Schwere Zeiten - Anny von Panhuys - E-Book

Schwere Zeiten E-Book

Anny von Panhuys

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Beschreibung

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrt Just von Dehnow in seine kleine Heimatstadt St. Goar am Rhein zurück. Trotz der langen Jahre in Afrika kann er die Kränkung durch seine große Liebe Herma von Olfers nicht vergessen. Hochmütig hatte sie sich von ihm plötzlich abgewandt, um des reichen, gemütlichen Grafen Kerrwitz willen, dessen Rittergut sie höher bewertete als sein warmes Herz. Da begegnet ihm ein neues Glück in dem jungen Mädchen Traute, deren fröhliche Heiterkeit ihn sofort gefangen nimmt. Doch woher kennt sie seinen Namen? Just ahnt nicht, dass sie die Nichte von Herma ist und sein Foto einmal bei ihrer Tante gefunden hat. An manchen Tagen bereut Herma ihren damaligen Entschluss. Graf Kerrwitz´ ruhige und behäbige Art langweilt sie, sein Reichtum bedeutet ihr nicht mehr so viel. Umso erschrockener ist sie, als sie ihren ehemaligen Verlobten auf Besuch bei ihrem Bruder in St. Goar wiedersieht. Zutiefst eifersüchtig beobachtet sie die beginnende Liebe zwischen ihrer Nichte Traute und Just und beschließt, das neue Glück zu zerstören. Doch der Kriegsanfang verändert das Leben aller. Sowohl Just als auch Werner Graf Kerrwitz werden eingezogen. Aber nicht der Krieg, sondern die Rache eines belgischen Dienstmädchens zerreißen die Schatten der Vergangenheit und zeigen den Weg der Liebe für zwei glückliche Paare. Erst der große Umbruch eines Krieges macht in diesem Kammerspiel der Liebe aus Feindschaft Freundschaft, aus Hass Liebe – und umgekehrt! -

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Anny von Panhuys

Schwere Zeiten

Saga

Schwere Zeiten

© 1932 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570517

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

1. Kapitel.

Hochsommersonne droben am tiefblauen Himmel und ein goldenes Schimmern über dem Rhein. Reifende Trauben an den Hängen und buntbeflaggte Schiffe drunten auf den Wellen. Lachende Menschen und das Zusammenklingen feingeschliffener Römer, gefüllt mit edlem bernsteinfarbenem Nass. — Rheinlandszauber, wie jauchzeselig umstrickst du alle, die in deinen Bannkreis geraten.

Auf der kleinen Terrasse des Hotels Rheinfels in St. Goar waren sämtliche Tische besetzt und ein Abglanz des frohen sonnigen Lebens da draussen lag auf allen Gesichtern. Am letzten Tisch links schien man besonders fröhlich zu sein, denn von dort her schallte oft ein helles tönendes Mädchenlachen auf. Das klang so zündend und fortreissend, dass es förmlich ansteckend wirkte.

Just von Dehnow, der fast durch die ganze Länge der Terrasse von jenem Tisch geschieden war, hatte schon mehrmals durch ein Verrenken des Körpers versucht, der Lacherin ansichtig zu werden, aber immer vergebens; nichts erblickte er von ihr als einen blonden Haarschopf in der Farbe überreifen Korns. Das war viel und doch wenig. Just von Dehnows gebräuntes herbes Gesicht überflog ein Lächeln. Ein niedlicher Backfisch war sie wahrscheinlich, die blonde Lacherin, eine, wie sie dutzendweise herumalberten, und es lohnte sich wohl kaum, ihretwegen aufzuschauen. —

Eben kehrte das Lachen wieder und unwillkürlich hob er aufs neue den Kopf wie lauschend, es klang auch gar so bestrickend, war wie Vogelgezwitscher und wie süsses Lerchengetriller, war wie eine Kette von harmonischen aufeinanderfolgenden Tönen. Es war ein Lachen, das einem so recht alle Not und Qual vom Herzen zu lachen verstand. Wie ein wundertätiger Zauber war dies Lachen.

Just Dehnow griff nach seinem Glase, in dem der Assmannshäuser Rote wie dunkles Blut glühte und trank es bis zur Neige leer: Auf das Wohl eines reinen kristallklaren Mädchenlachens, das nur die haben können, die reinen Herzens sind!

Er stellte das Glas auf den Tisch zurück und um seine Mundwinkel hockte plötzlich wie hergeweht ein scharfer, fast höhnischer Zug, wie ihn die haben, denen durch ein böses Erleben eine bittere Wahrheit kund geworden. Und Just Dehnow dachte an eine schöne schlanke Frau, deren Augen wie dunkle Juwelen waren und deren Haar wie schwarze glänzende Seidenfäden, und die so falsch, so falsch gewesen. — — —

Ach, nicht jetzt an sie denken, hier, inmitten der reichen Sommerpracht, weiss Gott, dass er sie überhaupt noch immer nicht vergessen konnte, dass er noch immer nicht fertig zu werden vermochte mit dem Gespenst der Vergangenheit, trotz aller Mühe, die er sich gegeben, trotz aller, aller Mühe, und war doch so weit, so weit gegangen, um sie zu vergessen, zu deren Füssen er seine heisse junge Liebe niedergelegt wie vor einem Altar, zu der er gebetet wie zu einer Heiligen.

O, nicht mehr daran denken, dass da irgendwo in deutschen Landen eine lebte, vor deren Falschheit er geflohen war bis hinüber in den fremden Erdteil. — Jahrelang war er nun drüben in Ostafrika gewesen, hatte in der Schutztruppe so manchen Zug gegen die Hereros mitgemacht — aber vergessen hatte er Herma von Olfers nicht, zu tief sass die Liebe und der Schmerz, zu tief sass das Glück, das sie ihm gegeben und das Leid, das bittere, bittere Leid, das sie ihm zugefügt. Sie selbst erinnerte sich wohl seiner kaum, war längst verheiratet mit dem millionenreichen Rittergutsbesitzer, dem dicken breitschultrigen Grafen Kerrwitz, dessen Gold ihr mehr gegolten als seine Liebe, dessen Rittergut sie höher bewertet als sein warmes Herz. — Nein, nicht mehr daran denken, nicht mehr daran denken. — — —

Vielleicht hatte das Glück in seinem Füllhorn noch irgend so ein kleines Geschenk für ihn bereit. Sich zu bescheiden, das hatte er ja gelernt, seit ihm Herma von Olfers offen erklärt, sie könne das Versprechen, das sie ihm gegeben, nicht halten, seit der reiche Freier auf dem Plan erschienen, und das Wort Liebe sei ein albernes Märchen für dumme Menschen. Im Leben eine grosse Rolle zu spielen, reich zu sein, das sei mehr wert als alle Liebe der Welt, und er solle klug sein wie sie und sich nach einer Geldheirat umsehen. — Ach, nicht daran denken, nicht daran denken. —

Jahre lagen ja zwischen jener Szene, da ihm ein wunderschöner roter Mund so entsetzlich harte Weisheit verkündet. Eine Weisheit, die sich wie ein Gift in ihn hineingefressen und ihn, den einst so übermütigen, daseinsbejahenden, frohen Just von Dehnow zu einem einseitigen Menschen geformt, zu einem, für den es nichts auf der Welt gab als seinen Beruf. Drüben in Ostafrika hatte er sich mehrfach ausgezeichnet, und er war verhältnismässig jung Hauptmann geworden — und jetzt, seit er vor einem Monat nach Deutschland zurückgekehrt und in ein Frankfurter Regiment eingetreten, waren sich seine Vorgesetzten über seine Befähigung und sein ernstes Streben vollkommen einig. Mit heimlicher Scheu und leisem Neid blickten seine gleichalterigen Kameraden, die alle noch Oberleutnant hiessen, auf ihn, und das Wort „Streber“ schien ihnen die geeignetste Bezeichnung für ihn.

Heute, den klaren köstlichen Sonntag, hatte er zu einem Ausflug an den Rhein benützt, er liebte den Rhein und hatte sich manches liebe Mal dort drüben in der fernen heissen Zone nach seinen Rebenhügeln und seinen trutzigen alten Burgen gesehnt. Heimatluft wehte ja am Rhein und hier in St. Goar, in einer der gekrümmten Bergstrassen, die in holprigen Biegungen zum Rhein hinabführten, stand das einstöckige, schneeweiss gestrichene Häuschen, in dem sein Vater, der Doktor Martin von Dehnow gewohnt. —

Just Dehnow blickte versonnen auf den im Sonnenlicht glitzernden Fluss hinab. Wieviel und oft hatte er hier am Ufer gespielt mit Nachbarskindern und welche glückselige Kindheit hatte er genossen. Vater und Mutter waren nun schon lange, lange tot und ob das weisse Häuschen, darin sie gelebt, noch stand, davon wollte er sich nun überzeugen. Vom Dampfer aus war er zuerst zum Essen eingekehrt, denn kräftiger Hunger hatte sich plötzlich gemeldet und ihn Sehnsucht verspüren lassen nach Rheinsalm und rotem Assmannshäuser.

Er goss sich den Rest aus der Flasche ein und dann winkte er dem Kellner. Er wollte zahlen.

Von der entgegengesetzten Seite der Terrasse flatterte wie ein tönendes Gespinst das süsse Lachen her und Just Dehnow bemerkte, dass man sich dort hinten erhob. Schnell schob er dem harrenden Kellner das Geld zu, er musste die Blondine genau sehen, die so prachtvoll lachen konnte. Und da war sie, hinter einem mageren Herrn und einer grauhaarigen, sehr eleganten Dame ging sie. Nein, sie ging eigentlich nicht, es war etwas schwebendes, allzuleichtes in der Art, in der sie sich vorwärtsbewegte, es war, als berühre ihr Fuss gar nicht vollständig den Boden.

Zart und zierlich wie ein Elfenkind war sie von Gestalt und das schmale Gesichtchen zeigte die durchsichtige Haut, die man eigentlich nur bei den Frauen mit rotem Haar findet. Augen von goldenem Braun schauten keck und übermütig in die Welt und das Haar beschwerte in flimmernden breiten Scheiteln den zierlichen Kopf.

Ob die junge Dame einen Anspruch auf das Eigenschaftswort „schön“ zu erheben hatte, darüber war sich Just Dehnow nicht klar — aber dass sie das entzückendste weibliche Wesen war, das er jemals gesehen, darüber gab er sich keinen Augenblick einem Zweifel hin. Wie ein Prinzesschen aus einem Märchen ist sie, dachte er, und wer sie wohl sein mag, dachte er weiter.

Ihre Kleidung sprach bei aller, vielleicht sogar betonten Einfachheit von Geschmack und einem guten Schneider. Im Vorbeigehen schaute sie flüchtig zu ihm hinüber und Just Dehnow war es, als verweile ihr Auge sekundenlang wie in leichtem Erstaunen auf ihm, als husche ein schnelles Erschrecken in dunkler Blutwelle über ihre Wangen.

Doch sie war schon vorüber, und er hatte sich wohl geirrt. Was sollte ihr auch an ihm aufgefallen sein!

Ein feiner Veilchenduft wehte zu ihm her, er musste aus ihren Kleidern kommen. — Veilchengeruch liebte er — um Herma von Olfers war immer der schwere betäubende Duft der Tuberosen gewesen — und zu ihrer dunklen Schönheit hatte er gepasst.

Just Dehnow wandte ein wenig den Kopf, er sah, dass die drei Menschen im Innern des Hotels verschwanden. — Sie wohnten also hier, verbrachten wahrscheinlich ein paar Sommerwochen hier. Er erhob sich. Was kümmerte es ihn, wer sie waren, und was kümmerte ihn die graziöse Blondine. — Ihr Lachen war verhallt. —

Sonderbar überhaupt, dass er an ein Mädchen dachte, dass ihm ein Mädchenlachen das Herz weit gemacht — daran trug wohl der rote Assmannshäuser die Schuld und der sonnige Tag am geliebten heimatlichen Rhein. — — —

2. Kapitel.

Nach einer kleinen Wanderung am Ufer entlang bog Just Dehnow in eine der bergigen Gassen ein, auf deren unregelmässigem Steinpflaster man jeden Schritt spürte. — Dabei erinnerte er sich der dicksohligen, nägelbeschlagenen Schuhe, die er als Junge getragen, ein Lächeln rann über sein gebräuntes Gesicht. —

Und nun stand er vor dem Vaterhaus, sah es wieder nach vielen Jahren. — Grau war es geworden, und die Mauern wiesen unzählige Sprünge auf, wie ein altes, verfälteltes Greisenantlitz wirkte die Vorderseite des Häuschens. — Ein Name war an der Tür befestigt, den er nie gehört, und ihn überfiel mit einem Male ein grenzenlos ödes Gefühl. — Hatte er nicht wahrhaftig geglaubt, das weisse schmucke Häuschen von einstens wiederzufinden, mit dem kupfernen, blitzeblank geputzten Schellenknopf? — Hatte er nicht gemeint, schneeige Gardinen würden ihm wie helle Grüsse hinter den kleinen Scheiben winken und rotprangende Geranien entgegenleuchten, wie damals in seiner Knabenzeit?

Seit fast fünfzehn Jahren waren die Eltern tot und einfache Leute wohnten jetzt in dem Hause, in dem schon Gross- und Urgrossvater als Medikus treu ihres Amtes gewaltet. Heute bauten sich die Aerzte eine Villa am Rheinufer oder an irgend einer Bergwand auf, es war nicht mehr fein, nicht mehr standesgemäss, in solch einer Gasse zu Hausen.

Wehmut überschlich Just Dehnow und wie bedauernd streiften seine Augen noch einmal das Häuschen. Ihm war’s, als sähen ihn die grauen regenverwaschenen Mauern traurig an, und die Madonna mit dem Jesuskindchen im Arme nickte ihm müde zu: Ja, ja, man wird älter, wir alle müssen der Zeit unseren Zins entrichten — und du siehst aus, als sei man in der Welt draussen nicht allzu glimpflich mit dir umgegangen.

Er wandte sich, und einer weichen Stimmung nachgebend, nickte er dem Muttergottesbilde, dem er dereinst als Kind alle seine Sorgen geklagt, zu.

Ein helles und doch gedämpftes Lachen erwachte hinter ihm, und da er sich hastig, überhastig umdrehte, blickte er in zwei goldbraune Schelmenaugen unter blondflimmerndem Scheitelhaar. Ein holdes, fröhliches Gesichtchen, sprühend vor Lebenslust, befand sich nahe dem seinen und ein blassrosiger Mund begann zu sprechen: „Verzeihen Sie mein Lachen, aber es wirkte so komisch, einen richtigen ausgewachsenen Offizier einer alten verwitterten Madonna zunicken zu sehen.“

Er musste auch lachen, ihr frischer natürlicher Ton riss ihn hin.

„Sie Haben entschieden recht, mein gnädiges Fräulein, aber,“ setzte er, wieder ernster werdend, hinzu, „in diesem Hause bin ich geboren, und die alte verwitterte Madonna aus Stein machte ich oft zur Fürsprecherin meiner Jugendgebete. Wenn ich mir einen Ball oder sonst irgend ein Spielzeug wünschte, so trug ich meinen Wunsch immer erst der Madonna vor.“

„Und sorgte sie auch für die Erfüllung der Wünsche?“ fragte der rosige Mund neckend.

„O ja, im allgemeinen konnte ich mich auf sie verlassen,“ gab er lustig zurück, und dann flog es ihm mit einem Male durch den Sinn, woher wusste sie eigentlich, dass er Offizier war, er trug doch Zivil, und er fragte gerade und offen heraus.

Das rosige Gesicht nahm einen Ausdruck von Geheimnistuerei an.

„Ach, Herr von Dehnow, das sagt mir mein kleiner Finger.“

Er stutzte.

„Meinen Namen wissen Sie auch?“

Sie nickte.

„Ja — den hat mir nämlich auch mein kleiner Finger verraten, Sie können überzeugt sein, mein kleiner Finger ist sehr, sehr klug.“

„Nach der Probe, die Sie mir soeben von seiner Klugheit gaben, zweifle ich natürlich keine Sekunde daran, und ich wünschte, ich besässe einen gleich klugen kleinen Finger, um zu erfahren, wer Sie sind, gnädiges Fräulein.“

Sie kicherte verhalten.

„Hm — alle kleinen Finger sind nicht so gescheit wie der meine.“

Sie befanden sich beide ganz allein in der kurzen holperigen Gasse vor dem alten Hause.

„Ich muss nun weiter,“ sprach der hübsche Jungmädchenmund und zwei Reihen weisser glänzender Zähne wurden sichtbar und mit raschem „Guten Tag, Herr von Dehnow!“ wollte die schmale, wunderzierliche Gestalt die Gasse hinaufeilen.

„Ich habe denselben Weg, vielleicht gestatten Sie mir, Sie noch ein Stückchen zu begleiten,“ sagte er und wunderte sich über sich selbst, dass er es tat. Aber er stand völlig im Banne dieser braunen Augensterne, völlig im Banne des quellfrischen Lachens dieser Fremden.

„Gut, wir können zusammengehen,“ willigte sie ein, „aber auf den Friedhof begleite ich Sie nicht, ich vermeide es, Friedhöfe aufzusuchen,“ — sie zog die schmalen Schultern hoch, „es würgt mich dort immer etwas, wenn ich auf die Hügel schaue und mir ausmale, unter so einem Hügel werde ich auch einmal liegen, und tagelang danach kann ich nicht mehr lachen.“ Sie blinzelte drollig zu ihm auf. „Ich will Ihnen gestehen, Herr von Dehnow, ich lache nämlich gar zu gern.“

Er liess das Letzte unbeachtet, sah sie nur scharf an und fragte: „Woher wissen Sie, dass ich den Friedhof zu besuchen gedenke?“

In seiner Stimme war Verblüffung. Dieses Mädchen ward ihm immer rätselhafter. Er wusste doch genau, er war ihr noch niemals im Leben begegnet — dennoch kannte sie seinen Namen, seinen Stand — und nun vermochte sie ihm sogar zu sagen, wohin er seine Schritte zu lenken beabsichtigte. Und er hatte doch zu keinem Menschen darüber gesprochen. —

Die Blonde lächelte ein bischen nachdenklich und ihre Augen blickten an ihm vorbei.

„Sie erzählten mir, Sie seien hier geboren und da mir mein kleiner Finger dazu noch erzählte, Ihre Eltern seien vor Jahren in irgend einem rheinischen Städtchen gestorben, so nehme ich an, es handelt sich hier um St. Goar und Ihre Eltern ruhen droben auf dem Friedhof, dessen Kreuze über die Mauer da drüben auf die alte Kirche herniederschauen. Und von soviel Wissen ist’s nicht mehr weit, zu erraten, wohin Sie wollen.“

Just von Dehnow schüttelte den Kopf.

„Ich bin zwar nicht allzu beschlagen in Zitaten, aber eins, das mir einfällt, will mir für das, was Sie mir zu erklären suchen, sehr passend erscheinen.“

Sie strich ein widerspenstiges Härchen über das Ohr zurück und lugte leicht zu ihm empor. „Nun?“

„Wenn man’s so hört,

Möcht’s glaublich scheinen,

Steht aber immer doch

Schief darum.“ — — —

Sie lachte schon wieder.

„Sie bezweifeln also die Weisheit meines kleinen Fingers?“

Er nickte amüsiert.

„Ja, ich glaube nicht an seine besonderen Fähigkeiten.“

„Schade, das wird meinen kleinen Finger sehr kränken.“

So plaudernd waren sie bis in die Nähe des Friedhofs gelangt. Just von Dehnow war allmählich in ein ganz langsames Schlendertempo verfallen — dieses Beisammensein mit der über seine Person so gut unterrichteten Fremden übte einen seltsamen Zauber auf ihn aus. Und ihm war es, als gehöre dieses holde blonde Mädchen hierher in die Heimat, als gehöre sie dazu wie der Rhein und der rote Assmannshäuser und all die sonnige, wonnige Pracht ringsum.

Er, der seit Jahren einen Bogen gemacht um alle hübschen weiblichen Wesen, sass plötzlich wie in einem Netz von Wohlbehagen und Glück und wie in eine Versenkung verschwand jegliches Denken an die falsche Herma von Olfers, die einmal durch seine jungen Tage gegangen wie eine dunkelhaarige Herrscherin. —

3. Kapitel.

Vor der Tür zum Gottesacker blieben beide stehen. Eine schlanke weisse Hand schob sich Just entgegen.

„Leben Sie wohl, Herr von Dehnow, und zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, wer ich bin. Meine Mutter meint, ich sei ein übermütiges Ding, das niemand ernst nehmen könne und wenn Sie mögen, können Sie sich ja dieser Ansicht anschliessen.“

Husch, husch, waren die niedlichen Füsse in den Schuhen von stumpfem, weissem Leder schon davongegangen.

Just von Dehnow blickte der weissgekleideten Gestalt nach, er wollte ihr noch etwas sagen, wollte sie noch etwas fragen — aber er brachte nichts hervor. Stumm folgte ihr sein Auge, bis sie da unten in einem grossen alten Bau rechts von der Kirche verschwand.

„Ich will wissen, wie sie heisst, will wissen, wer sie ist,“ nahm er sich vor und folgte ihr.

In dem alten Bau, der eine grosse Ausdehnung zeigte, trat ihm eine kleine magere Frau entgegen.

Er fasste höflich grüssend an den Hut.

„Bitte, können Sie mir nicht sagen, zu wem im Hause die weissgekleidete junge Dame gegangen ist, die vorhin, vor einigen Minuten, hier eingetreten ist?“

Die Frau wachte eine verneinende Bewegung.

„Vor einigen Minuten kann hier keine Dame eingetreten sein, denn seit einer halben Stunde schon halte ich mich hier im Gange an der Türe auf.“ Sie wies auf einen in der Ecke lehnenden Besen. „Ich habe den Flur gekehrt, und wenn hier jemand ins Haus gekommen wäre, hätte ich ihn sicher bemerken müssen.“

Sie griff nach dem Besen, als wollte sie die Beschäftigung, von der sie eben gesprochen, wieder aufnehmen.

Just Dehnows Gesicht war von leichter Ungeduld überschattet. „Aber liebe Frau, ich sah doch die Dame mit meinen eigenen Augen.“

Die Frau zuckte die Achseln.

„Unmöglich, oder es müsste gerade die Nonne gewesen sein, die hier manchmal am hellen lichten Tage umgehen soll, man sagt, sie fände keine Ruhe drüben in ihrem Grabe unten in der Kirche, und weil das Haus früher ein Kloster gewesen ist ...“

„Ein Mönchskloster, wenn ich nicht irre,“ warf er ärgerlich, durch diesen Schnickschnack hingehalten zu werden, ein.

Die Frau liess sich nicht aus der Fassung bringen.

„Möglich! Aber warum soll denn eine tote Nonne nicht in einem alten Mönchskloster spuken?“

Da ging Just Dehnow, er wusste nun, aus der Frau war nichts herauszubekommen.

Als er die Stufen der kleinen Treppen hinunterstieg, war es ihm, als vernehme er deutlich wieder das klingende Lachen des blonden Mädchens. Er drehte sich schnell herum, aber öde lag der weite Gang, der deutlich noch den einstigen klösterlichen Charakter erkennen liess, und die Frau fuhr mit dem Besen über den Steinfussboden in so emsiger Geschäftigkeit, als gäbe es für sie nichts Wichtigeres auf der ganzen Welt. —

Langsam wunderte nun Just Dehnow den Weg zurück, den er eben gekommen. Und er trat vor die Gräber der Eltern hin, die in einen festen Mantel von Efeu eingehüllt lagen und freute sich, wie gut sie gepflegt waren. Seit er von der Schutztruppe zurück, hatte er die Obhut über die Hügel einem St. Goarer Gärtner übergeben, hatte ihm geschrieben und Geld gesandt und konnte sich nun freuen, wie schön die Stätten erhalten, in denen Elternliebe zum letzten Schlummer gebettet war. — —

Als er den Friedhof verlassen, überlegte er flüchtig, was er nun anfing. Es gab hier wohl ein paar Menschen, die sich seiner noch erinnern mochten, wenn er den in St. Goar altbekannten Namen nannte, aber er verspürte keine Lust, jemanden aufzusuchen, er war ihnen und ihrem gleichmässigen friedlichen Leben doch längst fremd geworden. Es lagen weite Wege zwischen seiner Knabenzeit und den Jahren drüben in Afrika, Wege, welche die gemütlichen Kleinstadtmenschen gar nicht in ihrer ganzen Länge abzuschätzen wussten. —

So unternahm er denn noch eine kleine Wanderung zur Burg hinauf und fuhr dann am späten Nachmittag