und nistete sich in den Gedanken der Bewohner ein. Die Mär von den Sieben Monden und der Rache der Götter aus dem Lande Laru wurde hinter vorgehaltener Hand erzählt.

Auch in Ubo-Tante sollte ein Zirkel der Sieben Monde existieren. Die Mitglieder der Organisation hatten bereits Bündnisse mit Händlern und Söldnern der Schwarzen Flamme getroffen, die in diesen alten Seitenarm der Galaxis kreuzten und es nachweislich mit dem ursprünglichen Ehrenkodex der elitären Gruppe, deren Reste mittlerweile als unterwandert und zerstritten galten, nicht allzu genau nahmen. Es ging unter anderem um Waffenschiebereien ungeahnten Ausmaßes. Niemand vermochte sich vorzustellen, was die kriegerischen Mascim mit verbotener Waffenhightech auf Pangree anzustellen vermochten.

Sentenzas Augen brannten, so sehr hatte er die Herberge aus dem Versteck eines Torbogens angestarrt. Er verdrängte die sorgenvollen Gedanken, die ihn jetzt nur ablenken konnten. Es gelang ihm nicht ganz.

In einem der Berichte hatte Adora vom Haus der Sieben Monde gesprochen, ohne konkrete Hinweise zu nennen.

Die Herberge war Sentenzas letzte Hoffnung, eine schwache Spur. Gern hätte er jetzt einen Kampfanzug gehabt, doch in Ubo-Tante wäre er mit dieser Montur unliebsam aufgefallen. So hatte er sich für die gängige Tracht entschieden: eine schwarze Kombination mit einem langen Kapuzenumhang. In diesen Aufzug hätte man den hochgewachsenen Captain aus der Distanz leicht für einen Mascim halten können. Hinzu kam die Tarnung durch die Kapuze; so blieb sein markant geschnittenes Gesicht im Schatten.

Als Roderick sich in Bewegung setzen wollte, hielt ihn ein innerer Instinkt zurück.

Der Platz wirkte wie leer gefegt. Ein kalter Wind aus Richtung Wüste hatte angehoben. In den Ecken und Winkeln schien sich die Dunkelheit zu verdichten. Schatten gebärende Finsternis, die zeitlupenhaft über den Platz kroch, an den Häuserwänden empor, und von der ganzen Stadt Besitz ergriff. Der fünfte Mond reihte sich ein, trat aus dem Schatten des vierten hervor, ein kaltes, blasses Auge voll grimmiger Wut, das auf die Stadt herabstarrte.

Ubo-Tante war in die Flanken und Hänge eines Tafelberges hineingebaut. Auf dem Plateau des Massivs erhob sich die Residenz des Mascim-Fürsten.

Turanek, der Herr der Stadt, hatte Sentenzas Anliegen abgeschmettert. »Es wird keine Untersuchung geben, Roderick Sentenza. Das Corps verfügt über keinerlei Einfluss auf Pangree. Wir haben euch einen Stützpunkt erlaubt, damit ihr von hier aus eure Rettungseinsätze koordinieren könnt. Eine Einmischung in innere Angelegenheiten der planetaren Regierungen ist nicht erwünscht! Wir haben uns um anderes zu kümmern, als eine Suche nach einer Vermissten zu starten. Leb wohl, Roderick Sentenza!«

Damit war die Audienz beendet. Sentenza hätte die verdammte Stadt am liebsten mit einem Bataillon Raumlandesoldaten auf den Kopf gestellt. Aber er verfügte weder über eine solche Einheit noch hatte er die Befugnis für ein solches Vorgehen. Und so musste er im Verborgenen suchen. Als letzte Spur blieb das Haus der Sieben Monde.

Der Captain hüllte sich fester in seinen Umhang.

Beinahe hätte er die huschende Bewegung entlang der Häuserfront übersehen. Das Licht der Monde kam ihm nun zu Hilfe, denn er sah zwei vermummte, dürre Gestalten die Treppe zur Herberge hocheilen.

Sentenza setzte sich in Bewegung, blieb im Schutz der Häuser. Wie die beiden Unbekannten vor ihm verursachte er kein Geräusch. Sein Herz schlug schneller; er hatte das Gefühl, als müsste ihn sein beschleunigter Atem verraten. Doch er blieb unentdeckt.

Die verhüllten Gestalten verhielten vor der schmalen Tür zur Herberge. Die schießschartenartigen Fenster waren mit schweren Stoffen verhangen. Unter den Ritzen sickerte rotes Licht hervor – als würde das Haus aus alten Wunden bluten.

Ein merkwürdiges Klopfgeräusch, und die zwei Mascim – nur um solche konnte es sich handeln – verschwanden im Inneren. Die Tür schloss sich sofort wieder.

Sentenza kauerte geduckt am oberen Ende der breiten Steintreppe. Hastig sah er sich um. Das Viertel hüllte sich in Dunkelheit, duckte sich unter den Götteraugen der fünf Monde. Nur am anderen Ende der Stadt, beim Raumhafen, konnte er Lichter ausmachen.

Welche Macht hielt Ubo-Tante in ihrem Griff? Mit Einbruch der Nacht floh das Leben von den Straßen und Plätzen und verbarrikadierte sich hinter dicken Steinmauern.

Die Angst ging um in Ubo-Tante. Die Bewohner krümmten sich unter der unsichtbaren Faust der Furcht.

Entschlossen hob Roderick Sentenza die Hand und imitierte das Klopfzeichen. Die Tür öffnete sich einen Spalt, breit genug, um den Captain eintreten zu lassen.

Schnell wie ein Schatten huschte Sentenza an Fornak, dem Herbergsbesitzer, vorbei.

»Ihr seid spät dran, Peret-Lom. Die anderen sind schon versammelt. Kommt! Es lebe der siebente Mond!«

Sentenza, in Kapuze und Umhang gehüllt, erkannte wohl, dass der letzte Teil der Worte eine Art Parole darstellte. Natürlich konnte er nichts darauf erwidern, so entschloss er sich, seine Maskierung aufzugeben. Er schlug die Kapuze zurück und sah Fornaks Augen groß werden.

»Ein Fremder!«, zischte Fornak und warf sich in wilder Wut auf den Captain.

Den Angriff konterte Sentenza mit einem harten Karateschlag.

Der Wirt prallte mit Wucht gegen eine Seite der Steinwand und rutschte bewusstlos daran zu Boden.

Sentenza sah sich rasch um, dann zog er Fornak in einen Abstellraum und schloss die Holztür. Rasch durchsuchte er den Gastraum: leer und verlassen, genauso wie die Räume im oberen Stockwerk. Er hatte zwei Männer die Herberge betreten sehen und nach Fornaks Worten warteten schon andere. Also musste es hier irgendwo einen geheimen Raum geben.

Im Hinterzimmer des Gastraumes entdeckte er zwischen Regalen eine Geheimtür. Ohne zu zögern, betrat er mit schussbereitem Kombistrahler den von Kerzen ausgeleuchteten Gang.

Nach wenigen Schritten schon mündete dieser in einen etwas breiteren Korridor und nun waren die Wände rau und unbearbeitet.

Sentenzas Hand strich darüber: Fels, natürlich gewachsener Stein. Vermutlich befand er sich jetzt im Tafelbergmassiv. Welchem Geheimnis war er auf der Spur?

Vielleicht war dieser Ort der wahre Tempel der Sieben Monde. Ein Schaudern überkam Sentenza, als er sich der Geschichten erinnerte, die er in Ubo-Tante über einen dämonischen Kult gehört hatte.

Der Gang verbreitete sich zu einer Höhle. Leuchtkristalle warfen ihr Licht aus faustgroßen Nischen. Ihr roter Schein tauchte die Höhle in die Farbe des Blutes. An den Wänden erkannte der Captain merkwürdige Symbole. Unter Bildtafeln standen lange Texte im Idiom der Mascim. Er konnte die vergilbten Buchstaben kaum entziffern, aber ein Wort tauchte immer wieder auf: Hexamere.

Er zweifelte nicht länger daran, dass er sich in einer Kultstätte fanatischer Mascim-Priester befand.

Rasch eilte Sentenza weiter. Auf der anderen Seite der leeren Höhle entdeckte er mehrere Zugänge. In einer mannshohen Spalte hingen klebrige Spinnweben. Ein ekelerregender Geruch drang aus der Vertiefung. Eine undefinierbare Flüssigkeit schimmerte auf dem Steinboden. Roderick blickte nach oben. Mehrere, fast kreisrunde Löcher befanden sich in der Felsendecke. In Ecken und Winkeln hingen große Fetzen von Gespinstknäueln.

Sentenza näherte sich der anderen Seite und musterte die dortigen Tunnelöffnungen scharf. Aus einer von ihnen glaubte er einen leisen Singsang zu hören. Vorsichtig und mit angespannten Sinnen schob er sich in den Tunnel. Das Licht aus der Höhle reichte aus, um ein wenig sehen zu können. Steinsplitter knirschten unter seinen Stiefeln. In unregelmäßigen Abständen entdeckte er runde Öffnungen im Gestein des Tunnels. Ein Mann hätte leicht in sie hineinklettern können, doch Sentenza ließ es lieber bleiben. Ein widerwärtiger Gestank strömte aus diesen Zugängen.

Er folgte dem rätselhaften Gesang. Weit voraus sah er roten Schein über die Wände tanzen. Am Ende des Stollens dehnte sich eine grubenartige Höhle aus. Der Boden befand sich gut fünf Meter unter seiner Position, die Decke etwa sechs über ihm. Ein schmales Felsband mit Brüstung lief entlang der Höhlenwand bis zum Grund hinab.

Der Captain der Ikarus hatte das Gefühl, einen Tempel betreten zu haben.

Riesige Steingiganten standen auf dem Höhlenboden und stützten mit mächtigen Armen oder anderen Extremitäten die hohe Kuppel. Vor jeder dieser sieben Figuren befand sich eine Feuerschale. Rote Glut leuchtete daraus. Im Zentrum des Doms hatten sich sechs Gestalten um einen siebenzackigen Altarstein versammelt.

Kein Zweifel, hier handelte es sich wirklich um einen Tempel des Hexamere. Grimmig packte Sentenza seine Waffe fester. Seine Hand zitterte leicht.

Dieser Tempel musste uralt sein. Überall hingen Reste von Spinnennetzen und Staubschleier. Viele der Figuren waren fast eingewoben von den leicht silbrig glänzenden Spinnenfäden. Die Luft war angereichert mit Staubpartikeln und roch modrig.

Die sechs Kuttenträger hatten ihren unheimlichen Gesang beendet. Zwei Mascim machten sich auf dem Weg zu einer Öffnung im Felsen.

Sentenza überlegte fieberhaft, was er als Nächstes tun sollte. Momentan blieb ihm nur abzuwarten.

Die zwei Mascim kehrten zurück, während ein anderer begonnen hatte, eine Trommel zu schlagen, die auf einem bizarr geformten Podest stand.

Die Szene hatte etwas Unheimliches, Mystisches. Welches Ritual mochten die Mascim-Priester hier abhalten? Beschworen sie die unselige Macht des Hexamere? Die Unheil bringende Kraft von der Lehre der Sieben Monde? Vom Untergang des Universums? Stellten die sieben Steinfiguren die Götter aus dem Lande Laru dar? Ein kalter Schauer lief Sentenza über den Rücken.

Das Gesicht des Captains gefror zur Maske, als zwei Mascim Adora in die Höhle schleppten. Er erkannte die kleinwüchsige Corps-Agentin mit der roten Pagenfrisur sofort. Ihre Kleidung war zerrissen und sie selbst wirkte benommen. Nur ihre Augen verrieten, dass noch Leben in ihr steckte, ihren eisernen Willen, der gegen die Kraft der Droge ankämpfte, unter der sie stand.

Sentenza unterdrückte den Impuls aufzuspringen. Die Zeit war noch nicht reif; es galt, den rechten Moment zu erwischen.

Die Mascim unterhielten sich kurz miteinander. Der Trommelschlag verstummte. Adora Jargen wurde auf den siebenzackigen Altarstein gebunden. Die Priester nahmen ihre Positionen wieder ein und lösten von ihren Gürteln dünne, längliche Stöcke. Dann schlugen sie ihre Kapuzen zurück und führten die Gegenstände an die Lippen.

Flöten, begriff der Captain und gleichzeitig erkannte er einige der Mascim. Turanek, der Regent, und dort, der einäugige Mascim war der Hafenmeister von Ubo-Tante. Einen weiteren hatte er im Gefolge des Regenten gesehen. Welcher Verschwörung war er hier auf der Spur?

Allen zu eigen waren die totenblasse Haut und die bernsteinfarbenen, pupillenlosen Augen, die ihren Gesichtern etwas maskenhaft Starres verliehen.

Die Mascim begannen, ihre Flöten zu spielen. Angst flackerte in Adoras Augen. Ihr Gesicht verzerrte sich, sie schrie gellend. Das Flötenspiel tanzte in grotesken Disharmonien durch die Höhle, enteilte durch die zahlreichen rätselhaften Öffnungen und brachte dabei die Schleier und Spinnweben zum Schwingen.

Eine unheimliche, sinnzerfetzende Melodie füllte den Höhlendom aus, fraß sich durch das mit Stollen durchsetzte Felsgestein, rief Jahrtausende alte Albträume aus der Schwärze des Vergessens.

Sentenza hatte das Empfinden, als erhebe sich jenseits der Wände, jenseits der Wirklichkeit ein zeitloser Nachtmahr aus seinem Schlaf, gerufen durch das Dämonenspiel der Flöten. Den Verlockungen einer teuflischen Melodie folgend …

Das Mädchen schrie, doch wirkte es weder störend noch hinderlich. Nein, das Spiel der Flöten wob eine Melodie darüber, lockend, reizend, anziehend.

Ein fast körperlicher Ruf, dem sich auch Sentenza nicht entziehen konnte. Mit jeder Faser seines Körpers musste er dagegen ankämpfen. Ein dumpfes Stöhnen drang über seine spröden Lippen. Schweiß perlte ihm auf dem Gesicht.

Plötzlich fiel ein Schatten auf ihn. Im letzten Moment warf er sich zur Seite. Der Krummdolch des Mascim bohrte sich in das Mauerwerk der Brüstung. Die Klinge brach entzwei.

Sentenza schmetterte die Faust in das hassverzerrte Antlitz des Mascim. Peret-Lom prallte gegen die Wand und gab dem Raumschiffskapitän die Zeit, den Strahler auf ihn zu richten. Doch bevor er den Auslöser aktivieren konnte, stürzte sich der Priester abermals auf ihn und versuchte, ihn über die Kante der Brüstung in die Tiefe zu stoßen.

Sentenza konnte gerade noch seitlich ausweichen, hatte dabei das Gefühl, zu langsam zu sein, spürte die spinnendürren Finger des Mascim über sein Gesicht wischen. Dann war der Priester an ihm vorbei, stürzte in die Tiefe und schlug hart auf dem Höhlenboden auf. Er war sofort tot.

Das Spiel der Flöten verstummte abrupt, die Zeit schien eingefroren. Sentenza zögerte nicht länger, zielte mit der Waffe nach unten und feuerte. Sein erster Schuss ging fehl und weckte die Mascim aus ihrer Erstarrung. Hastig eilte er die Rampe hinab und schoss dabei. Die Priester riefen wild durcheinander. Einer wurde von einem Stunnerfunken getroffen und brach bewusstlos zusammen. Ein weiterer Schuss schlug in den Stein einer Figur.

Die Hexamere-Jünger flohen, aber Adora hatte nicht aufgehört zu schreien.

Mit einem Satz landete Captain Sentenza auf dem Höhlenboden. Ein Mascim warf sich ihm entgegen. Sein knochiges, haarloses Gesicht war hassverzerrt. Sentenza schlug ihm den Strahler ins Gesicht. Der Mascim brach vor ihm zusammen. Während der Captain auf Adora zulief, gab er noch einige Salven ab, dann löste er die Fesseln der jungen Frau und warf die Lederriemen achtlos zur Seite.

»Rod!«, hauchte Adora Jargen und warf sich an seine Brust.

»Ruhig, Adora. Jetzt ist alles in Ordnung!«

»Wir müssen von hier weg, Rod. Sie – sie haben einen Teufel gerufen! Er wird uns holen!«

Sie war vollgepumpt mit Drogen. Sentenza hasste die Mascim dafür. Er befand sich jetzt allein mit der Agentin in der großen Höhle. Die Luft vibrierte noch vom Klang der fremden Flötenmelodie. Die Spinnweben bewegten sich geisterhaft. Wie Spukgebilde huschten Schatten über die blutroten Wände.

Von irgendwoher erklang plötzlich ein merkwürdiges, durch Mark und Bein dringendes Geräusch.

Ein hartes Klicken und Tacken, ein Ton wie geschaffen für dunkle Albträume.

»Das … das ist er, Rod! Er kommt, der Teufel kommt!«

Das Kratzen von stahlhartem Chitin über uralten Fels, das Klacken von behaarten Beinen mit scharfen Hornklauen. Sentenza wirbelte herum, zielte mit der Waffe.

Unheimlich schnell näherte es sich, erfüllt von mörderischer Wut. Die lockende Melodie war verstummt und jetzt war es zornig darüber.

Sentenza hatte die Empfindung, als würde sich etwas Finsteres, Lähmendes über seinen Verstand legen. Zugleich drohte ihm namenlose Panik den Atem abzuschnüren.

Aus einer der kreisrunden Tunnelöffnungen gellte ein Schrei: ein Mascim-Priester, der den falschen Weg genommen hatte und nun seinem Tod begegnete.

Nur kurz verstummte das kratzende Klacken, machte einem zornigen Surren Platz, dann erklang das alte Geräusch wieder. Der Teufel kam näher!

Sentenza brannte der Schweiß in den Augen. Er hatte kein Ziel. Überall Schatten und fahrige Bewegung, dazu die lähmende Angst, die von ihm Besitz ergriffen hatte.

»Roderick! Roderick!«

Er fühlte sich wie zu Stein erstarrt, von einem quälenden Albtraum überrollt. Täuschte er sich oder wurde die Glut in den Feuerschalen schwächer, so als würde selbst das Feuer den Tod fürchten?

Seine Blicke huschten durch den Höhlendom. Er glaubte, die Steingesichter der Hexamere-Götter in teuflischer Vorfreude grinsen zu sehen. Es kostete ihn alle Überwindung, seine Aufmerksamkeit von diesen steingebannten Monstern zu lösen.

Er versuchte, sich auf das Geräusch zu konzentrieren, es zu lokalisieren. Aber es schien von überall zu kommen, eine Kakofonie aus schattengeborener Schwärze. Instinktiv veränderte Sentenza die Einstellung des Strahlers, stellte auf Thermomodus um und fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre zu flüchten. Allein, er konnte keinen Schritt machen. Er stand wie gebannt auf der Stelle, unterworfen von einer Macht, die er sich nicht erklären konnte.

Und dann erschien sein gesichtsloser Feind, eine Ausgeburt kryptischen Grauens. Ein titanisches, riesiges Etwas mit funkelnden, glitzernden Facettenaugen und unzähligen Beinen. Die Dunkelheit kam mit ihm, schnell und gnadenlos und alles Lebendige auslöschend. Ein furchtbarer Gestank nach Blut, Tod und rasender Wildheit strömte davon aus.

Es gab nur ihn, den Teufel aus den Legenden des Hexamere, gerufen vom satanischen Spiel der Mascim-Flöten. Ein Dämon des Siebenten Mondes, ein Bewohner der lichtlosen Finsternis.

Adora schrie neben Sentenza. Und er hörte sich selbst schreien. Er schrie und schoss und schrie und schoss. Er kämpfte nicht nur gegen den Teufel, sondern gegen die übernatürliche Angst, die seinen Verstand in einen fiebrigen Albtraum stürzte.

Erst als der beißende Gestank von verbranntem Fleisch und geplatztem Chitin das Höhleninnere füllte, endete der Wahnsinn und wich der Irrsinn aus Rodericks Gedanken. Ein Keuchen drang über seine Lippen. Der Strahler entfiel seinen kraftlosen Fingern. Das heiße Metall der Waffe knisterte leicht.

Im trügerischen Licht der Feuerschalen sah er die verkohlten Überreste einer riesigen Spinne. Die Facettenaugen funkelten noch im Tode bösartig und bestialisch.

Einen halben Tag später befanden sie sich auf einem Frachter des Raumcorps. Die restlichen Mitglieder des Hexamerirkels waren verschwunden. Ein Team von Spezialisten hatte den Tempel untersucht und in den Kammern die Überreste zahlreicher Lebewesen gefunden – eingesponnen in Kokons, als Fressen für die Spinne gedacht.

Es gab Geschichten über solche Riesentiere, die draußen in der Wüste manchmal zu sehen waren. Bestien, ausgestattet mit der Gabe, ihre Opfer mit Angstimpulsen zu lähmen.

Im Haus der Sieben Monde gab es keine mehr.

Sentenza hoffte, dass der Kult ausgelöscht war. Zumindest auf Pangree.

Die Zukunft würde es zeigen.

»Eine interessante Geschichte«, sagte Gur Vosat, der zuständige Handelsattaché des Raumcorps für den Sternensektor Maragone. »Menschenfressende Riesenspinnen, geheimnisvolle Priester, Verschwörungen und eine junge Frau in Not.«