Schläferin - Sophie Reyer - E-Book

Schläferin E-Book

Sophie Reyer

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Beschreibung

Die Überwachung der Träume Sara verbringt den Großteil ihrer Tage zurückgezogen in einem Glashaus, die meiste Zeit schläft sie. Denn dafür ist sie da, zum Schlafen und zum Träumen. Doch Sara kann sich nur schwer in das System einfügen. Keine Fragen stellen, einfach nur die Pillen schlucken und den Überwachern ihre Träume zeigen. Als sie den Maler Bill kennenlernt, scheint ihre Einsamkeit ein Ende zu finden. Doch beide tragen tiefere Geheimnisse in sich, die nur langsam ans Licht kommen. Sophie Reyer entwirft eine gar nicht so fantastische Welt, die geprägt ist von Kontrolle, Überwachung und Manipulation.

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SCHLÄFERIN

Sophie Reyer

Geboren 1984 in Wien. Theatertexte vogelglück, baumleberliebe, hundpfarrer, Anna und der Wulian und käfersucht (S. Fischer-Verlag). Studium Drehbuch und Filmregie an der Kunsthochschule für Medien Köln seit 2011. Buchprämie des bmukk für flug (spuren) (2012). 2013 Literaturpreis der Stadt Graz. Preis „Nah dran!“ für das Kindertheaterstück Anna und der Wulian. 2014 Uraufführung Anna und der Wulian an der Badischen Landesbühne.

Textlicht

Die Reihe Textlicht ist Lesevergnügen im zeitgemäßen Format: Literatur, die unter die Haut geht und im Kopf bleibt! Die Bücher der Textlicht-Reihe können Sie auch als E-Books erwerben.

In der Textlicht-Reihe sind bislang erschienen:

Philipp Weiss: Tartaglia

François Grosso: Zurückbleiben bitte!

Ulrike Schmitzer: Die Flut Izy Kusche: Kassiber

Thomas Ballhausen: Lob der Brandstifterin

Eva Schörkhuber: Die Blickfängerin

Claudia Tondl: Fensterfummeln

Philipp Hager: Wieso riecht’s hier nach Benzin ...?

Ilir Ferra: Aus dem Fluss Jana Volkmann: Fremde Worte Hanno Millesi: Venusatmosphäre

Sophie Reyer

SCHLÄFERIN

Erzählung

Innerhalb des Traumes öffnet etwas meine Hand, damit sie deiner begegnet, außerhalb des Traumes.

Aber außerhalb des Traumes öffnet etwas meine Hand, damit sie deiner begegnet, innerhalb des Traumes.

Gibt es in meinem Traum nicht etwas, das meine Hand öffnet, damit sie deiner begegnet, innerhalb des Traumes?

Wie es hier draußen etwas gibt, das meine Hand öffnet, damit sie deiner begegnet, einfach hier draußen.

Die unmittelbaren Begegnungen und die mittelbaren Begegnungen suchen vielleicht eine andere Begegnung: die Begegnung, die den Ort aufhebt

Roberto Juarroz

1.

EINSAMKEIT

Zuerst starrt sie die Glaswände an. Sie hat die Beine an den Bauchnabel gezogen. Auf der Wiese treiben es Karnickel miteinander. Von weither ist das Rauschen eines Zuges zu hören. Wie das Meer, denkt sie. Lauscht dem Summen nach und sieht sich den frischblauen Himmel an. Die Helligkeit sticht ihr in den Blick. Ihre Augen rollen herum. Immer wieder. Wollen nicht zur Ruhe kommen. Tollende Augen. Sie hockt in einem Quader aus Holz und Glas. Schaut und schaut. Ihr Spiegelbild schimmert in der Milchglasschicht der Frontseite. Ein Kuckuck ruft. Das Brausen eines Autos. Eines der Karnickel hopst von dem zweiten herunter und hoppelt davon. Sie sieht sein Plüschwollschwänzchen von hinten. Sieht weit ausholende Pfoten. Die Karnickel wuseln flink. Und weg sind sie. Kleine Fellknäuel. Sie lächelt. Ihre Augen rotieren wieder. Sie muss husten. Wartet auf die Veränderungen im Blau hinter dem Glas. Dass sich die Sonne ins vertrocknete Sommergras tunkt. Dass es Nacht wird. Nichts.

Man hat sie hierhergebracht. In dieses seltsame Glashaus. Nach dem Tod des Kindes hätte sie allem zugestimmt. Dichte Tage waren es. Schläferin, sagte Zoe. Wir bräuchten eine Schläferin. Sie hatte keine Angst mehr. Sie hatte alles verloren. Dass sie mit Licht experimentierten, hieß es. Photonenstrahlen. Sie war zu allem bereit. Ihr Herz war ein Kreisel. Ihr Kopf war ein Kreisel, der sich um alle Gedanken drehte. Schläferin.

Es ist, als ob alles mit den Glaswänden anfangen würde, denkt sie. Aber es stimmt nicht. Sie weiß von nichts, nur dass sie das Gefühl hat, die Stille würde sie auffressen. Langsam bekommt sie Sehnsucht nach dem Meer. Möchte loslaufen und sich in die Fluten stürzen. Aber was sie da hört, ist nur das Rauschen eines Zuges, der über die Schienen holpert, links vom Quader. Vielleicht sollte sie jetzt aufstehen. Irgendetwas tun gegen diese äußere Ruhe, die sie unruhig macht. Ihr gegen die Pupillen drückt, dass es schmerzt. Aber sie schaut nur. Der Koffer halb ausgepackt in der Ecke. Hin und wieder knackst das Holz. Ein Knistergeräusch. Ich sitze in einem Baum, denkt sie, und erinnert sich an die Baummaus und die Grasmaus in einem ihrer Kinderbücher. Wie sie mit spitzen Schnäuzchen aneinander nuckelten. Einander küssten. Sie muss grinsen. Ob sie dem Kind auch aus diesem Buch vorgelesen hätte?, fragt sie sich. Schiebt die Gedanken schnell wieder weg. Knackst mit den Zehen und guckt stumpf ihr Spiegelbild an. Als ob aller Anfang Glaswände wären, denkt sie und lacht sich selbst aus für diesen pseudophilosophischen Gedanken. Stille. Sie fährt sich durchs Haar. Hinter der Glasscheibe das leise Zittern vertrockneten Grases. Bäume. Ein Himmel, der langsam seine Farbe verändert. Sonst nichts.

Sie steht auf und streift in das Badezimmer. Die Kacheln sind kalt unter ihren bloßen Füßen. Die Badewanne ist ein riesiger heller Hohlraum. Das Fenster halb offen. Trotz der Sommerwärme zittert sie ein bisschen. Ein Käfer aus grüner Schale hockt im Waschbecken. Das schimmernde Kreuz einer Spinne, die sich von einer Ecke abseilt, ist zu sehen. Ihr Körper bibbert. Ihr ist, als ob der Quader atmen würde. Als ob er aus organischem Material gemeißelt wäre. Als ob sie im Inneren einer Gebärmutter hocken würde. Von einer riesigen Vagina verschluckt. What to do, denkt sie und: Nowhereland. Lässt sich vom Duschkopf Wassertropfen auf die Haut rieseln. Kurze Zeit geht es den Augen besser und sie machen keine großen Sprünge mehr. Als sie aus der Badewanne steigt, muss sie Rotz aufziehen. Dann: die Nässe aus der Haut rubbeln. Auf dem Waschbeckenrand liegt ein Föhn. Was das für einen Krach machen würde, den einstecken, denkt sie. Und dann: einschalten. Damit baden gehen. Bei dem Gedanken muss sie abrupt husten. Lenk dich ab, sagt sie sich. Steigt wieder aus der Wanne und reibt sich die Fußsohlen trocken. Läuft dann schnell ins andere Zimmer. Glaswände. Sie geht auf und ab. Nackt. Das Handtuch rutscht ihr von den Schultern, bleibt am Boden liegen. Sie weiß nicht, was sie tun soll gegen die inneren Bilder. Greift sich an die Schläfen. Drückt mit den Fingerkuppen fest dagegen. Soll sie das Rouleau zuziehen? Die Farben am Himmel beginnen, sich zu verändern. Wann kann sie den nächsten Zug hören? Sie spuckt Schleim aus. Szenen aus ihrer Kindheit steigen auf vor ihrem inneren Auge. Sie muss zur Ruhe kommen, denkt sie. Setzt sich aufs Sofa und drückt eine Pille aus der Kapsel. Dann nickt sie ein.

Ich sehe jetzt alles sehr klar. Ich bewege mich leichter und sicherer als sonst.

Meine Hände. Ich muss im Traum immer meine Hände anblicken, hat Zoe gesagt, dann kann ich ihn lenken oder verlassen. Alles kein Problem. Ich gehe durch eine Landschaft. Licht, überall. Die Helligkeit tut weh. Ich sehe Kinder, die auf der Wiese herumlaufen. Viele. Sie sind leicht bekleidet, ihr Haar weht im Wind. Das Gras kitzelt meine Füße. Ich bewege mich, als wäre ich in einer Wasserblase. Ich lächle. Da: ein Pochen. Ist es mein Herz? Nicht vergessen, ich träume nur. Oder –

Sie schreckt aus dem Schlaf. Es hat geklopft. Sie öffnet die Türe. Lächelt ein verrunzeltes Gesicht an.

Mädchen, ich bin die Milchfrau. Ich versorg die Schläfer. Hab hier Milch für dich. Und Äpfel.

Danke.

Geht’s gut?

Verdammt still ist’s hier, antwortet sie vage.

Wird schon werden. Wir haben hübsche Gärtner. Und immer wieder Künstler, Stipendiaten.

Sie tut so, als hätte sie das nicht gehört und malt mit der großen Zehe kleine Muster auf den Holzboden.

Wenn Sie was brauchen, wir sind morgens im Backsteinbau auf einen Kaffee, fügt die Frau hinzu.

Ich glaube nicht, antwortet sie. Aber danke.

Sie betrachtet den breiten Rücken der Milchfrau und deren auftoupierte helle Haare. Die Milchfrau öffnet die Türe ihres Trucks. Schiebegeräusch. Es knallt. Der Motor startet. Ein Dröhnen. Dann kommt die Ruhe zurück, und ihr ist, als würde die Luft atmen. Sie knackst mit den Zehen. Seufzt. Öffnet die Milchpackung. Pack den Koffer aus, denkt sie. Aber sie bleibt regungslos stehen und kann nur starren. Auf die pelzigen Wollkörper der Karnickel starren. Sonst nichts. Plötzlich steht sie auf, eine abrupte Bewegung. Sie setzt sich an den Holztisch. Nowwhereland. Das Fotoalbum liegt schon da. Sie greift mit zittrigen Händen danach. Das Plastik macht ein leises Geräusch zwischen ihren Fingern. Auf den Bildern das Kind. Ein kleines Bündel aus Fleisch. Hässlich und runzelig. Das Gesicht uralt. Ein Greisengesicht. Sie sieht die Züge des Kindes an, das zusammengerollt auf weißem Frottee liegt. Die winzigen Hände zu Fäusten geballt. Dass sie nicht versteht, was so besonders sein soll an diesem Häufchen aus Haut, denkt sie und schließt die Augen. Öffnet sie wieder. Als sie aus dem Fenster sieht, erblickt sie Zoe am Gartenzaun. Der große schlanke Körper mit den stehenden Brüsten, die aussehen, als wären sie geschwollen, geht auf sie zu. Sie betrachtet Zoes Mund, der sich zu einem schiefen Lächeln nach oben schiebt. Sie grinst zurück. Ein wenig asymmetrisch. Steht auf und schiebt die Holztüre zur Seite. Zoe steigt über die Treppen auf die Veranda und drückt sie in eine Umarmung. Es ist wie ein Würgen, denkt sie.

Bist du gut angekommen?

Sie nickt.

Alles klar.

Blass schaust du aus.

Sie blickt zu Boden. Zoe greift nach ihren Fingern und nestelt daran herum.

Lass uns spazieren gehen. Ich zeig dir die Raketenstation.

Ja.

Sie trippelt die Holztreppe hinunter. Gemeinsam streifen sie durchs verwilderte Gärtchen. Hand in Hand. Die Handinnenflächen beginnen ihr zu schwitzen. Du klebst an Zoes Fingern fest, denkt sie. Zoe zeigt ihr das Areal.

Wie geht es dir denn?, fragt Zoe.

Sie versucht, zu lächeln.

Ich überleb’. Und du?

Zoe lacht.

Ich freu mich, dich zu sehen.

Da kommt Zoes Kind angerannt. Die Haare lockig in alle Richtungen stehend, der kleine kompakte Körper halbnackt. Wie idyllisch es hier ist, denkt sie. Zumindest außen.