Roadrunner - Alauda Roth - E-Book

Roadrunner E-Book

Alauda Roth

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Beschreibung

Als eine Frau in Monterey in sein Wohnmobil springt, wird Blogger Jonathan Woolfe von seiner Vergangenheit eingeholt. Seine neue Reisebegleiterin ist die Tochter seines früheren Coachs, eine inzwischen renommierte Wissenschaftlerin. Bald fragt er sich, wovor sie davonläuft, und Verfolger heften sich auf ihre Spuren. Sie mitzunehmen ist eine Entscheidung, die sein Leben verändert und ihn bis ans Ende der Welt führt.

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Zum Buch

Monterey ist sein Schicksalsort. Als eines nachts eine Frau in der kalifornischen Kleinstadt in sein Wohnmobil springt, wird Reise-Blogger Jonathan Woolfe von seiner Vergangenheit im Motorsport eingeholt. Zuerst will er den ungebetenen Gast so rasch wie möglich wieder loswerden, doch dann erkennt er in ihr Alice, die Tochter seines früheren Coachs.

Zu seiner Überraschung ist das Punk-Girl von damals inzwischen eine angesehene Wissenschaftlerin und bittet ihn, sie auf seine Tour mitzunehmen.

Zögernd stimmt er zu und schon bald beginnt Jonathan sich zu fragen, wovor seine Reisebegleiterin fortläuft. Gleichzeitig heften sich zwei Verfolger auf ihre Spuren. In Florida angelangt, trifft er spontan eine Entscheidung, die sein Leben verändern und ihn bis ans Ende der Welt führen wird.

Zum Autor

Alauda Roth, seit 2004 als Autorin tätig, seit 2017 freischaffend. Diverse Veröffentlichungen von Kurzgeschichten und Lyrik in Magazinen und Anthologien, mehrere Bücher im Eigenverlag Edition Andrann und bei BoD. Lebt mit zwei- und vierbeiniger Familie im südlichen Niederösterreich.

(16421) Roadrunnerist ein Asteroid des inneren Hauptgürtels, entdeckt vom belgischen Astronomen Eric W. Elst am 22. Januar 1978 am Observatoire de Haute-Provence.

Der Asteroid wurde am 28. Dezember 2012 nach dem Wegekuckuck (Californian Earthcuckoo) benannt, zu dessen Eigenschaften eine extrem gute Lauffähigkeit gehört.

JPL Small-Body Database

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Sommerdreieck

Laguna Seca Raceway, 2002

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 2: Kreuz des Südens

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Cerro Paranal, ein Monat später

Anmerkung

Nachtrag

KAPITEL 1

SOMMERDREIECK

Laguna Seca Raceway, 2002

Das Vibrieren hätte ihn warnen sollen. Aber ein Werksfahrer klebte an seinem Hinterrad, stachelte seinen Ehrgeiz an. Noch eine gute Runde und er würde die Zeit von Colin biegen. Er flog über die Kuppe, holte auf der Geraden alles aus der Yamaha heraus. Die Corkscrew-Schikane raste auf ihn zu, Adrenalin schärfte seine Sinne, am Ende des Abhangs bremste er – und der Hebel kippte ins Leere.

Er stieß sich von der rutschenden Maschine ab. Seine blaue Yamaha prallte in den Kies, das Metall kreischte, er überschlug sich, hörte sein Handgelenk brechen, schlitterte weiter, blieb auf der Seite liegen.

Seine Protektoren hatten das meiste aufgefangen, er atmete tief durch, lehnte sich auf seinen unverletzten Arm und versuchte aufzustehen. Ein Streckenposten kletterte über die Absperrung, lief auf ihn zu, stoppte aber plötzlich. Gummi quietschte, ein rotes Bike katapultierte über seine Yamaha, stürzte auf ihn zu.

Der Eisendrache verbrannte ihn. Er schrie und schrie und schrie. Doch der Schmerz endete nicht.

1

Eine Gestalt sprang in den Scheinwerferkegel und riss die Arme hoch. Jonathan bremste scharf. Das Wohnmobil schlingerte und Gläser klirrten hinter ihm. Die Einstiegstür wurde aufgerissen, eine Frau in Khakishorts kletterte herein, schlug die Tür zu und rief: »Fahr schon.« Sie ließ sich auf die Sitzbank fallen.

»Hey. Ich bin kein Shuttle-Dienst!« Er wollte sie rauswerfen, aber im Seitenspiegel sah er, wie die Tür des Klubhauses aufgestoßen wurde und Owen Pierce davor stehenblieb, sich suchend umblickte. Jonathan gab Gas. Nach einer halben Meile warf er einen kurzen Blick auf seinen ungebetenen Gast.

Ihr Gesicht lag halb im Dunkeln, sie hatte ihre Umhängetasche umklammert und starrte geradeaus.

»Ärger mit dem Boss?«, fragte er.

»Owen ist nicht mein Boss. Er ist nur ein geldgieriger Scheißkerl.«

»Und da hüpfst du lieber zu einem Wildfremden ins Auto?«

»Wer sagt, dass du mir fremd bist?«

»Bin ich nicht?«

»Du bist Blue Strike. Ich habe dich gleich erkannt. Auch wenn du versuchst, dich mit dem Bart zu tarnen.«

Er runzelte die Stirn, schon lange hieß er nicht mehr so. Jonathan versuchte ihr Gesicht genauer zu sehen. Es kam ihm nicht vertraut vor, aber er hatte in seiner aktiven Zeit eine Menge Frauen gekannt.

Sie seufzte. »Du weißt es nicht mehr? Stimmt’s? War genau hier. Na ja, ist aber auch sechszehn Jahre her. Und ich hatte streichholzkurze Haare, Magenta gefärbt.«

Er zuckte mit den Schultern. Sie schwieg.

Kurz nach Salinas hielt er an einer 76-Station. Während das Benzin in den Tank gurgelte, ging er um den Wagen herum und öffnete die Einstiegstür.

»Endstation, Mylady.«

»Das kann nicht dein Ernst sein.«

»Habe ich dich gebeten mitzufahren? Du bist raus aus dem Camp und das war‘s.«

»Du lässt mich bei den Truckern? Mitten in der Nacht irgendwo am Straßenrand?«

Sie hielt noch immer die Tasche umklammert, ihr Gesicht sah im Licht der Neonröhren leichenblass aus. Plötzlich bemerkte er die Haarspange in Form eines Motorrades, die ihren Zopf hielt. Die war ihm in der Fernsehübertragung aufgefallen. Nach der Siegerehrung hatte Owen, Kranstons Schwiegersohn, ein Interview gegeben und sie hatte ihm einen Cupcake an den Kopf geworfen.

»Du bist vorhin neben Rosie gestanden, nicht wahr?«

Sie nickte. »Ist eine gute Freundin.«

»Guter Wurf.« Er schloss die Tür wieder.

Zurück auf der Route 101 versuchte er, sich genauer an sein vorletztes Jahr auf der Tour zu erinnern: 2001 – er war in Atlanta und in Austin auf dem Podest gestanden und Zweiter in der Superbike-Staatsmeisterschaft gewesen, als sie auf die Rennstrecke nach Monterey kamen. Auf einmal fiel es ihm ein. »Alice, du bist Alice!«

»Ja, so hat mich Dad immer genannt, wegen Alice im Wunderland.«

»Du siehst ganz anders aus.«

»Damals hatte ich meine Pink-Phase.«

»Die Farbe?«

»Die Sängerin.«

»Na, zum Glück hattest du keine Piercings.«

»Warum hatten wir nie ein zweites Date?«

»Das war kein Date. Ich habe dich nur auf ein Bier eingeladen. Als Dank hat mir Leroy den Arsch aufgerissen und mir angedroht, meine Finger zu brechen.«

»Das hätte Dad nicht gemacht, du warst zu der Zeit sein bester Fahrer.«

»Oh doch! Alice, sein Goldstück. Keiner der Jungs im Team hat sich damals in deine Nähe getraut.«

»Und ich dachte immer, es war das schräge Outfit.«

»Warum Alice im Wunderland?«

»Das hat mir Dad einmal vorgelesen, als ich noch klein war.«

»Du bist noch immer klein.«

»Ich bin 1,60.«

»Sag ich ja.«

Sie schwieg, legte die Tasche hinter sich und schloss die Augen. »Im darauffolgenden Sommer wollte ich euch für drei Wochen begleiten, aber Blue war fort und Dad untröstlich. Ab da ist es mit ihm bergab gegangen.«

»Das war nicht meine Schuld.«

»Ich weiß. Aber du hättest ins Team zurückkommen können.«

»Meine Rennkarriere war zu Ende. Was hätte ich dort sollen? Die Bikes der anderen Fahrer putzen? Leroys Post erledigen?«

»Du warst fast wie ein Sohn für ihn.«

»Und du warst seine Tochter.«

»Nicht wirklich. Ich kann an zwei Händen die Gelegenheiten abzählen, an denen wir Zeit miteinander verbracht haben.«

»Blut ist also nicht dicker als Wasser?«

»Ein unsinniger Spruch.«

»Du warst nicht einmal auf seinem Begräbnis.«

»Ich war in Chile.«

»Auch dort gibt es Flughäfen.«

Sie zuckte mit den Achseln. »Es hätte Leroy nicht gekratzt.«

»Woher willst du das wissen?«

»Hat Rosie gemeint.«

»Ihr könnt gut miteinander?«

»Sie ist der einzige Mensch, der mir jemals ein Gefühl von Familie gegeben hat.«

Jonathan schaltete das Radio an, wählte Go Country 105 – Emmylou Harris C’est La Vie ertönte. Er warf einen Blick über seine Schulter. Sie hatte sich auf der Polsterbank ausgestreckt.

Als er am Avila Campingplatz in Pismo Beach eingeparkt hatte, schlief sie bereits. Kurz überlegte er, sie zu wecken und das Hochbett herunterzuziehen, aber sie atmete tief und ruhig. Er drückte sein Kreuz durch, verriegelte die Einstiegstür und ging ans Ende des Wohnmobils; setzte sich auf das Doppelbett, knöpfte das Hemd auf und murmelte: »Wir haben wohl beide unsere Gründe aus Monterey abzuhauen.«

2

Der Wecker piepste sich in seinen Traum. Kaffeegeruch zog herein, ein Radiosprecher verkündete launig den Wetterbericht: »Unterbrechen Sie Ihre Shopping-Tour, binden Sie ihr Haustiere fest und pfeifen Sie aufs Autowaschen. Was für ein Schauspiel! Eine rote Staubfront wälzt sich aus der Sonora Richtung Norden. Also Leute – verzichtet auf die Scheibenwaschanlage, die Aussicht wird nicht klarer.«

Jonathan rollte sich aus dem Bett und tastete nach seinem Bein, um sein übliches Morgenritual abzuwickeln. Danach schlüpfte er in eine Jeans, fand seine Schuhe nicht und ging barfuß nach vorn.

Sie saß mit aufgeklapptem Laptop auf dem Ecksofa und scrollte durch Schlagzeilen. Jonathan warf einen Blick auf den Bildschirm, setzte sich dann gegenüber auf die Sitzbank und löffelte Zucker in seinen Kaffee. »Du heißt nicht wirklich Alice?«

»Nein.«

»Und wie dann?«

»Eirene.«

»Was ist denn das für ein Name?«

»Ein alter.«

Er runzelte die Stirn, rührte in seinem Becher herum. »Warum warst du in Monterey? Interessierst du dich noch für die MotoAmerica?«

»Nein. Ich war bei Rosie. Sie wohnt in Pacific Grove.«

»Das wusste ich nicht.«

»Leroy hat schon Ende der Achtziger dort ein Haus gekauft. Mit Meerblick. Ich habe die beiden während des Studiums ein paar Mal besucht.«

»Er hat ein Haus gekauft und dein College gezahlt? Soviel Kohle hatte er nie.«

»Ich habe mir mein Studium selber finanziert.«

»Pornofilme?« Er grinste.

»Ein Computer-Programm.«

»Wofür bekommt man so viel?«

»Algorithmic Trading. War eigentlich nur eine vage Idee, die ich bei meinem Intel-Praktikum aufgeschnappt hatte. Zuhause habe ich daran weitergearbeitet und siehe da: Es gab Interessenten.«

»Microsoft?«

»Nein. Ein auf Banken spezialisiertes Unternehmen. Und etwas später noch ein anderes.«

»Du hast es mehrfach verkauft?«

»In Variationen, war nicht verboten. Nach zwei Jahren habe ich die Endversion Open Source gestellt.«

»Nicht dein Ernst?«

Sie zuckte mit den Achseln und schwieg.

Jonathan trank einen Schluck Kaffee. »Und jetzt treibst du dich auf der Landstraße herum?«

»Ich habe eine Auszeit gebraucht.«

Nicht einmal Akademiker bekommen heutzutage noch ordentliche Jobs, dachte er. Der Toaster klapperte und warf zwei Scheiben aus. Mit einer Spatel schmierte er Erdnussbutter auf das Brot und biss hinein. Der Orangensaft war leer und Jonathan holte einen neuen Karton aus dem Vorratsschrank.

»Wie weit gedenkst du mitzufahren?«

Eirene sah über den Rand ihres Laptops. »Wie weit nimmst du mich mit?«

»Ein Wohnmobil ist nicht gerade ein Sterne-Zimmer. Da darf man nicht zimperlich sein.«

»Sehe ich zimperlich aus?«

Er verzog den Mund, antwortete aber nicht, sondern holte sich ein Polo-Shirt und zog es über.

Eirene setzte nach. »Ich bin auf einer Farm in Oregon aufgewachsen. Mit drei älteren Cousins.«

»Ein Cowgirl also.«

»Wir hatten keine Kühe. Nur Kürbisse.«

Er drehte den Fernseher auf und zappte durch ein paar Kanäle. »Was kannst du beitragen?«

Sie hob die Brauen. »Was meinst du?«

»Das hier ist mein Job.«

»Testest du Campingplätze?«

»So ähnlich. Ich bin Reise-Blogger.«

»Dafür zahlt jemand?«

»Ich kann davon leben.«

»Mit der Hand in den Mund.«

»Was geht’s dich an?«

»Entschuldige, war nicht so gemeint.«

»War es doch. Also, was willst du beitragen?«

»Benzingeld und Kochen?«

»Ein Beginn. Was noch?«

Sie hörte auf zu tippen. »An was hast du gedacht?«

Er ließ sich Zeit mit der Antwort, studierte ihr Gesicht. Dann trank er den Kaffee aus und stellte den Becher in den Abwasch. »Ich mach auch Videos. Ist allein manchmal mühsam. Da könnte ich Hilfe brauchen.«

»Videos?«

»Ja, für den Blog. Ausflugsziele, Pubs, Barbecues. Was halt an einer Gegend für Leute mit kleinem Budget was sein könnte.«

Sie nickte. Jonathan fuhr fort. »Wenn du mir mit der Ausrüstung und der Filmerei hilfst, sind wir im Geschäft. Manches geht mit dem Teil nicht so gut.« Er zog den Jeansstoff ein Stück hoch und wackelte mit der Unterschenkelprothese. »Deal?«

Eirene klappte den Laptop zu. »Okay, Deal.«

Er zog das Hosenbein hinunter und schlüpfte mit dem Kunststoff-Fuß in einen Mokassin.

3

Floyd Kranston legte den Telefonhörer auf und schlug auf den Tisch. Das Ducati-Modell fiel vom Ständer. »Verdammte Bitch. Wie bring ich das Latino-Weib nur dazu, den Kaufvertrag zu unterzeichnen?«

Vor dem geöffneten Bürofenster röhrten Motoren. Abgase und der Geruch nach Motoröl wehten herein. Owen stand auf und schloss das Fenster. Sein Schlüsselbund klimperte, als er sich auf die Schreibtischkante vor seinen Schwiegervater setzte. »Es gibt offensivere Möglichkeiten.«

»Ich hatte gehofft, nicht darauf zurückgreifen zu müssen, aber Milano sitzt mir im Nacken. Er möchte unbedingt mit den Typen in Manila ins Geschäft kommen. Globalisierung wohin man schaut.«

»Soll ich die Coyos anrufen?«

Kranston stellte die Ducati wieder auf, drehte das Vorderrad, schwieg bis die Rotation auslief, dann seufzte er: »Das Hemd ist mir näher als der Rock. Und Suzie will ein neues Cabrio. Also gut, kümmere dich darum. Ich brauch die Unterschrift spätestens in zwei Wochen. Aber Zurückhaltung, verstehst du?«

Owen grinste und nickte. »Klar doch, Floyd. Was ist mit Leroys Tochter?«

»Was soll mit ihr sein?«

»Ich bin ihr noch eine Abreibung schuldig.«

»Wegen dem Kuchen? Vergiss es. Eirene ist eine Nomadin und lässt sich so schnell nicht mehr hier blicken.«

»Trotzdem, ich will…«

»Vergiss es, hab ich gesagt«, unterbrach ihn Kranston. »Die pflegt Kontakte zum Militär. Ich habe keine Lust, dass solche Typen hier rumschnüffeln. Ist schlecht fürs Geschäft.«

Owen schüttelte ungläubig den Kopf, widersprach aber nicht. Er wischte einen Schmutzfleck von seinen Krokoleder-Boots und wartete, ob sein Schwiegervater noch etwas sagte. Nach ein paar Minuten richtete er sich auf und stiefelte zur Tür. Bevor er hinausging fragte Owen: »Was bekommt sie denn?«

»Wer?«

»Suzie. Welches Cabrio?«

»Mercedes E 220. Warum?«

»Damit ich gleich weiß, was sich Loretta als nächstes wünscht. Deine Tochter kann doch nicht nachstehen.«

Kranston feixte: »Unsere Weiber haben uns fest im Griff, nicht wahr?«

»Solange es daheim schön warm ist…« Owen winkte seinem Schwiegervater zu und ging vor das Klubhaus. Die beiden Rookies kamen von der Strecke zurück, die Mechaniker liefen zu den Bikes. Hinter dem Teambus war es ruhiger. Er sah sich um und wählte. »Coyo? …-Owen Pierce hier …- Von Bumper …- Er hat gesagt, ihr liefert immer …- Nur eine alte Latina …- Nein, keine Verwandten, keine Gang, trotzdem kompliziert …- Nicht weit, in Pacific Grove …- Nein, nicht so was, nur ein wenig Nachdruck …- Ja, er ist daran interessiert …- Gut, morgen am Raceway?«

Zufrieden marschierte Owen zur Kantine und bestellte eine Cola-Rum. Die Bedienung grinste ihn an, hämisch, wie er meinte. Das YouTube-Video mit dem Cupcake in seinem Gesicht hatte die Runde gemacht. Owen nagte an seinem Fingerknöchel. Die blauäugige Schlampe würde er auch noch fertigmachen. Von wegen Militär – er wusste von Loretta, dass ihre Halbschwester Lehrerin war, an irgendeinem College im Süden.

Floyd hatte einfach keinen Biss mehr. Wenn sie Rosie Leblancs Anteil am Team hatten und Milano sein Stück vom Kuchen bekam, wusste er schon, wer demnächst in Rente gehen würde.

4

Hupend schnitt ihn ein Ford Escort. Jonathan fluchte und wechselte die Spur. Noch eine Meile, dann läge der Großraum L.A. hinter ihnen und genau jetzt blockierte ein Unfall die Straße. Rücklichter blinkten, die Autos wurden langsamer und kamen zum Stillstand.

»Willkommen am Christopher Columbus Transcontinantal Highway. Ihre schnelle Verbindung von der West- zur Ostküste.« Er schaltete das Radio ein.

Eirene holte zwei Dosen Cola aus dem Kühlschrank. »Wieso fährst du überhaupt die Interstate? Mehr zu sehen gibt es am Highway.«

»Artikelserie für Caravan. Vom Blog kann ich die Unkosten decken. Auftragsarbeiten liefern die Butter aufs Brot.«

»Wie bist du dazu gekommen?«

»Lange Geschichte.«

»Wie es aussieht, haben wir genug Zeit.«

Kurz überlegte Jonathan. »Ich war ein paar Jahre mit einem Kumpel unterwegs, der Blog war seine Idee, ich war nur sein Co-Pilot. Er hat mir später seinen Kundenstamm überlassen.«

»Wo ist dein Kumpel jetzt?«

»Verheiratet in Philadelphia. Morton arbeitet wieder als Lehrer.«

»Wann habt ihr euch kennengelernt?«

»2004 in Las Vegas.«

»Was hast du in Vegas gemacht?«

»Ich war obdachlos und habe gebettelt.«

Im Augenwinkel sah er, wie sie große Augen machte und darauf wartete, ob er mehr erzählte. Die Autos vor ihm fuhren an und er reihte sich in die Ausweichspur ein. Sie fragte nicht weiter.

Ein Halt im San Bernardino County war nicht seine erste Wahl, aber der Stau hatte viel Zeit gekostet. Kurz überlegte er zum Butler Peak hinaufzufahren, entschied sich aber dann gegen die Berge und nahm die Abfahrt zum Oak Valley Parkway, einer einspurigen Straße, die ein Industriegebiet zweiteilte.

Das Magazin hatte keine Vorgaben zu seinen Stopps gemacht und er vermutete, dass die Artikel mehr ein Lückenfüller waren, als ein Aufmacher. Nach der Abfahrt hielt er in einer Parkbucht und sah sich online die nächsten beiden Campingplätze an. Das Cherry Valley Lakes Resort war der größere, lag aber zwischen einer Hühnerfarm und einem Bestattungsinstitut. Er wählte die Kontaktnummer des Noble Creek RV Park und eine Frauenstimme bestätigte ihm die Buchung. Der Zufahrtsweg zu den Stellplätzen führte zwischen einer Reitanlage und an einem Hockeyplatz durch, an einer Motocross-Strecke und zwei Baseballplätzen vorbei, die im angrenzenden Park lagen. Die bewässerten Rasenflächen glänzten sattgrün und standen im krassen Gegensatz zum staubigen Hinterland. Der Wohnwagenplatz lag an einem ausgetrockneten Flussbett, am anderen Ufer reihte sich unterschiedslos Einfamilienhaus an Einfamilienhaus, wie aus einer Fabrik geliefert. Sie waren das einzige Fahrzeug am Platz.

Nachdem sie den Stellplatz bezogen hatten, holte Jonathan die XT 600 aus der Heckgarage. Eirene kam zu ihm und sagte: »Ich möchte etwas verschicken. Eine halbe Meile weiter ist eine UPS-Filiale.«

Er sah auf die beiden Schulhefte, die sie an sich gedrückt hielt, und nickte: »Soll ich dich bringen?«

»Keinesfalls. Mir schlafen schon die Beine ein.«

»Okay. Ich dreh ein paar Runden auf der Offroad-Strecke.«

Sie betrachtete die rotweiße Enduro. »Ich hätte nicht gedacht, dass du noch fährst.«

»Warum nicht? Geht auch mit Prothese gut. Und hält fit.«

Sie steckte die beiden Hefte sorgsam in ihre Umhängetasche. »Ich geh auch was einkaufen. Deine Vorräte gleichen einer Armee-Notversorgung. Hast du besondere Wünsche fürs Essen?«

»Cajun«, antwortete er spontan.

Sie nickte und winkte nur kurz zum Abschied.

Die Stollenreifen bissen sich in den Sand, er driftete durch die Spitzkehren, trieb die Maschine über die Wellen und sprang über die niedere Schanze. Nach ein paar Runden hatte er jede Kurve ausgereizt und er verließ den Kurs, überquerte den Parkplatz und balancierte die Yamaha die Böschung zum Flussbett hinunter. Er drehte den Gashebel durch und raste über das gerillte Band, fühlte die Enduro unter sich schlingern, balancierte jeden ihrer Bocksprünge aus und genoss das Adrenalin, das ihn achtsam machte und ihn ganz in den Augenblick eintauchte. Schließlich sprang er über die Böschung hinauf, kurvte über eine Brachfläche und kehrte zum Wohnmobil zurück.

Jonathan klopfte sich den Staub von der Montur und stellte die Maschine zum Abkühlen in den Schatten. Er hatte die Fahrt auf dem Thunder Alley Raceway mit der Helmkamera aufgenommen und schnitt gerade ein Video für seinen Blog, als sie zurückkam. Er räumte den Tisch und ging zu seiner Yamaha hinaus. Während er die Enduro säuberte und die Kette nachschmierte, zogen nach und nach Gerüche nach Gebratenem und Gewürzen vorbei und bald knurrte ihm der Magen. Überrascht schaute er auf den Teller, den sie auf einen kleinen Klapptisch im Freien stellte: Sie hatte tatsächlich Jambalaya gekocht. Er kostete vorsichtig, das Hühnerfleisch war butterweich und die Scampi bissfest, die Schärfe vom Chili genau richtig. Jasminreis verlieh dem Gericht den letzten Schliff. Jonathan setzte sich auf die Stufen und aß mit Appetit. »Du kannst das echt gut«, sagte er bei der offenen Einstiegstür hinein.

Sie saß am großen Tisch und schaute neben dem Essen eine Reportage über die Baja California, die kalifornische Halbinsel. »Das ist normal, wenn man als Kind auf einer Farm gehalten wird.«

»Gehalten wird ein Tier.«

»Ich war für die auch ein Arbeitstier.«

»Du übertreibst.«

»Die Walters sind keine schlechten Menschen, aber der Erhalt einer Farm ist harte Arbeit. Wer Essen wollte, musste arbeiten, egal wie alt man war.« Sie holte sich ein Root Beer. »Sie haben es sich auch nicht ausgesucht, noch ein Maul zu stopfen. Suzie, meine sogenannte Mum, ist einfach eines Tages bei ihrem Bruder aufgetaucht und hat mich bei ihm abgegeben.«

»Wie alt warst du da?«

»Knapp zwei Jahre.«

Jonathan rechnete nach. »Das war kurz bevor sie sich von Leroy hat scheiden lassen.«

»Ja. Da lief schon was mit Kranston und sie wollte sich nicht von einem Balg die Tour verderben lassen. Ihre Worte.«

»Nette Mama. Und Leroy?«

»Hat gemeint, so eine Farm ist doch besser als ein Leben auf Achse. Einmal im Jahr kam er dann mit seinem Cabrio angerauscht, überschüttete seine Alice mit Glitzerkram und war nach drei Tagen wieder verschwunden. Das ganze Zeug haben Onkel und Tante dann am nächsten Wochenmarkt verkauft.«

»Wow. Hast du nicht protestiert?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Man ist nicht das, was man hat. Was hätte ich auch damit sollen? Hauptsache ich konnte zur Schule gehen.«

»Da hattest du mir etwas voraus. Ich war mit vierzehn heilfroh, dass ich in ein Motorsport-Team einsteigen konnte und nicht mehr hinmusste. Leroy als Lehrer hat mir damals gereicht. Am Ende hatte der Unfall auch seine gute Seite. Ohne den wäre ich noch immer ein ungebildeter Adrenalin-Junkie.«

»Du hast die High-School nachgeholt?«

»Ja, und auch einen College-Abschluss in Journalismus. Allerdings nur ein Fernstudium.«

»Egal. Chapeau.« Sie räumte den Tisch ab und begann das Geschirr zu waschen.

Jonathan klappte den Laptop auf. Für den Artikel hatte er auch ein paar Fotos vom Noble Dog Park geknipst, der Hundepark würde der üblichen Klientel des Magazins gefallen. Ein paar Sätze fehlten noch für den gewünschten Umfang und er tippte: »Der Charme des Cherry Valley mit seinen freundlichen Vorstadthäusern spiegelt sich auch im Resort. Es ist ein idealer Platz um ein paar gepflegte Bälle über das Grün zu werfen, mit dem Vierbeiner einen sportlichen Parcour zu bewältigen oder bei einem Cowboy-Barbecue eine schnelle Sohle hinzulegen, während die Sonne die San Bernadino Berge vergoldet.« Er lehnte sich zurück und dehnte sich. Nachdem er den Text korrigiert hatte, schaute er zu Eirene hinüber, die inzwischen am Tisch saß und in ein Notizbuch schrieb.

»Führst du ein Tagebuch?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wenn du arbeitest, mache ich das auch. Dann stören wir uns nicht gegenseitig.«

Nach einer letzten Korrektur schickte er die Datei an die Redaktion. Eirene stand auf und ging zur Toilette. Jonathan fischte nach einem Schulheft, das aus ihrer Tasche ragte, aber es war neu gekauft und unbeschrieben. Welchen Grund konnte es geben, zwei Schulhefte mit Paketdienst zu verschicken?

Er drehte das Notizbuch um und studierte die Einträge. Auch wenn er die Schrift lesen konnte, er verstand keine einzige Zeile. Eirene kam zurück und ließ sich auf die Sitzbank fallen.

»Was ist das?«

»Mathematische Formeln«, antwortete sie.

»Das sehe ich. Aber wofür?«

»Datenauswertung von Teleskopen.«

»Die Dinger, mit denen manche ihre Nachbarinnen beobachten?«

Sie schmunzelte. »Fast. Mit den Dingern werden Supernovae fotografiert und Außerirdische belauscht. SETI und so.«

»Du verarscht mich.«

»Warum sollte ich?«

»Wo hast du studiert?«

»Am Caltech.«

Er zog die Brauen hoch. »Du warst am California Institute of Technology?«

»Ja. Und manchmal bin ich noch immer dort.«

»Als was?«

»Gastprofessor.«

»Welches Fach?«

»Extragalaktische Astronomie.«

»Du verarscht mich, oder?«

Sie seufzte und schrieb weiter. Er tippte Eirene Leblanc in die Suchmaschine und las ein paar Einträge. »Du bist fünf Jahre älter als ich? Oder hat sich einer bei Wikipedia vertan?«

»Nein, es stimmt.«

»Sieht man dir nicht an.«

»Gute Gene.«

Er las weiter und schüttelte schließlich den Kopf. »Was, in aller Welt, machst du mit mir hier in einem Wohnmobil?«

»Habe ich schon gesagt. Eine Auszeit nehmen. Ich habe zwölf Jahre fast ununterbrochen gearbeitet. Die letzten drei Jahre war ich am ALMA in der Atacama. Im Frühjahr bin ich nach einer Vorlesungsserie umgekippt und die Ärzte haben mir längere Ferien verordnet.«

»Die du in einem Wohnmobil auf der Interstate verbringen willst?«

»Es gibt schlechtere Orte. Orlando zum Beispiel.«

»Blöde Sache, in die Richtung geht die Fahrt. Die Artikelserie, an der ich schreibe, heißt Von Laguna Seca nach Daytona Beach, Florida ist mein Reiseziel.«

Sie starrte kurz ins Leere, zog dann ihre Sneakers über. »Ich gehe noch eine Runde laufen.«

Jonathan sah ihrer kleiner werdenden Gestalt nach. Niemand tauscht ein schickes Resort gegen ein altes Wohnmobil, dachte er. Es musste noch andere Gründe für ihre Auszeit geben. Gründe, die sich vielleicht in Schulheften finden ließen.

5

Gold blinkte, glänzend drehte sich die Münze, verlor an Schwung und schepperte gegen die Tischplatte. Jake nahm sie auf und drehte sie neuerlich. Mit zwei Bechern und einem Papiersack kam Jo aus dem Coffee Shop und setzte sich neben ihn. »Hat alles geklappt?«

»Ja, der Betrag ist überwiesen.«

»Dumm gelaufen.«

»Dumm gelaufen«, bestätigte Jake.

»Kostet uns zusätzlich Zeit.«

»Nicht zu ändern. Berufsrisiko.«

Jo nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher. »Sollten wir so kurz wie möglich halten.«

»Sollten wir.«

Jake rückte seine Krawatte zurecht und ging zu ihrem Auto. Der schwarze Lack schimmerte und er strich sachte über den Kotflügel des GMC Yukon, bevor er die Zentralverrieglung betätigte. Jo setzte sich auf den Beifahrersitz und drehte den am Armaturenbrett befestigten Bildschirm zu sich, klappte die Tastatur aus. Jake beugte sich hinüber und sie studierten noch einmal die Aufnahme der Videoüberwachung. Trotz diverser Bearbeitungsmaßnahmen ließ sich nur erkennen, wie das Wohnmobil bremste, kurz anhielt und dann weiterfuhr.

»Es waren zwei Gestalten, hat der Typ vom Parkplatz gesagt. Sie sind Richtung L.A. gefahren, aber mehr wusste er nicht.« Jake ließ die Münze in der Innentasche seiner Anzugjacke verschwinden.

»L.A. ist groß«, sagte Jo. »Ein Anhaltspunkt?«

»Lass uns ein paar Tankstellen an der 101 abfahren und die Videoüberwachung checken. Haben wir das Kennzeichen, haben wir einen Anhaltspunkt.«

»Wie viel Vorsprung?«

»Zwei Tage, maximal. Eher weniger.«

»Was machen wir mit dem zweiten, wenn wir sie gefunden haben?«

»Spaß haben und verscharren, was sonst?« Jake fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare und grinste. Jo hielt ihm die Handfläche hin und Jake schlug ein. Dann gab er Gas.

6

Die Sonne stach vom Himmel. Die Klimaanlage brummte und das Außenthermometer zeigte 85° Fahrenheit. Jonathan hatte neben dem Schild Voyager RV Resort & Hotel gehalten, aber der Rezeptionist winkte ihn gleich weiter. »Mann, Urlaubszeit, Schulferien sind voll am Laufen, first come – first save.« Aber sie hatten ein paar Fotos von einem beschatteten Stellplatz, dem Whirlpool unter einem riesigen Strohschirm und dem Hallenbad machen dürfen, mehr brauchte er für seinen Artikel nicht.

Ein paar Meilen südlich von Phoenix lotste Eirene ihn zum Pato-Blanco-Lakes-Park, der auf Anfrage einige freie Plätze bestätigt hatte. Der Platzwart teilte ihnen direkt am mittleren See einen Stellplatz unter Bäumen zu, der ganze Bereich war unbesetzt., erst hinter ein paar Sträuchern parkte der nächste Camper. Nachdem er das Wohnmobil am Full-Hook-Up angeschlossen hatte, verabschiedete sich Eirene für eine Joggingrunde.

»Bring Fotos von den Enten mit«, rief Jonathan ihr nach und fuhr die Markise aus. Im Schatten sitzend studierte er die Karte auf seinem Tablet, um lohnenden Ziele in der Nähe von Benson auszumachen. Nach knapp vierzig Minuten kam Eirene schweißüberströmt zurück.

»In den See würde ich nicht hüpfen«, sagte er und deutete auf die grüngrauen Brocken, die in Ufernähe dümpelten.

»Hatte ich sowieso nicht vor.« Sie wischte auf ihrem Smartphone, tippte etwas ein und verschwand mit einem Kunststoffbeutel in Richtung der Sanitärräume. Ein paar Spatzen hüpften um das Wohnmobil und begutachteten ihn aus braunen Augen. Hinter den Bäumen flimmerten die Felsen von der Hitze. Jonathan lehnte sich zurück und döste ein.

Ein leises Klirren weckte ihn. Eirene hängte Wäsche auf und die Ringe, an denen die hochgerollten Beine ihrer Cargohose befestigt waren, klimperten immer, wenn sie sich nach einem Wäschestück bückte. Jonathan zückte das Tablet. Sie sah zwischen ihren Beinen durch und sagte: »Untersteh dich. Ich will meinen Hintern nicht auf deinem Blog sehen.«

Er grinste: »Ist aber ein hübscher Hintern. Werbewirksam. Erhöht die Klicks.«

Sie drehte sich um und schob mit beiden Händen ihre Brüste zum Ausschnitt hoch. »Das vielleicht auch?«

»Noch besser.« Er betätigte den Auslöser. »Kennt dich eh keiner darauf.«

»Wer sagt das?« Sie war fertig, holte einen Klappstuhl und setzte sich neben ihn. Er zog das Bild größer und kopierte einen Abschnitt daraus.

»Das bekommt jede Menge Likes. Garantiert. Sex sells.«

»Danke auch.«

Er deutete auf das verschnörkelte Silberkreuz mit den dunkelroten Steinen das an einem Lederband um ihren Hals hing. »Gothic?«

»Alpin.«

»Was soll das heißen?«

»Schmuck aus dem Alpenraum. Suzies Mutter stammte aus dem Schwarzwald.«

»Was ist ein Schwarzwald?«

»Ein Landstrich in Deutschland. Europa.«

»Ich weiß, wo Deutschland ist. Das hat dir deine Großmutter geschenkt?«

»Vererbt.«

»Entschuldige.«

»Nicht nötig. Wir haben zwar siebzehn Jahre ein Zimmer geteilt, aber wir waren uns nie besonders nahe. Die Dreifaltigkeit stand zwischen uns.«

»Trotzdem trägst du es?«

»Gott will das so. Das hat sie immer geantwortet, wenn ich eine Frage gestellt habe, die nicht in ihr Weltbild gepasst hat. Das Kreuz erinnert mich daran, dass Gott keine Fragen beantwortet.«

Gegen fünf hatte die Hitze etwas nachgelassen und Jonathan überließ ihr die Entscheidung, wohin ihr Ausflug gehen sollte. Eirene wählte den Singing Wind Bookshop.

»Ein Buchladen, echt?«

»Auf einer Ranch. Mit Büchern speziell über den Südwesten. Du suchst doch das Besondere. Das sollte genau richtig für deinen Blog sein. Damit die Leute nicht nur Titten zu sehen bekommen.«

Er lächelte und holte die Yamaha heraus, gab Eirene einen Helm für die Fahrt, auch wenn die Strecke zum Laden nur zwei Meilen betrug. Auf das Asphaltband der Landstraße folgte eine rotbraune Piste. Trotz der Fahrrillen hielt die Yamaha perfekt die Spur. In einer Staubwolke bremste er an einem Eisentor; zwei Esel begrüßten sie lautstark.

»Die wird bei dem Krach nicht nötig sein«, sagte Jonathan, nachdem sie abgestiegen waren, und deutete auf eine große Glocke mit Zugkette, die an einem Pfosten montiert war. Aus der Türöffnung des weißgekalkten Hauses kam ein gescheckter Hund wedelnd auf sie zu, dem eine grauhaarige Dame folgte, deren blaue Augen lebhaft hinter einer großen Brille blitzten. Plötzlich zog sie die Brauen zusammen und betrachtete Jonathan eingehend. »Ich kenne Sie irgendwoher.«

»Ich würde mich erinnern, Ma’am«, antwortete er und küsste ihr die Hand.

Sie lächelte und führte sie in die Kühle des Verkaufsraumes. »Doch, doch. Vielleicht nicht persönlich, aber ich bin mir sicher.«

»Ich bin früher Motorradrennen gefahren.«

»Nein, nicht sowas. Schreiben Sie?«

Jonathan nickte. »Einen Reise-Blog. Roadrunner. Und Artikel für Magazine. Aber ich habe auch ein Buch geschrieben. Eine Reisereportage von San Francisco nach Chicago. Wurde 2014 veröffentlicht.«

Die Buchhändlerin kicherte. »Ja, jetzt weiß ich es. Jonathan Woolfe, nicht wahr? Das Buch ist mir in Erinnerung geblieben.« Sie verschwand zwischen den Regalen und kam kurz darauf wieder zurück. »Der Swinger-Highway. Signieren Sie es mir?«

Er nickte und sie zückte einen Stift. Nachdem er ein paar Worte hineingeschrieben hatte, nahm Eirene es ihm aus der Hand und schmökerte darin.

Eine jüngere Frau in einer ausgeblichenen Latzhose brachte ihnen Limonade und bald hatten ihn die beiden Damen in eine lebhafte Diskussion verwickelt. Schließlich sagte die Buchhändlerin: »Ich glaube, wir langweilen ihre Partnerin.«