SEAL Team 12 - Im letzten Augenblick - Marliss Melton - E-Book

SEAL Team 12 - Im letzten Augenblick E-Book

Marliss Melton

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Niemand will ihr glauben. Nur er kann ihr jetzt noch helfen.

Als Ellie Stuarts drei kleine Söhne von Unbekannten entführt werden, bricht eine Welt für sie zusammen. Allein die Hoffnung, ihre Kinder wiederzufinden, hält sie noch am Leben. Doch die Polizei schenkt Ellie keinen Glauben und verdächtigt sie, selbst etwas mit dem Verschwinden der Jungen zu tun zu haben. Verzweifelt wendet sie sich an Navy SEAL Sean Harlan, der schon lange tiefe Gefühle in Ellie auslöst und auf der Jagd nach den Entführern ihre einzige Hoffnung ist.

Leserinnen und Leser von Cynthia Eden, Shannon K. Butcher und Roxanne St. Claire können sich auf ein spannendes Lesevergnügen freuen!

Starke Helden und ganz viel Gefühl - die packende und wunderbar romantische Navy-SEALs-Reihe von Marliss Melton:

SEAL Team 12 - Aus dem Dunkel
SEAL Team 12 - Gebrochene Versprechen
SEAL Team 12 - Geheime Lügen
SEAL Team 12 - Bittere Vergangenheit
SEAL Team 12 - Gefährliche Suche
SEAL Team 12 - Im letzten Augenblick

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.




Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 465

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

Epilog

Danksagung

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

SEAL Team 12 – Aus dem Dunkel

SEAL Team 12 – Gebrochene Versprechen

SEAL Team 12 – Geheime Lügen

SEAL Team 12 – Bittere Vergangenheit

SEAL Team 12 – Gefährliche Suche

SEAL Team 12 – Im letzten Augenblick

Über dieses Buch

Niemand will ihr glauben. Nur er kann ihr jetzt noch helfen.

Als Ellie Stuarts drei kleine Söhne von Unbekannten entführt werden, bricht eine Welt für sie zusammen. Allein die Hoffnung, ihre Kinder wiederzufinden, hält sie noch am Leben. Doch die Polizei schenkt Ellie keinen Glauben und verdächtigt sie, selbst etwas mit dem Verschwinden der Jungen zu tun zu haben. Verzweifelt wendet sie sich an Navy SEAL Sean Harlan, der schon lange tiefe Gefühle in Ellie auslöst und auf der Jagd nach den Entführern ihre einzige Hoffnung ist.

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Marliss Melton hat fast überall in der Welt gelebt, da ihr Vater Diplomat war. Ihr Mann ist aus der Marine ausgeschieden. Sie nutzt ihre Weltkenntnis und ihre Militärkontakte, um realistische und aufrichtige Romane zu schreiben.

MARLISS MELTON

SEAL Team 12

IM LETZTEN AUGENBLICK

Aus dem amerikanischen Englisch von Ralf Schmitz

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2008 by Marliss Arruda

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Too Far Gone«

Originalverlag: Forever

Forever is an imprint of Grand Central Publishing/Hachette Book Group, USA.

This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY, USA. All rights reserved.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2014/2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Andrea Kalbe

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © GettyImages|photosvit; © GettyImages|triocean

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7517-2052-6

be-ebooks.de

lesejury.de

Dieses Buch ist der Erinnerung an den Navy SEAL Petty Officer 2nd Class Michael Monsoor gewidmet, der seinen Kameraden am 29. September 2006 in Ramadi, Irak, das Leben rettete, indem er sich auf eine Handgranate warf. Monsoor wurde für seinen Opfermut posthum mit der Medal of Honor und für vorherige Heldentaten mit dem Silver Star ausgezeichnet. Zu Lebzeiten hatte ihm sein mutiger Einsatz den Bronze Star, das Purple Heart und das Combat Action Ribbon eingebracht. Möge er auf ewig unserer bescheidenen Dankbarkeit gewiss sein.

Prolog

Carl Stuart schob sich um einiges nüchterner, als er gerne gewesen wäre, aus der verräucherten Hafenkneipe. Er hatte keinen einzigen Dime für Alkohol mehr in der Tasche. Die feuchte Luft von Savannah hüllte ihn ein wie die warmen Sümpfe seiner Heimat Mississippi. Nur dass die Luft in dieser Touristenstadt mit deftigen Gerüchen aus den zahlreichen Restaurants an der River Street geschwängert war. Das Gelächter der Gäste schien ihn zu verspotten, als er sich zwischen ihnen hindurchzwängte und über die Schotterstraßen des historischen Hafenviertels davonschlich.

Auf dem Weg ins dunkle Eastend stellte er sich vor, an diesem Abend in den glitzernden Fluss zu springen und seinem beschissenen Leben ein Ende zu setzen.

Er war völlig umsonst hierhergekommen. Der Job auf dem Bau, der ihn nach Georgia geführt hatte, war zu anstrengend gewesen. Der Polier hatte kein bisschen Nachsicht mit ihm gehabt und ihn am Ende kurzerhand auf die Straße gesetzt. Und heute Morgen erst hatte Tammy ihn aus ihrer gemeinsamen Wohnung geworfen und ihn einen Nichtsnutz genannt. Er hasste es, wenn man ihn so nannte. Ellie hatte das auch immer getan.

Carl hatte ihre Worte den ganzen Tag hin und her gewälzt und war darüber immer streitlustiger geworden. Auf der Suche nach einer Kneipenschlägerei, die blutig und schmerzhaft genug wäre, um ihn von seinem Kummer abzulenken, hatte er mehrere Bars aufgesucht. Aber anscheinend war niemand außer ihm auf eine Prügelei aus.

Die Sohlen seiner abgelaufenen Schuhe schlugen hohl auf den Asphalt. Er dachte an ein altes Sprichwort: Umsonst ist der Tod, aber er kostet das Leben. Dabei hätte etwas aus ihm werden können, wenn nur …

Er ging mit hängendem Kopf und quälte sich mit Gedanken an das Nichts – an die Erleichterung, die ihm das warme Wasser bringen würde.

Da ließ ihn der Schreckensschrei einer Frau zusammenfahren und den Kopf heben. »Hilfe!«, rief sie wild gestikulierend. »Der Mann hat meine Handtasche gestohlen!«

Carls Blick schoss zu der schattenhaften Gestalt, die davonlief und sich den Steinstufen zur Bay Street zwölf Meter über dem Fluss näherte. Carl nahm die Herausforderung mit einem grimmigen Lächeln an, froh, endlich ein Ventil für seine Wut zu haben.

»Danke«, rief die attraktive Frau, als er an ihr vorbeistürmte.

Der Junge mit der Handtasche warf einen erschrockenen Blick über die Schulter. In seiner Hast wankte er ungeschickt die Stufen hinauf, stolperte über die eigenen Füße und rappelte sich wieder auf. Er war kein Gegner für Carl, der auf der Highschool ein bekannter Quarterback gewesen war, damals, bevor Ellie ihm seine Zukunft genommen hatte. Das mochte über zehn Jahre her sein, trotzdem war Carl noch schnell und beweglich und konnte einen Mann zu Boden ringen und nach Strich und Faden vermöbeln, wenn ihm danach war.

Und heute Abend wollte er jemandem wehtun. Er brüllte, dass ihm das Blut in den Adern stockte, packte die Knöchel des Jungen und riss ihn mit Wucht zu Boden. Dann stürzte er sich auf ihn – und sah im nächsten Moment ein Messer in der Hand des Jungen aufblitzen. Carl schlug es ihm mit einem kraftvollen Hieb aus der Hand. Während es klappernd die Stufen hinabfiel, ballte er die Faust und drosch sie dem Knaben gegen das Kinn.

Knirsch! Der Griff um die Handtasche erschlaffte, trotzdem ließ Carl sein Strafgericht auf ihn hinabregnen, deckte das Gesicht des Jungen mit Schlägen ein, bis Blut floss. Schließlich schnappte er sich seine Beute und blickte zu der Frau hinunter.

Sie stand am Fuß der Treppe, ihr Schmuck funkelte im Licht des alten Leuchtturms über ihnen. Die Handtasche in Carls Hand war schwer, prall gefüllt mit Geld und Kreditkarten. Er konnte sie sich nehmen. Er musste bloß über sein blutendes Opfer steigen und die restlichen Treppenstufen hinauffliehen.

Die Versuchung war groß. Doch die Frau hatte inzwischen eine Schar geschniegelter Freunde um sich versammelt, die erwartungsfroh zu ihm heraufsahen. Scheiße!

Also klemmte sich Carl die Handtasche mit einem Anflug von Enttäuschung unter den Arm und trug sie mit bleischweren Gliedern die Stufen hinunter. Die Frau eilte ihm mit dankbar glänzenden Augen entgegen. »Oh, vielen, vielen Dank«, sprudelte sie hervor und griff nach ihrer Handtasche. Da ihm bewusst war, dass ihre Freunde ihr nicht von der Seite wichen, gab er die Tasche widerwillig her. Er empfand Wut und Verdruss. Das Leben war so verflucht ungerecht.

Die Frau wandte sich wieder ihren Freunden zu und verzog sich mit ihnen. Alle offenbar glänzender Laune. Als sie ihn so stehen ließen, hörte er noch ihren Vorschlag, zur Feier ihres Glückstags einen auszugeben.

»Undankbare Schlampe«, brummte Carl mit einem Blick auf seine blutigen Knöchel.

Im makellosen Innenraum eines in der Nähe geparkten Bentley Arnage wandte sich Owen Dulay dem forschenden Blick seines Anwalts zu.

»Er hat sich richtig verhalten«, bemerkte Lynwood Spenser überrascht.

»Das dachte ich mir«, entgegnete Owen mit einer Mischung aus Erleichterung und Befriedigung.

»Ich finde nur, er hätte den Jungen nicht gleich halb totschlagen müssen«, stellte Lynwood fest.

»Der Junge wird entschädigt. Was zählt, ist, dass er der Frau ihr Eigentum zurückgegeben hat«, beharrte Owen. »Er hat das Herz eines Centurions.« Zumindest hatte er sich das einzureden gehofft.

»Da sagt der Polier auf der Baustelle aber was anderes«, murmelte der Anwalt.

Owen sah ihn ungeduldig an. »Ich habe nur ihn, Lynwood. Sie kennen die Gesetze.«

»Trotzdem rate ich Ihnen, bevor Sie eine derart schwerwiegende Entscheidung treffen, eine Probezeit in Erwägung zu ziehen«, empfahl der Anwalt.

»Das wird nicht nötig sein«, versicherte Owen ihm. »Ich werde ihn schon zu dem Mann machen, der er sein muss.«

Während Lynwood Spenser einen skeptischen Seufzer ausstieß, stieg Owen Dulay aus seinem Wagen, um Carl Stuart ein Angebot zu unterbreiten, das er unmöglich ablehnen konnte.

1

Das ist doch zum Haare raufen!, dachte Ellie Stuart. Draußen vor ihrem winzigen Ranch-Style-Haus, schüttete es wie aus Eimern, und drinnen tobten ihre zwei Ältesten durch alle Zimmer. »Jungs!«, rief sie und sah von dem Biologiebuch auf ihrem Schoß auf. »Es reicht! Auf euer Zimmer, sofort, macht ein Spiel oder lest ein Buch.«

»Ich hab aber nichts mehr zum Lesen, Mama«, protestierte der zehnjährige Christopher.

»Ich hasse lesen«, verkündete sein kleiner Bruder Caleb.

Ellie legte ihr Buch weg und erhob sich unheilvoll vom Sofa. »Dann üben wir eben Mathe«, drohte sie und stieg über das Baby hinweg, das ihr über den Weg krabbelte. Calebs Leistungen in der zweiten Klasse machten seinem Lehrer und natürlich Ellie, die nie ausreichend Zeit für Nachhilfe fand, große Sorgen.

Nun opferte sie ihre Lektüre, schnappte sich die Übungskarten, die sie bei Walmart gekauft hatte, und befahl ihm, sich auf seine vier Buchstaben zu setzen. Er ließ sich mit einem Gummiball in der Hand aufs Sofa plumpsen und stieß dabei ihr Lehrbuch auf den Boden.

»Pass auf!«, schimpfte Ellie. Sie hasste den frustrierten Unterton in ihrer Stimme. Alleinerziehend zu sein war das härteste Los, das man als Frau haben konnte, abgesehen von dem Leben in einem schäbigen Trailer an irgendeinem Morast in Mississippi mit einem nichtsnutzigen, lügenden und betrügenden Ehemann namens Carl.

»Chris«, bat sie ihren Ältesten, »könntest du das Baby bitte mit in euer Zimmer nehmen?«

»Ja, Mama«, antwortete Chris seufzend.

Ellie platzierte sich vor Caleb, sortierte die Karten und begann mit der Übung. »Zwölf«, korrigierte sie ihn, als er die falsche Antwort gab. »Das haben wir schon mal gemacht, weißt du noch?« Schwer zu sagen, ob Caleb sich nicht erinnern konnte oder ob er sich absichtlich begriffsstutzig anstellte. Egal, sie stand so oder so am Rande eines Nervenzusammenbruchs.

Der Anblick eines Chevy-Trucks auf ihrer Auffahrt entlockte ihr einen Aufschrei. Na, sieh mal einer an, wer von Gott weiß woher zurück war.

Caleb kniete sich aufs Sofa, um zu sehen, was sie sah. »Ja-ha!«, rief er. »Mr Sean ist wieder da!«

»Sitzen bleiben!«, befahl Ellie, als er vom Sofa springen wollte.

Als Sean mit einer Plastiktüte in der Hand aus dem Truck stieg und zu ihren Eingangsstufen eilte, ging Ellie mit heftig schlagendem Herz zur Tür, um sie für ihn zu öffnen.

Chief Petty Officer Sean Harlan war ihr Vermieter. Als sie ihm vor zehn Monaten zum ersten Mal begegnet war, hatte sie sofort bemerkt, dass er eine Gefahr darstellte – nicht weil er ein SEAL und Scharfschütze, sondern weil er so charmant war. Er war kahlköpfig und muskulös, hatte funkelnde blaue Augen und ein Mörderlächeln. Sie hatte sofort in ihm gesehen, was er war: ein Verführer, der sich auf Frauen verstand, aber niemals länger bleiben würde als ein Schmetterling auf einem Fliederbusch.

Als sie und ihre Jungs neu in Virginia Beach waren, hatte sie Sean nur schwer aus dem Weg gehen können. Ständig war er um ihr kleines Haus herumgewuselt, eines von mehreren, die ihm gehörten und die er vermietete, und hatte überall letzte Hand angelegt. Im Garten hinter dem Haus hatte er einen Sandkasten ausgehoben, und er hatte den Jungs Fahrräder mitgebracht. Doch dann war er nach Übersee gegangen, wo er die letzten sechs Monate verbracht hatte, und das Leben hatte sich in eine schleppende, aber regelmäßige Langeweile verwandelt.

Sie hatte ganz vergessen, wie beunruhigend seine Gegenwart sein konnte.

»Hi.« Als sie sein Mörderlächeln und die Regentropfen in seinen Wimpern sah, überrollte sie sein Sexappeal wie eine Woge aus flüssigem Wachs, absolut unwillkürlich und total unerwünscht. »Sind die Jungs da?« Seine Augen wirkten in dem sonnengebräunten Gesicht noch blauer.

Herr, hab Erbarmen. »Klar«, antwortete sie. Ihre Stimme klang rauer als sonst. »Kommen Sie rein.« Sie trat einen Schritt zurück, er glitt an ihr vorbei, woraufhin die Wände ihres kleinen Heims zu schrumpfen schienen. Seine Schultern schienen noch breiter geworden zu sein. Die bloßen Waden, die aus den Khakishorts herausschauten, waren kraftvoll und glatt rasiert. Immer schien ihm der flüchtige Duft von Zitrusfrüchten anzuhaften. Sie schluckte, ihr Hals war auf einmal knochentrocken.

»Mr Sean!« Caleb schoss vom Sofa und warf sich ihm an die Taille.

Sean ließ sich mit viel Gebrüll und Getue aufs Sofa fallen und zog den Jungen in eine ungestüme Umarmung.

»Sie sind wieder da!«, rief Christopher, der mit dem Baby aus dem Flur gesaust kam und beide angrinste.

Sean sprang auf, verpasste Chris eine Kopfnuss und nahm ihm das elf Monate alte Baby ab. »Heiliger Strohsack, kleiner Mann!«, rief er und schaukelte den Kleinen auf Augenhöhe. »Was hast du denn gefuttert?«

Colton zeigte grinsend seine vier Vorderzähne.

»So ziemlich alles, was er in die Finger kriegt«, erklärte Ellie.

»Ach wirklich?«, gab Sean zurück. Als er zu ihr sah, blieb sein Blick kurz an ihren Brüsten hängen.

Ihre Brustwarzen kribbelten, als hätte er hineingezwickt. »Caleb hat gerade seine Matheübungen angefangen«, teilte sie ihm mit und zeigte ihm wie zum Beweis die Karten.

»Oh, tut mir leid«, sagte Sean, ohne im Geringsten zerknirscht zu klingen. »Ich hab Ihren Jungs was mitgebracht.« Er hob die an seinem Arm baumelnde Tüte hoch.

»Was denn?« Calebs Gesicht strahlte vor Aufregung.

Der Weihnachtsmann ist wieder da, dachte Ellie und verdrehte die Augen.

Als Sean ihr das Baby gab, schien die Hitze seiner starken Finger sie zu verbrennen. Er sah sie scharf an, als überraschte ihn der Funke, der zwischen ihnen übersprang. Dann griff er in die Tüte, brachte einen Metallzylinder zum Vorschein und gab ihn den beiden Jungs. Caleb und Christopher stürzten sich darauf und gingen damit in die Knie. »Ein Magnetset, cool!«, rief Chris begeistert.

Sean blickte lächelnd auf ihre Blondschöpfe. »Hab ich am Flughafen ergattert. Und das ist für den kleinen Burschen«, sagte er dann, nahm einen Stoffaffen aus der Tüte und gab ihn Colton. Das Baby grabschte danach und blickte verwundert in die Plastikaugen des Affen.

»Danke«, murmelte Ellie. »Sie müssen den Kindern aber nicht immer was mitbringen, wissen Sie? Sie sind schon froh, dass Sie wieder zurück sind.«

Er betrachtete sie mit einem langen, durchdringenden Blick. »Und Sie?«, wollte er unversehens wissen.

Die sanfte Provokation verschlug ihr den Atem. »Wenn Sie nicht wären, hätte ich kein Dach über dem Kopf«, gab sie zurück. Sie bemerkte, dass ihre Beine zitterten. Was stimmte bloß nicht mit ihr? Er war sechs Monate fort gewesen, trotzdem schien ihr Körper in seiner Gegenwart zum Leben zu erwachen. Wahrscheinlich wirkte er auf alle Frauen so, egal, ob jung oder alt.

Ellie schob eine goldbraune Haarsträhne hinter ihr Ohr. Die weiche, gewellte Struktur schärfte ihr Bewusstsein für ihre Weiblichkeit. Was dachte sie sich bloß dabei, den Hormonen die Herrschaft über ihre Gedanken einzuräumen? Männer bedeuteten Ärger, und ihre Freunde hatten sie vor Sean gewarnt – zuerst Solomon auf seine lapidare, ernsthafte Art, und dann seine Frau Jordan, die kein Blatt vor den Mund genommen und sie vor Seans Flirtversuchen gewarnt hatte. Selbst ihre Nachbarin Belinda hatte gemeint, dass Sean unter allen Kerlen der letzte sei, der sich für eine feste Beziehung eignete. Da sie sich bereits an einem Mann die Finger verbrannt hatte, sollte sie eigentlich schlau genug sein, das Feuer in Zukunft zu scheuen.

»Hören Sie«, begann Sean, der auf einmal ein bisschen unsicher wirkte, »meinen Sie, ich könnte die beiden Großen ins Fun Zone mitnehmen?«

Caleb blickte von den Magneten auf. »Fun Zone!«, rief er.

Auch Chris richtete seine grauen Augen auf sie. »Können wir, Mama? Bitte?«

Ellie stieß einen verzweifelten Seufzer aus. »Caleb muss noch Mathe üben«, erinnerte sie Sean.

»Kein Problem«, sagte er und warf einen Blick auf die Karten in ihrer Hand. »Addition ist meine Mission. Wenn ich die beiden wieder zu Hause abliefere, addiert Ihnen Caleb alles bis …?«

»Zwanzig«, ergänzte Caleb überraschend scharfsinnig.

Ellie hob skeptisch eine Augenbraue. »Wie wollen Sie ihm im Fun Zone irgendetwas beibringen?«, fragte sie, während sie sich vorstellte, wie Sean und die Jungs durch Röhren kletterten und Rutschen hinuntersausten. Fast wünschte sie sich, mit ihnen gehen zu können.

»Also, Misses Ellie.« Sean warf ihr einen langen, sehnsüchtigen Blick zu. Die Art, wie er ihren Namen mit seinem resonanten Bariton dehnte, ließ sie bis ins Innerste erschauern. »Nicht alle Jungs lernen Mathe wie ihr kleinen Mädchen, mit Büchern und Karten und so. Für uns gilt Learning by Doing, nicht wahr?« Er warf Caleb einen um Zustimmung heischenden Blick zu.

»Yep!«

»Ich lerne, wenn ich was lese«, meldete sich Christopher mit besorgter Miene zu Wort.

»Ja, weil du ein Schlaumeier bist«, entgegnete Sean. »Wie deine Mama.«

Wieder erschauerte Ellie bis ins Innerste.

»Chris ist ein Mädchen«, stichelte Caleb.

Sean sah ihn an und verzog das Gesicht, worauf Caleb sofort verstummte.

Er kann wirklich gut mit den beiden umgehen, dachte Ellie. Sie fragte sich, ob er die Jungs am Ende genauso im Stich lassen würde wie ihr Dad. Seans Abwesenheit während der letzten Monate war schwer genug gewesen, auch wenn es nicht seine Entscheidung gewesen war, sie zu verlassen. Schließlich hatte er einen Job zu erledigen.

»Also, dürfen wir?«, fragte er jetzt. Er wirkte angespannter als sonst, doch andererseits hatten seine Muskeln schon immer so unter Spannung gestanden, dass sie ihn nur darum beneiden konnte.

»Ich habe aber kein Geld«, hielt sie ihn hin und reckte stolz ihr Kinn.

»Kein Problem, ich habe Freikarten.« Er klopfte auf seine Gesäßtasche. »MWR hat welche vergeben.«

MWR musste ein Vergünstigungsservice für Angehörige des Militärs sein. Ellie hob kapitulierend die Hände. »Na dann kann ich ja unmöglich Nein sagen.« Und nebenbei konnte sie die Atempause nutzen, um für ihre anstehende Prüfung zu lernen.

Sean grinste die Jungs an. »Also los, Sportsfreunde, zieht euch die Schuhe an.

»Juhu!« Während die beiden losstürmten, um ihre Schuhe zu suchen, spielte Ellie mit Colton und seinem Stoffäffchen. Dabei spürte sie, wie Sean sie beide aufmerksam betrachtete.

»Ich hätte Ihnen auch etwas mitbringen sollen«, sagte er entschuldigend.

Sie sah überrascht zu ihm auf. »Nein, hätten Sie nicht«, widersprach sie mit Nachdruck.

»Sie hätten es verdient«, hielt er dagegen. »Wann hat Ihnen das letzte Mal jemand etwas geschenkt?«

»Ungefähr vor neun Monaten«, antwortete sie aufrichtig, »als Sie mir dieses Haus vermietet und mich und meine Jungs davor bewahrt haben, in meinem Auto auf der Straße zu leben.«

»Ellie.« Er holte tief Luft, wobei sich sein riesiger Brustkorb noch weiter dehnte, dann schüttelte er den Kopf. »Sie haben ja keine Ahnung –«

»Mama, wo sind meine neuen Schuhe?«, unterbrach Calebs Schrei ihn aus dem hinteren Teil des Hauses. Ellie beeilte sich, ihm bei der Suche zu helfen. Einerseits war sie begierig darauf zu erfahren, was Sean sagen wollte, doch andererseits fürchtete sie es.

»Da sind sie doch, Schatz«, sagte sie und kickte die Schuhe unter Calebs Bett hervor.

Caleb zog die Sneakers an und rannte zur Haustür. »Okay, ich bin so weit«, verkündete er. Chris folgte ihm auf dem Fuß.

»Ich liefere die zwei zum Abendessen wieder hier ab«, versprach Sean. Mit einem »Los Jungs, der Truck ist nicht abgeschlossen« schickte er die beiden vor.

Er und Ellie standen allein in dem engen Hausflur. Ellie drückte Colton wie einen Schild an die Brust, ihr Herzschlag stolperte. »Ich hoffe, Sie können ein bisschen lernen«, sagte Sean verdrießlich. Offensichtlich hatte er ihr auf dem Boden liegendes Lehrbuch bemerkt. »Sie sollten stolz auf sich sein«, fügte er hinzu. »Dass sie wieder zur Schule gehen und so.«

Ellie war in ihrem Leben so selten ermutigt worden, dass seine Worte sie regelrecht aufzurichten schienen. War es das, was er ihr vorhin hatte sagen wollen? »Ich tue nur, was ich tun muss«, murmelte sie mit einem Anflug von Enttäuschung.

»Gut, also bis dann«, sagte er und war mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln verschwunden.

Sie sah ihm nach, wie er durch den Regen zu seinem Truck lief, in dem die Jungs sich balgten und mit ihrem Atem die Fenster beschlugen.

Dann schoss sein verbeulter Chevy rückwärts von ihrer Auffahrt, wendete und fuhr davon. Mit einem Mal kam ihr das Haus zu still vor. Sie wünschte, er hätte sie aufgefordert, mitzufahren. Seans Anwesenheit war wie ein Sonnenstrahl an einem bewölkten Tag.

Idiotin!, schimpfte eine innere Stimme. Man muss sich nicht immer kratzen, wenn es juckt. Sich zu Sean hingezogen zu fühlen würde sie nur von den Zielen ablenken, die sie sich gesetzt hatte: ihren Abschluss zu schaffen und examinierte Hebamme zu werden. Einen Kerl anzuhimmeln würde zu nichts führen. Wusste sie das nicht seit ihrer Ehe mit Carl?

Ellie lehnte sich schwer gegen die Tür und schenkte der pulsierenden Begierde, die ihr ein Gefühl der Bedürftigkeit und Unzufriedenheit vermittelte, keine Beachtung. Immerhin war sie eine Frau in den besten Jahren. Keine dumme Sechzehnjährige mehr, die so dämlich war zu glauben, dass der Starquarterback der Highschool sie von den Jahren als Heimkind erlösen würde. Oh nein, sie stand jetzt auf eigenen Füßen, und eine Affäre mit Sean Harlan würde für sie und ihre Kinder ein Desaster bedeuten, und nichts weiter.

»Du wolltest mich sprechen, Daddy?« Skyler Dulay schlüpfte in das Büro ihres Vaters und schloss leise die Tür hinter sich.

Sie traf ihn mit dem Schlüssel zu seinem Aktenschrank an, den er gerade in das Kästchen zurücklegte, das er hinten in seiner Schreibtischschublade verbarg. Im Laufe der Jahre hatte sie herausgefunden, dass er es dort versteckte. Er tat dies nun mit präzisen, methodischen Bewegungen, während er ihr ein Lächeln schenkte, das jedoch nicht bis zu seinen dunklen, geheimnisvollen Augen gelangte. Die großväterliche Uhr in der Ecke tickte, während Skylers Furcht mit jeder Sekunde zunahm.

Ihr Vater erhob sich gemächlich. Gut einen Meter achtzig groß und wie immer tadellos gekleidet, machte er eine einschüchternde Figur. Sie wagte kaum zu atmen, als er um den Schreibtisch herumtrat. »Ja, ich muss etwas mit dir bereden, bevor du wieder ins Asyl zurückfährst«, teilte er ihr in seinem unverkennbaren, weichen Südstaatensingsang mit.

Sie sah auf die Uhr, ihr Herz schlug heftig. Die Neuigkeiten, die sie im Arbeitszimmer ihres Vaters erfuhr, waren nie angenehm. »Ich bin schon spät dran«, stellte sie fest.

»Diese Angelegenheit duldet keinen Aufschub«, erwiderte er und baute sich vor ihr auf, ohne sie weiter anzulächeln. Dann streckte er die Hände mit den Handflächen nach oben aus, um anzudeuten, dass sie ihre Hände auf seine legen sollte. Sie tat es und wurde wie immer von einem unvermittelten Gefühl der Ohnmacht ergriffen. Sie war dreiundzwanzig und kam sich immer noch vor wie ein Kind.

»Als Tochter eines Centurions kennst du gewiss deine Pflichten«, begann er mit einem allmächtigen Funkeln in den unergründlichen Augen.

Skyler verkrampfte sich innerlich. »Natürlich«, murmelte sie, ängstlich, was als Nächstes kommen würde.

»Du weißt seit Jahren, dass du Ashton Jameson heiraten wirst. Er und ich haben beschlossen, den Hochzeitstermin festzulegen.«

Skylers Herz schien stehen zu bleiben und schlug dann unregelmäßig weiter. »Wann?«, fragte sie, während ihr das Blut aus dem Gesicht wich.

»Ende des Monats«, gab er zurück. Seine dunklen, wachsamen Augen warteten auf eine Trotzreaktion.

»Aber wieso?«, protestierte sie. »Ich muss mich um Mama kümmern.«

Sein Griff wurde fester. »Du bist kein Sohn«, sagte er und erinnerte sie damit an das Gesetz der Centurions, das Töchter von der Erbfolge ausschloss. »Ohne mein Geld hast du rein gar nichts.«

Sie riss sich von ihm los und ging zum Fenster, um ihre Bestürzung zu verbergen. Unten schnitt Carl, der Gärtner, die verkümmerten Stängel abgestorbener Lilien zurück. Das lange Haar fiel ihm über die Augen. »Ich will dein Geld auch gar nicht«, wagte sie zu entgegnen, während sie eine Hand in die schweren Seidenvorhänge krallte.

Ihr Vater wirbelte sie mit derbem Griff herum. »Blödsinn«, erklärte er. »Du hast ja keine Ahnung, was es bedeutet, ohne Geld auszukommen.«

»Ich arbeite in einem Obdachlosenasyl«, rief sie ihm ins Gedächtnis, ihre Wangen brannten vor Empörung.

»Und kehrst jedes Mal in ein großes Haus mit Bediensteten zurück«, erwiderte er mit einem garstigen Lächeln.

»Jameson ist fünfzig!«, rief Skyler und kam damit zum Kern ihres Widerstands.

»Genau«, zischte ihr Vater. »Und eines nicht allzu fernen Tages wird er sterben und dich als wohlhabende Witwe zurücklassen, jung genug, um deinen dummen, kleinen Träumen nachzuhängen.«

Seine Prophezeiung schreckte sie ab, die Herabsetzung ihrer Wünsche kränkte sie. Skyler bohrte die Fingernägel in ihre Handflächen, um sich selbst zu ermutigen. »Ich bin eine erwachsene Frau«, sagte sie tapfer, doch ihre Stimme zitterte. »Ich sollte selbst entscheiden, wen ich heirate.«

Der Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters ließ ihr vor Angst das Herz bis zum Hals schlagen. »Jameson wird dir heute Abend den Ring geben«, warnte er sie mit kaum mehr als einem Flüstern. Bestürzung erstickte Skylers kurzes Aufbegehren. »Wenn du auch nur in Erwägung ziehst, ihn zurückzuweisen, stecke ich dich dahin, wo du schon die letzten Jahre hättest sein sollen.«

Ein Schaudern ergriff Skylers schlanke Gestalt. Er hielt ihr Schicksal, ihr furchtbares Geheimnis, wie eine Trumpfkarte in Händen. »Und nun wünsche ich dir einen guten Tag«, fügte er hinzu und entließ sie mit einem freundlichen Nicken und einem eiskalten Lächeln.

Skyler, die sich fühlte, als hätte es ihr die Luft abgeschnürt, floh zur Tür und schob sich hindurch, wobei sie darauf achtete, dass sie hinter ihr nicht ins Schloss fiel. Ihr Vater hasste ungehörige Szenen.

Kurz nach Mitternacht bog Sean in Ellies Auffahrt ein. Die Nachricht, die ihn hierhergerufen hatte, erfüllte ihn mit Argwohn. Und tatsächlich, alle Lichter im Haus waren ausgeschaltet, genau wie ihre Mailbox, so wie es ihm die Botschaft, die sie vor einer Stunde auf seinem Handy hinterlassen hatte, angekündigt hatte.

Weder die Schalter noch die Steckdosen funktionieren. Wahrscheinlich ein Problem mit dem Hauptschalter im Sicherungskasten, hatte sie in ihrem rauchigen Singsang vermutet.

Er liebte ihre Sprechweise, wie sie auch die kürzesten Wörter wie Melasse in die Länge zog. Allerdings fragte er sich, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Oder wollte sie ihn mit ihrem Anruf nur dazu bewegen, am späten Abend, wenn die Jungs im Bett waren, bei ihr vorbeizuschauen? Es wäre nicht das erste Mal, dass ihn eine Frau mit Hintergedanken zu sich bestellte.

Die Möglichkeit, dass Ellie so etwas im Sinn hatte, brachte sein Blut in Wallung.

Hinter den heruntergelassenen Jalousien flackerte schwach Kerzenlicht. Sean klopfte mit einem Anflug von Erregung, aber auch Misstrauen leise an die Tür.

Als hinter ihm ein Zweig knackte und er leise Schritte hörte, trat er zurück und spitzte die Ohren. Was war das?

Doch dann ging die Tür auf und seine ganze Aufmerksamkeit galt Ellie, die in einem weichen, abgetragenen Nachthemd mit ausgefranster Spitze am Kragen vor ihm stand. Sein Argwohn bewegte sich spiralförmig bis hinab in seine Lenden. Warum sollte sie ihn im Nachthemd empfangen, wenn nicht, um ihn in ihr Bett zu locken? Doch sie umklammerte eine Kerze, die sie ausgestreckt hielt wie eine Waffe. Vielleicht stand ihr der Sinn ja doch nicht nach Sex – wie schade.

Er schluckte schwer. »Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe. Aber ich hatte heute Abend Dienst.«

»Alles gut, ehrlich, ich hatte nicht mehr gedacht, dass Sie noch kommen.« Sein Timing schien sie nervös zu machen. »Das kann auch bis morgen warten. Es ist schon schrecklich spät.«

»Aber Sie sind noch auf«, stellte er fest.

»Ich habe diese Woche meine Abschlussprüfung«, bekannte sie. Sie sah müde aus, ihre Augen waren vor Anspannung gerötet und von dunklen Ringen umgeben.

Er nahm an, dass sie heute gekellnert hatte, denn sie trug immer noch ihr Haarband. Weich fallende Locken hatten sich aus dem französischen Zopf gelöst und umrahmten ihr Gesicht wie ein Heiligenschein. Ihre Haut war cremefarben und makellos. Ihre großen grauen Augen wanderten über seine Kampfuniform, den Waffengurt, bis hin zu der Waffe in seinem Hüftholster. Er sah, wie sie schluckte, bemerkte das leise, schnelle Pochen ihres Pulses in der Mulde unterhalb ihrer Kehle.

Die Mailuft schien plötzlich dick und feucht und machte das Atmen schwer. »Wo ich schon mal hier bin, könnte ich ja auch nachsehen«, schlug Sean vor. Er hoffte und betete, dass sie nicht den ersten Schritt unternahm. Wenn doch, war er erledigt. Nach sechs Monaten in einer gottverlassenen Wüste war er heimgekommen, um sich flachlegen zu lassen, und Ellie sah momentan einfach zum Niederknien aus.

Sie runzelte die Stirn, offensichtlich hatte sie Bedenken. »Na schön«, lenkte sie schließlich ein und öffnete langsam die Tür.

Als er eintrat, fiel ihm sofort auf, dass er sie riechen konnte. Den Geruch nach Essen und Schweiß, der ihr nach dem Kellnern anhaftete, hatte sie unter der Dusche abgewaschen. Nun duftete sie nach einer sauberen Frau und frisch gewaschener Baumwolle, so verführerisch, dass er sich zusammenreißen musste, um sie nicht anzufassen.

»Warum haben Sie ihn abgeschlossen?«, wollte sie wissen, wodurch ihm aufging, dass sie im Moment eher an praktische Dinge dachte und nicht an Sex so wie er.

»Was? Den Sicherungskasten? Hab ich nicht.«

»Na ja, er ist aber abgeschlossen, sonst hätte ich den Schalter doch selbst umgelegt.«

»Hm.« Sean marschierte stirnrunzelnd durch den kurzen Hausflur in die Küche. Der Sicherungskasten war über der Waschmaschine und dem Wäschetrockner an der Wand angebracht, zwei uralte, bei einem Garagenverkauf erstandene Geräte. Er zog an der Metalltür und stellte fest, dass sie klemmte. Er zog kräftiger, wodurch sie aufsprang. Eine Büroklammer fiel klimpernd auf den Trockner.

Sean hob sie auf. »Die Tür hat nur geklemmt«, sagte er und musterte das Schaltfeld. Tatsächlich, der Hauptschalter war gekippt. Er legte ihn um, woraufhin der in die Decke eingelassene Leuchtkörper den Raum erhellte. Sean schloss die kleine Metalltür, hob die Büroklammer auf und hielt sie Ellie wie ein vernichtendes Beweisstück unter die Nase.

»Ich war das nicht«, protestierte sie, während sie eine Hand ausstreckte und die Kerze löschte.

»Vielleicht einer der Jungs?« Ihre Finger berührten sich, was dieselbe Reaktion in ihm auslöste wie neulich. Sein Atem stockte, sein Blick huschte zu der Stelle, wo sich ihre aufgerichteten Brustwarzen durch den Stoff des Nachthemds abzeichneten. Heilige Scheiße. »Dann gehe ich wohl lieber mal«, krächzte er und schob sich an ihr vorbei, um zur Tür zu flüchten.

An der Haustür sah er sich noch einmal um und erhaschte einen Blick voll unverstellter Begierde, den sie jedoch schnell verbarg, indem sie ihre Wimpern senkte. »Ellie.« Er umklammerte den Türgriff. »Wenn die Dinge anders lägen, würden Sie mich jetzt nicht so leicht loswerden.«

Ihr Rücken wurde stocksteif, ihre Augen flackerten überrascht. »Wie anders?«, erkundigte sie sich.

Er begriff, dass sie ihn falsch verstanden hatte. Er änderte die Richtung und näherte sich ihr bis auf fünfzehn Zentimeter, nahe genug, um ihren Duft einatmen zu können. »Sie haben keine Ahnung, wie unglaublich Sie sind, oder?«, fragte er und flehte zu Gott, ihren Rücken gegen die Wand drücken zu dürfen, um ihr zu zeigen, was sie mit ihm machte. Die Vorstellung, wie er sie an die Wand presste, sich gegen sie lehnte und in sie eindrang, raubte ihm schier den Verstand.

Sie blickte misstrauisch und verwirrt zu ihm hoch.

»Hören Sie, an Ihnen liegt es nicht, ich verabrede mich nur nicht mit Frauen, die Kinder haben«, erklärte er behutsam und mit Bedauern. »Das ist alles. Es ist … keine gute Idee, glauben Sie mir.«

Ellie war tödlich beleidigt. Stand es ihr etwa auf die Stirn geschrieben, dass sie mit ihm schlafen wollte? Sie hatte vor Scham und Wut auf sich selbst ganz heiße Ohren. »Nein, das ist keine gute Idee«, pflichtete sie ihm bei. »Und nur damit Sie’s wissen: Das ist völlig in Ordnung für mich. Was macht Sie überhaupt so sicher, dass ich einen Mann will? Sie können vielleicht gut mit meinen Jungs, Mr Harlan«, würgte sie wütend hervor, »ich allerdings komme prima ohne Sie zurecht.«

»Ist das so?«, murmelte er. Er nahm die Herausforderung mit funkelnden Augen an und schenkte ihrem Mund einen durchdringenden Blick.

»Und ob das so ist«, blaffte sie. Sie war erschrocken über ihre zitternde Stimme, sehnte sich nach dem Kuss, an den er, wie sie genau wusste, gerade dachte, und sagte sich: Halt einfach die Klappe. Konnte sie aber nicht. »Wozu ist ein Kerl schon gut, wenn er einem im Bett bloß Platz wegnimmt und denkt, er wäre weiß Gott was für ein toller Hecht?«, spie sie heiser aus. »Carl konnte seine Kinder nicht mal ansehen, ohne sich dabei für einen Babysitter zu halten. Und Windelnwechseln ging bei ihm überhaupt nicht. Glauben Sie, ich wollte einen Kerl, der gleich mit einer anderen Frau durchbrennt, wenn’s mal hart auf hart kommt … oder in den Krieg zieht?«

Das Wimmern des Babys verriet ihr, dass sie Colton geweckt hatte. Sie stampfte mit dem Fuß auf und fegte Richtung Kinderzimmer, während sie ihm noch zuzischte: »Sie finden freundlicherweise selbst hinaus.« Lieber Himmel, was hatte sie sich dabei gedacht, so über den Mann herzufallen?

Zu ihrem Entsetzen folgte er ihr auf dem Fuß. Sie hob das Baby hoch, bemerkte, dass die Windel voll war, und wandte sich dem Wickeltisch zu. Die Luft in dem engen, kleinen Zimmer schien zu knistern. Während sie mit zitternden Händen die Druckknöpfe an Coltons Strampler öffnete, drohte das Schweigen übermächtig zu werden.

Plötzlich schob Sean sie weg, was sie erschrocken zurückweichen ließ. Mit einem herausfordernden Blick entwand er ihr die Feuchttücher und langte nach einer frischen Windel.

Mit festen, sicheren Handgriffen, öffnete er den Klettverschluss, löste die stinkende Windel und legte sie weg. Dann säuberte er den Babypopo und versiegelte Tücher und Windel zu einem kompakten Ball. Weitere drei Sekunden später steckte Colton in einer frischen Windel.

Als er den Strampler zuknöpfte, lächelte Colton ihn beifällig an, während Ellie vor Schreck und Demütigung am ganzen Körper zitterte. »Übernehmen Sie?«, fragte Sean und stolzierte zum Badezimmer auf der anderen Flurseite, um sich die Hände zu waschen.

Unter Herzrasen legte sie das Baby in sein Bettchen zurück und wartete darauf, die Suppe auslöffeln zu müssen.

Jetzt hatte sie es geschafft. Ihr ganzes Leben, von ihren frühesten Erinnerungen an ihre Mutter, mit der sie von einem Mann zum anderen gezogen war, bis zu jenem Tag, an dem ihre geliebte Granny Annie gestorben und sie der Fürsorge übergeben worden war, hatte sie eine Entwurzelung nach der anderen erlebt. Nicht einmal Carl hatte groß darüber nachgedacht, als er ihr und den Jungs den schäbigen alten Trailer weggenommen und verkauft hatte. Wie konnte sie nur so dämlich sein, ausgerechnet ihren Vermieter zu beleidigen, nachdem sie sich gerade erst häuslich niedergelassen hatte.

Plötzlich tauchte er in der Tür auf. Ellie schluckte und umklammerte den Rand des Bettchens, während sie um die Entschuldigung rang, die sie ihm schuldete. Doch Sean sprach zuerst.

Mit einem spöttischen Lächeln und funkelnden Augen sagte er leise: »Stellen Sie nie einen SEAL auf die Probe, es gibt nichts, das wir nicht hinkriegen.« Er zwinkerte, um seine Prahlerei abzuschwächen, und verschwand von der Tür.

Kurz darauf hörte sie, wie die Haustür geöffnet und leise wieder geschlossen wurde. Dann dröhnte der Motor seines Trucks, und er fuhr davon.

Ellie ignorierte Coltons widerstrebendes Wimmern, ging zur Kinderzimmertür und schaltete das Licht aus. »Gute Nacht, mein Süßer«, sagte sie erstickt. Sie lief in ihr verdunkeltes Schlafzimmer und ließ sich bäuchlings aufs Bett fallen. Sie fühlte sich hundeelend.

Tja, wenigstens ist es nun vorbei, beruhigte sie eine Stimme, die wie die von Granny Annie klang. Jede Wette, dass Sean in Zukunft nicht mehr hinter deinen Röcken herscharwenzelt.

Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich bei dieser Erkenntnis noch schlechter. Sie konnte von Glück sagen, wenn er sie nicht kurzerhand aus seinem Haus warf. Sie würde im Leben nichts finden, das nur halb so schön und erschwinglich wäre wie das hier.

2

Drake Donovan betrachtete voller Abscheu den merkwürdigen Klumpen Fleisch auf seinem Teller und fragte sich, warum er sich das bloß antat. Undercover für das FBI zu arbeiten war wirklich kein Traumjob. Seit er sich in dieses Obdachlosenasyl in Savannah, Georgia, geschlichen hatte, war seine Selbstachtung so häufig durch die Mangel gedreht worden, dass er nicht mehr mitzählen konnte, und sein Magen revoltierte gegen seine Verdauungsprobleme.

Der Auftrag dauerte jetzt schon vier Monate, und alles, was er über die Centurions und ihren Anführer Owen Dulay herausgefunden hatte, passte auf eine Haftnotiz. Aber es war noch nicht zu spät, die Vorgehensweise zu ändern. Es war an der Zeit, sich an Dulays Tochter Skyler heranzumachen, also nahm er sein Tablett und ging zu ihr hinüber.

Skyler Dulay sah mit ihrem Heiligenschein aus blondem Haar und den großen, blauen Augen genauso aus wie der Engel der Barmherzigkeit, als der sie allenthalben galt. Doch das Äußere konnte täuschen, wie Drake sehr gut wusste. Er spielte nun schon monatelang die Rolle des jugendlichen Ausreißers. Mit seiner zierlichen Gestalt und dem Milchgesicht hatte er sich während seiner zwei Jahre beim FBI meistens als Highschool-Schüler verkleidet, um Drogendealer und Bandenbosse zu überführen.

Wer konnte wissen, welche Geheimnisse hinter Skylers blauen Augen lauerten? Schließlich benutzte ihr Vater, der Gegenstand der Ermittlungen, Wohltätigkeitseinrichtungen wie diese schon seit Jahren zur Geldwäsche, auch wenn ihm das bisher noch niemand hatte nachweisen können. In Quantico bezifferten einige die Zahl seiner Anhänger auf mehrere Zehntausend. Man nahm an, dass er bereits höchste Regierungskreise infiltriert hatte, und nun wusch eine Hand die andere.

Obwohl er Skyler nun schon seit einiger Zeit beobachtete, war sich Drake nicht sicher, ob sie war, was sie zu sein schien. Freundlich und beflissen gewann sie die Herzen der Jammergestalten, die auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit, einem Lächeln und einem Ort zum Schlafen hier hereingetrottet kamen. Konnte es eine so selbstlose Frau wirklich geben?

Sie schrak auf, als er das Tablett neben ihr abstellte. »Was dagegen, wenn ich mich hierher setze?«

»Nein, ganz und gar nicht.« Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Vietnam-Veteran zu, der ihr gerade Geschichten über seine Heldentaten auftischte.

»Entschuldigen Sie die Störung«, murmelte Drake. Während er auf seinem merkwürdigen Stück Fleisch herumkaute, überdachte er das Wenige, das er über Dulays Tochter wusste. Sie hatte ein Prädikatsexamen der Savannah School for the Arts, lebte jedoch noch zu Hause bei ihrem Vater. Ihre Mutter, die einst als die schönste Frau von Savannah galt, lag nun mit Alzheimer im Hospiz der Stadt, und Skyler verbrachte die eine Hälfte ihrer Zeit mit der Pflege der Mutter und die andere mit der Wiedereingliederung obdachloser Männer.

Ihre Hingabe wirkte vollkommen selbstlos. Doch wenn sie den geringsten Schimmer von den gesetzwidrigen Machenschaften ihres Vaters hatte und er sie dazu bewegen konnte, ihm zu verraten, was sie wusste, wäre Drake immerhin weiter als jetzt. Einen Versuch war es jedenfalls wert.

Als der Veteran sein Tablett nahm und ging, machte er sich bemerkbar. »Hi«, sagte er grinsend wie der Achtzehnjährige, der er zu sein vorgab.

»Wie geht’s?«, gab sie zurück. Ihr Lächeln offenbarte in beiden Wangen Grübchen, erreichte jedoch nicht ihre Augen.

Monatelang hatten sie sich lediglich über den belebten Saal hinweg beobachtet.

»Drake, oder?«, fragte sie.

»Ja, genau, sehr gut.« Er spülte den Geschmack im Mund mit einem Schluck Milch hinunter. »Geht’s Ihnen gut?«, fragte er ernsthaft.

Seine Frage schien sie zu überraschen. »Aber ja«, antwortete sie strahlend. »Ich staune, dass Sie noch hier sind. Es ist schon fast Sommer. Waren Sie nicht beim Landschaftsbau?«

Er war verblüfft darüber, wie geschickt sie jeden einordnen konnte. »Ja, früher«, antwortete er achselzuckend. »Ich hab mich auch überall beworben, aber keiner will mich haben.«

»Bushwhackers auch nicht? Ich dachte, die brauchen immer Leute.«

»Ja, schon, aber … aber die haben irgendwie von meiner früheren Angewohnheit Wind bekommen.«

»Oh.« Sie betrachtete ernst sein verschlissenes T-Shirt. »Gehen Sie denn noch zu den Gruppentreffen?«, erkundigte sie sich freundlich. Das Asyl bot jeden zweiten Nachmittag eine kostenlose Drogenberatung an.

»Ja, klar«, versicherte er ihr. »Ich bin seit Wochen clean, aber, wissen Sie, es ist schwer, einen schlechten Ruf loszuwerden.« Apropos – wahrscheinlich hielt sie sein angebliches Drogenproblem ja davon ab, sich mit ihm anzufreunden. Verdammt. Aber jetzt war es zu spät, daran noch etwas zu ändern.

»Lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen«, bat sie ihn. »Es wird Sie schon noch jemand einstellen. Sie sind jung und kräftig.« Ihr Blick huschte zu seinem Bizeps und dann zurück zu seinem Gesicht. Schließlich runzelte sie die Stirn. Er fragte sich, ob sie die Fältchen in seinen Augenwinkeln sah, die sein wahres Alter verrieten.

»Mir ist aufgefallen, dass Sie einen Verlobungsring tragen«, wechselte er schnell das Thema, woraufhin sie ihm erschrocken in die Augen sah.

Seine Bemerkung schien sie einen Augenblick lang umzuhauen. Mit gesenkten Wimpern betrachtete sie den riesigen Diamanten an ihrer Linken und verbarg ihn dann rasch in ihrem Schoß. »Es kommt mir dekadent vor, ihn hier zu tragen«, murmelte sie und presste die Lippen aufeinander.

»Und wer ist der Glückspilz?«, fragte Drake, den ihr Mangel an Begeisterung faszinierte.

Sie sah ihn kurz an und rang sich ein falsches Lächeln ab. »Er heißt Ashton Jameson. Er ist ein Freund meines Vaters.«

Sekunden vergingen, bis es Drake gelang, zwischen den Zeilen zu lesen. »Moment mal, soll das heißen, es geht hier um so was wie eine arrangierte Ehe? Nicht, dass es mich etwas anginge«, fügte er mit einem forschenden Blick hinzu. »Aber, ist es so?«

Sein ungläubiges Staunen durchdrang die unsichtbare Barriere zwischen ihnen. »Ich kenne Ashton schon mein ganzes Leben«, erklärte sie, ohne seine Frage zu beantworten.

»Was sagt denn Ihre Mutter dazu?«, wollte er von ihr wissen, obwohl er die Antwort bereits kannte.

Mit gequältem Blick berührte sie den Anhänger an ihrer silbernen Halskette. »Meine Mutter hat Alzheimer«, informierte sie ihn schnell. »Sie weiß nicht einmal mehr, wer ich bin.«

Drake verspürte den überwältigen Drang, sie in den Arm zu nehmen. Himmel, war sie wirklich so verletzlich? »Es tut mir leid«, brummte er, während er den Anhänger betrachtete, den sie unablässig streichelte. »Hat sie Ihnen den geschenkt?«, fragte er behutsam. Der Anhänger sah aus wie ein Schlüssel.

»Ja, als ich jünger war«, erwiderte Skyler. »Das ist der Schlüssel zu ihrem Herzen«, erklärte sie dann, wobei sie offenbar das wiedergab, was ihre Mutter ihr gesagt hatte. Sie schenkte ihm ein herzzerreißendes Lächeln.

Drake schluckte und rief sich sein Vorhaben ins Gedächtnis. »Und …. lieben Sie diesen Typ, Ashton?«

Ihr gesenkter Blick und ihr plötzliches Schweigen waren Antwort genug. Jetzt hätte er sie am liebsten über seine Schulter geworfen und mit ihr das Weite gesucht.

»Wissen Sie«, brummte er, während er sich fragte, wie surreal ihr Leben wohl sein mochte, »mein Dad hat auch alles für mich geregelt.«

Sie nickte, ohne den Blick zu heben.

»Wegen ihm bin ich von zu Hause abgehauen«, fuhr er fort und hasste sich dafür, sie anzulügen. Andererseits sagte er wenigstens die halbe Wahrheit. Sein Vater war zugleich sein Boss, der Special Agent, der diese verdeckten Ermittlungen leitete und – leider – immer noch maßgeblichen Einfluss auf sein Leben hatte. »Ich schaue niemals zurück«, sagte er in der Hoffnung, seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen.

Schließlich sah Skyler ihn mit verdächtig glänzenden Augen an. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen«, sagte sie heiser. »Ich muss los. Meine Mutter wartet.«

»Ja, klar.« Er sprang auf und zog ihren Stuhl zurück.

Sie erhob sich mit einem seltsamen, dankbaren Blick.

»Seien Sie vorsichtig«, ergänzte er. »Es regnet draußen.«

Als sie zu dem verschlossenen Schrank eilte, um Handtasche und Schlüssel zu holen, konnte er den Blick nicht von ihr wenden. Sie nahm ihre Sachen und wappnete sich gegen den Spätfrühlingsregen. Ihre Blicke trafen sich, als sie ein letztes Mal zu ihm zurücksah, und Drake wurde von einem angenehm warmen Schauer ergriffen.

Er sagte sich, dass er froh war, endlich eine Informantin aufgetan zu haben.

»Wenn ihr Weicheier diesen Parcours nicht in weniger als vier Minuten schafft«, schnauzte Sean das gute Dutzend junger Männer an, das sich die Wand eines Hindernisparcours hinaufmühte, »werdet ihr den ganzen verdammten Vormittag hier zubringen!«

Die Junior-SEALs schauten ihn fragend an, legten aber auf der Stelle einen Zahn zu.

»Was um alles in der Welt ist denn in Sie gefahren?«, wollte Senior Chief Solomon McGuire wissen, der mit dem Rücken zum Gebäude neben Sean stand.

Es herrschten kühle dreizehn Grad. Die Sonne kroch gerade erst über den Rand des Atlantiks, und von den Dünen wehte ein kalter Wind auf das Gelände des Marinestützpunktes Dam Neck. Trotzdem war der aus Maine stammende Solomon in PT-Shorts und T-Shirt aufmarschiert, während Sean selbst im Sweatshirt bibberte. Solomons Wangen waren noch von einem morgendlichen Dauerlauf am Strand gerötet. Er sah dermaßen selbstzufrieden aus, dass Sean ihm am liebsten eine verpasst hätte.

»Nichts«, blaffte er. Doch er spürte, dass sein Freund ihn mit seinen hellen, durchdringenden Augen ansah.

»Nichts? So ein Quatsch. Sie sind so, seit Sie aus Afghanistan zurück sind.«

Sean warf ihm einen herausfordernden Blick zu.

»Sonst spielen Sie hier montags immer nur Seilspringen.« Der Senior Chief grinste, dass sich sein schwarzer Schnurrbart an beiden Enden hob. »Was ist los? Hat Sie noch keine flachgelegt?«

»Kümmern Sie sich verdammt noch mal um Ihren eigenen Kram.«

Solomons Brauen flogen Richtung Haaransatz, der abgesehen von einem Silberstreifen, dem einzigen Hinweis auf sein Alter, ebenso schwarz war wie sein Schnurrbart. »Also nein«, riet er. »Was war denn mit der Blonden letzten Freitag im NCO-Club? Die mit dem Nasenpiercing?«

»Claudia«, half Sean aus.

»Dachte ich mir doch, dass Sie ihre Telefonnummer haben.«

Sean zuckte die Achseln. Ja, hatte er, und? Er hatte nicht angerufen. »Ich habe keine Lust auf Claudia«, brummte er. Seit Ellie neulich Abend auf ihn losgegangen war und ihm sämtliche Gründe dafür aufgezählt hatte, warum sie keinen Mann in ihrem Leben wollte oder brauchte, hatte er nur noch überlegt, wie er sie vom Gegenteil überzeugen konnte, der dämlichste Gedanke, der ihm seit Langem gekommen war.

Schließlich traf er sich nur mit kinderlosen Frauen.

»Auf wen dann?«, fragte Solomon auf seine barsche, diktatorische Art, die keinen Zweifel daran ließ, dass er erst aufhören würde zu bohren, wenn er eine Antwort bekam.

Warum auch nicht? Womöglich war Solomons Reaktion ja das richtige Gegenmittel gegen seine unerwünschte Obsession.

»Na schön«, sagte er und drehte sich zu ihm um. »Auf Ellie. Ich habe schon die ganze Zeit in Afghanistan an sie gedacht. Und seit ich wieder hier bin, ist es noch schlimmer. Ich kann einfach nicht aufhören, an sie zu denken.«

Solomons erstarrter Gesichtsausdruck wäre unter anderen Umständen vielleicht sogar komisch gewesen. Schließlich baute er sich so dicht vor Sean auf, dass ihre Nasenspitzen sich fast berührten. »Lassen Sie bloß die Finger von Ellie«, knurrte er. Er schien nahe dran, den dampfenden Kaffeebecher in seiner Hand zu zerdrücken. »Die Frau können Sie nicht vögeln.«

Hätte Sean es nicht besser gewusst, hätte er angenommen, Solomon sei eifersüchtig. Doch Solomons Welt drehte sich nur noch um seine hübsche Braut Jordan und ihren Familienzuwachs. Ellie war die Stiefschwester seiner ersten Frau. Während der vergangenen drei Jahre hatte sie Solomons Sohn Silas bei sich aufgenommen, bis ihre verzweifelte finanzielle Lage sie gezwungen hatte, Solomon ausfindig zu machen und ihm seinen Sohn zu überlassen. Nachdem Ellie Silas nach Virginia gefolgt war, hatte Solomon sie auf jede von ihr geduldete Weise unterstützt – nicht nur weil er sich in ihrer Schuld fühlte, sondern weil er, genau wie Sean, ihren Mut und ihre zupackende Art bewunderte.

»Sie haben gefragt«, stellte Sean klar und wandte sich wieder den Fortschritten der SEALs auf dem Hindernisparcours zu.

Solomon funkelte ihn an. »Und was haben Sie jetzt vor?«, wollte er wissen.

»Keine Ahnung«, bekannte Sean. Fröstelnd verschränkte er die Arme vor der Brust. »Gibbons, zurück mit Ihnen, helfen Sie Ihrem Kameraden, um Himmels willen! Das ist hier keine Wrestling-Veranstaltung!«

»Sie sollten lieber bald was unternehmen«, ermahnte Solomon ihn, »sonst platzen Sie noch. Mein Vorschlag: Sie nehmen Urlaub, treffen sich mit einer Ihrer Bekannten und vögeln ihr den Verstand aus dem Leib.«

Sean grunzte. Momentan machte ihn keine andere Frau an.

Solomon rieb sich den Schnurrbart. »Was ist mit der Golfspielerin? Die mit dem vielen Sexspielzeug?«

»Oh ja, Tiffany«, murmelte Sean und dachte mit einem Anflug von Interesse an die temperamentvolle kleine Brünette. »Ich weiß nicht, ob sie da ist.«

»Rufen Sie sie einfach an«, schlug Solomon vor und trank den letzten, großen Schluck Kaffee. »Und halten Sie sich von Ellie fern«, fügte er hinzu, bevor er zum Gebäude der Spec Ops, der Spezialeinsatzkräfte, davonstolzierte.

Sean sah auf die Uhr. »Die Zeit ist abgelaufen!«, rief er, woraufhin die Männer auf dem Parcours ihre Bemühungen unter erschöpftem Ächzen einstellten. »Meine kleine Schwester rennt schneller als ihr Schwuchteln. Noch mal von vorne!«

Als er den Finger in den weichen Erdboden bohrte, um einen Löwenzahn auszugraben, fiel plötzlich ein Schatten auf Carl. Das schiefe Lächeln in seinem Gesicht verschwand, und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er die Silhouette erkannte.

Mr Dulay musste ihn vom Fenster aus beobachtet haben. Seit er ihm vor zehn Monaten eine Stelle als Gärtner angeboten und ihm eine Unterkunft gegeben hatte, wurde Carl das Gefühl nicht los, dass er ihn ständig beobachtete und auf die Probe stellte. Vermutlich hatte er gesehen, wie er Miss Skyler nachgeglotzt hatte, als diese von der Garage zum Hintereingang gelaufen war, während sie sich wie eine Schildkröte unterm Panzer unter ihrem Regenschirm versteckt hatte. Ihre wohlgeformten Waden, die aus der karierten Caprihose herausschauten, hatte sie allerdings nicht verstecken können, ein Anblick, der ihm einen anerkennenden Pfiff entlockt hatte, den sein Arbeitgeber bestimmt auch gehört hatte.

Carl stand auf, um sich seinem Verbrechen zu stellen. »Sir?«, kiekste er.

»Ich habe mit Ihnen zu reden«, verkündete Owen Dulay. Sein Blick war so finster und bodenlos wie ein Brunnen.

»Klar«, antwortete Carl achselzuckend und mit nervös pochender Wange.

Dulay machte eine Handbewegung. »Gehen wir ein Stück.«

Zusammen durchquerten sie den Durchgang zwischen dem zweistöckigen Herrenhaus und der Remise, wo Carl wohnte, und betraten den von drei Meter hohen Sandsteinwällen eingefassten privaten Garten. Carl hatte Monate in diesem hübschen kleinen Garten gearbeitet, hatte Zweige beschnitten, Laub zusammengekehrt und, sobald es wärmer geworden war, exotische Blütenstauden gezogen. Während er seinem Arbeitgeber zu einem Wasser speienden Greif folgte, wuchs seine Sorge mit jeder Sekunde, die Dulay beharrlich schwieg.

Schließlich wandte der Mann sich ihm zu, schob die Hände in die Taschen seiner Golfhose und verkündete mit wachsamem Blick: »Ich habe Ihre Kinder ausfindig gemacht, Carl. Die Sie nicht finden konnten?«

Diese Mitteilung kam so unerwartet, dass Carl wie angewurzelt stehen blieb und ihm der Unterkiefer herunterklappte. »Meine Kinder?«, krächzte er.

»Christopher, Caleb und Colton, richtig?«, sagte Dulay, indem er die Namen aufzählte, die Carl nur noch in den seltensten Augenblicken in den Sinn kamen. Es war ihm lieber gewesen, überhaupt nicht mehr an sie zu denken.

»Der Bruderschaft missfällt, dass Sie Ihre Hände pflichtvergessen in Unschuld waschen, Carl«, ergänzte Dulay mit vor Missbilligung triefender Stimme. »Ein Vater trägt Verantwortung für das Wohl seiner Kinder.«

»Aber Ellie hat sie mir weggenommen«, widersprach Carl. »Ich wollte ja für sie aufkommen, ehrlich.« Er fürchtete die Meinung der Centurions so sehr, dass ihm die Tränen kamen und seinen Beteuerungen Glaubwürdigkeit verliehen. »Ich habe überall nach den Jungs gesucht«, fügte er mit bebender Stimme hinzu. »Wo haben Sie sie gefunden?«

»Das tut nichts zur Sache«, gab Dulay zurück und schaute zu den Fenstern seines im Federal Style erbauten Hauses hinauf. »Wichtig ist, dass Sie als Centurion geschworen haben, Ihre Nachkommenschaft zu schützen. Während unsere Töchter der Erhaltung unserer Art dienen, sind unsere Söhne unser wertvollster Besitz und unser Vermächtnis.« Er bedachte Carl mit jenem seltsamen, durchdringenden Blick, den er bereits kannte.

Carl nickte beifällig.

»Ihre Söhne werden bald wieder bei Ihnen sein«, sagte Dulay. Carl gefror das Blut in den Adern. Bei ihm, Carl? Aber wie sollte er sie versorgen? Er konnte sich ja kaum selbst über Wasser halten.

»Sie werden zunächst in einem Jungenwohnheim am Stadtrand untergebracht«, fuhr sein Arbeitgeber fort, »bis Sie selbst in der Lage sind, sich um sie zu kümmern. Sobald ich einen anderen Gärtner gefunden habe, beschäftige ich Sie als meinen Chauffeur. Sie erhalten dann einen höheren Lohn, damit Ihr Lebensstandard sich so weit verbessert, dass Sie sich um Ihre Söhne kümmern können.«

Carl wäre vor Erleichterung fast zusammengeklappt. Gott sei Dank war er so noch eine Zeit lang fein raus. »Und was ist mit meiner Ex, Ellie?« Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Ellie die Jungs einfach so hergeben würde.

»Machen Sie sich ihretwegen keine Sorgen«, versicherte ihm Dulay mit einem heimtückischen Funkeln in den Augen. »Sie bekommt, was sie für den Entzug Ihrer Söhne verdient.«

Carl lief es kalt den Rücken herunter. Großer Gott, gab es etwas, was dieser Mann nicht tun konnte?

»Das Verhältnis zu Ihren Söhnen entscheidet darüber, ob Sie zur Elite gehören oder nicht«, fügte Dulay mit unheilvoll bohrendem Blick hinzu. »Ich wünsche, dass Sie mir in jeder Hinsicht bedingungslos vertrauen, Carl.«

Carl schluckte gegen seinen trockenen Mund an. »Oh, das tue ich, Sir«, versicherte er. »Das tue ich wirklich.«

»Nun gut«, sagte Dulay und entließ ihn mit einem Nicken, »dann arbeiten Sie jetzt weiter.« Damit kehrte er Carl den Rücken zu und ging hochmütig zu seinem Herrenhaus zurück.

Sean war stolz auf sich. Und wie stolz er war. Dank Solomons Vorschlag hatte er seine Libido unter Kontrolle. Lieutenant Commander Montgomery hatte am Montag nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er für Donnerstag und Freitag um Urlaub gebeten hatte. Nun lag ein verlängertes Wochenende vor ihm, an dem er sich Erleichterung verschaffen konnte. Tiffany Hughes, eine seiner verflossenen willigen Gespielinnen, war damit einverstanden gewesen, dass er sie nach Williamsburg begleitete, wo sie an einem wichtigen Golfturnier teilnahm. Wenn er am Montag wieder zum Dienst erschien, würde er so befriedigt sein, dass er an Ellie nicht einmal mehr würde denken können, nein, Sir.

Während er zu Tiffanys Wohnung fuhr, wo sie verabredet waren, um von dort gemeinsam loszufahren, stellte er sich dennoch vor, wie Ellie Chris und Caleb zum Bus brachte und Colton bei ihrer Nachbarin ließ, um zum College zu fahren, und sofort überkam ihn Sehnsucht nach ihr. Sie hatte gesagt, dass diese Woche ihre Abschlussprüfung anstand, und er dachte daran, wie sie bei Kerzenlicht dafür gelernt hatte. Oh, wie er sie bewunderte. Aber Bewunderung und Begehren waren für eine Frau wie Ellie nicht genug. Und Sean hatte sich nie und würde sich nie mit nur einer Frau zufriedengeben.

Sean jagte den Motor seines 1969er Pontiac GTO hoch, den er außerhalb der Arbeit fuhr, und raste, ohne anzuhalten, an Ellies Einfahrt vorbei. Die Morgensonne stand hell am makellos blauen Himmel. Er war frei wie ein Vogel, doch die Gedanken an Ellie hielten ihn gefangen. Als er ein paar Minuten später an Tiffanys Wohnungstür klopfte, ignorierte er die innere Stimme, die darauf beharrte, dass er gar nicht hier sein wollte. Als Tiffany in nichts als einer Schürze die Tür öffnete, war er froh darüber. »Aber hallo!«, rief er aus und nahm den Anblick, der sich ihm bot, in sich auf. Die kleine Spitzenschürze vermochte kaum die vorwitzigen Brüste zu bedecken, die auf beiden Seiten des Brustteils herausschauten. Sie reichte bis an die Oberschenkel, sodass sie das dunkle, sauber gestutzte Schamhaar verbarg.

»Komm rein, Großer«, schnurrte Tiffany mit einem Komm-und-nimm-mich-Grinsen. Damit drehte sie sich um und stolzierte durch den Flur, wobei ihr bloßes Hinterteil lediglich von einer verführerischen Schleife bedeckt wurde.

Sean warf noch einen Blick zurück, trat ein und schloss die Tür hinter sich.

»Hör auf, Caleb«, bat Ellie und langte über die Rückenlehne, um Caleb beruhigend eine Hand aufs Knie zu legen. »Lass den Kleinen in Frieden!«

Der Klang einer Hupe ließ sie schnell wieder nach vorn auf die Straße sehen, gerade noch rechtzeitig, um auf die Bremse zu treten, als vor ihr ein weißer Lieferwagen die Fahrbahn kreuzte. Großer Gott, hatte sie etwa ein Stoppschild übersehen und sie alle um ein Haar umgebracht?

Geschockt schalt sie sich, nicht gut genug aufgepasst zu haben, während Adrenalin in ihren Extremitäten prickelte. Der Schlafmangel machte sie fix und fertig. Nachdem sie die ganze Nacht gelernt hatte, hatte sie heute Morgen ihre Biologieprüfung abgelegt. Danach war sie direkt zur Arbeit gefahren und hatte bis zum Abend gekellnert.

Dann hatte sie die Jungs bei Belinda abgeholt und sich, statt nach Hause zu fahren, auf den Rückweg zum Junior College gemacht, um dort eine während ihrer Arbeitspause geschriebene Zusatzaufgabe abzugeben. Die Prüfung war schwerer gewesen als gedacht, daher fürchtete sie, dass ihr Notendurchschnitt ohne Extrapunkte nicht gut genug sein würde, womit sich ihre Hoffnung auf ein Stipendium im nächsten Semester endgültig zerschlagen würde.