Sackgasse "Ich" - Anton Weiß - E-Book

Sackgasse "Ich" E-Book

Anton Weiß

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Beschreibung

Der Mensch im Ich steht im Mittelpunkt seines Lebens und unterliegt damit einer gewaltigen Illusion. Da alles auf dieses sein Ich bezogen erlebt wird, sind die Wahrnehmung der Welt, der Wirklichkeit, der Wahrheit und sein Selbstbild immer zu seinen Gunsten verzerrt. Erst die Transzendierung des Ichs, die den Tod dieses Ichs voraussetzt, würde ein Leben in Harmonie mit sich selbst und der Welt ermöglichen.

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Anton Weiß

Sackgasse "Ich"

Analyse der Ich-Struktur und der spirituelle Ausweg

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Einleitung

I. Analyse der Ich-Struktur

II. Projektion des unendlichen Verlangens

III. Transzendierung des Ichbewusstseins

IV. Leben aus dem transzendierten Ich

Nachwort

Literatur

Impressum neobooks

Vorwort

Eigentlich habe ich nie daran gedacht, einmal ein Buch zu schreiben, da ich der Überzeugung war, dass in diesem - dem spirituell-religiösen Bereich – schon alles gesagt ist. Wer sich dafür interessiert und diesen Weg gehen möchte, findet alles, was es darüber zu wissen gibt, in Abhandlungen seit der Antike: bei Heraklit, Sokrates, Platon genauso wie bei Buddha, Laotse oder Jesus; in den Schriften der Mystiker, die es in allen Religionen gibt, und ganz besonders im Zen-Buddhismus. Aber auch bei zeitgenössischen Autoren wie Karlfried Graf Dürckheim, Fritjof Capra, Paul Tillich, Paul Brunton, Krishnamurti, Goenka, Ken Wilber, Theo Fischer oder Salama-Inge Heinrichs geht es letztlich um das Gleiche.

Warum ich nun doch zu schreiben anfange und glaube, manchem Suchenden damit etwas zeigen zu können, hat einen ganz konkreten Anlass: Ein Vortrag von Richard de Martino über die Analyse des Egos im Ich-Bewusstsein, der in dem Suhrkamp-TB Nr.37: "Zen-Buddhismus und Psychoanalyse" erschienen ist, hat mir dermaßen die Augen über die Struktur des Ichs im Ich-Bewusstsein geöffnet, dass ich in meiner Begeisterung allen mir nahestehenden Suchern diesen Aufsatz zu lesen gegeben habe. An der Reaktion merkte ich, dass eigentlich niemand etwas damit anfangen konnte und erst durch meine Erläuterungen ein wenig Verständnis zeigte. Auf einem Seminar an Ostern 2002 bei Theo Fischer, dem Autor des Bestsellers „Wu wei“ und anderer Schriften, die den Taoismus zur Grundlage haben, erwähnte Fischer dieses Buch, in dem auch Vorträge von E. Fromm und D. T. Suzuki enthalten sind. Als ich ihn auf den Aufsatz von de Martino ansprach, merkte ich, dass auch er mit diesen Darlegungen nichts anfangen konnte. Daraufhin unternahm ich meinen ersten Versuch, die Situation des Egos im Ich-Bewusstsein auf 16 kleinen Seiten darzustellen. Als ich diese Gedanken Theo Fischer sandte, bescheinigte er mir durchaus, dass meine Darlegung zwar verständlicher ist, ließ aber erkennen, dass er es doch nur als Theoretisieren ansehen konnte. Darüber war ich sehr bestürzt, denn für mich ist das unmittelbar erlebbare Realität, lediglich der Versuch, ein geistiges und damit schwer fassbares Geschehen in Worte zu fassen, die letztlich immer irgendwo unzulänglich bleiben, aber andererseits doch versuchen, Wirklichkeit zu beschreiben.

Dies war also ein entscheidender Anlass, ausführlich die Gegebenheiten des Ichs darzulegen.

Ein anderer Anstoß ging von der Erkenntnis aus, dass in vielen Werken, z. B. bei Erika Chopich: "Die Annahme des inneren Kindes" oder bei S.-I. Heinrichs durchaus vom Ego und seinen Eigenschaften die Rede ist, dass aber häufig vorausgesetzt wird, dass jeder weiß, was damit gemeint ist, - denn jeder weiß ja irgendwo, dass egoistisch sein nicht unbedingt richtig ist –, dass aber eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Ich im Ich-Bewusstsein – soweit ich es bei meinem bescheidenen Lesewissen beurteilen kann – nicht stattfindet.

Ein weiterer Grund liegt schon etwas länger zurück: Beim Lesen der Bücher "Von der Zwiebel..." von Nadeen und "Kollision mit der Unendlichkeit" von S. Segal wurde mir klar, dass doch jeder Weg eines Menschen einen einmaligen Aspekt der göttlichen Wirklichkeit darstellt, den es so noch nicht gegeben hat.

Vielleicht sind auch meine Einsichten in die Struktur des Ichs, die das Ergebnis eines 50-jährigen Ringens sind, für manchen erhellend.

Ich versuche in dieser Abhandlung die vielfältigen Aspekte des Egos im Ich-Bewusstsein und damit die Schwierigkeiten auf dem spirituellen Weg aufzuzeigen.

Noch einen Grund gibt es, diese Gedanken über das Ich und den Weg zur Erleuchtung darzulegen: Mir scheint, in unserer aufgeklärten und von rund 100 Jahren psychologischer Forschung geprägten Zeit wird geglaubt, dass psychologische Probleme des Menschen lösbar sind, weil sie häufig durch frühkindliche Erlebnisse verursacht wurden. Ich möchte zeigen, dass das Grundproblem des Menschen kein psychologisches, sondern ein spirituelles Problem ist. Nicht ungelöste (frühkindliche) Konflikte sind das Problem, sondern die Tatsache des Daseins im Ich-Bewusstsein. Das werde ich zu zeigen versuchen.

Die Lektüre von E. Fromm „Die Seele des Menschen“ zeigte mir, dass sehr wohl in der Psychologie ein Verständnis für die Situation des Menschen im Narzissmus vorliegt. Diese Abhandlung hat mir in meinen schwersten Stunden sehr geholfen. Was ich mir noch gewünscht hätte, wären klare Hinweise zu bestimmten Zuständen gewesen. Diese kann ich jetzt geben und ich hoffe, dass dies Menschen in einer ähnlichen Situation eine echte Hilfe sein kann.

Vorwort zum Neudruck von Sackgasse „Ich“ im August 2012

Es ist nun fast sieben Jahre her, dass ich mein erstes Buch „Sackgasse ‚Ich’“ geschrieben habe. Inzwischen sind ja weitere 15 Büchlein hinzugekommen. Anlässlich eines Neudrucks habe ich es nun wieder einmal durchgelesen, was sehr spannend war. Ich hatte es damals unter dem unmittelbaren Eindruck meiner tiefgreifenden Erlebnisse im Jahr 2005 – die ich dann ausführlich in „Mein Weg aus der Ausweglosigkeit“ beschrieben habe - geschrieben. Da ich keinen Verlag gefunden habe, entschloss ich mich 2008, es selber zu drucken und auf Amazon anzubieten. Die erste Käuferin hat mich auf McKenna aufmerksam gemacht, durch den eine Lawine ins Rollen kam. Von ihm ausgehend arbeitete ich mich in die wichtigsten Werke der spirituellen Literatur ein. Wie erstaunt war ich nun, dass ich viele Kerngedanken der spirituellen Literatur in dieser meiner ersten Schrift ohne es zu ahnen berührt habe. Obwohl mein Erleben eher in der Schizophrenie anzusiedeln war, brachte es mir die wesentlichen Erkenntnisse der Spiritualität nahe.

Ich kann heute mit einem gewissen Abstand zurückblicken und stelle fest, dass das, was damals eher tastende Überlegungen und Einsichten waren, sich voll bestätigt haben. Ich bin heute überzeugt, dass Menschsein ganz grundsätzlich darauf abzielt, das Ich zu transzendieren. Die Tragik besteht darin, dass dies keine Möglichkeit des Ichs ist, sondern ein Prozess, in dem sich der eine aus unerfindlichen Gründen mehr und ein anderer weniger befindet. Warum das so ist, haben wir einfach hinzunehmen.

Ich sehe heute, dass manches nur kurz, vielleicht zu kurz angedeutet ist, so dass das Mitdenken des Lesers mehr als wünschenswert gefordert ist. Aber breitere Ausführungen hätten das Büchlein nur umfangreicher gemacht, ohne dass Wesentliches hinzugekommen wäre. Ich denke, dass der Kern dessen, worum es mir geht und wie ich den Menschen im Ich sehe, sichtbar wird.

Einleitung

Meine Abhandlung richtet sich an Menschen, denen es darum geht, das Problem der menschlichen Existenz zu lösen. Es dürften in der Regel Menschen sein, die schon verschiedenste Wege eingeschlagen haben: traditionell-religiöse, esoterische, tiefenpsychologische oder spirituelle wie Yoga, Zen-Buddhismus, Mystik u.v.a.. Aber auch Menschen, die vielleicht schon aufgegeben haben, je eine Antwort zu finden und solche, die in gefährliche Grenzsituationen geraten sind, wie ich. Denn das Problem der menschlichen Existenz ist ein Problem des Narzissmus, des grundlegenden Zustands des Menschen im Ich-Bewusstsein. Psychologisch ist leicht nachzuvollziehen, dass der Mensch beim Eintritt in das Leben zunächst nur um seine Existenzsicherung kreist, d. h. um Nahrungsaufnahme und sein körperliches Wohlbefinden. Die Sorge um sich selbst ist primär, aber bleibt sie es das ganze Leben lang? Im weiteren Lebensverlauf tritt allmählich das Du der Mutter, anderer Menschen und die Welt insgesamt in das Bewusstsein, aber eben in das Bewusstsein des Ichs, nicht ins Bewusstsein des Menschen als solchem. Das Ich lässt - mehr oder weniger - anderes in sein Bewusstsein; dadurch verändert es sich, wird wissender, ängstlicher, weltoffener oder weltablehnender, je nach den Eindrücken, die auf es einwirken – aber es bleibt immer Ich. Dieses grundlegende Ich-Verhaftetsein wird religiös-christlich interpretiert als Sündenfall verstanden, und weil es universal jeden Menschen betrifft, als Erbsünde. Es ist damit nichts anderes gemeint als die Grundgegebenheit des Menschseins in seinem Dasein als Ich. Sündenfall ist das Fallen aus der Einheit mit dem göttlichen Ursprung, was unabdingbar mit dem Eintritt in die menschliche Existenz vollzogen wird. Narzissmus ist keine Krankheit, wie neuere psychotherapeutische Arbeiten nahe legen wollen, sondern eine Grundgegebenheit des menschlichen Daseins. Die Ichverhaftetheit ist damit auch relativ unabhängig von Erziehung und Umwelteinflüssen. Natürlich wirken Erziehung und Umwelt verstärkend oder abschwächend, so wie eine Rose bei liebevoller Pflege viel besser gedeiht als wenn sie vernachlässigt wird. Aber an der Struktur der Rose ändert sich dadurch nichts. Genauso ist es beim Ich: Es blüht auf, wenn es gefördert wird und stellt sich übertrieben in den Mittelpunkt oder es wird ängstlich, unsicher, wenn es vernachlässigt wird; aber es bleibt immer Ich. Und so stellt sich die Frage: Gibt es ein Entkommen aus dieser Existenz im Ich-Bewusstsein, gibt es ein Zurückfinden zu dem ursprünglichen Einssein? Offensichtlich haben manche Menschen ein Empfinden, ein Wissen, einen inneren Antrieb, diesen Ich-Zustand zu überwinden. So weit ich sehe, wird der radikalste Versuch zur Überwindung des Ichs im Zen-Buddhismus unternommen; das Christentum bietet Erlösung durch den Glauben an Jesus-Christus an; bei S. Freud scheint es kein Entrinnen aus dem Narzissmus zu geben.

Seit frühester Jugend habe ich geahnt, geglaubt, gehofft, dieser – damals noch nicht klar gesehenen - Ich-Verhaftetheit zu entrinnen. Aber es war immer der Versuch, vom Ich her das Ich zu überwinden, und das ist notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Das Ich kann sich nicht, wie Münchhausen, am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Darin liegt die große Tragik: Ich bin bemüht, die Ichhaftigkeit zu überwinden und bleibe doch immer im Ich gefangen. Ausweglos! Es ist wie in F. Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“, wo ein Mensch lebenslang Einlass begehrt, ihm der Zugang aber verwehrt wird und ihm am Ende des Lebens gesagt wird, dass diese Türe nur für ihn gedacht war. Das Ich hat nicht die Möglichkeit, das Ich zu überwinden. Die Verzweiflung darüber, - ganz gleich, wie viel Wissen über diese Zusammenhänge vorhanden ist -, scheint mir die Ursache vielen Leids zu sein, das Menschen über sich und andere bringen.

Tragisch ist die Unfähigkeit der meisten Menschen, - ob gebildet oder nicht -, die wahren Ursachen dessen, was ihr Leben bestimmt, zu erkennen. Im Grunde will jeder Mensch glücklich sein. Er geht in dem guten Glauben an das Leben heran: Wenn er recht handelt, sich bemüht, ein einigermaßen angenehmer Mitmensch zu sein, im Leben tüchtig ist und es zu etwas bringt, dann stellt sich das Glück schon ein. Wobei ich glaube, dass diese Haltung eher für meine Generation gegolten hat und heute sich zunehmend die Auffassung breit macht: Glücklichsein gibt’s sowieso nicht, einen Sinn im Leben gibt’s auch nicht, es geht sowieso alles den Bach hinunter, also schaue ich, dass ich zu möglichst großem materiellem Reichtum komme, dann lässt sich der verzweifelte Zustand wenigstens angenehmer aushalten. Diese Haltung ist angesichts der politischen Situation durchaus verständlich: Wie kann eine jährliche Neuverschuldung um Milliarden, die gerade mal die horrenden Zinsen der Gesamtverschuldung deckt, woanders hinführen als in den Zusammenbruch? Wie kann Wachstumsideologie, die von allen als Heilrezept gegen Arbeitslosigkeit angesehen wird, woanders hinführen als in die Vernichtung aller Ressourcen; man braucht nur den Taschenrechner zur Hand nehmen! Oder glauben wir alle sowieso nicht, dass die Erde in 200 Jahren noch bewohnbar sein wird?

Was dem heutigen Menschen abhanden gekommen ist, ist das bohrende Hinterfragen des eigenen Denkens und Handelns. Die Freud’sche Psychologie hat es einem ja leicht gemacht: Für mein Unglück, meine Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit findet sich garantiert in der Kindheit etwas, was schief gelaufen ist. Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich bestreite nicht, dass in der Kindheit vieler Menschen, vielleicht auch in früheren Leben oder genetisch bedingt oder durch Gestirne beeinflusst im Leben eines Menschen Dinge passiert sind, durch die ihm viel Leid zugefügt worden ist. Dem soll man durchaus nachgehen und, wenn möglich, aufarbeiten. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass, wenn das alles erkannt ist, das Leben des Menschen damit in Ordnung gekommen ist. Andererseits hat die Resilienz-Forschung gezeigt, dass auch ein „Gedeihen trotz widriger Umstände“ (Titel eines internationalen Kongresses im Februar 2005) möglich ist. Die Unfähigkeit, glücklich zu sein, beruht nicht auf einer schief gelaufenen Kindheit, dem Schicksal in früheren Leben usw., sondern auf der Tatsache, dass der Mensch im Ich-Bewusstsein getrennt ist von sich selbst, seinen Mitmenschen und der Welt. Dieses Abgespalten sein, Getrenntsein, Abgesondert sein – Sünde kommt von „sondern“ – von sich, dem anderen und seinem Seinsgrund ist die tiefste Ursache der Unfähigkeit des Menschen zum Glücklichsein. Nur Einssein beglückt, und da im Zustand des Gespaltenseins Einssein nicht möglich ist, verlagert sich die Qualität auf die Quantität. Die Folge ist die Gier, die im Buddhismus als die zentrale Ursache des Leides erkannt wird. Begegnen wir heute nicht überall dieser Gier? Der Gier, mit Aktien Geld zu machen, überhaupt der Gier nach schnellem Geld ohne etwas zu leisten – daher der große Erfolg von Gewinnspielen aller Art -, der Gier nach dem neuesten Automodell mit noch mehr PS, nach dem neuesten Handy, der neuesten Digitalkamera – alle zwei Monate! werden im „Warentest“ wieder neue Digitalkameras getestet (seit mehr als einem Jahr!) -, die Gier nach einer neuen Frau. Sie zeigt sich im Abholzen der Regenwälder genau so wie im Leerfischen der Weltmeere, was schon Häuptling Seattle im 19. Jahrhundert gesehen hat: „Wenn der letzte Baum gerodet und der letzte Fisch gegessen ist, werdet ihr erkennen, dass man Geld nicht essen kann.“ Bald ist es soweit!

Ich kann nur staunen, dass es den meisten Menschen nicht möglich ist, zu durchschauen, was da läuft: Dass man in der Quantität das sucht, was man als Qualität nicht haben kann, dass man auf der materiellen Ebene etwas sucht, was nur im geistigen Bereich zu finden ist. Dieses Unvermögen, zu durchschauen, dass wir ein geistiges Verlangen (nach Einheit) auf die materielle Ebene projizieren, womit es zu einem absolut unstillbaren Verlangen wird, betrifft alle Bildungsschichten und hat nichts mit einer verkorksten Kindheit zu tun, sondern mit der fehlenden Bereitschaft, den Dingen und seinem eigenen Denken, Wollen, Fühlen und Handeln auf den Grund zu gehen und Verantwortung für eben dieses Denken, Handeln und Fühlen zu übernehmen.

Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie umfassend das Leben des Menschen durch sein Ich bestimmt wird. Teil I zeigt die Ich-Struktur auf, Teil II, was ich unter Projektion des Unendlichen in die Endlichkeit verstehe. In Teil III, der ursprünglich eine selbstständige Einheit war (s. Vorwort), soll der Weg aufgezeigt werden, der dieses Gefangensein im Ego überwindet und den Menschen zum wahren, umfassenden und beglückenden Menschsein befreit. Leben aus der Einheit soll in Teil IV kurz dargestellt werden.

I. Analyse der Ich-Struktur

Als erstes möchte ich klären, was unter dem Terminus "Ich im Ich-Bewusstsein" zu verstehen ist. Warum es notwendig ist, von einem Ich (gleichbedeutend mit dem lat. Ego) im Ich-Bewusstsein zu reden beruht auf der Tatsache, dass es auch ein Ich in einem anderen Bewusstsein gibt, wobei sich dann aber die Qualität des Ichs radikal verändert; ich würde es dann als das Individuum (ungeteilte Einheit) oder als den göttlichen Aspekt bezeichnen, den der Mensch darstellt – wie jedes andere Geschöpf auch. In der Ich-Orientierung engt sich der Mensch auf seine Ichhaftigkeit ein, während Menschsein viel umfassender ist. Ganz allgemein darf behauptet werden, dass ein Mensch, wenn er zu Bewusstsein gelangt, sich im Ich-Bewusstsein befindet, das vorwiegend durch Denken, Fühlen und Wollen bestimmt ist, wie noch zu zeigen sein wird. Dieses Ich-Bewusstsein soll bzw. kann transzendiert werden, was aber nicht ein Ausgelöschtwerden bedeutet, wie vielleicht in östlichen Religionen angenommen wird, sondern das neue Bewusstsein eines Eingebettetseins in ein größeres Ganzes. Dieses größere Ganze kann mit verschiedenen Namen bezeichnet werden: Gott, Sein, das All-Eine, Urgrund, Selbst, göttliches Bewusstsein, der universale Geist u.a.. Wenn ein Mensch auf diese Weise die Ich-Struktur transzendiert hat, dann ist er zwar immer noch Individuum, einmaliger Aspekt des universalen Geistes, aber nicht mehr ein Ich im Ich-Bewusstsein.

Ich werde zu zeigen versuchen, dass der Sinn und die Aufgabe des Lebens gerade darin besteht, dass das Ich-Bewusstsein transzendiert wird und der Mensch durchbricht zur Geborgenheit in der umfassenden Ganzheit des Seins. Ich werde auch aufzeigen, dass dies keine Möglichkeit des Ichs im Ich-Bewusstsein ist, sondern als Geschenk, Gnade, Erlösung oder wie auch immer erlebt wird.

Wie umfassend der Mensch vom Ich bestimmt wird, mag ein Beispiel verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, ein 30 cm breites Brett liegt auf dem Boden und sie sollen darüber gehen. Sie werden es ohne Zögern und Furcht tun. Wenn nun das gleiche Brett einen 100 m tiefen Abgrund überbrücken würde, wird es Ihnen unmöglich sein, darauf zu gehen. Ihr Ich nimmt eine mögliche Gefahr wahr, die aber nur in der Vorstellung existiert, denn tatsächlich können Sie ja sicher über das Brett gehen. Eine Katze würde dies ohne Zögern tun. Man könnte Zen statt in der Kunst des Bogenschießens durchaus in der Kunst des Abgrundüberschreitens üben.

Auch wenn jemand sich anders verhält, wenn er sich unbeobachtet weiß, als wenn er unter Menschen ist, zeigt das, wie wirksam das Ich im täglichen Leben ist, denn das Ich tarnt sich und zeigt sich ungern den Mitmenschen so, wie es ist.

Wenn der Mensch sich in seinem Ich-Sein entdeckt, ist er etwa drei Jahre alt; er kann jetzt "ich" sagen und meint damit sich in seiner Gesamtheit. Und damit beginnt der Irrtum über sich selbst. Dieser besteht darin, dass sich der Mensch mit seinem ihm bewussten Sein gleichsetzt, d. h. in der Regel mit seinem Denken, Wollen und Fühlen. Dass er damit nur maximal zwei Drittel seines Menschseins erfasst, weil er seinen Schlafzustand ignoriert, entgeht ihm völlig. Rund acht Stunden befindet sich der Mensch in einem Zustand, der der Kontrolle des Ichs entzogen ist, und kaum jemand betrachtet diese acht Stunden als zu sich gehörig, fragt nach, wo er sich in dieser Zeit befindet, wer in dieser Zeit das Geschehen bestimmt, über sein Leben wacht; wie es möglich ist, dass er wieder zum Tagesbewusstsein erwacht, in den gleichen Körper zurückkehrt. Dies alles wird ignoriert, weil der Mensch hier nicht Ich ist. Auch der gesamte Bereich des Unbewussten bleibt unberücksichtigt.

Erst durch S. Freud und die moderne Schlafforschung wurde sichtbar, welche Bedeutung dem Schlaf, dem Traum und dem Unbewussten im Menschsein zukommt. Das wissen heute viele, ich habe aber nicht den Eindruck, dass es existenziell angekommen ist und die Menschen in ihrer Ich-Gewissheit erschüttert hätte. Es hat sie genau so wenig erschüttert wie die Erkenntnis, dass der Mensch nicht im Mittelpunkt des Universums steht (Entdeckung des heliozentrischen Systems), dass er aus dem Tierreich abstammt und damit nicht die Krone der Schöpfung ist (seit Darwins Entdeckung der Abstammung) und Einsteins Relativitätstheorie, dass keine absoluten Aussagen gemacht werden können, sondern alles nur in Beziehung zu anderem seinen Stellenwert erhält. Wenn man einwenden möchte, dass das doch große Auswirkungen gehabt habe, z. B auf das Christentum, so stelle ich dagegen, dass ich keine bleibende, den Menschen verändernde Wirkung sehen kann. Mehr denn je glaubt der Mensch heute, die Hebel der Macht in den Händen zu halten, um die Wirtschaft zu lenken, den Wohlstand zu fördern, den Weltraum zu erobern und Krankheiten und letztlich den Tod in den Griff zu bekommen. Mehr denn je sieht sich der Mensch als Zentrum seiner Welt, die er bestimmt.

Natürlich gibt es vereinzelt Stimmen, die sich für die Umwelt, die Tiere, für friedliches Zusammenleben der Menschen einsetzen, aber weltverändernd wirkt das doch nicht. Ich kann es jedenfalls nicht sehen; was ich sehe, ist die zunehmende Intoleranz von Menschen und Menschengruppen gegenüber anderen auf der ganzen Welt. Soll ich Beispiele anführen? Der Terroranschlag auf das World-Trade-Center als Ausdruck der Empörung eines erheblichen Teils der Menschheit gegen den Westen insgesamt, Erscheinungen des Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit in vielen Ländern seien stellvertretend genannt.