Robert Schumann - Wilhelm Joseph von Wasielewski - E-Book

Robert Schumann E-Book

Wilhelm Joseph von Wasielewski

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Beschreibung

Wasielewski galt als absoluter Kenner des großen Komponisten. Die erste Schumann-Biographie, die im Jahr 1858 erschien, fand breite Anerkennung und erreichte in der Folge mehrere Auflagen, im In- und Ausland. Dieses Buch ist eine digitale Reproduktion der dritten Auflage aus dem Jahr 1880.

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Robert Schumann

Wilhelm Joseph von Wasielewski

Inhalt:

Vorrede zur dritten Auflage.

I. Robert Schumann's Jugend-, Lehr- und Studienjahre.

II. Robert Schumann's Künstlerlaufbahn.

III. Robert Schumann's Künstlerlaufbahn.

Mittheilungen

Anhang.

Briefe vom Jahre 1833–1854,

Verzeichniß der veröffentlichten Werke R. Schumann's.

Robert Schumann, W. von Wasielewski

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Freesurf - Fotolia.com

Wilhelm Joseph von Wasielewski – Biografie und Bibliografie

Violinspieler und Musikschriftsteller, geb. 17. Juni 1822 in Groß Leesen bei Danzig, gest. 13. Dez. 1896 in Sondershausen, erhielt seine Ausbildung am Leipziger Konservatorium (1843–45) und noch weiter privatim von Ferd. David und M. Hauptmann als Mitglied des Leipziger Gewandhausorchesters. 1850 wurde er als Konzertmeister nach Düsseldorf berufen und ging 1852 als Direktor eines Gesangvereins und der Abonnementskonzerte nach Bonn, 1855 wandte er sich nach Dresden, woselbst er hauptsächlich musikschriftstellerisch tätig war, kehrte jedoch 1869 nach Bonn zurück, wo er bis 1884 die Stelle des städtischen Musikdirektors bekleidete. 1888 zog er nach Sondershausen. Seine zurzeit hochverdienstlichen Schriften sind: die Biographie »Robert Schumann« (Dresd. 1858; 4. vermehrte Aufl. von Woldemar v. W., Leipz. 1906); »Die Violine und ihre Meister« (Leipz. 1869, 4. Aufl. 1904); »Die Violine im 17. Jahrhundert und die Anfänge der Instrumentalkomposition« (Bonn 1874; die Musikbeilage dazu im neuen Abdruck, Berl. 1905); »Geschichte der Instrumentalmusik im 16. Jahrhundert« (Berl. 1878); »Schumanniana« (Bonn 1883); »Ludwig van Beethoven« (Berl. 1887, 2 Bde.); »Das Violoncell und seine Geschichte« (Leipz. 1889); »Karl Reinecke, sein Leben, Wirken und Schaffen« (das. 1892); »Aus siebzig Jahren. Lebenserinnerungen« (Stuttg. 1897).

Robert Schumann - Eine Biographie

Eine Biographie Robert Schumann's, nicht eine erschöpfende kritische Analyse, noch eine umfassende ästhetische Würdigung seiner Werke sollen nachfolgende Blätter geben. Ich habe mich darauf beschränkt, nur diejenigen Compositionen des Meisters näher ins Auge zu fassen, welche wichtige und entscheidende Momente seines Entwickelungsganges bezeichnen, oder an sich einer besonderen Erklärung bedürfen. Außerdem sind die Kunstgattungen, in denen Schumann geschaffen, allgemeinen Betrachtungen unterworfen worden.

Die Thatsachen von R. Schumann's Leben festzustellen, ist in mehrfacher Hinsicht wünschenswerth. Bereits haben sich mancherlei ungenaue und unrichtige Nachrichten über den Lebensgang des Verewigten durch Wort und Schrift verbreitet. Darum schien eine möglichst unpartheiische Darstellung, gestützt auf sorgfältig geprüfte mündliche und urkundliche Berichte nothwendig, und zwar schon jetzt, damit die Berichtigung unwissentlich von mir begangener Irrthümer durch Zeitgenossen ermöglicht werde. Ich habe mich in dieser Darlegung aller Polemik enthalten; die Thatsachen werden für sich selbst Zeugniß geben. Dann auch schien eine Darstellung der künstlerischen Entwickelung gerade dieser bedeutungsvollen Persönlichkeit von allgemeinstem historisch-musikalischem Interesse; denn sie giebt das Bild eines Künstlerlebens in seinem Streben und Schaffen, wie es in seinen Grundzügen auch bei anderen Persönlichkeiten der Gegenwart wiederkehrt, und mit den neueren Richtungen und geistigen Bewegungen in der Musik in genauer Verbindung und Wechselwirkung steht. Und Robert Schumann ist ein so eigenartiges Naturell, daß seine schöpferische Thätigkeit, zumal in ihrem Beginne, nur bei genauer Kenntniß seines Lebensganges und der mannichfachen Bedingungen desselben vollständig erfaßt und gerecht beurtheilt werden kann.

Unser Tondichter sagt selbst:1 "Es ist unstatthaft, ein ganzes Leben nach einer einzelnen That messen zu wollen, da der Augenblick, der ein System umzustoßen droht, oft im Ganzen erklärt und entschuldigt liegen kann." – Und ferner: "Mit einiger Scheu spreche ich mich daher über Werke aus, deren Vorläufer mir unbekannt sind. Ich möchte gern etwas wissen von der Schule des Componisten, seinen Jugendansichten, Vorbildern, ja selbst von seinem Treiben, seinen Lebensverhältnissen – mit einem Wort vom ganzen Menschen und Künstler, wie er sich bis dahin gegeben hat." – – Alles dies ist wohl auf Niemand besser anzuwenden, als auf ihn selbst.

Robert Schumann gehört nicht zu den Meistern, deren künstlerisches Schaffen eine Reihe von Gebilden in stetig aufsteigender Linie bezeichnet, die durchweg einen unmittelbaren und leicht zu erkennenden Genuß gewähren, – viele seiner Geistesprodukte sind nicht derart objectiv geworden und haben sich nicht so von seinem individuellen Dasein losgerungen und befreit, daß man zum innigeren Verständniß derselben der Kenntniß ihres Ursprunges entbehren könnte. Er gehört zu Jenen, die in vielen Fällen an die Erlebnisse unmittelbar anknüpfen und aus ihnen heraus Tongebilde schaffen; – und solche Schöpfungen, oft einen unlösbaren Bruch hinterlassend, können eben nur verstanden werden, wenn man über ihre Erscheinung hinaus und zurückgeht auf die Motive ihrer Entstehung und auf die besonderen Umstände, unter denen sie empfangen und gebildet wurden. Daher hört man einerseits so häufig bei einer großen Anzahl Schumannscher Compositionen über Mangel an Verständlichkeit, andererseits über Absicht und all' dergleichen mit der Betonung des Vorwurfes klagen, während man doch nur ein Naturell vor sich hat, das sich genau so giebt, wie es eben ist, und wie die eigenthümlichen Organisationsverhältnisse im Verein mit den Eindrücken des Lebens es gestaltet haben. Das objective Kunstwerk deutet zurück auf die subjective Art des schaffenden Künstlers, und diese lebenskenntlich vor Augen zu stellen, war die Aufgabe dieser Blätter. Sie mögen veranschaulichen, wie Schumann's Wege, in Kunst und Leben, und die von ihm auf denselben errichteten zahlreichen Denksteine nicht anders beschaffen sein konnten, als sie dem unbefangenen, vorurtheilsfreien Blick sich zeigen. Historische Treue, so weit der Mensch ihr überhaupt Genüge zu leisten vermag, war also der Accent, der am bestimmtesten betont werden mußte.

Ueber Anlaß und Berechtigung der von mir unternommenen Arbeit sei Folgendes gesagt: Durch den vom October 1850 bis Mai 1851, so wie vom October 1851 bis Juni 1852 fast täglich gepflogenen, mir unvergeßlichen Verkehr mit Robert Schumann in Düsseldorf, so wie durch die gesprächsweise von ihm selbst über sein früheres Leben und seine Werke empfangenen Mittheilungen besonders aufgefordert, faßte ich im Sommer 1853 den Entschluß, Eingehendes über des Meisters bisherige künstlerische Thätigkeit aufzuzeichnen. Dieser Entschluß gewann neue Nahrung, als mir auf meine brieflich ausgesprochene Bitte von R. Schumann bereitwilligst Material zur Ausführung meines Vorhabens anvertraut wurde. Es fand sich dieses Material in einem mir übersandten Hefte, welches außer einer eigenhändig von Schumann geführten Compositionsübersicht die werthvollsten Notizen über Jugend und Leben des Meisters bis zum Jahre 1834 enthielt. Eine Reihe von Blättern gab außerdem Aufschluß über mannichfache, theils ausgeführte, theils unausgeführt gebliebene Entwürfe. Je mehr ich aber über meinen Plan nachdachte, je weiter ich in Ausführung desselben vorschritt, desto klarer wurde mir, daß es unmöglich sei, gerade über eine Anzahl der vorhandenen Schumann'schen Werke Beachtenswerthes zu bieten, bevor man nicht Alles erfahren habe, was mit ihnen im Zusammenhange steht. Meine Arbeit, obwohl bis zu einem gewissen Grade gediehen, konnte daher schließlich nirgend genügen. Indessen war sie nicht vergeblich, da sie mich das Rechte erkennen lehrte.

Als Anfangs August 1856 die Trauerkunde von dem Dahinscheiden Robert Schumann's durch Deutschland ging, faßte ich die Idee, zu welcher ich bereits vorher durch die eben mitgetheilten Erlebnisse und Erfahrungen entsprechende Anregung empfangen hatte, die gegenwärtige Lebensbeschreibung zu unternehmen. Sofort schritt ich zur Feststellung des erforderlichen Materials, die desfallsigen Forschungen nach allen mir bekannten und zugänglichen Seiten hin richtend. Zu meiner Genugthuung darf ich aussprechen, daß dieselben vom günstigsten Erfolg waren. Nicht allein über Schumann's Jugendleben wurden mir bei meiner zweimaligen Anwesenheit in Zwickau von den noch lebenden Zeugen seiner Kinderjahre werthvolle Aufschlüsse zu Theil, sondern auch über die späteren Lebensepochen fand ich erwünschte Gelegenheit, mich bei näheren Bekannten des Meisters zu orientiren, und so das Bild allmählig zu vervollständigen, welches ich von dem Verklärten in mir trug.

Außerdem gingen mir auf mein Ersuchen schriftliche Mittheilungen dankenswerthester Art über den ersten Leipziger und Heidelberger Aufenthalt Schumann's durch die Herren Obergerichtsrath Rosen in Detmold, Justizrath Semmel in Gera und Dr. jur. Töpken in Bremen, so wie von verschiedenen anderen Seiten zu.

Eine höchst wichtige Erwerbung machte ich endlich mit einer Menge Schumann'scher Briefe, deren Zahl sich bald bis auf nahe an 200 steigerte. Wohl weiß ich, daß damit die überhaupt von Schumann's Hand herrührenden Briefe keineswegs erschöpft sind; allein da der Zweck meines Unternehmens nicht darauf hinauslaufen sollte und konnte, die Schumann'schen Briefe in möglichster Vollständigkeit zusammenzustellen, so durfte ich mich mit Erwerbung derjenigen begnügen, die zur Erklärung gewisser Vorgänge in Schumann's Dasein, so wie zur Enthüllung seines reichen Seelenlebens erforderlich und ausreichend sind. Ich habe die größere Hälfte derselben theils dem Text einverleibt, wo es thunlich war, theils dem Schluß in einem Anhange unter der Aufschrift: "Briefe vom Jahre 1833 bis 1854" beigefügt, und zwar möglichst unverändert und wortgetreu, sofern nicht Rücksicht auf noch lebende Personen oder unwichtiger Inhalt die Unterdrückung einzelner Stellen nothwendig oder wünschenswerth machte. Solche unterdrückte Stellen sind durch Striche erkennbar gemacht.

Die Herren Stephen Heller in Paris, Adolph Henselt in Petersburg und Hofkapellmeister Dr. F. Liszt in Weimar bedauerten, meinen Wünschen um Mittheilung Schumann'scher Briefe nicht willfahren zu können, da die in ihrem Besitz gewesenen im Laufe der Zeit verloren gegangen seien.

Ich glaube es nicht übergehen zu dürfen, daß ich auch an Frau Clara Schumann, die dem Andenken ihres Gatten in der edelsten Weise lebt, mich gewendet, und sie gebeten habe, mir Beiträge für meine Arbeit zu geben, worauf mir die Antwort zu Theil wurde, daß sie aus Pietät für ihren Mann mich nicht mit unvollständigem Material unterstützen könne und dürfe. –

Anfangs dieses Jahres war ich mit dem Ergebniß der Vorarbeiten so weit vorgeschritten, um zu der in Folgendem enthaltenen Darstellung übergehen zu können.

So biete ich denn hier der musikalischen Welt, was ich an Wissenswerthem über R. Schumann erworben und in einen Rahmen zusammenzufassen versucht habe, in der Ueberzeugung, daß nichts Wesentliches von mir übersehen worden ist.

Allen denjenigen aber, welche zur Erreichung des von mir angestrebten Zweckes so wohlwollend und fördernd beigetragen haben, fühle ich mich gedrungen, hiermit meinen herzlichen Dank auszusprechen.

Dresden,im November 1857.

v. W.

Fußnoten

1

Als im Jahr 1869 die zweite Auflage dieser Biographie erschien, hegte ich den Wunsch, dieselbe durch umfassendere Nachträge zu vervollständigen. Die Verlagsbuchhandlung indessen, welche mich durch den Kontrakt von vorne herein für zwei Auflagen gebunden hatte, hielt dies für entbehrlich, da sie von dem äußern Erfolg des Buches befriedigt war. Jetzt nun, bei Herausgabe der dritten Auflage, finde ich erwünschte Gelegenheit, das Versäumte nachholen zu können. Ich habe in den folgenden Blättern nicht nur einzelne Vorgänge in Schumann's Leben, die früher nur oberflächlich von mir berührt worden sind, näher beleuchtet, sondern auch, wo es thunlich erschien, aus den von mir während meines persönlichen Verkehrs mit dem verewigten Meister in den Jahren 1850–1853 gemachten Aufzeichnungen, mehrfach Notizen in den Text mit eingebaut.

Die wesentlichste Erweiterung hat aber die gegenwärtige Auflage durch eine eingehende Betrachtung der größeren und hervorragenderen Werke Schumann's erfahren: ich habe es versucht, die künstlerische Bedeutung derselben sowohl im Hinblick auf ihren Organismus so wie auf ihren geistigen Gehalt zu charakterisiren und zu erläutern, dabei aber von Notenbeispielen abgesehen, weil die Tonschöpfungen des Meisters allgemein verbreitet, und also für Jedermann leicht erreichbar sind.

Möchte denn das Buch in seiner veränderten Gestalt dieselbe freundliche Aufnahme finden, welche ihm seither schon zu Theil geworden ist.

v. W.

I.

Zwickau, Leipzig, Heidelberg.

1810–1830.

Robert Schumann ist, so weit es sich hat ermitteln lassen, einer nichts weniger als musikalischen Familie entsprossen.

Der Vater, Friedrich August Gottlob Schumann,1 geb. 2. März 1773, war der älteste Sohn eines unbemittelten Pastors, Friedrich Gottlob Schumann im Dorfe Entschütz bei Gera, später Archidiakonus in Weida; er wurde frühzeitig dem Kaufmannsstande bestimmt und im 11. oder 12. Jahre in das Haus seiner Großmutter nach dem Städtchen Eisenberg, zum Besuch der lateinischen Stadtschule gebracht, von wo aus er in seinem 15. Jahre bei einem Kaufmann in Ronneburg in die Lehre trat. Von hier ab führte er unter mannichfachen Bedrängnissen und Hemmnissen ein mehrjähriges vielgeprüftes Dasein, hervorgerufen durch die verfehlte Wahl des Berufs. August Schumann war entschieden begabt für das schriftstellerische Fach. Schon in reiferen Knabenjahren zeigte er dies durch mehrfache dichterische Versuche. Die Eltern beachteten sein Talent jedoch nicht, und veranlaßten ihn, sich dem Materialgeschäfte zu widmen. Angeborne Neigung trieb ihn dagegen unaufhörlich zum Studium wissenschaftlicher und schöngeistiger Werke; unter diesen waren es vorzugsweise Young's und Milton's Schriften, welche ihn anzogen und seinen eigenen Aeußerungen zufolge "bisweilen dem Wahnsinn nahe brachten". Kein Wunder daher, wenn der ihm zugewiesene Beruf ihn nach und nach bis zur Unerträglichkeit anwiderte und kein Mittel scheuen ließ, sich eine Thätigkeit zu schaffen, die seiner Vorliebe für die Literatur wenigstens in etwas entsprach. Mittellos indeß, wie er war, mußte er dies Streben und die endliche Verwirklichung desselben durch lange, harte Geisteskämpfe und materielle Entbehrungen erkaufen. Die Folge davon war ein körperliches Siechthum, das ihn nie wieder ganz verließ und seinen Lebensfaden schon in der Kraft der Mannesjahre zerschnitt.

Die merkantile Laufbahn gab August Schumann in Leipzig auf, wo er nach mehrfachem Conditionswechsel an verschiedenen Orten eine Stelle in einem Kaufmannshause angenommen hatte. So nahe an der Quelle der Wissenschaften vermochte der feurige strebsame Jüngling seine Wünsche nicht mehr zu unterdrücken. Er ließ sich als Studiosus humaniorum bei der Universität zu Leipzig inscribiren, in der Zuversicht nach vollbrachtem Studium ganz der literarischen Laufbahn leben zu können. Deshalb trat er mit Heinse2 in Zeitz, dem er eine seiner Arbeiten zur Beurtheilung einsandte, in Verbindung. Dieser rieth ihm jedoch entschieden von seinem Vorhaben ab. Hierdurch keineswegs abgeschreckt, verfolgte er den einmal eingeschlagenen Weg beharrlich. Lange vermochte er es indeß nicht. Die äußerste Noth zwang ihn in's elterliche Haus zurückzukehren. Hier verfaßte er einen Roman: "Ritterscenen und Mönchsmärchen", den er abermals Heinse, um dessen Rath bittend, mittheilte. Dieser Schritt trug ihm eben so wenig eine Anerkennung seines Strebens ein als der erste; aber er hatte den günstigen Erfolg, daß Heinse ihn aufforderte, in eine von diesem zu begründende Buchhandlung als Gehilfe einzutreten. Um so lieber folgte er dem Antrag, als er dadurch nicht allein eine Existenz wiedergewann, sondern gleichzeitig die erwünschte Gelegenheit fand, sich mit den neuesten Erzeugnissen der Literatur vertraut zu machen. Auch in anderer Hinsicht wurde sein Aufenthalt in Zeitz ihm wichtig. Das Geschick führte ihn nämlich einem Mädchen, der Tochter seines Wirthes zu, in der er später seine Gattin gewann. An diese Verbindung war jedoch für Schumann, da jenes von Heinse etablirte Geschäft in lucrativer Hinsicht keine günstigen Resultate lieferte, die Bedingung geknüpft, dem buchhändlerischen Berufe gänzlich zu entsagen und sich als Materialist zu etabliren. Obgleich er sich durch diese Anforderung mit einem Schlage wieder in die nackte Prosa zurückgeworfen sah, blieb ihm dennoch, um die Wünsche seines Herzens zu befriedigen, nichts übrig, als dem Begehr des zukünftigen Schwiegervaters sich willfährig zu zeigen. Wo aber sollte er die Mittel zu einem selbst bescheidenen Etablissement hernehmen? Auch hier fand seine erfinderische Natur einen Ausweg. Schumann trennte sich sofort von Heinse und kehrte wieder in's elterliche Haus zurück, um dort durch schriftstellerische Arbeiten eine Summe Geldes zu verdienen. Wie sehr und wie schnell ihm dies glückte, beweist der Umstand, daß er nach etwa anderthalbjähriger angestrengter, mühevoller Thätigkeit nahe an 1000 Thlr. – eine für die damalige Zeit hübsche Summe – durch verschiedene Schriften erwarb, unter denen das in der merkantilischen Welt bekannte "compendiöse Handbuch für Kaufleute" in 4 Bänden, genannt zu werden verdient.

Er associirte sich nun im Jahre 1795 mit einem Kaufmann in Ronneburg und verheirathete sich bald darauf mit der ihm treu gebliebenen Erwählten seines Herzens. Nach Verlauf von vier Jahren etwa gab er das erworbene Geschäft aber schon wieder auf, um sich ganz und für immer dem Buchhandel zu widmen. In dem neugeschaffenen Wirkungskreise bethätigte Schumann einen unermüdlichen rastlosen Fleiß nach verschiedenen Richtungen hin, der selbst sein früheres Streben in Schatten stellte, allerdings aber auch seine Vermögensumstände nach und nach bedeutend verbesserte;3 so schrieb er 16 verschiedene theils in die wissenschaftliche, theils in die geschäftliche Sphäre gehörende Werke, die er selbst verlegte. Die allmälige Erweiterung seiner Buchhandlung indeß machte mehr und mehr den Umzug in eine günstiger gelegene Stadt wünschenswerth, und so entschloß Schumann sich im März des Jahres 1807 nach der sächsischen Bergstadt Zwickau überzusiedeln. Dort begründete er im Verein mit einem seiner Brüder, die bis 1840 bestandene, in der literarischen Welt ehedem wohlbekannte Verlagsbuchhandlung der "Gebrüder Schumann".

Sein Geschäft begann bald zu blühen. Zunächst veranstaltete er eine Taschenausgabe der Classiker aller Nationen, mit welcher er das erste Signal zu vielen anderen derartigen Unternehmungen gab. Sodann begründete er ein Wochenblatt "der erzgebirgische Bote" (1807–1812), welchem die sogenannten "Erinnerungsblätter" (1813–1826) folgten. Endlich unternahm er auch noch die Herausgabe zweier größerer Sammelwerke. Das eine derselben, begonnen im Jahr 1813, war das "Staats-, Post- und Zeitungslexikon von Sachsen", fortgesetzt und beendigt von A. Schiffner (im Ganzen 13 Bände und 5 Supplementbände), das andere eine vom Jahre 1818 ab erschienene "Bildergallerie der berühmtesten Menschen aller Völker und Zeiten" mit beigefügtem Text, zu welchem Robert Schumann als 14jähriger Jüngling Beiträge lieferte.

Eine der letzten buchhändlerischen Unternehmungen August Schumann's war die deutsche Uebersetzung Walter Scott's und Byron's. Die Poesien des Letzteren begeisterten ihn so sehr, daß er den "Childe Harald" und "Beppo" selbst übersetzte.

Aus dieser gedrängten, nur das Wesentlichste enthaltenden Darstellung ist ersichtlich, daß der Vater unseres Tonmeisters ein Mann war, der trotz beengender Umstände, mannichfacher Wechselfälle und Widerwärtigkeiten, durch rastlosen Fleiß, sowie durch glückliche Ausbeutung seines Talentes Resultate erzielte, die unbedingte Achtung einflößen. Sind auch seine literarischen Erzeugnisse im Gebiete der Poesie nur von sehr relativem Werthe, kann ihnen auch nur die Bedeutung zuerkannt werden, eine Spanne Zeit hindurch den Lesebedürfnissen gewisser Kreise gedient zu haben, so zeugen sie doch immer von einer nicht gewöhnlichen Begabung und von einem bei praktischen Geschäftsmännern seltenen Streben, während die angeführten compilirten Werke ihm in der buchhändlerischen Welt einen ehrenvollen Namen erworben, der noch heute mit Achtung genannt wird.

August Schumann wird einstimmig als ein gerader, zuverlässiger Charakter geschildert, der trotz mancher Schwächen die Liebe und Zuneigung aller Derer besaß, die mit ihm in nähere Berührung traten. Seinem Aeußeren nach war er zwar von schwächlichem, aber wohlgebildetem Körperbau; seine Gesichtszüge, wie sie das von ihm existirende, aus dem 38. Lebensjahre herrührende Bildniß zeigt, haben einen wohlwollenden, edlen Ausdruck, deuten aber entschieden auf ein stilles, verschlossenes und ernstes Wesen. Dieses letztere, dessen Merkmale die Conflikte eines vielbewegten Lebens seiner ganzen äußeren Erscheinung wohl aufgedrückt haben mochten, sollen ihm auch wirklich im reiferen Mannesalter eigen gewesen sein.

Wie bereits angeführt, verheirathete August Schumann sich im Jahr 1795 mit Johanna Christiana Schnabel, geb. im Novbr. 1771. Sie war die älteste Tochter des Rathschirurgen Abraham Gottlob Schnabel in Zeitz. Der hierauf bezügliche amtliche Ausweis des betreffenden Kirchenbuchs lautet: "August Schumann, Kauf- und Handelsherr in Ronneburg, des Hochehrwürdigen Herrn Johann Friedrich Schumann, Archidiak. in Weida, ehel. Sohn, und Jungfrau Johanne Christiane Schnabel, Herrn Abraham Gottlob Schnabel's, Rathschirurgen zu Zeitz, ehel. älteste Tochter sind Dom. 19, 20 und 21, p. trin. als den 11., 18. und 25. October 1795 öffentlich aufgeboten und alsdann in Geußnitz4a Domino Keil copulirt und eingesegnet worden."

Johanna Schumann, mit einem natürlichen Verstande begabt, jedoch aufgewachsen unter der Einwirkung kleinstädtischer, beengender Verhältnisse, zeigte keine über das Maaß des Gewöhnlichen hinausgehende Bildung, wenn gleich ihre äußere Erscheinung einnehmend und von einem gewissen Repräsentations-Talent begleitet war. In späteren Lebensjahren stellte sich bei ihr ein Zustand schwärmerischer, sentimentaler Ueberspanntheit, verbunden mit momentan aufbrausender Heftigkeit, und ein Hang zum Absonderlichen ein, wozu vielleicht manche eheliche Inconvenienz mit beigetragen hat.

In dieser Ehe wurden fünf Kinder gezeugt, von denen Robert Alexander, geb. den 8. Juni 1810, Abends 1/210 Uhr5 zu Zwickau im Hause am Markt Nr. 5, das jüngste war. Ihm voran standen im Alter drei Brüder: Eduard, Karl und Julius, sowie eine Schwester: Emilie. Bemerkenswerth dürfte es sein, daß die letztere im Anfange der zwanziger Lebensjahre an den Folgen einer unheilbaren Gemüthskrankheit gestorben ist, welche deutliche Spuren stillen Wahnsinns erkennen ließ. Auch seine Brüder sind ihm sämmtlich bereits in den Tod vorangegangen.

Die frühesten Jahre der Kindheit brachte Robert meist in weiblicher Umgebung zu; außer seiner Mutter war es namentlich eine seiner Pathen, die der Schumann'schen Familie nahe befreundete Frau des Bürgermeister Ruppius in Zwickau, welche sich viel mit ihm beschäftigte, und in deren Hause er sich oft ganze Tage und Nächte besuchsweise aufhielt. Daß er als Jüngstgeborner und als sogenanntes "schönes Kind" unter diesen Umständen in vieler Hinsicht verwöhnt und verhätschelt wurde, ließe sich, wenn man hierüber auch keine genaue Kunde hätte, um so sicherer voraussetzen, als sein Vater, durch einen umfassenden und anstrengenden Beruf gänzlich in Anspruch genommen, sich seiner ersten Erziehung gar nicht, oder doch nur zeitweise widmen konnte. Aber auch später wurde dies nicht anders, denn mit dem Beginn der Entwickelung seines Talents wurde Robert nicht allein der verzogene Liebling der ganzen Familie, sondern aller derer, die ihn kannten. So blieb ihm denn kaum jemals ein Wunsch unerfüllt, – eine bedenkliche Erscheinung, die nach allen Erfahrungen in den meisten Fällen üble Folgen zurückläßt und ohne Zweifel auch die in Schumann's späterem Leben hervorgetretene Reizbarkeit und Empfindlichkeit, ja, den Mangel aller Nachgiebigkeit beim Begegnen widerstrebender und seinem Willen sich nicht fügender Elemente erzeugt hat.

Robert war, wie sein späteres Leben gelehrt hat, vor allen seinen Geschwistern von der Natur bevorzugt worden. Die Vermuthung liegt nahe, daß er der Hauptsache nach in gesteigerter Potenz die physische und psychische Constitution seines Vaters geerbt habe, der zur Zeit von Roberts Geburt bereits sehr leidend war. Aber auch von dem Naturell der Mutter scheint ein Theil auf ihn gekommen zu sein.

Mit dem Beginn des sechsten Lebensjahres wurde Robert der sogenannten Sammelschule des Archidiakonus Dr. Döhner6 übergeben. Es war dies eine starkbesuchte Privatunterrichtsanstalt, welche damals den Mangel einer Bürgerschule in Zwickau ersetzte. Hier kam er zuerst in Berührung mit einer Anzahl von Kindern gleichen Alters, und wie im Menschen sich schon frühzeitig unbewußt gewisse Geschmacksrichtungen ausgeprägt finden, so wählte Robert unter seinen Jugendgenossen sehr bald einige zu seinem näherem Umgange aus.7 Bei diesem Verkehr zeigte sich die erste Regung einer jener Eigenschaften, welche späterhin für seine Individualität bezeichnend wurden. Es war die des Ehrgeizes, welche, wie sich in seinem weiteren Leben mehrfach wahrnehmen läßt, durchaus edler und ungewöhnlicher Art, damals sicher wohl noch ganz unbewußt und naiv, jedoch offenbar schon als angeborener Charakterzug aus dem Innern des Kindes hervortrat. Dieselbe machte sich insofern geltend, als Robert bei den Spielen stets den Ton angab, z.B. beim vielbeliebten "Soldatenspiel", welchem meistens der Vorzug gegeben wurde, allemal das Commando führte. Die anderen beugten sich gern und ohne Widerstreben der von ihm ausgeübten Hegemonie, da er als ein freigebiger, gutmüthiger und freundlicher Kamerad von allen geliebt wurde. So zeigt Schumann schon in frühester Jugend das Bild der Herrschaft im kleinsten Kreise, die alte Sentenz "Immer der Erste zu sein, und vorzustreben den Andern" unbewußt bethätigend, welche später als Wahlspruch seinen Bestrebungen vorleuchtete.

Seine Fortschritte in der Schule waren von keinen besonders sichtbaren Erfolgen begleitet; er war eben nur ein Schüler wie hundert andere, ohne durch irgend Etwas sich hervorzuthun. Mehr schon mögen Funken des sich regenden Geistes im unmittelbaren Verkehr mit seiner Mutter sich geoffenbart haben, da diese, wie Augenzeugen berichten, sich öfters zu der etwas überschwänglichen Aeußerung: "Robert ist mein lichter Punkt" veranlaßt fand. Doch aber war er im Ganzen so weit entwickelt, daß mit ihm um diese Zeit neben dem Schulbesuch auch der Musikunterricht begonnen wurde.8 Er erhielt denselben von dem, 1776 geb. und den 12. März 1855 im Alter von 79 Jahren verstorbenen Lehrer am Lyceum zu Zwickau, Baccalaureus Kuntzsch, und zwar auf dem Clavier. Dieser, aus den untersten Schichten der Gesellschaft (sein Vater war ein armer Insaß des Dorfes Wilschdorf bei Dresden), durch beharrlichen Fleiß und unter den mannichfachsten Entbehrungen zu einem achtunggebietenden Wirkungskreise emporgestiegen, wird als ein formell höflicher Mann von altfränkischem Zuschnitte und einer bis ans Kleinliche streifenden Pedanterie geschildert. Neben seinem wissenschaftlichen Berufe hatte er sich in den Mußestunden mit Musik beschäftigt, und dabei so viel von den Praktiken derselben profitirt, um eine Organistenstelle bei mäßigen Ansprüchen versehen und Clavierunterricht geben zu können. Wenn man sich in die Vergangenheit und damit zugleich in eine Zeit zurückversetzt, in der die Schule des modernen Pianofortespiels erst in der Entfaltung begriffen war, so wird man leicht einen Schluß auf Leistungsfähigkeit und Lehrmethode eines Mannes machen können, der, gänzlich abgeschieden von der musikalischen Welt, in einem damals unbedeutenden Orte9 lebend, sich selbst gebildet hatte. Und in der That war auch sein praktisches und theoretisches Vermögen keineswegs von der Beschaffenheit, um eine so reichbegabte, und deshalb um so eher den Verirrungen ausgesetzte musikalische Natur, wie diejenige Schumann's, zu einer gedeihlichen Entwickelung zu bringen. Immerhin verdankte Robert seinem Musiklehrer die Bekanntschaft mit dem Nothwendigsten des Clavierspiels und den ersten Anstoß zur Kundgebung seines angeborenen musikalischen Talents, weshalb er demselben auch bis in die spätesten Jahre seines Lebens eine freundschaftliche Erinnerung bewahrte. Als Beleg dafür möge hier einer seiner Briefe folgen:

Godesberg (bei Bonn) Anfangs July 1852,

Theuerster Lehrer und Freund,

Am liebsten hätte ich Ihnen zum heutigen Tage10, diesem Tage großer Freude für Alle, die Ihnen nahe stehen, meine Wünsche selbst gebracht, am liebsten in vollen Tönen des Chors ausgesprochen, was an solchen Tagen das Herz bewegt. Aber leider bindet, dem ersten Wunsch zu genügen, die weite Ferne, und dann traf mich die Kunde des Ehren- und Freudenfestes später, als es der theilnehmende Freund, Herr Dr. Klitzsch beabsichtigte und entfernt von Düsseldorf, von wo er mir seinen Brief nachschickte.

So sei Ihnen denn von einem Ihrer Schüler, der die Erinnerung an so vieles von Ihnen empfangene Gute in treuem Herzen bewahrt, wenigstens ein Kranz11 dargebracht, den ich im Verein mit meiner Frau, die Ihnen gleichfalls ihre hochachtungsvollen Grüße sendet, am liebsten selbst aufgesetzt hätte, mit dem wir aber leider nur im Geiste die würdige Stirn umschlingen können – und bewahren Sie Ihre alte Liebe und Theilnahme auch ferner

Ihrem

dankbar ergebenen

Robert Schumann.

Die Kunst der Töne hatte trotz unzureichender Leitung und Unterweisung gar bald das Innere des Knaben entzündet; ihr Zauber löste, wie es scheint, zuerst die Bande des Geistes und übte zugleich eine solche Gewalt auf das jugendlich erregte Gemüth, daß Robert auf eigne Hand und ohne irgend eine Kenntniß der Generalbaßlehre sogar selbstschöpferische Versuche anstellte. Die frühesten derselben, in kleinen Tänzen bestehend, fallen bereits in das siebente oder achte Lebensjahr. Gleichzeitig machte sich auch die Gabe des Phantasirens bemerkbar. Ein zu Nr. 52. Jahrgg. 1848 der Allg. Musikal. Zeitung ausgegebenes Beiblatt vom April 1850, enthält eine werthvolle, auf urkundlichen Mittheilungen beruhende biographische Skizze Robert Schumann's, in welcher es unter Anderem heißt: "Es wird erzählt, daß Schumann schon als Knabe eine besondere Neigung und Gabe besessen habe, Gefühle und charakteristische Züge mit Tönen zu malen; ja, er soll das verschiedene Wesen um ihn herumstehender Spielkameraden durch gewisse Figuren und Gänge auf dem Piano so präcis und komisch haben bezeichnen können, daß jene in lautes Lachen über die Aehnlichkeit ihres Portraits ausgebrochen seien."

Eben so sehr nun als die Musik, zog ihn die Lectüre an, zu deren Befriedigung er die reichlichste und mannichfaltigste Gelegenheit in der Buchhandlung seines Vaters fand. Wie in der Musik waren auch hier eigene Produktionsversuche die nächste Folge. So schrieb er z.B. Räuberkomödien, die er mit Hilfe seines Vaters und seines älteren Bruders Julius sowie der dazu geeigneten Schulkameraden auf einer eigens dazu hergerichteten kleinen Bühne (gegen Entrée) aufführte. Sein Vater bemerkte, wie man schon aus der Mitwirkung zur Darstellung dieser harmlosen dichterischen Versuche abnehmen kann, diese Neigung Roberts besonders gern und begünstigte sie, so weit es seine Zeit erlaubte, in der Hoffnung, sein Lieblingssohn werde später die schriftstellerische Laufbahn betreten, auf der er sich selbst mehrfach versucht hatte. Diese Hoffnung indeß wurde in der Folge wieder in den Hintergrund gedrängt, als Roberts Vorliebe für die Musik mehr und mehr hervortrat, welche überdies sehr bald durch ein wichtiges Ereigniß befruchtende Nahrung empfangen sollte.

Robert hörte nämlich in Karlsbad, wohin ihn sein Vater mitgenommen hatte, Ignatz Moscheles, den epochemachenden Meister des Clavierspiels12, und empfing damit die Eindrücke allgemein bewunderter Künstlerschaft. Wie mächtig und nachhaltig dieselben auf das jugendliche Gemüth einwirkten, geht aus dem Umstande hervor, daß Schumann bis in seine letzten Lebensjahre hinab die ungeschwächte Erinnerung dieses Erlebnisses bewahrend, öfters mit wahrer Begeisterung von demselben sprach. Dies bestätigt auch ein an Moscheles gerichteter Brief Schumann's vom 20. November 1851, in welchem er diesem schreibt: "Freude und Ehre haben Sie mir bereitet durch die Widmung Ihrer Sonate13; sie gilt mir zugleich als eine Ermunterung meines eigenen Strebens, an dem Sie von jeher freundlich Antheil nahmen. Als ich, Ihnen gänzlich unbekannt, vor mehr als 30 Jahren in Carlsbad mir einen Concertzeddel, den Sie berührt hatten, wie eine Reliquie lange Zeit aufbewahrte, wie hätte ich da geträumt, von so berühmtem Meister auf diese Weise geehrt zu werden. Nehmen Sie meinen innigsten Dank dafür!"

Sehr erklärlich ist es, daß Robert, durch diese Erscheinung jugendlicher und vollendeter Meisterschaft aufs Aeußerste erregt, nach erfolgter Heimkehr mit verdoppeltem Eifer der Musik oblag. Er hatte nun doch ein Ideal gewonnen, das ihn in Ermangelung einer tüchtigen Anleitung und Unterweisung bei seinen musikalischen Bestrebungen leitete, und zur Nacheiferung anspornte; woraus sich denn sehr bald kühne Wünsche und Pläne im Innern des einmal entflammten Knaben erzeugten. Ehe sich dieselben aber verwirklichten, gab es freilich noch manche harte Prüfungen und Kämpfe zu bestehen.

Roberts Schulbildung war inzwischen so weit vorgeschritten, daß er Ostern 1820 in die Quarta des Gymnasiums aufgenommen werden konnte.14 Er trat nun in eine öffentliche Lehranstalt ein, und damit zugleich in erweiterte Verhältnisse, die ihm im Vergleich zu den Anforderungen der bisher besuchten Privatschule eine umfassendere Thätigkeit auferlegten. Nichtsdestoweniger blieb er auch unter diesen Verhältnissen seinen Neigungen für Musik und Literatur treu; wenn aber fortan ein entschiedenes Hinüberneigen zur ersteren bemerkbar wurde, so war dies die natürliche Folge seines specifisch musikalischen Talentes und des durch Moscheles' Meisterschaft empfangenen Impulses, der um so kräftiger nachwirkte, als es der erste bedeutsame war, den Robert überhaupt in seinem Leben erhielt.

In dem Maaße nun, als dem zarten Knaben sich mehr und mehr die Pforten des Kunsttempels öffneten, dem hoffnungsbeseelten Auge den Blick in die Vorhallen desselben gestattend, fühlte er sich dem Verkehr seiner Jugendgespielen entrückt. Er gewann aber bald andere an Stelle derselben, die für sein nunmehr in das Reich des Schönen hinübergreifendes Verlangen ein offenes Herz mitbrachten, und durch ihn angeregt, sich seinem Treiben mitwirkend anschlossen. Unter diesen befand sich ein gleichaltriger Knabe, den Robert häufig, ja fast täglich in seinem elterlichen Hause sah, um mit ihm zu musiciren; es war der Sohn eines Musikers, Namens Piltzing, des Dirigenten einer mit dem Stabe des Prinzen Friedrich von Sachsen im Jahre 1821 nach Zwickau versetzten Regimentsmusik. Der junge Piltzing wurde bald, nachdem sein Vater im neuen Wohnort sich heimisch gemacht, Mitschüler Roberts bei Kuntzsch.15 Beide lernten dadurch einander kennen und schlossen ein musikalisches Freundschaftsbündniß. Die gemeinsamen Musikfreuden, denen sie sich hingaben, bestanden im vierhändigen Spielen der Haydn'schen und Mozart'schen, später auch wohl einzelner Beethoven'scher Symphonien, so wie der damals bereits vorhandenen Originalcompositionen à quatre mains von Weber, Hummel und Czerny. Namentlich gab es einen besonders lebhaften Aufschwung, als im Schumann'schen Hause ein neuer Flügel aus der berühmten Streicher'schen Fabrik in Wien anlangte. Man sieht hieraus, daß der alte Schumann das fleißige Musiktreiben seines Sohnes eher begünstigte als verhinderte. Ohne ein Verständniß für die Tonkunst zu haben, erkannte er mit richtigem Takt die musikalische Begabung seines Kindes und leistete deren Bethätigung auf indirekte Weise jeden Vorschub. So schaffte er auch nach und nach eine reiche Sammlung der damals gangbaren Tonwerke für Pianoforte herbei, die durch seine vielfältigen buchhändlerischen Verbindungen bei jeder sich darbietenden Veranlassung aufs bequemste vermehrt wurde, und in deren Schätzen Robert nach Herzenslust seinen mächtig aufkeimenden Trieb zur Kunst befriedigen konnte.

Das geschilderte bescheidene Musikleben im Schumann'schen Hause erweiterte sich nach einiger Zeit durch einen Zufall hinsichtlich der mitwirkenden Kräfte. Robert fand nämlich, wie von ohngefähr, im Geschäftslokale seines Vaters die, vielleicht durch ein Versehen von auswärts her mit eingesandte Ouverture zu "Tigranes" von Rhigini in vollständigen, gedruckten Orchesterstimmen. Diese Entdeckung erweckte alsbald auch die kühne Idee, das genannte Musikstück aufzuführen. Es wurden also alle in der Knabenbekanntschaft etwa disponibeln orchestralen Kräfte aufgeboten, und bald hatte sich ein, freilich in jeder Hinsicht sehr unzureichendes, musikbeflissenes Häuflein zusammengefunden. Im Wesentlichen bestand dasselbe aus zwei Violinen, zwei Flöten, einer Clarinette und zwei Hörnern. Die fehlenden Instrumente, namentlich den Baß suchte Robert, der das Ganze gleichzeitig mit dem nöthigen Ernste und Eifer dirigirte, so gut es gehen wollte, am Fortepiano zu ergänzen. Dieser Versuch hatte natürlich der kleinen Gesellschaft sehr viel Freude und Genugthuung bereitet, und Robert's Vater unterstützte ihn dadurch, daß er die erforderlichen Musikpulte anfertigen ließ. Von Zeit zu Zeit schritt man zu anderen nicht schwierigen Musikstücken vor, die Robert mit geeigneten, den vorhandenen Kräften angemessenen Arrangements versah. Auch componirte er, sicher durch diese Zusammenkünfte dazu angeregt, den 150. Psalm für Chor mit Instrumentalbegleitung, welcher gleichfalls unter Beihülfe der singenden Schulkameraden aufgeführt wurde. Die Composition desselben fällt in das zwölfte oder dreizehnte Lebensjahr. Einen derartigen, in aller Stille begangenen Musikabend (in der Regel war nur der Vater zugegen, und auch dieser that als nähme er keine sonderliche Notiz von dem Treiben der Jugend) beschloß Robert meist mit dem Vortrag einer freien Phantasie auf seinem Instrumente, wodurch er seinen Genossen nicht wenig imponirt haben mag.

Inzwischen sollte Robert Gelegenheit finden, sein musikalisches Talent auch außer dem elterlichen Hause zu bethätigen: dies geschah in einigen befreundeten Familien Zwickau's, namentlich in der eines längst verstorbenen Kaufmanns, Namens Carus16, so wie auch in sogenannten Abendunterhaltungen, welche regelmäßig im Gymnasium von Schülern desselben veranstaltet, und mit mannichfachen Vorträgen ausgestattet wurden. Er ließ sich hier theils als Solospieler hören, theils accompagnirte er am Clavier die etwa aufgeführten Chorstücke, unter denen namentlich Anselm Weber's Composition zu dem Schiller'schen Gedichte "der Gang nach dem Eisenhammer" genannt wird. Wie weit damals bereits der Grad seiner Gewandheit auf dem Pianoforte vorgeschritten war, beweist der von ihm in jenen Abendunterhaltungen unternommene Vortrag der Alexandervariationen von Moscheles, so wie der Variationen über "Ich war Jüngling" etc. von Herz17. Diese auf eigene Hand hin gewagten Debüts zogen ihm aber dermaßen den Unwillen seines Musiklehrers zu, der überhaupt nicht den geringsten Antheil an den musikalischen Vorgängen in Schumann's elterlichem Hause nahm, daß derselbe erklärte, er wolle den Unterricht nicht weiter fortsetzen: Robert könne sich nun schon allein fortbilden.

Im Grunde war mit diesem Vorfall kein Nachtheil für den Kunstjünger verbunden; denn da er den Rath seines Lehrers ganz und gar nicht in Anspruch nahm und vollkommen nach eigenem Gutdünken in musikalischen Dingen verfuhr, jener aber erklärte, Robert bedürfe seiner nicht mehr, so war es ganz gleichgültig, ob dieser Unterricht noch länger fortgesetzt wurde oder nicht.

Daß übrigens der alte Kuntzsch trotz seines von einer gewissen Pedanterie nicht freien Wesens Schumann's musikalische Begabung richtig zu taxiren verstand, beweist ein Brief18, welchen derselbe unterm 9. Decbr. 1830 an unsern Meister aus Anlaß von dessen Uebertritt zur künstlerischen Laufbahn richtete. Derselbe lautet wörtlich: "Die Nachricht, die ich von Ihrer Frau Mutter vor einigen Wochen erhielt, daß Sie die Jurisprudenz verlassen und sich ausschließlich der Kunst, besonders der Musik widmen wollten, hat mich auf das Angenehmste überrascht. Gern hätte ich Ihnen meine Freude über Ihren Entschluß sogleich wissen lassen, wenn mich nicht Ihre gute Mutter noch durch die Vorstellung und Versicherung abgehalten hätte, daß Sie in jenem Augenblick Heidelberg bereits verlassen, und die Reise nach Leipzig angetreten haben würden. Sie sind wie ich höre, seit Kurzem glücklich dort angekommen, und betreiben Ihr Kunststudium unter der Leitung von Männern, die mit Gründlichkeit zugleich seinen Geschmack verbinden, und deren Meisterschaft in der Künstlerwelt längst anerkannt ist. Denke ich mir nun zu diesen glücklichen Umständen Ihr herrliches Musiktalent, Ihre lebhafte Phantasie, Ihre glühende Liebe zur Tonkunst, die sich schon mit frühester Jugend so kräftig zeigte, und Ernst, Eifer und ausdauernde Beharrlichkeit, mit welcher Sie Ihr Ziel verfolgen: – so ist es wohl keinem Zweifel unterworfen, daß bei einem solch glücklichen Zusammentreffen äußerer und innerer Hülfsmittel nur die schönsten Resultate zu erwarten sind, daß die Welt in Ihrer Person einen der ersten Künstler mehr zählen, und Ihre Kunst Ihnen ganz sicher viel Ehr' und Unsterblichkeit verschaffen wird. Dieß, verehrter Freund, ist meine feste Ueberzeugung.

Was Sie jetzt laut erklärt haben, habe ich im Geiste schon längst kommen sehn, und auch Ihre Frau Mutter bei jeder Gelegenheit – doch mit Vorsicht und nur mit entfernter Anspielung – darauf vorzubereiten gesucht. Das kaltherzige Jus würde sich nie mit Ihrer regen Phantasie haben amalgamiren können; das Thun und Treiben von jenem ist Ihrem ganzen Wesen zu sehr entgegen."

August Schumann, der gleichsam aus der Ferne dem bisherigen Treiben seines Sohnes zugesehen, doch aber durch dessen öfter wiederholte Anläufe zum Produciren19 aufmerksamer geworden war, mochte mehr und mehr die Ueberzeugung gewinnen, daß Robert von der Vorsehung zum Musiker bestimmt sei. Diese Ansicht fand indeß den heftigsten Widerstand bei seiner Gattin. Ohne alles Interesse für die Musik, vermochte sie eben so wenig die Begabung ihres Kindes zu würdigen, als sich über die kleinlichen Vorurtheile hinwegzusetzen, welche damals noch häufig in gewissen Ständen gegen den künstlerischen Beruf herrschten. Sie erinnerte vielmehr ihre Umgebung an die materielle Bedrängniß Mozart's und anderer Meister, und wies den Liebling dann um so nachdrücklicher auf die Nothwendigkeit eines sogenannten Brodstudiums hin. Wie fest und unveränderlich sie an dieser Meinung noch lange Jahre hielt, wird die weitere Darstellung zeigen.

Trotz alledem that der Vater Roberts einen entscheidenden Schritt in dieser Angelegenheit. Er wandte sich nämlich brieflich an Carl Maria v. Weber mit der Bitte, die musikalische Leitung und Ausbildung seines Sohnes zu übernehmen20. Der Meister war erbötig, darauf einzugehen, allein zu einer Verwirklichung dieses Planes kam es nicht. So erhielt denn Robert in der Folge nur "eine gewöhnliche Gymnasialbildung, nebenbei mit ganzer Liebe seine musikalischen Studien verfolgend, und nach Kräften selbst schaffend", wie er sich später einmal ausdrückt. Freilich war mit diesem autodidaktischen Beginnen der nicht zu übersehende und schwer in die Waagschale fallende Umstand verbunden, daß er in einem Alter, wo Geschmack und Urtheilskraft weder geregelt noch befestigt sind, sich selbst überlassen blieb. Er hatte Niemand, dessen Anleitung und Rath ihm zu Statten gekommen wäre, und hing so, ohne es zu ahnen, in allen seinen musikalischen Unternehmungen von Willkür und Zufall ab.

Doch nicht allein, daß ihm die leitende und stützende Hand des Meisters oder eines in musikalischen Dingen einsichtsvollen Mannes fehlte, er war auch gleichzeitig den Gefahren der Eitelkeit ausgesetzt, die schon manches bedeutende Talent zu Grunde gerichtet hat.

Robert fand im Hinblick auf seine angeborene Begabung weder unter den Aelteren noch Jüngeren seines Wohnorts einen ebenbürtigen Rivalen; seine Gewandtheit und Fertigkeit auf dem Pianoforte kann um jene Zeit nicht mehr unerheblich gewesen sein. Schon begann er, wie man gesehen hat, in größeren Kreisen als Clavierspieler sich hören zu lassen, wodurch er die allgemeinste Aufmerksamkeit, ja sogar Aufsehen erregte. Was Wunder nun, wenn die bei solchen Veranlassungen ihm gezollte kleinstädtische Bewunderung Glauben und Zuversicht in ihm erzeugte und befestigte, er sei auf dem rechten Wege und bedürfe eines Studiums unter fremder Leitung fernerhin nicht mehr, zumal sein bisheriger Lehrer ihm keine zu hohe Meinung von der Nothwendigkeit eines regelnden und bildenden Unterrichts beigebracht hatte? Und in der That, wie sich zeigen wird, experimentirte Schumann später, in mancher Beziehung der Einsicht und den Rathschlägen Sachverständiger widerstrebend, auf eigne Hand hin zu seinem Schaden. Auf der einen Seite büßte er dadurch den freien Gebrauch seiner rechten Hand beim Clavierspiel ein, auf der andern Seite wurde er länger als wünschenswerth, von dem ernsten und schulgerechten Studium des theoretischen Theiles der Kunst zurückgehalten. Bei alledem ist und bleibt es wahrhaft bewundernswerth, zu welcher Höhe der Leistungen Schumann endlich noch im Gebiete der Composition sich erhob; ein Umstand, der einen um so schlagenderen Beweis für seine reiche produktive Kraft liefert.

Wir haben das Leben Robert Schumann's bis zum Jünglingsalter betrachtet. Der Eintritt in dasselbe war von eigenthümlichen Erscheinungen begleitet, die zur Hauptsache wohl durch den Prozeß der Evolutionsperiode, so wie des Einflusses derselben auf Körper und Gemüth erzeugt wurden. Denn während Robert als Knabe stets einen überwiegend heitern Charakter gezeigt hatte, und in Folge dessen gern die Gelegenheit ergriff, in neckender Weise durch Jugendstreiche Kameraden und Dienstleute, vorzugsweise aber seine Schwester zu überraschen, verkehrte sich im Laufe des vierzehnten Lebensjahres sein Wesen fast in das Gegentheil von alledem. Alles deutet von hier ab auf ein mehr verschlossenes, innerliches Leben. Der heranreifende Jüngling wurde sinnender, schweigsamer und zeigte überhaupt jenen Hang zu Träumerei, der hemmend für den Verkehr, nicht sowohl mit Geistern als mit Menschen ist.

Diese äußere Passivität, welche Schumann bekanntlich das ganze Leben hindurch nicht verließ, bewirkte sofort ein gewisses Ansichhalten und den Mangel eines offenen rückhaltlosen Verkehrs mit seines Gleichen. Wohl nahm er gewisse, mit der Beschaffenheit seines inneren Naturells harmonirende Eindrücke seiner Umgebung, wie überhaupt der Außenwelt in sich auf, und assimilirte sie seiner Natur gemäß, während er alle solche Einflüsse von sich wies, die ihm eine mannichfaltigere Bereicherung und Entwickelung hätten gewähren können, aber zugleich ein bequemes und in sich selbst verharrendes Sichgehenlassen seines Innern gestört haben würden. Wie er sich exclusiv gegen ihm nicht convenirende Elemente zeigte, so verhielt sich auch seine Natur bei dem, was sie in sich aufnahm, äußerlich passiv. Von einer kräftigen, wahrnehmbaren Rückäußerung der in ihm arbeitenden Gegensätze wurde man daher im Verkehr mit ihm wenig gewahr, und so mußte er denn oft theilnahmlos, zerstreut und indolent erscheinen.

Diese Beobachtung konnten selbst die seinem Herzen Nächststehenden machen. Um diese Zeit gehörten zu denselben vor Allem seine Schwägerin Therese, Gattin seines ältesten Bruders Eduard21, an die ihn ein langjähriges sehr innig befreundetes Verhältniß fesselte, und zwei seiner Schulkameraden, Röller22 und Flechsig23. Die beiden Genannten namentlich, von denen Robert als seinen treuesten und anregendsten Freund Emil Flechsig bezeichnet, zogen ihn durch die gleiche Neigung zur Literatur besonders an, und mit ihnen vereint wurden häufig die bedeutenden Vorräthe der väterlichen Buchhandlung durchmustert, wobei Sonnenberg und Schulze, zu den Lieblingsschriftstellern erkoren, den Maßstab zur Auswahl und Beurtheilung an die Hand gaben. Auf diesen Verkehr bezüglich schreibt Röller an seinen Freund Flechsig nach Schumann's Tode: "ob man gleich oft mit ihm (nämlich mit Schumann) zusammen gewesen ist, kann man doch eigentlich nicht viel von seinem innern Wesen sagen, er war nicht so klar und offen, daß er sich ganz decouvrirt hätte und durchsichtig geworden wäre".

Unter den wechselseitigen Einflüssen der fortschreitenden Gymnasialbildung, des geschilderten Musiktreibens und des Studiums schönwissenschaftlicher Schriften, von denen erotische Dichtungen bevorzugt wurden, kam das sechzehnte Jahr heran. Von hier an beginnen allgemach die Conflicte des Daseins den zu einem stillen, schwärmerischen Jüngling herangewachsenen Knaben zu berühren; es erschien ihm die erste bedeutungsvolle Zeit seines Lebens.

Zwei Ereignisse entgegengesetzter Art waren es, die mit bisher ungekannter Macht in das Innere Roberts griffen und ihn zu höherem Bewußtsein seiner selbst erweckten: der am 10. August 1826 erfolgte Tod seines Vaters24 und – eine erste, gleichwohl, wie es scheint, nicht lange ausdauernde zarte Neigung. Wie mag da unter den widersprechenden Gefühlen von Schmerz und Freude das jugendliche Herz bewegt worden sein! Und so starke Impulse bewirkten diese Erlebnisse, daß Robert sich nach längerer Ruhe wieder zu musikalischen und poetischen Erzeugnissen gedrängt fühlte, denen nach einmaligem Anstoß bald mehrere folgten. Die ferneren Anregungen zu denselben empfing er durch eine musikkundige Dilettantin, welche während des Sommers 182725 in Zwickau verweilend, vermöge ihres angenehmen Gesanges große Anziehungskraft auf Robert ausübte. Sie war Verwandte des Carus'schen Hauses, und Gattin eines damals zu Colditz in Sachsen lebenden Dr. med. Carus, des nachmaligen Professors der Medicin an den Universitäten zu Leipzig und Dorpat. Mit dieser nun gab er sich, seiner Aeußerung zufolge, einer förmlichen Musikschwärmerei hin, die ihn zu eigenen Produktionen im Bereich des Liedes antrieb. So entstanden in dieser Periode eine Anzahl Gesänge auf Byron'sche, Schultze'sche und selbstverfaßte Gedichte26. Um aber diesen erregten Zustand Roberts vollständig zu machen, mußte noch die Bekanntschaft der Jean Paul'schen Schriften hinzukommen. Es war im wörtlichen Sinne die "Jean Paulzeit" mit ihrer ganzen Ueberschwänglichkeit über ihn hereingebrochen, und was dies heißen will, wird jeder nachzuempfinden vermögen, der sich als Jüngling etwa in einer ähnlichen Lage befunden hat.

Man sollte glauben, nach so mannichfachen naturwüchsigen und im Drange wechselnder Ereignisse abgelegten Proben schöpferischer Begabung, hätte Roberts Mutter bei verständiger Berathung leicht einen seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Lebensplan entwerfen können. Nichtsdestoweniger und obschon Robert den Wunsch, der Musik ganz anzugehören, inzwischen sogar durch öffentliches Auftreten als Clavierspieler27 an den Tag gelegt hatte, vermochte sie sich nicht davon zu überzeugen, daß er der Kunst bestimmt sei. Sie sah, in ihrer ursprünglichen Meinung durch Roberts Vormund, den Kaufmann Rudel in Zwickau bestärkt, vielmehr gänzlich davon ab, ihrem Sohne nach der nahe bevorstehenden Absolvirung des Gymnasiums ein berufsmäßiges Kunststudium zu gestatten. Lediglich wollte sie dessen Musiktreiben als dilettantische Unterhaltung betrachtet wissen, hatte auch in diesem Sinne nichts gegen die Fortsetzung desselben, glaubte aber zugleich ihre zärtliche und besorgte mütterliche Liebe durch nichts besser zu bethätigen, als durch die dringliche Anempfehlung eines sogenannten Brodstudiums, in dem sie das ganze Heil für die Zukunft ihres Kindes erblickte. Robert, noch durch tausend Fäden kindlicher Ergebenheit und Zuneigung gerade an die Mutter gefesselt, fügte sich für den Augenblick ihren Wünschen. Demzufolge ging er im März 1828 nach Leipzig, um das Nöthige für einen längeren Aufenthalt daselbst vorzubereiten und seine Immatriculation auf der Universität als Stud. jur. zu bewerkstelligen, welche am 29. März28 erfolgte. Hier begrüßte er seinen, auf dem Gymnasium ihm vorangeeilten Freund Emil Flechsig als Studiosus der Theologie, mit dem er das Abkommen einer gemeinschaftlichen Wohnung traf, sowie den Stud. jur. Moritz Semmel29, Bruder seiner Schwägerin Therese. Durch den Letzteren machte er die bald zu einem Freundschaftsbund Veranlassung gebende Bekanntschaft mit dem Stud. jur. Gisbert Rosen30. Beide fühlten sich nämlich gegenseitig lebhaft angezogen durch ihre unbegrenzte Verehrung für Jean Paul, der so leicht in Jünglingsgemüthern eine gehobene, zu enthusiastischen Freundschaftsbündnissen geneigte Stimmung erweckt. Da beiderseitig sich schnell das Bedürfniß eines längeren Zusammenlebens aussprach, Rosen aber zu Ostern 1828 die Universität Leipzig mit Heidelberg zu vertauschen im Begriff stand, so lud Schumann den neugewonnenen Freund ein, seinen Weg nach Heidelberg mit dem Umwege über Zwickau zu nehmen und einige Zeit im elterlichen Hause zu verweilen. Rosen folgte dieser Einladung, und man traf sich nach Verlauf von ein paar Wochen in Schumann's Geburtsstadt, nachdem letzterer vorher noch einen Abstecher über Teplitz nach Prag gemacht, wo seine Mutter sich besuchsweise aufhielt. Der werthe Gast verweilte, bis Robert sein Abiturientenexamen abgelegt hatte, und ließ sich dann von demselben auf seiner Reise nach Heidelberg bis München begleiten.

In Schumann's Vaterhause stand man damals gerade im Begriff, ein Familienfest zu feiern. Es war die Vermählung des zweitältesten Bruders, Julius Schumann. Bei dieser Gelegenheit gab Robert denn auch wieder Beweise seines poetischen Talents durch ein Hochzeitsgedicht für seinen Bruder Julius, welches er trotz der Unruhe, in die ihn das Maturitätsexamen versetzt hatte, eines Abends vor den Augen seines gerade anwesenden Freundes Rosen in kurzer Zeit niederschrieb31. Uebrigens war diese am 15. April 1828 vollzogene Hochzeit von einem seltsamen, die Herzen erschütternden Ereigniß begleitet, welches namentlich auf Robert den nachhaltigsten Eindruck hervorbrachte. Die Trauung sollte auf einem Dorfe, drei Stunden von Zwickau, vollzogen werden. Dort stürzte aber der Geistliche, dem die Vollziehung der Feierlichkeit oblag, in dem Augenblicke vom Schlage gerührt todt zur Erde nieder, als er sich anschickte, mit dem Brautpaar aus der Predigerwohnung nach der Kirche zu gehen. In Folge dieses Unglücksfalles übernahm der anwesende Vater der Braut, Superintendent Lorenz die Vollziehung der kirchlichen Einsegnung.

Das Abiturientenexamen war endlich glücklich überstanden und so glänzend ausgefallen, daß Robert mit dem Zeugniß der Reife Ib. zur Universität entlassen wurde. Die hierüber in Schumann's Familie herrschende Freude wurde nur in etwas durch dem Umstand gedämpft, daß der angehende Student bei dem mit der Entlassung verbundenen öffentlichen feierlichen Schulakte, im Vortrag des von ihm selbst verfaßten Gedichtes "Tasso's Tod" stecken blieb. So zeigte er bereits als Jüngling schöpferische Kraft, aber einen Mangel der Fähigkeit, dieselbe nach Außen glatt zur Wirkung zu bringen.

Die beiden jungen Freunde begaben sich sehr bald auf die schon erwähnte Reise; sie wurde mit der damaligen, Nachts durch Zwickau gehenden Eilpost angetreten, zunächst nach Bayreuth. Hier einen Tag zu verweilen, mochten die Jean-Paul-Schwärmer sich nicht versagen, um alle durch den Dichter denkwürdig gewordenen Plätze zu besuchen, vor allem das Grab Jean Pauls, die "Phantasie" und die "Eremitage". Auch wurde der in der Nähe wohnenden alten Rollwenzel gedacht, die gründlich referiren mußte.

Von Bayreuth ging's über Nürnberg nach Augsburg, wo wiederum Rast gehalten wurde. Hierzu lag gleichfalls eine besondere Veranlassung vor, die diesmal indeß keinem Todten, sondern Lebenden galt. Schumann hatte nämlich eine Empfehlung an den als Chemiker seiner Zeit nicht unbekannten Dr. v. Kurrer32 in Augsburg abzugeben, dessen Gattin aus Zwickau war. – Dies gab Veranlassung, daß die beiden Reisenden mehrere Tage in dem gastlichen Hause des Genannten verweilten. Schumann ließ sich diesen extemporirten Aufenthalt um so lieber gefallen, als er sehr schnell eine lebhafte Neigung für die schöne, tiefblauäugige Tochter seines liebenswürdigen Wirthes faßte, die ihn auch längere Zeit nachher noch beschäftigte, allerdings ohne weiteren Erfolg, da Clara, so hieß das Mädchen, bereits einen warmen Verehrer hatte, mit dem sie auch später eine Verbindung einging. Der Letztere war aber so großmüthig, sich bei Schumann, der als junger Mann kein ungefährlicher Nebenbuhler war, statt jeder Animosität durch eine Empfehlung an H. Heine (damals in München), zu revanchiren, welcher v. K. eine andere an den Maler Clemens Zimmermann hinzufügte.

In München eilten die beiden jungen Männer diese Empfehlungen zu überreichen. Namentlich brannten sie vor Begierde, H. Heine, der damals im Erstlingskranze seines Ruhmes strahlte, und dessen Reisebilder und Buch der Lieder eben von der heranwachsenden Generation verschlungen wurden, persönlich kennen zu lernen. Er bewohnte ein schönes Gartenzimmer, dessen Wände durch Gemälde der damals in München lebenden Künstler reich geschmückt waren. Der hochbegabte Dichter entsprach ganz dem Bilde, welches die fremd eintretenden Genossen nach seinen Schriften sich von ihm gemacht hatten; was noch etwa daran fehlte, wurde durch die sarkastische, beißend-witzige Ausdrucksweise Heine's, der er freien Zügel ließ, sehr bald ergänzt. Schumann verweilte mehrere Stunden bei Heine, während Rosen sich verabschiedete, um einen Landsmann aufzusuchen. Alle Drei trafen sich aber in der Leuchtenberg'schen Gallerie wieder, wo den beiden Fremdlingen fortgesetzte reichliche Gelegenheit geboten wurde, die scurrilen Einfälle Heine's, dessen Laune sich als eine unerschöpfliche zeigte, theils zu bewundern, theils zu belachen.

Der Besuch bei Zimmermann war, wenn auch in anderer Weise als bei Heine, nicht minder ergiebig. Die jungen Leute fanden dort eine sehr zuvorkommende liebevolle Aufnahme, mit bewirkt durch einen Vortrag Schumann's auf dem Pianoforte, und es wurde ihnen der hohe Genuß zu Theil, die Cartons des Meisters zu den Gemälden in der Glyptothek, sowie auch die letztere selbst zu sehen.

Nachdem noch alles sonst Denkwürdige der bairischen Residenz gemeinsam in Augenschein genommen war, trennten sich die Freunde am 2. Mai. Rosen nahm seinen Weg über Augsburg nach Heidelberg, nicht ohne ein zartes Andenken von Schumann an die Schöne; der letztere begab sich über Regensburg zunächst wieder nach seiner Heimathsstadt, um für längere Zeit von derselben Abschied zu nehmen. Dies geschah sehr eilig, wie aus einem Briefe Schumann's an den Freund Rosen ersichtlich ist. Er lautet:

Leipzig, den 5. Juni 1828.

Mein theurer Rosen,

Heute ist der 19. Juni, so lange hat es leider gedauert, daß ich den Brief fortsetzen konnte. Ach! wer doch mit Dir in Heidelberg wäre. Leipzig ist ein infames Nest, wo man seines Lebens nicht froh werden kann – das Geld macht reißende Fortschritte und mehr als man in den Hörsälen machen kann – eine Bemerkung, die geistreich genug aus dem Leben zu greifen ist und noch dazu aus meinem. Hier sitze ich nun ohne Geld, im stummen Vergleichen der Gegenwart mit den jüngst verflossenen Stunden, die ich mit Dir so innig, so heiter verlebte und bleibe sinnend vor Deinem Bilde stehen und vor dem komischen Schicksal, welches die Menschen auf so entgegengesetzten Wegen zusammenführte, vereint und wieder von einanderreißt. Du sitzest vielleicht jetzt auf den Ruinen des alten Bergschlosses und lächelst vergnügt und heiter die Blüthen des Juni an, während ich auf den Ruinen meiner eingesunkenen Luftschlösser und meiner Träume stehe und weinend in den düstern Himmel der Gegenwart und der Zukunft blicke. Himmel! Dieser Brief scheint ja entsetzlich ernst zu werden und das soll er bei Gott nicht, melancholische Gesichter wie Deines müssen aufgeheitert werden und meinen melancholischen Ernst will ich für mich behalten.

Meine Reise über Regensburg war verflucht ennuyant und ich vermißte Dich nur zu sehr in jenem erzkatholischen Strich. Ich mache nicht gerne Reisebeschreibungen und vollends solche, welche unangenehme Gefühle aufrühren, die besser in der Erinnerung unterdrückt werden. Es reiche hin, Dir zu sagen, daß ich recht innig an Dich dachte, daß mir das Bild der lieblichen Clara im Traume und im Wachen vor Augen schwebte, und daß ich recht herzlich froh war, als ich meine gute Heimathsstadt Zwickau wieder sah. Alle waren bestürzt, daß ich nur drei Stunden bleiben wollte, denn in Zwickau hatte noch kein Mensch etwas von Nürnberg, Augsburg, München gehört, geschweige denn etwas davon gesehen; Alle wollten deshalb was erzählt haben; ich aber war unerbittlich, drückte mich nach drei Stunden, die ich dort blieb, in die Ecke des Postwagens und – weinte recht innig, und dachte über Alles nach, was mir schon vom Herzen gerissen ward und noch zertrümmert vor mir liegt, und sann über mein wildes Schlaraffenleben nach, was ich seit acht Wochen geführt hatte und leider jetzt noch führe. Du irrst Dich gewaltig, wenn Du glaubst, ich sei liederlich – nicht die Probe – ich bin ordentlicher denn je, aber ich befinde mich hier ganz erbärmlich und das Studentenleben scheint mir zu niedrig, als daß ich mich hineinstürzen möchte. Ich war nicht übel Willens Dir meine Gedanken über Burschenschaft u.s.w. zu entwickeln aber sie sind das Briefporto nicht werth, was Dich ohnehin schon 8 Gr. 6 Pf. kostet.

Mein angenehmer Rosen, wie geht es Dir denn? Heute ist herrliches Wetter, gestern war ich im Rosenthale und trank eine Tasse Kaffee! Ich bin heute ganz entsetzlich lustig, wenn Dich das interessirte, aus dem einfachen Grunde weil ich kein Geld habe und es alte Mode ist, fideler zu sein, als wenn man welches hat. Angenehmer Rosen, ich frage noch einmal, wie befindest Du Dich denn – es ist schrecklich acht gute Groschen zahlen zu müssen, um dies zu erfahren. Aber es geht nicht anders, die Welt haut sich gegenseitig über die Eselsohren und so kommt Gleichgewicht heraus. Und doch freut jede Zeile, jeder Brief von Dir innig und ich will gern bezahlen, wenn ich nur von Dir Briefe erhalte.

– – – – Semmel läßt Dich herzlich grüßen, er bekümmert sich wenig um die Burschenschaft und lacht sarkastisch über die schweblichen nebligen Begriffe von Volksthum, Deutschthum, und die inflammirten Burschen ärgern sich darob gewaltig. Ach! welche Ideale machte ich mir von einem Burschen und wie armselig fand ich sie meistens. – Jetzt gehe ich sachte zum ernsthaften Capitel meines Briefes über und den ganzen Aufenthalt in Augsburg und Deinen in Zwickau und Gera33 trägt mir der Genius der Freundschaft vor die sehnsüchtigen Augen. Ach, daß doch jede glückliche Minute sich selbst mordet!

Auf der Rückreise über Bayreuth besuchte ich, durch die Güte der alten Rollwenzel, Jean Paul's Wittwe und bekam von ihr sein Bild. Wenn die ganze Welt Jean Paul läse, so würde sie bestimmt besser aber unglücklicher – er hat mich oft dem Wahnsinn nahe gebracht34, aber der Regenbogen des Friedens schwebt immer sanft über alle Thränen und das Herz wird wunderbar erhoben und mild verklärt.

Mit diesem Brief gehen zwei nach Augsburg an den Doctor (v. Kurrer) und an Clara ab, und Du kannst nicht verlangen, daß ich mich nach solchen erschöpfenden Ergießungen noch ferner ergießen soll. Clara's Bild – – Lebe denn glücklich! jeder Genius des Menschen sei mit Dir und der der Freudenthränen begleite Dich ewig! Behalte aber auch den Freund lieb, der nur wenige Minuten mit Dir zusammen lebte, aber das recht innig und froh und Dich von Herzen lieb gewonnen, weil er in Dir einen menschlichen, weichen und doch kräftigen Jüngling fand. Vergiß die schönen Stunden nie, die wir zusammen lebten und bleibe so menschlich, so gut wie Du es jetzt bist. Antworte bald.

Dein

R. Sch.

Es ergiebt sich aus der ganzen Gemüthstonart dieses Briefes, wie tief die Jean Paul'sche Stimmung in die beiden Freunde, und besonders in Schumann, eingedrungen war. Die forcirte Empfindung, die sich namentlich gern in überschwenglichen Aeußerungen ergeht, und sich nie genug thun zu können glaubt, ließ ihn zu einem Ausdrucke greifen, wie der "der Genius der Freudenthränen begleite Dich ewig"; und es ist nicht zu verkennen, daß, wie in den Jean Paul'schen Dichtungen die Musik eine so bedeutende Rolle spielt, so auch jene Uebergewalt der Empfindung gern zum musikalischen Ausdrucke greift. Dieser Jean-Paulismus bleibt ein Grundzug im Empfinden und Schaffen Schumann's, zu dem sich dann später andere Elemente hinzugesellten.

Zur Erklärung der in diesem Briefe berührten studentischen Angelegenheiten sei hinzugefügt, daß Schumann nach seiner Ankunft in Leipzig in die Burschenschaft eintrat, welcher sein schon erwähnter Studienfreund Moritz Semmel gleichfalls angehörte. Beide gaben aber, als dieselbe bald nachher fremdartige Tendenzen zu verfolgen anfing, ihre Mitgliedschaft auf, und traten zu der regenerirten Verbindung "Marcomannia" hinüber. Doch hatte dieser Verband für Schumann keine weitere Bedeutung als die, gelegentlich mit seinen Genossen, um studentisch zu sprechen, in der "Kneipe" oder auf dem Fechtboden zusammenzutreffen.

Der angedeutete Geldmangel, in welchen Schumann, wie man sehen wird, späterhin noch öfters gerieth, wurde mittlerweile durch eine Sendung seines Vormundes gehoben, welcher es zugleich an väterlichen Ermahnungen, dem erwählten Studium der Rechtswissenschaft treu zu bleiben, nicht fehlen ließ. Schumann's Antwort hierauf war folgende:

Leipzig, den 4. July 1828.

Ew. Wohlgeboren

sage ich meinen verbindlichsten Dank für das übersandte Monatsgeld – – –. Sein Sie versichert, daß ich das Geld nur auf die beste Weise verwenden werde, und daß ich durchaus keine unnöthigen Ausgaben damit bestreite.

Die Jurisprudenz habe ich ganz gewiß als mein Brotstudium erwählt, und will fleißig in ihr arbeiten, so eiskalt und trocken auch der Anfang ist.

Nehmen Sie meine innigsten Wünsche für Ihr Wohl und Ihre Gesundheit und sein Sie versichert, daß ich mit der schuldigsten Hochachtung verharre

Ew. Wohlgeboren

dankbar ergebener

Robert Schumann.

Wie wenig indessen Schumann seine entschiedene Abneigung gegen das juristische Studium zu überwinden vermochte, erhellt aus einem bald darauf an den Freund Rosen gerichteten Schreiben. Dasselbe giebt zugleich Aufschlüsse über sein weiteres Leipziger Leben. Es lautet:

Mein theurer Rosen,

es muß eine verdammt komische Freude sein, mein Sanscritt zu lesen, drum geb' ich mir heute Mühe recht schön zu schreiben, und mache eine Regel von der Ausnahme, weil in der Regel Poeten und Clavierspieler eine Hundepfote schreiben d.h. so wie ich. Jetzt geht der eigentliche Brief los und die captatio benevolentiae ist vorausgesandt.

Mein angenehmer Rosen, o der glücklichen Zeiten, da wir noch beisammen waren, denn mit unserer Trennung fing meine Herrlichkeit an, nämlich mein Studentenleben. Aber wie hab ich's gefunden, keine Rosen im Leben und keinen Rosen unter den Menschen. Ich fliege manchmal, sei es nun im Jean Paul oder am Clavier, das wollen die hiesigen Deutschthümler35 nicht dulden. Flug-Menschen oder Luftschiffer verhalten sich überhaupt zu den Sitzfleisch-Menschen wie Bienen. Wenn sie fliegen, so thun sie keinem Menschen Etwas zu Leide, sobald man sie jedoch an den Blumen antasten will, so stechen sie! Steche ich nun auch nicht, so schlag' ich doch mit Händen und Füßen aus, um einmal jene schweblichen Begriffe von Volksthum etc. in's Bockshorn zu jagen. Götte36 außer Semmel und Flechsig ist der Einzige, mit welchem ich näher befreundet bin. An den Andern ist nicht viel und ich bekümmere mich wenig um sie, höchstens um Schütz und Günther, wenn sie nur nicht so einseitig wären.