Rote Karte für Grappa - Gabriella Wollenhaupt - E-Book

Rote Karte für Grappa E-Book

Gabriella Wollenhaupt

4,8

Beschreibung

Ein Starkicker verschwindet und Reporterin Maria Grappa mischt den örtlichen Fußballklub auf Der Traditionsverein Schwarz-Gelb 09 kommt aus den Schlagzeilen nicht mehr heraus: Erst wird die Tochter des Präsidenten überfallen, dann der brasilianische Starkicker Toninho Baracu entführt. Als die rothaarige Reporterin Maria Grappa ein Paket in den Händen hält, in dem ein abgehackter Fuß liegt, wird auch sie vom Fußballfieber gepackt …

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»Wie ist das genau passiert?«, fragte ich.

»Er war der Letzte im Duschraum. Die anderen Spieler waren schon draußen. Nach ersten Ermittlungen sollen ihn drei maskierte Typen abgepasst und einfach kassiert haben.«

»Nackt?«, fragte ich interessiert.

Jansen überhörte meine Frage und berichtete weiter: »Draußen stand ein Lieferwagen vom Catering-Service. Klappe auf, Toninho rein und weg.«

»Catering-Service?«

»Nur ein Täuschungsmanöver. Der Wagen war geklaut.«

»Sauerwald hat jetzt zwei Probleme«, stellte ich fest. »Eine geschändete Tochter und einen entführten Starkicker.«

*

Der Traditionsverein Schwarz-Gelb 09 kommt aus den Schlagzeilen nicht mehr heraus: Erst wird die Tochter des Präsidenten überfallen, dann der brasilianische Spitzenspieler Toninho Baracu entführt. Als rothaarige Reporterin Maria Grappa ein Paket in den Händen hält, in dem ein abgehackter Fuß liegt, wird auch sie vom Fußballfieber gepackt ...

*

E-Book © 2013 by GRAFIT Verlag GmbH

Originalausgabe © 2006 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund

Internet: http://www.grafit.de/

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagfoto: Vandystadt, Agentur Focus

eISBN 978-3-89425-995-2

Gabriella Wollenhaupt

Die Autorin

Gabriella Wollenhaupt, Jahrgang 1952, arbeitet als Fernsehredakteurin in Dortmund. Sie mag wilde Tiere, gutes Essen und schöne Männer.

Als Kriminalschriftstellerin debütierte sie im Frühjahr 1993 mit Grappas Versuchung.

Personen

Toninho Baracu geht vom Platz

Theo Böhme ›Don Prosecco‹ schießt daneben

Anton Brinkhoff lässt keinen durch

Adriano Eckermann hält sich bedeckt

Maria Grappa kassiert die rote Karte

Simon Harras bleibt auf der Bank

Peter Jansen hat die Mannschaft im Griff

Esther Klein kommt aus der Deckung

Luigi Knotek sitzt lange auf der Bank

Moritz Müller bleibt am Spielfeldrand

Pascal macht müde Spieler munter

Wayne Pöppelbaum agiert im Strafraum

Erika Sauerwald gerät ins Abseits

Dr. Marcel Sauerwald kann die Blutgrätsche

Margit Sauerwald wird böse gefoult

Beate Schlicht stürmt aufs Tor

Anneliese Schmitz backt weltmeisterlich

Prof. Rudolfo von Siebenstein

Der Alte sagte: Das möge Gott erbarmen,

und es sei Ihm immerfort geklagt,

dass das Unrecht sich so breit macht.

Die Turniere, wie sie früher waren, werden verachtet;

dafür sind die heutigen aufgekommen.

Früher hörte man den Herold rufen:

Heißa, Ritter, sei doch fröhlich!

Jetzt ruft man den lieben langen Tag:

Los, jage, Ritter, los, jage, jag! Stich zu, stich!

Schlag drein, schlag zu! Blende den, der vorher sehen konnte!

Hau mir dem den Fuß ab;

schlag mir diesem die Hand ab!

Diesen sollst du mir aufhängen

und jenen Reichen fangen:

Der zahlt uns bestimmt hundert Pfund Silber!

Wernher der Gärtner: Meier Helmbrecht (um 1250)

Mir ist es egal, ob es ein Brasilianer, Pole, Kroate, Norddeutscher oder Süddeutscher ist. Die Leistung entscheidet, nicht irgendeine Blutgruppe.

Christoph Daum

Am Herzen vorbei

Die Nacht war kurz. Ich schreckte aus dem Schlaf, hörte Menschen flüstern. Jemand sagte etwas Beruhigendes, doch er meinte nicht mich. Träumte ich? Der Schmerz in meinem Körper beantwortete die Frage: Ich war wach. Sogar hellwach.

Vorsichtig hob ich den Kopf, durch die Tür fiel Licht ins Zimmer und ich konnte Personen schemenhaft ausmachen, die sich über ein Bett beugten. Jetzt schaltete jemand das Notlicht an. Ich erkannte den Nachtpfleger, den Bereitschaftsarzt und zwei Schwestern. Eine Liege wurde ins Zimmer geschoben.

»Was ist los?«, krächzte ich.

»Alles in Ordnung«, erhielt ich zur Antwort. »Schlafen Sie weiter.«

Die Tür wurde geschlossen und Schritte entfernten sich. Ich lauschte ins Dunkel hinein. Nichts war zu hören. Mein Gefühl sagte mir, dass ich nicht mehr allein war.

Meine letzte Story, geschrieben für das Bierstädter Tageblatt, hätte mich fast mein Leben gekostet. So lieb hatte ich unsere Abonnenten nun auch wieder nicht, dass ich für eine gute Geschichte freiwillig ans Himmelstor geklopft hätte. Aber wenn jemand mit einer Waffe vor dir steht und einfach losballert, hast du keine Chance, verschiedene Denkmodelle durchzuspielen.

Zum Glück war es ja nochmal gut gegangen. Tagelang hatte ich zwischen Leben und Tod geschwebt. Die Kugel war knapp am Herzen vorbeigesaust, hatte aber genug Unheil angerichtet. Wie es im Einzelnen in mir aussah, wusste ich nicht, wollte es auch gar nicht wissen. Krankheiten waren dazu da, sie zu bekämpfen, und Unfälle, sie hinter sich zu lassen.

»Jetzt hast du deinen Nachruf auf mich umsonst verfasst«, so hatte ich meinen Chef Peter Jansen begrüßt, als der mich zum ersten Mal besuchte.

»Ich heb ihn auf«, tröstete er mich. »Wie ich dich kenne, ist es nämlich bald wieder so weit.«

»Darf ich ihn mal lesen?«, fragte ich.

»Lieber nicht. Ist mir ziemlich peinlich, was ich über dich geschrieben habe«, antwortete er.

»So schlimm?«, erschrak ich.

»Nein, viel zu nett. Wenn du wirklich die Person in meinem Nachruf wärst, hätten wir es alle leichter.«

»Sehr witzig!«

»Wann kommst du zurück zur Arbeit?«, wechselte er das Thema.

»So bald ich hier raus bin. Dieses Getue hier geht mir auf die Nerven. Ich brenne darauf, mich ins Leben zu stürzen.«

»Welche Wahnsinnsstory hast du denn schon wieder im Kopf?«

»Nein! Keine gefährlichen Storys mehr«, beruhigte ich ihn. »Ich werde meinen journalistischen Ehrgeiz künftig in das Rezept des Tages legen und mich aufopferungsvoll um die Vermittlung von heimatlosen Tieren kümmern. Und vielleicht kann ich auch endlich die Serie Die Frau an seiner Seite beginnen, mit der ich schon seit Jahren liebäugele. Meine Materialsammlung zu diesem Thema ist inzwischen riesig.«

Flutwelle und Kanzlerin

In Krankenhäusern beginnt der Morgen früher als anderswo. Dieser Rhythmus nervte. Wahrscheinlich glaubten die Mitarbeiter, dass sie schneller fertig waren, je eher sie anfingen, was ja auch irgendwie stimmte, nur für die Patienten wurde der Abend gähnend langweilig und ereignislos. Klar, in fast jedem Zimmer gab es einen Fernseher und man konnte sich in die Radioprogramme einstöpseln, doch beim Fernsehen fielen mir nach der Tagesschau bereits die Augen zu und die Musiktitel im Radio waren mir inzwischen so vertraut, als hätte ich sie komponiert.

Immerhin war ich informationsmäßig auf dem Laufenden geblieben: in Deutschland regierte erstmals eine Bundeskanzlerin, Flutwellen und Hurrikans hatten diesmal nicht nur die Dritte-Welt-Bevölkerung dezimiert, sondern auch in den USA gewütet, Terrorschläge waren weiterhin ein Mittel der politischen Auseinandersetzung und Bierstadt, die liebenswerte Metropole zwischen Montanresten und Hightechhoffnungen, war auf dem Weg in die Spaßgesellschaft. Das neue Bierstadt macht uns Spaß – dieser schlichte Satz, entsprungen den leistungsstarken Hirnen städtischer Werbestrategen, passte zum geplanten künstlichen See auf der Stahlwerkbrache genauso wie zum schicken futuristischen Bahnhof und der im Sommer stattfindenden Fußballweltmeisterschaft.

Es war erst sechs Uhr in der Früh. Der Nachtpfleger polterte ins Zimmer und trompetete fröhlich: »Guten Morgen, die Damen!«

Damen? Das war eindeutig ein Plural. Ich erinnerte mich an die Geschäftigkeit der vergangenen Nacht und schaute zum Bett nebenan. Tatsächlich, da lag eine Frau.

»Pascal!«, sprach ich den Mann mit strenger Stimme an. »Soweit ich mich erinnere, bin ich Privatpatientin mit Einbettzimmer und Chefarztbehandlung.«

»War ein Notfall«, erklärte der Pfleger. »Armes Ding. Kein Bett mehr frei. Da wollen wir doch mal nicht so sein, oder?«

Der Gardinenring in seiner Augenbraue blitzte. »Dafür hab ich den Kaffee wieder richtig stark gekocht – extra für Sie, Frau Grappa.«

Er schob das Tablett auf den Nachttisch und guckte dabei ins benachbarte Bett. Ich konnte aus meiner Position nicht viel erkennen – nur einen blonden, wirren Haarschopf.

»Was ist denn mit ihr?«, wollte ich wissen.

»Sie wissen doch, dass ich das nicht sagen darf«, antwortete Pascal. »Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sie aufwacht. Sie hat die volle Dröhnung gekriegt. Könnten Sie nach einer Schwester klingeln, wenn sie sich rührt?«

Ob ich auch so bewegungslos im Bett gelegen hatte wie die Frau neben mir? Ich versuchte, mich zu erinnern, doch da war nicht viel vorhanden im Gedächtnis. Nur verschwommene Bilder, zerrissene Töne und verworrene Gefühle. Venedig mit seinen hohen Gassen und den verfallenen Häusern, kühlen Kirchen und schlechten Restaurants. Gondoliere, die weder attraktiv waren noch schwülstige Kanzonen trällerten, Geschäfte mit überhöhten Preisen und patzigem Verkaufspersonal.

Aber da war auch anderes: Madrigale von Monteverdi, Bilder von Bellini und Tizian und jenes Prickeln beim Anblick eines schwarzhaarigen Machos, der Eissorten erfindet und sie nach meinen Stimmungen benennt. Und dann der Knall, der all das Schöne erst mal beendet hatte.

Ein Stöhnen riss mich aus meinen Gedanken. In dem anderen Bett tat sich etwas. Ich setzte mich auf und schielte zu dem blonden Haargewirr.

Die Frau hatte sich aus der Seitenlage herausgedreht und ich konnte ihr Gesicht erkennen.

Keine Frau, fast ein Kind, dachte ich erschrocken.

Das Mädchen hatte blutunterlaufene und geschwollene Wangen, einen Riss an der Lippe und Druckstellen am Hals.

Ich wollte mich gerade abwenden, da bemerkte ich, dass sie die Augen geöffnet hatte und mich ansah.

»Hallo«, sagte ich, »alles ist gut, machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind in Sicherheit.«

Keine Ahnung, ob sie mich verstand. Ich drückte die Klingel und Schwester Rita meldete sich über die Sprechanlage. Schwester Rita saß vierundzwanzig Stunden lang am anderen Ende der Klingel. Sie hieß natürlich nicht so, sondern informierte die einzelnen Pfleger und Pflegerinnen auf den Stationen über die Wünsche der Patienten. Schwester Rita – das waren mehrere Frauen, die im Schichtdienst in der Telefonzentrale hockten. Ich hatte eine Woche gebraucht, um das rauszukriegen.

»Zimmer 33. Sagen Sie Pascal auf der Chirurgischen Bescheid«, forderte ich. »Er soll sofort herkommen.«

Pascal ließ nicht lange auf sich warten, stürzte sofort zu meiner Nachbarin hin, überprüfte den Tropf und nahm ihren Arm.

Das Mädchen begann zu schreien.

Pascal erschrak, ließ die Hand der Patientin los. »Ich hol den Arzt«, brach es aus ihm heraus. »Behalten Sie sie im Auge, ja?«

Seine Gummisohlen quietschten auf dem Kunststoffboden.

Das Mädchen hatte sich wieder von mir weggedreht. Ein anderes Quietschen auf dem Flur näherte sich, ausgelöst durch mehrere Fußpaare. Ein Arzt, Pascal und eine Schwester polterten ins Zimmer.

»Sie sind in Sicherheit«, sagte der Arzt zu dem Mädchen. »Sagen Sie uns Ihren Namen? Wie heißen Sie?«

Aus den Kissen war nichts zu hören.

»Wer sind Sie?«

»Sie ist stabil«, stellte die Schwester fest. Sie hatte Blutdruck und Puls überprüft.

»Sie hat Schmerzen. Geben Sie ihr etwas dagegen«, ordnete der Arzt an. »Und wenn die Kripo wieder anruft, behaupten Sie, dass sie noch schläft. Die rufen jetzt schon alle fünf Minuten hier an.«

»Das Ergebnis des Abstrichs ist gerade aus dem Labor gekommen«, informierte die Krankenschwester. »Liegt alles in Ihrem Büro, Herr Doktor.«

»Was hat sie denn?«, fragte ich.

Erst jetzt nahm mich die Crew zur Kenntnis.

»Sie wissen, dass wir das nicht sagen dürfen«, wiederholte der Doc die Worte des Pflegers. »Rufen Sie uns bitte, wenn sie irgendwas sagt oder sich ihr Zustand verschlechtert.«

Ich versicherte ihm, dass er sich voll auf mich verlassen könne.

Ich wartete, bis alle gegangen waren, aktivierte mein Handy, schlich auf den Flur und rief Jansen an.

»Hast du irgendwas von einem Überfall auf ein junges Mädchen gehört?«, fragte ich. »In den letzten vierundzwanzig Stunden. Die Kripo scheint ein heißes Interesse an dem Fall zu haben.«

Jansen überlegte kurz und antwortete dann: »Ja, da war was. Vergewaltigung. An der Uni.«

»Ich glaube, das Opfer liegt bei mir auf dem Zimmer.«

»Ich hol mal eben die Pressemitteilung.«

Ich hörte es rascheln, dann sagte er: »Dieser Serienvergewaltiger hat wohl wieder zugeschlagen. Der Typ, der sich seit Jahren an der Uni herumtreibt. Erinnerst du dich?«

»Nur dunkel. Aber der hat doch schon lange keine Frauen mehr überfallen, oder?«

»Stimmt. Doch die Fälle sind nie aufgeklärt worden. Moment, hier steht noch was ... Sie haben sein letztes Opfer noch nicht identifiziert. Ein junges Mädchen. Blond, eins fünfundsechzig groß. Sie suchen Zeugen. Kann das die Frau in deinem Zimmer sein?«

Prioritäten setzen

Die Kripo rückte am Nachmittag an, die Ärzte hatten sie wohl doch nicht länger abwimmeln können. Wunderbar, denn ich lag an der Quelle und konnte die Ohren spitzen. Es waren eine Frau und ein Mann, sie war ganz offensichtlich der Boss im Zweierteam. Ich stellte mich schlafend.

»Ich verstehe nicht, dass niemand sie sucht«, hörte ich den Kripomann raunen. »Es muss doch auffallen, dass sie gestern nicht nach Hause gekommen ist.«

»Wenn sie eine Studentin ist, dann ist das nichts Besonderes«, widersprach die Frau. »Das Verschwinden der anderen Opfer ist auch nicht gleich bemerkt worden. In den Studentenunterkünften herrscht ein Kommen und Gehen. Wann wird sie ansprechbar sein, Doktor?«

»Da kann ich keine Prognose abgeben«, sagte der Arzt.

Ich hörte, dass sich Schritte näherten, rührte mich aber nicht.

»Wer ist denn das?«, fragte die Frau.

»Eine Patientin«, erklärte der Doc.

»Das überrascht mich aber. Was hat sie?«

»Ärztliche Schweigepflicht – Sie kennen das doch«, konterte der Doc.

»Haben Sie kein Einzelzimmer für die Verletzte?«

»Das nächste freie Zimmer kriegt sie«, versprach der Arzt. »Und jetzt möchte ich Sie bitten zu gehen. Sie sind in einem Krankenhaus und nicht im Polizeipräsidium.«

Während der folgenden Stunden schaute ich einige Male nach meiner Zimmergenossin. Die Gesichtszüge waren inzwischen entspannt und sie atmete ruhiger.

Obwohl es fast Winter war und der Abend früh anbrach, schaffte es die Krankenhaus-Crew, das Abendessen noch bei Tageslicht zu servieren. Pfefferminztee, Fabrikbrot und ein ekelhaft rosafarbener Aufschnitt.

Bestimmt das berühmte Gammelfleisch, dachte ich. Ein neuer Lebensmittelskandal erschütterte gerade die Republik und im Fernsehen wurden entsprechend anregende Bilder gezeigt.

Ich musterte das Essen intensiver. Heute waren die Küchenchefs der Klinik geradezu tollkühn gewesen: Als Beilage gab es nicht die üblichen Mixedpickles, sondern ein paar schwarze Oliven, die eindeutig italienisch wirkten und verführerisch glänzten. Ich schnappte mir eine. Leider war der Kern groß und das Fruchtfleisch durch monatelanges Salzbad und unsachgemäße Lagerung steinhart geworden. Stammen wohl doch eher von einem Olivenbaum aus Mecklenburg-Vorpommern, überlegte ich.

Ein tiefer Seufzer entrang sich meiner Brust und prompt tat meine Narbe weh. Ich schloss die Augen, dachte an eine umfangreiche Kollektion italienischer Antipasti und stand kurz vor einem Speichelsturz. Schnell schnappte ich mir die Scheibe Wurst und steckte sie in den Mund. Die Realität hatte mich wieder im Griff, sie schmeckte laff und hatte die Konsistenz eines Putzlappens.

»Hallo«, sagte jemand mit matter Stimme.

Ich schob das Tablett beiseite und stürzte zum Nachbarbett. »Hallo«, sagte ich. »Wie geht es dir?«

»Was ist passiert?«

»Darüber reden wir später. Du bist jetzt im Krankenhaus«, erklärte ich. »Und alles wird gut. Du musst keine Angst mehr haben.«

Ich drückte die Klingel und forderte Schwester Rita auf, jemanden vorbeizuschicken.

»Gleich kommt jemand und schaut nach dir«, sagte ich. »Ich heiße Maria, Maria Grappa. Kannst du mir deinen Namen sagen?«

Sie sagte ihn mir und ich wusste Bescheid.

Ich hatte einen Vorsprung vor der Polizei, die den Namen der jungen Frau noch nicht kannte. Zeit genug, um meine neue Geschichte einzustielen. Zum Glück hatte ich mein Handy immer voll aufgeladen im Nachttisch liegen, auch wenn die Pfleger das nicht gern sahen. Ich hatte mit Pascal einen Kompromiss ausgehandelt: Das Gerät war tagsüber meist ausgeschaltet, vom Klingelton hatte ich auf Vibrationsalarm umgeschaltet und bei der Visite versteckte ich es.

Ich schlurfte in den Vorraum, von dem das Bad abging.

Peter Jansen war noch in der Redaktion.

»Sie ist gerade aufgewacht«, berichtete ich. »Und rate mal, wie sie heißt.«

»Grappa! Ich kenne nicht viele Mädchen in dem Alter. Also, sag schon!«

»Margit Sauerwald.«

»Sauerwald?« Ich wusste genau, welche Synapsen in Jansens Hirn miteinander eine Verbindung eingingen. »Die Tochter von Marcel Sauerwald! Und die ist überfallen worden?«

»Scheint so.«

»Und die Polizei weiß noch nicht, wer sie ist?«

»Nein. Die Ärzte haben die Kripoleute hinauskomplimentiert. «

Schweigen am anderen Ende. Jansen überlegte. »Ein Journalist ist auch noch nicht aufgetaucht?«

»Ich hab keinen gesehen.«

»Wenn das die Runde macht«, sagte er, »rennen euch die Kollegen die Bude ein.«

»Verlass dich ganz auf mich«, erwiderte ich. »Ich werde alle vergraulen, die mir die Story klauen wollen.«

»Story? Du bist krank!«

»Jetzt nicht mehr. Ich fühle mich topfit.«

Jansen lachte. »Und was ist mit dem Rezept des Tages und der geplanten Ehefrauen-Serie?«

Eine Stunde später traf ich mich mit Jansen in der Cafeteria der Klinik. Die Ärzte hatten nach Margit Sauerwald geschaut und kurz mit ihr gesprochen, sie dann aber wieder schlafen lassen.

»Irgendwie habe ich Probleme mit der Geschichte«, zauderte Jansen. »Es gehört sich nicht, die Notlage eines Menschen auszunutzen und Informationen aus ihm herauszuholen.«

»Sie kann froh sei, dass sie an uns geraten ist«, sagte ich. »Läge jemand von der Blöd-Zeitung in ihrem Zimmer, hätten die sie längst fotografiert oder versucht, alle Einzelheiten aus ihr herauszuquetschen. Es lebe die bürgerliche Tagespresse mit ihren ethischen Grundsätzen!«

»Ich wusste gar nicht, dass du das Wort Ethik kennst«, grinste er schief.

»Mein Wortschatz ist eben umfangreicher, als du glaubst«, entgegnete ich.

»Ich weiß ja, Grappa, dass du eigentlich eine ganz Sanfte und Liebe bist, die nur zu wenig Chancen hat, das zu zeigen. Ich habe übrigens ein Foto von Margit Sauerwald mitgebracht.« Jansen zog einen Umschlag aus der Tasche. »Dazu noch das ganze Zeugs aus dem Archiv und dem Internet über die vielen Vergewaltigungen. Damit du dich einlesen kannst.«

»Gib mir mal das Bild.«

Das Foto zeigte Margit Sauerwald mit ihrem Vater Marcel vor dem Fußballstadion. Vereinspräsident Dr. Marcel Sauerwald mit Tochter Margit (16) auf dem Weg in die VIP-Lounge, war zu lesen. Kein Zweifel, das war das Mädchen aus meinem Zimmer.

»Von wann ist das Foto?«, fragte ich.

»Zwei Jahre alt. Die beiden schauten sich damals das UEFA-Cup-Halbfinale an. Ist ja schwer versemmelt worden. War der Anfang der Unglücksserie der Schwarz-Gelben.«

»Wenn die damals sechzehn war, ist sie jetzt achtzehn«, murmelte ich. »Armes Ding. Sie wird Jahre brauchen, um darüber hinwegzukommen – wie alle Frauen, denen so was passiert. Falls sie überhaupt wieder ein normales Leben führen kann.«

»Erinnerst du dich an das Elfmeterschießen damals?« Jansen schwelgte in Erinnerungen. »Ging voll in die Hose. Eine Katastrophe war das!«

»Katastrophe? Ich rede über ein schweres Verbrechen an einem Kind und du hast nichts im Kopf als ein Fußballspiel, an das sich niemand mehr erinnert!«

»Das glaubst aber nur du«, widersprach er. »Nenne diese Jahreszahl einem schwarz-gelben Fan und beobachte, wie sich sein Gesicht verzerrt.«

»Ich werde nie kapieren, was alle Welt an Fußball findet«, seufzte ich. »Ganz normale Menschen mutieren am Wochenende zu so genannten Fans, ziehen sich hässliche schwarzgelbe Klamotten an und rasten völlig aus, weil ein Dutzend millionenschwere Idioten einem Ball hinterhersprintet.«

»Es sind zweiundzwanzig, Grappa«, meinte er mild. »Du hast die gegnerische Mannschaft vergessen. Aber mit dem Rechnen hattest du es ja noch nie.«

»Ich nehme mir die Freiheit, manche Sachen nicht zu wissen«, entgegnete ich. »Schade, dass ich den Artikel nicht selbst schreiben kann. Meinst du, du schaffst das?«

»Ich rufe dich sofort an, wenn mir die Worte fehlen«, versprach er. »Aber meine Schilderung wird nur halb so dramatisch sein, wie es deine wäre, und ihr wird jene brisante Mischung aus Fiktion und Realität fehlen, die deine Storys so unverwechselbar machen.«

Ärzte im Rudel und Fluchtpläne

Noch vor dem opulenten Klinikfrühstück schlich ich zum Kiosk und klaute mir eine Sonntagszeitung aus dem Stapel, der vor der verschlossenen Tür abgelegt worden war.

Die Nachtschwester glaubte wahrscheinlich an einen Geist, als ich – die geöffnete Zeitung vor dem Gesicht – den Flur entlangschlurfte. Sie identifizierte mich dann aber doch und fragte perplex, was passiert sei.

»Die neuesten Fußballergebnisse«, erklärte ich. »Ich habe gestern das Spiel verpasst.«

»Ach so.«

Ich verzog mich ins Bett und suchte einen Bericht über den Fall:

Der seit Jahren gesuchte Serienvergewaltiger hat vermutlich wieder eine Frau überfallen. Die Identität des Opfers ist noch nicht geklärt, die Frau liegt schwer verletzt in einem Bierstädter Krankenhaus.

Die Polizei vermutet, dass es sich um denselben Täter handelt, der seit 1994 mindestens sechzehn Frauen überfallen und vergewaltigt hat. Dieser Mann soll zwischen 25 und 35 Jahren alt und mittelgroß sein. Leider gibt es sechs verschiedene Beschreibungen und Phantomfotos von ihm, was die Arbeit der Polizei erschwert.

Der Mann hat sich jedes Mal eine junge Frau ausgesucht, die sich im Umfeld der Universität aufhielt, und sie mit einem Messer bedroht. Da er DNA-Spuren hinterlassen hat, ordneten die Behörden einen der umfangreichsten Speicheltests an, der jemals in der Republik stattgefunden hat: Fast 10.000 junge Männer aus der Umgebung von Bierstadt wurden getestet – ohne Erfolg.

Auch ein extra aus Großbritannien angereister Profiler von Scotland Yard konnte nicht helfen. Der Brite fand nur heraus, dass sich der Täter in Bierstadt und Umgebung gut auskennen muss. Die Sonderkommission Messer hat nach Monaten der Ruhe jetzt wieder einen neuen Fall zu klären – vielleicht werden die Ermittlungen endlich von Erfolg gekrönt. Wir werden weiter über den Fall berichten.

Ich war beruhigt. Der Artikel in der Sonntagszeitung enthielt das Übliche, ich würde mit Besserem und Neuem aufwarten können, wenn ich erst mal wieder an meinem Schreibtisch saß.

Die Tür öffnete sich. Ärzte im Rudel – die Morgenvisite. Mein Bett stand näher zum Eingang, also war ich zuerst dran.

»Guten Morgen, Frau Grappa. Wie geht es uns denn heute?«, fragte der Chefarzt.

»Mir geht es blendend. Und Ihnen?«

»Wenn es den Patienten gut geht, dann ist mir auch wohl.«

Die Mitglieder seiner Crew lächelten pflichtschuldigst. Jeden Morgen das gleiche Spielchen zwischen mir und dem Doc.

»Wann werde ich entlassen?«, fragte ich. Auch diese Frage stellte ich, seitdem ich aus dem Koma erwacht war.

Er schaute auf das Krankenblatt. »Bald ist es so weit. Nur noch ein paar Untersuchungen.«

Dann wandte sich der Trupp Margit Sauerwald zu. Ich hörte, wie der Chefarzt sie beruhigte und ihr sagte, dass ihre Eltern im Ausland seien, aber den nächsten Flug nach Bierstadt genommen hätten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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