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Ein spannendes ebook eines spannenden Lebens auf 100 DIN-A 4 Seiten. Die Lebensgeschichte eines Jungen, der aus seinem ägäischen Dorf in die weite Welt hinauszog, um sie besser verstehen und zum besseren verändern zu können. Wie er dann mit der Hilfe seiner Mitmenschen, hauptsächl. Frauen zum Sociologicus wird. Das Werk ist in drei Bücher unterteilt: 1.Buch: Kindheit 2.Buch: Jugend 3.Buch: Studienjahre
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Seitenzahl: 255
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Sedat Sosyal
Sociologicus
Die LIEBE wird die WELT erretten !!!
Dieses eBook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
- I -
- II -
- III -
- IV -
- V -
- I -
- II -
- III -
- IV -
- I -
- II -
- III -
- IV -
- V -
- VI -
- VII -
Impressum
- I -
Es war der erste Junimorgen in Anno Domini 1989 bzw. Anno DOMiNA(Geburt: FATMA SEZEN YILDIRIM 13.07.1954) 34 und Anno Sedat 22 und es war ein herrlicher sonniger Tag. Man hatte richtig das Gefühl, der Sommer würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Ich war über allen Wolken als ich in den Wagen stieg; ein Opel Ascona-Berlina, braunmetallic mit dem amtlichen Kennzeichen NE-KK 1, den wir kurz vorher von unseren Nachbarn Familie BECKER, von erster Hand gekauft hatten.
Auf der A-46 Richtung Wuppertal wurde mein Enthusiasmus durch den Stau auf die Probe gestellt. Ich hatte das Gefühl alle wollten in meine Richtung fahren.: LKWs, PKWs,
Caravans. Wie dem auch sei… Auf der A-43 wurde es besser. Ich hatte „freie Fahrt für freie BÜRGER“ bis ich an der Ausfahrt ankam, welches mir Tamer genannt hatte:
BOCHUM-QUERENBURG. Mitten im REVIER!!! Hier sollte die Ruhr-Universität Bochum also sein. Auf der Universitätsstrasse fing die Verwunderung an: Uni-Ost, Uni-Mitte, Uni-West. Ich nahm den goldenen Mittelweg und fuhr Uni-Mitte ab. Und da sah ich schon die
RUHR-UNI in ihrer ganzen Pracht; ein Block neben dem Anderen. Ein richtiger CAMPUS oder wie manche zu sagen pflegten: „Ein Schlag auf die Fresse!“
Die Ruhr-Uni wurde von einem italienischen Architeketen so entworfen, so als ob die einzelnen Gebäude große Schiffe sind, die auf der Suche nach neuen Ufern, in diesem Falle neuen wissenschaftlichenERKENNTNISSEN sind.
Nach einer Rundfahrt in den Parkkatakomben machte ich ein U-Turn und fuhr Richtung
Uni-Center. Ich kam zu dem Entschluss, dass es an der Zeit war das Auto zu parken und mich zu Fuß weiter durchzuschlagen. Also parkte ich am Straßenrand gegenüber UNIbad am Hustadtring, wofür ich später einen Knöllchen bekommen sollte. Ich nahm mein Abiturzeugnis, Pass, etc. mit und machte mich auf den Weg Richtung UNI-Center. Vorbei am Unibad, nach ein Paar Schritten fand ich eine Telefonzelle und rief Tamer an. Es war exakt 8 Uhr 30 morgens. Für damalige Zeiten eine schier unmögliche Zeit einen Studierenden anzurufen. Und zwar deshalb, weil die Studierenden erstens: in der Nacht am besten lernen können und zweitens: manche arbeiten auch nachts um ihren Studium finanzieren zu können und, wenn beides nicht zutrifft; es gab fast jeden Tag eine Fete irgendwo in den Studentenwohnheimen und WGs, wo die Studierenden bis in den frühen Morgenstunden ihren intellektuellen Ballast und ihren Lernstress durch saufen und kiffen loszuwerden versuchen. Außerdem gab es noch die, die MUSIK machten und die ganze Nacht politische Diskussionen führten, was ich zu meiner Freude bzw. Leid später feststellen sollte.
Nach langem Klingeln meldete sich Tamer endlich mit einer verschlafenen Stimme und wunderte sich als ich ihm sagte, dass ich in Bochum im Uni-Center sei. Fünf Minuten später war er schon bei mir. Er wohnte zufällig in dem Studentenwohnheim direkt im Uni-Center.
TAMER war ein smarter junger Mann Ende zwanzig. Er war mittelgroß und für einen Studenten sah er viel zu korrekt gekleidet aus. Denn er trug immer ein Hemd und einen Sakko und die Haare immer auf unauffällige Weise, nicht zu kurz, nicht zu lang geschnitten.
Er war um die 1.70m, was für die türkischen Verhältnisse mittelgroß ist. Übrigens mich könnte man nach der Größe in die gleiche Kategorie zählen, wie den Tamer.
Denn ich war zu dem Zeitpunkt schon 22 Jahre alt und dementsprechend schon ausgewachsen. Noch eine Gemeinsamkeit verband uns mit Tamer: nämlich, dass wir sowohl aus der Türkei, Ägäis als auch aus Deutschland, Niederrhein aus der gleichen Gegend kamen. Unsere Dörfer, Geburtsorte liegen 50 km voneinander entfernt. Und noch eins: man sah an unseren etwas asiatisch anmutenden Mandelaugen, dass unsere Vorfahren aus Asien stammen mussten. Aber diese Gemeinsamkeit wurde erst deutlich, wenn man genauer hinguckte.
Wir gingen durchs Uni-Center und später über die Uni-Brücke Richtung Mensa-Caféte, denn Tamer musste einen Kaffee trinken. „Wenn ich ehrlich sein soll, könnte ich auch einen vertragen“ sagte ich. In der Caféte angekommen, erzählte Tamer mir, wer sich wohin setzt: „Hier direkt rechts vom Eingang setzen sich die politisch aktiven –und da vorne links die normalen Studierenden“. Hatte also JedeR seinen Stammplatz.
Wir holten zwei Kaffee und setzten uns draußen auf die Terrasse auf die Bänke, denn es war herrliches Wetter, Sonne pur. Dann tauschten wir Neuigkeiten aus und genossen unseren Kaffee und die Sonne, wonach ich ihn mit tausenden Fragen über das Studentenleben an der Uni bombardierte, wodurch er richtig wach wurde.
Es war dann an der Zeit in die Universitätssekretariat zu gehen, wo ich mich für das Fach SOZIALWISSENSCHAFT offiziell bewarb und bei der Gelegenheit beim AkaFö(Akademisches Förderungswerk) für ein Zimmer bei den Zahlreichen Studentenwohnheimen einen Antrag stellte.
Ich wollte das Fach SOZIALWISSENSCHAFT auf Diplom an der Ruhr-Universität Bochum deshalb studieren, weil man SOWI im Umkreis von 100 Kilometern aus Grevenbroich aus gesehen nur in Bochum auf Diplom studieren konnte. Ich hatte ein Paar Wochen vorher ein Termin mit dem Studienberater im Kölner Arbeitsamt, der zufällig der Vater meines besten Freundes und Schulkameraden OLAF war. Olaf wiederum studierte in Berlin Psychologie und ist jetzt Professor an mehreren Universitäten. Er hatte mich gefragt, was ich studieren wollte. Und ich sagte: <<GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN>> Denn ich fand es sehr interessant, wie die verschiedenen Gesellschaften funktionierten. Der MENSCH an sich: wie er in einer Gruppe, Familie, Gemeinde, Dorf, Stadt und Staat und schließlich Weltgesellschaft lebt, war für mich erlernenswert, um daraus Schlüsse für ein besseres Zusammenleben der Menschen insgesamt zu ziehen. Und letztendlich dadurch meine revolutionären Idealen auf der Erde zu verwirklichen. Denn mit Anfang zwanzig war ich voller revolutionärer Elan und Träume von einer besseren WELT. Ich fand, dass alles nicht so sein musste, wie es war, sondern salopp gesagt: besser(sein könnte/müsste)!!!
Diese Auseinandersetzung mit den Gesellschaftsformen hatte seine Vorgeschichte in der Türkei, in meiner Kindheit: Als ich nach der 5. Klasse der Grundschule in meinem Dorf, KARALAR die Aufnahmeprüfungen für verschiedene staatliche Internate, u.a. Dorfinstitut Gönen-Isparta, welche am Anfang der jungen Republik Türkei von Ismail Hakki Tonguc und Hasan Ali Yücel aus der Taufe erhoben wurden, um die damals sehr hohe Analphabetenrate in ländlichen Gebieten zu senken, indem man talentierte Jungen und Mädchen aus den Dörfern mit Tests aussuchte und in diese in ganz Türkei verteilte Dorfinstitute
(Köy Enstitüleri) aufnahm und sie zu LehrerInnen ausbildete, um sie in ihre Dörfer als LehrerInnen zurückzuschicken, damit sie die dort ihren eigenen Leuten das Lesen und Schreiben beibrachten, zeigte mir der Direktor unserer Grundschule ein Buch mit vielen Männern und Frauen mit Strohhüten, wie sie in Asien getragen werden, auf den Reisfeldern, wie sie den Reis ernteten usw. Und sagte dazu:
„Guck mal Sedat, das ist in Rot-China . Da herrschen die Kommunisten und die Menschen müssen täglich harte Arbeit leisten um überhaupt leben zu können. Sie werden zur Arbeit gezwungen und haben keinen Besitz. Der Acker auf dem sie arbeiten gehört dem Staat. Sie haben überhaupt wenige Rechte als wir hier in der Türkei. Also, pass auf, wenn Du nach Gönen auf das Internat des Dorfinstitut gehst. Hüte dich vor den Kommunisten. Es wird sicher sowohl unter den Schülern als auch unter den Lehrern welche geben, die DICH mit der Ideologie des Kommunismus vergiften wollen. Halte Abstand vor solchen Leuten. Und gehe immer Freitags in die Moschee, wie wir es hier auch immer taten“.
Das war Anfang Sommer 1977. Ich war gerade 11 Jahre jung und wurde erst ein Jahr vorher beschnitten. Das war natürlich für einen Jungen in unserem Dorf ziemlich spät. Denn ein Junge wurde erst dann ein richtiger Muslim, wenn er beschnitten wurde. All zu oft hatten mich die Klassenkameraden deshalb aufgezogen und halb Spaß halb Ernst als Gavur(Ungläubiger) beschimpft. Was sollte ich machen? Ich konnte mich ja nicht selbst beschneiden. Ich musste auf meine jüngeren Brüder warten. Vor allem auf den Jüngsten: Nihat, bis er vermeintlich alt genug war, um beschnitten zu werden. Er war fünf Jahre Jünger als ich. Dann mussten wir auf meinen Vater warten bis er aus Deutschland kam und das Beschneidungsfest organisierte, welches man zu Beschneidungen immer organisiert. Er war aber seit April´ 69 als Gastarbeiter in Deutschland. Genauer gesagt: erst am Fließband bei den Fordwerken in Köln und ab 1972 bei den Aluminiumwerken der Vereinigten Aluminiumwerken(VAW) in Grevenbroich. Er hatte dann auch im Zuge der Familienzusammenführung meine Mutter und meine beiden Brüder zu sich nach Grevenbroich geholt und uns: meine ein Jahr ältere Schwester Dilek und mich bei unseren, die uns abgöttisch liebenden und geliebten Großeltern in Karalar, wo wir in die Grundschule gingen, gelassen. Und als meine Eltern zusammen mit meinen Brüdern: Sakir und Nihat im Sommer ´76 um Urlaub zu machen in die Heimat kamen, gab es endlich das Beschneidungsfest für die drei Söhne.
Ich weiß es noch ganz genau, als ob es gestern gewesen wäre: Mein Onkel Ilhan hat das Auto von meinem Vater, es war ein blauer Ford Taunus, damals schwörten alle Türken auf Ford als Auto, sei es Taunus oder Transit, wie heute die zweite und dritte Generation von Migranten zuerst auf BMW dann auf AUDI schwör(t)en, während die erste Generation auf Daimler-Benz umstieg, geschnappt und uns die „Drei Musketiere“, deren Vorhäute dem Tod geweiht worden waren, die mit nagelneuen Anzügen, Mützen und Schärpen wie junge Sultane oder Paschas gekleidet waren auf die Motorhaube gesetzt und eine Runde mit Hupkonzert sehr langsam durch das ganze Dorf gefahren.
Ich weiß es nicht, was Sakir und Nihat fühlten oder dachten aber ich war richtig stolz, dass ich endlich in wenigen Augenblicken ein richtiger Muslim und ein richtiger Mann werden sollte. Denn dann könnten mich meine Klassenkameraden und vor allem SALIHA nicht mehr als Gavur beschimpfen. Das hatte mich nämlich besonders hart getroffen, als wir mit Saliha Doktorspiele spielten und als sie so mein erregierten Glied sah, sagte sie schockiert: „Du bist ja ein Gavur. Werde erst mal Muslim und ein richtiger Mann. Dann kannst Du kommen und mit mir Doktorspiele spielen“, was wir dann auch später des öfteren gemacht haben, Saliha und ich. Ganz besonders freute ich mich eben darauf.
Die Beschneidung ging ziemlich schmerzhaft vonstatten. Das Beschneiden an sich war schmerzfrei. Da wir nach der modernsten Methode beschnitten wurden, welche die örtliche Betäubung vorsah. Aber die Schmerzen als die Betäubungsspritze an meinem nicht mehr so knabenhaften, hier muss ich vielleicht erwähnen, dass meine Mutter mir sagte als ich 12 wurde: „Rasier dir mal den Bart ab mein Sohn“, Glied angesetzt wurde, stiegen mir die Tränen in die Augen. Meine beiden Brüder Sakir und Nihat gaben kein Mucks von sich, denn sie hatten ja die Reaktionen, so eine Beschneidung ist damals jedenfalls ganz öffentlich, wenn ich öffentlich sage, dann natürlich für die, die mit GLIED sind, verlaufen, auf meine Tränen gesehen: „Ein richtiger Mann weint nicht, komm, hab Dich nicht so, sei tapfer, usw.“
Nach der ganzen Prozedur: Betäubung, Beschneidung, Verband einen Klaps auf den Kopf begleitet mit den Worten: „Willkommen in der Welt der Muslime und der richtigen Männer“
- II -
Nun, kam ich September ´77 also in Gönen im Dorfinstitut an. Einige Wochen vorher ergab sich eine Unterhaltung zwischen meinem Klassenlehrer Safi Hoca, dem Schulleiter Hüseyin Hoca und mir, dem 11 jährigem Sedat. Wir hatten uns am Freitag nach dem Freitagsgebet zusammengefunden und liefen zu dritt so uns unterhaltend durch das Dorf. Ich sagte: „Ich hab schon von der Agrarfakultät bescheid, dass ich die Aufnahmeprüfung geschafft habe. Aber noch nichts von dem Dorfinstitut.“ Daraufhin sagte Safi Hoca: „Gib denen noch ein Paar tage. Du wirst sehen: Du bist da auch willkommen!“ Gesagt, getan. Nach ein Paar Tagen hatte ich auch den Bescheid, dass ich in Gönen auch aufgenommen wurde. Das war kein Zuckerschlecken bis zu der Aufnahme. Zu den Eignungstests musste man von den Klassenlehrern vorgeschlagen werden. Außer mir wurde noch mein Klassenkamerad und Badboy Behic vorgeschlagen. Die Hierarchie in der Klasse war schon seit Jahren so: in die vorderste Reihe kamen die begabtesten und fleißigsten. Und da saß ich als nächster zum Lehrer, ich war sozusagen der Ansprechpartner für alle Angelegenheiten und Klassensprecher. Neben mir saß Meral und neben Meral eben Behic. Behic konnte das nicht wahrhaben. Das gipfelte sich bei dem Abschlussschauspiel. Als Safi Hoca die Rollen bei dem Stück(Ich glaub´ das Stück hieß: „Der ZAUNKÖNIG“ )verteilte, sollte ich den König spielen und Behic den alten Weisen. Hat der sich dagegen gewehrt. Hat seinen Vater in die Rollenvergabe eingeschaltet, der zufällig zu dem Zeitpunkt Dorfbürgermeister war, und sein Einfluss geltend machte, in dem er mit den Lehrern sprach. In dem Ton: „Der Sohn vom Bürgermeister sollte natürlich den König spielen und niemand anders. Hugh, ich habe gesprochen!“ Daraufhin kamen die Lehrer zu mir und haben sich tausendmal entschuldigt und mir vorgeschlagen den König Behic spielen zu lassen und ich sollte statt dem König den
ALTEN WEISEN mit dem weißen Bart spielen. Und zwar so gut, so dass Behic als König im Schatten bleiben musste. Gesagt, getan. Ich hab den alten Weisen mit dem weißen Bart so gut gespielt, dass das Publikum mich mit standing ovations beglückwünschte. Natürlich waren Behic und sein Vater geknickt aber dafür meine Lehrer, ich und das ganze Dorf happy. So hatte ich auch die Eignungstests geschafft und Behic nicht.
GÖNEN war eigentlich kein Dorf mit Bürgermeister, sondern ein kleines schmuckes Städtchen(Kasaba bzw. Belde) mit eigener gewählter kommunaler Verwaltung am Berghang, fünf Kilometer von der Hauptstrasse nach Isparta, dem Provinzstadt entfernt. Gönen hatte auch eine Eisenbahnstation, welches ich später nutzen sollte. Die Bevölkerung lebte von Land- und Viehwirtschaft, Rosenzucht und Teppichweberei. Das Rosenwasser und -öl und die Teppiche aus Isparta sind in der ganzen Türkei beliebt.
Das Internat war oberhalb von Gönen angesiedelt. Es war merkantil, also selbstversorgend.
Es hatte Viehwirtschaft, Landwirtschaft, Hühnerfarm, Apfelplantagen, eigene Bäckerei ja, sogar ein eigenes Hamam(Türkisches Bad). An Gebäuden waren außer Schlafsälen , Unterrichträumen, Verwaltungsgebäude, Medizincenter, Mensa, etliche Sportplätze, Lager, Wasserversorgung und eigene Stromversorgung, wenn Stromausfall war. Und zu dieser Zeit waren ständig Stromausfälle.
Ich sollte also die nächsten sechs Jahre meines Lebens hier verbringen. Das sollte die nächsten sechs Jahre mein Zuhause sein. Ich rechnete schnell aus, wie alt ich sein würde, wenn ich das hinter mir gebracht hätte: 17 Jahre alt.
Nachdem meine Mama GÜLPERI und ihr jüngster Bruder mein Onkel ILHAN mich im Internat abgesetzt und wieder zurückgefahren waren, hab ich angefangen in den Schlafsälen den mir zugewiesenen Spint mit meiner von der Schule zugewiesenen Nummer 99 mit meinen Habseeligkeiten wie Wäsche, Pantoffeln, Schuhe usw. einzuräumen. Die Schlafsäle waren in einem alten Flachbau, die nur abends aufgeschlossen wurden. Es waren außer den zwei großen Sälen, die je für 25 Jungs, untergebracht auf Etagenbetten noch die sanitären Anlagen, die für 50 Jungs kaum ausreichten.
Als ich mit dem einräumen fertig wurde, ertönte auch schon die Klingel der Mensa zum Abendessen. Es waren nur ein Paar Schritte bis zur Mensa. Kaum angekommen, stand ich notgedrungen mitten in der Essensschlange. Wie ich später erfahren sollte, waren 500 Schüler von Klasse eins bis sechs eingeschrieben. Das war auch die höchste Zahl, welches das Internat aufnehmen konnte. Wenn man diese Schulform: „Lise/Lyseum“ mit Gymnasium in Deutschland vergleichen sollte, dann waren die erste bis dritte Klasse: die Prima und vierte bis sechste Klassen die Sekunda. Also bis man seine „Allgemeine Hochschulreife“ hatte musste man fünf Jahre Grundschule, drei Jahre Mittelschule und nochmals drei Jahre Lyseum absolvieren. Das macht 11 Jahre zusammen. Als ich mein ABITUR 1989 , die allgemeine Hochschulreife am Erasmus Gymnasium in Grevenbroich hatte, war ich fast 23 Jahre alt, somit hatte ich den Rekord als den ältesten Abiturienten Deutschlands. Kann man nachrechen: ABI ´89 und offizieller Geburtsdatum: 06.08.1966.
Wenn damals in der Türkei alles glatt gelaufen wäre, wäre ich nach sechs Jahren Lehrerausbildungslyceum und zwei Jahre pädagogische Hochschule mit 19 Jahren Grundschullehrer geworden…
Es gab Kidneybohnen(Barbunya) und Reis(pilav) und als Nachtisch ein roter Apfel zum Abendessen. Es wurde von den Schülern von höheren Klassen verteilt und von denen bekam man auch ein Platz in dem großen Speisesaal zugewiesen. Alle saßen an verschieden Tischen. Die Lehrer in einer Nische, die Älteren in einer anderen Nische und die NOVIZEN, sowie ich mitten im Raum. Es hingen überall an den Wänden gemalte Portraits von Oguz Han, Alparslan, Mehmet dem II., dem Eroberer von Constantinopel, welche er in STANBUL taufte. Und es hing in großen Lettern ein Tischgebet, welches alle aufsagen mussten, sobald die Trillerpfeife ertönte, standen alle auf und brüllten dieses von den türkischen Nationalisten geschriebenes Gebet, welches mit: „Tanri Türkü korusun. Afiyet olsun. („Der Herr möge den Türken beschützen. Wohl bekomm´s) schloss. Es war ja auch die „2. Nationale Front(Milli Cephe)“ an der Macht in ANKARA. Eine Koalition von Konservativen(Demirel), islamischen Fundamentalisten(Erbakan) und Ultra Nationalisten bzw. Faschisten(Türkes).
Nach dem wunderbaren Essen sollten wir uns in unserem Klassenzimmer versammeln, um uns kennen zu lernen. Unsere Klasse war die 1B. Wir hatten als erste Fremdsprache französich. 1A hatte englisch und 1C Deutsch. Wir wurden willkürlich in diese Klassen verteilt, ohne dass wir eine Mitspracherecht hatten. Später wollte ich in die 1C wegen Deutsch wechseln, weil mein Vater ja in Deutschland als Gastarbeiter war und ich ihn im nächsten Sommer´78 besuchen wollte, wenn ich die erste Klasse mit Auszeichnung bestehen sollte. Ging aber nicht. Ich mußte französich lernen, weil eben von der Verwaltung aus in dieser Klasse 1B mein Platz war. Ich habe dann die erste Klasse mit Bravur bestanden und wie versprochen holte mich mein Vater in den Sommerferien für drei Monate zu sich nach
GREVENBROICH – NRW- BRD.
Unser Klassenlehrer war Selahattin Hoca, ein intellektuel aussehender Mann mit Brille und sympatischem Wesen, so mitte 30. Er sollte uns in türkisch und französich lehren. Er hat dann gefragt, ob jemand eine schöne Stimme habe und ein Lied singen könne, um damit das Eis zu brechen, welches bei solchen Versammlungen am Anfang immer da ist. Ali hat sich gemeldet, einer aus Denizli-Cardak. Das Lied, welches er ausgewält hatte war verhehrend für seine spätere Stellung in der Klasse. Auch, dass er beim späteren Ringen gegen mich verloren hatte, war nicht gerade gut für sein Image.
Am nächsten Tag sollten wir unsere Schuluniformen bekommen: Einen Anzug, ein Hemd und eine KRAVATTE. Mit 11 Jahren sahen wir schon aus wie Erwachsene. Eben deshalb trage ich ganz selten und ungern einen Anzug und Kravatten hasse ich wie die Pest. Keiner, ich wiederhole keineR kann mich jemals dazu bringen Kravatten zu tragen. Zum Glück entdeckte ich später unter den Kravatten von meinem Vater eine Kravatte mit Clip, welches ich dankbar an mich nahm und die ganze Zeit, wo ich Kravatten tragen musste, eben diese einfach an meinen Hemdkragen dran gemacht hatte. Ich habe niemals wieder so eine Kravatte gesehen später. Unter anderem deshalb kann ich keine einzige Kravatte binden, obwohl ich drei Jahre lang eine Kravatte tragen musste. Deshalb wollte ich auch niemals ein Manager oder Abgeordneter sein, weil ich gezwungen wäre Kravatten zu tragen und noch schlimmer mich täglich rasieren müsste. Wenn ich was noch mehr hasse als Kravattentragen, dann mich täglich rasieren zu müssen. Wer meinen Bartwuchs hat, hätte auch Verständnis dafür. Ich rasiere mich, wenn ich Lust dazu habe und das ist meistens ein bis zwei mal in der Woche im Sommer und alle Paar Wochen bzw. Vollbart im Winter, BASTA!
Es war der erste Freitag im Internat. So langsam lernte ich die Mitschüler und die LehrerInnen kennen. Der Religionslehrer hat mich angesprochen, ob ich ihn zum Freitagsgebet begleiten wollte. Übrigens Religion sollte mein bestes Fach werden neben Sport. Ich sagte ja, weil ich das ja zu Hause so gehandhabt hatte.
Hinter unseren Schlafsälen war ein kleiner Mescit(Gebetsraum), wie ich erfahren sollte. Wir gingen rein und was mussten meine jungen, ungetrübten, jungen Augen sehen??? Die ganzen Wände waren voll mit den türkischen Ahnen. Also Bildnisse, einschliesslich sein Bildniss, die ja der Prophet:
Einige Zeit später tauchte Hamit auf, während ich auf dem Bolzplatz mit anderen aus meiner Klasse Fußball spielte. Hamit war drei Jahre älter als ich und dem entsprechend schon in der Oberstufe(Lyceum). In der Oberstufe lief das so ab: vierte Klasse war die Orientierungsklasse und in der fünften Klasse musste man sich für ein Schwerpunkt entschieden bzw. geeignet haben. Als da wären: Matematik, Naturwissenschaften oder Literatur als Schwerpunkt bzw. Leistungsfächer. In die jeweilige Klasse kam man dann in der fünften und in der sechsten, wonach dann die Abschlussprüfungen abgehalten wurden.
Hamit war in der Matematikklasse. Also, ein ganz schlauer, dachte ich. Er sagte mir Hemscho(Landsmann), denn er kam auch aus CIVRIL meiner Kreisstadt:
„Hemscho, lass uns mal einander kennen lernen, denn wir werden vielleicht Fahrgemeinschaften nach Civril in naher Zukunft bilden.“ (Hamit 1977)
Über ihn lernte ich die Anderen aus Civril im Internat kennen: Recep kam aus meinem Nachbarort Gürpinar und hatte Literatur als Leistungsfach. Er war der ruhigste von Allen. Mehmet Ali kam direkt aus Civril war noch in der zweiten Klasse. Mehmet Ali hab ich letztes Jahr im Urlaub in Civril zufällig mit seiner Frau getroffen. Er ist jetzt pensionierter Lehrer. Lehrer, Polizisten und Soldaten, wie mein Onkel Hüsamettin gehen mit 45 Jahren in Rente bzw. Pension. Wenn ich in der Türkei geblieben und Lehrer geworden wäre, wie ursprünglich geplant, wäre ich jetzt dieses Jahr, 2011 in die Pension gegangen.
So haben sie mich echt rumgekriegt, einen 11 Jährigen kleinen Jungen fern der Heimat unter den grauen Wölfen das Leben am studieren. Da fällt mir das Lied von Hänschen ein:
„Hänschen klein/ Ging allein/ In die weite Welt hinein/ Stock und Hut/ Stehen ihm gut/ etc., etc., etc.
Also spielte ich den kleinen Grauen Wolf(BOZKURT). Mein Tag fing damit an, dass ein sogenanter ausgewachsener Grauer Wolf ein Türkischlehrer mit seinem usbekischen Mantel und einen Stock in der Hand als eine Art Peitsche und Prügelstock vor Sonnenaufgang in den Schlafsaal hineinbrüllte: „Aufwachen meine Grauen Wölfe. Aber zack zack. In fünf Minuten will ich Euch in euren Klassenzimmern sehen. Auf Euch warten so viele Aufgaben!“
Wir haben uns in Windeseile gewaschen, die Zähne geputzt, angezogen, die Betten gemacht und in gefühlten fünf Minuten waren wir dann in unseren Klassenzimmern beim Etüd(Übungsstunde). In dieser einen Stunde vor dem Frühstück bereiteten wir uns auf die Unterrichtsinhalte und den Tag vor. Wir hatten vier Unterrichtstunden bis Mittag zum Beispiel: zwei Stunden Türkisch und zwei Stunden Religion. Danach war mit dem Ertönen des Klingels 300 Meter sprinten in die Mensa angesagt, denn „wer zuerst in der Mensa ankam, der stand auch ganz vorne an der Schlange und meistens war ich einer der Ersten. „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Nach dem Essen hatten wir ein Bißschen Pause.
Am Nachmittag Sport, Kunst, Musik oder Landwirtschaft. Landwirschaftunterricht sah dann so aus, dass wir die Schulfelder beackert haben. Machte uns aber nichts aus. Wir kannten das ja schon von zu Hause. Wir kamen ja aus Dörfern. Unsere Familien waren ja Rencber(BAUER), stand jedenfalls als Beruf bei meinem Opa Haci Sakir im Ausweis unter Beruf. Und abends nach dem Abendessen gab es noch mal zwei Stunden Etüd(Übungsstunde) für die Hausaufgaben.
Sport liebte ich. Der Sportlehrer Süleyman Hoca selbst war ein Ehemaliger dieser Schule und kam aus dem Ort Gönen, wohnte aber wie jeder Lehrer in den Lojman(Lehrerwohnungen) auch innerhalb des Schulgeländes.
Ich sollte später von seiner schönen Frau; Gülten Hoca, die Deutschlehrerin war, ein einziges mal Privatunterricht in Deutsch bekommen. Auf jeden Fall war das, das schönste LehreInnenPaar im gesamten Internat. Waren wohl auch meine Idole. So wie Süleyman Hoca wollte ich später Sportlehrer werden, wollte auch so eine schöne Frau heiraten und irgendwo in Anatolien Kinder erziehen.
Ich hab mich dann doch in die Musiklehrerin OYA Hoca verliebt („Das LEBEN ist das, was passiert, während wir andere Pläne schmieden, JOHN LENNON), weil die unter anderem super aussah; sehr hübsches freundliches, rundes Gesicht, ausdruckstarke grüne Augen, sehr feminin, große Brüste, breiter Hintern und SINGLE. Vor allen Dingen konnte sie sehr gut Klavier, Mandoline und Blockflöte spielen und singen. Haargenau die gleiche Musiklehrerin sollte ich später im Erasmus Gymnasium kriegen, der ich u.a. meine 4 in Musik verdanke. Ich war so schlecht in Musiktheorie. Und dann bat sie mich um einen Referat in der Art: „Crossing The Bridge“ vonFATIH AKIN die ganze Bandbreite der damaligen MusikerInnen aus der Türkei der ´80er Jahre. Angefangen mit Popmusik: SEZEN AKSU, Ajda Pekkan etc., dann Türkische klassiche Musik wie Emel Sayin, dann Arabesk: Orhan Gencebay, Ferdi Tayfur, Ibrahim Tatlises usw. Nach dem Potbourrie hatte ich dann eine 4 in Musik bekommen bin aber wegen 118 Fehlstunden trotzdem in der 11 sitzen geblieben, was mir auch sehr gut tat, denn mit den neuen StufenkamaradInnen kam ich viel besser klar und hatte kaum Fehlstunden bis zum ABI-´89
Tage vergingen so und abends zeigten sie uns historische Filme von CÜNEYT ARKIN, noch ein Idol von vielen Jungs damals, wie „Battal Gazi“, „Malkocoglu“, „Kara Murat“ und wenn die Verwaltung uns nicht mit diesen Filmen ideeologisch manupulierte, gingen wir in Gruppen ins Dorf Gönen, wo sie einen sehr schönen Kinopalast hatten, schauten wir uns Karatefilme von BRUCE LEE und WANG YU an. „KIAAAAAAAAAAAAAAAAYT“ schrieen wir, wenn wir aus dem Kino kamen.
In den ersten Winterferien Mitte Februar hatte uns unser Geographielehrer eine Ferienhausarbeit aufgegeben. Wir sollten uns ein Nachbarland von der Türkei auswählen und in den Ferien damit befassen. Ich hatte mir IRAN ausgesucht. Auf 10 Seiten habe ich mich über Iran ausgelassen: Die Geographie, die Nachbarländer von Iran, die Bevölkerungsstruktur usw. Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass nur ca. die Hälfte Irans Bevölkerung FARSI waren und die andere Hälfte Azeri, Türken, Kurden, usw. Hatte ich wieder was dazu gelernt. Was mir später bei einem Urlaub in Side/Antalya sehr geholfen hat, einer sehr hübschen Exiliranerins Herzen zu erobern. Sie lebte und studierte Informatik in Frankfurt am MAIN und machte zufällig im gleichen Hotel Dolunay(Vollmond) Urlaub wie ich und meine Geschwister im Sommer ´91. Denn, wie die deutschen Lehrer zu sagen pflegten: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“. Da ist der Beweis. SHILA war eine der besten und schönsten Frauen, in die ich mich je verliebt hatte und mit der ich auch in Deutschland jahrelang befreundet war…
Persiche Frauen sollen im Allgemeinen sehr schön sein. Nicht von ungefähr kommen die MOLLAHs auf die Idee sie in SCHADORS zu stecken., denn sie wollen sie vor anderen Männern verstecken. Könnte ja ein Sedat herkommen und ihre HERZEN erobern.
Ganz zu Schweigen, was IBN SINA, HAFIS und schließlich OMAR CHAYYAM als persische Gelehrte und Dichter für die MENSCHEIT geleistet haben , was mir später imponieren sollte. Apropos Dichter. Hier müsste ich mal den Dichterfürsten JOHANNWOLFGANG von GOETHE zitieren:
HAFIS NAMEH(Buch Hafis)
„Sei das Wort die Braut genannt,
Bräutigam der Geist;
Diese Hochzeit hat gekannt,
Wer HAFISEN preist.“
HEGIRE
„(…) Will in Bädern und in Schenken
Heil`ger Hafis, dein Gedenken,
Wenn den Schleier Liebchen lüftet,
Schüttelnd Ambralocken düftet.
Ja, des Dichters Liebesflüstern
Mache selbst die Huris lüstern.“
Wolltet ihr ihm dies beneiden
Oder etwa gar verleiden,
Wisset nur, daß Dichterworte
Um des Paradises Pforte
Immer leise klopfend schweben,
Sich erbittend ew`ges Leben.“
OMAR CHAYYAM: (Übersetzung: ROSEN, aus „Lyrik des Ostens“ Wiesbaden 2004)
„Der Töpfer in der Werkstatt stand
Und formte einen Krug gewandt,
Den Deckel aus eines Königs Kopf
Den Henkel aus eines Bettlers Hand“
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„Der Schöpfung Zweck und Streben ist die Liebe,
Die Kraft im Saft der Reben ist die Liebe,
Sie ist der Reim im Lied der Jugendzeit,
Merk auf mein Wort: Das LEBEN ist die LIEBE“
Noch einmal GOETHE:
OST und WESTEN
„Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen
Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen, laß ich gelten;
Also, zwischen Ost und Westen
Sich bewegen, sei´s zum besten.“
Last but not least, ein Vers von mir, Bochum, 21.03.12, 08:30
ERZENGEL ISRAFIL´s TAGEBUCHeintrag
„Voller Bauch
Die Sonne scheint drauf
Das soll sie auch“(HEINZ ERHARDT)
(Der Rest ist wirklich von mir: Anmerkung des Verfassers)
In der Hand ein Bier
Es ist ja auch schon nach vier
GOTT, ist es schön hier
In der anderen Hand eine Zigarette
Lese ich meine Gazette
- III -