Showdown im Himalaya - Robert Ransauer - E-Book

Showdown im Himalaya E-Book

Robert Ransauer

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Beschreibung

Anfang der 1980er-Jahre träumen vier Höhenbergsteiger von einem Ziel. Sie wollen alle 14 8000er im Himalaya besteigen. Es ist eine Zeit, in der Alpinismus neu gedacht wird – leicht, schnell, kompromisslos. Vier Bergsteiger aus drei Nationen wagen das Unmögliche, wissend, dass jeder Schritt ihr letzter sein kann: Reinhold Messner, der Pionier des alpinen Stils, Jerzy Kukuczka, der unerschütterliche Pole, sowie die beiden Schweizer, der Bergführer Erhard Loretan und der Metzgermeister Marcel Rüedi. Sie teilen dieselbe Leidenschaft, und endlosen Hunger nach Höhe. Was als alpiner Traum begann, wurde schnell von den Medien zu einem Wettkampf hochstilisiert: Wer wird als Erster alle 8000er bezwingen? Es entbrannte ein Kampf gegen die Zeit, die Natur und das eigene Ich. Eine tödliche Geschichte, die den Alpinismus für immer veränderte. Ein mitreißendes Porträt einer Generation, die die Grenzen des Möglichen verschob, und dafür den höchsten Preis zu zahlen bereit war. Dieses Buch erzählt von Rivalität, Respekt, Triumph und Tragödie, und von der Frage, warum Menschen überhaupt in solche Höhen streben.

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Seitenzahl: 718

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Robert Ransauer

SHOWDOWN

IM

HIMALAYA

4 Männer

1 Ziel

14 8000er

DiesesBuchist auch als

Taschenbuch

erhältlich.

Texte: © 2025 Copyright by Robert Ransauer

Umschlaggestaltung: © 2025. Der Umschlag zeigt den Gyachung Kang mit einer Höhe von 7952 m. Urheber des Fotos: Marcel Rüedi im Rahmen seiner Expedition zum Cho Oyu im Jahr 1985.

Verlag:

Robert Ransauer

Leopold Stipcakgasse 9

2331 Vösendorf

Österreich

[email protected]

Autoren Webiste www.ransi-berge.at

Dieses Buchprojekt wurde im Eigenverlag erstellt. Die Lektoratstätigkeit, wie Rechtschreibung und Interpunktion, wurde vom Autor selbst vorgenommen. Das gilt auch für das Seitenlayout sowie die Gestaltung des Buchumschlags. Ein professionelles Vier-Augen-Prinzip konnte nicht realisiert werden. Es besteht daher keine Garantie für eine grammatikalische Fehlerfreiheit. Ich bitte den Leser, dies nachzusehen.

Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH,

Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung

[email protected]

Vorwort:

Wem verdanken wir eigentlich, dass wir von vierzehn 8000ern auf unserem Planeten sprechen? Wir verdanken es nicht dem lieben Gott und auch nicht der Kontinentaldrift der indischen auf die asiatische Platte, welche die höchsten Berge des Planeten aufwölbte. Wir verdanken es Wissenschaftlern und Mathematikern, die während der Zeit der Französischen Revolution den Auftrag erhielten, ein einheitliches und universelles Maßsystem in Europa einzuführen. Der Meter. Der zehnmillionste Teil des Abstands vom Äquator zum Nordpol. Hätten der Astronom Jean-Baptiste Delambre und der Geodät Pierre Méchain, die die Standardisierung und Definition des Metermaßes vorangetrieben hatten, den Meter etwas länger ausfallen lassen, so würden wir mit Sicherheit von weniger als vierzehn 8000ern sprechen. Wäre es etwas kürzer geworden, dann hätten wir möglicherweise auf unserer Erde auch den einen oder anderen 9000er. So oder so, die Berge wären gleich hoch geblieben. Man könnte daher auch davon ausgehen, dass es sich bei der Bezeichnung der „14 8000er“ um ein Zufallsprodukt handelt. Denn da wäre noch das mit dem Meter konkurrierende Maß der Briten und Amerikaner. Der Fuß. 3,28 Fuß entsprechen einem Meter. Ergo misst der Mount Everest mit seiner Höhe von 8848 m knapp über 29.000 Fuß. Ein „kleinerer“ 8000er misst über 26.000 Fuß. Man hätte die höchsten Gipfel anstelle von 8000ern auch als 26000er oder 27000er bezeichnen können. Aber die beiden letzteren Bezeichnungen wären vielleicht nicht so anschaulich und einprägsam gewesen wie der 8000er. Es sei, wie es sei. So entstanden die 14 8000er.

Dann mischten auch noch Geographen und Vermesser bei der Definition der Anzahl von 8000ern mit. Die meisten von ihnen wurden bereits in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, während der Kolonialherrschaft der Briten in Indien, vom Survey of India entdeckt und deren Höhe vermessen. Bereits damals mit einfachen Mitteln und aus großer Entfernung relativ genau. Im Laufe der Jahrzehnte kam es dann immer wieder zu Korrekturen. Dem höchst vermessenen Punkt widmete man den Namen des Chefs der damaligen Vermessungsbehörde: einem gewissen Sir George Everest.

Vermessung schön und gut. Was ist aber nun ein Gipfel? Antwort: Er ist die höchste Erhebung eines Bergstocks. Aber ein Bergstock wiederum kann mehrere sehr hohe Erhebungen aufweisen, die dem höchsten Punkt sehr nahekommen. Um nicht alle diese höchsten Punkte als eigene Berge bezeichnen zu müssen, stellte man Regeln auf. Man einigte sich darauf, dass ein Berg im Himalaya nur dann als eigenständiger Berg gelten darf, wenn zwischen ihm und der nächsthöheren Erhebung eine Schartenhöhe von 500 m besteht. Sprich, zwischen diesen beiden Bergen muss der tiefste Punkt mindestens 500 m sein. Für die 8000er bedeutete dies, dass eine Vielzahl von Nebengipfeln zum Hauptgipfel, welche ebenfalls Höhen von weit über 8000 m erreichten, exkludiert wurde. Sie fanden daher keine Aufnahme in die Liste der bedeutenden 8000er. Nur die höchste Spitze durfte zählen. Interessanterweise ließ man sich aber auf eine Ausnahme ein. Den Lhotse, dessen Name so viel wie „Südgipfel“ bedeutet und der eigentlich dem Mount Everest-Massiv zuzuordnen ist.

Die Höhe der einzelnen 8000er variiert übrigens nach wie vor. Das beruht darauf, dass sich das Himalaya-Gebirge nach wie vor entfaltet und Einflüsse des Wetters, wie vor allem Schneefall und Sturm, für Schnee- und Eisverfrachtungen im Gipfelbereich sorgen. Dadurch kann es schon einmal vorkommen, dass der ein oder andere Gipfel höher oder niedriger als noch einige Monate zuvor ist. Auch Naturkatastrophen wie Erdbeben sorgen dafür, dass sich Standort und Höhe der Gebirgsstöcke verändern. So geschehen während des großen Erdbebens in Nepal im Jahr 2015, als die Hauptstadt Kathmandu um 1,5 Meter nach Süden versetzt wurde und der Everest um einige Zentimeter nach Südosten.

Wann waren nun Bergsteiger ganz oben? Oben war man erst dann, wenn man es beweisen konnte. Zum Beispiel anhand von Fotos. Schließlich waren da noch die Statistiker, welche die Beweise bewerteten und anerkannten. Dann wurden sie als gültig angesehen und konnten auch nicht mehr bestritten werden. Ein hoher Aufwand. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass sich der Aufwand lohnte. Denn es gab auch immer wieder Schummler.

Eigentlich ist das Ersteigen von 8000ern eine Freizeitgestaltung bar jeder Vernunft. Besser sollte es sein, sich nicht dorthin zu wagen, denn in diesen Höhen bezahlt man oft mit seinem Leben. Im Laufe der Jahre wurden es aber immer mehr, die versuchten, sich einen Traum zu erfüllen. Am Gipfel eines 8000ers zu stehen. Und das, obwohl das Erreichen solch eines Traumes mit unglaublichen Entbehrungen körperlicher und physischer Natur verbunden ist. Dazu kommt, dass die Glücksmomente, die Welt von ihren höchsten Punkten aus zu bewundern, nur sehr kurz sind. Und nur allzu oft sind meteorologische Rahmenbedingungen ein Spielverderber. Es ist daher erstaunlich, was den Menschen in einer so unwirtlichen Weltregion vorantreibt, in der eigentlich Überleben kaum möglich ist. Selbst dann, wenn man schon längst hätte umkehren müssen. Die Schritte der Menschheit immer weiter nach vorne, egal ob in Technik, Wissenschaft oder bei Entdeckungen, waren schon immer von Mut geprägt. Und damit auch verbunden mit der Bereitschaft, Wagnisse einzugehen. Ob dabei das Besteigen der höchsten Gipfel der Welt ein sinnvolles Ziel sein mag, bleibt dahingestellt. Vielleicht lässt es sich am besten damit argumentieren, dass der Mensch die Grenze der eigenen Leistungspotenziale ausloten möchte. Die Zahl derer, die die Grenzen ihrer Fähigkeiten an 8000ern überschritten hatten und dennoch am Leben geblieben sind, liegt fast bei null. Das Bergsteigen auf 8000ern ist sehr gefährlich und macht viele ängstlich. Aber es ist doch ein mögliches und oft bewiesenes Unterfangen. Trotzdem ist Angst davor manchmal keine falsche Empfehlung. Obwohl: Mit zu viel Angst kommt man dem höchsten Punkt kaum näher. Wer also ganz nach oben möchte, muss Risiko eingehen, aber auch nur so viel, dass er oder sie nicht zum Hasardeur wird. Um im Jargon eines Bergsteigers zu bleiben: Alpinismus an 8000ern ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Gratwanderung.

Wie das Wesen unserer Rasse nun einmal so ist, wittert der Mensch immer Lust auf mehr. Einmal auf einem 8000er gestanden, hat man schon den nächsten im Sinn. Das war auch schon in frühen Tagen des Himalaya-Bergsteigens so. Warum auch nicht? Es gibt ja mehr als ein Dutzend davon. Tief im Menschen nistet ein Sammlerinstinkt. Der eine sammelt Briefmarken, ein anderer Bücher, ein anderer Steine oder Uhren. Es gab und gibt aber auch Menschen, die sich vorstellen konnten, 8000er zu sammeln. Das Mächtigste, was die Erde zu bieten hat. Sie sprachen bei ihrer Absicht von „Bergsucht“ und „Höhendroge“. Und die ersten, die damit anfingen, 8000er zu besteigen, stellten irgendwann auch einmal Überlegungen an, alle ihr Eigen nennen zu wollen. Womit sich natürlich auch irgendwann die Absicht etablierte, als Erster auf allen 14 gestanden zu haben.

Dies ist die Geschichte von vier Bergsteigerlegenden, die ein gemeinsames Ziel hatten: alle 14 8000er zu besteigen. Zuerst war natürlich nie ein Gedanke an alle 14 verschwendet worden. Anfangs gab es dazu auch gar nicht die Rahmenbedingungen. Bergsteigen am anderen Ende der Welt war eine äußerst kostspielige Angelegenheit. Außerdem galt es, eine Flut an administrativen Verpflichtungen einzugehen. Um Besteigungsgenehmigungen zu erhalten, musste man in Nepal das Außenministerium kontaktieren, und in Pakistan war man dem Ministerium für Tourismus verpflichtet. Erlaubnisse, in die Bergwelt vorzudringen und einen hohen Berg zu besteigen, kosteten einige tausend Dollar. Und diese summierten sich, musste man doch in einen anderen Erdteil reisen, Logistik bis zum Berg organisieren und Träger bezahlen. Das Budget wurde rasch zur Belastung. Denn wenn man schon viel auszugeben hatte, wollte man natürlich auch den Erfolg. Keiner wollte geschlagen zurückkehren. Es entstand Druck. Kultur, Religion, Menschen und Politik jener Länder, in welchen die 8000er beheimatet sind, waren fremd. Und als Fremder wurde man auch gesehen. Die Einheimischen waren anfangs darüber verwundert, warum die Westler ihre hohen Berge besteigen wollten. Sie erkannten aber auch rasch, dass sie bei Hilfestellung ihren kargen Lebensstil ordentlich verbessern konnten. Die Entwicklungen im Himalaya begannen daher nur langsam und dauerten Jahre. Sie nahmen aber im Laufe der Zeit an Dynamik zu. Es bildeten sich Gruppen und Seilschaften, die immer wieder gemeinsam loszogen und die ersten Erfolge einheimsten. Meist unter abenteuerlichen und lebensgefährlichen Bedingungen. Einer hatte angefangen und viele wollten es ihm gleichtun. So begann sich bei einem dieser Höhenbergsteiger die Idee durchzusetzen, eben alle 14 8000er besteigen zu wollen. Aber er hatte nie die Absicht, der Erste sein zu wollen. Schon gar nicht verschwendete er einen Gedanken an ein Wettrennen. Zumindest anfänglich nicht. Dann bekamen die Medien Wind und orteten die Möglichkeit eines Wettkampfs. Sie mischten das Thema immer wieder auf. Es entstand eine Erwartungshaltung. Druck auf jene Alpinisten, welche in diesem Buch Hauptprotagonisten in einem der größten Abenteuer der Menschheit spielen. Ein Spiel auf Leben und Tod, in dem sie als die Gladiatoren der höchsten Berge unseres Planeten bezeichnet wurden. Wer würde der erste Mensch sein, der sich die Himalaya-Krone aufsetzen durfte und auf allen 14 8000ern stand?

Eine kurze Erörterung zum Titel des Buches:

Bei einem Showdown handelt es sich um eine entscheidende Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Kontrahenten. Der Höhepunkt entwickelt sich spannend, dramatisch und effektvoll. Mit der Konfliktlösung entlädt sich die Spannung. Es gibt ein Happy End.

Zumindest für den Sieger.

Für den Verlierer bleibt die Niederlage.

Oft auch in der Gestalt des Todes.

Ihr Autor wünscht Ihnen eine interessante Lektüre.

Einige Bilder im Buch sind nicht immer der heutigen Zeit entsprechend qualitativ illustriert. Dies liegt nicht an der Druckqualität des Buches, sondern am Alter der Fotos bzw. der Dia-Scans. Viele der Bilder stammen aus Zeiten der analogen Fotografie und Diaserstellung. Die Qualität der Abbildungen ist der damaligen Zeit und der jahrzehntelangen Aufbewahrung geschuldet. Bitte um entsprechende Berücksichtigung.

Aus kaufmännischer Sicht mussten viele Bilder vom Farb-Modus in einen Schwarz-Weiß-Modus umgewandelt werden. Alle Bilder in Farbe zu drucken, hätte den Kaufpreis des Buches aufgrund der dann hohen Produktionskosten in astronomische Höhen verschoben. Trotzdem finden sich noch weit über 100 Farbbilder in diesem Buch.

Zum 40. Jahresjubiläum der Erstbesteigung

aller 14 8000er

„Mit Achttausendern verhält es sich wie mit Erdnüssen.

Hat man erst einmal damit angefangen, kann man nicht mehr aufhören.“

Quelle: Erhard Loretan: Aus seinem Buch „Den Bergen verfallen“

Die vierzehn höchsten Berge der Erde

INHALT

01 GROSSE TATEN IM SCHATTEN VON TRAGÖDIEN

02 DIE POLEN UND EIN KUKUCZKA

03 STERNSTUNDEN DES ALPINISMUS UND EINE RETTUNGSAKTION

04 EIN KLETTERNDER METZGERMEISTER

05 BERGSTEIGEN IM WINTER UND EIN SOLO AUF DAS DACH DER WELT

06 EIN SCHWEIZER NAMENS LORETAN

07 EIN MAKALU-SOLO, DREI IN EINEM JAHR UND ZWEI „ILLEGALE“ POLEN

08 MESSNERS STARTSCHUSS & DIE GASHERBRUMS IM VISIER

09 ALPINISTISCHE GLANZSTÜCKE IM RÜCKSPIEGEL EINES SÜDTIROLERS

10 POLNISCHE AUFHOLJAGD IM WINTER

11 SCHLAG AUF SCHLAG – 8000er um 8000er & „NIGHT NAKED“

12 ENDSPURT ALS BASIS WAGHALSIGER HÖHEPUNKTE

13 DAS FINALE IM BEISEIN DES TODES

14 DER LETZTE TRIP AUF GOTTES ERDEN – TOD EINES IDOLS

15 DER DRITTE MANN

16 EIN NACHRUF

Nachwort

01GROSSE TATEN IM SCHATTEN VON TRAGÖDIEN

Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten mehrere Abenteurer die Idee, auf einen der höchsten Berge der Erde zu steigen. Doch der erste, dem es gelang, seine Faszination tatsächlich umzusetzen, war der Brite Albert F. Mummery. Er war insofern privilegiert, als er auf eine für damalige Verhältnisse ausgezeichnete Infrastruktur der englischen Kolonialmacht in Indien und dem damaligen Kaschmir zurückgreifen konnte. Es waren Straßen, Boote und zum Teil fahrbare Untersätze vorhanden. Ansonsten bediente man sich zur Fortbewegung der eigenen Füße oder von Vieh. Diesen Rahmenbedingungen war es zu verdanken, dass er es damals überhaupt in die nächste Nähe eines 8000ers schaffte. Von lokalen Einheiten, die ihn vor kriegerischen Stämmen beschützten, gelangte er an die Südflanke des Nanga Parbat, in das Rupal-Tal. Heute wissen wir, dass er der neunthöchste Berg der Erde mit einer Höhe von 8125 m ist. Damals wusste man lediglich, dass es möglicherweise ein 8000er sei. Der mutige Mummery, der sich in Europa den Ruf eines der besten Felskletterer in den Alpen erkämpfte, war voller Tatendrang. Größenwahn konnte man ihm nicht vorwerfen, denn sein Vorhaben war sehr gut geplant. Hatte er doch zwei ausgezeichnete Begleiter aus England bei sich und einen auf indischem Territorium agierenden britischen General, der sich im Himalaya bereits beste Kenntnisse angeeignet hatte. Das kleine Team war beeindruckt von den gigantischen Weiten des Nanga Parbat-Massivs und startete seine Erkundungen. Dabei gelangten sie von Süden zur Nordwestseite des Berges. Nach mehreren Versuchen, den Berg emporzukommen, verschwand Mummery, der bis zuletzt glaubte, dass der Gipfel ihm gehören konnte, mit zwei lokalen Gurkha-Begleitern im Spätsommer 1895 für immer in den endlosen Weiten der Diamir-Flanke. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, ohne in die Gipfelregion vorgestoßen zu sein. Seinen Tagebüchern ist zu entnehmen, dass die höchste Höhe bei über 6000 m gelegen hatte. Noch heute trägt seine Aufstiegsroute seinen Namen – die Mummery-Rippen. Im Nachgang unterstellte man Mummery unter anderem auch Naivität. Man wusste noch wenig über den Zustand des Menschen in sauerstoffarmer Luft, noch hatte man irgendeine Ahnung von den Gefahren und der Dimension eines solchen Unterfangens. Trotz dieses wagemutigen Versuches blieb der erste Protagonist einer 8000er-Besteigung verschollen. Mummery, der als erster Mensch den Arm in Richtung Stratosphäre ausgestreckt hatte, ging als erster Toter in die Geschichte des Höhenbergsteigens im Himalaya ein. Tausende sollten ihm folgen und in ferner Zukunft mit dem Tode bezahlen. Der Menschheit wurde ein neues Ziel suggeriert: der dritte Pol. Von jetzt an sollte es nur noch eine Richtung geben: immer höher und höher hinaufzusteigen, koste es, was es wolle. Dorthin, wo man dachte, dass die Götter thronen und das letzte Geheimnis der Menschheit verborgen sei. Eine Vielzahl von Einzelgängern begann, neue Pfade zu erkunden. Karten standen keine zur Verfügung, keine Erfahrungswerte und keinerlei Vorgaben. Es ging um das reine Abenteuer und darum, als Pionier zu bestehen. Die Berge sollten erobert werden. Noch vor dem Ersten Weltkrieg starteten erneut Versuche. Dabei ist festzuhalten, dass zwar 14 8000er zur Verfügung standen, aber ein Großteil geographisch dort lag, wo es kein Hinkommen gab. Nepal und Tibet hatten sich von der Außenwelt abgeschottet. Was übrig blieb, waren die Gebirgsriesen im Karakorum, im heutigen Pakistan gelegen, oder der östlichste Teil des Himalaya: das Gebiet rund um den Kangchendzönga, der auch gerne als „Kantsch“ bezeichnet wird. Der Kantsch war anfangs noch zu fern und der Nanga Parbat galt als zu gefährlich. Man versuchte sich am zweithöchsten Berg der Welt, dem K2, von dem man damals ausging, er wäre leicht zu besteigen. Heute weiß man, dass das Gegenteil der Fall ist. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte eine internationale Expedition (Der Begriff „Expedition“ leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet so viel wie „Erledigung“ oder „Feldzug“. Früher wurde eine Expedition als Unternehmung für eine Entdeckungsreise bezeichnet. Auch heute noch werden Vorhaben zu bereits erforschten hohen Bergen als Expeditionen tituliert. Streng genommen und im ursprünglichsten Sinne sind sie aber keine, da kaum noch Neuland entdeckt wird.)aus Österreichern, Schweizern und Engländern beachtliche 6600 m Höhe.  Ernst wurde es im Jahr 1909, als der Herzog der Abruzzen, bekannt als Abenteurer, dem Berg mit mehr als 360 Trägern (In den Gebirgsregionen Asiens Träger zu sein, bedeutet dort, einen wichtigen und anerkannten Beruf wahrzunehmen. Die Träger sind oft lokale Bauern, die sich mit ihrer Tätigkeit dringend benötigtes Bargeld dazuverdienen. Ohne diese helfenden Hände wäre eine Expedition in die Bergwelt des Himalaya nicht möglich, da sie das Expeditionsgut bis zum Fuße des Berges befördern.) und Bergsteigern und 6,5 Tonnen Gepäck zu Leibe rückte. Nach mehreren Wochen der Belagerung zog er mit seinen Mannen enttäuscht ab, sich sicher, dass er, aufgrund seiner Steilheit, einen unbesteigbaren Berg vor sich gehabt hatte. 6000 m waren das höchste der Gefühle gewesen. Nach dem Ersten Weltkrieg versuchten es die Briten mehrmals am Mount Everest. Dabei mussten sie einen hunderte Kilometer langen Anmarsch in Kauf nehmen und umrundeten halb Nepal. Bis heute streiten sich Experten, ob es die Briten eventuell schon 1924 geschafft hatten, den höchsten Punkt der Erde zu erreichen. Die Spekulationen, ob George Mallory und Andrew Irvine den Gipfel erreicht hatten und danach abstürzten oder bereits davor, rissen nie ab. Auch die im Jahr 1999 gefundene mumifizierte Leiche von Mallory auf über 8000 m konnte darüber keine genauen Aufschlüsse geben. Einige Jahre später stieg der amerikanische Höhenbergsteiger Konrad Anker mit derselben Ausrüstung und auf derselben Route wie Mallory und Irvine im Jahr 1924 in Richtung Gipfel. Obwohl schwierig, hatte er den Gipfelerfolg der beiden Briten nicht für unmöglich gehalten. Es bleibt eines der größten Geheimnisse des Alpinismus. Immerhin konnten die Briten für sich verbuchen, dass sie bis in eine Höhe von 8500 m vorgedrungen waren, ohne künstlichen Sauerstoff zu konsumieren. Das Ende des 2. Jahrzehnts und das 3. Jahrzehnt im 20. Jahrhundert standen im Himalaya im Zeichen der Deutschen. Paul Bauer versuchte es Ende der 1920er-Jahre zweimal am Kantsch. Die Deutschen begannen, den Berg im oberen Bereich im wahrsten Sinne des Wortes zu zerhacken. Das Eis flog tonnenweise die Hänge des Kantsch hinunter, durch Eistürme wurden Tunnel oder senkrechte Schächte gegraben, Stufen geschlagen, damit die Träger nachkommen konnten, Eishöhlen ausgehoben, die wie Schützengräben angelegt wurden, um die Waffen des Berges, wie Schnee, Kälte oder Sturm, abzuhalten. Bauer ließ den Berg in einer Tour belagern. Vergebens. Wetter und Schneeverhältnisse hatten kein Erbarmen mit den Germanen. Höher als 7000 m kamen sie nicht. Man wandte sich einem anderen Himalaya-Riesen zu. Dem Nanga Parbat, dem westlichsten Pfeiler des Himalaya. Nicht weniger als fünfmal fuhren die Deutschen in den 1930er Jahren zu diesem Berg und ernteten 26 Tote. Die besten deutschen Bergsteiger der damaligen Zeit verblieben für immer am Berg. Darunter ein Willo Welzenbach, ein Carlo Wien oder Willy Merkl. Schnell wurde der Nanga Parbat zum Schicksalsberg der Deutschen. Heroisiert von den Nationalsozialisten unter dem Motto „Kampf, Sieg und Kameradschaft“. Am Berg selbst hatte nach dem Führerprinzip Gehorsam zu herrschen. Der Sieg war das Ziel. Das Ziel aber verfehlt. Die Toten hinterließen nicht nur die Begeisterung einer ganzen Bergsteigernation im Himalaya, sondern auch die fragwürdigen Werte, für welche sie sich entsenden ließen. Die Amerikaner versuchten sich Ende der 1930er-Jahre am K2. Beinahe erfolgreich. Der Deutsch-Amerikaner Fritz Wiessner stand mit seinem Sherpa bereits über 8000 m. Der Weg zum K2-Gipfel war fast nur noch eine Formalität. Doch dann bekam es der Sherpa mit der Angst zu tun. Er hatte Angst, durch die Besteigung des Gipfels die Wut der Götter auf sich zu ziehen. Er verweigerte den weiteren Weg. Pasang Dawa Lama erreicht aber nicht nur deswegen Berühmtheit. Er wurde einer der gefragtesten Sherpa-Führer seiner Zeit, stand immer wieder auf Gipfeln von 8000ern und trägt heute unter den Sherpas den Status einer Legende. Bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hätte also durchaus schon der ein oder andere 8000er „fallen“ können. Doch irgendwie war die Zeit noch nicht gekommen. Im höchsten Gebirge der Erde. Dort, wo die Berge erst beginnen, wo sie in den Alpen ihre höchste Höhe erreichen. In einer Höhe von durchschnittlich 4500 m. Dort, wo die Basislager (Als Basislager wird der zentrale Stützpunkt für Bergsteiger am Fuß des Berges bezeichnet. Mehrere Zelte stehen den Teilnehmern einer Expedition zur Verfügung. Dazu gehören unter anderem ein Kochzelt und auch ein Gemeinschaftszelt. Sie bilden oft den Mittelpunkt des Lagers und eignen sich als Treffpunkt für Regenerationsphasen. Im Vergleich zu den Hochlagern gilt das Basislager ebenso als bequeme Zuflucht wie bei Schlechtwetterphasen.) der Expeditionen lagern. Wollte man also einen Himalayagiganten hinauf, musste man zuerst die Alpen hoch.

Der Zweite Weltkrieg beendete für ein Jahrzehnt die Möglichkeit, in den Himalaya zu ziehen. Doch die 1950er Jahre sollten zum goldenen Zeitalter des höchsten Gebirges der Welt werden. Für die Eroberung des dritten Pols wurde fleißig Geld gesammelt. Mit nationalen Parolen ging man in den Bergsteigernationen Österreich, Schweiz, Frankreich, England, Österreich und Deutschland ans Werk. In Japan und in den USA lief es nicht anders. Die Franzosen waren die Ersten, die im Jahr 1950 am Gipfel eines 8000ers standen. Auf der Annapurna. Dem zehnthöchsten Berg unseres Planeten. Ein Weckruf für alle anderen Nationen. Die 8000er-Gipfel purzelten zehn Jahre lang wie die Kegel. Die Franzosen hatten es vorgemacht, und die anderen Nationen hatten sich mit ihren französischen Helden identifiziert. Die beiden Gipfelstürmer Louis Lachenal und Herzog waren zwar durch ihre erlittenen Erfrierungen für ihr Leben lang gezeichnet, dies tat aber der Begeisterung keinen Abbruch. Nach wie vor stand nationales Prestige im Vordergrund. Die Landesflagge musste vom Gipfel der höchsten Berge wehen. Nationale Interessen lagen an erster Stelle. Acht der 8000er wurden mit Zuhilfenahme von künstlichem Sauerstoff erstiegen. Die „kleineren“ 8000er schaffte man auch ohne den „Sauerstoffrüssel“. Wahrscheinlich aber auch nur deshalb, weil die Medizin der 1950er-Jahre der Meinung war, dass jeder Schritt oberhalb der 8500 m-Marke todbringend sein würde. Heute weiß man, dass das Gegenteil der Fall ist. Zur Bezwingung der Berggiganten wurden alle möglichen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Für die damalige Zeit sehr fortschrittlich. Verglichen mit den heutigen Errungenschaften natürlich schwer rückständig. Umso mehr gilt es, die Leistungen der damaligen Pioniere zu würdigen. Jenes Jahrzehnt der 8000er-Ersteroberungen nennt man auch den „Eroberungsalpinismus“. Sieht man von der Besteigung des letzten 8000ers, des Shishpangma, im Jahr 1964 ab, so verlief das Jahrzehnt der 1960er-Jahre im Himalaya relativ ruhig. Die Luft der Erstbesteigungen war draußen. Das Interesse der breiten Öffentlichkeit geriet in den Hintergrund. Schon bald fand sich in den internationalen Gazetten kein Artikel mehr. Außerdem war es zu jener Zeit auch wieder schwieriger, zu den hohen Bergen zu gelangen. Politische Unruhen zwischen China und Tibet, von welchen auch Nepal immer wieder betroffen war, versperrten die Zugangswege. Trotzdem gelang es Norman Dyhrenfurth mit einigen Amerikanern im Jahr 1963 in einem Husarenstück, den Mount Everest quasi zu überqueren. Und ein gewisser Karl Maria Herrligkoffer, der bei der Erstbesteigung 1953 als Expeditionsleiter agierte, knöpfte sich wieder einmal den Nanga Parbat vor. 1962 gelang ihm mit einer jungen, ehrgeizigen deutschen Mannschaft die zweite Besteigung des „Diamir“, des Königs der Berge. Über eine neue Route an der Nordwestseite des Berges, der Diamir-Flanke. Eine Pioniertat, welche die Bergsteiger allerdings mit Tod und schweren Erfrierungen bezahlten. Herrligkoffer wollte noch mehr. Er wollte den Berg auch noch über seine Südflanke ersteigen lassen. Die Rupal-Flanke. Dafür fuhr er bis 1968 noch dreimal dorthin. Herrligkoffer hatte es der Welt des Alpinismus vorgemacht. Wenn man schon nicht Erster auf einem 8000er gewesen sein konnte, dann könnte man es doch über spektakuläre neue Wege zu den Gipfeln versuchen. Über die sogenannten Zweitrouten. Hohe Wände, steile und überhängende Felsaufschwünge. Die 1970er-Jahre sollten also für eine neue Aufbruchstimmung im Himalaya sorgen. Und der „Aufbruch in neue Zeiten des Alpinismus“ würde auch beginnen. Die 1970er Jahre wurden zu den „wilden Jahren“ im Himalaya. Der „Schwierigkeitsalpinismus“ war geboren. Der Brite Chris Bonington hatte den Anfang gemacht. Mit einer Truppe von hartgesottenen und mutigen Männern hatte er die mächtige Annapurna-Südwand ins Visier genommen. Eine Wand, in welche die Eiger-Nordwand zweimal passen würde. Allerdings mit einem beträchtlichen Unterschied. Mit schwierigsten Kletterpassagen in einer Höhe von über 7000 m. In dünnster Luft. In der Todeszone, wo einem nur noch ein Drittel des Sauerstoffs von Meereshöhenniveau zur Verfügung stand. Dougal Haston und Don Whillans schrieben Himalayageschichte, als sie im Sommer 1970 den Durchstieg durch diese gefürchtete Steilflanke bis zum Gipfel schafften. Aber nur einige hundert Kilometer weiter im Westen spielte sich zur selben Zeit ein weiteres Besteigungsspektakel im Himalaya ab. Am Nanga Parbat. Als Herrligkoffer mit seiner Truppe über die Rupalwand, zum vierten Mal, zum Gipfel des Nanga Parbats wollte. Und das ist jener Punkt, an welchem wir in die Geschichte dieses Buches und seiner vier Protagonisten einsteigen wollen. An jenem Punkt gab es im Himalaya „erst“ zwei Bergsteiger, die am Gipfel eines 8000ers standen. Der unvergessene Hermann Buhl, berühmt geworden 1953 mit seinem unwiderstehlichen 41-stündigen Alleingang zum höchsten Punkt des Nanga Parbat. Im Jahr 1957 stand er auch auf dem Gipfel des Broad Peak. Gemeinsam mit seinem Kletterpartner Kurt Diemberger, der selbst wiederum im Jahr 1960 der zweite Bergsteiger war, der zwei 8000er auf seinem Habenkonto verbuchen durfte. Neben dem Broad Peak schaffte er 1960 auch den Dhaulagiri mit einer Schweizer Mannschaft. Alle vier Gipfelerfolge waren übrigens Erstbesteigungen.

Reinhold Messner, Jahrgang 1944, im Südtiroler Villnösstal mit acht Geschwistern aufgewachsen, turnte Ende der 1960er Jahre in den Alpen herum. Immer verwegener wurden seine Fahrten im Fels. Er meisterte die komplexesten Führen im höchsten Schwierigkeitsgrad und durchstieg die glattesten Plattenformationen. Immer wieder gelangen ihm Erstwinterbegehungen. Als er in die Westalpen kam, bewies er, dass er nicht nur im Fels zu Hause war, sondern auch in kombiniertem Gelände und steilstem Eis.

Mit seinem Bruder Günter, der ihn auf unzähligen Touren begleitete, hatte sich das Duo einen ausgezeichneten Namen gemacht. Es ist daher nachvollziehbar, dass Messner meinte, sich nichts Schrecklicheres vorstellen zu können als einen Alltag wie im bürgerlichen Leben. Die zweite Hälfte der 1960er Jahre bezeichnete er auch als jene Zeit, in welcher er verblendet, verrückt und besessen war. Der Tod kam nie bei ihm vorbei. Er traf immer nur die anderen. Dieses bedingungslose Bergsteigen zählte er zu den besten Zeiten seines Lebens. In jenen Tagen hatte Messner mit dem Osttiroler Sepp Mayerl auch seinen Lehrmeister gefunden hatte. Der ihm den letzten Schliff zu einem perfekten Bergsteiger und Kletterer verpasste. Körper und Sinne hatte er in Hunderten von schwierigen Alpentouren gestählt und war dadurch zum führenden Alpenbergsteiger der ausklingenden 1960er-Jahre aufgestiegen. Durch Mayerl lernte er auch Peter Habeler kennen, mit dem er noch riesige Erfolge feiern sollte. Das Trio war viel in den Dolomiten und in den Anden unterwegs gewesen. Langsam aber sicher wurden den Messner-Brüdern die Alpen zu klein. Die Neugierde nach „Höherem“ wuchs, und man wollte die eigenen Grenzen weiter ausloten. Erstmals verspürte Reinhold Begeisterung für den Himalaya, nachdem er mitbekommen hatte, dass Herrligkoffer an der Rupal-Wand des Nanga Parbat 1968 gescheitert war. Aber wie dort hinkommen? Geld verdiente er sich als Bergführer oder bei Vorträgen. Und das reichte gerade, um durchzukommen. Von keiner internationalen Expeditionsgruppe wurden die Brüder angesprochen oder eingeladen, auf Bergreisen zu gehen. Bis im Herbst 1969 dann doch recht überraschend eine Einladung eintraf. Kein Geringerer als Karl Maria Herrligkoffer wollte ihn zu einer Expedition zur Rupal-Wand des Nanga Parbat dabei haben. Nachdem Sepp Mayerl und Peter Habeler absagen mussten, wurde auch ein Platz für seinen Bruder Günter frei. Der kündigte dafür seinen Bankjob, nachdem er von seinem Bruder die Einladung unter dem Christbaum vorgefunden hatte. Anfang April 1970 ging es los. Der Seeweg war wegen der Suezkanal-Krise gesperrt. Man griff zum Lastwagen. Ein Teil der Mannschaft tat sich die Reise von über 7500 km mit einem fahrbaren Untersatz an. Der zweite Teil kam mit dem Flugzeug nach. Getroffen hatte man sich in Rawalpindi, erledigte die Behördenwege und reiste mit dem Flugzeug weiter nach Gilgit, nördlich des Nanga Parbat-Gebietes gelegen, wo man Träger ausfasste und mit Jeep und in weiterer Folge zu Fuß den Himalayariesen ansteuerte. Das führte dazu, dass man bereits am 17.5. ein erstes Hochlager (Hochlager stehen an markanten Punkten einer Aufstiegsroute. Sie werden zur Akklimatisation, für den Aufstieg zum Gipfel, für Notfälle oder als Schutz vor Unwettern genutzt. Sie sind mit dem am Berg notwendigen Expeditionsgut ausgestattet. Beim Abstieg werden die Lager wieder abgebaut.)in einer Höhe von 4500 m errichtet hatte. Das letzte stand am 26.6. in einer Höhe von 7350 m, knapp unterhalb der Merkl-Rinne, nachdem man immer wieder von Schlechtwetter und Lawinengefahr in untere Lager zurückgetrieben wurde. Noch ein am selben Nachmittag geführtes Funkgespräch zwischen dem Sturmlager und dem Basislager war Ursprung für eine sich anbahnende Tragödie. Sie sollte die Welt des Bergsteigens weitgehend erschüttern und die Szene auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen.

Es ging darum, wie man am schnellsten den Gipfel erreichen könne, da die Wetterprognose alles andere als gut war. Man einigte sich auf Farbsignale mit Leuchtraketen, die vom Basislager abgeschossen werden sollten. Rot bedeutete Schlechtwetter und blau bedeutete gutes Wetter. Des Weiteren wurde vereinbart, dass bei drohendem Schlechtwetter Reinhold Messner einen Alleingang riskieren solle. Am nächsten Morgen verhieß der Wetterbericht „gutes Wetter“. Abgeschossen wurde allerdings eine rote Rakete, die für Messner einen Alleingang signalisierte. Via Funk konnte man den Fehler nicht mehr korrigieren, da im höchsten Lager, in welchem sich Messner mit Bruder und Gerhard Baur befand, kein Funkgerät zur Verfügung stand. Reinhold Messner ging also solo los. Allerdings nicht lange. Denn Günter, der mit Baur die Merkl-Rinne für Messners Rückkehr hätte sichern sollen, stieg seinen Bruder nach und holte ihn einige Stunden später ein. Aus bergsteigerischer Perspektive betrachtet eine Meisterleistung. Gemeinsam spurten sie hoch bis zum Gipfel, den sie am späten Nachmittag erreichten. Sie waren Nummer 5 und 6 am höchsten Punkt des Nanga Parbat. Als man sich wieder für den Abstieg bereit machte, schwächelte Günter und traute sich den Abstieg über die Aufstiegsroute nicht mehr zu. Ein Freibiwak (Ein Biwak ist eine Übernachtung am Berg unter freiem Himmel. Die Nacht wird an einem geschützten Platz außerhalb von Gefahrenzonen (Lawinen, Steinschlag, Blitz) verbracht. Um sich vor Kälte zu schützen, trägt man Leichtzelt, Isomatte und Biwaksack mit sich. Biwaks sind auch in gegrabenen Schneehöhlen oder kleineren Gletscherspalten möglich. Besteigt man einen Berg im alpinen Stil, also mit so wenig wie möglich Ausrüstung, dann sind Biwaks der Normalfall.) in einer Höhe von 8000 m bei 30 Grad unter Null, begleitet von Halluzinationen, war notwendig geworden. Messner sprach später von der härtesten Nacht seines Lebens. Ohne Essen, ohne Trinken, ohne ausreichend Sauerstoff, körperlich und seelisch ausgehöhlt, zählte man die Sekunden. Am nächsten Morgen wollte man auf die Notsituation hinweisen und Reinhold geriet in Rufkontakt mit der zweiten, zum Gipfel aufsteigenden Seilschaft. Doch die Worte und Rufe verloren sich im heulenden Wind. Reinhold sah sich in der Lage, selbst eine Entscheidung zu treffen. Da die Rupal-Wand für seinen Bruder nicht mehr in Frage kam, entschieden beide, es über die etwas „flachere“ Diamirwand auf der anderen Bergseite Richtung Tal zu versuchen. Unter der Führung von Reinhold erreichten die beiden die oberste der drei „Mummery-Rippen“, biwakierten ein zweites Mal und erreichten am folgenden Tag die unteren Gletscherregionen. Als sich bereits beide in Sicherheit wähnten, trennten sie sich und stürmten ins Tal, um sich an einer Quelle mit frischem Wasser zu laben. Nur einer kam an. Reinhold. Günter wurde von einer Eislawine verschüttet und starb. Trotz stundenlanger intensiver Suche konnte Reinhold seinen Bruder nicht mehr ausfindig machen. Sein Bruder, der ihn auf mehr als 100 Touren begleitet hatte, war nicht mehr. Reinhold war allein in einer apokalyptischen Gletscherwelt mit Erfrierungen an Händen und Füßen gefangen, selbst dehydriert und dem Ende nahe. Von den Anstrengungen vollkommen erschöpft schlief er am Gletscher ein, erwachte am nächsten Morgen und setzte die verzweifelte und beinahe vom Wahnsinn getriebene Suche nach seinem Bruder fort. Bis er aufgab und versuchte, sich selbst Richtung Zivilisation zu schleppen. Von Bergbauern wurde er gefunden, und nach mehreren Etappen seiner Odyssee traf er rein zufällig auf die sich am Rückweg befindliche Expeditionsmannschaft. Die physischen Folgen waren fürchterlich. Im Herbst 1970 wurden Messner an der Universitätsklinik sechs Zehen und einige Fingerkuppen amputiert. An das Gehen in die Berge dachte er nicht mehr. Der Schmerz über den Verlust seines Bruders war zu groß. Für Reinhold muss es eine psychische Apokalypse gewesen sein. Selbst noch ein junger Mensch mit gerade einmal 26 Jahren hatte er mit Günter Alpingeschichte geschrieben, aber auch bei seinem ersten Ausflug in den Himalaya das größte persönliche Desaster erlebt. Der Nanga Parbat galt damals als der tödlichste 8000er. Seit den 1930er Jahren starben dort mehrere Dutzend Menschen. Und der Tod verbarg sich auch 1970 am Berg. In einer Eislawine.

Seinen Bruder hatte er selbst noch die Reise zum „Nanga“ als Weihnachtsgeschenk unter den Baum gelegt. Ein Ticket ohne Rückfahrkarte. Das Bergsteigen war für seine Familie zur Belastung geworden. Erst nach einem weiteren halben Jahr versucht er sich wieder am Fels, doch die Abnahme seiner Glieder ließ ein Klettern wie im früheren Stil nicht mehr zu. Messner steckte seine zurückgewonnene Begeisterung in die hohen Berge der Welt, wo es galt, Eis zu bezwingen.

Davor aber hatten die Ereignisse vom Nanga Parbat ein beispielloses Nachspiel. Aufgrund des Todes von Günther Messner erfolgten nun Schuldzuweisungen. Basierend darauf Darstellungen und Gegendarstellungen, Vorwürfe und Rechtfertigungen, Anschuldigungen und Zurückweisungen. Die Tatsachen verschwanden wie in einem Whiteout. (Ein Whiteout ist ein meteorologisches Phänomen. Der Mensch wird in den Umstand versetzt, alles in gleichem Maße hell zu sehen – die Kontraste im Sehfeld werden stark verringert. Ein Whiteout entsteht aufgrund einer diffusen Reflexion des Sonnenlichts und einer dadurch ausgelösten geringen Leuchtdichte. Ursachen sind z. B. Bewölkung, Nebel, Schneefall oder auch bewölktes Wetter. Boden und Himmel ‚verschwimmen‘ – ein Horizont ist nicht mehr auszumachen. Der Mensch glaubt, sich in einem grau/weißen Raum zu befinden. Am Berg bedeutet dieser Umstand eine hohe potentielle Gefahr. Bergsteigern wird angeraten, abzuwarten, bis sich das Whiteout wieder verflüchtigt hat, ansonsten besteht Absturzgefahr aufgrund von Orientierungslosigkeit.). Die daraus resultierenden Polemiken gehörten schlichtweg zum Traurigsten in der Geschichte des Expeditionsbergsteigens. Über drei Jahrzehnte sollten sich die Diskussionen um die Ereignisse am Nanga Parbat von 1970 hinziehen – die Bergsteiger-Szene kam jahrelang nicht zur Ruhe. Die Medien fütterten ihre sensationsgeile Leserschaft. Aber weitere Details zu dieser leidigen Affäre führen in diesem Buch zu weit. Wer die Geschichte nicht kennt, dem empfehle ich mein Buch „Nanga Parbat – Die ultimative Chronik – Zum 100. Geburtstag des Erstbesteigers Hermann Buhl“.

Auf alle Fälle hatte der Rummel rund um den Tod des Günter Messner seinen Bruder psychisch schwer zugesetzt und seine Eltern in schwere Verzweiflung geführt. Sein erster Auftritt im Himalaya war der eines Tragöden. Noch vor der Nanga Parbat-Expedition hatte das Brüderpaar vereinbart, im Nachgang ihrer ersten Himalayatour ein Buch zu schreiben und Vorträge darüber zu halten. Es war ihr Ziel, sich eine nächste Reise zu finanzieren, vielleicht sogar eine Bergsteigerschule zu gründen. Doch diese Art von Tagträumen war zerstört worden. Messner kehrte dorthin zurück, von wo er kam. An die Mittelschule in Eppan, wo er Mathematik und Sport lehrte. Ausgehalten hatte er es dort nicht lange. Nach vier Monaten quittierte er den Job und führte Trekking-Gruppen in den Iran, zur Annapurna nach Nepal und zur Carstensz-Pyramide nach Neuguinea. Ein weiterer kleiner Lichtblick: Messner war in die Schwierigkeitskommission der UIAA (Internationale Vereinigung aller alpinen Vereine) berufen worden und konnte sich damit in der internationalen Bergsteigerschaft etablieren. Nebenbei hatte er seine Erlebnisse vom Nanga Parbat niedergeschrieben und ein Buch darüber publiziert. Doch die Veröffentlichung wurde von Karl Maria Herrligkoffer bekämpft, weil der damalige Expeditionsvertrag den Expeditionsmitgliedern alle Veröffentlichungen rund um den Himalaya-Trip verboten hatte. Lediglich der Expeditionsleiter selbst hatte ein Recht darauf. Prompt erlitt Messner seinen nächsten Rückschlag, als eine einstweilige Verfügung die Weiterverbreitung seines Buches anfangs 1971 stoppte. Vor der Öffentlichkeit beschämt und ohne große Zukunftsperspektive blieb er zurück. Viele Bergsteiger zeigten sich wegen des Streits rund um den Tod Günter Messners mit Widersprüchen jeder Art konfrontiert und distanzierten sich von ihm.

1971 begab er sich mit seiner späteren Frau Uschi Demeter an den Nanga Parbat, um seinen Bruder zu finden. In der Hoffnung, dass der Gletscher die Leiche seines Bruders freigegeben hatte, suchte er vier Tage am vermeintlichen Unfallort – sein seelischer Zustand soll labil gewesen sein. Doch von seinem Bruder fehlte jede Spur. Immerhin gab es ein Wiedersehen mit den Hirten und Bauern, welche ihm 1970 das Leben gerettet hatten.

1970 waren mit der Annapurna-Südwand und der Rupal-Wand am Nanga Parbat zwei „der großen Probleme im Himalaya“ bestiegen worden. 1971 folgte der Westpfeiler am Makalu durch Franzosen, und Japaner feierten einen Erfolg in der Westwand des Manaslu. 1972 folgte eine österreichische Mannschaft diesem Trend. Und wieder sollte der Manaslu, diesmal seine Südflanke, das würdige Ziel sein. Der Manaslu im zentralen Himalaya weist eine Höhe von 8163 m auf und rangiert an achter Stelle der höchsten Berge. Schon immer war er ein „japanischer“ Berg. Von 1951 bis 1955 entsandten die Japaner vier Expeditionen, welche alle scheiterten. Unter der Leitung von Yuko Maki gelang dann am 9.5.1956 vom letzten Lager aus 7700 m durch Toshio Imanishi und den Sherpa Gyaltsen Norbu erstmals der Durchbruch bis zum Gipfel. Im Jahr 1981 fuhren erstmals Menschen aus der Gipfelregion mit Ski ab: Es waren die Österreicher Sepp Millinger und Peter Wörgötter. 1982 stand mit der Belgierin Lut Vivijs die erste Frau am obersten Punkt und 1984 erreichte erstmals eine polnische Expedition den Gipfel im Winter – über die Südwestflanke.

Anfang der 1970er-Jahre waren Expeditionen in den Himalaya nachwievor eine Reise ins Ungewisse. Detaillierte Landkarten über die Gegend gab es keine. Man war auf Skizzen oder Bilder angewiesen. Wenn man Glück hatte, gelang einem der Kontakt zu Bersteigern, die schon einmal am Berg waren. Ursprünglich wollten die Österreicher zum von fragilen Eistürmen gespickten Nordostsporn des Kantsch, den die Deutschen 1929 und 1931 erfolglos angegriffen hatten. Doch weil Indien und Pakistan sich im Krieg befanden, erhielt man keine Genehmigung. Daher wich man mit Hilfe des Himalaya-Veteranen Erwin Schneider, der gute Beziehungen zur Regierung nach Nepal unterhielt, auf den Manaslu aus. Die Vorbereitung nahm fast zwei Jahre in Anspruch. Die Kosten beliefen sich auf etwa achthunderttausend österreichische Schilling, wobei die Hälfte von den Expeditionsteilnehmern und der Rest vom Land Tirol beigesteuert wurde. Der 27-jährige Expeditionsleiter Wolfgang Nairz stellte ein Tiroler Team zusammen. Der Expeditionsarzt Dr. Oswald Oelz und die Bergführer Franz Jäger, Andy Schlick, Horst Fankhauser, Hans Hofer und Hansjörg Hochfilzer waren an Bord. Niemand Geringerer als der Erstdurchsteiger der Rupal-Flanke am Nanga Parbat, Reinhold Messner, hatte sich ebenfalls zur Schar der Auserwählten gesellt. Aus österreichischer Sicht kein Tiroler, sondern ein italienischer Südtiroler. Keiner der Genannten war älter als 30 Jahre. Ergänzt wurde die Truppe vom Basislagerleiter Josl Knoll, dem pakistanischen Begleitoffizier Karki und dem Sirdar- und Sherpa-Chef Urkien. (Der Anführer der Träger wird ‚Sirdar‘ genannt. Er ist der Vermittler zwischen Bergsteigern, Trägern und Einheimischen. Dabei regelt er als Erfahrenster den Lastentransport und dessen Vorankommen bis ins Basislager einer Expedition und fungiert als Schnittstelle zwischen lokalen Behörden und dem Expeditionsteam. Ein Sirdar spricht zumeist fließend die englische Sprache.).

Am 5.3. landete man mit drei Tonnen Gepäck in der westlich von Kathmandu gelegenen und zweitgrößten Stadt Nepals, Pokhara. Der Weitermarsch erfolgte mit 90 Trägern über steile Pfade und Gebirgspässe ins Marsyandi-Tal und in die wilde Schlucht Dona Khola bis zum unteren Ende des Thulagi-Gletschers. Zum Teil kämpfte man sich durch dschungelähnlichen Urwald und konnte nur mit Buschmessern einen Weg freihacken. Nach 10 Tagen erreichte man den Fuß des Manaslu. Zuerst war man von den aufragenden Wänden so beeindruckt, dass man beinahe aufgeben wollte, doch dann rang man sich durch, den damaligen Trend folgend, es über die schwierige Südwand probieren zu wollen. Schnell stellten sich die ersten Hindernisse in den Weg. Ein zerrissener Eisfall, der eine Lawine nach der anderen ausspuckte. Ein unüberwindlich aussehender Felspfeiler und daneben eine Schlucht, die ebenfalls an der Lawinenseuche zu leiden schien. Der Felspfeiler sollte gangbar gemacht werden. Mit Seilen und Strickleitern wurde er in der Folge versichert, um den Sherpas und Trägern ihren Weg nach oben so einfach wie möglich machen zu können. Ganz oben wurde ein erstes Lager errichtet. Schnell war den Bergsteigern klar geworden, dass es nicht nur ums Bergsteigen ging, sondern auch um intensives Transportieren von Lasten bei brütender Hitze. Daher wurde eine Lastenseilbahn installiert. Nach der ersten Erkundung folgten einige Tage Schlechtwetter und man war gezwungen, sich im Basislager aufzuhalten. Bei besserem Wetter erkundeten Messner und Fankhauser das weiter oben liegende Eislabyrinth. Es erhielt den Namen „Schmetterlingstal“, weil die beiden auf 6000 m Höhe auf viele Falter trafen. Um die Dimension zu verstehen: Das Tal ist sechs Kilometer lang. Im oberen Bereich dieser langen Senke wurde ein zweites Lager aufgeschlagen, welches prompt von einer Lawine bombardiert wurde. Messner und Fankhauser blieb nichts anderes übrig, als nach unten zu flüchten. Der Berg hatte ihnen einen ersten Schrecken eingejagt. Aber nicht nur den Österreichern. Südkoreaner versuchten es an der Nordostflanke. Und sie erwischte es ganz schlimm. Eine Lawine zerstörte jenes Lager, in welchem sich die meisten Männer aufgehalten hatten. 5 Bergsteiger und 10 Sherpas kamen in dieser Katastrophe ums Leben. Die Österreicher und Messner erfuhren davon erst einige Tage später. An der Südflanke des Manaslu ging das Expeditionsleben weiter. Am 20.4.1972 verschwanden Messner, Jäger und Schlick, nachdem man beim Anstieg immer wieder Rückschläge hatte einstecken müssen, in knietiefem Schnee das Schmetterlingstal hinauf, um Lager 3 in einem Schneeloch auf 6600 m zu errichten. Einige Tage später stiegen Jäger und Messner weiter an, überbrückten die oberhalb von Lager 3 emporwachsende Eiswand und errichteten noch in der Südseite der Wand, knapp unterhalb des Gratrückens, Lager 4. Ein idealer Standplatz für einen Gipfelangriff, und das Wetter schien zu halten. In der Nacht schliefen die beiden allerdings schlecht. Sie waren müde, da sie die letzten beiden Tage viel geklettert und geschleppt hatten. Am 25.4. ging es los. War es im Morgengrauen noch sehr windig, so herrschte nun am quadratkilometerweiten Gipfelplateau Windstille und es war wolkenlos. Die Voraussetzungen, zum Gipfel zu kommen, waren ausgezeichnet. Der Weg über das Plateau erschien endlos. Es ging nur zäh und Bruchharsch erschwerte die Bedingungen. Nach jedem Schneerücken trachteten die beiden danach, den Gipfelaufbau erkennen zu können, wurden aber immer wieder enttäuscht. Dann geschah Unerwartetes. Am späten Vormittag gab Jäger auf. Er war der Meinung, nicht mehr am selben Tag auf den Gipfel und wieder retour nach Lager 4 zu kommen. Ein Biwak wollte er in dieser Höhe nicht in Kauf nehmen. Alle Aufmunterungsbemühungen Messners scheiterten. Jäger drehte um. Dass sich die beiden das letzte Mal voneinander verabschiedeten, daran dachte keiner. Jäger ging mit den Worten, dass er für Messner in Lager 4 Tee für dessen Rückkehr kochen würde. Messner setzte, während der Wind an Intensität zunahm und eine dunkle Wolkenbank von Süden her sich ihren Weg bahnte, seinen Weg im Alleingang nach oben fort. Er erreichte den Gipfel gegen 14.00 Uhr. Es war sein zweiter 8000er. Am höchsten Punkt hatte er aber nicht viel Zeit, weil sich ein Wettersturz ankündigte. Er fotografierte, baute ein Steinmännchen und schlug einen alten Haken einer früheren japanischen Expedition aus der Gipfelpyramide. Dann machte er sich auf den Weg, um Lager 4 noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.

Dann schlug das Wetter in Form von Nebel und einem Schneesturm um. Die Aufstiegsroute war nicht mehr zu erkennen. Die Schneemassen veränderten sukzessive die Landschaftsform des Gipfelplateaus. Messner irrte am Gipfelplateau herum. Vom Zelt keine Spur. Irgendwann begann er, die Stimme Jägers zu hören, der seinen Namen rief. Messner vermutete sich in der Nähe von Lager 4. Doch die Rückrufe von Messner blieben unbeantwortet. Der tobende Orkan verschluckte seine ohnehin bereits schwache Stimme. Der Rufkontakt wiederholte sich des Öfteren, bis er endgültig verstummte. Messner irrte noch Stunden in eisiger Kälte und fürchterlichem Orkan, gegen den Tod kämpfend, herum. Endlich sichtete er das durch die Schneemassen fast zur Gänze versunkene Zelt. Doch es war unbesetzt. Jäger fehlte. Dafür waren Fankhauser und Schlick, die während des Tages von Lager 3 aufgestiegen waren, um dem Spitzenduo Rückendeckung zu geben, anwesend. Als sie hörten, dass sich Jäger beim Anstieg von Messner getrennt hatte und im Zelt nicht angekommen war, machte sich Fankhauser auf die Suche. Zuerst dachte er, Messner könnte, bedingt durch die extreme Höhe, an Halluzinationen gelitten haben, dann vernahm er aber selbst Jägers Rufe. Finden konnte er ihn aber nicht. Als er wieder zurückkam, machte er sich gemeinsam mit Schlick auf die Suche. Messner verblieb im Zelt und versuchte, sich von den Strapazen der letzten Stunden zu erholen. Seinen vom Nanga Parbat kaputten Füßen hatte die Kälte nichts anhaben können. Während sich Messner Gedanken über das Ausbleiben von Jäger machte, begannen auch Schlick und Fankhauser einen Überlebenskampf bei ihrer Suche am Plateau. Sie vernahmen zwar auch wieder Jägers Rufe – konnten ihn aber nicht ausmachen. Bei ihrer Suche Richtung Gipfel, für den sie im tobenden und heulenden Sturm Stunden benötigten, verloren sie dann auch Jägers Stimme und waren selbst den Naturgewalten des 8000ers ausgeliefert. Die Rückkehr nach Lager 4 würden sie nicht schaffen, also gruben sie sich eine Schneehöhle. Schlick war bereits in einem bedauernswerten Zustand und litt an Kälteschock. Er wollte unbedingt ein Dach über dem Kopf und zurück nach Lager 4. Fankhauser gab Schlicks Wunsch nach und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Doch die beiden verloren die Orientierung. Um nicht zu sterben, baute Fankhauser erneut ein Schneeloch und verpflegte den kranken Schlick, so gut es ging. Als dieser nach einiger Zeit den Eindruck erweckte, dass es ihm wieder besser ging, verließ er die Behausung mit dem Vorwand, nach dem Wetter sehen zu wollen. Doch Schlick sollte nie mehr zurückkommen. Möglicherweise war er höhenkrank gewesen und konnte seine eigene Lage nicht mehr genau beurteilen. Sein Verhalten war für immer ein Geheimnis geblieben. Eines jener, welche vom Himalaya nur selten preisgegeben werden. Fankhauser konnte sich, um selbst am Leben zu bleiben und nicht zu erfrieren, nicht mehr auf die Suche machen. Seine Rufe nach seinem Freund blieben ungehört. Er blieb verschwunden. Als der Morgen graute, hatte Fankhauser die schlimmste Nacht seines jungen Lebens hinter sich. Der Orkan orgelte und heulte nach wie vor, dafür war die Sicht um einiges besser geworden. Mühsam grub er sich durch die Schneemassen Richtung Lager 4, in der Hoffnung, Schlick könnte einen Weg dorthin gefunden haben. Als er in den Morgenstunden Lager 4 erreichte, fand er dort nur Reinhold Messner vor. Schlick war nicht angekommen. Messner und Fankhauser machten sich wieder auf die Suche. Das Wetter hatte sich vorübergehend stabilisiert. Der Sturm hatte sich gelegt. Mehrere Stunden suchten sie weiter, doch Jäger und Schlick waren unauffindbar. Am frühen Nachmittag mussten Fankhauser und Messner nach Lager 3, denn das Wetter wurde schnell wieder schlechter. Dabei mussten sie sich stundenlang durch metertiefen Schnee wühlen, bevor sie im Lager in Empfang genommen wurden. Noch am selben Tag schafften sie den Abstieg nach Lager 2, wo ihre Erfrierungen. (Bei Erfrierungen unterscheidet man drei Schweregrade. Erfrierungen ersten Grades lassen das Gewebe unter der Haut weiß, oft hart und gefühllos werden. Treten dazu noch Blasen auf, dann spricht man von Erfrierungen zweiten Grades. Erfrierungen des dritten Grades sind erreicht, wenn das Gewebe blau oder schwarz geworden ist.)

vom Expeditionsarzt mit intraarteriellen Infusionen erfolgreich bekämpft wurden. Am 27.4. erfolgte der Abstieg ins Basislager. Dort hatte man von den Ereignissen am Berg keine Kenntnis, weil das Funkgerät ausgefallen war. Die Expedition wurde abgebrochen. Der Schock über den Verlust von zwei nahestehenden Bergkameraden war allen tief in die Glieder gefahren. Die beiden österreichischen Bergführer Andi Schlick und Franz Jäger starben jung. Mit 27 bzw. 29 Jahren. Noch im Basislager ereilte die Mannschaft die Nachricht, dass Franz Jäger Vater eines Sohnes geworden war. Schlicks schwangere Frau trauerte um ihren Ehemann. Er galt vor allem als sehr hilfsbereiter Bergsteiger. Sein Einsatz bis zum Letztmöglichen entsprach seinem Charakter. Die verhängnisvolle Verkettung vollkommen unvorhergesehener Faktoren wurde zu einem tragischen Beispiel hoher Bergkameradschaft. Am Fuße des Manaslu erinnert eine von Hochfilzer gemeißelte Gedenktafel an die dort verbliebenen Bergsteiger. Der ohnehin für seine Wetterkapriolen bekannte, aber oft als „leicht“ eingestufte Manaslu forderte 1972 binnen kürzester Zeit 17 Menschenleben.

Messner lieferte bei seiner zweiten 8000er-Besteigung die zweite Tragödie ab. Bei der letzten Etappe zum Gipfel kam ihm wieder sein Kletterpartner abhanden. Kaum zurück in Europa wurde er mit kritischen Zeitungsartikeln konfrontiert. Die Unkenrufe der Besserwisser, jener Leute, welche sich noch nie in der Gegend eines 8000ers aufgehalten hatten, ließen nicht lange auf sich warten. Der Chef der damaligen Innsbrucker Alpinschule, Hannes Gasser, warf via der Tageszeitung KURIER ein, ob es nicht besser gewesen wäre, Messner wäre mit Jäger gemeinsam abgestiegen, anstatt ihn alleine gehen zu lassen. Die Tragödie wäre doch dadurch erst gar nicht passiert. Messner hatte eine Antwort schnell parat. Jäger war in guter körperlicher Verfassung. Der Weg von Lager 4 bis zum Ort der Entscheidung war Gehgelände und eine Absturzgefahr war nicht vorhanden, und außerdem schien das Wetter zu halten. Beide waren der Meinung, der nicht sehr steile Rückweg würde keine Gefahren erkennen lassen. Auch aus der Mannschaft gab es gegenüber Messners Verhalten keinerlei Vorbehalte. Messner hätte mit seinem Alleingang den letzten Stein auf eine Pyramide gesetzt, selbst sein Leben riskiert und damit der Expedition den Erfolg gebracht. Denn Ziel des Vorhabens war der Gipfel gewesen.

Die Ereignisse am Manaslu bekam auch der umstrittene und sich am Mount Everest befindliche Karl Maria Herrligkoffer mit. Messners Kontrahent seit den Tagen am Nanga Parbat. Ohne die näheren Umstände zu kennen, war für ihn klar, dass Messner seinen schwächeren Kameraden Jäger im Stich gelassen hatte. Eine Bemerkung wohl in Anspielung auf die Ereignisse am Nanga Parbat von 1970, als Herrligkoffer Reinhold Messner beschuldigt hatte, seinen jüngeren Bruder Günter seinen eigenen Ambitionen für eine Nanga Parbat-Überschreitung geopfert zu haben.

Trotz aller Kritik ist festzuhalten, dass es sich bei den Teilnehmern der österreichischen Manaslu-Expedition um eine höchstqualifizierte und erfahrene Gruppe aus Berufsbergführern handelte, die sich seit Jahren kannte und gemeinsam die schwierigsten Wände der Alpen bezwingen konnte. Die Zeitzeugen von damals stellten Messner ganz anders dar. Host Fankhauser ließ später verlauten, dass Messner in kritischen Situationen die Ruhe selbst war. In den entscheidenden, aber auch unerwarteten Situationen war er Realist und hatte Nerven wie aus Drahtseile. Er sei ihm wie ein Tier vorgekommen, das in seiner Umgebung zu leben lernte, und instinktiv mit der Aufgabe wuchs. Er kannte kaum jemanden, der eine Situation wie am Gipfelplateau überhaupt überlebt hätte. Messner hatte am Gipfelplateau Glück gehabt. Die Leichen seiner Kameraden Andy Schlick und Franz Jäger wurden 1975 von einer spanischen Expedition eben dort gefunden.

Die Tragödie am Manaslu forcierte Messner zum Umdenken. Nach zwei Gipfelgängen mit drei Toten fragte er sich, ob das Höhenbergsteigen in seinem Stil noch zu verantworten sei. Er konnte seine Blitzvorstöße in die Todeszone zwar für sich, aber nicht für andere verantworten. Er entschloss sich, keine Expedition mehr im Rahmen einer größeren Mannschaft zu absolvieren. Ein halbes Jahr benötigte er, um sich psychisch wieder zu erfangen. Dann reifte eine Idee in ihm. Er wollte den Nanga Parbat alleine und ohne Begleitung besteigen. Doch bei seinen ersten Versuchen strauchelte er. Im Mai/Juni 1973 ließ er sich von lediglich drei Trägern ins Basislager des „Nanga“ begleiten. Eigener Aussage gemäß war er noch seelisch zu schwach und von den Ereignissen aus den Jahren 1970 und 1972 zu sehr mitgenommen, um ohne Rückendeckung den Herausforderungen einer Alleinbegehung zu begegnen. Noch gab es Gewohnheiten und Abhängigkeiten, die es galt, abzuschütteln. Er drehte damals bei ca. 6000 m um.

Im Dezember 1973 fuhr Messner mit seiner damaligen Freundin Uschi Demeter, die später auch seine erste Frau werden sollte, zum höchsten Berg Südamerikas nach Argentinien. Zum Aconcagua (6961 m). Unter seiner Südwand bezog man in einer Stein- und Wüstenlandschaft ein Basislager. Mit dabei hatte er Oswald Oelz und vier weitere Tiroler Bergkameraden. Die 3000 m hohe Wand erwies sich als schwierig. Senkrechte Schotterhalden und morsches Eis verhinderten ein schnelles Vorankommen. Nach drei Wochen stand man am Gletscherplateau, etwa 700 m unterhalb des Gipfels. Messner, Oelz und Jochen Gruber. Letzteren ereilte die Höhenkrankheit. Er musste mit Oelz wieder nach unten. Messner kletterte alleine und erreichte in einer neuen, direkteren Aufstiegsvariante, die von Seracs (Seracs sind Türme oder würfelförmige Erscheinungen aus Eis, die sich an den Abbruchkanten von Gletschern überhängend bilden. Sie können haushoch werden und sind bei Bergsteigern extrem gefürchtet, weil sie ohne Vorwarnung abbrechen und Lawinen auslösen können. Zumeist kommen sie in hochalpinen Bereichen vor. Das Wort „Serac“ kommt aus dem Französischen und bezeichnet einen Käse mit zerfurchter und runzeliger Oberfläche.)durchzogen war, den Gipfel.

Ganz im Geiste der Zeit der 1970er hatte sich Messner nur einige Monate nach seiner Rückkehr aus Südamerika für eine weitere Riesenwand des Himalaya entschieden. Abermals hatte er sich einer Expedition des Österreichers Wolfgang Nairz angeschlossen. Mit Oswald Oelz und Josl Knoll waren auch zwei Teilnehmer der Manaslu-Expedition von 1972 dabei. Insgesamt war man zu zehnt. Doch fast genau 19 Jahre nach der Erstbesteigung des Makalu durch die beiden Franzosen Lionel Terray und Jean Couzy konnte man in der Südwand nur meterweise Land gewinnen. Nach sechs Wochen in Schneestürmen, zwischen Lawinen und fast ununterbrochenem Schlechtwetter musste man die weiße Fahne hissen und aufgeben. Das Erreichen der Grenze des Machbaren verhinderte den Durchstieg. Auf 7500 m Höhe musste man einsehen, dass ein weiterer Aufstieg, trotz eines starken Teams, nicht zu verantworten war. Die Expedition und ihre Taktik waren zu schwerfällig gewesen, um die kurzen Schönwetterperioden ausnutzen zu können.

Dazu kam, dass der Lastentransport, allen voran Sauerstoffflaschen, und das Einrichten von Fixseilketten (Fixseile sind fix im Felsen oder Eis verankerte Seile. Sie werden zumeist am Beginn einer Saison von einem separaten Team angebracht. Sie dienen dazu, Expeditionsteams steile Aufstiege und Abstiege zu erleichtern. Die Seilsicherung der Route erfordert, ähnlich wie die Rotation bei der Akklimatisierung, eine Wiederholung der Anstiege beim Befestigen. Nur die besten Bergsteiger werden für diese Tätigkeit ausgesucht. Es handelt sich um eine anstrengende Arbeit, die sich auch über Wochen hinziehen kann, weil sich Terrain und Wetterverhältnisse laufend ändern.)zu viel Energie verschwendet hatten.

Wegen des schlechten Wetters verzichtete man, obwohl man ausgiebig darüber diskutiert hatte, alternativ auch auf einen weiteren Versuch auf der Route der Erstbesteiger.  Man wollte dort, jedes zweite Lager auslassend, im alpinen Stil bis zum Gipfel vordringen. Der Zeitpunkt zum Abbruch der Expedition war gut gewählt. Nach dem Motto: „Es ist einfach ein guter, aber schwer, ein „alter“ Bergsteiger zu werden.“ Denn der Rückmarsch war von Schneefällen und Dauerregen geprägt. Wäre man später losmarschiert, hätte man möglicherweise den Weg über die hohen Pässe nach Kathmandu nicht mehr geschafft. Messner hatte sich zum dritten Mal an einen Himalaya-Giganten gewagt und musste erstmals ohne einen Erfolg die Heimreise antreten. Später hatte Messner das Misslingen am Makalu leid getan, denn Jugoslawen hatten ein Jahr später die Wand erstmals durchstiegen.

Die beiden Expeditionen von Wolfgang Nairz zum Manaslu und zum Makalu hatten aber eines bestätigt. Im Himalayabergsteigen war ein wesentlicher Umbruch in Gange. Ähnlich wie die Entwicklung in den Alpen hatte man die 8000er im Himalaya zuerst über die „leichten“ Routen bestiegen. Zu Beginn der 1970er-Jahre hatte man dann damit begonnen, immer schwierigere Wände zu durchsteigen. Die Gruppe rund um den Expeditionsleiter Wolfgang Nairz hatte vor allem mit den Engländern und den Slowenen eine neue Ära eingeläutet, welche die Geschichte des Himalayabergsteigens wesentlich beeinflusst hat.

Mitte der 1970er Jahre benötigte man, um in den Himalaya zu gelangen, viel Geld. Nicht nur das. Man benötigte auch Erlaubnisse, sogenannte Permits (Um einen Berg im Himalaya besteigen zu dürfen, bedarf es einer Erlaubnis der Behörden – dem so genannten ‚Permit‘. Das Permit bezieht sich auf den zu besteigenden Ort und die in Aussicht gestellte Route auf den Berg. Damit das Permit auch von den Bergsteigern eingehalten wird, wird ein lokaler Begleitoffizier, ein ‚Liaison Officer‘, an die Seite der Bergsteiger gestellt, welcher diese auch während ihres Aufenthaltes am Berg begleitet. Unter anderem ist er zuständig für die Lösung aller ‚allgemeinen‘ Probleme, die Kontrolle des zulässigen Lastengewichts für die Träger, ob die Routen und der Aufenthaltsort eingehalten werden, Meldung von Unfällen oder gar Todesfällen und die Einhaltung der Umweltbestimmungen. Außerdem fungiert er als Dolmetscher. Neben einer Permit für den Berg muss der ‚Liaison Officer‘ (LO) inklusive aller seiner Nebenausgaben von der Expedition bezahlt werden.), um an die 8000er heranzukommen. Für die Vergabe der Permits waren damals die entsprechenden Ministerien jener Länder zuständig, in welchen sich die 8000er befanden. Nepal, Pakistan und China. Und diese ließen sich so eine Genehmigung mit ein paar tausend Dollar bezahlen. Außerdem wurde jeder Expedition ein sogenannter „Liaison Officer“, ein Begleitoffizier, zur Seite gestellt. Dieser Mann sorgte dafür, dass die Richtlinien für die Expedition auch eingehalten wurden. Zum Beispiel, dass nicht auf einem falschen Berg geklettert wurde und man sich nur in jener Gegend aufhielt, für welche die Erlaubnis auch Gültigkeit hatte. Der gute Mann war auch zuständig, falls es zwischen den Bergsteigern und den Trägern zu Differenzen kam. Er überbrückte dann sprachliche Hürden. Die Kosten des Begleitoffiziers und auch seine Ausrüstung mussten von den Expeditionen zur Verfügung gestellt werden. Für Höhenbergsteiger, die sich der Idee der Erschließung und Entdeckung der höchsten Wände ohne national orientierten Idealismus im Himalaya verschrieben, war das eine kaum aufstellbare Menge Geld. National organisierte Expeditionen konnten auf Institutionen und zum Teil auch staatliche Subventionen zurückgreifen. Kleine Teams mussten ihr finanzielles Begehren woanders vorbringen. Außerdem war es gar nicht so einfach, eine Genehmigung zu ergattern, denn die Regierungen hatten immer wieder ganze Regionen gesperrt, andere Nationen hatten Berge bereits für sich in Besitz genommen, und dann gab es noch die heiligen Berge. Der Sorge um der Ungestörtheit der Götter wegen waren Permits für diese Berge nicht möglich. Wollte man sich großen Expeditionen als Bergsteiger entziehen, musste man günstigere Vorhaben organisieren. Man musste abspecken. Keine Sauerstoffflaschen und der Verzicht auf fixe Hochlager waren die ersten Überlegungen. Das führte auch dazu, dass man sich dadurch teure Hochträger und deren Versorgung ersparte. Das Gepäck wurde weniger, man war schneller, flexibler und an keine schwerfällige Organisation gebunden. Man sprach von der Epoche des „Verzichtsalpinismus“. Eigentlich handelte es sich um Klettern im „alpinen Stil“. Nur das Notwendigste im Rucksack und am Buckel, um den Gipfel so rasch wie möglich zu erreichen. Am besten mit so wenig wie möglichen Partnern. Zu zweit wäre optimal. Dass man auf einem 8000er zu viert erfolgreich sein konnte, hatten bereits 1957 Marcus Schmuck, Hermann Buhl, Kurt Diemberger und Fritz Wintersteller bei ihrer Erstbesteigung des Broad Peak bewiesen. Aber wie könnte das zu zweit laufen? Mit geringem Gepäck wurden die Kosten weniger, der Anmarsch einfacher, dafür aber der Anstieg anspruchsvoller. Aber das wollte Messner ja. Es wurde zu seiner fixen Idee, die er besessen verfolgte: mit einer kleinen Gruppe das zu schaffen, was bisher nur großen Expeditionen vorbehalten war. Bergsteigen „by fair means“ à la dem Briten Mummery, der als erster Mensch mit dem Nanga Parbat einen 8000er versuchte, beinahe 100 Jahre zuvor.

„By fair means“ handelte es sich damals um den vehement vertretenen Stil vieler Spitzenbergsteiger, ohne oder mit kaum technischen Hilfsmitteln Himalayagipfel zu erreichen. Dabei sollte der Bergsteiger in die Lage versetzt werden, alle seine Kräfte zu mobilisieren und, falls diese nicht ausreichen sollten, ganz auf die bergsteigerische Herausforderung zu verzichten. Durch die Beschränkung auf das Allernotwendigste würde die Umwelt der Berge intakt und sauber bleiben.

Aber an welchem Himalayariesen war es eigentlich möglich, im alpinen Stil erstmals hochzukommen? Messner hatte sich für das Karakorum entschieden. Für den Gebirgsstock der Gasherbrum-Gruppe. So ersuchte er im Jahr 1974 um eine Genehmigung in Pakistan zur Besteigung des Hidden Peak (Gasherbrum I) für das Jahr 1975. Er hatte auch bereits einen Partner im Sinn. Er wollte ihn aber erst kontaktieren, wenn er die Genehmigung hatte. Falls er sie überhaupt bekam.

Messner liebäugelte aber auch noch mit einem anderen Gedanken. Sollte er am Gipfel des Gasherbrum I stehen, dann wäre er der erste Bergsteiger, der drei 8000er bestiegen hätte. Der damals einzig lebende Mann, der wie Messner ebenfalls bei zwei 8000er-Besteigungen hielt, war der Salzburger Kurt Diemberger. Ein Pionier: Stand er doch als erster Mensch am Gipfel des Broad Peak 1957 und drei Jahre später erstmals im Gipfelschnee des Dhaulagiri.

Davor wollte Messner aber nochmals mit einer großen Expedition mit. Er hatte sich 1975 in der Vormonsunzeit einer großen italienischen Expedition angeschlossen. Ihr Leiter war kein Geringerer als Himalayaveteran Riccardo Cassin. Damals schon 65 Jahre alt. Zur Lhotse-Südwand war man gefahren. Der Lhotse ist der vierthöchste Berg unseres Planeten und liegt verbunden über einen Grat mit dem Mount Everest an der Grenze zwischen Nepal und China. Die Ersten auf seiner Spitze waren im Mai 1956 die Schweizer Fritz Luchsinger und Fritz Reiss unter Einatmung künstlicher Luft gewesen.

Aber die Italiener hatten keinen Erfolg. Das Wetter hatte nicht mitgespielt und eine Lawine, welche durchs Basislager brauste, bedeutete den Knackpunkt. Eigentlich hatten alle Glück gehabt, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Es gab einige verletzte Sherpas. Ausrüstungsgegenstände lagen in einem Ausmaß von drei Kilometern verstreut. Cassins zweijährige Organisationsarbeit lag in Trümmern. Alle waren demoralisiert und jeder fragte sich, ob es überhaupt Sinn hatte, weiterzumachen. Die Sherpas hatten schnell eine Begründung für die Verheerung parat gehabt. Man hatte ein Yak geschlachtet, und dafür verlangten die Götter, dass auch einer der Bergsteiger sterben musste. Sie gingen davon aus, dass die Lawine nur der Vorbote einer viel größeren Katastrophe war. Jedes geschlachtete Yak bedeutete einen toten Sahib (Aus dem Arabischen übersetzt bedeutet das Wort ‚Sahib‘ Gefährte oder Herr. Zur Pionierzeit des Höhenbergsteigens in Pakistan und Nepal wurden die Mitglieder einer Himalaya-Expedition von Einheimischen und Trägern mit ‚Sahib‘ angesprochen)