Sagte mal ein Dichter - Wolfgang Martin - E-Book

Sagte mal ein Dichter E-Book

Wolfgang Martin

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Beschreibung

In der DDR galt der 1952 in Greifswald geborene Pianist, Sänger, Komponist und Arrangeur als "genialer Ausnahmekünstler". Schon in frühester Kindheit erlernte er autodidaktisch das Klavierspielen und Komponieren. Holger Biege hörte früh die großen Werke der klassischen Musik, war begeistert von den Beatles, inspiriert vom amerikanischen Soul und der Neuen Musik. Seine beiden Amiga-Alben Wenn der Abend kommt und Circulus gehören zum Besten der DDR-Popgeschichte. 1983 übersiedelte der hochsensible Musiker, gescheitert an der Zensur und den administrativen Schranken des DDR Kulturbetriebs, in die BRD nach Hamburg. Auch da erlebte er Enttäuschungen. Jetzt resignierte Holger Biege vor dem kompromisslosen Kommerz des Musikmarktes. Nach dem Mauerfall kam der triumphale Rückzug zu seinen Fans im Osten. Und als er 2012 noch ein drittes Mal durchstarten will, ereilt ihn und seiner Familie der schwere Schicksalsschlag der ihm sechs Jahre später den Tod bringenden Krankheit. Mit Hilfe seiner Frau Cordelia Biege und seines Bruders Gerd-Christian Biege schildert Wolfgang Martin die "Achterbahnfahrt" des Lebens seines Freundes Holger Biege.

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Seitenzahl: 247

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Wolfgang Martin

sagte mal ein dichter

Holger Biege

Die Biografie

Bild und Heimat

Mein besonderer Dank gilt Cordelia Biege und Gerd-Christian Biege für ihre schönen und traurigen Geschichten, meiner Frau für Geduld und Unterstützung und dem Holger Biege Verein e. V. für das selbstlose Engagement.

eISBN 978-3-95958-777-8

1. Auflage

© 2019 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

Umschlagabbildung: © Privatarchiv Cordelia Biege

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat

Alexanderstr. 1

10178 Berlin

Tel. 030 / 206 109 – 0

www.bild-und-heimat.de

Prolog

Es war der 26. April 2018, ein Donnerstag, morgens, als ich in den Nachrichten des rbb hörte, HOLGERBIEGE sei gestorben, am Tag zuvor, am Mittwoch, den 25. April 2018, »nach langer schwerer Krankheit im Alter von nur 65 Jahren«.

Ich war im Auto unterwegs und musste erst einmal rechts ranfahren und anhalten, um die Tränen aus den Augen zu wischen und zu realisieren, was ich da soeben gehört hatte. Im Abstand von jeweils 30 Minuten hörte ich die Meldung – jedes Mal ein wenig anders formuliert – auf vier Hörfunkwellen des rbb: auf Radio Eins, Antenne Brandenburg, Inforadio und Radio Berlin 88,8. Im weiteren Verlauf der Programme wurden auch Lieder von ihm gespielt.

Aber da war ich längst zu Hause und hatte mir schon die Schallplatten und CDs von Holger Biege aus dem Regal genommen, um sie eine nach der anderen gemeinsam mit meiner Frau zu hören. Ich hatte sie lange nicht gehört, das letzte Mal 2013, nachdem mich Holger und seine Frau Cordelia gebeten hatten, den Booklet-Text für die von Jörg Stempel (dem letzten AMIGA-Chef) veröffentlichte 5-CD-Box Holger Biege – Die Original-Alben zu schreiben. Das war ein Jahr nach der ersten furchtbaren Nachricht, dass Holger einen Schlaganfall erlitten hatte, am 20. Juni 2012, und darum sämtliche geplante Projekte rund um seinen 60. Geburtstag, ein neues Album und Konzerte, verschieben musste.

Trotz zwischenzeitlicher Erhellungen und Verbes­serungen seines Gesundheitszustandes mussten Holger und seine Familie immer wieder Rückschläge hinnehmen, von denen er sich leider nicht mehr erholte.

Immer wieder schimmern Tränen durch beim Hören seiner Songs, wandern die Gedanken zurück zu gemeinsam Erlebtem, vor allem an den Anfang unserer Freundschaft Ende der 1970er Jahre … manchmal unterbrochen durch das nochmalige Hören einiger Lieder, deren Texte so viel aus dem Inneren des Menschen und Künstlers Holger Biege hervorbringen. Geschrieben wurden sie in der ersten Hälfte seines künstlerischen Schaffens von anderen Autoren, von INGEBURGBRANONER und FREDGERTZ für die ersten beiden AMIGA-Platten. Für seine erste ›West‹-Platte schrieb Erfolgsautor MICHAELKUNZE die Texte, der vor allem für seine großartigen Lyrics für UDO JÜRGENS steht, den bedeutendsten deutschsprachigen Interpreten überhaupt.

Nach der Wende wurde zunächst WERNERKARMA, der einzigartige SILLY-Texter, sein Partner, für das 1994 veröffentlichte Album Leiser als laut. Dieses enthielt auch Texte, die Karma schon 1982 geschrieben hatte, für das damals in der DDR geplante dritte Album, das aber nicht zustande kam, weil Holger aus Gründen, die später im Buch eine Rolle spielen werden, seinen künftigen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt von Ost nach West verlegte. Inzwischen schrieb Holger aber eine Vielzahl der Texte selbst.

Schon in frühester Jugend hatte er diesen unglaublich hohen Anspruch an sich selbst und an alle, die mit ihm arbeiteten. Oft gab es auch die Momente großer Unsicherheit und innerer Zerrissenheit in seinem Leben. Das verband Holger Biege mit den ganz Großen der Musikgeschichte, von denen einige zu seinen ›Lehrmeistern‹ gehörten. Daraus schöpfte er seine Kreativität und schließlich so viele zeitlose Lieder, von »Sagte mal ein Dichter« über »Deine Liebe und mein Lied«, »Reichtum der Welt« bis »Will alles wagen«, das als Motto über seinem bewegten Leben stehen könnte:

»Will alles wagen, will mich erkennen,

will mein Leben leben bis zum Grund,

will in die Höhen, will in die Tiefen,

will, dass mir da kein Geheimnis bleibt.«

(Text von Ingeburg Branoner)

Am meisten gelitten hat Holger Biege wohl darunter, dass es immer wieder Umstände gab, die seinem künstlerischen Ehrgeiz und seiner Kreativität buchstäblich im Wege standen, ja manchmal er selbst. Da war diese ständige Unzufriedenheit, es könnte nicht gut genug sein, so dass er sogar fertige Partituren wieder verwarf. Aber am meisten hinderten ihn die äußeren Umstände daran, das Bestmögliche zu schaffen, immer noch besser – und damit meinte Holger Biege vor allem authentischer – zu werden. Auch unverwechselbar. Aber das hatte er eigentlich bereits mit seinen ersten beiden Soloalben Wenn der Abend kommt (1978) und Circulus (1979) geschafft. Kein Journalist sollte fortan mehr Vergleiche mit möglichen Vorbildern finden, denn Holger Biege hatte seinen eigenen unverwechselbaren Stil kreiert. Nur die fehlende Kontinuität, auch wegen der »äußeren Umstände«, sind wohl schuld daran, dass man den Musiker Holger Biege immer wieder – auch längere Zeit – aus den Augen (und Ohren) verlor.

In der DDR waren es vor allem die Künstler-Gängelung, die Ideologisierung der Kunst durch die Prinzipien des Sozialistischen Realismus, die Kontrollmaßnahmen der Zensur durch sogenannte Lektorate sowie die Unlust, jahraus, jahrein seine Konzerte nur zwischen Rostock und Suhl zu absolvieren, obwohl Holger sein Publikum liebte.

In einem Interview mit der Journalistin Waltraud Heinze für die Zeitung Junge Welt am 6. Januar 1990 reflektierte Holger Biege die Gründe für seinen Weggang aus der DDR im Jahr 1983:

»Ich bin nicht wegen der großen Karriere in den Westen gegangen, sondern weil ich den Druck hier nicht ertragen habe. Und da wird es mir ähnlich ergangen sein wie vielen, die im Sommer 1989 über Ungarn in die BRD kamen. Die meisten empfanden doch die Stagnation als unerträglich, diesen Weg in die Leere, alles war vorgeplant, registriert, reglementiert – so sind die Menschen aber nicht! Ich sah 1983 nicht mehr, wie diese Unbeweglichkeit zu durchbrechen ist. Wollte einfach nur so leben, wie ich glaubte, leben zu müssen. Mit meinen eigenen Ordnungsprinzipien. Wesentlich war für mich, dass ich menschlich bleibe und eine Arbeit mache, von der ich überzeugt bin. Aber wer seinen eigenen Kopf hatte, bekam einen Dämpfer. Da wurden Konzerte boykottiert, Interviews verfälscht, da gab’s Psychoterror durchs Telefon oder Auftrittsverbot im Bezirk Neubrandenburg wegen eines Podiumsgesprächs nach einem Auftritt …«

Im Westen waren es andere Gründe, vor allem die von kommerziellen Erwartungen geprägten Marktbedingungen, die einem Künstler wie Holger Biege im Wege standen. Und es darf schon als besondere Tragik eines schwerwiegenden Kapitels der deutsch-deutschen Kulturgeschichte – angefangen November 1976 mit der Ausbürgerung WOLFBIERMANNS bis zum Mauerfall am 9. November 1989 – gewertet werden, dass die meisten Künstler – ob Musiker, Literaten oder Schauspieler – nur für den kurzen Zeitraum ihres ›politisch motivierten Übertritts von Ost nach West‹ im Fokus der bundesdeutschen Medien und damit der gesamtgesellschaftlichen Aufmerksamkeit standen. Dazu gehörten viele einstige Stars der DDR-Musikszene wie die Sängerinnen REGINEDOBBERSCHÜTZ (Soundtrack zu Solo Sonny) und CHRISTIANEUFHOLZ (unter anderem bei KLAUSLENZ und der Gruppe LIFT), die Blues-Musiker JOHANNESBIEBL und STEFANDIESTELMANN oder der begnadete Komponist, Arrangeur, Pianist und Keyboarder FRANZBARTZSCH … und eben auch Holger Biege.

1984 gab es wenigstens noch einen verheißungsvollen Anfang, auch in der Zusammenarbeit von Bartzsch und Biege, für das von Polydor veröffentlichte Album Das eigene Gesicht. Andere Künstler, beispielsweise aus dem Umfeld der 1975 in Leipzig verbotenen RENFT-Combo, wie das Liedermacher-Duo PANNACH/KUNERT, fanden neue Nischen oder willigten in einen teilweise schmerzhaften ›Imagewechsel‹ ein, etwa VERONIKAFISCHER.

Trotz toller Jazzalben (unter anderem mit PETERHERBOLZHEIMER) fand die Musikkarriere des DDR-Superstars MANFREDKRUG bis zur Wende im Westen nur wenig Beachtung. Aber natürlich blieb er als Schauspieler – wie auch ANGELICADOMRÖSE, HILMARTHATE, KATHARINATHALBACH und einige andere – ein erfolgreicher und populärer Künstler. Lediglich NINAHAGEN und ARMINMUELLER-STAHL schafften nach ihrem Weggang aus der DDR sogar eine Weltkarriere.

Während Holger Biege in den 1990er und 2000er Jahren vor allem Konzerte gab – auch wieder in seiner alten Heimat – sowie an neuen Songs arbeitete, die er zunehmend komplett allein schrieb und aufnahm, wollte er 2012, im Jahr seines 60. Geburtstages, noch einmal komplett durchstarten. Ein neues Album war fast fertig ebenso wie die Dramaturgie für ein neues Soloprogramm, Termine waren gebucht, Interviews vereinbart, als Familie und Fans die schockierende Nachricht traf, Holger Biege habe einen Schlaganfall erlitten. Alle Projekte mussten verschoben werden, weil die Ärzte eine lange und komplizierte Reha voraussagten. Dass es noch schlimmer kommen würde, ahnte zu dieser Zeit niemand.

Holger starb, ohne seine Projekte vollenden zu können und noch einmal am geliebten Flügel auf den Bühnen des Landes seine wunderbaren Lieder zu singen.

Das tun nun andere, zum Beispiel sein Bruder Christian, bekannt als GERDCHRISTIAN. Ihm bin ich zu großem Dank verpflichtet, ebenso CORDELIABIEGE, der tapferen Frau an der Seite Holgers. Nur durch ihre Mithilfe, die bereitwilligen und offenen Auskünfte in stundenlangen Gesprächen und Interview-Sessions, war ich in der Lage, dieses Buch zu schreiben: eine biografische Hommage an den großartigen Künstler und Menschen Holger Biege, dem die Karussellfahrten seines Lebens ein häufiges Auf und Ab bescherten.

In seinem größten Hit »Sagte mal ein Dichter« heißt es im Text von Fred Gertz:

»Wie viel Bücher hat die Menschheit

und wie kurz ist so ein Leben!

Nur ein’ Bruchteil davon liest man dann!

Warum denn ein Buch noch schreiben?«

Die Antwort ist einfach:

Weil du, Holger, es verdient hast, weil es sich lohnt – auch für nächste Generationen Musikliebhaber –, die Geschichten aus deinem bewegten Leben aufzuschreiben und vor allem dein musikalisches Vermächtnis mit all diesen wunderbaren Songs zu bewahren.

Ich habe einige, vor allem junge Leute, getroffen, die sich nach deinem Tod für deine Lieder interessierten, weil ihre Eltern nach dieser traurigen Nachricht deine Platten zu Hause auflegten. Und sie wollten mehr wissen über diesen eigenwilligen Künstler und Menschen Holger Biege.

PS: Holgers Bruder heißt laut Personalausweis Gerd-Christian Biege, sein Künstlername ist Gerd Christian und sein Rufname Christian, den ich im Buch als Freund und im Zusammenhang mit den privaten Geschichten verwende.

Wolfgang Martin

Holger im Kinderwagen mit Bruder Gerd-Christian und Mutter Marianne (um 1953)

1 Greifswald – Berlin

Die Wurzeln

Es ist der 19. September 1952, ein Freitag und ein wunderschöner Herbsttag, an dem Holger Biege im Sternzeichen Jungfrau – knapp zwei Jahre nach seinem Bruder Christian – in der norddeutschen Stadt Greifswald geboren wird. Die Eltern, Marianne und Gerhard Biege, waren zu dieser Zeit noch Studenten. Beider Familien sind nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Stargard (im heutigen Polen) zum einen nach Greifswald und zum anderen nach Stralsund geflüchtet, nicht weit von Greifswald. Und dort haben sich die Eltern im Grunde wiedergetroffen, denn sie kannten sich bereits aus Stargard, wo sie dieselbe Schule besucht hatten. Gerhard Biege war immer schon sehr beliebt beim weiblichen Geschlecht und auch seine spätere erste Frau schwärmte bereits als Kind für ihn.

Beide Hansestädte, die heute zu Mecklenburg-Vorpommern gehören, haben ihren besonderen norddeutschen Reiz mit vielen Sehenswürdigkeiten und der Nähe zur Ostsee. Vor allem Christian haben seine zehn Lebensjahre in Greifswald bis heute geprägt, insbesondere was den plattdeutschen Dialekt betrifft, den er wie kein zweiter Künstler beherrscht. Immerhin hat er als Gerd Christian ein ganzes Album mit plattdeutschen Liedern aufgenommen und trat damit in zahlreichen Sendungen und Liveprogrammen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) auf.

Gerd Christian erzählt über die Jahre in Greifswald, ihre Eltern und die gemeinsame Kindheit der Brüder:

»Geboren wurden wir beide im Greifswalder Krankenhaus. Da waren unsere Eltern noch Studenten. Unsere Mutter ist Lehrerin geworden und Vater studierte Naturwissenschaften, konkret Biologie, und hat irgendwann später seinen Doktor gemacht, also promoviert. Da arbeitete er bereits an der berühmten Greifswalder Universität in der Forschung. Gewohnt haben wir am Greifswalder Wall, in der Goethestraße 7.

Die Stationen unserer Kindheit verliefen ganz normal, wie bei anderen Familien auch und wie das damals in den 50er Jahren so war in der DDR. Wir gingen in die Kinderkrippe und danach in den Kindergarten. Das war der Universitäts-Kindergarten in der damaligen Wilhelm-Pieck-Straße (heute Bahnhofstraße), ein Kindergarten für die Kinder, deren Eltern an der Universität arbeiteten, also der Akademiker und anderen Angestellten. In Greifswald wurden wir auch eingeschult, gingen bis zu unserem Umzug nach Berlin in die Saarland­schule.

Holger und ich haben uns eigentlich (fast) immer gut verstanden. Ich war ja der Ältere, und das macht mit zwei Jahren Unterschied vor allem in der Kindheit eine Menge aus. So blieb Holger zeit seines Lebens immer der Kleine, auch wenn er ein ganz Großer geworden ist. Aber für mich blieb er nun mal der kleine Bruder.

Holger war – und blieb es eigentlich immer – sehr sensibel. Schon als Kind war er ein zarter Junge, Muttis Liebling. Er hing an ihr wie ein kleines Klammeräffchen. Ich war im Gegensatz zu ihm ein sehr rustikaler Bengel, gesund und furchtbar stark und der Größere. Im Kindergarten und in der Schule war ich immer der Längste, bis zum Schluss. Das verführt natürlich dazu, sich groß und stark zu fühlen. Aber Holger gegenüber habe ich diese Überlegenheit nie ausgespielt. Eher habe ich ihn mit dem Großen-Bruder-Instinkt beschützt.

Was den Unterschied zwischen uns beiden betrifft, fällt mir noch eine Episode aus der Krippenzeit ein: Da bin ich sogar mal – nur in Windeln – aus dem Fenster raus, und alle wunderten sich, wie ich das so unbeschadet überstanden hatte. Ich galt als übervital, heute würde man sagen hyperaktiv. Holger war das ganze Gegenteil, der hätte so etwas nie gemacht. Weil er wahrscheinlich gemerkt hat, dass man dafür Ärger bekommen würde. Auch weil unser Vater sehr streng mit uns war, vielleicht noch nicht während der Krippenzeit, aber später schon.

Ich habe oft Stubenarrest bekommen, wenn ich mal wieder was ›ausgefressen‹ hatte aus der Sicht meiner Eltern. Als wir umzogen, aus der Goethestraße in die Nähe unserer Schule in die Walther-Rathenau-Straße 29 – das war schon ziemlich dicht an Stralsund ran, aber gehörte immer noch zu Greifswald –, wohnten wir Parterre. Das war das Richtige für mich. Statt zur Tür raus bin ich gleich immer aus dem Fenster gesprungen. Das wäre dem Holger nie eingefallen, und Stubenarrest bekam er schon deswegen nicht, weil er ja eigentlich immer in der Wohnung blieb. Holger war sehr introvertiert, als Kind natürlich zurückhaltend, schüchtern, fast ein bisschen ängstlich. Das drückte sich später in der Schule auch in unseren Betragenszensuren aus: Ich hatte immer eine hohe Zahl und Holger hatte immer eine Eins.

Holger als Kleinkind

Familie Biege Anfang der 1950er Jahre

Zu Weihnachten machen die kleinen Brüder große Augen.

Mit Großvater Kaddatz

Holger als ABC-Schütze (1959)

Die Biege-Brüder mit Mutter Marianne und Großmutter Irmgard

Kindheit in Greifswald: Lächeln fürs Foto

Als Kinder sind wir sehr viel nach Stralsund gefahren, weil da unsere Großeltern wohnten, die Eltern unserer Mutter. Für uns Kinder war das natürlich eine große Weite-Welt-Fahrt, 35 Minuten mit der Bahn von Greifswald nach Stralsund. Aber damals waren die Züge immer voll, weil die Leute noch keine Autos hatten.«

Jetzt kommen wir zur Musik. Haben eure Eltern Musik gemacht und ist ein musisches Talent von euch beiden in der Kindheit erkennbar gewesen?

»Unsere Eltern haben keine Musik gemacht. Mein Vater allerdings konnte Klavier spielen, ohne Noten zu können. Wo er das gelernt hat, weiß ich auch nicht. Er konnte es einfach. Vor allem so klassische Dinge, gar nicht mal die seichten Sachen. Wir waren jedenfalls immer sehr beeindruckt, wenn wir ihn spielen hörten. Vor allem Holger. Also wuchsen wir ja doch in einem musisch interessierten Elternhaus auf.

Noch mehr erweckt wurde das Interesse Holgers am Klavierspielen und der Musik bei unseren damaligen Nachbarn in Greifswald, dem Ehepaar Necke. Das waren herzensgute Menschen, zu denen wir ein sehr gutes Verhältnis hatten. Und das schönste war: Die hatten ein Klavier, in das sich Holger gleich verliebt hatte. Wir gingen oft zu Frau Necke, nachmittags zur Kaffeezeit … Und da setzte sich der kleine Holger gern ans Klavier, um etwas zu spielen, kleine Kinderstücke, die ihm Frau Necke beigebracht hatte. Aber es war ja nicht so, dass Holger da her­angeführt werden musste. Er hat sich selbst dort rangeführt. Dieses Instrument wurde zu seinem ›Schicksalsklavier‹, zu dem er sich magisch angezogen fühlte. Frau Neckes Klavier war Holgers erste große Liebe!«

Was hast du in der Zeit gemacht?

»Ich war vor allem sportlich viel unterwegs. Alles mögliche, Radfahren war mein Ding, Hauptsache immer in Bewegung. Und wenn es sein musste, ob ins Nachbardorf oder noch weiter weg, wo meine Schulfreunde wohnten, bin ich eben hin … vielleicht fünf oder zehn Kilometer entfernt. Das war mir völlig egal. Darüber vergaß ich meistens, meine Schularbeiten zu machen, und musste dann abends ran. Holger hatte seine Hausaufgaben immer schon fertig. Auch so ein Unterschied zwischen uns beiden.«

Ein entscheidender Einschnitt in der Kindheit der Biege-Brüder war 1960 der Umzug der Familie von Greifswald nach Berlin. Ein Umzug aus der vergleichsweise beschaulichen Kleinstadt unweit vom Meer, von der Ostsee, in die große Stadt Berlin. Die Mauer wurde ein Jahr später gebaut, aber Berlin war schon eine in West und Ost geteilte Stadt. Der Umzug erfolgte berufsbedingt, da der Vater eine Stelle an der Akademie der Wissenschaften in Ostberlin bekommen hatte. Ihre neue Wohnung bezog die Familie in Weißensee, in der Klement-Gottwald-Allee 136, heute wieder Berliner Allee, direkt gegenüber vom gleichnamigen Weißen See.

Christian erinnert sich an den Sommer 1960:

»Der Umzug erfolgte während der Sommerferien. Unsere Eltern hatten uns vorher erzählt, dass sie sich beruflich weiterentwickeln wollten, vor allem unser Vater, der ja als Wissenschaftler arbeitete. Wir Kinder haben uns eigentlich sehr wohl gefühlt in unserer Stadt, in Greifswald, und hatten keine Ahnung, was uns in Berlin erwarten würde. Das ist ja eine große Stadt. Für kleine Kinder ist das jedenfalls eine riesengroße Stadt. Aber die Entscheidung und damit auch der Umzug waren unumgänglich.

Vom Umzug haben wir gar nicht viel mitbekommen, denn Holger und ich reisten erst noch in ein Ferienlager auf Rügen und von dort direkt nach Berlin in unsere neue Wohnung. Die Eltern hatten dort schon alles schick gemacht, so dass wir recht schnell heimisch wurden. Die Gegend war ja auch sehr schön, alles grün drum herum und der See gleich gegenüber. Übrigens haben wir beide im Weißen See Schwimmen gelernt. Wir waren kaum in Berlin angekommen und es war ja Sommer, also gingen wir jeden Tag zum See.

Mit elf Jahren, also muss das 1961 gewesen sein, fing ich mit Wasserball an, beim TSC Berlin. Sogar in der Kategorie Leistungssport. Da gab es, wenn notwendig, Freistellungen von der Schule und Berufsausbildung. Unser Club war ja nicht so schlecht, bei Turnieren hinter Dynamo und den Magdeburgern oft Platz 3.

Und weil Holger immer nur zu Hause hockte, ihm eine sportliche Betätigung aber durchaus gutgetan hätte, schleppte ich ihn einfach mal mit zum Wasserball-Training. Er wurde auch angenommen, in der Knabengruppe. Da war ich schon in der Jugend. Aber Holger blieb nur etwa ein Jahr. Wasserball ist ja ein ziemlich brutaler Sport, und das war absolut nichts für ihn. Holger war sein ganzes Leben strikt gegen Gewalt.«

ZWISCHENSPIEL 1

Erste Station: Greifswald

Auf jedem Album von Holger Biege, mit Ausnahme des ›West‹-Albums Das eigene Gesicht, gibt es einige Zwischenspiele, die er am Piano einspielte. Auf den beiden Nachwende-Alben Leiser als laut und Zugvögel sind sie als »Improvisation« (I bis IV) gekennzeichnet. Diese Miniaturen hat Holger immer gern in seinen Konzerten gespielt, weil sie sein weit über die Popmusik hinausgehendes Interesse am Kosmos der gesamten Musik, insbesondere seine Beschäftigung mit der zeitgenössischen ernsten Musik sehr sinnlich zum Ausdruck bringen konnten.

Beim Wiederhören der fünf Konzeptalben von Holger Biege kam mir die Idee, zwischen den langen Interview­passagen mit den wichtigsten Personen im Leben Holgers, seiner Frau Cordelia und seinem Bruder Christian, eigene ›Zwischenspiele‹ zu setzen.

Diese Zwischenspiele sollen dem geneigten Leser die Gedanken, Gefühle und Eindrücke wiedergeben, die der Autor während seiner ›Spurensuche‹ an den drei wichtigsten Orten im Leben und künstlerischen Schaffen von Holger Biege erfahren hat: in seiner Geburts- und Kindheitsstadt Greifswald, in Berlin-Weißensee, wohin er 1960 mit Eltern und Bruder zog, und in Göhrde im östlichsten Landkreis Niedersachsens Lüchow-Dannenberg, kurz hinter der ehemaligen innerdeutschen Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Dorthin ging er 2002 mit Ehefrau Cordelia und den Kindern Björn und Swantje. Dazwischen hatte sich die Familie nach dem Weggang aus der DDR ab 1983 in Hamburg niedergelassen und war Anfang der 1990er Jahre, nach der Wende, nach Berlin zurückgezogen. Dort lebte sie, da sie keine eigene Wohnung im damaligen Ostteil Berlins zugewiesen bekam, im Bungalow von Holgers Bruder Christian in Berlin-Oberschöneweide, einem Ortsteil von Köpenick, und schließlich in Prenzlauer Berg, in der Stargarder Straße.

Das war ganz in der Nähe von Weißensee, wo die Mutter der Biege-Brüder nach der Trennung vom Vater wohnen blieb. Und welch ein Zufall: Holger wohnte in der Stargarder Straße, ist doch Stargard die Heimat der Eltern. Stargard ist eine der ältesten pommerschen Städte und gehört heute zu Polen, zur Woiwodschaft Westpommern und zum Großraum Stettin … auch nicht weit von Greifswald und Stralsund, wohin die Familien der Eltern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geflüchtet sind, als die Stadt von der Roten Armee unter polnische Verwaltung gestellt wurde.

Es ist an einem dieser unfassbar heißen Augusttage im Jahrhundertsommer 2018. Ich bin verabredet mit ­›Cordi‹,­ Cordelia Biege, der Frau von Holger, und dem mit den Bieges befreundeten Musiker und Schauspieler THOMASPUTENSEN, der ebenso wie Holger aus Greifswald stammt und noch immer dort lebt.

Wir haben uns direkt in der Goethestraße 5 verabredet, wo Thomas Proberäume hat und mit seinem Sohn eine kleine Musikschule aufbaut. Zwei Aufgänge weiter, in der Goethestraße 7, verbrachten Holger und Christian Biege ihre ersten Kindheitsjahre – was für ein großartiger Zufall. Bei mir springt sofort das Kopfkino an, mit den Geschichten, die mir Christian erzählt hat: wie er aus dem Fenster der Erdgeschosswohnung gesprungen ist, die Familien im Haus – das hieß damals ›Hausgemeinschaft‹ – in der einzigen Wohnung mit einem Fernsehgerät gemeinsam guckten oder Holger seine ersten Klavierübungen bei der Nachbarin, der guten Frau Necke, gemacht hat.

Und das war in den 1950er Jahren schon wirklich etwas Besonderes, dass jemand einen Fernseher besaß oder auch ein Klavier. Cordelia berichtete mir, dass Holger und sie noch lange Kontakt mit Frau Necke hielten und die Frau erst vor ein paar Jahren gestorben sei. Noch 2009 erhielt Holger Biege zu seinem Geburtstag einen liebevollen Brief von der alten Nachbarin.

Die Universitäts- und Hansestadt Greifswald ist eine sehr schöne Ortschaft mit einer langen Geschichte, auch von Zerstörung und Wiederaufbau. Sie besitzt viele Sehenswürdigkeiten und eine bestechende Nähe zu Wasser und Meer. Bei Wikipedia erfahre ich, dass Greifswald 1250 erstmals das Stadtrecht erhielt, dass es »im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern … an dem in die Ostsee mündenden Fluss Ryck am Greifswalder Bodden zwischen den Inseln Rügen und Usedom« liegt, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Stralsund.

Mit etwa 58 000 Einwohnern – die mit Zweitwohnsitz hinzugerechnet sogar fast 62 000 – ist Greifswald heute die fünftgrößte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns. Wichtigster Arbeitgeber ist die 1456 gegründete Universität, eine der ältesten Mitteleuropas.

An diesem Augusttag sind Ferien in Greifswald und wegen der großen Hitze nur wenige Touristen unterwegs. So kann ich mir nur schwer vorstellen, wie in wenigen Wochen in der Stadt das Leben pulsieren wird, wenn die über 10 000 Studenten – dazu noch die über 6000 Beschäftigten – das neue Semester beginnen. Die Universität verzeichnet im Laufe ihrer Geschichte Studenten aus über 90 Ländern. Untersuchungen in den 2000er Jahren ergaben, dass Greifswald damit zeitweilig die »dynamischste und jüngste Stadt« in Deutschland war.

Hier also studierte Christian und Holger Bieges Vater nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach ihrer Wiedereröffnung am 15. Februar 1946 trug die Hochschule während der gesamten DDR-Zeit den 1933 verliehenen Beinamen »Ernst-Moritz-Arndt-Universität« nach dem 1769 auf Rügen geborenen Schriftsteller, Historiker und Freiheitskämpfer. Arndt absolvierte das Gymnasium am Katharinenkloster in Stralsund und studierte ab 1791 an der Greifswalder Uni, wo er auch habilitierte und schließlich mehrere Jahre als Professor für Geschichte und Philologie lehrte.

Im Nachlass von Holger finde ich Aufzeichnungen des Vaters, Dr. Gerhard Biege, über seine Zeit in Greifswald bzw. Umgebung:

Noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, nämlich ab 1. Januar 1945, sollte er zum Flieger in einem Bataillon der Luftwaffenschule Oschatz ausgebildet werden, landete aber stattdessen wegen einer Verletzung von April bis Juni 1945 in Berliner Reservisten-Lazaretten, unter anderem im Schloss Köpenick.

Von August 1945 bis Februar ’46 arbeitete er als Landarbeiter beim Bauer Voß in Vorbein bei Loitz.

1947/48 Berufsausbildung zum Rundfunkmechaniker, danach kam er zur Arbeiter-und-Bauern-Fakultät (ABF) nach Greifswald.

Er studierte von September 1950 bis August 1955 an der Mathematischen Fakultät der Universität und erlangte dort das Diplom. Bis Dezember 1959 und seiner Delegierung an die Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch arbeitete Gerhard Biege als Aspirant an der Universität Greifswald.

Inzwischen hatte er eine Familie gegründet, mit der Grundschullehrerin Marianne, die die beiden Söhne Gerd-Christian und Holger zur Welt brachte.

Auf meinem Spaziergang durch Greifswald suche ich die Häuser auf, in denen die Familie Biege bis 1960 lebte, in der Goethestraße 7 und in der Walther-Rathenau-Straße 29. Vorbei an einigen Universitäts-Gebäuden sehe ich auch den Kindergarten, in den Christian und Holger gingen, sowie die Grundschule, die sie in den ersten Jahren besuchten. Ich komme vorbei an einer Vielzahl imposanter Gebäude, entstanden in unterschiedlichen Architekturepochen, die nach der Wende umfangreich saniert wurden und so größtenteils ihr ursprüngliches Gesicht zurückerhalten haben. Viele Bauten stehen unter Denkmalschutz und weisen auf Tafeln die Namen großer Persönlichkeiten aus, die in Greifswald geboren wurden:

Am prominentesten ist der Maler Caspar David Friedrich, der als »bedeutendster Künstler der deutschen Frühromantik« gilt. An der Stelle seines Geburtshauses eröffnete 2004 das Caspar-David-Friedrich-Zentrum.

Holger hat übrigens 1984, nach seinem Weggang aus der DDR und für seine Biographie mit Anmerkungen zur Promotion seiner ersten West-LPDas eigene Gesicht auf die Frage nach seiner Geburtsstadt Greifswald geantwortet:

»Es gibt nur einen berühmten Greifswalder, Caspar David Friedrich. Ansonsten? Ehemalige Hansestadt am Greifswalder Bodden. Eine Kleinstadt, die ich nur sieben Jahre kannte.«

Cordelia erzählte mir, dass Holger aber nach der Wende häufig nach Greifswald zurückgekehrt ist und die Stadt sehr mochte, auch wegen der eigenen Familienspuren.

Ich kann mich bei meinem Weg zum Marktplatz in der historischen Altstadt, wo ich mit Cordelia Biege und Thomas Putensen verabredet bin, gar nicht sattsehen an den wunderbaren Gebäuden, dem barocken Hauptgebäude der Universität, dem Dom St. Nikolai, dem Pommerschen Landesmuseum oder dem Rathaus am Markt.

Ein wichtiges Gebäude im Zusammenhang mit Holger Biege ist auch das Greifswalder Theater Vorpommern, in dem er nach der Wende mehrfach Konzerte gab und vom Publikum seiner Heimatstadt frenetisch gefeiert wurde, wie mir später ein Freund und Konzertveranstalter aus Greifswald erzählen wird.

Lang ist die Liste von Persönlichkeiten, die in Greifswald geboren wurden. Caspar David Friedrich gilt ohne Frage als »größter Sohn der Stadt«, aber auch der Schriftsteller Hans Fallada wurde in Greifswald geboren, und neben den Biege-Brüdern entdecke ich aus der neueren Zeit auch die Namen von zwei anderen mittlerweile prominenten Greifswaldern, den Fußballern Toni und Felix Kroos.

Aufgeführt in der Liste, die ich mir im Internet anschaue, ist auch der Name meines Freundes und langjährigen Chefredakteurs bei Radio Brandenburg und Antenne Brandenburg vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB), heute Teil des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb), in denen ich als Musikredakteur arbeitete: CHRISTOPHSINGELNSTEIN. Mit ihm war es möglich, nach der Wende, als die meisten Radioprogramme fast nur noch englischsprachige Musik spielten, auch die besten Songs mit deutschen Texten – aus West und Ost – zu spielen. Neben westdeutschen Favoriten wie UDOLINDENBERG oder RIOREISER auch ostdeutsche Bands und Musiker wie Renft, Silly und eben auch Holger Biege. Wir waren uns immer einig, dass die Texte dieser und noch einiger weniger anderer DDR-Bands durchaus ihre Bedeutung und damit auch Berechtigung in der neuen Zeit hatten. Diese Künstler fanden damals nicht nur ›ganz normal‹ in den Musikprogrammen statt, sondern wurden von uns auch zu Konzerten und öffentlichen Veranstaltungen der Sender eingeladen oder zu Interviews, wenn sie etwas Neues produziert hatten.

Später wird mir Thomas Putensen erzählen, dass er gerade eine Initiative gestartet und dazu Gespräche mit Stadtoberen geführt hat, eine Ehrentafel für Holger Biege am Geburtshaus in der Goethestraße anzubringen.

Nach diesem Stadtrundgang sitzen wir schließlich bei mittlerweile über 30 Grad auf dem Marktplatz von Greifswald, inmitten einer herrlichen Kulisse von restaurierten Häusern, Cafés und Restaurants, dem Rathaus, einigen Geschäften, der altehrwürdigen Apotheke. Immer wieder kommen Leute an unseren Tisch, die Cordelia und Thomas grüßen. Man kennt sich eben in einer solchen Kleinstadt. Cordi, wie Holger seine Frau nannte, könnte sich vorstellen, in Greifswald zu leben und zu wohnen, obwohl sie ursprünglich aus Magdeburg stammt.

Bevor ich deren Geschichten wiedergebe, gehen wir zum Gespräch mit Gerd Christian zurück auf die spannenden ersten Jahre in Berlin und wie die Brüder immer mehr zur Musik kamen.

Hauptstadtjugend

Ab dem 1. September 1960 gingen Christian und Holger Biege wieder in die Schule, nun als Neulinge in die 1. Oberschule Berlin-Weißensee in der Pistoriusstraße. Christian in die fünfte Klasse und Holger in die dritte. Sie gewöhnten sich relativ schnell ein, gewannen neue Freunde und gingen nach der Schule ihren Hobbys nach. Bei Christian waren das vor allem der Sport und die ersten musikalischen Anfänge. Holger interessierte sich verstärkt für die Astronomie, übte aber auch weiterhin fleißig das Klavierspielen.

Und es kam etwas für die Brüder Neues hinzu: das Radiohören und damit das Entdecken von Schlagern und der Beatmusik, wie sie Anfang der 1960er Jahre im Kommen war. Bisher hatten sie im Elternhaus vor allem klassische Musik kennengelernt.

Mit dem Vater am Weißen See

Christian erzählt: