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Fin McLochlainn, Ranger in Alpine, Kalifornien, folgt mit seiner Freundin Jey Hawkes, County Sheriff, einem Hilferuf seiner Oma Caitlin nach Alaska, um seinen Großonkel zu suchen, der bei einem schamanischen Ritus verschwunden ist. Inzwischen sehen sich die übernatürlichen Einwohner von Alpine County mit einer Werwolf-Bande konfrontiert, die es auf das Bergwerk im Silver Peak abgesehen hat. Deputy Adele Sheeran muss in das Tal des Todes, um das Schlimmste zu verhindern.
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Seitenzahl: 258
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Fin McLochlainn, U.S. Forest Ranger, erhält einen Hilferuf von seiner Großmutter Caitlin. Ihr Bruder Kwa’teen ist bei einem schamanischen Ritus verschwunden. Fin fährt gemeinsam mit seiner Freundin Jey Hawkes, Sheriff von Alpine County, nach Juneau in Alaska, dann allein an die Küste des kanadischen Regenwaldes. Um den Schamanen wieder zu finden, muss er aber weiter hinaus reisen, als Menschen begreifen können.
Während ihr Sheriff fort ist, sehen sich die Einwohner von Alpine County – Menschen, Wer-Tiere und andere übernatürliche Wesen – mit einer Werwolf-Bande konfrontiert, die es auf das Bergwerk im Silver Peak abgesehen hat. Deputy Adele Sheeran muss ins Tal des Todes, um das Schlimmste zu verhindern.
Folgeband zu Wolf Creek
Alauda Roth, seit 2004 als Autorin tätig, seit 2017 freischaffend. Diverse Veröffentlichungen von Kurzgeschichten und Lyrik in Magazinen und Anthologien, mehrere Bücher im Eigenverlag Edition Andrann und bei BoD. Lebt mit Pferden und Katzen im südlichen Niederösterreich.
For years and years I struggled
just to love my life. And then
the butterfly
rose, weightless, in the wind.
«Don’t love your life
too much», it said,
and vanished
into the world.
(Mary Oliver)
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Epilog
Einst warf der Große Geist ein Samenkorn in die Weite der Welt. Dort schwebte es und tanzte auf seinen zierlichen Fäden. Doch da war nichts. Keine Erde, um sich niederzulassen, kein Wasser, um zu trinken, kein Licht, um zu wachsen.
Da flog Rabe in den Himmel und schrie und die Sonne war geboren. Da hob Wolf den Kopf und heulte und der Mond war geboren. Da erhob sich Orca aus dem Meer und sein Rücken wurde zu steinerne Gipfeln und seine Falten zu fruchtbaren Täler.
Da beugte sich Sternenfrau hernieder und von ihren Armen floss Wasser und schuf den Fluss der Gänse und den Fluss der Lachse.
Das Samenkorn fand Boden zu wurzeln, Wasser zu trinken und Licht zu wachsen. So kamen die Bäume und die Gräser, die Blumen und die Kräuter, ihnen folgten die Tiere des Himmels und der Erde und des Wassers.
Einst lebte bei den T’aaku Kwáan ein Junge, dessen Haar heller, dessen Haut blasser und dessen Augen lichter waren als jene der anderen Jungen, denn seine Vorfahren waren Eismänner. Seine Eltern starben, genommen vom Nebeldämon, der auf Füssen läuft, die wie Hämmer klingen und mit einer Stimme heult, die rote Spuren hinterlässt: von Wigwam zu Wigwam, von Träumer zu Träumer.
Der Junge lebte von dem, was die Alten übrigließen, schlief hier und da, hatte nur ein räudiges Bärenfell als Decke und wurde bald Geisterbär geheißen. Die Krieger mieden ihn und die Dorfkinder beschimpften ihn. Aber nie wurde er wütend und mit den Jahren wuchs er zu einem stattlichen Mann heran, größer und stärker selbst als der Krieger, der einen Wal erlegt hatte. Doch keiner wollte mit ihm das Kanu teilen oder ihn den Sonnentanz lehren.
So legte sich Geisterbär das Fell um und wanderte zu den Gipfeln und in die Täler, fischte in den Flüssen, schlief in den Höhlen und wurde zu einem Bären-Mann. Nachts wachte er am Dorfrand und beschützte die Menschen vor dem Nebeldämon. Tagsüber ging er zurück in seinen Wald, legte sich zu den Moosen und vergaß die Menschenstimmen. Er schlief und wachte, schlief und wachte. Niemand dankte Geisterbär für seine unermüdliche Obacht.
Nur Wolf war sein Freund und Rabe sein Lehrer und sein Herz wurde schwer. Allein aß er im Frühjahr die ersten Gräser, allein im Sommer die blauen Beeren und allein im Herbst die glitzernden Lachse. Er träumte einsam und wenn ein Schwarzbär in seine Träume trat, wurde sein Fell genauso hell wie das von Geisterbär.
Mit dem Winter kam die lange Nacht und Sternenfrau stieg leichten Fußes die Hügel herab und bemerkte Geisterbär. Sie bewunderte seinen Mut und seine Geduld, sie lauschte seinem Gesang. Und Sternenfrau blieb bei Geisterbär.
Als das Eis aufbrach und die Gänse zu den schnellen Wassern zurückkehrten, nahm Sternenfrau ihn mit in ihr Reich, hinter die leuchtenden Schleier der Nacht, und ließ den Menschen nur sein Abbild.
Märchen der Gispwudwada, erzählt von Victoria Swam
»Geh weg!« Jey zog sich die Decke über den Kopf.
Fin zupfte am Bettzeug. »Auf mit dir. Wenn ich dich nicht regelmäßig über den Berg zerre, wirst du fett.«
»Blöder Kerl.« Sie warf ein Kopfkissen nach ihm.
»Außerdem werde ich nicht dick. Das liegt nicht in meiner Natur.«
»Na, ich weiß nicht«, sagte Fin und kniff sie in die Hüfte. »Das ist schon recht rundlich, Miss.«
»Und hat dich bisher nicht gestört.«
»Komm schon. Ich will nicht allein meine Runde laufen. Es macht mehr Spaß, wenn du mitläufst und die ganze Zeit jammerst.«
Sie setzte sich auf und angelte ein T-Shirt vom Sessel neben dem Bett. »Nimm doch Garm mit, der Hund kann Auslauf brauchen. Ich habe genug damit zu tun die Pferde zu bewegen. Tante Henri hat mich noch nicht vom Arbeitsplan der Ranch gestrichen, auch wenn ich nicht mehr drüben wohne.«
»Wir laufen eine kleine Runde und ich helfe dir dann mit den Pferden. Deal?«
Sie nickte und folgte ihm in die Küche, rutschte auf einen Barhocker und wartete, dass er ihr Kaffee und ein Omelett hinstellte. Während sie frühstückten, glichen sie ihren Dienstkalender des Sheriff Office mit seinem der Ranger Station auf ihren Smartphones ab. Als relativ kleine Polizeieinheit hatten sie in Alpine County vielfältige Aufgaben und ein Gebiet zu betreuen, das aus den Bergen, Flüssen und Wäldern dreier Nationalparks bestand und nur sehr dünn besiedelt war. Jeder geplante Einsatz musste eingetragen sein, da in den unwegsamen Canyons der Sierra Nevada immer wieder einmal Unglücksfälle geschahen und manchmal auch Menschen verschwanden.
»Hat Leo schon einen Termin für die Prüfung?«, fragte Jey.
»Nächste Woche. Wird aber sicher kein Problem für ihn. Dein Deputy ist ein talentierter Pilot, der Airbus liegt ihm. Er kann im Anschluss gleich unseren Helikopter aus South Lake Tahoe mitbringen, dann ist die 10-Tages-Inspektion fertig.«
»Dein Chef in Sparks ist auch einverstanden? Wird es keinen Interessenkonflikt geben, wenn jemand außer dir den Helikopter des U.S. Forest Service benutzt?«
»Der Airbus wird von Alpine County bezahlt. Sollte sich eine Anforderung zwischen den Rangern und dem Rettungsteam überschneiden, dann werden wir eine Lösung finden. Ich habe inzwischen auch ein paar Kumpels bei Reno Tahoe Helicopters.«
»Werdet ihr Leos neue Funktion in die SAR-Richtlinien einarbeiten?«
»Ja, das macht Adele. Sie hat sich des Papierkrams angenommen. Ich hoffe, das ist okay für dich.«
Jey nickte. »Natürlich. Das gehört zu ihren Aufgaben. Wir koordinieren die Rettungseinsätze ja auch.«
Fin schenkte sich Kaffee nach. »Gut, das wird Erland freuen, er hatte schon Bedenken, dass wir das dem Bürgermeisterbüro überlassen. Und dann hätte er mit Louise darüber diskutieren müssen.«
Jey lächelte. »Ich frage mich, ob er es schon bereut hat, meine Tante fix eingestellt zu haben.«
»Ich glaube nicht«, meinte Fin, »Louise hat so eine liebenswürdige Art, er merkt gar nicht, wenn sie ihn gängelt. Sie hat übrigens gestern einen Sack mit Zwiebeln gebracht, ich habe sie in die Vorratslade gelegt.«
»Nicht doch, Fin! Die sind nicht zum Kochen gedacht! Das sind asiatische Lilien, die für unser Höhenklima geeignet sind. Ich möchte einige direkt vor der Terrasse anpflanzen und Louise hat mir die Sorte Mapira besorgt, die hat ein Purpurrot, das schon fast Schwarz ist, eine wunderbare Farbe, du wirst sehen.«
Fin zuckte mit den Achseln und schwieg. Jey holte die Papiertüte und verstaute sie im Abstellraum, verschwand dann im Bad. Das Radio brachte einen neuen Song von Rag’n’Bone Man, Fin drehte die Musik lauter und sang mit: »’Cause I’m only human after all.«
Vorgestern abends hatte er bei der Probe mit Winnies Band glatt eine Strophe übersprungen, so etwas war ihm noch nie passiert. Er hatte seinen Fehler mit einer flapsigen Bemerkung überspielt. Am Heimweg hatte er über den Aussetzer nachgedacht – bei einem Gig nicht so schlimm, konnte das bei einem Flugeinsatz eine Katastrophe bedeuten, die heftigen Fallwinde an den Berghängen der Sierra Nevada verziehen nicht den kleinsten Pilotenfehler.
Kurz nach seinem Nahtoderlebnis am Silver Peak im Dezember, hatte er das erste Mal diesen Alptraum gehabt, der seitdem in unregelmäßigen Abständen immer wieder kehrte und ihn jetzt auch im wachen Zustand beeinträchtigte, sein Selbstverständnis erschütterte.
Er wusste, dass er mit Jey darüber sprechen sollte, aber er fand keinen passenden Einstieg. Noch immer war er sich nicht im Klaren darüber, ob seine Vision im Bergwerk ein Drogenerlebnis gewesen oder ob er tatsächlich ins Jenseits abgeglitten war. Jey und er wohnten erst seit drei Wochen zusammen, sie würde bald eine seiner quälenden Nächte bemerken – dann würde der richtige Moment sein.
Jey trällerte im Bad, sie probte den Song, den Fin gerade mit Winnie komponierte; sie wollten beim Sheriffs Barbecue im Juni ein paar eigene Lieder spielen.
Die Nachrichten im Radio brachten Wirtschaftsnews, den letzten Beitrag hörte Fin wieder bewusst mit: »Das Technologieunternehmen LT Global verfügt über ein neues Forschungslabor für DNA-Chip-Technologie. Das 18 Millionen Dollar teure Labor im Forschungszentrum in Vancouver wurde am Montag von Governor Judith Guichon und LT-Konzernchef Lucius Tusk eröffnet. In seiner Eröffnungsrede sagte Andre Masters, CEO von LT Canada, dass das Unternehmen damit entscheidend zur Entwicklung der nächsten Generation von Biosensoren beitrage und man in diesem Bereich ein grosses Potential sehe, da Biosensoren eine Schlüsseltechnologie nicht nur für die Detektion, sondern auch für die Beeinflussung von biologischen Systemen sei. Lucius Tusk leiste damit einen Beitrag zu einer effizienteren Welt.«
Jey kam aus dem Bad, sie hatte sich eine Trainingshose angezogen. »Wer ist Tusk?«, fragte sie.
»Ach, nur irgend so ein neuer Start-Up-Millionär, ein Zuckerberg der Biotechnologie.«
Fins Smartphone läutete, er hob ab und brauchte ein paar Augenblicke, bevor er begriff, wer da ins Telefon weinte. Still lauschte er den Worten und sagte schließlich: »Die Verbindung ist ganz schlecht, ruf mich bitte noch einmal an, wenn du besseren Empfang hast.«
Jey sah ihn fragend an.
»Das war Caitlin«, sagte Fin.
»Was wollte sie denn?«
»Sie ist gerade in British Columbia. Mein Großonkel Kwa’teen ist bei einem Pow Wow verschwunden«, sagte er ungläubig.
Jey legte ihm eine Hand auf den Arm. »Haben die Mounties schon eine Spur?«
Er sah sie verständnislos an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, du verstehst das falsch. Sein Körper ist noch da, aber sein Geist ist weg.«
Das Ding bestand aus rostigen Beilegscheiben und fleckigen Messingzahnrädern, von Draht in runder Form gehalten Ein lautes Ticken übertönte das Summen ihres Bildschirms.
»Was soll ich denn damit?« Adele sah zu J.T. hoch, der vor ihrem Schreibtisch im Sheriff Office stand.
»Ich hab’s extra für dich gebaut«, sagte ihr Bruder.
»Noch einmal: Was soll ich damit?« Sie hielt die golfballgroße Uhr mit zwei Fingern hoch wie eine tote Ratte.
»Für deinen Schreibtisch, is doch ‘n nettes Teil.«
Adele konnte seinen Stolz nicht verstehen. »Ich habe eine Zeitanzeige am Computer, am Smartphone und eine Armbanduhr.«
J.T. zog eine Schnute. »Wollte dir doch nur was schenken. Weilst mir mit ‘m Formular geholfen hast.«
»Wenn du mir was schenken willst, dann etwas, das ich mir wirklich wünsche.«
»Ich weiß eh, was da wünscht, ‘ne weitere komische Tasche, aber so ‘n Zeug is unnütz. Bist ‘ne echt hübsche Frau, brauchst keinen solchen Schickschnack. Was willst denn auch damit?«
»Mich schick machen, nach South Lake Tahoe oder Sacramento fahren.«
»Und dann? Typen aufreißen? Die kommen eh als Touris her. Gibst halt ‘nem schicken Kerl ‘nen Strafzettel und er kann’s abarbeiten.«
Adele seufzte und fuhr sich mit den Fingern durch ihr kurzes, braunes Haar. »Du kannst das einfach nicht verstehen. Wie auch? Du bist in Alpine aufgewachsen, warst immer hier. Kennst sonst nichts. Aber ich hatte mal ein anderes Leben, hatte Freundinnen und war drauf und dran, eine kreative Karriere zu beginnen. Und was bin ich jetzt? Deputy.«
J.T. nahm ihr die Uhr aus den Fingern und stopfte sie in die Innentasche seiner abgewetzten Jacke. »Jetzt hör auf. Das is doch nimmer wichtig, is mehr als zwanzig Jahre her.«
»Ich muss jetzt auf Patrouille.« Adele stand auf, nahm ihre Ausrüstung und ließ ihn stehen.
Während sie den Streifenwagen ausparkte, ärgerte sich Adele über ihren jüngeren Bruder. Nie hätte jemand Sheriff Hawkes wegen ihres Handschuh-Ticks blöd angesprochen. Außer natürlich Fin, aber das war eine andere Geschichte. Adele wurde immer wieder wegen ihrer vielen Handtaschen belächelt. Dabei hatte sie nur günstige Modelle aus dem Ausverkauf, ihr absolutes Wunschobjekt würde sie sich nie leisten können.
Vor dem Wolf Creek ließ sie Leo zusteigen, Peter winkte ihnen nach.
»Sind Ursela und Joe noch unterwegs?«, fragte Adele.
»Ja, Peter erwartet sie erst morgen Abend zurück.«
»Gehen wir am Samstag Mountain-Biken?«
Leo strich sich eine blonde Strähne zurück, über den Winter hatte er sich die Haare länger wachsen lassen. »Sorry, keine Zeit. Ich muss für die Prüfung lernen.«
Adele murmelte. »Wird sich schon einmal ergeben.«
Ein paar Minuten fuhren sie schweigend, dann fragte Leo: »Wart ihr mit eurem neuen Wolf schon jagen?«
Adele warf ihm einen erstaunten Blick zu, bisher hatte sich Leo noch nie für ihre nächtlichen Ausflüge interessiert.
»Peter, Joe und J.T. vielleicht, die pflegen ihr Jagdritual, aber mir ist das zu blutig. Ich bin a-typisch für einen Werwolf, bei Vollmond laufe ich lieber zum Emigrant Lake«, antwortete sie. »Warum willst du das wissen?«
Leo runzelte die Stirn. »Ich habe Tony letztens mit Joe gesehen und hatte den Eindruck, dass sie sich heimlich treffen.«
Sie hatten den Lexington Canyon erreicht und Adele wendete den Ford Explorer vor der Landesgrenze zu Mono County. »Tony weiß nichts von den Verhältnissen in Alpine. Bisher wurde er noch nicht eingeweiht.«
Leo blickte beim Beifahrerfenster zum Colorado Hill hinauf und fragte: »Was hältst du von ihm?«
»Er sieht aus wie ein Filmstar, ist gebildet und weit herumgekommen, zumindest was er so erzählt. Ich kann gut verstehen, dass die Frauen auf ihn abfahren. Trotzdem ist er mir unsympathisch. Ich kann dir nicht sagen, woran das liegt.«
Leo nickte, sagte aber nichts weiter und Adele vermutete, dass er Tony als Konkurrent ansah. Letztens hatte sie von Peter gehört, dass er lieber ihren sportlichen Partner als Verehrer für seine Tochter gesehen hätte als den charmanten Zuzügler.
Bei der Rückfahrt über den Alpine Highway hielten sie beim Carson River Resort und wechselten ein paar Worte mit Nancy, der Managerin, die ihnen erzählte, dass vor zehn Minuten eine Gruppe Biker zwischen den Holzhütten gekurvt wären und ein paar ihrer Gäste belästigt hätten. Leo versprach, sich die Männer näher anzusehen und rief bei Peter an, um zu erfahren, ob die Gruppe in Markleeville durchgekommen war.
»Peter hat nichts gehört«, sagte Leo.
»Dann müssen sie vor dem Ort abgebogen sein. Poor Boy Road in die Berge?«
»Nein, das glaube ich nicht. Nancy hat die Motorräder als Chopper beschrieben, die kurvige Schotterpiste tun sich die nicht damit an. Eher der Markleeville Campground.«
»Okay, sehen wir uns dort um. Melde den Einsatz.«
Leo nickte und, während Adele den Streifenwagen startete, berichtete er über Funk dem Sheriff Office.
Der Campingplatz war für Anfang Mai bereits gut besucht. Obwohl das Wasser des Millberry Creek durch die Schneeschmelze noch eiskalt war, wateten einige Hartgesottene im Fluss. Adele hielt auf der Camp Marklee Road, sie stiegen aus und gingen zwischen den Wohnmobilen durch, grüßten die Camper. Alles schien ruhig. Im Schatten zweier Gelb-Kiefern mühte sich ein älteres Ehepaar damit ab, ihr Vorzelt zu spannen und Leo bot ihnen an zu helfen. Während er die Zeltheringe einschlug, marschierte Adele weiter das Flussufer entlang, ermahnte einen am Wasser spielenden Jungen auf die Strömung zu achten und entdeckte hinter einer Buschgruppe die Biker.
Die drei Männer lehnten an ihren Custom Choppern, rauchten und beobachteten das Treiben auf dem Platz. Auch wenn sie keinen Anlass für eine polizeiliche Kontrolle boten, beschloss Adele sie zu überprüfen. Einer drehte sich um und holte eine unetikettierte Flasche aus der Satteltasche seiner Maschine. Am Rücken seiner Lederjacke prangte ein Logo: ein Wolfskopf mit roten Augen, aufgerissenem Maul mit überlangen Reißzähnen und Stachelhelm. Darunter zwei gekreuzte Pickel und über dem Kopf der Schriftzug Motorhead Miners.
Adele überlegte, ob die Typen den Namen der Hard-Rock-Band falsch geschrieben oder in Zeiten des Copyrights absichtlich abgewandelt hatten, denn auch Leute, die auf Konventionen pfiffen, pochten hartnäckig auf ihre Rechte, wenn es um Geld ging.
Als der Typ die Flasche zurücksteckte, machte sie mit ihrem Smartphone rasch ein Foto von dem Logo und schritt dann auf die Männer zu. »Morgen. Schon so früh im Jahr mit Bikes in den Bergen unterwegs, Leute? Kann noch Schnee geben auf Ebbetts Pass. Lohnt sich, auf den Wetterbericht zu achten.«
Der Älteste des Trios musterte sie von oben bis unten, als würde er Ausverkaufsware begutachten. »Gibt’s ein Problem, Mädel?«
»Noch nicht und ich hoffe, das bleibt auch so. Wo soll es denn hingehen?«
»Fragst du das die anderen hier auch?«
»Wenn mir etwas seltsam vorkommt schon.«
»Wir sind also seltsam?«
»Ihr seid nicht gerade auf geländegängigen Fahrzeugen unterwegs, das ist in unserer Gegend seltsam«, erwiderte Adele.
Die beiden anderen rauchten schweigend weiter, beachteten Adele nicht und überließen das Gespräch dem Grauhaarigen. »Warum kümmert dich das, Mädel?«
»Weil ich keine Lust habe, ein paar Flachlandbiker von einer Felswand zu kratzen, nur weil sie sich mit der Strecke vertan haben.«
»Bist sozusagen ein faules Weibsstück?« Er lachte kehlig und kratzte sich am Hintern.
Adele wurde ungeduldig und ärgerte sich darüber. »Mister, es ist für uns alle besser, wenn ihr am Highway 88 Richtung Nevada abbiegt«, sagte sie.
»Was willst denn tun, wenn nicht? Fährst dann deine Krallen aus?«
»Gut, somit wissen wir jetzt alle woran wir sind. Also noch einmal, nehmt den 88 – besser, unsere Rudel begegnen sich nicht in der Nacht.«
Alle drei fingen zu grölen an.
»Sollen wir uns vor einer Fähe wie dir fürchten?«, fragte der Grauhaarige.
Adele fühlte, wie sie rot wurde, hakte ihre Daumen in den Gürtel und suchte vergeblich eine schlagfertige Antwort. Warum kann ich nicht mehr wie Jey sein?, dachte sie.
»Du stehst mir im Weg, Mädel.« Er fasste ihren Oberarm und zog sie zur Seite. Adele versuchte seine Hand abzuschütteln. Schritte knirschten hinter ihr. Der Biker lockerte seinen Griff und trat zurück.
Leo knurrte: »Gibt es ein Problem?«
»Nein, Deputy, ich wollte nur etwas vom Sonnenschein abbekommen.« Er grinste und schob seine Sonnenbrille hoch, bemerkte Leos gelb verwandelte Augen. »Ehrlich, Deputy, wir legen nur eine kleine Fahrpause ein, wir sind gleich raus aus eurem County.«
Leo verschränkte die Arme und wartete, bis die drei Männer ihre Chopper gestartet und den Campingplatz verlassen hatten.
»Ich funke Angie an, er ist auf Streife in Mesa Vista, er soll nachsehen, wohin sie fahren.« Leo griff zum Funkgerät an seiner Jacke und wechselte ein paar Sätze mit seinem Kollegen.
»Souverän sein ist anders«, sagte Adele leise.
»Du hast ihnen deutlich gesagt, dass dieses Revier besetzt ist.« Leo klopfte ihr auf die Schulter.
Sie runzelte die Stirn. »Das sind nicht nur drei. Das war nur eine Vorhut. Kundschafter. Die Typen verfolgen einen Plan. Wir müssen das Rudel warnen.«
Ein Lichtstrahl fräste sich über das Bettzeug. Träge blinzelte Fin durch die offene Schlafzimmertür zur Küchenzeile hin. Jey war vom Nachtdienst nach Hause gekommen. Die Kaffeemaschine begann zu blubbern. Sie bemerkte, dass er wach war und kam zu ihm.
»Morgen, mein Hübscher.« Sie wuschelte sein Haar.
»Behandelst du mich gerade wie deinen Kater?«
Jey grinste, er schlang die Arme um ihren Körper und rollte sich auf sie. »Und jetzt?«
»Das ist ein tätlicher Angriff auf einen Officer, ich werde dich verhaften.« Sie küsste ihn und strampelte sich aus dem Bett. Dann legte sie ihren Waffengürtel ab und hielt ihm die Hand hin. »Komm hoch.«
Beim Kaffeetrinken fragte sie: »Hast du dich schon entschieden, wann du nach Alaska fliegst?«
»Ich weiß im Moment nicht, ob ich das überhaupt machen soll.«
Jey sah ihn erstaunt an. »Möchtest du nicht helfen?«
»Ich wüsste nicht wie. Es kümmern sich bereits Medizinleute um Kwa’teen und Granny hat genug Verwandte, die ihr besser beistehen können als ich.«
»Meinst du das ernst? Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
Fin holte sich einen Nusskuchen aus dem Kühlschrank. In der Nacht war ihm klargeworden, dass er sich Juneau nicht stellen wollte, zumindest nicht, solange dieser Alptraum ihn noch so im Griff hatte. Das letzte Mal war er beim Begräbnis seines Großvaters dort gewesen. Seine Urne war neben dem Grab von Fins Eltern beerdigt worden. Das hatte bittere Erinnerungen wachgerufen. »Ich möchte abwarten, bis Caitlin mir genau schildern kann, was eigentlich los ist.«
»Finley McLochlainn, was immer dich gerade umtreibt, du wirst es später bereuen. Und das will ich nicht. Also – du wirst packen, einen Flug buchen und zu deiner Oma fliegen. Das ist eine polizeiliche Anordnung.« Sie hatte die Hände auf die Hüften gestemmt und er verschluckte sich fast an seinem Frühstück. Ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Widerspruch zu und er gab nach.
»Ist schon gut, Miss. Ich will mir nicht deinen Zorn zuziehen. Aber ich muss mit meinem Chef sprechen und du musst mitkommen.«
Ein paar Minuten trank Jey still ihren Kaffee, dann griff sie zu ihrem Smartphone und wählte. »Guten Morgen, Erland. Entschuldige die frühe Störung, aber ich brauche umgehend eine Entscheidung von dir…- Ja…- Fin hat einen familiären Notfall und muss ein paar Tage fort. Ich möchte ihn begleiten, ist das okay für dich? …- Nein, sind alle im Dienst…- Gut. Ja, mache ich. Danke.« Sie tippte in ihrem Kalender herum. »Warum zuerst Juneau?«
»Um Caitlin zu treffen. Sie muss ein paar Sachen für Kwa’teen holen und sie hat nicht gesagt, bei welchem Stamm das Pow Wow abgehalten wurde. Das Küstengebiet der Tsimshian Nation ist groß, lauter Fjorde und Inseln. Dort müssen wir sowieso mit dem Boot oder dem Wasserflugzeug hin.« Fin holte sich eine Cargo-Hose und ein Polo-Shirt. »Caitlin befindet sich noch auf der Rückfahrt und der Mobilempfang ist streckenweise ziemlich schlecht.«
Jey klickte auf dem Laptop herum, den sie sich teilten. »Um neun geht ein Flug von Reno, Zwischenstopp in Seattle und gegen drei sind wir in Juneau. Wenn wir rasch packen und gleich losfahren, erwischen wir den Abflug. Soll ich das buchen?«
Fin nickte und holte zwei Reisetaschen vom Dachboden. Nachdem sie ihre Sachen verstaut und Jey die Uniform gegen Jeans und Pullover getauscht hatte, holte sie ihren Colt Trooper aus dem Gürtelholster und legte den Revolver in den Waffentresor im Garderobenschrank zu Fins SIG Sauer.
Fin schmunzelte. »Ein Sheriff ohne Schießeisen?«
»Das ist mir zu aufwendig mit dem ganzen Papierkram.« Jey zog eine Lade unter dem Tresor auf und nahm ein Jagdmesser heraus.
»Wow, das ist aber ein schönes Stück.« Fin hielt die Hand auf und Jey reichte ihm das Messer. Der Griff bestand aus einem Holz, dessen Maserung wie braunroter Marmor aussah, und die Klinge zeigte die typische wellenförmige Reflexion von Damaszenerstahl. »Ist das Wüsten-Eisenholz?«
Jey nickte. »Von meinem Grandpa. Hat er mir an meinem ersten Tag als Deputy geschenkt. Tom war nie ein Fan von Anwälten und dass ich Jus studiert habe, hat er zwar nie kritisiert, aber er hätte mich lieber in einem anderen Job gesehen. Als ich bei der Staatsanwaltschaft in Sacramento gekündigt und am Butte-College die Polizeiausbildung gemacht habe, war er richtig zufrieden.« Wie immer, wenn sie von ihren Großeltern erzählte, die vor fünf Jahren tödlich verunglückt waren, schlich sich ein wehmütiger Ton in ihre Stimme. »Er war neben Russell der Einzige, der nie in Frage gestellt hat, ob auch eine Frau den Sheriff-Job in Alpine machen kann.«
Sie nahm ihm das Messer aus der Hand und steckte es in die Gürtelscheide. »Ich kann mich noch gut an deinen Ausdruck erinnern, als du das erste Mal in mein Büro gekommen bist.«
»Ich war nur überrascht, Miss.«
»Beschönige nicht«, sie boxte ihn spielerisch in die Seite. »Du warst geradezu vor den Kopf gestoßen. In deinem Gesicht stand in Großbuchstaben: Oh nein, ein Weib mit Stern.«
»War das so offensichtlich?«
Jey lachte und warf ihren Zopf zurück. »Gerade dein freimütiges Wesen macht dich liebenswert.«
»Wie liebenswert denn?« Er grinste anzüglich und streichelte ihren Hals.
Sie zippte die Reisetasche zu. »Nicht so sehr, als dass wir den Flug verpassen. Raus mit dir.« Sie scheuchte ihn zur Haustür.
Nachdem sie das Gepäck im Kofferraum des alten, zweifarbigen Ford Bronco verstaut hatten, fragte Fin: »Willst du fahren?«
Jey gähnte. »Nein.«
Zuerst hielten sie gleich nebenan vor dem wuchtigen Wohnhaus der Hawkes-Ranch, um Anna von ihrer Reise zu berichten. Die Haushälterin versprach, Henri Bescheid zu geben. Bevor sie weiterfuhren, kraulte Jey ihrem Rottweiler Garm den Kopf und sagte: »Du passt gut auf das Haus und die Ladys hier auf, nicht wahr, mein Großer?« Der Hunde wedelte und rieb seine Schnauze an ihren Beinen. Jey tätschelte ihm den mächtigen Kopf. »Ich pass schon auf mich auf, mach dir keine Sorgen.«
»Du weißt schon, dass du mit einem Hund redest?«, feixte Fin.
Jey überhörte seinen Kommentar und kletterte in den Ford. Als nächstes hielten sie beim Sheriff Office, das im Seitenteil des Gerichtsgebäudes untergebracht war. Von den sechs Mitarbeitern fehlte nur Ned, der auf einer Fortbildung zu IT-Sicherheit war, und Ms. Lindstroem, die normalerweise den Telefondienst übernahm, heute saß Angie auf ihrem Platz.
Jey informierte die Deputys über ihre Abreise und synchronisierte ihren Smartphone-Kalender mit dem Intranet des Büros. »Seht euch bitte die neue Diensteinteilung an. Ich weiß, es ist kurzfristig, aber ihr bekommt dafür alle einen zusätzlichen Urlaubstag im Herbst.«
Sie gab ihrem Stellvertreter Winnie den Schlüssel für ihr Büro. »Achtet bitte darauf, ob diese Biker-Gang noch einmal auftaucht. Sagt auch den Ortsvorstehern in Kirkwood und Bear Valley, dass sie die Augen offenhalten sollen. Wir sind wahrscheinlich streckenweise nicht mobil erreichbar.«
Winnie spielte mit dem Schlüssel und sagte: »Keine Sorge, Sheriff, wir machen das. Was soll schon in den paar Tagen passieren?«
Leo tippte Fin auf den Arm. »Wie sieht es mit dem Ranger-Dienst aus?«
»Übernehmen die Kollegen aus Pioneer und Carson City. Ist mit Bill schon abgesprochen«, antwortete Fin. »Sie wären euch aber dankbar, wenn ihr bei den Patrouillen die ausgefüllten Formulare aus den Boxen der Trail-Routen holt und ins Besucherzentrum bringt.«
Leo versprach, sich darum zu kümmern.
Je näher sie dem Reno-Tahoe International Airport kamen, desto stiller wurde Jey und verstummte ganz, als sie in der Boeing 737 der Southwest Airlines saßen. Fin hielt den ganzen Flug über ihre Hand.
Während sie in Seattle auf den Anschlussflug warteten, döste Jey an seine Schulter gelehnt und Fin las bei seinem Sitznachbarn mit, der gerade auf seinem Tablet durch News scrollte: »Insider berichten von einem Kooperationsangebot des kalifornischen Technologiekonzerns Gilead Sciences an LT Global. Manche Investoren sehen darin bereits eine sich anbahnende Übernahme. Die LT-Aktie sprang am Vormittag vorbörslich um gut ein Drittel auf 33,70 Dollar hoch. Die seit 2014 an der Technologiebörse Nasdaq notierte Firma war zum Schlusskurs vom Freitag gut 10,5 Milliarden Dollar wert – Gilead müsste also bereit sein, einen erheblichen Aufpreis zu zahlen. Andrew Masters, General Manager von LT Canada, dementiert allerdings eine mögliche Zusammenarbeit.«
Ihr Anschlussflug hob pünktlich ab und wieder hielt Fin die meiste Zeit Jeys Hand. Als das Flugzeug zum Landeanflug auf den Juneau International Airport ansetzte, blickte Fin auf die Küstenlinie hinunter. Deutlich waren die weißen Schaumkronen zu erkennen, mit denen die Wellen des Pazifiks gegen den Nadelwald von Auke Cape brandeten. Er kehrte an den Ort der Schmerzen zurück.
Rindenstücke segelten herunter. Über ihr hämmerte ein Specht engagiert gegen den Kieferstamm. Mit einem Schmunzeln putzte sich Louise die Späne von ihrem Cardigan und holte das Angebotsschild herein. Heute vormittags war das Geschäft in der Kunstgalerie gut gelaufen, nach der Mittagspause würde Miss Jorgenson, die neue Lehrerin der Grundschule, den Verkauf übernehmen und Louise wollte Erland bei den Amtsstunden im Verwaltungssitz unterstützen.
Die Lehrerin half auch in der Bibliothek aus und nahm am Literaturkreis teil, sie brachte sich so eifrig ein, dass Louise sich schon manchmal überflüssig vorkam.
Beim Weg in die Water Street holte sie sich in Ali’s Cafe ein Sandwich, einen Apfelstrudel und einen Teato-go. Vor dem Verwaltungssitz, einem einfachen, ebenerdigen Gebäude mit umlaufenden Vordach, parkten zwei Chopper mit auffälliger Flammenlackierung und einem Totenkopf als Tankdeckel. Ein Typ mit Ziegenbart und verspiegelten Sonnenbrillen lungerte im Gang auf der Wartebank, säuberte mit einem Taschenmesser seine Nägel. Louise grüßte ihn, doch er sah nicht von seinen Fingern auf. Sie blieb vor ihm stehen und fixierte ihn.
»Was?« Er spuckte auf den Boden.
»Guten Tag, Mister. Kann ich Ihnen helfen?«
»Wart nur aufn Boss.«
Louise holte ein Papiertaschentuch aus ihrer Umhängetasche und legte es aufgefaltet neben ihn hin. »Falls Sie noch einmal der Hals kratzt.«
Sie lächelte ihm zu und ging in das Bürgermeisterbüro. Vor Erlands Schreibtisch lehnte ein Mann im Besuchersessel, die Beine weit ausgestreckt, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Er war in eine schwarze Lederkluft gezwängt und trug nietenbeschlagene Cowboystiefel. Sein grauer Schnauzbart war in lange Spitzen gezwirbelt.
»Mister Burke, das ist Miss Hooper«, stellte Erland sie vor. »Louise, würden sie bitte unser Gespräch protokollieren.«
Sie nickte, stellte ihre Sachen weg und fuhr ihren Laptop hoch. Nachdem sie sich in das Alpine County Intranet eingeloggt hatte, sagte sie: »Bin soweit, Erland.«
»Mister Burke hat soeben den mündlichen Antrag eingebracht, die Besitzrechte am Graichen-Hof samt den zugehörigen Schürfrechten am Silver Peak anzukaufen.«
»Oder zu pachten, wie es der Gemeinde lieber ist«, ergänzte Burke.
»Gut, nehmen wir so auf. Sie sollten wissen, dass der Hof in einer Wilderness Area liegt. Das bedeutet Zutritt nur zu Pferd oder zu Fuß und keinerlei Wohnrechte. Das stand nur der Graichen-Familie zu, der Hof ist aber jetzt verlassen. Und außerdem…«
Burke unterbrach ihn: »Wie ich hörte, ist heute Abend Gemeindeversammlung, da können Sie das gleich besprechen, Herr Bürgermeister. Wenn Sie möchten, komme ich gerne dazu, um ihre Erläuterung zu unterstützen.«
Louise schaute zwischen den beiden Männern hin und her, der drohende Unterton in Burkes Stimme war kaum zu überhören. Mit unbeteiligtem Gesicht verschränkte Erland die Hände, lehnte sich zurück und sagte: »Mister Burke, das wird nicht nötig sein.«
»Sie entscheiden das also gleich jetzt?«
»Hier gibt es nichts zu entscheiden, denn in den Statuten von Alpine County ist festgelegt, dass keine Verkäufe von Gemeindegebiet an Privatpersonen erfolgen.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Burke.
»Es ist mir völlig egal, was Sie glauben. 96 Prozent von Alpine gehört bereits der Gemeinde, diesen Anteil werden wir nicht verringern.«
Burke presste die Lippen aufeinander, beugte sich vor und zischte: »Ein Pachtvertrag wäre doch nicht gegen die Statuten, er würde die Besitzverhältnisse nicht beeinflussen. Denken Sie gut nach, bevor Sie antworten, Ihnen ist doch mittlerweile klar, mit wem Sie hier sprechen?«
Louise stockte mit dem Tippen und Burke fauchte sie an: »Notier das nur, Faltenrock.«