Rosa Straußenfedern - Hanna Krall - E-Book

Rosa Straußenfedern E-Book

Hanna Krall

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Beschreibung

In Briefen, Fragmenten, Zetteln und Erzählungen reflektiert der Band das Leben der polnischen Autorin in den letzten 50 Jahren. Die langen Schatten des Zweiten Weltkriegs, die Mühen der Volksrepublik, das Jahr 1968, die Ereignisse um die Gewerkschaft Solidarnosc und das Ende des Ostblocks schlagen sich darin ebenso nieder wie persönliche Ereignisse in ihrer Familie, langjährige Freundschaften, Konflikte mit der Zensur und zahlreiche Begegnungen mit den Protagonisten ihrer Reportagen. Das Buch liest sich als Sammlung verschiedener Geschichten, aber auch als eine sehr persönliche Chronik. Es beginnt mit der Geburt der Tochter und endet mit dem Brief ihres Enkels aus Kanada. Zu Wort kommen Freunde und Arbeitskollegen wie Krzysztof Kieslowski, Marek Edelman, Mieczyslaw Rakowski, Adam Boniecki, Jan Kott und Leszek Kolakowski. Aber auch viele Unbekannte, die sich an die Autorin wenden, um von ihrem Leben zu berichten. Wie so oft bei Hanna Krall kommt das Bedeutende leise und unmerklich daher. In einfacher Sprache spricht sie über Vorfälle von großer Bedeutung. Ein Zettel auf dem Tisch, ein Brief aus dem Schullandheim oder ein anonymes antisemitisches Schreiben kennzeichnen den Zustand der Republik bzw. ein bestimmtes Jahr. Ein Buch voller Rätsel. Oft lässt sich zwischen zwei Sätzen ein weiterer erahnen. Zunächst Unverständliches fügt sich unmerklich zu einem erkennbaren Ganzen zusammen, der inneren Welt des Schreibens von Hanna Krall.

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Hanna Krall

 

Rosa Straußenfedern

 

 

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann

 

 

Verlag Neue Kritik

Die polnische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Różowe strusie pióra« im Verlag »Świat Książki« in Warschau.

 

 

Der Verlag dankt dem »Book Institut – 

the ©POLAND Translation Program«

für die Förderung der Publikation.

 

 

© 2009 by Hanna Krall

Alle deutschsprachigen Rechte Verlag Neue Kritik

Die Printausgabe erschien 2012 im Verlag Neue Kritik© für die E-Book-Ausgaben Verlag Neue Kritik 2014

Umschlag Barski & Hüneke unter Verwendung

einer Fotografie von Maciej Rusinek

E-Book Erstellung: Madeleine Schmorré

ISBN 978-3-8015-0530-1 (epub)ISBN 978-3-8015-0531-8 (mobipocket)ISBN 978-3-8015-0532-5 (pdf)www.neuekritik.de

INHALT

1960er Jahre

1970er Jahre

1980er Jahre

1990er Jahre

2000er Jahre

Alphabetisches Verzeichnis der Briefautoren und Gesprächspartner

Anmerkungen

Klappentext

Dies ist ein Buch über das,

was mir Menschen

in fünfzig Jahren

schrieben und erzählten.

1960

JADWIGA K., Buchhalterin

 

Sie schreibt ins Spital, in die Geburtsklinik. Sie sendet mütterliche Grüße, Segenswünsche und Fisch auf jüdische Art, Dein Töchterchen soll ihn mit Deiner Milch aufsaugen (der Fisch ist nicht gepfeffert), möge es Eurer Gesundheit dienen.

1962

MARIA P., eine Freundin

Über ihren Mann

 

Sie hat erfahren, dass er ernstlich krank ist. Der Arzt sagt, man werde tun, was man nur könne, dasist alles, sonst war nichts.

1963

MARIA P.

Über den Mann

 

Man hat getan, was man nur konnte. Jetzt heißt es, zusehen und abwarten. Das ist alles.

 

 

B. R., Journalistin

Über das Leben

 

Sie war auf Luśkas Hochzeit. Der Verlobte – ein Winzling. Geschieden. Aus Posen. Assistent am Lehrstuhl für Marxismus. Nutriazüchter. Luśka im Spitzenkleid.

Sie war bei Aśka. Hat die Nähmaschine Marke Łucznik bewundert.

Sie wurde für den Austausch mit »Wetschernaja Moskwa« vorgeschlagen, der glawnyj redaktor, der Chefredakteur,wird die Angelegenheit persönlich entscheiden (er sitzt in einem großen Büro, an einem Danziger Schreibtisch, mit schwarzen Ärmelschonern, wie verlässliche Quellen berichten).

Sie hat auf dem Trödel einen Rock gekauft. Handbemalt, eine richtige Glocke, einfach irre. Sie wird damit nach Moskau fahren.

R., Redaktionskollege und Vorsitzender des Klubs der Sejm-Reporter, hat darüber berichtet, dass keine Journalisten zu den Kommissionssitzungen zugelassen werden. Er wurde ins ZK einbestellt und gefragt, ob er nicht zufällig sein Amt niederlegen wolle. Zufällig wollte er.

Der Genosse glawnyj hat negativ entschieden. Morgen geht sie zum FWP1 am Platz der Verfassung, vielleicht bekommt sie eine Zuweisung.

Sie war bei …

1964

JERZY Sz., Journalist

Vom Trawler »Albakora«, Telegramm aus Übersee

 

haben dakar passiert stop in fünf tagen mit einer ladung makrelen in lagos stop die fischer haben anrecht auf 4 stunden ununterbrochenen schlaf pro tag stop auf dem benachbarten trawler ist ein fischer wegen der neuigkeiten von radio moskau2 über die reling gesprungen stop unser funkoffizier verschweigt der besatzung dass sidło3 das finale verpasst hat stop das getrenntsein unterwegs ist fast so quälend wie die abwesenheit von grün stop schreib einen langen brief nach lagos.

 

 

MARIA P.

Über den Mann

 

Ja, er war für sie ein Stück trockenes Land. Sie ist froh, dass ich danach gefragt habe, obwohl sie eigentlich keine Fragen wünscht. Sie ist froh, dass ich mir vorstellen kann, was ein Stück trockenes Land ist. Sie soll etwas für jemanden tun, hat aber vergessen, für wen und was. Sie hat in den letzten beiden Jahren Dinge erfahren, von denen sie nichts wüsste, hätte es diese Jahre nicht gegeben, nur warum muss sie all das unbedingt wissen?

 

 

H. K., operativer Offizier

Über einen erledigten Auftrag

 

Hatte ein Treffen mit IM »Jan Radzicki«. Er berichtete mir, dass er von den Aufgaben, die ich ihm übertragen hatte, eine teilweise erledigt hat, d. i. bezüglich Krall Hanna und ihres Ehemannes. Zur näheren Kontaktaufnahme mit den Zielpersonen suchte er sie in ihrer Wohnung auf, wo er o. g. fotografierte. Er berichtet, dass ihre Wohnung sehr bescheiden eingerichtet ist, man sieht nicht, ob sie über größere Summen verfügen. Sie leben auf durchschnittlichem Niveau. Während seines Besuchs gelang es »Radzicki« nicht, das Gespräch auf politische Themen zu lenken, die eine Charakterisierung der Zielpersonen erlauben würden.

1965

S. L., operativer Offizier

Über das Studium von Fremdsprachen

 

Ich brachte das Gespräch zu Beginn auf den Sprachkurs, zu dem die Genannte für einen Monat nach London gereist war …

Dann fragte ich, ob sie Interviews geführt oder entsprechende Pläne hätte, und wenn ja, mit wem. Gen. verneinte (und verfasste eine schriftliche Erklärung)! Nach dieser Antwort und Entgegennahme der Erklärung fragte ich sie, woher sie General Sosabowski, den Komm. der Brig. der »Leisen Dunklen« kenne und zu welchem Thema sie ihn habe interviewen wollen. Die Genannte erklärte ausführlich, sie habe diesen Sachverhalt vergessen. Sie wollte dann die zuvor abgegebene Erklärung entsprechend ergänzen. Sie versuchte mich dann davon zu überzeugen, dass sie nicht unkorrekt gehandelt habe.

1967

LESZEK K., Professor, Philosoph

Über das Leben4

 

Man sollte davon ausgehen, dass jede Situation, in die wir geraten – die bestmögliche ist. Man sollte Marc Aurel lesen, dessen Lektüre er jedem sehr empfiehlt. Wenn man wissentlich Unmögliches verlangt, gibt es keinen guten Ausweg mehr. Trotzdem ist das Leben nicht nur schrecklich, uns begegnet ja immer wieder auch Gutes oder sehr Gutes, und wenn wir stur darauf beharren, einen Sinn zu finden, dann sind wir eben selbst schuld.

1968

ANONYM

Darüber, dass es reicht

 

Der Bürgerin H. Krall

… muss man wie tausenden anderen Juden sagen: »Nun, bezeugt, dass ihr loyal seid, nun, vergesst nicht, dass ihr uns euer Leben verdankt.« Die Polen … haben euch Juden gegenüber eine eindeutige Haltung. Sie haben genug von euch, ein für allemal genug!! Egal wen man fragt! Verschwindet mit eurem israelischen Jahwe in euer eigenes Land, das ihr nun endlich habt! Verschwindet und lasst uns in Frieden. In der Bibel heißt es: ihr Blut komme über euch! Und genau das wünsche ich euch auch …

1969

NATALIA J., Lehrerin, Hauptfigur der Reportage

»Ein Stück Brot«5

Aus dem Gebiet Irkutsk. Darüber, dass es immer

besser wird

 

Die Einwohner von Werschina freuen sich, dass Polen von ihnen erfahren hat.

Wenn die Einwohner von Werschina einen wyzow, eine Einladung, nach Polen erhalten, kommen sie gerne zu einem Besuch.

Die Einwohner von Werschina lassen fragen, woran es in Polen mangelt. Ob sich etwa eine Bärenhaut als Geschenk eignet? Der Nachbar hat gerade erst einen Bären erlegt, die Haut liegt herum, niemand will sie kaufen. Er schätzt sie auf fünf Rubel, die teuersten, so der Nachbar, kosten sieben, aber der Bruder ist gekommen und hat sie umsonst mitgenommen. Zenon Mitręga hat auch einen Bären erlegt, aber die Haut in der Taiga gelassen.

Die Kolchosbauern in Werschina haben jetzt ein noch besseres Leben. Fast jeder fünfte hat einen Fernseher, Radio gibt es überall. Der Winter war dieses Jahr kalt, minus achtundfünfzig Grad, aber seit kurzem ist es etwas wärmer. Die Einwohner von Werschina wünschen mir gute Gesundheit.

1 Fundusz Wczasów Pracowniczych – Arbeiterurlaubsfonds (sämtliche Anmerkungen im Text stammen von der Autorin).

2 Gemeint ist die Nachricht vom Wechsel an der Spitze des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der UdSSR: Chruschtschow wurde von Breschnew abgelöst.

3 Jacek Sidło, Speerwerfer, bei der Olympiade in Tokio.

4 Leszek Kołakowski wurde aus der Partei ausgeschlossen und von der Universität Warschau relegiert, kurz darauf verließ er Polen.

5 Die Reportage erschien in der Wochenzeitschrift »Polityka« und im Band »Na wschód od Arbatu« [Östlich vom Arbat].

1970

MAREK J., ehemaliger Funkoffizier

Über Gedanken

 

… Manchmal klingen alle Töne schrill, manchmal ist es genau umgekehrt, die Leute sprechen immer leiser, wie ein verlangsamtes Kassettenband. Ich stelle mir vor, sie hätten ein künstliches Stimmorgan, das hakt. Ein Mensch mit einer Kassettenrekorder-Prothese – haben Sie so etwas je gesehen?

Bei mir hakt das Denken. Ich sehe eine Frau und denke – was hat sie für schwarze Augen, hat sie für schwarze Augen, hat sie für … Ich will aufhören, sage mir, ich muss das Fenster schließen, aber heraus kommt schwarzes Fenster und sie soll die Augen schließen, Augen schließen, Augen schließen …

Das kommt von der Strahlung: Ich habe einen Radar repariert und eine starke Dosis abbekommen. Als ich aus Gabun zurückkam, wollte ich mich von der Unfallkommission untersuchen lassen, aber die Fabrik sagte, ihre Radare seien sicher. Wenn sie sicher seien, könne es keinen Unfall gegeben haben und man brauche die Kommission nicht einzuberufen, sagte man mir beim Arbeitsschutz.

Ich dachte mir – vielleicht haben sie recht? Vielleicht war es nicht der Radar, sondern eine afrikanische Fliege? Sie flog zum einen Ohr rein, durch das Gehirn und auf der anderen Seite wieder raus … Ich erzählte das dem Direktor und er pflichtete mir sofort bei: Eine Fliege, die einem durch das Gehirn fliegt, sei nicht zu unterschätzen.

Dann dachte ich – ich habe bei einem Schamanen Dschu-Dschu-Pulver gekauft, vielleicht hat er mich mit einem bösen Zauber belegt? Auch das erzählte ich dem Direktor, und wieder pflichtete er mir bei: Den Dschu-Dschu-Schamanen müsse man in Betracht ziehen.

Dann dachte ich – es war doch der Radar, die Reparatur hat ja viele Stunden gedauert. Wieder erzählte ich es dem Direktor, aber diesmal wunderte er sich: Der Radar? Kann das denn sein?

Ich werde nach Warschau ziehen und im Hafen von Praga wohnen, auf einem Katamaran nach polynesischem Muster, ich habe schon angefangen zu bauen. Man hat mir eine Stelle in einem Hotel verschafft, eine sehr gute Stelle, als Schuhputzer. Da kann ich nachdenken. Gerade denke ich über eine mathematische Formel für Gruppenkonflikte nach, soll ich sie Ihnen diktieren? Sie ist etwas lang, aber es ist eine wichtige Formel, sie kann die Welt vor Kriegen bewahren, warum wollen Sie sie nicht notieren?

 

 

MIECZYSŁAW F. R., Redakteur

Worüber ich schreiben soll

 

Ich soll mich eingehender und ausführlicher mit der Arbeiterdemokratie auseinandersetzen. Er will erklären, worum es ihm geht. Es droht uns nämlich ein Bündnis von Technokraten, Polizeiapparat und polizeistaatlichen Herrschaftskonzeptionen. Die ökonomische Logik wird sich durchsetzen und alle sozialen Errungenschaften eliminieren, die Ideologie sei nur noch Vorwand, eine Ansammlung von Schlagworten. Natürlich wäre es unklug, das Thema frontal anzugehen, ich solle die Problematik aber – auf vernünftige Weise – wenigstens anschneiden.

1971

JACEK S., Tierarzt

Über die Ungewissheit

 

… Ich habe die Sterberate des Viehs gesenkt, ich habe dem Sekretär einen Kronleuchter geschenkt, ich habe die Brucellosis bekämpft, was noch? Ich habe das Aktiv ins Restaurant »Elektron« eingeladen und Kognak spendiert. (Es zeigte sich, dass wir zu schnell tranken, und der Sekretär belehrte uns, man müsse das Glas zwischen Ring- und Mittelfinger nehmen, mit der Hand wärmen und in kleinen Schlucken trinken. Und natürlich fingen wir an, die Gläser in der Hand zu wärmen und schluckweise zu nippen, ohne Anzeichen von Ungeduld, woher denn, wir beteuerten, erst jetzt den wahren Geschmack zu entdecken.)

Der Sekretär sammelte Antiquitäten. Falls Sie zufällig eine Lampe auf dem Speicher finden …, sagte er einmal nebenbei. Ich hatte keine Lampen, nur zwei ziemlich hübsche Kerzenleuchter, die aber leider nicht ganz mir gehörten. Das heißt, sie gehörten mir, aber sie waren von meiner Schwiegermutter, irgendwer musste ihm davon erzählt haben, und ich weiß wohl auch, wer. Einen hätte ich vielleicht hergegeben, aber als ich mir den Blick meiner Schwiegermutter vorstellte, fuhr ich gleich zu »Desa« und kaufte einen Kronleuchter. Der gefiel ihm, aber wie sich zeigte, dachte er an etwas zum Hinstellen. Ich sagte: Die Kerzenleuchter meiner Schwiegermutter kommen nicht in Frage, das müssen Sie verstehen. Er empörte sich, aber woher denn, davon ist doch keine Rede.

Ich habe ihm einen Welpen abgekauft. Mit Stammbaum, für fünfhundert. Und – wie gesagt – kein anderer Tierarzt hatte vergleichbare Ergebnisse bei Tuberkulose und Brucellosis. Und anders als die Genossen brachte ich meine privaten Pflaumen nicht in die LPG, um sie kostenlos weiterverarbeiten zu lassen. Und ich kaufte keine No-Iron-Hemden zum Sonderpreis, obwohl ich den Direktor der Städtischen HO Textil gut kannte. Und ich führte Gespräche mit Fabrikarbeitern, um ihre Parteitreue zu testen. Und ich wurde entlassen. »Unmoralisches Verhalten und Schädigung des Rufs der Einrichtung …«, einfach lächerlich. Gut, meine Frau kam ins Büro, als … die Details sind unwichtig, aber ich brachte die Situation schnell unter Kontrolle, meine Damen, Ruhe bitte, sagte ich entschlossen und trennte gekonnt die Streitenden. Wir sind alle nur Menschen, jeder strauchelt auf die ein oder andere Weise, aber ich hatte noch einen Monat zuvor Kadergespräche geführt und Einstellungen bewertet, also was, also gehörte ich doch dazu.

Hätte ich ihm für den Welpen mehr geben sollen?

Er wollte fünfhundert, obwohl ein Rassehund um die zweitausend kostet. Zweitausend? Für einen neurotischen Hund?! Es zeigte sich, dass er vor allem und jedem panische Angst hatte! Es zeigte sich, dass er keinen Geruchssinn hatte! Ich wollte ihn sofort einschläfern, aber irgendwer muss mich denunziert haben, ich weiß sogar, wer, und die Frau des Sekretärs rief an, ich solle dem Hund nur ja nichts antun.

Die Kerzenleuchter? Naja, das Argument mit der Schwiegermutter war nicht überzeugend, das sehe ich ein. Jetzt, wo es zu spät ist.

 

 

KATARZYNA Sz., Schülerin

Aus dem Ferienlager

 

Sie schreibt wieder, weil sie wieder bestohlen wurden. Erst wurde in die »Zwergenhütte« eingebrochen, jetzt in ihr Haus. Ihr wurden 20 Złoty gestohlen, deshalb soll ich schnell Geld schicken. Sie waren in Darłówek und haben das Meer gesehen. Sie werden einen Ausflug in die DDR machen, falls zu wenig Busse da sind, fährt die Gruppe, die den Sauberkeitswettbewerb gewinnt. Ihre Gruppe wird das wohl nicht sein.

1972

MIECZYSŁAW F. R.

Über mein Denken

 

Er wünscht mir, dass ich mich entwickle und meiner Sicht auf das Leben eine immer größere Portion realistischen Denkens hinzufüge. Er versichert mir, dass ihn dieselben Dinge schmerzen wie mich. Mehr noch: Sie bereiten ihm schlaflose Nächte. Er möchte, dass ich ihm das wirklich glaube.

 

 

MICHAŁ R., Arbeitskollege

Aus dem Krankenhaus

 

Er hat sich mit diesem stillen und diätetischen Ort angefreundet. Ständig wartet man auf etwas, auf die Blutabnahme, auf die Visite, eine Spritze, den Briefträger oder auf den Friseur, der als Leichenträger dazuverdient. Eigentlich fehlt ihm nichts außer dem Stereoradio mit den Lautsprecherboxen, der Hausbar mit dem Kognak und dem Kühlschrank mit dem Bier. Er hat ein langweiliges Buch von Hervé Bazine gelesen, in dem ein einziger bemerkenswerter Satz stand: »Er hatte fröhliche Lenden, aber ein trauriges Herz.« Urban hat geschrieben, er wolle ihm gern den Gefallen tun und zu seinem Begräbnis kommen. Er ist neugierig, ob er ein dummes Gesicht machen würde, wenn dieser Wunsch in Erfüllung ginge. Vermutlich nicht, denn man hat Urban noch nie mit einem dummen Gesicht gesehen, welch außergewöhnlicher Mensch!

1973

KATARZYNA Sz.

Aus dem Winterferienlager

 

Die Schlittenfahrt war fein, ja, sie war warm angezogen, zwei Sweater übereinander. Beim Skifahren ist sie die Beste, so kommt es ihr vor. Sie hat Mrożeks »Szenische Werke« gekauft. Ob ich noch weiß, dass sie als Hausaufgabe über die Ferien einen Aufsatz zum Thema »Was denke ich über das Glück?« schreiben müssen. Ob ich nicht vielleicht wenigstens den Anfang schreiben kann, der bloße Gedanke daran vergällt ihr das Leben. Außerdem soll ich das Fahrrad zur Inspektion bringen, sie sollen es reparieren, putzen, schmieren, richten und blau streichen, aber nicht zu dunkel. Außerdem soll ich den Papagei füttern. Ich soll sofort dieses Blatt hinlegen und dem Papagei frisches Wasser geben. Ich soll … und so weiter.

 

 

ANNA M., Bahnwärterin

Über Abwehrkräfte

 

Sie schickt mir Sirup und die Wettervorhersage für das ganze Jahr. Ich soll sie bitte ernst nehmen, denn kürzlich hat sie das Hochwasser in Mexiko und den Hurrikan auf den Philippinen vorausgeahnt, dafür gibt es zahlreiche Zeugen. Der Bahnhofsvorsteher in Trzebinia, Herr Piechowicz, der Rottenführer Brzózka oder der Elektromonteur Gibas fragen sie immer vor der Heumahd, wie das Wetter wird. Der Sirup ist für die Abwehrkräfte, aus sibirischen Tannenzapfen. Sie hat ihn aus dem Urlaub aus Werschina mitgebracht, zusammen mit einer bei Vollmond geschnittenen, mit dem Stück eines Zopfs verstärkten Rute. Die Leute aus Werschina lassen mich grüßen …

1974

»ROBOTNIK WARSZAWSKI«, ein Leser

Über Mut

 

Er kämpft allein, obwohl manche ihm heimlich die Hand schütteln und flüstern: Antoś, Sie sind wirklich ein harter Mensch. Er kämpft gegen Diebe, die vom Direktor sowie vom Betriebsrat und der Partei unterstützt werden. Wissen Sie, ich bin 62 und ich weiß, was es im alten System hieß, arbeitslos zu sein, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man Stiefel trägt und hinter einem der Abdruck der nackten Füße zurückbleibt. Ja, ich kenne das und das hat mich als Mensch hart gemacht.

 

 

ANNA M.

 

Schickt die Wettervorhersage für das ganze Jahr. Fragt nach meinen Abwehrkräften.

 

 

KATARZYNA Sz.

Aus dem Sommerferienlager

 

Die Mädchen sind in ihrem Alter, fast alle rauchen schon und kaufen Bier. Ein Mädchen war in Garwolin zum Entzug. Sie wird eingeladen, trinkt aber nicht mit. Der letzte Satz war überflüssig, aber sie hat ihn hingeschrieben, um mich vollends zu beruhigen. Sie hat sich im Sonderangebot einen Satz Schreibstifte gekauft, ach, es ist unvorstellbar, wie schnell das Geld weggeht.

 

 

WŁODZIMIERZ L., Fußballer

Über das Verschwinden

 

… Du hast dich im Leben fein eingerichtet, sagen sie. Hättet ihr auch gekonnt, sage ich, ihr hättet nur kicken müssen, ich habe damit angefangen, als ich vierzehn war.

Insgesamt 52 Quadratmeter, ins größte Zimmer passen eine Schlafcouch und ein Tisch, meine Frau hätte gern eine größere, seit sie Mike Englands1 Haus gesehen hat. Mir ist das ja egal, ich habe einen Platz zum Schlafen, das ist in Ordnung. Bei England war vom Eingang an überall Glas, in den Zimmern Antiquitäten und … nun ja, der Unterschied war nicht zu übersehen.

Mir wurde klar, dass ich nicht würde spielen können und dass jemand meinen Platz einnehmen muss. Ich dachte, Andrzej macht das, und sagte ihm offen, frei von der Leber weg, Junge, komm in die Gänge, für dich wird diese WM2eine große Sache. Er glaubte mir nicht, er dachte, Jasio würde spielen und tatsächlich hatte Jasio die besseren Karten, weil er das Tor in Wembley geschossen hatte. Ich ließ mich nicht beirren und sagte, hör zu, Andrzej, du hast Schwierigkeiten bei der Ballannahme, arbeite daran. Das sagte ich ihm, frei von der Leber weg.

Na und Andrzej spielte, na und er machte ein tolles Tor gegen Italien, das hätte ich nicht gemacht. Nicht, dass ich es nicht gekonnt hätte. Gekonnt hätte ich es wohl, aber ich hätte mich nicht mehr getraut. Andrzej ging volles Risiko, er nahm eine Verletzung in Kauf, ich sah die Szene und dachte – hätte ich auch so viel riskiert? Nein, hätte ich nicht.

Ein Fußballer ist nur hier und heute interessant, er wird nur hier und heute gebraucht. Ich bin noch interessant. Dank meines Knies. Vor der WM wurde über mein Knie geschrieben, weil unklar war, ob ich spielen kann. Dann hieß es, ich würde wegen der Knieverletzung wohl nicht spielen, also war ich wieder präsent. Jetzt schreiben sie, dass ich wegen des Knies nicht dabei bin, aber bald ist auch das vorbei. Weder mein Knie wird dann noch gebraucht, noch ich, und ich werde langsam verschwinden.

Nein, sie rufen nicht an.

Ich rufe auch nicht an.

Sollte ich?

Ich könnte Andrzej anrufen, aber wozu, er hat unser Gespräch längst vergessen.

Gut, ich rufe an.

Besetzt … Besetzt … Ins Ausland, um diese Zeit … Na, besetzt, naja, schwierig.

Jetzt nicht mehr, jetzt konzentrieren sie sich.

Sie kommen raus …3

Ich kenne die anderen, ich habe mal ein Tor gegen sie gemacht. Mit dem Kopf, in der ersten Minute.

Kazio …

Lass ihn liegen, Robert soll schießen, aus dieser Entfernung nur Robert.

Gut, Robert, in Ordnung.

Lauf, Andrzej, jetzt, lauf …

Kazio, wenn er den hätte laufen lassen, na, Grzesiek aufs Bein … Gut, Grzesio … Hör zu, Kaka, lass Jurek das machen, und du, Szymek, lass ihm den Ball, na, lass ihm den Ball und lauf selbst, genau so, sehr gut …

Sie werden zurückkommen. Wir werden uns sehen. Im Verein, ganz normal, um zehn. Wir werden uns begrüßen. Ich werde sagen, hallo Alter, Andrzej wird auch hallo sagen und versuchen, so zu reden, als wären wir noch gleich stark. Wir sind es aber nicht, nicht mehr. Und wie sehr sie sich auch bemühen, wie früher zu sein, eines Tages werden wir wieder auf dem Platz stehen. Sie und ich. Und vielleicht geht es schief. Vielleicht aus ganz anderen Gründen, aber sie werden denken – na seht ihr, ohne ihn haben wir besser gespielt.

Sie waren großartig. Sie waren großartig ohne mich. Sie haben gespielt wie noch nie, bei dieser WM wurde eine neue Mannschaft geboren. Ohne mich. Werde ich da noch gebraucht?

1975

MAREK E., Arzt

Über einen Sonntag

 

Es ist also Sonntag – ich bin um 7 Uhr aufgestanden, habe die Sachen gepackt, gefrühstückt und wollte schon losfahren, aber die ganze Zeit über nagte die Unruhe an mir. Ich wollte gerade aus dem Haus gehen – ich habe zwar noch eine halbe Stunde, aber besser, man sichert sich seinen Platz rechtzeitig. Stattdessen sitze ich in der Küche auf dem Hocker und gehe nicht. Ich habe ein Gespräch mit Dir angemeldet – das Telefon rührt sich nicht – und mich verzehrt weiter die Unruhe. Ich will gar nicht vom Hocker aufstehen. Denn die Sache ist die. Vor ein paar Tagen kam ein Mann zu mir in Behandlung, sehr krank, in den letzten beiden Tagen hat sich sein Zustand enorm verschlechtert – aber die Dinge stehen so, dass ich ihm nicht helfen kann, ich könnte also fahren. Und doch kann ich nicht fahren, denn er hat sich in meine Obhut begeben. Das Schlimmste ist, jemanden im entscheidenden Augenblick im Stich zu lassen. Und für ihn kann es schon der letzte sein.

Also bleibe ich hier – obwohl ich gern ein paar Tage mit Dir verbringen würde.

 

 

ANNA M.

 

Schickt die Vorhersage …

FRANCISZKA S., Rentnerin

Über moderne Kunst