Road to Ombos - Melanie Vogltanz - E-Book

Road to Ombos E-Book

Melanie Vogltanz

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Beschreibung

"Die Straße nach Ombos ist mit schlechten Vorsätzen gepflastert!" Seth, Herr von Ombos und abtrünniger Gott des Chaos, findet sich unversehens im modernen Las Vegas wieder. Niemand fürchtet ihn, niemand huldigt ihm und seine göttlichen Kräfte gehorchen ihm nicht mehr. Glücklicherweise muss er diese missliche Lage nicht allein durchstehen. Tara, Billy und Fernando, eine Gruppe von wohnungssuchenden Außenseitern, nehmen den gefallenen Gott unter ihre Fittiche und weihen ihn in die Magie von Punk, Bikes und Bier ein. Fast könnte Seth sich an dieses Dasein gewöhnen – doch dann beginnen Obdachlose aus der Stadt zu verschwinden. Offenbar ist Seth nicht der einzige Gott, den es in diese Zeit verschlagen hat, und nicht alle sind den Sterblichen so freundlich gesinnt. Am Horizont über Vegas braut sich eine Bedrohung transzendenten Ausmaßes zusammen. Wird es Seth gelingen, ihr ohne seine Kräfte standzuhalten? Ein rockiger Roadtrip durch die ägyptische Mythologie!

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Seitenzahl: 156

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Road to Ombos
Impressum
Über die Autorin
Vorwort
Kapitel 1: Der Fall
Kapitel 2: Vegas, Baby!
Kapitel 3: Rinnsteinratten
Kapitel 4: Das Recht des Stärkeren
Kapitel 5: Die Ewigkeit ist eine zu lange Zeit
Kapitel 6: Es gibt mehr als einen Weg
Kapitel 7: Der Weh-Lan-Priester
Kapitel 8: Anfang und Ende
Kapitel 9: Sternenstaub
Glossar
Nachwort und Danksagung
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Melanie Vogltanz

Road to Ombos

Seth ist gefallen

Impressum

Copyright © 2020 Art Skript Phantastik Verlag

Copyright © 2020 Melanie Vogltanz

1. Auflage 2020

Art Skript Phantastik Verlag | Salach

Korrektorat » Isa Theobald

Gesamtgestaltung » Art Skript Phantastik Verlag

Druck » BookPress | www.bookpress.eu

Print-ISBN » 978-3-945045-52-7

eBook-ISBN » 978-3-945045-21-3

Der Verlag im Internet » www.artskriptphantastik.de

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Content Note

Rassistische Polizeigewalt, Gewalt gegen Menschen und Tiere, Alkohol, Tod einer Figur. Körperliche Misshandlung (Prügel, Verstümmelung)

Über die Autorin

Melanie Vogltanz hat ihren Magister in Deutscher Philologie, Anglistik und LehrerInnenbildung an der Universität Wien gemacht. Sie wurde 1992 in Wien geboren und hat den berühmt-berüchtigten Wiener Galgenhumor praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Dem klassischen Happy End sagt sie im Großteil ihrer Geschichten den Kampf an, denn auch das Leben endet selten gut.

2007 veröffentlichte sie ihr Romandebüt; weitere Veröffentlichungen im Bereich der Dunklen Phantastik folgten. 2016 wurde sie mit dem »Encouragement Award« der European Science Fiction Society ausgezeichnet.

Wenn sie nicht gerade eigene Geschichten zusammenspinnt, korrigiert, lektoriert und übersetzt sie für Verlage und Kollegen oder hält ihre Frettchenmusen bei Laune.

Mehr Informationen auf: www.melanie-vogltanz.net

Vorwort

Seht Seth und wer dahinter steht!

Ein Vorwort von Katharina Fiona Bode

Was ist ein Gott? Nach christlichem Glauben, dürften wir uns kein Bild davon machen, aber bei den alten Ägyptern sah das etwas anders aus.

Wer oder was ist also ein Gott? Was macht ihn eigentlich dazu? Und was genau ist dieses ominöse Es, das ihn wahrhaft göttlich macht?

Schöpft ein Gott die Kraft aus sich selbst? Ist es eine Art magischer Veranlagung oder etwa der reine Glaube anderer, wie der von uns Menschen, der ihn zu wahrer Göttlichkeit ermächtigt?

In der Literatur begegnet man oft der Kraft des Schöpfungsaktes als Zeichen eines göttlichen Funkens, was in der Vergangenheit eine Verknüpfung zwischen Göttern und Künstlergenies zuließ, die prompt auf dieselbe Stufe erhoben wurden.

Doch wie sieht das Ganze gegenwärtig aus? Was passiert, wenn man heute kreative Geister an die Seite einstiger Gottheiten stellt; Schriftsteller*innen Götter neu beleben lässt, die eigentlich zusammen mit der altägyptischen Kultur verschwanden … irgendwo in der Vergangenheit abhandenkamen, nur um nun in unsere Gegenwart zurückgezwungen zu werden? Göttliche Wesen, die den Geschmack von Angst und Ruhm gekostet haben, ein konfliktreiches historisches Erbe in sich tragen, während sie sich plötzlich auf der Reise in eine zukünftige Welt wiederfinden, die nicht mehr die ihre ist.

Wer verleiht dann wem Macht? Müssen die Götter uns gerecht werden oder dienen sie nur sich selbst?

In diesem Spannungsfeld siedelten Verlegerin Grit Richter und ich als Herausgeberinnen die Anthologie »Kemet – Die Götter Ägyptens« an, für die wir uns abenteuerlustige Autoren und Autorinnen wünschten, die sich zusammen mit den Göttern auf die Suche nach Antworten begeben würden, auch wenn das hieße, sich auf verborgenen Pfaden durch staubigen Wüstensand zu graben. Denn die mythologischen Wurzeln sollten unverkennbar bleiben und Grundstein oder Reibungspotenzial für die Götter bei ihrem Streben bieten, sich einen Platz in der ‚neuen‘ Welt zu verschaffen.

Zwar mögen wir den initialisierenden Funken gespendet haben, aber angefacht wurde das Feuer unseres Erzählkosmos‘ durch die belebende Vorstellungskraft der Autorinnen wie Melanie Vogltanz, die eine jener Wagemutigen gewesen ist, welche sich auf diese Mission begeben und Seth in ihrer Geschichte »Highway to Heliopolis« eine Stimme verliehen hat. Eine Stimme, die offenbar so gewaltig war, dass sie nach mehr geschrien hat.

Und so können wir als Leser*innen uns allesamt glücklich schätzen, dass wir mit »The Roads to Ombos« in die Gesellschaft dieser betörend vielschichtigen und äußerst ambivalenten Figur zurückkehren dürfen.

Wir lechzten nach Magie, Crime & God’N Roll und Melanie hat mit Seth geantwortet.

Nun, lieber Leser*innen, wird es Zeit, dass ihr am eigenen Leib erfahrt WIE.

Kapitel 1: Der Fall

1

Die Straße nach Ombos ist mit schlechten Vorsätzen gepflastert.

Als Seth in die Welt der Sterblichen trat, geschah es in Dunkelheit und Kälte. Er ruderte mit den Armen und Beinen, aber um ihn war kein Halt. Wie ein herabgefallener Stern trieb er inmitten der eisigen, schwerelosen Finsternis. Da bemerkte er, dass er keine Luft zum Atmen und keine Stimme zum Schreien hatte. Die Kälte machte seine Glieder bleischwer, raubte ihm die Kraft zu kämpfen – und er wusste ohnehin nicht, wogegen er überhaupt kämpfte.

Ist dies das Ende?, fragte er sich in vollem Ernst und ohne jede Reue.

Doch es war der Anfang.

2

Da spürte Seth, wie Hände ihn packten – an den Armen und um die Brust. Plötzlich war da wieder ein Oben und ein Unten, und so begriff er, dass er von etwas oder jemandem hinaufgezogen wurde. Sekunden später durchstieß sein Kopf die Oberfläche der eisigen Schwärze. Prustend und spuckend rang er nach Atem.

»Alles gut, Kumpel«, hörte er eine Stimme neben sich, die weder der ewigen Sprache der Götter noch der Gemeinsprache des einfachen Volkes ähnelte. Er verstand sie dennoch, denn er war ein Gott, und Götter mussten jedes Wort verstehen, das an sie gerichtet wird. »Wir haben dich. Alles gut. Du bist jetzt sicher.«

Seine Augen waren nicht länger blind – waren es tatsächlich nie gewesen. Seth wurde klar, dass die schwerelose Kälte nichts anderes gewesen war als die Tiefen eines dunklen Flusses. Über ihm erstreckte sich ein wie von schwacher Glut diffus leuchtender, sternenloser Himmel.

Und rechts und links von ihm traten zwei triefende Sterbliche Wasser, die fast ebenso schwer atmeten wie er selbst. Bevor er sich soweit sammeln konnte, um angemessene Worte an die beiden Menschen zu richten, hatten sie ihn mit vereinten Kräften ans Ufer gezerrt.

Dort erwartete sie ein schmächtiger Junge, der mit mehreren Decken bereitstand. Zu seinen Füßen saß ein großer, struppiger Hund, der Seth misstrauisch beäugte.

»Heilige Scheiße, ist das kalt«, bemerkte einer der Menschen – eine junge Frau – zähneklappernd und wickelte sich eilig in die gereichte Decke. »Da hast du dir echt nicht den besten Zeitpunkt zum Baden ausgesucht, Kumpel.«

»Ich bin Seth«, verkündete Seth. »Herr von Ombos, Sohn von Nut, Herrscher über das Rote Land, Gebieter über das Chaos und Verschlinger von Seelen.«

Seine Worte erzielten nicht den erwarteten Effekt. Anstatt sich vor ihm in den Staub zu werfen und ihn um Gnade anzuflehen, glotzten die drei Sterblichen ihn lediglich an.

»Billy«, stellte einer der nassen Menschen sich vor.

»Tara«, ergänzte die Frau. »Und das sind Fernando«, sie deutete auf den schmächtigen Burschen, dann auf den Hund, »und Cupcake. Und was auch immer du eingeworfen hast, muss ordentlich reinhauen. Im Übrigen bist du splitternackt.«

Da er selbst keine Anstalten machte, nach der Decke zu greifen, die der Junge – Fernando – ihm anbot, nahm die Sterbliche namens Tara das in die Hand und legte sie ihm kurzerhand um die Schultern. »Komm, wir bringen dich in unser Lager. Ist nicht weit von hier. Dort kannst du dich aufwärmen, und vielleicht haben wir noch ein paar Sachen zum Anziehen für dich.« Sie schüttelte den Kopf. »Du hattest echt verdammtes Glück, dass wir zufällig in der Nähe waren. Hier ist es nachts oft ziemlich einsam. Du hättest absaufen können.«

Seth fühlte sich von der Reaktion der Sterblichen so vor den Kopf gestoßen, dass er einfach willenlos hinter ihnen hertrottete. Nach wenigen Metern erreichten sie eine Brücke, die sich über jenen Fluss spannte, aus dem sie ihn soeben gezogen hatten. Ein wohliges Feuer prasselte in einer kindshohen Tonne. Erst, als er den Flammen nahekam, spürte Seth, wie stark er fror. Er stellte sich vor die Tonne, um sich daran zu wärmen, und zog fröstelnd die Decke enger um seine Schultern.

»Wir haben leider keine zusätzlichen Schlafsäcke mehr«, erklärte Billy, während Tara ihre nassen Klamotten ablegte. »Aber mit ein paar Decken ist es aushaltbar.«

»Mach mal halblang, Billyboy!«, rief Tara über die Schulter. »Niemand hat behauptet, dass der Kerl hier übernachten darf. Die Rede war vom Aufwärmen, nicht davon, dass er sich hier häuslich einrichtet. Das ist ein völlig Fremder. Könnte genauso gut ein gesuchter Sexualstraftätet sein, bei allem, was wir über ihn wissen!«

»Tara, nun sei doch nicht so!«

Sie verzog missbilligend die Lippen. In ihrer neuen, trockenen Kleidung trat sie vor Seth und musterte ihn von oben bis unten. So hatte noch kein Sterblicher gewagt, ihn anzusehen. Ihre triefend nassen Haare, die sie mit einer beispiellosen Kunstfertigkeit zu zahlreichen dünnen Zöpfen geflochten hatte, die meisten davon schwarz, einzelne dazwischen grellrot, waren unter einer weiteren Decke verschwunden. »Das hier ist vielleicht nur ‘ne Brücke, aber es ist verdammt nochmal ‘ne saubere Brücke, und darauf legen wir großen Wert, klar? Wenn du hierbleiben willst, musst du clean sein. Also, auf was bist du drauf? Acid? Angel Dust? Crystal? E, H, K?«

»Sollten mir diese Buchstaben irgendetwas sagen?«, erwiderte Seth.

»Punktionsstellen scheinst du schon mal nicht zu haben, also bist du wohl kein Hardcore-Junkie. Ich nehm an, das kann man zu deinen Gunsten verbuchen.«

»Tara meint es nicht so«, schaltete Billy sich ein. »Sie will nur nicht, dass du uns Ärger ins Lager schleppst, wie unangenehme Typen oder Kredithaie und so’n Scheiß. Und das wirst du doch nicht, richtig?«

Seth ließ sich diese Frage genau durch den Kopf gehen. Obwohl er jedes der Worte dieser kuriosen Menschen in Isolation verstand, fiel es ihm erstaunlich schwer, ihren Sinn in seiner Gesamtheit zu erfassen. Schließlich antwortete er mit einem kurz angebundenen: »Wohl kaum.« Er sah nach unten, wo der struppige Hund begonnen hatte, vorsichtig seine nackten Füße zu beschnuppern. Als ihn Seths Blick traf, zog er den Schwanz ein, duckte sich und versteckte sich hinter dem Jungen, der bisher noch keinen Ton von sich gegeben hatte.

Wenigstens das Tier wusste, wie man einen Gott zu behandeln hatte.

Sein Herr, der schweigsame Sterbliche namens Fernando, hatte unterdessen in einem der zahlreichen Säcke gewühlt, die unter der Brücke verteilt standen. Offenbar war er fündig geworden, denn nun kam er mit einem Satz Kleidung zurück und hielt sie Seth mit einem ermutigenden Lächeln entgegen.

»Ich glaube, Fernando hat etwas gefunden, das dir passen könnte«, erklärte Billy.

»Was ist mit dir?«, fragte Seth den schweigsamen Sterblichen. »Hast du deine Zunge verloren?« Er nahm die Kleider entgegen. Noch nie hatte er so fein gewebten Stoff in Händen gehalten. Mit einem Hauch von Bewunderung strich er darüber, betastete die Nähte mit den Fingern.

Fernando presste die Lippen zusammen, zog die Mundwinkel nach oben und hob die Schultern.

»Er hat sie nie gehabt«, antwortete Tara für ihn. Sie hatte sich mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Schlafsack niedergelassen. »Er wurde gehörlos geboren. Aber das heißt nicht, dass er nichts mitbekommt. Er kann ziemlich gut Lippen lesen.«

»Er spricht also nicht.«

»Natürlich spricht er!« Tara wirkte empört. Etwas leiser fügte sie hinzu: »Allerdings in Gebärdensprache. Und die können wir nicht.«

Fernando zuckte erneut mit den Schultern, als wollte er sagen: Was soll man machen?

Seth begann sich anzukleiden. Zwar hatte Tara ihnen den Rücken zugewandt, als sie sich umgezogen hatte, doch er hatte dabei eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wie er diese fremdartige Kleidung anlegen musste. Dennoch brauchte er eine ganze Weile, ehe das schnürlose Hemd mit dem engen Kragen und die Hose aus dem robusten, blauen Stoff an seinem Körper saßen. Sein knapp schulterlanges, schwarzes Haar, in dem noch immer ein großer Teil Flusswasser hing, hatte das Hemd innerhalb kurzer Zeit vollgesogen. Als er an sich herabblickte, stellte er fest, dass sich auf dem schwarzen Obergewand eine Rune befand, die eine ähnlich klingende, wenn auch nicht identische kryptische Buchstabenkombination darstellte wie jene, welche die Sterbliche Tara ihm zuvor dargelegt hatte wie eine magische Formel: ACDC. Auch wenn Seth die phonetische Bedeutung der fremden Runen ebenso mühelos verstand wie die zungen- und lippenrundende Sprache dieser Sterblichen, blieb ihm auch in diesem Fall der tiefere Sinn dahinter verschlossen. Er konnte nur hoffen, dass sie ihn nicht mit einem Bann belegt hatten.

Doch welcher irdische Bann wäre schon mächtig genug, ihn zu knechten? Der bloße Gedanke war absurd.

Er folgte dem Beispiel der Sterblichen und ließ sich vor dem wohlig prasselnden Feuer nieder.

Billy reichte einige Flaschen reihum. Auch Seth ließ er nicht aus.

»Also Prost. Darauf, dass keiner von uns heute abgesoffen ist.«

Die drei tranken.

Seth schnupperte unterdessen misstrauisch an der Öffnung seiner eigenen Flasche. »Wie nennt ihr diesen Trank?«

»Budweiser«, sagte Billy.

Seth machte einen zögerlichen Schluck. Er schmeckte Alkohol, Hopfen, Malz – ein Gemisch von erstaunlicher Reinheit ohne jeglichen Bodensatz. »Schmeckt nach Bier«, bemerkte er.

»Hey, er wird wieder klarer!«, jubilierte Billy. »Ich sag’s doch immer wieder: Ein kühles Blondes hat noch jedes Leiden kuriert!«

»Also, Seth«, begann die junge Frau namens Tara, nachdem sie an ihrem Bier genippt hatte. »Was ist deine Geschichte?« Sie sprach seinen Namen falsch aus, mit einem kurzen »E« und einem Zischlaut am Ende, bei dem sie die Zunge zwischen die Vorderzähne nahm. Im Schein des Lagerfeuers fiel ihm auf, dass ihr Teint dem seinen noch am nächsten kam. Die beiden männlichen Sterblichen dagegen waren merkwürdig bleich, besonders der junge Mann namens Billy. Er sah fast so aus, als hätte jemand seiner Haut mit Salzlauge alle Farbe entzogen. Für Seth stand fest, dass Tara das Kommando innehatte. Er betrachtete die Ringe, die in ihrer Nase, ihren Ohren und ihrer Unterlippe steckten. War sie eine Priesterin? Eine nubische Königin? Doch wieso sollte sie dann mit ihrer Dienerschaft unter freiem Himmel schlafen?

»Hey, Kumpel. Weilst du noch unter uns?« Sie wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. »Jetzt erzähl schon! Wie bist du splitternackt im Wash gelandet?«

»Ich … entsinne mich nicht«, musste Seth zugeben.

»Bis oben hin zugedröhnt«, raunte Billy.

»Du erinnerst dich an gar nichts?«, hakte Tara nach.

Seth ignorierte ihre Frage. Stattdessen blickte er erneut in den rötlich glimmenden Himmel. So fahl und sternenlos der Himmel geworden war, die Erde leuchtete dafür umso mehr. Unzählige Lichter funkelten in der Ferne, erbrachen ihren Schein in die Stratosphäre und verschluckten alles andere. So viele Lichter hatte Seth noch nie in seiner Äonen andauernden Existenz gesehen, und wenn er die Augen schloss, tanzten sie immer noch in der Finsternis seiner geschlossenen Lider auf seinen Netzhäuten. »Wie nennt sich dieser Ort?«

Tara, Billy und Fernando warfen sich stumme Blicke zu. Dann sagte Billy mit einem breiten Grinsen: »Willkommen in Vegas, Baby!«

3

Die Sterblichen redeten eine ganze Weile – über die Stadt, in der sie lebten, die Menschen darin (ein Volk, das Billy als geizige Flachwichser bezeichnete) und über sich selbst. Seth versuchte, all die verwirrenden Informationen zu erfassen, die mit jedem Redeschwall auf ihn einstürmten, aber mit jeder Frage, die sich ihm beantwortete, eröffneten sich ihm zehn neue.

Während des Gesprächs wurde in Papier gewickeltes Räucherwerk entzündet. Mit den Worten »Auch ‘ne Fluppe?« bot Billy ihm diese Opfergabe dar. Seth erwies ihm seine Gunst und nahm sie an. Nach Vorbild der Sterblichen inhalierte er den Rauch, der dabei entstand, und genoss das Gefühl der Wärme, das sich durch das Feuer vor und das Feuer in ihm ausbreitete.

»Ich glaube nicht, dass ihr begreift«, ergriff er schließlich das Wort. »Ich bin ein Gott. Ich weiß nicht, wie ich in dieses Land geraten bin, in dem man meinen Namen nicht kennt und nicht fürchtet, doch ihr tätet gut daran, mir mit Respekt zu begegnen.«

»Schon klar, Mann.« Billy klopfte ihm auf die Schulter.

Seths Blick, den er ihm daraufhin zuwarf, fiel so vernichtend aus, dass der junge Sterbliche seine Hand so hastig wieder zurückzog, als fürchtete er, sie könnte ihm abgebissen werden. »Sorry«, nuschelte er.

»Wenn du so mächtig bist«, wandte Tara ein, »wie kommt es dann, dass wir dich aus dem Wash fischen mussten?«

»Götter sind weder unbesiegbar noch unverwundbar. Sie sind vergänglich und von Makeln besetzt.«

»Das ist ja bequem«, bemerkte Billy.

Seth musterte ihn brüskiert. »Nein. Es ist überaus mühselig. Aber so ist der Lauf der Dinge.«

»Dann zeig uns doch mal was von deiner Götterpower!«, verlangte Billy.

Fernando nickte eifrig.

Tara verzog lediglich die Lippen und schüttelte den Kopf. »Jetzt ermutigt ihn nicht auch noch!«

»Ihr wollt also einen Beweis für meine göttlichen Kräfte?«, versicherte Seth sich.

»Ja. Bitte. Das wär echt abgefahren.« Billy grinste.

»So etwas wurde noch nie von mir verlangt. Doch ich tue es – für euch, da ihr mich aus dem Fluss gezogen und mit Opfergaben von ausgesuchter Schönheit meine Gunst gewonnen habt.« Seth erhob sich aus seiner sitzenden Position.

Fernando rempelte Billy aufgeregt mit dem Ellbogen an.

»Bitte tu dir nicht weh«, murmelte Tara.

Seth zog es vor, das zu ignorieren. Er breitete die Arme aus, die Handflächen nach außen gekehrt. Ein paar schlichte Feuerstrahlen in den Himmel zu schicken, sollte wohl ausreichen, um diese einfältigen Sterblichen zu beeindrucken. Er beschwor die Hitze herauf, sammelte sie in seinem Körper, sandte sie in seine Fingerspitzen …

Das heißt, er versuchte es.

Nichts geschah.

»War’s das schon oder kommt da noch was?«, raunte Billy Tara zu.

»Ich glaube, er hat noch nicht angefangen«, meinte diese.

Seth räusperte sich. »Das … Moment.« Er öffnete und schloss seine Finger, dass sie knackten, lockerte seine Glieder. Offensichtlich war er durch sein unfreiwilliges Flussbad noch immer geschwächt. So etwas kam schon einmal vor.

Seth schloss die Augen. Konzentrierte sich. Hitze. Ein inneres Feuer, so rot, heiß und trocken wie das Rote Land Deshret, seine Heimat, sein Königreich. Tief in ihm brannte es, sein ureigenstes Ka, die Essenz seines Seins. Es floss durch seine Adern, strömte von seinen Adern in seine Hände, in seine Finger, von wo aus es ihn nur einen flüchtigen Gedanken kostete, um es als Heka nach außen zu senden, die Flammen hervorschießen zu lassen, in … in … in …

»Seth?«, fragte Tara zögerlich. »Bist du eingeschlafen?«

»Falls du kotzen musst, nicht auf die Schlafsäcke zielen!«, bat Billy.

Seth atmete ruckartig aus und ließ seine Arme herabfallen. »Ich … ich kann es nicht.« Die Erkenntnis bohrte sich in seinen Magen wie die Giftzähne einer Viper: Kraftlos. Machtlos. Sein Heka, die göttliche Magie, die sein Sein bestimmte, war erloschen. Das hatte es noch nie gegeben. Noch nie, nicht einmal, als sein Neffe ihm während ihrer erbitterten Fehde das Gemächt abgeschnitten hatte, war er gänzlich ohne Kräfte gewesen. Ja, selbst im Tod, wenn er einst mit der ewigen Barke über den Jenseitsfluss in die Gefilde der Duat fahren sollte, würde das Feuer Deshrets in ihm brennen.

Zumindest hatte er das bislang immer geglaubt.

»Du siehst etwas käsig aus. Vielleicht solltest du dich lieber wieder hinsetzen«, riet Tara.

»Was auch immer er sich reingepfiffen hat, ich glaube, es hört gerade auf, zu wirken«, bemerkte Billy.

Da explodierte Seth. »Elendes Wurmgezücht!