Regency Brides - Eine unerwartete Liebe - Catherine Coulter - E-Book
SONDERANGEBOT

Regency Brides - Eine unerwartete Liebe E-Book

Catherine Coulter

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Verlockung der Gefahr: Der historische Liebesroman »Regency Brides – Eine unerwartete Liebe« von Catherine Coulter jetzt als eBook bei venusbooks. Die junge Lady Sinjun Sherbrooke ist schön, reich, klug – und entsetzlich gelangweilt von ihrem eintönigen Leben in der feinen Londoner Gesellschaft. Umso faszinierter ist sie, als sie auf einem Ball dem Schotten Colin Kinross begegnet. Der charmante Earl ist genauso gutaussehend wie pleite … und auf der dringenden Suche nach einer wohlhabenden Braut, um sein Erbe zu bewahren. Kurzerhand beschließt Sinjun, ihre Chance zu nutzen: Gegen den Willen ihres Bruders heiratet sie Colin und flieht mit ihm zu seinem Schloss in die schottischen Highlands. Doch schon bald muss Sinjun feststellen, dass sie sich mit dem verwegenen Earl auf ein Abenteuer eingelassen hat, das sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Und ist Colin womöglich gar nicht der, der er vorgibt zu sein? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die Regency-Romance »Eine unerwartete Liebe« von New-York-Times-Bestsellerautorin Catherine Coulter ist der zweite Band ihrer Regency-Brides-Serie, deren Einzelbände unabhängig voneinander gelesen werden können und alle Fans des Netflix-Erfolgs »Bridgerton« und Abbi Glines begeistern wird. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 559

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Die junge Lady Sinjun Sherbrooke ist schön, reich, klug – und entsetzlich gelangweilt von ihrem eintönigen Leben in der feinen Londoner Gesellschaft. Umso faszinierter ist sie, als sie auf einem Ball dem Schotten Colin Kinross begegnet. Der charmante Earl ist genauso gutaussehend wie pleite … und auf der dringenden Suche nach einer wohlhabenden Braut, um sein Erbe zu bewahren. Kurzerhand beschließt Sinjun, ihre Chance zu nutzen: Gegen den Willen ihres Bruders heiratet sie Colin und flieht mit ihm zu seinem Schloss in die schottischen Highlands. Doch schon bald muss Sinjun feststellen, dass sie sich mit dem verwegenen Earl auf ein Abenteuer eingelassen hat, das sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Und ist Colin womöglich gar nicht der, der er vorgibt zu sein?

Über die Autorin:

Catherine Coulter wurde 1942 in Texas geboren. Schon früh begeisterte sie sich für die Regency-Bestseller von Georgette Heyer, die sie schließlich dazu inspirierten, selbst historische Liebesromane zu schreiben. Inzwischen ist Catherine Coulter erfolgreiche Autorin zahlreicher historischer und zeitgenössischer Liebesromane, sowie vieler Thriller, mit denen sie immer wieder auf der New-York-Times-Bestsellerliste stand.

Die Website der Autorin: catherinecoulter.com/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/CatherineCoulterBooks/

Die Autorin auf Instagram: instagram.com/catherinecoulterauthor/

Bei venusbooks veröffentlichte die Autorin die historischen Liebesromane:

»Regency Brides – Eine skandalöse Hochzeit, Band 1«

»Regency Brides – Eine unerwartete Liebe, Band 2«

»Regency Brides – Eine Lady auf Abwegen, Band 3«

»Regency Brides – Eine geheimnisvolle Lady, Band 4«

»Regency Games – Wie verzaubert man einen Earl? Band 1«

»Regency Games -Wie küsst man einen Viscount? Band 2«

»Regency Beaus – Wie verführt man einen Baron?«

***

eBook-Neuausgabe Juli 2023

Ein eBook des venusbooks-Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1993 unter dem Originaltitel »The Heiress Bride« bei Jove Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1994 unter dem Titel »Die Jungfernbraut« bei Heyne, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1993 by Catherine Coulter

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1994 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2023 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Trident Media Group, LLC

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Karolina Michałowska unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-96898-246-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

***

Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Regency Brides 2« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

www.facebook.com/venusbooks

www.instagram.com/venusbooks

Catherine Coulter

Regency Brides – Eine unerwartete Liebe

Roman

Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt

venusbooks

PROLOG

Vere Castle, Grafschaft Fife, Schottland, 1807

Er starrte aus dem schmalen Fenster auf den Schloßhof hinab. Es war April, aber von Frühling war weit und breit noch nichts zu bemerken, abgesehen vom prächtig blühenden purpurfarbenen Heidekraut. Schottisches Heidekraut glich den Menschen, die hier lebten; es gedieh sogar auf kargem Felsgrund. An diesem Morgen waren die Steinwälle nebelverhangen; es schien ein grauer, nasser Tag zu werden. Durch das Fenster im zweiten Stock des nördlichen Rundturms konnte er seine Leute deutlich hören — die alte Marthe, die gluckend Körner für die Hühner ausstreute, und Burnie, der aus voller Lunge seinen Neffen Ostle, den neuen Stallburschen, anbrüllte. Er hörte auch den O-beinigen Crocker drohen, daß er seinem faulen Köter George II das Fell gerben würde; allerdings war allgemein bekannt, daß Crocker den Hund abgöttisch liebte und jeden umbringen würde, der auch nur ein Wort gegen George II sagte. Der Morgen hörte sich genauso an wie alle anderen, die er seit seiner Kindheit erlebt hatte. Alles schien völlig normal.

Aber das war nicht der Fall.

Er wandte sich vom Fenster ab, ging zu dem kleinen Steinkamin und streckte seine Hände den Flammen entgegen. Dies hier war sein privates Arbeitszimmer. Sogar sein verstorbener Bruder Malcolm hatte das stets respektiert und sich ferngehalten. Trotz des trägen Feuers war es warm im Zimmer, denn die dicken Wandteppiche aus Wolle, die seine Urgroßmutter gewebt hatte, waren ein ausgezeichneter Schutz gegen Kälte und Feuchtigkeit. Ein herrlicher alter Aubusson-Teppich lag auf dem abgetretenen Steinboden, und er wunderte sich, daß sein verschwendungssüchtiger Vater und sein genauso nichtsnutziger Bruder diesen wertvollen Teppich übersehen und nicht verhökert hatten; immerhin hätten sie mit dem Erlös bestimmt mindestens eine Woche lang ihrer Spielleidenschaft frönen oder herumhuren können. Wie durch ein Wunder waren Teppich und Wandbehänge noch hier; aber ansonsten gab es im Schloß kaum noch Wertgegenstände. Über dem Kamin hing ein sehr mitgenommener alter Gobelin mit dem Wappen der Kinrosses und dem Wahlspruch:

Verwundet, aber unbesiegt.

Er selbst war fast tödlich verwundet. Er steckte in enormen Schwierigkeiten, und es gab nur einen einzigen Ausweg: so schnell wie möglich eine reiche Erbin zu heiraten. Dazu verspürte er nicht die geringste Lust. Lieber hätte er eines von Tante Arleths Stärkungsmitteln geschluckt.

Aber ihm blieb keine Wahl. Der Schuldenberg, den sein Vater und sein Bruder ihm hinterlassen hatten, war gewaltig und trieb ihn zur Verzweiflung. Auf ihm ruhte jetzt die ganze Verantwortung, denn er war der neue Earl of Ashburnham, der siebte Graf, und er steckte bis zum Halse in finanziellen Nöten.

Wenn er nicht rasch handelte, würde alles verloren sein. Seine Leute würden verhungern oder emigrieren müssen. Sein Schloß würde weiterhin verfallen, und seine Familie würde nur vornehme Armut kennen. Das durfte er nicht zulassen. Er betrachtete seine Hände, die er noch immer dem Feuer entgegenstreckte. Es waren kräftige Hände, aber würden sie kräftig genug sein, um den Kinross-Clan der beklemmenden Armut zu entreißen, die nach 1746 auch das Schicksal seines Großvaters gewesen war? Ah, aber sein Großvater war ein schlauer Fuchs gewesen, der sich den neuen Gegebenheiten rasch angepaßt und bei den wenigen mächtigen Grafen, die in Schottland übriggeblieben waren, eingeschmeichelt hatte. Außerdem hatte er im Gegensatz zu vielen anderen Standespersonen erkannt, wie zukunftsträchtig Fabriken waren, und so hatte er jeden Groschen, den er in die Hände bekam, in die Textil- und Eisenfabriken investiert, die in Nordengland aus dem Boden schossen. Der Erfolg hatte seine kühnsten Träume bei weitem übertroffen, und als er in hohem Alter starb, war er mit sich sehr zufrieden gewesen. Daß sein Sohn ein Taugenichts war, der Vere Castle schnell wieder herunterwirtschaften würde, hatte er nicht erkannt.

Verdammt, was war denn schon eine Ehefrau, speziell eine englische Ehefrau? Wenn er wollte, konnte er sie einfach in eines der moderigen Zimmer einsperren und den Schlüssel wegwerfen. Er konnte sie nach Herzenslust prügeln, falls sie stolz und unnachgiebig sein sollte. Kurz gesagt, er konnte mit einer verdammten Ehefrau alles tun, was ihm in den Sinn kam. Vielleicht würde er ja auch Glück haben, und sie würde gefügig sein wie ein Lamm, dumm wie eine Kuh und genügsam wie die Ziegen, die zufrieden an alten Stiefeln herumkauten. Doch welchen Charakter sie auch immer haben würde — er würde schon mit ihr fertig werden. Ihm blieb gar nichts anderes übrig.

Colin Kinross, siebter Earl of Ashburnham, verließ sein Arbeitszimmer im Nordturm. Am nächsten Morgen war er unterwegs nach London, um eine Braut zu finden, deren Mitgift es mit Aladdins Schätzen aufnehmen könnte.

KAPITEL 1

London, 1807

Sinjun sah ihn zum erstenmal an einem Mittwochabend Mitte Mai bei einem Ball, den der Herzog und die Herzogin von Portmaine gaben. Er stand im riesigen Ballsaal gut zehn Meter von ihr entfernt, teilweise im Schatten einer prächtigen Topfpalme, aber das störte sie nicht. Sie sah ihn deutlich genug und konnte den Blick nicht mehr von ihm abwenden. Als zwei Matronen ihr die Sicht zu versperren drohten, verrenkte sie sich fast den Hals, um ihn nicht aus dem Augen zu lassen. Er ging anmutig auf eine Gruppe von Damen zu, beugte sich über die Hand einer jungen Frau und führte sie zum Kotillon. Er war sehr groß; seine Partnerin ging ihm nur bis zur Schulter, und dabei schien sie keine Zwergin zu sein. Nein, er war wirklich sehr groß, viel größer als sie selbst, dem Himmel sei Dank.

Sie starrte ihn weiter an, ohne zu wissen warum und ohne sich darüber Gedanken zu machen, bis eine Hand ihren Unterarm berührte. Aber sie verspürte nicht die geringste Lust, ihre Aufmerksamkeit jemand anderem zuzuwenden, und deshalb schüttelte sie die Hand einfach ab und entfernte sich. Eine Frauenstimme rief ihr etwas nach, aber sie drehte sich nicht um. Er lächelte jetzt auf seine Partnerin hinab, und in Sinjun stiegen seltsam prickelnde Gefühle auf. Sie umkreiste das Tanzparkett und arbeitete sich geschickt an ihn heran, bis nur noch knapp drei Meter sie voneinander trennten. Er war wirklich hinreißend, genauso groß und breitschultrig wie ihr Bruder Douglas; seine dichten Haare waren rabenschwarz, und seine Augen — großer Gott, ein Mann dürfte nicht solche Augen haben! Sie waren dunkelblau, noch dunkler als die Saphire an dem Kollier, das Douglas seiner Frau zum Geburtstag geschenkt hatte. Wenn sie ihn nur berühren, mit den Fingern durch sein glänzendes Haar fahren und das Grübchen in seinem Kinn streicheln könnte! Sie wußte in diesem Moment, daß sie wunschlos glücklich wäre, wenn sie ihn ihr Leben lang anschauen könnte. Natürlich war das eine verrückte Idee, aber es war nun einmal so. Er hatte eine ausgezeichnete Figur. Mit solchen Dingen kannte sie sich aus; schließlich hatte sie nicht umsonst drei ältere Brüder. O ja, er hatte den Körper eines Athleten, kräftig und muskulös, und er war jung, wahrscheinlich etwas jünger als Ryder, der vor kurzem seinen neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Eine leise innere Stimme sagte ihr, daß sie sich wie eine blöde Kuh aufführe, daß sie sofort mit diesem Blödsinn aufhören solle, daß er nur ein Mann wie alle anderen Männer sei und als Ausgleich für sein phantastisches Aussehen höchstwahrscheinlich den Charakter eines Trolls habe. Oder, noch schlimmer: er könnte ein schrecklicher Langweiler oder ein Dummkopf sein oder verfaulte Zähne haben. Aber nein, letzteres war nicht der Fall, denn er warf gerade lachend den Kopf zurück und zeigte dabei gleichmäßige weiße Zähne. Für ihre scharfen Ohren zeugte sein Lachen von Intelligenz, ebenso wie seine wachen Augen. Ah, aber er könnte ein Trunkenbold, ein Spieler oder ein Wüstling oder etwas ähnlich Abstoßendes sein.

Es war ihr egal. Sie starrte ihn unverwandt an und verspürte plötzlich einen Hunger, der ihr selbst unverständlich war, den aber zweifellos dieser Mann hervorgerufen hatte. Der Kotillon endete, und er küßte der jungen Dame die Hand, brachte sie in die Obhut ihrer Begleiterinnen zurück und gesellte sich einigen Herren zu, die ihn lautstark und fröhlich begrüßten. Offenbar war er ein bei Männern beliebter Mann, wie ihre Brüder Douglas und Ryder. Zu Sinjuns großer Enttäuschung verschwand die ganze Gruppe im Spielsalon.

Jemand berührte wieder ihren nackten Arm.

»Sinjun?«

Seufzend drehte sie sich nach ihrer Schwägerin Alex um.

»Ja?«

»Ist alles in Ordnung? Du hast so regungslos dagestanden wie eine unserer griechischen Statuen in Northcliffe. Und vorhin habe ich nach dir gerufen, aber du scheinst mich weder gehört noch gesehen zu haben.«

»O ja, alles in bester Ordnung«, murmelte Sinjun und blickte sehnsüchtig zu der Stelle hinüber, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte. Dann hörte sie einen Mann lachen und wußte sofort, daß er es war, der so kraftvoll und wohltönend lachte. Es erregte und wärmte sie, und jenes Prickeln in ihrem Innern wurde noch stärker. Sie spürte es bis zu den Zehenspitzen.

Kein Mann konnte so perfekt sein, wie sie ihn auf den ersten Blick eingeschätzt hatte. Das war ganz unmöglich. Sie war weder dumm noch naiv noch eine ahnungslose Debütantin; schließlich waren zwei ihrer Brüder in Wort und Tat ausgesprochen freimütig. Der Mann war bestimmt ein Troll, was seinen Charakter betraf.

»Sinjun, was ist los mit dir? Brütest du etwa eine Krankheit aus?«

Sie holte tief Luft und beschloß, ihren Mund zu halten, was für sie höchst ungewöhnlich war. Aber sie hatte Neuland betreten, und hier fühlte sie sich noch sehr unsicher. Mit breitem Grinsen lenkte sie ihre Schwägerin ab. »Alex, ich finde Ihre Gnaden, die Herzogin von Portmaine, sehr sympathisch. Ihr Spitzname ist Brandy, und sie hat mich gebeten, sie nicht mit dem schrecklichen Namen Brandella anzureden. Ist es nicht überaus clever, Brandella auf diese Weise abzukürzen?« Etwas leiser fügte sie hinzu: »Und schau dir nur mal ihren Busen an — könnte es sein, daß er noch imposanter ist als der deine? Natürlich dürfte sie auch etwas älter sein als du.«

Douglas Sherbrooke lachte schallend. »Du lieber Himmel, glaubst du, daß das Alter dabei eine Rolle spielt, Sinjun? Daß der Brustumfang einer Dame mit den Jahren zunimmt? Mein Gott, dann könnte Alex mit sechzig nicht mehr aufrecht gehen. Aber eine nähere Betrachtung der Herzogin scheint mir jetzt doch sehr angebracht. Andererseits muß ich als dein ältester Bruder betonen, daß es sehr taktlos von dir ist, Bemerkungen über die Vorzüge der Herzogin und über Alex Mängel zu machen.«

Sinjun lachte über die Worte ihres Bruders und über die Miene seiner Frau, als er mit klagender Stimme fortfuhr: »Ich dachte bisher, dein Busen hätte in ganz England nicht seinesgleichen, aber vielleicht trifft das nur auf Südengland zu. Vielleicht kannst du sogar nur in der unmittelbaren Umgebung von Northcliffe Hall alle anderen Damen ausstechen. Vielleicht bin ich hereingelegt worden.«

Seine Frau knuffte ihn liebevoll in den Arm. »Ich würde vorschlagen, daß du deine Augen und Gedanken auf den heimischen Herd beschränkst, Mylord, und die Herzogin mit all ihren weiblichen Attributen dem Herzog überläßt.«

»Einverstanden.« Der Graf wandte sich seiner kleinen Schwester zu, die er zärtlich liebte und die plötzlich irgendwie verändert aussah. Zu Beginn des Balls war das noch nicht der Fall gewesen. Dann erkannte er, worin der Unterschied bestand: Sinjun wirkte undurchschaubar. Und das war wirklich sehr seltsam, denn normalerweise war sie durchsichtig wie ein Teich im Sommer. Ihr ausdrucksvolles Gesicht spiegelte alle Gedanken und Gefühle lebhaft wider. Es bekümmerte ihn, daß er jetzt nicht die leiseste Ahnung hatte, was in ihrem Köpfchen vorging. Das war fast so, als bekäme man einen Tritt von einem Pferd, dem man soeben erst den Rücken zugewandt hat. Er hatte plötzlich das Gefühl, als würde er diese große, hübsche junge Dame überhaupt nicht kennen, und nahm deshalb Zuflucht zu einer nichtssagenden Bemerkung. »Na, Göre, amüsierst du dich?« Dieser letzte Kotillon war der einzige Tanz, den du heute abend ausgelassen hast.«

»Sie ist neunzehn, Douglas«, mahnte Alex. »Du mußt allmählich aufhören, sie ›Göre‹ oder ›Range‹ zu nennen.«

»Auch wenn sie weiterhin die Jungfräuliche Braut spielt, um mir den Schlaf zu rauben?«

Während die beiden über das unglückliche Gespenst von Northcliffe Hall diskutierten, hatte Sinjun Zeit, sich eine Antwort zurechtzulegen. Sie entschied sich für ein ausweichendes »Ich geistere nicht durchs Haus, Douglas, zumindest nicht in London.« Dann stöhnte sie plötzlich laut. »O Gott, da naht Lord Castlebaum mit seiner lieben Frau Mama! Ich habe ganz vergessen, daß ihm der nächste Tanz gehört. Er schwitzt ganz schrecklich, Douglas, und er hat feuchte Hände ...«

»Ich weiß, aber ansonsten ist er ein sehr netter junger Mann.« Douglas hinderte sie mit einer Geste daran, ihm ins Wort zu fallen. »Doch selbst wenn er ein langweiliger Heiliger wäre, würde es weiter nichts ausmachen. Du brauchst ihn ja nicht zu heiraten. Nimm seinen Schweiß und seine Nettigkeit einfach hin und versuch, dich zu amüsieren. Vergiß nicht, daß du nur zu diesem Zweck in London bist. Hör nicht auf Mutter.«

Sinjun stieß einen schweren Seufzer aus. »Mutter macht mir das Leben wirklich schwer, Douglas«, klagte sie. »Sie sagt, ich müsse jetzt schleunigst unter die Haube kommen, denn andernfalls würde ich als Ladenhüter im Regal verstauben — im gefürchteten Regal der alten Jungfern, wie sie jedesmal taktvoll betont. Und dann malt sie mir die damit verbundenen Schrecken aus, beispielsweise, daß ich nach ihrem Tod von Alex als Aschenbrödel behandelt würde. Sie hat sogar behauptet, daß mir die erste Jugendfrische schon abhanden gekommen sei, und als ich mich daraufhin im Spiegel betrachtete, kam es mir fast so vor, als hätte ich Falten im Gesicht.«

»Hör nicht auf sie. Ich bin das Familienoberhaupt. Du sollst dich amüsieren und nach Herzenslust lachen und flirten. Wenn du keinen Mann findest, der dir gefällt, so ist das völlig unwichtig.«

Seine Stimme war so streng und hoheitsvoll, daß Sinjun unwillkürlich lächeln mußte. »Ich bin neunzehn, und Mutters Ansicht nach ist es eine Katastrophe, wenn ein Mädchen in diesem Alter noch nicht verheiratet ist und nicht einmal einen Verehrer aufweisen kann. Sie verweist sogar darauf, daß Alex dich mit achtzehn geheiratet hat. Und Sophie hat unheimliches Glück gehabt, daß sie Ryder umgarnen konnte, sagt Mutter, denn sie war fast zwanzig und hatte deshalb kaum noch Chancen auf dem Heiratsmarkt. Und dies ist nun schon meine zweite Saison. Mutter rät mir, den Mund zu halten, weil Herren es nicht schätzen, wenn eine Frau mehr weiß als sie. Das treibt sie in Spielhöllen oder läßt sie zur Flasche greifen.«

Douglas knurrte etwas wenig Salonfähiges.

Sinjun lachte, aber es war ein gezwungenes Lachen. »Na ja, man kann nie wissen, oder?«

»Ich weiß nur, daß Mutter zuviel redet.«

Er war sichtlich verärgert, doch vor Sinjuns geistigem Auge tauchte plötzlich jener Mann auf. Sie lächelte unwillkürlich, und ihre Augen bekamen einen warmen und verträumten Ausdruck. Alex betrachtete die Schwägerin verwundert, sagte aber nur: »Du kannst mir jederzeit dein Herz ausschütten, wenn dir danach ist, Sinjun.«

»Vielleicht wird das schon bald der Fall sein. Ah, da ist Lord Castlebaum mit den feuchten Händen. Aber ich muß zugeben, daß er sehr gut tanzt. Vielleicht werde ich mich mit ihm über Bücher unterhalten. Bis später.«

Sie trat Lord Castlebaum dreimal auf die Zehen, weil sie ständig nach jenem Mann Ausschau hielt. Später sagte sie sich, daß ihre Augen sie betrogen haben mußten, daß es derart attraktive Männer überhaupt nicht gab. Aber nachts träumte sie von ihm. Sie standen dicht beisammen, und er strich ihr lachend mit den Fingerspitzen über die Wange, und sie wußte, daß sie ihn begehrte, und sie beugte sich zu ihm vor und wollte ihn berühren, und er konnte ihren Augen ansehen, wie sehr sie ihn begehrte. Dann verschwammen die Bilder zu zarten Pastellen ineinander verschlungener Körper, und sie erwachte im Morgengrauen mit heftigem Herzklopfen, verschwitzt und ermattet. Sie wußte, daß sie vom Mysterium körperlicher Liebe geträumt hatte, und sie wünschte nur, sie hätte wenigstens seinen Namen herausgefunden, denn mit einem völlig Unbekannten so intim zu sein, wenn auch nur im Traum, war zweifellos nicht comme il faut.

Drei Tage später sah sie ihn zum zweitenmal, bei einem Hauskonzert im Stadthaus der Ranleaghs am Carlysle Square. Eine sehr korpulente Sopranistin aus Mailand hämmerte mit der Faust auf das Klavier, während ihr Wiener Klavierbegleiter versuchte, trotz der zitternden Tasten einen kraftvollen Anschlag zustande zu bringen. Sinjun langweilte sich nach kurzer Zeit und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Dann hatte sie plötzlich das Gefühl, von einer mächtigen Welle überrollt zu werden, und sie wußte sofort, daß er den Raum betreten hatte. Sie drehte sich verstohlen um, und da war er. Sein Anblick raubte ihr buchstäblich den Atem. Er hatte sich soeben den schwarzen Mantel abnehmen lassen und redete leise mit einem anderen Herrn. Ihr kam er jetzt sogar noch schöner als im Ballsaal der Portmaines vor, ganz in Schwarz, mit einem blendend weißen Batisthemd. Sein dichtes Haar war nach hinten gebürstet und ein bißchen zu lang, wenn man die Maßstäbe der neuesten Mode anlegte; doch Sinjun fand seine Frisur genauso perfekt wie alles andere an ihm. Er nahm schräg hinter ihr Platz, und wenn sie der kreischenden Sopranistin das Profil zuwandte, konnte sie ihn nach Herzenslust betrachten. Er saß untadelig still und zuckte nicht einmal zusammen, als die Sängerin ihre Lungen vollpumpte und ein schrilles hohes C schmetterte. Ein Mann mit Mut und Seelenstärke, sagte Sinjun sich zufrieden. Ein Mann mit guter Erziehung und Lebensart.

Es juckte sie in den Fingern, jenes Grübchen in seinem energischen Kinn zu berühren. Seine Nase war schmal und edel geformt, und sein Mund weckte in ihr den Wunsch ... nein, sie mußte sich wirklich beherrschen, sie durfte ihre Träume nicht mit der Realität verwechseln. Allmächtiger, wahrscheinlich war der Mann verheiratet oder zumindest verlobt. Es gelang ihr, wenigstens nach außen hin Ruhe und Gelassenheit zur Schau zu tragen, als die Darbietung endlich endete und die Gäste sich in den Speisesaal begaben.

Möglichst beiläufig fragte sie ihren Begleiter, Lord Clinton, einen von Douglas’ Freunden aus dem Four Horse Club: »Wer ist der Mann dort drüben, Thomas? Der große mit dem pechschwarzen Haar? Siehst du ihn? Er unterhält sich gerade mit drei anderen Männern, die viel kleiner und unscheinbarer sind als er.«

Thomas Mannerly, Lord Clinton, kniff die Augen zusammen. Er war kurzsichtig, aber der Besagte war wirklich nicht zu übersehen, sehr groß und attraktiver als gut für ihn sein konnte. »Ach, das ist Colin Kinross, ein neues Gesicht in London. Er ist der Earl of Ashburnham und ein Schotte.« Letzteres wurde mit einem Anflug von Verachtung gesagt.

»Warum ist er hier in London?«

Thomas warf dem hübschen Mädchen an seiner Seite einen forschenden Blick zu. Sinjun war fast so groß wie er selbst, und das störte ihn ein wenig, aber schließlich sollte er sie nicht heiraten, sondern nur im Auge behalten. Während er ein unsichtbares Stäubchen von seinem schwarzen Ärmel fegte, fragte er behutsam: »Warum interessierst du dich dafür?« Ihr Schweigen beunruhigte ihn zutiefst. »Mein Gott, er ist dir doch nicht in irgendeiner Weise zu nahe getreten? Diese verdammten Schotten sind richtige Barbaren, selbst wenn sie wie der hier in England erzogen wurden.«

»Nein, nein, es war reine Neugier. — Die Hummerpastetchen sind ganz gut, findest du nicht auch?«

Er stimmte zu, und Sinjun dachte: Wenigstens weiß ich jetzt seinen Namen. Endlich! Sie hätte am liebsten laut gejubelt. Thomas Mannerly, der sie in diesem Moment zufällig anschaute, hielt unwillkürlich den Atem an, denn ein bezaubernderes Lächeln hatte er nie im Leben gesehen. Er vergaß die Hummerpastete auf seinem Teller und machte eine geistreiche Bemerkung, die sie zu seinem großen Leidwesen aber überhaupt nicht zu hören schien. Wenn er sich nicht sehr irrte, starrte sie den gottverdammten Schotten an.

Sinjun grämte sich vorübergehend. Sie mußte mehr über ihn erfahren, nicht nur seinen Namen und die Tatsache, daß er ein schottischer Adeliger war, was Thomas sichtlich Unbehagen bereitete. An diesem Abend bot sich ihr keine Gelegenheit mehr, etwas über Colin Kinross herauszufinden, aber sie verzweifelte nicht. Bald würde sie handeln müssen.

Douglas Sherbrooke, Earl of Nortcliffe, saß gemütlich in seinem Lieblingssessel in der Bibliothek und las die London Gazette. Als er zufällig aufschaute, sah er seine Schwester auf der Schwelle stehen, was ihn sehr wunderte, denn normalerweise stürzte sie unbekümmert ins Zimmer, lachte und redete auf ihn ein, ob er nun beschäftigt war oder nicht. Ihr sorgloses, unschuldiges Lachen brachte ihn unweigerlich zum Schmunzeln, und sie umarmte ihn und küßte ihn auf die Wange. Aber jetzt lachte sie nicht. Warum zum Teufel sah sie nur so schüchtern aus, so als hätte sie etwas unglaublich Schlimmes angestellt?

Ängstlichkeit war für Sinjun ein Fremdwort; das war schon so gewesen, als er sie zum erstenmal aus ihrer Wiege gehoben und sie ihn am Ohr gepackt und daran gezerrt hatte, bis er vor Schmerz jaulte. Stirnrunzelnd faltete er die Zeitung und legte sie auf seinen Schoß. »Was willst du, Göre? Nein, für den Namen ›Göre‹ bist du nun wirklich zu erwachsen. Also dann, meine Liebe. Komm nur herein. Was ist los mit dir? Alex meint, du hättest etwas auf dem Herzen. Erzähl es mir. Dein Verhalten gefällt mir nicht. Es sieht dir so gar nicht ähnlich und macht mich nervös.«

Sinjun betrat langsam die Bibliothek. Es war sehr spät, fast Mitternacht. Douglas deutete einladend auf den Sessel ihm gegenüber. Seltsam, dachte Sinjun beim Näherkommen. Sie hatte Douglas und Ryder immer für die attraktivsten Männer der ganzen Welt gehalten. Aber sie hatte sich geirrt. Keiner von beiden konnte Colin Kinross das Wasser reichen.

»Sinjun, du benimmst dich wirklich höchst merkwürdig. Bist du krank? Oder hat Mutter dich wieder gequält?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das tut sie doch immer — zu meinem eigenen Besten, wie sie immer betont.«

»Ich werde noch einmal mit ihr sprechen.«

»Douglas ...«

Er traute seinen Augen kaum: sie starrte ihre Fußspitzen an und zupfte nervös an ihrem Musselinrock. Endlich ging ihm ein Licht auf. »Mein Gott«, murmelte er langsam, »du hast einen Mann kennengelernt.«

»Nein, das habe ich nicht.«

»Sinjun, ich weiß genau, daß du dein Taschengeld nicht zum Fenster hinausgeworfen hast. Du hältst es so zusammen, daß du in ein paar Jahren reicher sein wirst als ich. Mutter schikaniert dich, aber das meiste prallt an dir doch einfach ab. Wenn du ehrlich bist, geht dir doch alles, was sie sagt, zu einem Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Alex und ich lieben dich geradezu unvernünftig, und wir tun unser möglichstes, damit du dich wohl fühlst. In etwa einer Woche kommen auch noch Ryder und Sophie und ...«

»Ich weiß, wie er heißt, aber ich habe ihn noch nicht kennengelernt!«

»Aha.« Douglas faltete seine Hände unter dem Kinn und grinste seine Schwester an. »Und wie heißt er?«

»Colin Kinross, Earl of Ashburnham. Er ist Schotte.«

Jammerschade, dachte Douglas, daß es nicht einfach Thomas Mannerly ist, für den sie schwärmt.

»Kennst du ihn?« fragte sie begierig. »Ist er verheiratet? Verlobt? Ist er ein Spieler? Ein Weiberheld? Hat er andere Männer in Duellen getötet?«

»Ich muß dich enttäuschen, Sinjun — ich kenne ihn nicht. Ein Schotte! Warum interessierst du dich so für ihn, wenn du noch kein Wort mit ihm gewechselt hast?«

»Ich weiß es nicht.« Einen Augenblick lang sah sie sehr verletzlich aus. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln und zuckte die Achseln, in einem wenig erfolgreichen Versuch, ihr burschikoses altes Ich zur Schau zu tragen. »Aber ich kann es nicht ändern.«

Douglas betrachtete sie aufmerksam. »Also gut«, sagte er, »ich werde alles über diesen Colin Kinross herausfinden.«

»Du wirst doch niemandem etwas davon erzählen?«

»Ich werde natürlich Alex einweihen, aber sonst niemanden.«

»Es stört dich doch nicht, daß er Schotte ist?«

»Nein. Warum sollte mich so etwas stören?«

»Thomas Mannerly hat sich ziemlich verächtlich über schottische Barbaren geäußert.«

»Thomas hatte einen Vater, der die feste Überzeugung vertrat, daß ein echter Gentleman schon mit dem ersten Atemzug nach der Geburt die herrliche reine Luft Englands in sich aufnehmen müsse. Offenbar hat Thomas manche der absurden Theorien seines verstorbenen Vaters übernommen.«

»Danke, Douglas.« Sinjun küßte ihn auf die Wange und tänzelte hinaus.

Er blickte ihr nachdenklich nach. Was er als einziges gegen einen Schotten als Schwager einzuwenden hätte, war die Tatsache, daß sie dann sehr weit von ihrer Familie entfernt leben würde.

Als er kurze Zeit später das eheliche Schlafgemach betrat, saß Alex vor ihrer Frisierkommode und bürstete ihr Haar. Er fing ihren Blick im Spiegel auf, lächelte und begann sich auszuziehen.

Alex legte die Bürste hin und drehte sich nach ihm um.

»Willst du mich etwa beobachten, bis ich nur noch im Adamskostüm vor dir stehe?«

Sie nickte grinsend.

»Du verschlingst mich ja regelrecht mit deinen Blicken, Alex. Befürchtest du, daß ich zugenommen haben könnte? Willst du dich davon überzeugen, daß all meine Glieder noch voll funktionstüchtig sind?«

Sie grinste nur noch breiter. »O nein. Ich nehme an, daß du noch hundertprozentig intakt bist. Jedenfalls warst du es gestern abend und heute morgen und ...« Sie kicherte.

Er ging nackt auf sie zu, hob sie hoch und trug sie zum Bett.

Als er endlich wieder klar denken und vernünftig reden konnte, streckte er sich neben seiner Frau aus und berichtete: »Unsere Sinjun ist verliebt.«

»Aha, also deshalb benimmt sie sich so eigenartig.« Alex stützte sich gähnend auf einen Ellbogen auf.

»Sein Name ist Colin Kinross.«

»O Gott!«

»Was ist?«

»Irgend jemand hat ihn mir neulich bei einem Hauskonzert gezeigt. Er sieht sehr kraftvoll und eigensinnig aus.«

»Das hast du auf den ersten Blick erkannt?«

»Er ist sehr groß, vielleicht sogar noch etwas größer als du. Das ist gut, denn Sinjun ist sehr groß für eine Frau. Aber er machte auf mich den Eindruck eines harten Mannes. Ich meine, er sieht so aus, als würde er vor nichts zurückschrecken, um seine Ziele zu erreichen.«

»Alex, das kannst du doch unmöglich wissen, ohne auch nur ein Wort mit ihm gesprochen zu haben. Ich werde dir für zwei Tage alle Kleider wegnehmen, wenn du nicht sofort aufhörst, dummes Zeug zu reden.«

»Ich habe doch gar nichts gesagt, Douglas.«

»Er ist groß und sieht eigensinnig und hart aus. Wirklich ein großartiger Ansatzpunkt für meine Erkundigungen.«

»Du wirst feststellen, daß ich recht habe.« Sie lachte, und er spürte ihren warmen Atem an seiner Schulter. »Mein Vater verabscheut die Schotten. Hoffentlich teilst du seine Gefühle nicht.«

»Nein, das tu ich nicht. Sinjun hat mir erzählt, daß sie einander noch nicht vorgestellt worden sind.«

»Ich wette, daß sie das bald irgendwie bewerkstelligen wird. Du weißt ja, wie erfinderisch sie ist.«

»In der Zwischenzeit werde ich versuchen, möglichst viel über diesen schottischen Edelmann herauszufinden. Hmmm, hart und eigensinnig ... hoffentlich kein brutaler Kerl!«

Am nächsten Abend hätte Sinjun in ihrem Schlafzimmer tanzen mögen. Douglas ging mit ihr und Alex zu einer Macbeth-Aufführung im Drury Lane Theatre. Als Schotte, der bestimmt jede Menge Cousins namens McSowieso hatte, würde Colin Kinross dieser Premiere bestimmt ebenfalls beiwohnen. Bestimmt, ganz bestimmt! Aber was, wenn er nun in Begleitung einer Dame erschien? Was, wenn er ... Sie verdrängte diese trüben Gedanken. Eine ganze Stunde hatte sie auf ihre Toilette verwandt, und ihre Zofe Doris hatte beifällig gelächelt, während sie ein hellblaues Samtband durch Sinjuns Haare schlang. »Es hat genau die Farbe Ihrer Augen, Mylady. Sie sehen wunderschön aus.«

Sie sah wirklich nicht unattraktiv aus, dachte Sinjun, während sie sich ein letztes Mal im Spiegel betrachtete. Sie trug ein dunkelblaues Seidenkleid mit einem helleren Überrock, kurzen Puffärmeln und einer hellblauen Samtschärpe unterhalb der Brüste. Der Ausschnitt war bedauerlicherweise mehr als dezent, weil Douglas in dieser Hinsicht sehr strenge Vorstellungen von Schicklichkeit hatte, aber insgesamt sah sie wirklich sehr passabel aus, groß und schlank und modisch blaß.

Sie sah ihren Schwarm erst in der Pause. Im Foyer des Drury Lane Theatre drängte sich die High Society, mit Juwelen behängt, von deren Erlös man mühelos ein Dutzend englischer Dörfer ein Jahr lang hätte ernähren können. Lautes Stimmengewirr und Gelächter erfüllte die Halle, und es war sehr heiß. Einige Besucher wurden mit tropfendem Wachs von den Hunderten Kerzen in den riesigen Kronleuchtern befleckt. Douglas entfernte sich, um Champagner für Alex und Sinjun zu holen, und als Alex von einer Freundin angesprochen wurde, hatte Sinjun Zeit, nach ihrem Schotten Ausschau zu halten. Zu ihrem größten Entzücken entdeckte sie ihn kaum zweieinhalb Meter hinter sich. Er unterhielt sich mit Lord Brassley, einem von Ryders Freunden. Brass — so sein Spitzname — war ein Weiberheld und ein gutmütiger Kerl; es hieß von ihm, daß er seine Frau mit mehr Luxus umgebe als seine Mätressen.

Sinjun fühlte sich magisch angezogen. Wie in Trance ging sie auf Colin Kinross zu, stieß mit einem stattlichen Herrn zusammen, entschuldigte sich automatisch und setzte unbeirrt ihren Weg fort. Als nur noch ein knapper Meter sie voneinander trennte, hörte sie ihn lachend zu Lord Brassley sagen: »Du lieber Himmel, Brass, was soll ich bloß machen? Es ist wirklich schlimm — ich habe noch nie im Leben soviel dumme Gänse auf einmal gesehen, schnatternde, kichernde, flirtende Gänse, die einem schmachtende Blicke zuwerfen. Verdammt, das Schicksal ist mir wirklich nicht hold! Ich muß unbedingt eine reiche Erbin heiraten, um die Suppe auslöffeln zu können, die mein verschwenderischer Vater und mein nicht minder nichtsnutziger Bruder mir eingebrockt haben, aber sämtliche weiblichen Wesen, die meinen finanziellen Erfordernissen entsprechen, sind ansonsten einfach grauenhaft.«

»Ah, mein lieber Freund, aber es gibt durchaus auch sympathische Frauen«, lachte Lord Brassley, »Frauen, die man nicht heiratet, sondern nur genießt. Frauen, mit denen man sich nach Herzenslust amüsiert. Ich glaube, du könntest etwas Entspannung wirklich gut gebrauchen, Colin.« Er schlug Kinross auf die Schulter. »Was die reiche Erbin betrifft, mein Junge, so mußt du etwas Geduld haben.«

»Ha, Geduld! Jeder Tag bringt mich dem Abgrund näher. Und jene andere Kategorie von Weibern hätte es doch nur auf mein nicht vorhandenes Geld abgesehen und würde Geschenke noch und noch erwarten. Nein, ich habe keine Zeit für Ablenkungen, Brass. Ich muß einfach eine Erbin finden, die halbwegs passabel aussieht.«

Seine Stimme war tief und weich, humorvoll und etwas sarkastisch. Lord Brassley lachte wieder, winkte einem Freund zu und entfernte sich von dem Schotten. Sinjun hatte nicht die Absicht, diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen. Sie trat direkt vor ihn hin und wartete geduldig, bis sein Blick endlich auf ihr Gesicht fiel. Als er fragend seine schwarzen Brauen hob, streckte sie ihm einfach die Hand entgegen und sagte ohne Umschweife. »Ich bin eine reiche Erbin.«

KAPITEL 2

Colin Kinross starrte das junge Mädchen an, das mit ausgestreckter Hand vor ihm stand und — wenn ihn nicht alles täuschte — ziemlich aufgeregt war. Er selbst war völlig von den Socken, wie Philip sich ausdrücken würde, und fragte deshalb, um etwas Zeit zu schinden: »Entschuldigen Sie bitte — was haben Sie gesagt?«

Ohne zu zögern, wiederholte Sinjun klar und deutlich: »Ich bin eine reiche Erbin. Sie sagten doch, Sie müßten eine reiche Erbin heiraten.«

Er murmelte spöttisch, immer noch um Fassung bemüht: »Und Sie sehen mehr als passabel aus.«

»Es freut mich, daß Sie dieser Ansicht sind.«

Ihre Hand war noch immer ausgestreckt, und automatisch reichte er ihr die seine. Eigentlich hätte er sie an seine Lippen führen müssen, aber dieses seltsame Mädchen hielt sie ihm hin wie ein Mann. Eine kräftige Hand, dachte er, schlanke Finger, sehr hellhäutig.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er, »daß Sie eine reiche Erbin und zudem noch attraktiv sind. Äh ... Entschuldigung, ich heiße Ashburnham.«

Sie lächelte ihn an, und ihre Augen verrieten nur allzu deutlich ihre Gefühle. Seine Stimme war einfach wundervoll, tief und samtig, viel verführerischer als die Stimmen ihrer Brüder, die diesem herrlichen Mann aber auch sonst nicht das Wasser reichen konnten. »Ja, ich weiß. Und ich bin Sinjun Sherbrooke.«

»Seltsam — Sinjun ist doch eigentlich ein männlicher Spitzname.«

»Na ja, mein Bruder Ryder hat mich so getauft, als ich neun Jahre alt war. Mein richtiger Name ist Joan, und er hat versucht, mich als Saint Joan — als hl. Johanna — auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, aber irgendwie wurde dann Sinjun daraus, die Abkürzung von Saint John, und dabei ist es dann geblieben.«

»Mir gefällt Joan besser. Er klingt viel weiblicher.« Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, weil seine Bemerkung sich so lächerlich anhörte. »Ihr Verhalten hat mich völlig überrascht«, fuhr er fort. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, und Sie wissen nicht, wer ich bin. Mir ist einfach unbegreiflich, warum Sie das getan haben.«

Ihre hellblauen Augen strahlten ihn arglos an. »Ich habe Sie auf dem Ball bei den Portmaines und dann beim Hauskonzert der Ranleaghs gesehen«, erklärte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit. »Ich bin eine reiche Erbin, und Sie suchen eine Frau mit viel Geld. Wenn Sie nicht gerade ein Troll sind — dem Charakter nach, meine ich natürlich —, könnten Sie vielleicht in Erwägung ziehen, mich zu heiraten.«

Colin Kingross, für seine Freunde einfach Ash, konnte das Mädchen nur anstarren, das ihn verzückt ansah. »Das ist wirklich das Merkwürdigste, was mir je passiert ist«, sagte er, »und das war noch sehr stark untertrieben. Abgesehen von einem Erlebnis in Oxford, als die Frau eines Professors sich partout mit mir amüsieren wollte, während ihr Mann im Nebenraum einem meiner Freunde Lateinunterricht gab. Sie wollte sogar, daß die Tür einen Spalt weit offenstand, damit sie ihren Mann sehen konnte, während sie es mit mir trieb.«

»Haben Sie’s gemacht?«

»Was? Oh, es mit ihr getrieben?« Er hüstelte verlegen und rief sich energisch zur Ordnung. »Das weiß ich nicht mehr«, erklärte er streng. »Außerdem ist es ein Vorfall, den man am besten schnell vergessen sollte.«

Sinjun seufzte. »Meine Brüder hätten mir die Wahrheit gesagt, aber Sie kennen mich ja nicht, und deshalb kann ich von Ihnen wohl noch kein großes Vertrauen erwarten. Ich weiß, daß ich keine Schönheit bin, und dies ist meine zweite Saison, ohne daß ich einen festen Verehrer hätte, geschweige denn einen Verlobten. Aber ich bin reich, und im Grunde bin ich eine ganz nette Person.«

»Sie scheinen sich nicht ganz richtig einzuschätzen.«

»Vielleicht haben Sie ja schon eine Dame gefunden, die Ihren finanziellen Anforderungen entspricht.«

Er mußte grinsen. »Ich habe mich unverblümt ausgedrückt, stimmt’s? Nein, ich habe noch keine gefunden, wie Sie zweifellos bereits wissen, nachdem Sie meine Jammertirade gehört haben. Ehrlich gesagt, sind Sie die hübscheste junge Dame, der ich hier in London bisher begegnet bin. Vor allem sind Sie groß, und ich bekomme keinen Krampf im Nacken, wenn ich mich mit Ihnen unterhalte.«

»Ich bin leider etwas zu groß geraten. Meine Brüder finden mich zwar ganz hübsch, aber es freut mich sehr, daß auch Sie dieser Meinung sind, Mylord. Wie gesagt, dies ist meine zweite Saison, und ich hatte eigentlich gar keine Lust dazu, weil diese ganzen Veranstaltungen oft schrecklich langweilig sind, aber dann habe ich Sie gesehen, und plötzlich war alles ganz anders.«

Sie starrte ihn noch immer an, und er registrierte bestürzt den hungrigen Ausdruck ihrer schönen blauen Augen.

So etwas hatte er wirklich noch nie erlebt. Er fühlte sich überrumpelt und kam sich reichlich töricht vor. Dabei war er im allgemeinen nicht leicht aus der Fassung zu bringen und genoß den Ruf, Herr jeder Lage zu sein.

»Kommen Sie hierher, raus aus dem größten Gedränge. Ja, so ist es besser. Hören Sie zu, das ist eine sehr ungewöhnliche Situation. Könnte ich Sie vielleicht morgen besuchen? Eine junge Dame kommt auf uns zu, und sie sieht zu allem entschlossen aus.«

Sie schenkte ihm ein betörendes Lächeln. »O ja, ich würde mich sehr freuen.« Sie nannte ihm die Adresse des Stadthauses am Putnam Place. »Das muß meine Schwägerin Alex sein.«

»Und wie ist Ihr voller Name?«

»Alle nennen mich nur Sinjun.«

»Ja, aber das gefällt mir nicht. Ich bevorzuge Joan.«

»Also gut. Genau genommen, bin ich Lady Joan, denn mein Vater war ein Graf. Lady Joan Elaine Winthrop Sherbrooke.«

»Ich werde Sie am Vormittag besuchen. Möchten Sie mit mir ausreiten?«

Sie nickte, den Blick unverwandt auf seinen Mund und seine weißen Zähne gerichtet, und beugte sich unbewußt ihm entgegen. Colin schnappte nach Luft und wich hastig zurück. Allmächtiger, die Kleine war ja draufgängerischer als jeder Husar! Sie hatte sich also auf den ersten Blick in ihn verliebt. Ha! Er würde morgen mit ihr ausreiten, herausfinden, was sie mit diesem albernen Spiel bezweckte, und sie vielleicht küssen und ein bißchen begrapschen, um ihr eine Lektion zu erteilen. Ein verdammt unverschämtes Geschöpf — und dabei war sie Engländerin! Bisher hatte er gedacht, junge Engländerinnen wären zurückhaltend. Von diesem Mädchen konnte man das beim besten Willen nicht behaupten.

»Also dann, bis morgen.«

Colin entfernte sich hastig, bevor diese Schwägerin ihn stellen konnte. Er suchte nach Brass und schleppte seinen Freund mit sich ins Freie. »Hör auf zu jammern«, rief er. »Hier draußen wirst du wenigstens nicht dauernd von Weibern abgelenkt. Und jetzt erklär mir bitte, was eigentlich gespielt wird. Wahrscheinlich steckst du hinter diesem absurden Scherz, und ich möchte wissen, warum du dieses Mädchen auf mich angesetzt hast. Mir ist immer noch ganz schwindelig von ihrer Unverschämtheit.«

Alex beobachtete, wie der Schotte Lord Brassley aus dem riesigen Foyer zog. Dann sah sie Sinjun an, die ihrem Schwarm mit verzückter Miene nachblickte. Es war nicht schwer zu erraten, daß Sinjuns Gedanken keineswegs so prosaisch wie ihre eigenen waren.

»Er sieht ganz interessant aus«, brachte sie den Ball ins Rollen.

»Interessant? Red kein dummes Zeug, Alex. Er ist bildschön, einfach vollkommen. Hast du denn seine Augen nicht gesehen? Und die Art, wie er lächelt und spricht, ist ...«

»Ja, meine Liebe, aber komm jetzt. Die Pause ist gleich vorbei, und Douglas macht schon ein böses Gesicht.«

Es fiel Alex sehr schwer, ihren Mann nicht sofort in die neueste Entwicklung einzuweihen. Sobald sie zu Hause waren, gab sie Sinjun einen flüchtigen Gutenachtkuß und zog Douglas sodann an der Hand ins Schlafzimmer.

»Begehrst du mich so rasend?« fragte er amüsiert.

»Sinjun hat Colin Kinross kennengelernt. Ich habe gesehen, daß sie ihn angesprochen hat, und ich befürchte, daß sie ziemlich vorlaut war.«

Douglas trug einen Leuchter zu dem Tisch neben dem breiten Bett, blickte nachdenklich in die Flammen und zuckte schließlich die Achseln. »Lassen wir die Sache bis morgen auf sich beruhen. Sinjun ist weder dumm noch ungehobelt. Ryder und ich haben ihr beigebracht, was sich gehört und was nicht. Sie würde die Hürden nie zu schnell nehmen.«

Am nächsten Morgen um zehn war Sinjun sehr wohl bereit, alle Hürden möglichst schnell zu nehmen. Sie wartete auf der Freitreppe, und Doris hatte ihr versichert, daß sie in ihrem dunkelblauen Reitkostüm großartig aussah. Ungeduldig schlug sie mit der Reitpeitsche an ihren Stiefel. Wo blieb er nur? Hatte er ihr nicht geglaubt? Oder war ihm inzwischen eingefallen, daß sie seinem Geschmack in keiner Weise entsprach?

Bevor ihre Selbstzweifel überhand nehmen konnten, kam er auf einem prachtvollen schwarzen Berberroß angaloppiert. Als er sie sah, zügelte er das Pferd und beugte sich lächelnd ein klein wenig zu ihr herab.

»Werde ich nicht ins Haus gebeten?«

»Ich glaube, dafür wäre es noch zu früh.«

Er beschloß, sich im Augenblick mit dieser Erklärung zu bescheiden. »Wo ist Ihr Pferd?«

»Folgen Sie mir.« Sie ging zu den Stallungen hinter dem Haus, wo ihre Stute Fanny von Henry, einem der Reitknechte, mit zusätzlichen Streicheleinheiten verwöhnt wurde. Ohne seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, schwang sie sich in den Sattel, arrangierte ihre Röcke, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß ihm dieses Bild gefallen möge, und lächelte etwas zögernd. »Es ist noch früh. Sollen wir in den Park reiten?«

Er nickte und lenkte sein Pferd neben das ihre, denn die Straßen waren mit Hausierern, Wagen und Karren aller Art, sowie mit zerlumpten Gassenjungen überfüllt, und überall lauerten Gefahren, auch wenn diese junge Person so aussah, als könnte sie sich durchaus ihrer Haut wehren. Jedenfalls war sie eine ausgezeichnete Reiterin. Trotzdem ließ er ihr demonstrativ seinen männlichen Schutz angedeihen.

Im Park angelangt, schlug er vor: »Wie wär’s mit einem kleinen Galopp? Ich weiß zwar, daß sich das für eine Dame nicht schickt, aber wie Sie vorhin richtig bemerkt haben, ist es noch früh am Tag.«

Sie galoppierten bis zum Ende des langen Weges, und sein kraftstrotzender Hengst schlug Fanny um mehrere Längen. Lachend brachte sie die Stute neben ihm zum Stehen.

»Sie reiten sehr gut«, sagte Colin.

»Sie auch.«

Colin tätschelte seinem Pferd den Hals. »Ich habe mich bei Lord Brassley nach Ihnen erkundigt. Leider hat er uns nicht miteinander reden gesehen. Ich habe Sie beschrieben, aber er konnte sich offen gesagt nicht vorstellen, daß irgendeine Dame, am allerwenigsten Lady Joan Sherbrooke, mich so angesprochen hätte, wie Sie es getan haben.«

Sie rieb sich die Hände in den weichen Lederhandschuhen. »Wie haben Sie mich denn beschrieben?«

Er wollte sich nicht anmerken lassen, daß sie ihn schon wieder verblüfft hatte, und berichtete achselzuckend: »Nun, ich habe gesagt, Sie seien groß, blond und ziemlich attraktiv, Sie hätten schöne blaue Augen und ebenmäßige weiße Zähne. Leider mußte ich ihm auch sagen, daß Sie sehr unverschämt auftreten.«

Sie starrte über seine linke Schulter hinweg ins Leere. »Eine durchaus treffende Beschreibung, würde ich sagen. Und er hat mich nicht erkannt? Das ist wirklich seltsam. Er ist ein Freund meines Bruders, und Ryder sagt, er sei ein Wüstling, aber ein sehr gutherziger. Wahrscheinlich sieht er in mir immer noch die zehnjährige Göre, die ihn um Geschenke anbettelte. Während der letzten Saison mußte er mich einmal zu Almack’s begleiten, und Douglas machte mir vorher unumwunden klar, daß Brass mit Intelligenz nicht gerade gesegnet sei, daß ich möglichst wenig reden und auf gar keinen Fall über Bücher sprechen solle. Douglas sagte, das würde Brass ganz verrückt machen.«

Colin wußte beim besten Willen nicht, was er von ihr halten sollte. Sie sah wie eine Dame aus, und Brass hatte gesagt, Lady Joan Sherbrooke sei ein von ihren Brüdern vergöttertes nettes kleines Ding, das sich ihm gegenüber nie keck benommen hätte. Allerdings sei ihm zu Ohren gekommen, hatte er flüsternd hinzugefügt, daß sie allzugut über Bücher Bescheid wisse. Einige Matronen hätten sich bei einem Ball sehr mißbilligend darüber geäußert. Andererseits, dachte Colin, hatte sie auf der Treppe auf ihn gewartet, und das würde eine Dame doch bestimmt nicht tun. Hätte eine junge Engländerin aus gutem Hause ihn nicht im Salon empfangen, eine Teetasse in der Hand? Außerdem hatte Brass behauptet, daß Joan Sherbrooke ganz normale braune Haare hätte, und das stimmte nun wirklich nicht. In der Morgensonne schimmerte es in den verschiedensten Farben, von hellem Blond bis hin zu dunklen Aschtönen.

Zum Teufel aber auch! Er verstand überhaupt nichts mehr und war sich alles andere als sicher, daß er ihr glaubte. Wahrscheinlich war sie auf der Suche nach einem reichen Gönner. Vielleicht war sie die Zofe dieser Lady Joan Sherbrooke oder eine Kusine. Er müßte ihr klipp und klar sagen, daß er kein Geld hatte, daß sie von ihm bestenfalls ein Schäferstündchen im Heu erwarten konnte, nicht mehr und nicht weniger.

Sinjun hatte sein wechselndes Mienenspiel aufmerksam beobachtet. »Mein Benehmen hat Sie wahrscheinlich schockiert«, gab sie unumwunden zu und stürzte sich in eine Erklärung. »Sie sind der schönste Mann, den ich je im Leben gesehen habe, aber das ist noch nicht alles. Sie müssen wissen, daß es nicht nur Ihr Gesicht war, das auf mich eine so unwiderstehliche Anziehungskraft ausgeübt hat, sondern auch ... wie soll ich es ausdrücken ... o Gott, ich weiß es nicht ...«

»Ich und schön?« Colin starrte sie verdutzt an. »Ein Mann ist nicht schön, das ist Unsinn. Bitte sagen Sie mir einfach, was Sie von mir wollen, und ich werde mein Bestes tun, um Ihnen behilflich zu sein. Leider kann ich nicht Ihr Gönner werden. Selbst wenn ich der geilste Bock von ganz London wäre, ginge das aus dem einfachsten Grunde nicht — mir fehlt dazu das Geld.«

»Ich will keinen Gönner, wenn Sie damit meinen, daß Sie mich als Mätresse aushalten sollen.«

»Ja«, sagte er, unwillkürlich fasziniert. »Genau das habe ich gemeint.«

»Ich kann keine Mätresse werden. Und selbst wenn ich wollte, würde es Ihnen nichts nützen, denn mein Bruder würde meine Mitgift bestimmt nicht herausgeben, wenn Sie mich nicht heiraten. Es würde ihm sehr mißfallen, wenn ich Ihre Geliebte würde, denn in solchen Dingen ist er sehr altmodisch.«

»Aber warum machen Sie dann das alles? Bitte sagen Sie es mir. Hat einer meiner lieben Freunde Sie dazu angestiftet? Sind Sie vielleicht die Mätresse von Lord Brassley? Oder Henry Tompkins? Oder Lord Clinton?«

»O nein, niemand hat mich dazu angestiftet.«

»Es sagt nicht allen Menschen zu, daß ich Schotte bin. Obwohl ich mit sehr vielen der hiesigen Herren zur Schule gegangen bin, trinken sie zwar gern mit mir und treiben mit mir Sport, aber sie wollen nicht, daß ich ihre Schwestern heirate.«

»Ich glaube, an meinen Gefühlen würde sich nichts ändern, auch wenn Sie ein Marokkaner wären.«

Er starrte sie wieder fassungslos an. Die hellblaue Zierfeder an ihrem Reithut umrahmte reizvoll ihr Gesicht. Das dunkelblaue Reitkostüm stand ihr großartig; es war sehr elegant und betonte ihre hohen Brüste, die schmale Taille und ... Er fluchte leise vor sich hin.

»Sie hören sich genauso wie meine Brüder an«, kommentierte Sinjun, »aber meistens müssen sie beim Fluchen mittendrin lachen.«

Er wollte gerade etwas erwidern, als er bemerkte, daß sie seinen Mund anstarrte. Nein, sie konnte keine Dame sein. Einer seiner sogenannten Freunde erlaubte sich mit ihm einen üblen Scherz und bezahlte diese Frau dafür, daß sie ihn zum Narren hielt.

»Jetzt reicht’s mir wirklich!« knurrte er. »Das ist doch nur Theater, weiter nichts! Es kann gar nichts anderes sein. Sie können mich doch nicht aus heiterem Himmel heiraten wollen und diese Absicht dauernd dreist äußern!«

Er riß sie plötzlich vom Damensattel und zog sie über seine Schenkel. Dann wartete er, bis sich die beiden Pferde wieder beruhigt hatten. Ihr kam es überhaupt nicht in den Sinn, sich zu wehren. Im Gegenteil, sie schmiegte sich sofort an ihn. Nein, sie konnte nie und nimmer eine Dame sein!

Er lehnte sie gegen seinen linken Arm, hob mit seinen behandschuhten Fingerspitzen ihr Kinn an und küßte sie. Als seine Zunge auf ihre geschlossenen Lippen stieß, knurrte er wütend: »Verdammt, machen Sie doch Ihren Mund auf!«

»In Ordnung«, sagte sie und öffnete weit den rosigen Mund.

Bei diesem Anblick mußte Colin unwillkürlich lachen. »Du lieber Himmel, Sie sehen ja so aus, als wollten Sie eine Oper singen, wie diese gräßliche Mailänder Sopranistin.« Er setzte sie wieder auf ihr Pferd, was Fanny mißfiel. Die Stute tänzelte seitwärts, aber Sinjun bekam sie mühelos wieder unter Kontrolle, obwohl sie völlig durcheinander war.

»Also gut, ich muß wohl akzeptieren, daß Sie eine Dame sind«, sagte er. »Was ich allerdings nicht akzeptieren kann, ist Ihre Behauptung, Sie hätten mich beim Ball der Portmaines gesehen und sofort gewußt, daß Sie mich heiraten wollen.«

»Nein, ehrlich gesagt war ich mir in jedem Moment noch nicht ganz sicher, daß ich Sie heiraten wollte. Ich dachte einfach, daß ich Sie für den Rest meines Lebens anschauen könnte.«

Er mußte zugeben, daß sie wirklich entwaffnend war. »Bevor ich Sie wiedersehe — falls ich Sie wiedersehe —, möchte ich, daß Sie lernen, sich ein wenig zu verstellen. Nicht sehr, Gott bewahre, nur so, daß mir nicht ständig wegen Ihrer gewagten Bemerkungen der Unterkiefer herunterklappt.«

»Ich werd’s versuchen.« Sinjun ließ ihren Blick flüchtig über den dichten grünen Rasen und die vielen Reitwege schweifen, die den Park unterteilten. »Glauben Sie, daß ich eventuell hübsch genug für Sie sein könnte? Ich weiß, daß Sie das mit der Attraktivität bisher nie ernst gemeint haben, und ich will nicht, daß Sie sich meiner schämen müssen, falls ich Ihre Frau werden sollte.«

Sie blickte ihm in die Augen, und er konnte über sie nur den Kopf schütteln. »Hören Sie mit diesem Unsinn auf! Verdammt, Sie sind sehr hübsch, und das wissen Sie zweifellos.«

»Die Menschen lügen und raspeln Süßholz, wenn sie es mit einer reichen Erbin zu tun haben. Ich bin nicht so naiv, alle Komplimente für bare Münze zu halten.«

Er sprang vom Pferd, schlang sich die Zügel um ein Handgelenk und ging auf eine dicht belaubte Eiche zu. »Kommen Sie her. Wir müssen uns unterhalten, wenn ich mich nicht freiwillig ins Irrenhaus begeben soll.«

Das ließ sich Sinjun nicht zweimal sagen. Welche Wonne, dicht neben ihm stehen zu können!

Sie betrachtete das Grübchen in seinem Kinn, hob die Hand, streifte ihren Handschuh ab und strich mit einer Fingerspitze zärtlich über diese Vertiefung. Er stand völlig regungslos da.

»Ich werde Ihnen eine sehr gute Ehefrau sein. Versprechen Sie mir, daß Sie nicht den Charakter eines Trolls haben?«

»Ich liebe Tiere und gehe nicht auf die Jagd. Ich habe fünf Katzen, ausgezeichnete Rattenfänger, und nachts haben sie die Ofenbank ganz für sich allein. Und wenn es sehr kalt ist, schlafen sie sogar mit mir im Bett, allerdings nicht oft, weil ich unruhig schlafe. Wenn Sie aber wissen wollten, ob ich Sie schlagen würde, so lautet die Antwort: nein.«

»Man sieht Ihnen an, daß Sie sehr stark sind. Es gefällt mir, daß Sie Schwächeren nichts zuleide tun. Fühlen Sie sich für die Menschen verantwortlich, die von Ihnen abhängig sind?«

Zu seiner eigenen Verwunderung konnte er den Blick nicht von ihr wenden. »Ich glaube schon.«

Er dachte an seine riesige Burg, die allerdings nicht aus dem Mittelalter stammte, sondern im ausgehenden siebzehnten Jahrhundert von einem Kinross an den ursprünglichen Tudorbau angebaut worden war. Er liebte diese Burg mit ihren Türmen, Zinnen, Schießscharten und Schutzwällen, aber sie war teilweise so baufällig und zugig, daß man sich eine Lungenentzündung holen konnte, wenn man auch nur zehn Minuten an einer Stelle stand. Soviel Reparaturen wären nötig, um sowohl sie als auch den Tudorflügel in neuem Glanz erstrahlen zu lassen! Und dann all die Nebengebäude und Ställe, das Ackerland und die dezimierten Schaf- und Rinderherden, und seine vielen Pächter, die in äußerster Armut dahinvegetierten und nicht einmal genügend Korn für das tägliche Brot hatten ... Die Zukunft war so furchtbar düster und hoffnungslos, wenn er nicht schnell handelte!

Er wandte seinen Blick von dem Mädchen ab und starrte zu den Silhouetten der imposanten Stadthäuser hinüber, die den Hyde Park begrenzten. »Mein Erbe wurde größtenteils von meinem Vater durchgebracht, und mein älterer Bruder, der sechste Earl, hat dann bis zu seinem frühen Tod auch noch den letzten Rest des Vermögens verschleudert. Ich brauche sehr viel Geld, denn andernfalls wird meine Familie auf milde Gaben angewiesen sein, und viele meiner Pächter werden emigrieren müssen oder Hungers sterben. Ich lebe in einem alten Schloß östlich des Loch Leven, auf der Halbinsel Fife, nordwestlich von Edinburgh. In Ihren Augen wäre es bestimmt ein wildes Land, obwohl es viele sanfte Hügel und genügend Ackerboden gibt. Sie sind Engländerin, und Sie würden nur die öden Hochebenen und die zerklüfteten Felswände und die Schluchten mit ihren tosenden Wildbächen sehen, deren Wasser so kalt ist, daß man blaue Lippen bekommt, wenn man davon trinkt. In den Wintermonaten ist es gewöhnlich nicht allzu kalt, aber die Tage sind kurz, und gelegentlich gibt es heftige Stürme. Im Frühling sind die Hügel mit purpurfarbenem Heidekraut bedeckt, und das Rhododendron überwuchert alle Bauernkaten und rankt sich sogar an den Mauern meiner zugigen Burg empor, in allen möglichen Rosa- und Rottönen.«

Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Da faselte er nun wie ein Dichter über die Schönheiten Schottlands, so als wollte er seiner Heimat eine Art Empfehlungsschreiben ausstellen, und sie hing verzückt an seinen Lippen. Es war einfach absurd, und er konnte so etwas nicht dulden. Er räusperte sich kräftig. »Ich lüge nicht — meine Ländereien könnten viel Geld abwerfen, weil es genug fruchtbaren Boden gibt, und ich habe gute Ideen, wie ich das Los der Pächter erleichtern könnte — und damit auch mein eigenes. Bei uns herrschen keine Zustände wie im Hochland, wo man sogar heutzutage Schafe importieren muß, um überleben zu können. Aber ich brauche Geld, Joan, viel Geld, und deshalb bleibt mir gar keine andere Wahl als die Heirat mit einer reichen Erbin.«

»Ich verstehe. Kommen Sie mit mir nach Hause und sprechen Sie mit Douglas. Er ist der Earl of Northcliffe, müssen Sie wissen. Wir werden ihn fragen, wie hoch meine Mitgift ist, aber sie muß schon sehr üppig sein, denn ich habe gehört, wie er zu meiner Mutter sagte, sie solle aufhören zu unken, daß ich als alte Jungfer enden würde. Mit meiner Mitgift könnte ich sogar noch mit fünfzig und ohne einen einzigen Zahn im Mund mühelos einen Mann finden.«

Er sah sie hilflos an. »Aber warum ausgerechnet ich?«

»Keine Ahnung, aber es ist nun einmal so.«

»Ich könnte Sie im Bett erdolchen.«

Ihre Augen verschleierten sich, und er wurde plötzlich von schier übermächtiger Begierde geschüttelt.

»Ich sagte erdolchen, nicht vögeln.«

»Was bedeutet: ›vögeln‹?«

»Es bedeutet ... o verdammt, können Sie sich nicht endlich ein bißchen verstellen? ›vögeln‹ ist ein sehr vulgärer Ausdruck, und ich entschuldige mich dafür.«

»Oh, dann meinen Sie wohl den Liebesakt.«

»So ist es, nur bezieht sich dieser Ausdruck auf die wesentlichen Vorgänge zwischen Mann und Frau, ohne all den hochgestochenen romantischen Unsinn, mit dem Frauen den Akt gern verbrämen.«

»Aha, Sie sind also zynisch. Na ja, schließlich können Sie nicht in jeder Hinsicht vollkommen sein. Meine beiden Brüder vögeln nicht, sondern machen Liebesspiele. Vielleicht werde ich es Ihnen beibringen können, aber vorher müssen Sie mir natürlich zeigen, wie diese Sache überhaupt geht. Es wäre für Sie bestimmt unzumutbar, wenn Sie jedesmal, wenn Sie mich küssen wollen, schallend lachen müssen, weil ich den Mund zu weit aufreiße.«

Colin wandte sich von ihr ab. Er fühlte sich auf eine unwirkliche Insel versetzt, deren Boden unter seinen Füßen schwankte. Er haßte es, nicht alles unter Kontrolle zu haben; daß er ohne jedes eigene Verschulden vor dem sicheren Ruin stand, war für seinen männlichen Stolz schon schlimm genug. Da würde er sich nicht obendrein noch von einer Frau am Gängelband führen lassen, aber diese unmögliche Person hielt es offenbar für ganz normal, ständig die Initiative zu ergreifen. Kein schottisches Mädchen würde sich jemals so aufführen wie diese angeblich vornehme englische Dame. Es war einfach absurd. Er kam sich wie ein kompletter Narr vor. »Liebe kann ich Ihnen nun beim besten Willen nicht versprechen«, sagte er schroff. »Ich glaube nicht an Liebe, und dafür habe ich sehr gute Gründe. Unzählige Gründe.«

»Das hat mein Bruder Douglas auch immer behauptet, aber dann hat er sich verändert. Wissen Sie, seine Frau Alexandra hat einfach solange nicht lockergelassen, bis sie ihn bekehrt hat, und jetzt würde er sich mit Freuden mitten in eine Schlammpfütze legen, damit sie trockenen Fußes hinüberkommt.«

»Dann ist er ein Narr.«

»Vielleicht. Aber er ist ein sehr glücklicher Narr.«

»Ich habe keine Lust, mich weiter über dieses Thema zu unterhalten. Sie machen mich ganz konfus. Nein, seien Sie still. Ich bringe Sie jetzt nach Hause, und dann muß ich in Ruhe nachdenken. Und Sie sollten das gleiche tun. Ich bin nur ein Mann, verstehen Sie? Ein ganz normaler Mann. Wenn ich Sie heiraten würde, so nur des Geldes wegen und nicht etwa wegen Ihrer schönen Augen oder wegen Ihres vermutlich sehr schönen Körpers.«

Sinjun nickte und fragte gleich darauf leise: »Glauben Sie wirklich, daß ich einen schönen Körper habe?«

Er half ihr fluchend beim Aufsteigen und schwang sich sodann selbst in den Sattel. »Nein«, knurrte er entnervt, »nein, seien Sie bitte endlich still!«

Sinjun hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen, aber Colin schlug ein rasches Tempo an. Als sie das herrschaftliche Haus der Sherbrookes erreichten, führte Sinjun ihre Stute zum Stall, ohne ihren Begleiter zu beachten, und ihm blieb nichts anderes übrig als ihr zu folgen.

»Henry, bitte kümmere dich um die Pferde. Dies ist Seine Lordschaft, Lord Ashburnham.«

Henry zupfte an einer karottenroten Locke, die ihm in die Stirn fiel, und musterte Colin interessiert, was diesen sehr wunderte. Um dieses verwegene Mädchen mußten doch Dutzende von Männern herumscharwenzeln, allein schon aus Neugier, was es wohl als nächstes sagen würde. Und dem Grafen blieb wohl nichts anderes übrig als jeden Mann, der sein Haus betrat, vor der übertriebenen Offenheit seiner Schwester zu warnen.

Sinjun lief leichtfüßig die Treppe hinauf, öffnete die Tür und bat Colin ins Haus. Die Eingangshalle war nicht so gewaltig wie die von Nortcliff Hall, aber mit ihrem weißen, blau geäderten Marmorboden und den hellblauen Wänden, an denen Porträts längst verstorbener Sherbrookes hingen, doch sehr eindrucksvoll.

Sinjun schloß die Tür und schaute sich um, ob der Butler oder einer der anderen Dienstboten in der Nähe war. Kein Mensch war zu sehen. Sie schenkte Colin ein strahlendes Lächeln — ein sehr verschwörerisches Lächeln, wie er stirnrunzelnd feststellte — und trat dicht an ihn heran.

»Ich bin sehr froh, daß Sie hereingekommen sind. Jetzt werden Sie mir wenigstens glauben, daß ich wirklich die bin, für die ich mich ausgebe, obwohl ich die Vorstellung, Ihre Mätresse zu werden, ganz interessant finde — natürlich nur theoretisch. Möchten Sie jetzt mit meinem Bruder sprechen?«

»Ich hätte nicht mitkommen sollen. Ich habe auf dem ganzen Rückweg darüber nachgedacht, und es geht einfach nicht — nicht auf diese Weise. Wissen Sie, ich bin nicht daran gewöhnt, von einem Mädchen gehetzt und in die Enge getrieben zu werden wie ein Fuchs bei der Jagd. Das ist unnatürlich und ...«