Regency Games - Wie küsst man einen Viscount? - Catherine Coulter - E-Book
SONDERANGEBOT

Regency Games - Wie küsst man einen Viscount? E-Book

Catherine Coulter

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein gefährliches Spiel der Leidenschaft: Das Romantik-Highlight: »Regency Games – Wie küsst man einen Viscount?« von Catherine Coulter jetzt als eBook bei venusbooks. Die junge Caroline Derwent-Jones ist entsetzt: Weil er sich ihr Vermögen unter den Nagel reißen will, hat ihr Vormund sie seinem langweiligen Sohn Owen versprochen! Um einer Heirat zu entkommen, flieht sie Hals über Kopf – und läuft direkt in die Arme des mysteriösen Frederic Nightingale. Zu Carolines großer Überraschung bietet dieser ihr unumwunden seine Hilfe an und nimmt sie auf seinem Anwesen auf – und das, obwohl die Nightingales berüchtigt für ihre Verachtung des weiblichen Geschlechts sind … Trotz ihrer Befürchtungen kann Caroline nicht verhindern, dass sie sich immer mehr zu dem attraktiven Viscount hingezogen fühlt. Doch kann dieser die Traditionen seiner Familie hinter sich lassen und sein Herz für sie öffnen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Wie küsst man einen Viscount?« von Catherine Coulter ist das zweite Buch der romantischen »Regency Games«-Serie, deren Einzelbände unabhängig voneinander gelesen werden können – ein Lesevergnügen für alle Fans von Julia Quinns »Bridgerton»-Serie und Abbi Glines begeistern. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 645

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Die junge Caroline Derwent-Jones ist entsetzt: Weil er sich ihr Vermögen unter den Nagel reißen will, hat ihr Vormund sie seinem langweiligen Sohn Owen versprochen! Um einer Heirat zu entkommen, flieht sie Hals über Kopf – und läuft direkt in die Arme des mysteriösen Frederic Nightingale. Zu Carolines großer Überraschung bietet dieser ihr unumwunden seine Hilfe an und nimmt sie auf seinem Anwesen auf – und das, obwohl die Nightingales berüchtigt für ihre Verachtung des weiblichen Geschlechts sind … Trotz ihrer Befürchtungen kann Caroline nicht verhindern, dass sie sich immer mehr zu dem attraktiven Viscount hingezogen fühlt. Doch kann dieser die Traditionen seiner Familie hinter sich lassen und sein Herz für sie öffnen?

Über die Autorin:

Catherine Coulter wurde 1942 in Texas geboren. Schon früh begeisterte sie sich für die Regency-Bestseller von Georgette Heyer, die sie schließlich dazu inspirierten, selbst historische Liebesromane zu schreiben. Inzwischen ist Catherine Coulter erfolgreiche Autorin zahlreicher historischer und zeitgenössischer Liebesromane, sowie vieler Thriller, mit denen sie immer wieder auf der New-York-Times-Bestsellerliste stand.

Bei venusbooks veröffentlichte die Autorin die historischen Liebesromane:

»Regency Brides – Eine skandalöse Hochzeit, Band 1«

»Regency Brides – Eine unerwartete Liebe, Band 2«

»Regency Brides – Eine Lady auf Abwegen, Band 3«

»Regency Brides – Eine geheimnisvolle Lady, Band 4«

»Regency Games – Wie verzaubert man einen Earl? Band 1«

»Regency Games -Wie küsst man einen Viscount? Band 2«

»Regency Beaus – Wie verführt man einen Baron?«

Die Website der Autorin: catherinecoulter.com/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/CatherineCoulterBooks/

Die Autorin auf Instagram: instagram.com/catherinecoulterauthor/

***

eBook-Neuausgabe September 2023

Ein eBook des venusbooks-Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 1996 unter dem Titel »Fluch der Liebe« bei Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München.

Copyright © der Originalausgabe 1994 by Catherine Coulter.

Copyright © der Neuausgabe 2023 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Karolina Michałowska unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ys)

ISBN 978-3-96898-259-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

***

Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Regency Games 2« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

www.facebook.com/venusbooks

www.instagram.com/venusbooks

Catherine Coulter

Regency Games – Wie küsst man einen Viscount?

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christa von Hadeln

venusbooks

Kapitel 1

St. Agnes Head, Cornwall August 1814

Frederic North starrte auf die zusammengekrümmte Frau zu seinen Füßen. Ihre Knie waren an die Brust gezogen, die Arme hielt sie über dem Kopf verschränkt, als ob sie sich bei dem Sturz über die Klippen hatte schützen wollen. Das modische, hellblaue Musselinkleid war unter den Armen zerrissen, das Oberteil und der Rock wiesen erdverschmierte Flecken auf; ein blauer Schuh hing an zerrissenen, ineinander verwickelten Bändern von ihrem rechten Fuß herab.

Er kniete neben ihr nieder und nahm ihr die steifen Arme vorsichtig vom Kopf. Es war schwierig. Sie war schon seit einiger Zeit tot, mindestens seit achtzehn Stunden, denn die Muskeln gaben allmählich wieder nach und hatten ihre Starre verloren. Er legte ihr die Finger auf den Nacken, wo der Kragen des Kleides abgerissen war. Er konnte nicht sagen, warum er nach dem Puls suchte, vielleicht weil er auf ein Wunder hoffte, aber er fühlte ihn nicht, sondern nur kalte Haut und Tod.

Ihre hellblauen Augen starrten ihn an, nicht ergeben und gefaßt, sondern in panischem Schrecken, in dem Wissen, daß sie sterben mußte und daß dies der letzte Augenblick ihres Lebens war. Obwohl er auf dem Schlachtfeld unzählige Männer hatte sterben sehen oder miterlebt hatte, wie sie später qualvoll an Wundfieber zugrunde gingen, bewegte ihn dieser Tod zutiefst. Sie war kein Soldat gewesen, der sich mit einem Säbel oder einer Muskete hatte zur Wehr setzen können. Sie war eine Frau gewesen, die dem Sturz von den Klippen hilflos ausgeliefert gewesen war. Er schloß ihr die Augenlider und drückte ihr den Unterkiefer nach oben, um den Mund zu schließen, den sie bei einem letzten Schrei weit aufgerissen hatte, aber es gelang ihm nicht. Ihre Panik war wieder da, und er hörte ihren langgezogenen Schrei, der über den Klippen schweben würde, bis von ihrem Körper nur noch weiße Knochen übriggeblieben wären.

Er stand langsam auf und trat einen Schritt zurück, nicht zu weit, um nicht selbst auf dem schmalen Felsvorsprung vierzig Fuß tief in das Irische Meer zu stürzen. Er atmete den salzigen Geruch des Wassers ein und hörte die Wellen gegen die schwarzen Felsen klatschen. Ein rhythmisches Geräusch, das ihn auf seltsame Weise beruhigte.

Sie war keine Unbekannte für ihn. Doch dauerte es eine Weile, bis er sie erkannt hatte. Es war Eleanor Penrose, die Witwe des vor langer Zeit verstorbenen Josiah Penrose von Scrilady Hall, das nur drei Meilen nördlich von hier bei Trevaunance Cove lag. North kannte sie bereits als Zehnjähriger, als sie damals aus Dorset angereist kam, um den Gutsherren Josiah Penrose zu heiraten. North erinnerte sich ihrer als lebenslustige junge Frau mit großem Busen und einem herzhaften, ansteckenden Lachen, das die Löckchen ihres weichen braunen Haares auf und nieder wippen ließ, wenn sie den eher verknöcherten Josiah Penrose in die Rippen knuffte und seinen trockenen schmalen Lippen ein Lächeln abrang. Und jetzt lag sie tot vor ihm auf dem Felsvorsprung, zusammengekrümmt wie ein Säugling. Er sagte sich, daß sie gestürzt sein mußte, daß es ein tragischer Unfall war und nichts weiter, aber in seinem Innern wußte er, daß es nicht stimmte. Eleanor Penrose kannte dieses Land so gut wie er. Niemals wäre sie hier draußen allein herumspaziert, so weit vom Gutshaus entfernt. Niemals wäre sie so unvorsichtig gewesen, zu nahe an den Rand der Klippen zu treten, um dann auszugleiten und hinunterzustürzen. Wie war es dazu gekommen?

Langsam kletterte er die Klippen hinauf. Seine Finger fanden an den vertrauten Stellen Halt, und seine Füße rutschten nur zweimal ab. Er zog sich über den felsigen Rand der Klippe von St. Agnes Head, stand auf und blickte zum Abgrund hinunter, während er sich den Staub von den Reithosen klopfte. Aus der Höhe wurde sie wieder zu dem blaßblauen Farbtupfer, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Plötzlich löste sich ein Stück lockerer Erde unter seinen Stiefeln. Er sprang zurück und riß die Arme hoch. Sein Herzschlag beruhigte sich erst, als er sich gut drei Fuß von dem gefährlich brüchigen Rand der Klippe entfernt hatte. Vielleicht war es Eleanor Penrose ebenso ergangen? Sie war zu nahe an den Abgrund getreten, und der Boden hatte unter ihren Füßen nachgegeben und sie in die Tiefe gerissen. Ein Felsvorsprung hatte ihren Körper aufgefangen und vor dem schäumenden Meer bewahrt, nicht aber vor dem Tod.

Nachdenklich ging North zu seinem rotbraunen Wallach. Es war ein ungewöhnlich hochbeiniges Pferd, das ihm den Namen Treetop eingebracht hatte, was soviel wie Baumwipfel bedeutet. Eine Bremse landete auf der Flanke des Pferdes. Es schlug mit dem Schweif danach und begrüßte seinen Herrn mit einem Wiehern. North mußte zum Magistrat reiten und den Vorfall melden. Dann fiel ihm ein, daß er selbst der Magistrat war. Er war hier nicht bei der Armee. Es gab keine Sergeants, die seine Befehle ausführten, und es gab keine Vorschriften, keine Protokolle. »Gut«, sagte er, als er sich mühelos auf Trees breiten Rücken schwang, »dann reiten wir zu Dr. Treath. Er muß sie sich ansehen, bevor wir sie heraufholen. Glaubst du, sie ist abgestürzt?«

Anstatt zu schnauben, schüttelte Tree den mächtigen Schädel.

Als er zu den Klippen zurückblickte und die Augen vor den Strahlen der Nachmittagssonne mit der Hand schützte, sagte North leise zu sich selbst: »Ich glaube es auch nicht. Sie wurde ermordet.«

»Lord Chilton! O Gott, mein Junge, wann sind Sie zurückgekommen? Sie waren doch mindestens ein Jahr fort. Sie ließen sich nur kurz zur Beerdigung Ihres Vaters blicken und sind dann wieder in diesen gräßlichen Krieg gezogen, der jetzt, Gott sei Dank, beendet ist. Jetzt kehren unsere tapferen englischen Männer wieder zurück. Bitte, kommen Sie herein! Kommen Sie doch herein! Wie immer haben Sie an die Tür zu meiner Praxis geklopft, hm?«

Dr. Treath stand groß und aufrecht im hellen Sonnenlicht vor ihm, schlank und schmal wie ein Achtzehnjähriger. Er schüttelte North’ Hand und drängte ihn förmlich in den Behandlungsraum mit seinen spiegelblanken Glasvitrinen, in denen blitzende Instrumente und sorgfältig etikettierte Fläschchen und Dosen aufbewahrt wurden. North schätzte den Arzt sehr und hielt ihn für einen der klügsten und weisesten Männer, die ihm je in seinem Leben begegnet waren. Er folgte ihm in das gemütliche, sonnendurchflutete Wohnzimmer von Perth Cottage mit dem mächtigen Kamin an der gegenüberliegenden Wand. Zeitungen lagen am Boden verstreut. Auf einem Stapel von Fachzeitschriften standen zwei leere Teetassen, und North erinnerte sich, daß Dr. Treath seinen Tee stets großzügig mit geschmuggeltem französischen Brandy auffüllte.

Er mußte lächeln, als er daran dachte, wie riesenhaft groß ihm Dr. Treath als Kind vorgekommen war. Aber jetzt war North erwachsen und konnte es leicht mit ihm aufnehmen. Die Männer in North’ Familie waren alle von beeindruckend großer Statur, und er stand seinen Vorfahren darin in nichts nach.

Dr. Treath begrüßte ihn mit einem warmen, herzlichen Lächeln.

»Ja, es ist lange her, Sir. Aber jetzt bin ich wieder zurückgekehrt und habe auch vor, hierzubleiben.«

»Setzen Sie sich doch, North. Tee? Brandy?«

»Nein, Sir. Eigentlich habe ich Sie in meiner Eigenschaft als Magistrat aufgesucht, um Ihnen mitzuteilen, daß ich Eleanor Penrose soeben auf einem Felsvorsprung unterhalb von St. Agnes Head gefunden habe. Sie ist tot. Sie muß bereits seit einem Tag tot sein, denn ihre Glieder waren noch starr, aber im Begriff, wieder weich zu werden.«

Dr. Benjamin Treath wurde steif wie Lots Frau. Das Blut wich ihm aus dem Gesicht, bis es die Farbe seines weißen Halstuchs angenommen hatte. Er sah plötzlich um Jahre gealtert aus. Alle Lebenskraft schien im Bruchteil einer Sekunde aus ihm gewichen zu sein. Dann schüttelte er langsam den Kopf und sagte mit brüchiger Stimme: »Nein. Nein, das kann nicht sein. Sie haben vergessen, wie Eleanor aussah. Nein, nicht Eleanor. Es ist eine andere Frau, die ihr ähnlich sieht. Diese andere Frau tut mir leid, aber es ist nicht Eleanor. Das ist ausgeschlossen. Sagen Sie mir, daß Sie sich getäuscht haben, North.«

»Ich bedaure, Sir, aber es war Eleanor Penrose.«

Trotzdem schüttelte Dr. Treath den Kopf. Diesmal mit vollem Nachdruck, während sich seine Augen verdunkelten und das Gesicht noch blasser wurde. »Tot, sagten Sie? Nein, North, Sie täuschen sich. Vorgestern habe ich mit ihr zu Abend gegessen. Sie war bester Stimmung, lachte herzerfrischend wie immer. Sie wissen doch, wie gern sie lacht. Wir aßen Austern in Scrilady Hall, bei Kerzenschein, und sie lachte über meine Geschichten von der Marine. Besonders die eine über den gestohlenen Sack mit Zitronen hatte es ihr angetan, den wir von einem holländischen Schiff in der Karibik bei St. Thomas mitgehen ließen, weil unsere Männer an Skorbut litten. Nein, nein, North, Sie irren sich, Sie müssen sich irren. Eleanor darf nicht tot sein.«

Verdammt, dachte North. »Es tut mir leid, Sir, aber es ist wahr. Sie ist tot.«

Benjamin Treath wandte sich ab und schritt langsam zu den breiten Flügeltüren am Ende des Wohnzimmers, die in ein gepflegtes, heckenumfriedetes Gärtchen führten, das jetzt, mitten im August, in allen Farben blühte. Samtene Rosen verwoben sich mit Bougainvilleen und Hortensien zu einem leuchtenden Teppich. Eine knorrige alte Eiche beschattete einen Winkel des Gartens mit ihrem dichten Laubwerk. Der dicke Stamm war rundherum mit Efeu bewachsen. Zwei zartblaue Schmetterlinge umtanzten sich im warmen Sonnenlicht. North vernahm das Zirpen einer Grille.

Dr. Treath stand regungslos in der Tür. Seine Schultern bebten, als würde er von Fieber geschüttelt. North wußte, daß er mit den Tränen kämpfte. »Mein aufrichtiges Beileid, Sir. Ich ahnte nicht, daß Sie Mrs. Penrose so nahestanden. Ich bitte Sie, mich jetzt zu begleiten, Sir. Außerdem sollten Sie noch etwas wissen.«

Dr. Treath wandte ihm langsam das Gesicht zu. »Sie ist tot, sagen Sie. Was sollte ich noch wissen? Bitte, North, sagen Sie es gleich.«

»Meiner Meinung nach ist sie nicht aus Versehen abgestürzt. Ich bin überzeugt, sie wurde von jemandem hinuntergestoßen. Ich habe sie weder untersucht noch berührt. Nur ihren Puls habe ich gefühlt. Das andere ist Ihre Aufgabe.«

»Ja«, sagte Dr. Treath nach einer Weile. »Ja, ich komme mit Ihnen. Einen Augenblick. Sagten Sie, jemand habe sie gestoßen? Nein, das ist unmöglich. Jeder mochte Eleanor. Jeder. Oh, mein Gott. Ja, ich komme mit.« Dann rief er mit lauter Stimme: »Bess! Komm bitte herunter. Ich muß jetzt weggehen. Jack Marley wird gleich hier sein. Bess? Beeil dich!«

Bess Treath erschien plötzlich in der Tür des Wohnzimmers. Noch etwas atemlos hielt sie die Hand an die Brust. Sie war groß und schlank gewachsen, und ihr dichtes Haar war eine Schattierung dunkler als das von North. Die Ähnlichkeit zwischen Bruder und Schwester war nicht zu übersehen. Als sie North erblickte, knickste sie kurz und sagte erfreut: »Mylord, Sie sind wieder zu Hause! Und Sie sehen ganz wie der Papa aus, aber alle Nightingale-Männer sehen sich ähnlich. Wie der Vater, so der Sohn. Und so war es immer gewesen, das meint jedenfalls Mrs. Freely, und die weiß es wieder von ihrer Mutter. Oh, mein Gott, es ist doch nichts geschehen? Warum gehst du aus dem Haus, Benjie? Was ist los? Ist jemand in Mount Hawke krank?«

Dr. Treath blickte sie nur an, ohne sie zu sehen. Er schien Perth Cottage, seine Schwester und North, der neben ihr stand, vergessen zu haben. Wieder schüttelte er den Kopf, als ob er sich damit in die Wirklichkeit zurückrufen wolle. »Jack Marley hat ein Furunkel im Nacken. Behandle es, wenn du willst. Wenn nicht, sag ihm, er möge wiederkommen. Desinfiziere die Stelle mit Jod. Gebrauche es großzügig. Du weißt, er wäscht sich nie den Hals.«

»Ja, ich weiß, Benjie. Ich komme schon damit zurecht.«

North sagte kurz: »Es hat einen Unfall gegeben, Miß Treath. Wir müssen jetzt gehen.«

»Ein Unfall? Was ist geschehen? Was ist los, Benjie?«

Dr. Treath schüttelte immer noch den Kopf. Dann schob er sich mit gesenktem Haupt an seiner Schwester vorbei. North folgte ihm schweigend.

Kapitel 2

Honeymead Manor, South Downs September 1814

Sie zitterte. Im Haus wurde es schnell feucht und kalt, und sie fror bis auf die Knochen. Sogar die wollenen Strümpfe fühlten sich klamm an. Seit zwei Tagen regnete es ununterbrochen, und die Luft hatte sich merklich abgekühlt. Der Park war von dichten grauen Nebelschleiern umhüllt, und alle fühlten sich niedergeschlagen, selbst die getigerte Hauskatze und Mrs. Tailstrops flachnasiger Mops Lucy, der fortwährend winselte, obwohl sie ihn in eine Wolldecke gewickelt mit sich herumtrug.

Caroline zitterte am ganzen Leib. Mein Gott, war das kalt! Entweder waren die zwei Schloßgespenster von Honeymead daran schuld, die jeden Winkel, in dem sie herumgeisterten, mit eisiger Kälte erfüllten, oder es lag am puren Geiz Roland Ffalkes’, ihres Vormunds.

Aber diese Frage war schnell beantwortet. Mit Roland Ffalkes nahmen es die beiden Hausgenossen nicht auf. Bereits drei Tage vor seiner Ankunft hatten sie sich nicht mehr blicken lassen. Sogar die getigerte Katze ließen sie in Ruhe, so daß ihr Schwanz dreimal so buschig war wie sonst. Gewöhnlich ließen sie gern die Bilder wackeln und von den Wänden fallen oder trieben die Küchenmädchen schreiend aus der Küche, wenn sich die vollen Milchtöpfe aus unerklärlichen Gründen über ihren Schoß ergossen hatten, und das alles nur, um die Bewohner des Hauses daran zu erinnern, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die in der South Downs Gazette nicht erklärt werden konnten.

Jedesmal, wenn Mr. Ffalkes ihr einen Besuch abstattete, übernahm er das Regiment. Das machte sie wütend. Honeymead Manor war das Haus ihrer Eltern und gehörte jetzt ihr. Das Brennholz und die Kamine gehörten ihr, trotzdem wies er die Dienstboten an, erst ab November Feuer zu machen. Mit seinem Tonfall und Gebaren deutete er an, daß es die Dienstboten nur darauf abgesehen hätten, ihn zu hintergehen und zu belügen. Schade, daß die Geister ihn bis jetzt verschont hatten. Der Teufel sollte sie holen!

»Ah«, pflegte Mrs. Tailstrop zu sagen, wenn sie sich bei ihr über Mr. Ffalkes beschwerte. Sie nickte dann wie eine Lehrerin, die ihren Zögling ohne große Hoffnung auf Erfolg unterwies. Nicht eine Spur von Verständnis und Mitgefühl war in ihrer Stimme zu entdecken. »So ist es eben mit den Männern. Wir müssen uns ihren Wünschen fügen. Sie sind Herr im Schloß. Es ist ihr Recht. Wir müssen ihnen gehorchen, meine Liebe. Und du wirst es lernen müssen.«

»Unsinn«, erwiderte Caroline dann immer. Das war ihr Schloß und nicht das seine. Mrs. Tailstrop pflegte dann ihre Hand zu tätscheln, als ob sie sagen wollte, daß sie keine Ahnung davon habe, wie die Dinge wirklich lägen. »Tja, mein liebes Kind, eines Tages, wenn du verheiratet bist, wirst du es begreifen. Wenn du deinem Ehemann nicht aufs Wort gehorchst, wird er darüber nicht erbaut sein, und dies, mein Kind – das versichere ich dir, da ich selbst mit einem liebevollen Ehemann gesegnet war –, kann höchst unangenehme Folgen haben.«

Ein Ehemann. Der würde nicht so bald in Frage kommen. Diesen Entschluß hatte Caroline bereits vor zwei Jahren an ihrem siebzehnten Geburtstag gefaßt und war ihm treu geblieben. Die Zähne klapperten ihr.

Auf der Suche nach einem warmen Plätzchen ging sie in das Rosenzimmer, das seinen Namen nach den riesigen roten Rosen auf der Tapete bekommen hatte. Aber auch in diesem Kamin war weder Asche noch Holz zu entdecken, obwohl sie die Nachbarn hier oft zu einer Tasse Tee empfing. Warum war er so ein Geizkragen? Es war schließlich ihr Geld, oder? Was ging es ihn an, wieviel Holz sie verbrannte? Warum erlaubte er ihr nicht, die fast sechzigjährige Rosentapete zu erneuern, die sich an mehreren Stellen ablöste? Warum ging er nicht auf ihren Vorschlag ein, die Sitzmöbel polstern und beziehen und die zerschlissenen Vorhänge erneuern zu lassen? Warum hatte er ihr das Geld für die braune Stute nicht bewilligt, die Sir Roger ihr zum Kauf angeboten hatte? Warum ließ er sie in dieser klapprigen Kutsche mit einer altersschwachen Mähre fahren, die bei einem Rennen gegen eine Schildkröte verloren hätte? Und, du lieber Himmel, die Pächter! Ihre Häuschen mußten dringend ausgebessert werden. Außerdem brauchten sie neue Pflugscharen und mehr Saatgut. Nichts war seit dem Tode ihres Vaters verändert worden. Sie fühlte sich ihm gegenüber schuldig, aber was sollte sie gegen diesen Geizhals ausrichten?

Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, sie wußte sehr wohl, warum Ffalkes keinen Penny herausrückte. Er hatte es auf ihr Geld abgesehen. Ausgaben, die zur Erhaltung des Hauses und zur Bewirtschaftung der Ländereien notwendig waren, hielt er für verschwendet. Nun, ihr Geld würde nicht in seine Hände fallen. Er würde bald begreifen, daß es ihr damit ernst war.

Sie schlug die Arme um die Schultern, um sich zu wärmen. Dann schüttelte sie den Kopf. Es war einfach lächerlich. Kurzentschlossen ging sie hinaus. Die dicken, grauen Wolken waren aufgebrochen, und blasse Sonnenstrahlen schienen hindurch.

Sie stand auf der niedrigen Treppe vor dem Eingang des Hauses, holte tief Luft und hob das Gesicht zum Himmel. Sie hätte ihr Frühstück hier draußen auf den Stufen einnehmen sollen und nicht mit klappernden Zähnen in dem feuchten, dunklen Frühstückszimmer, das ihr Vormund ebenfalls nicht renovieren ließ, obwohl es bereits überfällig war. Aber morgen würde es vorbei sein. Dann konnte sie tun und lassen, was sie wollte.

Morgen würde sie neunzehn Jahre alt werden. Ihr Vater hatte festgesetzt, daß sie ab diesem Alter über sich selbst bestimmen konnte.

Die Selbstbestimmung oder die Ehe. Die Wahl hatte sie bereits getroffen. O ja, eines Tages würde sie heiraten, wenn sie eine zahnlose Greisin wäre. Sie würde sich dann einen hübschen jungen Mann aussuchen, dessen Aufgabe es wäre, ihr das Alter zu verschönen. Dafür würde sie ihn reichlich belohnen. Etwas Besseres konnte ihm gewiß nicht widerfahren.

Morgen würde sie Mr. Ffalkes gehörig die Meinung sagen, ihn einen elenden Geizhals schimpfen und sofort in jedem Kamin Feuer machen lassen, sogar in dem Kamin in der alten Diele, wo man leicht einen Ochsen braten konnte. Dann würde sie ihn hinauswerfen. Ab übermorgen wären Mr. Ffalkes und sein schmächtiger Sohn mit den abstehenden Ohren aus ihrem Leben verschwunden. Sie hätte den jungen Mann einigermaßen nett gefunden, wenn er sich seinem Vater gegenüber nicht so unterwürfig und ängstlich verhalten würde.

»Liebe Miß Derwent-Jones.«

Sie wandte sich um, zog die Stirn in Falten, wie immer, wenn Mr. Ffalkes sie auf diese förmliche Art ansprach, was er stets tat, wenn er Honeymead Manor besuchte. Ihr gelang ein kühles, unpersönliches Lächeln, das sie sich in den vergangenen zwei Jahren zugelegt hatte, seit jenem Tag, da Owen auf Befehl seines Vaters um ihre Hand anhalten mußte. Sie kannte Owen von Kind auf und fand ihn ab und zu ganz nett, aber seit jenem Morgen vor zwei Jahren hatte sich ihre Beziehung schlagartig geändert. Ihre Kinderzeit war damit beendet.

Der Vater war ein aufgeblasenes Ekel und sein Sohn ein Schwächling. Die beiden waren erst drei Tage hier, aber am liebsten hätte sie ihren Vormund bereits nach zwanzig Minuten mit dem Feuerhaken verprügelt.

Sie seien zu ihrem Geburtstag angereist, hatte Mr. Ffalkes damals verkündet und sich dabei die Hände gerieben, als er sich in der Eingangshalle umsah, die von der Countess von Shrewsbury im Jahre 1587 erbaut worden war. Owen hätte es sich niemals verziehen, wenn er nicht zu ihrem Geburtstag erschienen wäre, hatte der Vater lächelnd erklärt und sie dabei aus eiskalten Augen angesehen. Owen hatte schweigend mit abstehenden Ohren neben seinem Vater gestanden. Ja, Owen habe seine Kusine ins Herz geschlossen, sei ihr zutiefst ergeben und gleichermaßen um ihre Zukunft wie um ihr Glück besorgt. Ihr wunderschönes goldenes Haar habe Owen verzaubert (in Wirklichkeit war es braun mit einigen blonden Strähnen, die in der Sommersonne ausbleichten), ebenso wie ihre tiefblauen Augen. Und die Lobpreisungen gingen weiter, bis er auf ihre Zähne zu sprechen kam, die er mit den weißen Klippen von Dover verglichen hatte. Sie hatte lachen müssen, weil sie makellose Perlen erwartet hatte, aber sein poetischer Wortschatz schien damit erschöpft gewesen zu sein.

Jetzt merkte sie, daß sie ihr Gegenüber die ganze Zeit über wortlos angestarrt hatte. Sie nahm sich zusammen und kam wieder in die Gegenwart zurück.

»Hallo, Mr. Ffalkes«, sagte sie und lächelte ebenso kühl wie er. »Endlich läßt sich die Sonne blicken. Vielleicht wird sich das Haus in ein paar Wochen erwärmt haben, vorausgesetzt, das warme Wetter hält an.«

»Vielleicht, aber das ist jetzt nicht von Bedeutung. Ich hoffe, Sie haben genügend Wolle zum Stricken gesammelt, liebe Miß Derwent-Jones. Das erwartet man schließlich von einer charmanten jungen Dame. Da es gestern nach einem in romantischer Zweisamkeit verbrachten Abend – wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf – so spät geworden ist, sind Sie heute bemerkenswert früh auf den Beinen. Es ist erst halb acht.«

»Ist das ein Naturgesetz, das sich meiner Kenntnis entzogen hat? Sollte man in meinem Alter morgens lange im Bett bleiben, wenn es abends etwas später geworden ist?« Mit Freuden dachte sie an den netten jungen Mann, den sie heiraten würde, wenn sie sich wie eine alte Tante auf ihren Krückstock stützen würde.

»Sie scherzen wie immer, meine Liebste. Ein Charakterzug, der Ihnen einen gewissen Charme verleiht, würde ich sagen, wenn mich jeder Ihrer Scherze erfreute. Owen ist von dem Repertoire Ihrer humorvollen Bemerkungen hingerissen, aber er ist noch jung und in diesen Dingen nicht sehr wählerisch. Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, daß eine junge Dame weder die Kraft noch das Durchhaltevermögen besitzt, um von einer so langen Nacht wie gestern nicht überfordert und müde zu sein.«

»Ich habe mich bereits um halb zehn zurückgezogen, Sir.«

»Tatsächlich? Aber ich dachte, Sie seien mit Owen im Park spazierengegangen und ...«

»Vielleicht ging Owen spazieren, Sir. Vielleicht verglich er die Rosen mit roten Samtvorhängen, einem Blutstropfen oder was weiß ich. Abgesehen davon war es gestern nacht ziemlich dunkel, und es nieselte die meiste Zeit über. Ah, das ist Ihnen nicht aufgefallen? Natürlich. Sie tranken meines Vaters Brandy auf Ihr eigenes Wohl vor dem einzigen brennenden Kamin in diesem Haus, während Mrs. Tailstrop auf die Brosamen wartete, die von Ihrem Tische fielen. Nein, gestern nacht, Sir, stand kein einziger Stern am Himmel, den man hätte besingen können. Übrigens, Owen macht sich nichts aus Blumen. Er bekommt nur Schnupfen davon. Und was mich betrifft, so lag ich im Bett und träumte von meinem Geburtstag. Davon träume ich allerdings schon seit längerem.«

»Oh«, sagte er verwirrt, und sie wußte, daß er seinem Sohn zürnte, weil er sich nicht an die Anordnungen gehalten hatte, ihr nach dem Abendessen erneut den Hof zu machen, und ihr, weil ihre Bemerkung der Wahrheit entsprach. Es stimmte, daß er den Brandy ihres Vaters schlürfte, während Mrs. Tailstrop bei jedem Wort, das er von sich gab, beflissen nickte. Es gehöre zu den ersten Pflichten einer jungen Frau, hatte sie Caroline unzählige Male vorgebetet. Sie müsse ihrem Mann zuhören und lächelnd nicken. Eine Litanei, die Caroline immer zur Weißglut brachte.

Sie blickte Mr. Ffalkes aus halbgeschlossenen Lidern an. Er war noch verärgert, wußte aber nicht, wie er sich weiterhin verhalten sollte. O ja, Caroline konnte sich die Anweisungen vorstellen, die er seinem Sohn erteilt hatte, damit er sie verführte. Dann räusperte sich Mr. Ffalkes und sagte mit falscher Freundlichkeit: »Was Ihren Geburtstag anbelangt, liebe Miß Derwent-Jones, so dachte ich, wir geben im engsten Familienkreis ein kleines Mittagessen für Sie.«

Und wenn sie ihren Geburtstag auf dem Mond verbrachte, es war ihr vollkommen gleichgültig. Sie nickte. »Das ist schön, Sir. Wie schade, daß sich der engste Familienkreis nicht in nächster Nähe befindet.«

»Owen und ich werden versuchen, dies wettzumachen. Soviel ich weiß, hat Owen ein Geburtstagsgeschenk für Sie erstanden, das – wenn ich das sagen darf – vielleicht gleichzeitig ein Verlobungsgeschenk sein könnte.«

Jetzt kam er wenigstens wieder offen auf das alte Thema zu sprechen. Für einen Augenblick hatte es ihr die Sprache verschlagen, aber nur für einen Augenblick. Sie lächelte ihn an. »Wie reizend von Owen, aber das ist wohl etwas unpassend, Sir. Mr. Duncan hat mir natürlich einen Antrag gemacht, aber wir haben beschlossen, noch einen Monat zu warten, bevor wir unsere Verlobung bekanntgeben. Wir werden Weihnachten heiraten. Nein, ich kann von Owen kein Geschenk annehmen, bevor Mr. Duncan und ich nicht offiziell verlobt sind.«

»Mr. Duncan! Wer zum Teufel ist Mr. Duncan?«

Es sah aus, als ob er einem Erstickungsanfall zum Opfer fallen wolle. Sein Gesicht war zu ihrer Freude puterrot geworden. Sie sah bereits, wie er die Eingangstreppe hinunterstürzte, halb ohnmächtig und mit Schaum vor dem Mund. »Oh, Sir, das ist ein Nachbar. Bald wird er mein geliebter Gatte sein. Duncan ist in dieser Gegend ein sehr bekannter Name, seit Jahrhunderten. Wir stehen uns seit drei Jahren nahe. Er sieht vorzüglich aus und ist durch und durch ein Gentleman. Er hat ein energisches Kinn und enganliegende Ohren. Ja, Sir, wir haben vor zu heiraten und werden unseren Besitz und die Ländereien zusammenlegen.«

»Mir gegenüber haben Sie diesen Mann nie erwähnt, Miß Derwent-Jones. Ich muß gestehen, ich habe noch nie etwas von einem Mr. Duncan gehört. Das Ganze gefällt mir nicht, und das wissen Sie. Ich werde mit Mrs. Tailstrop darüber sprechen müssen. Ich werde ihr sagen, was ich von ihrer Aufsichtspflicht halte.«

»Sie waren nicht sehr oft hier, Sir. Erst seit zwei Jahren häufen sich Ihre Besuche, so daß Mrs. Tailstrop schon überlegte, ob wir Ihr Bett stets frisch überziehen müssen. Ich hatte Mrs. Tailstrop niemals als Aufsichtsperson betrachtet. Aber welche Rolle spielt das jetzt? Ehrlich gesagt, wenn Sie hier zu Besuch waren, hielt ich es für angeraten, mich von Mr. Duncan fernzuhalten.«

»Owen begleitete mich meistens, und Sie verbrachten viele Stunden mit meinem Sohn.«

»Selbstverständlich auch frische Bettbezüge für Owen, Sir.« »Ihre humorvollen Bemerkungen werden immer bissiger, Miß Derwent-Jones. Das ist mir in den letzten Tagen aufgefallen. Mrs. Tailstrop erklärte, im letzten Jahr sei dies bei Ihnen zu einer Marotte geworden, und ich wies darauf hin, daß es ihre Pflicht sei, Ihnen diese exzentrische Gewohnheit abzugewöhnen. Junge Damen müssen demütig und bescheiden bleiben. Wie sollten sie sonst einen Ehemann finden?«

»Das ist mir mühelos gelungen. Vergessen Sie Mr. Duncan nicht.«

»Das sagten Sie ... das sagten Sie. Und jetzt bitte ich Sie, mir ehrlich und offen zu antworten.«

»Eine humorvolle Bemerkung sollte immer als solche betrachtet werden. Es betrübt mich, daß Sie da anderer Meinung sind. Was möchten Sie wissen, Sir?«

»Ich möchte Näheres über diesen Duncan wissen. Ich möchte ihn kennenlernen, um mich zu überzeugen, ob seine Absichten Ihnen gegenüber lauter und ehrlich sind. Morgen werden Sie eine reiche junge Dame sein, und ich möchte sichergehen, daß wir es nicht mit einem Mitgiftjäger zu tun haben. Ich bestehe darauf, daß er mir vorgestellt wird. Heute abend beim Essen. Das ist Owen gegenüber nur angemessen, finden Sie nicht auch? Auch frivole junge Damen sollten einem jungen Mann gegenüber, der sie aufrichtig liebt, ein gewisses Maß an Rücksicht und Anstand zeigen.«

Owen in sie verliebt? Sie und Owen waren wie zwei gelangweilte Hunde, die einander beäugten und sich angähnten. Ihr widerwärtiger Vormund verabscheute nicht nur ihren Humor – ihre einzige Waffe gegen ihn –, sondern hielt sie auch für dumm und unfähig, was ja auch zutraf, denn schließlich brannte kein Feuer in den Kaminen, und sie fror erbärmlich.

»Ich weiß nicht, ob Mr. Duncan sich heute zum Abendessen Zeit nehmen kann.«

»Verstehen Sie, liebe Miß Derwent-Jones, ich kann nicht guten Gewissens zusehen, daß Sie ohne meine Billigung eine Verbindung eingehen. Ich verstieße damit gegen Ihre Interessen und käme meiner Verantwortung Ihnen gegenüber nicht nach. Im Testament Ihres Vaters gibt es eine Klausel, die mein Einverständnis im Falle Ihrer Verheiratung vorsieht. Ich hatte natürlich nicht daran gedacht, da ich überzeugt war, Sie und Owen fänden zusammen.«

Sie starrte ihn an. Nein, sie konnte es nicht glauben. Sie wollte es nicht glauben. Nur mühsam gelang es ihr, sich zu beherrschen. »Ich hatte keine Ahnung, daß es bezüglich meiner Verheiratung oder Nichtverheiratung Bestimmungen gibt. Ehrlich gesagt, bevor ich Mr. Duncan traf, hatte ich die feste Absicht, niemals zu heiraten. Ich möchte das Testament meines Vaters sehen.«

»Gewiß, Miß Derwent-Jones.« Diesmal ohne das liebe, was sie als Fortschritt begrüßte. »Allerdings dürfte ein derartiges Dokument für eine junge Dame schwer verständlich sein. Die Rechtsterminologie dürfte den weiblichen Verstand überfordern.«

»Ich werde versuchen, das Niveau meines Humors zu heben, Sir. Nur für den Fall.«

Er blickte sie an, als ob er sie am liebsten geohrfeigt hätte. Wieder ein Fortschritt, dachte sie, schließlich hätte sie ihm nur zu gern ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. »Kann ich diesen Passus im Testament meines Vaters sofort nachlesen, Sir?«

»Leider befindet sich das Testament Ihres Vaters in meiner Kanzlei in London. Es wird einige Zeit dauern, um meinen Gehilfen schriftlich zu benachrichtigen, und noch mehr Zeit, bis es hier in Honeymead Manor eintrifft.«

»Ich verstehe«, sagte sie und fürchtete, daß sie tatsächlich verstanden hatte.

»Kurz, Ihr Vater wünschte, daß ein in Frage kommender Bewerber meiner Billigung bedarf, Miß Derwent-Jones. Sollte ich nicht mit ihm einverstanden sein, so bleibe ich weiterhin Ihr Vormund, bis Sie fünfundzwanzig sind oder einen Gentleman gefunden haben, den ich als Ehemann gutheiße.«

»Ausgezeichnet, Sir, damit zwingen Sie mich, einen meiner üblichen Scherze einzugestehen. Dieser Mr. Duncan existiert nicht. Es gibt keinen Mann, den ich heiraten möchte. Sir, deswegen steht mir morgen, an meinem neunzehnten Geburtstag, das Geld meiner Eltern zu – alles. Und Sie, Sir, werden nicht länger die Peitsche über meinem Kopf schwingen.«

»Das dachte ich mir«, sagte Mr. Ffalkes, und in diesem Augenblick wußte sie, daß sie ihm auf den Leim gegangen war. Er hatte sie über diese Klausel im Testament ihres Vaters belogen, und sie war darauf hereingefallen. Dann machte er eine versöhnliche Geste und hielt beide Handflächen nach oben. »Sie und ich sollten uns nicht als Gegner betrachten, meine Liebe. Offen gesagt, wie mein Sohn hege ich große Bewunderung für Sie, seitdem Sie zu einer so hinreißend schönen jungen Dame herangewachsen sind. Ja, es ist wahr, Sie werden morgen Ihr Erbe antreten. Und es ist auch wahr, daß ich bis zu Ihrer Verheiratung Treuhänder bleiben werde.«

»Und worin unterscheiden sich die Pflichten eines Treuhänders von denen eines Vormunds?«

»Als Treuhänder werde ich Sie bei Ihren Investitionen beraten, Sie in Rechtsfragen betreuen und Ihnen eine ausreichende Apanage zuteilen, damit Sie weiterhin standesgemäß leben können. Ich bin der Vetter Ihres Vaters, Miß Derwent-Jones. Er hat Sie mir anvertraut und mich gebeten, schützend meine Hand über Sie zu halten. Ich bin erleichtert, daß es keinen Mr. Duncan gibt. Männer sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen, verstehen Sie? Nein, Sie verstehen nicht. Bis jetzt hat man Sie vor jungen Männern bewahrt, die Ihre Unschuld ausgenutzt hätten. Ich werde Sie weiterhin beschützen, Miß Derwent-Jones.« So wie er sie beschützt hatte, als er sie in das Chudleigh-Internat für junge Mädchen in Nottingham schickte, aus dem sie vor drei Jahren entkommen konnte. Das Leben in einer Klosterschule konnte einen jungen Menschen ersticken und abtöten wie die hallenden Kammern von Chudleigh mit den kichernden Mädchen, die nichts anderes im Kopfe hatten als die Grübchen des Tanzlehrers. Die Lehrerinnen waren unbarmherzig bestrebt, aus jedem Mädchen ein Mädchen wie jedes andere zu machen. Sie sollten kleine Dummchen werden, die es irgendwie verstanden, einen Mann zu bezaubern, ihm nickend zuzuhören und ein Kissen nach dem anderen zu besticken, bis sie der Tod aus ihrer Langeweile erlöste, natürlich erst, nachdem sie eine angemessene Zahl lebender Sprößlinge in die Welt gesetzt hatten.

Im Alter von sechzehn Jahren wurde sie in Chudleigh von einer furchtbaren Krankheit heimgesucht, die große Ähnlichkeit mit der Pest hatte und sogar die Schulleiterin, Miß Beemis, in Angst und Schrecken versetzte. Sie wurde sofort in Decken gepackt und zu der lieben Mrs. Tailstrop nach Honeymead Manor verfrachtet. Die nässenden eitrigen Beulen auf der Haut – behandelt mit einer Mixtur aus grünen Walnußschalen, dicker grauer Tonerde und zerstoßenen Eichenblättern – ließen sich erst nach Tagen vollständig abwaschen.

»Ja«, fuhr Mr. Ffalkes fort, »ich werde meine Hand schützend über Sie halten. Vielleicht gefällt es Ihnen, weiterhin auf Honeymead Manor zu leben, Miß Derwent-Jones. Owen fühlt sich sehr wohl auf dem Land.«

»Das bezweifle ich, Mr. Ffalkes. Das bezweifle ich sehr.«

»Daß Owen das Landleben liebt? Das beschwöre ich.«

Sie schwieg, drehte sich um und kehrte in das Haus zurück. Morgen würde sie ihn nach Herzenlust anschreien und beschimpfen und von ihrem Grund und Boden weisen.

Es war Morna, das Zimmermädchen vom oberen Stockwerk, die sie am Ärmel zupfte, den Finger auf die Lippen legte und ihr ins Ohr zischte: »Kommen Sie, Miß, schnell, schnell!« Wie ein Blitz folgte sie Morna den langen Korridor entlang, bis zu dem kleinen Herrenzimmer im westlichen Teil des Hauses. Sie hatte dieses düstere, ungemütliche Zimmer stets gemieden, weil es sie an die Männer vieler Generationen erinnerte, die in diesem Raum grau, alt und verbiestert geworden waren, weil sie ihren Sorgen nachhingen, die sich zweifellos nur um das liebe Geld drehten.

Die Tür stand einen Spalt offen. Morna nickte ihr zu und schob sie näher heran. Deutlich hörte sie Owens Stimme: »Hör mir jetzt bitte zu, Vater. Ich weiß, du möchtest, daß ich sie heirate. Das wolltest du schon vor Jahren. Begreif doch endlich, Caroline ist schwierig. Sie ist eigensinnig. Sie ist es gewohnt, das zu tun, was ihr beliebt. Sie findet mich nicht unsympathisch, aber sie hält mich für dumm. Nie würde sie in eine Ehe mit mir einwilligen. Das habe ich dir schon tausendmal gesagt. Ihre Einstellung mir gegenüber wird sich nicht ändern.«

»Ja«, sagte Mr. Ffalkes schließlich. »Owen, du hast die Sache gründlich verpatzt.«

Sie erstarrte und lehnte sich an die Nische hinter der Tür. Hinter sich hörte sie Morna atmen.

»Ich kann sie doch nicht vergewaltigen«, maulte Owen trotzig, wie er es als Kind seinem Vater gegenüber immer getan hatte.

»Wieso zum Teufel nicht?«

Daraufhin herrschte Stille, bis Owen langsam sagte: »Sie ist kräftig. Das kann dir nicht entgangen sein. Sie versucht sich anfangs zwar mit einem Witz aus der Affäre zu ziehen, aber wenn es Ernst wird, kann sie sich mit Händen und Füßen wehren, und dann würde ich ihr weh tun. Ich müßte sie festbinden, um es zuwege zu bringen.«

»Na und?«

»Na und, Sir? Ich weiß nicht einmal, ob ich es zuwege bringe.«

»Willst du mir damit sagen, mein einziger Sohn sei nicht in der Lage, seine Pflicht als Mann zu erfüllen?«

»Ich empfände nichts dabei.«

»Du hast mich schwer enttäuscht, Owen. Andrerseits hast du nicht so unrecht. Sie ist ein verwöhntes, freches Ding, ein hochmütiges Frauenzimmer, das lernen muß, wer hier der Meister ist. Sie mißtraut mir und damit auch dir. Wie schade für sie.« Sie hörte, wie Mr. Ffalkes tief einatmete.

»Gut, dann werde ich sie nehmen. Sie wird mich heiraten.« »Großer Gott, Caroline als meine Stiefmutter? Sie ist nicht einmal neunzehn!«

»Sie ist eine erwachsene Frau. Viele haben in ihrem Alter bereits Kinder.«

»Wie schrecklich! Sie ist nicht mütterlich, und sie ist jünger als ich. Sie ist sehr stark, Vater.«

»Das bin ich auch. Darüber hinaus, mein Sohn, wird mich besagte männliche Pflicht erfreuen. Ich bin noch nicht zu alt, um sie zu erfüllen, im Gegenteil, es wird mir ein Genuß sein, ihr so oft wie möglich nachzukommen. Außerdem wird sie niemals so stark sein wie ich. Niemals. Übrigens versuchte sie heute morgen, mich hinters Licht zu führen, aber ich habe den Schwindel aufgedeckt. Wie eine Närrin stand sie da. Sei unbesorgt. Sie ist mir ausgeliefert, denn ich werde sie fesseln. Ich werde sie rücksichtslos nehmen, bis sie in die Heirat einwilligt, und dann werde ich sie begatten, bis sie schwanger ist. Ja, genau das werde ich tun. Dann wird sie schon mütterlich werden, warte es ab, mein Junge. Möchtest du einen kleinen Stiefbruder haben?«

»Ich weiß nicht, Vater. Kannst du ihr nicht einfach das Erbe überlassen, und wir fahren wieder nach Hause?«

»Nein, das ist nicht möglich. Und das will ich nicht. Ich brauche das Geld, Owen. Ich habe ihr gesamtes Vermögen zusammengehalten und nicht einen Penny ausgegeben, und jetzt soll es an ihrem verdammten Geburtstag an sie übergehen! Jetzt, da ich am Ziel bin, soll ich einen Rückzieher machen? Nein, mein Sohn. Liebäugelst du nicht mit dem Jagdpferd, das Bittington verkauft? Ja, ich sehe es dir an. Tja, mein Junge, wenn du es nicht schaffst, dann muß ich es tun. Und jetzt genug davon.«

Es war mehr als genug. Sie wandte sich um, bemerkte Morna neben ihr, die sie wutschnaubend anstarrte. Caroline hatte Morna noch nie zornig gesehen. Sie nickte, nahm Mornas Hand und rannte mit ihr zurück. Sie mußte weg. Ihr blieb keine andere Wahl. Mrs. Tailstrop würde nichts unternehmen. Mr. Ffalkes zahlte ihren Lohn. Sie war allein. Sie würde das Geld erben, auf Honeymead Manor oder in Rußland. Ihr Aufenthalt spielte keine Rolle. Aber wäre sie vor Mr. Ffalkes sicher, wenn sie zurückkehrte und ihr Erbe forderte?

Was sie brauchte, war eine Pistole. Und dann brauchte sie einen Mann. Sie brauchte einen Mann, der gerissener und rücksichtsloser war als Mr. Ffalkes, der bereit war, sie mit seinem Leben zu schützen, wenn sie ihm als Gegenleistung einen angemessenen Anteil ihres Vermögens versprach.

Wo steckte Mr. Duncan, nun, da sie ihn brauchte?

Kapitel 3

Die Standuhr in der Eingangshalle schlug zwölfmal. Die tiefen, langen Schläge dröhnten durch das ganze Haus, aber mit den Jahren hatten sie sich in die nächtlichen Geräusche eingereiht und wurden kaum mehr wahrgenommen, auch nicht von Mrs. Tailstrop und ihrem ewig kläffenden Mops Lucy. In dieser Nacht aber war Caroline hellwach. Sie lauschte und wartete. Ihre Nerven waren angespannt wie die Feder dieses Uhrwerks, nur daß sie nicht einen einzigen Laut von sich geben durfte.

Als Mr. Ffalkes endlich unten in der Diele erschien, schlüpfte sie aus ihrem Versteck hinter einer Apollostatue hervor und rannte in ihr Schlafzimmer zurück. Sorgfältig verschloß sie die Tür. Stumm und regungslos blieb sie hinter der Tür stehen und wartete und wartete. Dann hörte sie seine schweren Schritte. Sie kamen immer näher, bis sie vor ihrer Tür haltmachten. Im Geist sah sie, wie er die Hand ausstreckte, aber als sich der Knauf langsam drehte, zuckte sie zusammen, obwohl sie damit gerechnet hatte. Sie hielt den Atem an und versuchte keinen Laut von sich zu geben. Der Knauf drehte sich immer wieder, bis der Alte begriff, daß die Tür abgeschlossen war. Sie hörte ihn fluchen. Dann hörte sie nichts mehr.

Sie sah ihn vor sich, wie er regungslos dastand und überlegte, was zu tun sei. Sie wußte, daß er nicht dumm war, daß er etwas unternehmen würde. Er klopfte an. Das Klopfen wiederholte sich. Dann hörte sie seine Stimme, süß und weich wie die Erdbeermarmelade, die der Koch heute morgen zubereitet hatte. »Liebe Miß Derwent-Jones! Ich bin es, meine Liebe. Kann ich hineinkommen? Ich muß mit Ihnen reden. In einer ernsten Angelegenheit. Es betrifft Ihr Erbe. Lassen Sie mich eintreten. Es ist wichtig. Zieren Sie sich nicht. Es ist nur zu Ihrem Vorteil, wenn Sie jetzt mit mir sprechen.«

Ha, dachte sie. Ihn in mein Schlafzimmer zu lassen, hieße Napoleon in Whitehall zu begrüßen. Sie gab keinen Ton von sich. Das Ohr an die Tür gelegt, wartete sie, daß er ging. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, machte er sich auf den Rückweg. Quälende Minuten wie damals, als ihre Mutter einen Milchzahn am Türknauf festband, um ihn auszureißen.

Endlich, dachte sie, hat er aufgegeben. Sie zwang sich, noch einige Minuten regungslos stehenzubleiben, bis er ein paar Türen weiter in sein Schlafzimmer gegangen war. Dann zog sie den Koffer unter dem Bett hervor, schlüpfte in ein Paar feste Lederstiefel und warf sich ihren blauen Samtumhang über die Schultern. Vorsichtig drehte sie den Schlüssel im Schloß um. Die Tür öffnete sich langsam. Durch den Spalt blickte sie den Korridor hinauf und hinunter. Aber sie sah nur Schatten, nächtliche Schatten, die ihr von Kind an vertraut waren.

Schnell schritt sie auf den mittleren Treppenaufgang zu. Ihre Stiefel verursachten kein einziges Geräusch. Plötzlich hielt ein Arm sie fest und riß sie zurück. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber eine große Handfläche preßte sich auf ihre Zähne. Er hatte sie überlistet. Sie spürte seinen heißen Atem am Ohr, merkte, wie sich sein Arm um die Rippen schloß und ihr die Luft abdrückte.

»Na, da haben wir ja das kleine Flittchen. Jetzt hat es Ihnen die Sprache verschlagen! Sie dachten, Sie könnten mich an der Nase herumführen, nicht wahr? Aber das gelingt keinem, schon gar nicht einem hochnäsigen Weibsbild wie Ihnen. Tja, und jetzt werden wir einen kleinen Spaziergang machen und Ihren Geburtstag feiern. Mein Geburtstagsgeschenk an Sie wird mein Samen sein. Es wird Ihnen gefallen, mit mir verheiratet zu sein, Miß Derwent-Jones, und wenn nicht, schön, dann habe ich Ihr Geld. Ich rate Ihnen, sich nicht zu wehren. Ihre Zukunft liegt in meiner Hand.«

Und genau dahin biß sie ihn mit aller Kraft. Sie merkte, wie er vor Schmerz den Atem anhielt, und das freute sie, bis er sie herumschleuderte und ihr einen Fausthieb auf den Unterkiefer versetzte und sie in sich zusammensackte.

Der pochende Schmerz am Kinn brachte sie wieder zu Bewußtsein. Langsam öffnete sie die Augen und blickte in das schwache Licht einer Kerze, die auf einem wackligen Holztischchen neben ihr stand. Der Rest des Zimmers lag im Dunkeln. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, merkte sie schnell genug, daß die Hände über dem Kopf an die Holzstreben eines schmalen, muffig riechenden Bettes gefesselt waren.

»Schön. Sie sind aufgewacht. Ich wollte nicht so fest zuschlagen, aber Sie haben es verdient. Betrachten Sie es als eine Lektion, die ich wiederholen werde, wenn Sie mir nicht den nötigen Gehorsam erweisen. Ihr Kiefer ist nicht gebrochen. Ich habe ihn abgetastet. Und jetzt, meine Liebe, sind Sie neunzehn Jahre alt und haben Ihr Erbe angetreten. Sie werden mich heiraten. Was sagen Sie dazu?«

»Sie sind wahnsinnig.«

»Dann können Sie Gott jeden Tag auf Ihren Knien bitten, daß sich der Wahnsinn nicht auf unsere Kinder vererbt. Ah, ja, wir werden Kinder haben, meine Teuerste, so viele, wie ich in Ihren Bauch pflanzen kann. Ich habe die Absicht, Sie ständig zu schwängern. Mit einem dicken Bauch bewegt sich eine Frau nur mühsam vorwärts, und ihre Gedanken sind mit dem Kind beschäftigt, mit kleinen Wehwehchen und Unwohlsein. Das bringt sie zum Schweigen. Wer weiß, vielleicht entwickeln Sie sich nach einem guten Dutzend Kinder zu einer Mustergattin? Ich bezweifle es zwar, aber wer kann das voraussagen?«

»Wo haben Sie denn diesen Unsinn aufgeschnappt?«

Er grinste nur und setzte sich neben sie auf das schmale Bett. Sie erstarrte. Als er es bemerkte, wurde sein Grinsen noch breiter. »Ich weiß, Sie fürchten sich, obwohl Sie sich bemühen, es vor mir zu verbergen. In diesem Punkt sind Sie wie Ihr Vater. Als wir Kinder waren, stiftete er uns oft zu Streichen an, die uns in arge Schwierigkeiten brachten, da uns das Strafgericht der Eltern drohte. Immer versuchte er, keine Angst zu zeigen, und schalt jeden von uns, der sich nicht zusammenriß. Ich weiß also, daß Sie sich fürchten. Schreien Sie, wenn Sie wollen. Mich stört es nicht. Im Gegenteil, es verliehe unseren Unternehmungen nur die nötige Würze. Keiner wird Sie hören. Keiner wird Ihnen zu Hilfe kommen. Also, sollten wir nicht gleich mit unseren fleischlichen Freuden beginnen?«

»Ich glaube, Sie sollten noch einen Augenblick warten, Mr. Ffalkes.«

»Mein Name ist Roland. Da du bald meine Frau sein wirst, wäre es wohl angemessen, wenn du mich bei meinem Vornamen anredest. Das gestatte ich dir hiermit.«

»Ich werde Blödian zu Ihnen sagen. Nein, alter Blödian. Das paßt ausgezeichnet zu Ihnen.«

Er schlug sie mit der offenen Handfläche auf die Wange. Das scharfe Brennen des Schlages verschlug ihr den Atem, aber auch das versuchte sie zu verbergen. Nein, sie würde ihre Furcht nicht zeigen, obwohl es ihr schwerfiel, sehr schwer.

»Tja, wie ich sehe, bist du wieder schweigsam geworden. Frauen sollten immer schweigsam sein.« Als er aufstand, wurde sie gewahr, daß er nur einen Hausmantel aus königsblauem Brokat trug, den er um den fetten Leib geworfen hatte. Er zog am Gürtel, und der Mantel teilte sich. Sein Bauch war weißer als die Haube einer Nonne. Tiefer, unter der prallen Rundung seines Leibes, kam ein Büschel graubrauner Haare zum Vorschein, in dessen Mitte sein Geschlecht zu sehen war. Sie befürchtete, sich übergeben zu müssen.

Sie starrte sein Geschlecht an, dann die dünnen Beinen. Sie übergab sich nicht. Sie lachte. Das Lachen klang zuerst gezwungen und erstickt, aber dann wurde es frei, und sie lachte und lachte. Bald bekam sie vor Lachen keine Luft mehr. Sie sah, wie seine Halsschlagader anschwoll und wie sich sein Gesicht verzerrte.

»Sie«, stieß sie prustend hervor. Da sie mit der Hand nicht auf ihn zeigen konnte, streckte sie das Kinn in seine Richtung. »Dieses Ding – es ist jämmerlich. Und Sie sind jämmerlich.« Und sie lachte weiter.

Mit einem wütenden Aufschrei warf er sich auf sie und drückte sie mit seinem Gewicht auf die dünne Matratze.

»Du Schlampe, du verdammte Schlampe! Halt den Mund! Halt deinen verdammten Mund!« Er setzte sich rittlings auf sie und schlug sie wiederholt auf die Wange. Er keuchte schwer, und sie verstummte. Am liebsten hätte sie noch weitere Beleidigungen ausgestoßen, aber sie brachte kein Wort mehr heraus. Er riß das Oberteil ihres Kleides bis zur Taille hinunter, starrte auf ihr Mieder und fuhr dann langsam mit der Fingerkuppe über ihre Brüste. »Sehr hübsch«, sagte er. »Zweifellos bist du eine Jungfrau. Seit Owens Mutter vor fünfundzwanzig Jahren hatte ich keine Jungfrau mehr unter mir. Wie still du doch geworden bist, meine Liebe, oder soll ich Caroline sagen? Ich hasse deinen Namen, aber ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen. Ich kannte einmal ein Mädchen mit dem Namen Caroline. Sie wollte mich nicht haben. Sie wollte deinen Vater. Tja, das Leben geht seltsame Wege. Aber dein Vater verliebte sich in deine Mutter, und Carolines Traum war ausgeträumt. Ich weiß nicht, was deiner Mutter eingefallen war, als sie dir den Namen Caroline gab, denn dein Vater hatte sicherlich gegen diesen Namen Vorbehalte. Vielleicht glaubte die andere Caroline, es sei die Idee deines Vaters gewesen, aus Bedauern darüber, daß er sie nicht geheiratet hatte. Eine Frage ohne Antwort. Sollen wir fortfahren, meine Liebe?«

»Fortfahren? Das ist Unsinn, und Sie wissen es. Sie könnten mein Vater oder Großvater sein.«

Er ohrfeigte sie erneut, nicht sehr heftig, aber es reichte, um ihren Kopf in das dünne Kissen zu drücken.

»Und jetzt wollen wir deinen restlichen Körper betrachten.« Er riß das Kleid auf, schien aber nicht weiter am Anblick ihrer Brüste interessiert zu sein. Sie spürte die kalte Nachtluft auf der Haut, sah seine alten Hände und hätte am liebsten in panischer Angst aufgeschrien, weil sie wußte, was ihr bevorstand. Er ließ von ihr ab, stellte sich neben dem Bett auf und begutachtete sie eingehend, dann nickte er, als ob er einen Beschluß gefaßt habe, und streifte die restliche Kleidung vom Leib.

»Sehr hübsch«, sagte er und ließ seinen Hausmantel fallen. Sie schloß die Augen, spürte seine Hände auf dem Bauch, spürte, wie sie ihre Beckenknochen entlangstrichen, als ob sie Maß nähmen. »Du wirst viele Kinder austragen, bevor du daran zugrunde gehst. Meine arme Ann starb bei ihrer zweiten Niederkunft, das Kind mit ihr, aber es war nur eine Tochter und somit ziemlich wertlos für mich.«

»Wenn Sie mich vergewaltigen, töte ich Sie.«

Sein Kopf fuhr hoch. Sie blickte ihn fest an und wiederholte: »Wenn Sie mich vergewaltigen, töte ich Sie. Glauben Sie mir, ich meine es todernst. Außerdem werde ich Sie niemals heiraten. Niemals.«

»Oh, doch, das wirst du tun. Dir bleibt keine Wahl. Du bist erledigt, wenn du dich weigerst. Jeder würde dich schneiden. Du wärst wie eine Aussätzige, und dein Kind ein Bastard, auf den jeder spucken würde.«

»Das ist mir gleichgültig. Ich trete meine Erbschaft an. Sie können mich nicht zwingen, Sie zu heiraten.«

»Offen gestanden«, sagte er langsam, »ich kann es. Und jetzt wollen wir es hinter uns bringen.« Er strich mit den Händen über sein Geschlecht, zog daran, schloß die Augen und warf den Kopf in den Nacken.

Sie riß an den Fesseln, die ihre Handgelenke fest umschlossen, bis sie schließlich etwas nachgaben und sich lockerten. Sie hörte seinen japsenden Atem, vermied es aber, ihn anzublicken.

Dann war er über ihr, schob ihr die Beine auseinander. Ohne eine Sekunde zu überlegen, zog sie die Knie an die Brust und trat ihm so fest wie möglich in die Lenden. Er schwankte nach hinten, fiel auf den Fußboden, hielt sich den Leib und schrie und stöhnte, verfluchte sie, war aber völlig hilflos. Wenigstens für eine Weile. Ah, aber nicht für lange.

Sie fühlte klebriges, warmes Blut an den Handgelenken und riß und zerrte weiter an ihren Fesseln. Oh, lieber Gott, sie mußte sich befreien, bevor er wieder über ihr war! Endlich gelang es ihr, eine Hand mit dem glitschigen Blut am Gelenk frei zu bekommen. Dann die zweite. Er saß jetzt aufrecht, hielt sich aber immer noch stöhnend den Leib.

»Du verdammtes Biest!«

Sie packte das Holztischchen und kippte ihm die Platte auf den Kopf. Zum Glück konnte sie die einzige Kerze auffangen, bevor sie auf den strohbedeckten Boden flog.

»Oh, mein Gott, was hast du getan?«

Owen stand in der Tür. Das Haar stand ihm zu Berge. Er war barfuß und hatte das Hemd hastig in die Reithosen gestopft. Er starrte sie an, dann seinen Vater. »Ich habe ihm gesagt, er soll die Finger von dir lassen«, brachte Owen mühsam hervor. »Du lieber Himmel, Caroline, du bist nackt.« Überraschenderweise wandte er die Augen von ihr ab und blickte den Vater an, der jetzt zur Seite gerollt war, die Hände immer noch auf den Unterleib gepreßt. Er war bewußtlos. »Mein armer Vater. Du hast ihn niedergeschlagen. Ich bin hergerannt, um ihn aufzuhalten.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Aber wie ich sehe, hast du mich nicht gebraucht. Ich glaube, du brauchst überhaupt keinen. Ich sagte ihm, du seist kräftig.«

»Ich weiß. Ich habe es mit angehört. Er ist nicht tot, aber wenn ich eine Pistole gehabt hätte, würde er jetzt nicht mehr leben. Jetzt dreh dich bitte um, Owen, ich möchte mich anziehen.«

Das war schnell geschehen. Der Umhang bedeckte ihr zerrissenes Oberteil.

»Was wirst du jetzt tun, Caroline?«

»Was kümmert dich das, du feiger Wurm?«

»Ich bin nicht feige. Ich kam, um dich zu retten. Er wird dich verfolgen, Caroline, und nicht aufgeben. Er braucht das Geld.«

Sie blickte ihn prüfend an, warf ihm den blutverschmierten Strick zu. Es war ihr Blut. »Binde ihm die Hände, Owen, aber sorgfältig. Wenn nicht, schlage ich ihm diesen Stuhl auf den Kopf. Und dann kommst du an die Reihe.«

Owen tat, wie ihm geheißen. Wenn sie nicht alles täuschte, schien er sogar Gefallen daran zu finden. Plötzlich schlug der Vater die Augen auf, erblickte seinen Sohn, dann seine gefesselten Handgelenke. »Owen, mein lieber Junge, was hast du getan? Hast du dir diese elende Schlampe gefügig gemacht? Binde mich los, mein Junge. Schnell! Ah, ein Sohn sollte seinen Vater nicht unbekleidet sehen. Reich mir meinen Hausmantel.«

»Nein, Owen, den Hausmantel brauche ich. Wenn man deinen lieben Vater findet, wird er in seiner fetten Pracht einen unvergeßlichen Anblick bieten. Ja, Mr. Ffalkes, mir ist klar, daß wir uns in einer Abstellkammer der Stallungen befinden, in einem vergessenen Winkel, in den seit Jahren kein Tageslicht mehr gedrungen ist. Aber das ist gut so. Damit Ihnen sämtliche Dienstboten von Honeymead Manor zu Hilfe kommen, lasse ich die Tür weit offenstehen.«

Mr. Ffalkes blickte sie mit zornesroten Augen an. »Du verdammtes Weibsstück, damit kommst du nicht davon. Ich bekomme dich, und dann wirst du diesen Tag bereuen.«

Sie lachte. Diesmal frei von Angst. Sie lachte eine Weile aus vollem Hals. Dann blickte sie zu Owen hinüber und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Er hielt eine Pistole in der Hand. Er war tatsächlich gekommen, um seinem Vater Einhalt zu gebieten. Aber warum zog er jetzt die Waffe? Blitzschnell entriß sie ihm die Pistole und stieß ihn zurück. Sie wandte sich zu Mr. Ffalkes um. Wie genoß sie es, ihn zu ihren Füßen liegen zu sehen! »Sie haben sogar ein Bett in dieses Loch gestellt. Wie vorausschauend von Ihnen! Vielen Dank. Und jetzt, Owen, hör mir gut zu, denn ich sage es nur einmal. Du kehrst sofort ins Haus zurück. In meinem Schlafzimmer findest du meinen Koffer. Bring den Koffer hierher. Ich erwarte dich in fünf Minuten zurück. Wenn du nicht kommst oder jemanden mitbringst, erschieße ich deinen Vater. Und dann dich. Dazu bin ich imstande, Owen. Es ist mein Ernst.«

»Das tut sie nicht, Owen. Sie ist ein Weib. Das bringt sie nicht über sich. Glaub ihr kein Wort ...«

Sie hob die Pistole, sah, daß sie zwei Kugeln enthielt, zielte und feuerte. Mr. Ffalkes schrie auf. Die Kugel zerriß den Holzfußboden eine Handbreit von seinen Füßen entfernt.

»Los, Owen. Geh schon!«

Sie blickte zu ihrem ehemaligen Vormund hinunter. »Wenn ich jetzt versehentlich auf den Abzug drücken würde, Sir, wer würde dann mein Vermögen verwalten?«

»So leicht werden Sie nicht davonkommen, Miß Derwent-Jones. Ich hetze Ihnen die Polizei auf den Hals, und die bringt Sie wieder zurück.«

»Warum?«

»Warum nicht, verdammt noch mal?«

»Warum sollte mich jemand – außer Ihnen, natürlich – hierher zurückbringen wollen? Ich bin jetzt neunzehn, und Sie werden mir mein Erbe übertragen, nachdem ich mich in meinem neuen, äh ... Haus eingerichtet habe.«

»Welches Haus? Sie besitzen kein anderes Haus. Wo wollen Sie denn hin, Sie kleine Närrin?«

»Glauben Sie im Ernst, ich würde Ihnen das erzählen? Ich wäre eine Närrin, wenn ich das täte.«

»Tun Sie, was Sie wollen. Ich werde Sie finden, und dann werden Sie es bedauern.«

»Sparen Sie sich diese kindischen Drohungen«, erwiderte sie und fügte kühl hinzu: »Ich wünschte, in dieser Pistole wären drei Kugeln.«

Owen tauchte in der Tür auf. In der Hand hielt er ihren Koffer. Er trug feste Stiefel und einen Tuchmantel. Ein alter Filzhut saß ihm tief in der Stirn.

»Owen, wir beide werden einen kleinen Ausritt machen.« Sie drehte sich zu Mr. Ffalkes um. »Ich nehme Ihren Sohn als Geisel mit, Sir. Wenn Sie etwas unternehmen, werde ich ihm den rechten Arm abschlagen. Owen braucht seinen rechten Arm. Er braucht jeden Körperteil, den er hat. Haben Sie mich verstanden, Sir?«

Roland Ffalkes fluchte fürchterlich.

»Vater, bitte, in Gegenwart einer Dame solltest du nicht so sprechen.«

Caroline befürchtete, Mr. Ffalkes werde einem Erstickungsanfall erliegen.

Owen schüttelte nur den Kopf und verließ die Abstellkammer, gefolgt von Caroline, die ihm die Pistole auf den Rücken richtete.

Zwei volle Stunden lang sagte Owen kein Wort. Sie ritten auf einer Landstraße. Die Luft war trocken und frostig und durch den Regen der vergangenen Tage angenehm frisch. Es herrschte vollkommene Stille; kein Laut außer dem Hufschlag der Pferde war zu hören. Schließlich unterbrach er sein Schweigen: »Ich hätte meinen Vater nicht nackt liegenlassen sollen. Die Dienstboten werden ihn finden, und es wird für ihn wie für sie sehr peinlich sein. Er bietet keinen schönen Anblick, Caroline.«

»Er hat mich mehrmals ins Gesicht geschlagen. Er war drauf und dran, mich zu vergewaltigen, Owen. Hat er das nicht verdient?«

»Du hast ihn in den Unterleib getreten. Du bist kein Mann, Caroline, und weißt nicht, wie schmerzhaft das ist. Es ist wirklich furchtbar.«

»Hat dich eine Frau dorthin getreten, Owen?«

»Nein, aber als Junge hat mich einer meiner Spielkameraden mit dem Ball getroffen. Woher wußtest du überhaupt, daß man das macht?«

»Meine Mutter hat es mir beigebracht. Eines unserer Dienstmädchen wurde damals vergewaltigt, und meine Mutter war außer sich. Sie sagte, keine Frau sei zu jung, um nicht zu wissen, wie sie sich wehren kann. Ich glaube, die näheren Einzelheiten dieser Methode hat sie bei meinem Vater erfragt. Nachdem sie mich unterwiesen hatte, lächelte mein Vater und strich mir über den Kopf. Er meinte: ›Jetzt habe ich eine kleine Amazone, und das ist richtig so.‹«

»Es setzt einen Mann sofort außer Gefecht. Als mich der Ball traf, dachte ich, ich müsse sterben.«

Sie lächelte, obwohl sie wußte, daß er es nicht sehen konnte. Es war noch dunkel bis auf das blasse Licht des Viertelmonds, der durch das Geäst der Bäume am Wegrand schien. »Ich freue mich, daß es deinem Vater weh tat. Er ist kein netter Mensch.«

»Was hast du vor? Wohin bringst du mich?«

»Du warst stumm wie ein Fisch, seit wir Honeymead Manor verlassen haben. Du hieltst es nicht für nötig, auch nur ein Wort an mich zu richten. Wieso jetzt diese Fragen?«

»Ich mußte mir eine Weile überlegen, was ich sagen will und in welcher Reihenfolge.«

Sie glaubte ihm. So war Owen nun einmal. Allmählich breitete sich in ihr das Gefühl aus, daß es eine verrückte Idee war, ihn mitzunehmen. Sie wußte, wenn er einen Fluchtversuch unternähme, könnte sie nicht auf ihn schießen. Großer Gott, sie hatte ihm nicht einmal die Hände gefesselt. Wenn er wollte, konnte er seinem Pferd in die Rippen treten und auf der Stelle kehrtmachen.

»Wir beide, Owen, reiten nach Cornwall.«

»Cornwall? Ich war einmal in St. Austell. Das war ziemlich abgelegen. Warum ausgerechnet in diese gottverlassene Ecke?«