Sommer unseres Lebens - Kirsten Wulf - E-Book
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Sommer unseres Lebens E-Book

Kirsten Wulf

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Beschreibung

»Nach der Lektüre will man sofort seine Freundinnen anrufen und mit ihnen in den Urlaub nach Portugal fahren.« Monika Peetz, »Die Dienstagsfrauen« Durch Zufall lernen sich Miriam, Hanne und Claudia im Sommer 1989 in Portugal kennen. Die drei 25-Jährigen freunden sich an und verbringen dort den Sommer ihres Lebens. Am Ende beschließen sie: Egal, was passiert – wenn wir 50 werden, treffen wir uns hier. Und plötzlich ist es so weit. Unfassbar. Aber wegen eines uralten Versprechens nach Portugal fahren? Sie haben nur noch wenig Kontakt und stecken alle drei tief im Alltag fest. Miriam hat Karriere in der Marktforschung gemacht und mit zwei Kindern, Mann und Au-pair einen bis auf die Minute getakteten Wochenplan, Hanne hat vier Kinder bekommen und ist alleinerziehend und Claudia führt ein Lokal am Elbstrand. Doch als Hanne sich meldet und auf das Wiedersehen drängt, brechen sie auf. Aber die Reise durch Portugal wird ganz anders als gedacht: Konfrontiert mit ihren Plänen und Träumen von damals, kommen lang gehütete Geheimnisse ans Licht – und am Ende stellt sich die Frage, ob der Sommer nicht ganz anders war, als sie alle dachten.

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Seitenzahl: 340

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Kirsten Wulf

Sommer unseres Lebens

Roman

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Kirsten Wulf

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Das Foto

1. Kapitel

2. Kapitel

Das Versprechen

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Erlösung

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Obrigada – danke – grazie!

Inhaltsverzeichnis

Für Tani

Inhaltsverzeichnis

Das Foto

Der Regenbogen im blaugrauen Himmel über dem Atlantik, drei junge Frauen am Strand, T-Shirts und Haare klatschnass, Arm in Arm, strahlende Gesichter. Sterne in den Augen.

»Einige fühlen den Regen, andere werden nur nass«, hatte Hanne frei nach Bob Marley erklärt und die Arme ausgebreitet. Claude und Miriam waren hineingeflogen, sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und »klack«!

Damals, lange bevor »Selfies«, Smartphones und Facebook erfunden worden waren. Claude hatte ihre Kamera auf einem Fels am Strand drapiert, sich zu den Freundinnen gestellt und – »Achtung!« – den langen Drahtauslöser gedrückt. Der Horizont lag schief.

Es war der 15. August 1989 gewesen. Der Tag, den dieses Trio Infernale zu seinem gemeinsamen 25. Geburtstag erklärt hatte.

Inhaltsverzeichnis

1

Die Haustür war krachend zugeflogen und Hanne wusste, dieses Mal würde es lange dauern, bis sich ihre Tochter wieder beruhigte. Sie trat auf den Balkon, sah Franziska über die Straße zum U-Bahnhof laufen, die Tasche über der Schulter, die Jacke noch offen. Sie verschwand im Eingang, ohne sich umzudrehen.

Hanne suchte hinter den leeren Blumentöpfen nach den Zigaretten, die Tim und Florian dort versteckten. Zumindest hielten die Söhne den Ort für ein Versteck, Hanne war so freundlich, den 16-jährigen Zwillingen nicht die Illusion zu rauben. Dafür genehmigte sie sich manchmal, aber wirklich nur in Ausnahmesituationen, eine heimliche Zigarette aus der Packung. Zum Beispiel, wenn sie sich mit Franzi gestritten hatte. Hörte das denn nie auf?

Seitdem ihre Tochter ausgezogen war, verstanden sie sich besser. Aber nach der heutigen Szene wagte Hanne keine Prognose, wie es weitergehen würde. Nur gut, dass die drei Brüder nicht zu Hause gewesen waren.

Hanne zündete sich eine Zigarette an und sank in die Hängematte. Begonnen hatte das ganze Desaster mit diesem Brief vom Anwalt. Ihr Exmann war zwar selbst Anwalt, aber wenn es um Geld ging, kommunizierte er mit ihr vorzugsweise über einen Kollegen aus seiner Kanzlei. Vermutlich verfasste Jens diese Pamphlete, und der Kollege setzte nur seine Unterschrift drunter. Feigling. Aber falls er mit seinen Drohungen tatsächlich Ernst machen sollte, konnte Hanne ihren Kram zusammenpacken und aus der großen Altbauwohnung ausziehen, in der sie ihre vier Kinder großgezogen hatte, und sich eine hübsche kleine Sozialwohnung suchen. Wohlgemerkt: Sie – Hanne – hatte die Kinder großgezogen. Jens hatte eines Tages nüchtern erklärt, er habe sich sein Leben anders vorgestellt, war in München in die Kanzlei des Vaters eingetreten und mit seiner Geliebten zusammengezogen. Ohne Kinder. Hanne war zum dritten Mal schwanger gewesen. Ungeplant, mit Zwillingen.

Dieses Drama lag nun 17 Jahre zurück. Hanne hatte überlebt und war Yogalehrerin geworden. Jens hatte nicht viel, aber immerhin regelmäßig Unterhalt gezahlt.

Bis zu diesem Brief. Hanne hatte ihn fassungslos gelesen, noch mal und noch mal, und kontrolliert, ob wirklich ihr Name in der Adresse stand. Nur langsam war der Inhalt in all seiner Konsequenz in ihr Bewusstsein gesunken: Jens wollte Geld. Viel Geld. Und das Schlimmste: Er hatte Franziska alles erzählt.

»Ich habe keinen Bock mehr auf dieses Getue: die heilige Alleinerziehende!«, hatte Franziska ihre Mutter angebrüllt. »Du verstehst immer alle und alles. Ich nicht. Und dich verstehe ich sowieso überhaupt nicht mehr, du Schlampe!«

Dann knallte die Haustür.

Hanne hatte sich nicht gewehrt, nicht widersprochen und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Einmal im Leben hatte sie Mist gebaut. Richtig ordentlich Mist gebaut. Kein Johanniskraut würde ihre Laune heben, kein Lavendel die Nerven beruhigen. Hanne steckte sich eine zweite Zigarette an.

Das Foto. Sie hatte es aufbewahrt. In der kleinen hölzernen Schatzkiste, in die sie manchmal Geld legte, das am Monatsende übrig geblieben war. Das war selten der Fall, aber trotzdem: In 25 Jahren hatte sich etwas angesammelt. Am Geld sollte das Versprechen des Trio Infernale nicht scheitern. Sie hatte es nicht vergessen und nie daran gezweifelt. Seit 25 Jahren freute sich Hanne auf ihren 50. Geburtstag.

Die zweite Zigarette ließ sie schwindeln. Aus dem Dunst tauchte eine Erkenntnis auf: Nach dem Streit mit Franzi musste sie nach Portugal.

Hanne schwang sich aus der Hängematte, drückte die Zigarette aus, leerte den Aschenbecher und wischte ihn aus. Dann ging sie in die Küche, brühte Pfefferminztee auf und holte die Schatzkiste aus dem Schlafzimmer. Sie nahm das Foto unter den Geldscheinen heraus, das sie alle drei nach dem Sommergewitter zeigte. Wo waren Claude und Miriam heute? In den ersten Jahren hatten sie sich noch Glückwünsche zum 15. August geschickt, dann hatte sich ihr Kontakt auf Postkartengrüße, Hochzeitskarten, Geburtsanzeigen der Kinder reduziert. Ein einziges Mal hatte sie Claude noch wiedergesehen.

In Hamburg, auf der Durchreise zum Ferienhaus an der Nordsee. Hanne war mit vier kleinen und halbwüchsigen Kindern in Claudes Café am Elbstrand geplatzt. Es war ein sonniger Samstagnachmittag gewesen, die Terrasse am Flussufer brechend voll. Claude hatte gerade einen Kellner zusammengestaucht, als Hanne sich vor sie hingestellt und die Arme ausgebreitet hatte. Claude hatte sie verdutzt angeschaut, sich an einem begeisterten »Hallooo!« versucht, aber viel mehr hatten sie sich nicht mehr zu sagen gehabt. Bei Hanne war vor allem der komische Name von Claudes Lokal hängen geblieben, »Duckdalben«. Die Bedeutung hatte sie später im Wörterbuch nachgeschlagen: »eingerammte Gruppe von Pfählen zum Festmachen von Schiffen im Hafen«. Claude hatte also tatsächlich angelegt.

Hanne schaltete den Computer ein. Suchanfrage bei Facebook nach Claude und Duckdalben. Gefunden: Café, Loungebar, Nachtclub am Elbstrand. Ein paar Klicks und das Foto des Trio Infernale war gepostet.

Es war Ende Mai, höchste Zeit. Sie hatten es einander versprochen.

Inhaltsverzeichnis

2

»Re-gen-tanz!«, summte Claude, als sie das Foto auf Facebook erkannte. Sie musste es selbst noch in irgendeinem Karton haben.

»Verdammt lang her … es ist so weit: Sehen wir uns?« stand drunter. Mensch, Hanne! Claude wusste sofort, wie lang »verdammt lang her« war. Kein Zweifel, es war so weit. Allerdings, mitten im August nach Portugal fahren? Wenn im Hochsommer das Duckdalben – hoffentlich – brummte? Das konnte sich Claude nicht leisten.

Außerdem, was zum Teufel hatte sie mit den beiden noch zu tun? Gar nichts.

Also, »Gefällt mir«-Häkchen, kein Kommentar.

 

Wenige Tage später klingelte morgens um zehn der Postbote. Einschreiben. Schlaftrunken unterschrieb Claude und fiel noch einmal ins Bett.

Mittags schreckte sie hoch. Der Brief! Das Einschreiben mit dem offiziellen Absender. Sie kannte den Inhalt, ohne die Zeilen zu lesen. Wie hatte es nur so weit kommen können?

Sie warf die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett und lief die Treppe runter ins Wohnzimmer, scheuchte ihren Kater vom Sessel, nahm den Laptop vom Beistelltisch und öffnete ihren Facebook-Account. Das Foto, wo war das Foto? Claude scrollte die Seite hinunter, stoppte – da waren sie, das Trio Infernale. Claude überlegte einen Moment, dann schrieb sie einen Kommentar darunter.

»Klar sehen wir uns! Versprochen ist versprochen …!«

Jetzt fehlte nur noch Miriam.

Die Ex-Hardcore-Feministin. Claude hatte sie noch ein einziges Mal nach dem gemeinsamen Sommer gesehen. Eine peinliche Geschichte war das, damals vor zehn Jahren. Trotzdem rutschte Claude bei der Erinnerung ein Schurkenlachen raus.

Es war im September gewesen, nach wochenlangem Schönwetterstress. Das Duckdalben war in kurzer Zeit der Hamburger place to be geworden. Claude hatte das biedere Ausflugslokal ihrer Eltern am Elbstrand entrümpelt und die Räume samt Terrasse zu einer sonnigen Strandbar umgebaut, die abends zu einer Lounge wurde. Seitdem sie sich manchmal um Mitternacht eine Federboa über die Schulter warf, lasziv ans verstimmte Klavier lehnte und zu den Klimpereien ihres Barkeepers Chansons sang oder auch mal Hans Albers anstimmte, brummte der Laden. Die Nächte endeten fast immer im Morgengrauen und oft mit einem Spaziergang im Arm eines Liebhabers. An der Elbe entlang, die Werften und Hafenkräne am anderen Ufer noch eingehüllt im blauen Zwielicht des frühen Tages.

Das war Claudes Leben geworden und in regelmäßigen Abständen wurde es ihr zu viel.

Dann warf sie Klamotten in eine Tasche, stieg in ihr Auto und brauste los, ab durch den Elbtunnel. Flucht Richtung Süden. Weg, weg, weg. Von den überdrehten Nächten, betrunkenen Gästen und den – am Ende meist beleidigten – Liebhabern.

Nach spätestens einer Woche stand sie wieder summend hinter dem Tresen, mixte Cocktails, experimentierte mit Fingerfood – und legte sich in guten Nächten wieder die Federboa um. Eine Diva, warum nicht?

Nach jenem Sommer vor zehn Jahren war es wieder so weit gewesen – allein der Gedanke an einen weiteren Tag im Duckdalben hatte sich wie ein Grabstein auf Claudes Brust gepresst.

Elbtunnel, Richtung Süden. Bei Hannover folgte ihr Atem wieder einem normalen Rhythmus, bei Kassel begann sie zu überlegen, wohin sie eigentlich wollte.

Kurz zuvor hatte sie eine Postkarte von Miriam aus dem Briefkasten gezogen und in ihre Umhängetasche gestopft. Miriam war umgezogen, neue Adresse in Frankfurt. Sie hatte den Job gewechselt und machte ernsthaft Karriere, irgendwas mit Marktforschung. Warum also nicht Frankfurt? Claude hatte den CD-Spieler aufgedreht und hemmungslos geschmettert: »Noooon, rien de rieeeen! Nooon, je ne regrette rien …«

Miriam wuppte ihren neuen Job in der Marktforschung, zwei quirlige Kindergartenkinder, einen gutmütigen Mann und ebensolchen Hund im Einfamilienhaus mithilfe einer Putzfrau und eines Au-pairs, genauer: eines charmanten 18-Jährigen aus Seattle, der auf seiner Gitarre einige bemerkenswerte eigene Songs spielte.

Ein Junge als Au-pair – war das der real gelebte Feminismus, dessen streitbare Vertreterin Miriam gewesen war? Der blitzgescheiten Politikstudentin, die messerscharfe Analysen der Weltpolitik geliefert hatte?

Miriam war am ersten Abend mit Claude nach einem Glas Wein auf dem Sofa zusammengesackt und hatte die Freundin ins Gästezimmer komplimentiert. So früh hatte Claude schon lange nicht mehr auf der Bettkante gesessen.

Auch am nächsten Tag wollte die Urlaubsstimmung von früher nicht so recht aufkommen. Miriam hechtete durch ihren Alltag und Claude saß allein im Einfamilienhaus. Fast allein. Der Au-pair war auch noch da. Tja. Hätte sie die Gelegenheit ungenutzt lassen sollen?

Nach drei Tagen war Claude wieder fit fürs Duckdalben und verschwand so spontan, wie sie aufgetaucht war. Zurück Richtung Norden. Mit dem Au-pair auf dem Beifahrersitz. Einen derart coolen Aushilfskellner hatte sie noch gesucht. Doch bevor er seinen ersten Cocktail servieren konnte, klingelte das Telefon. Miriam. Eiskalt. »Sei so gut, schaff dir selbst Kinder und Au-pairs an, aber halte dich aus meinem Leben heraus. Ich habe schon genug Kinderkram zu erledigen«, zischte sie, »du setzt Steve in den nächsten Zug nach Frankfurt, ist das klar?«

Glasklar. Claude bezahlte einen Erste-Klasse-Fahrschein und verabschiedete den Amerikaner mit Kusshand am Bahnsteig.

 

Seither hatte Claude nichts mehr von Miriam gehört. Aber wenn der Alltag die feministische Revolutionärin nicht komplett kleingekriegt hatte, dann sollte auch sie sich an das Versprechen erinnern.

Claude grübelte vor ihrem Computer. Frau Dr. Miriam Ferber, in welchen sozialen Netzwerken treibst du dich herum? Natürlich, auf Facebook war die Karrierefrau nicht zu finden. Vermutlich präsentierte sie ihr kostbares Profil ausschließlich in professionellen Zusammenhängen, Xing, LinkedIn – Bingo! Claude loggte sich ein und schickte eine Verbindungsanfrage. Passte die Wirtin einer Hamburger Szenekneipe in das exklusiv sortierte Netzwerk ihrer alten Freundin? Vermutlich nicht. Trotzdem, Foto und Gruß: »Es ist so weit. Umarmung, Claude«.

Miriam akzeptierte die Hamburger Wirtin tatsächlich nicht in ihrem exklusiven Netzwerk, aber antwortete 24 Stunden später mit einer E-Mail, freundlich und professionell: »Schön, von Dir zu hören, hoffe, es geht Dir gut. Sehr herzlich, Miriam«.

Bitte? War sie etwa immer noch sauer?

Unter dem Text fand Claude die automatische Signatur – mit Telefonnummer. Sie zögerte nicht einen Moment.

Inhaltsverzeichnis

Das Versprechen

Es war ihr Sommer gewesen. Gestrandet an diesem verlorenen Atlantikstrand im Süden Portugals, mit der Bar, die nur eine blau-weiß gestrichene Bretterbude im Sand war, ein paar lange Tische und Holzbänke davor. Gemächlich rollten die Wellen heran, bäumten sich auf und glitzerten türkis, für einen Moment nur, bevor sie sich überschlugen und auf den Sand krachten, die Luft mit Gischt erfüllten und lang ausliefen.

Das Sommergewitter hatte sich verzogen. Miriam, Hanne und Claude saßen zum letzten Mal vor der Bretterbude. Amalia, die fast zahnlose Fischersfrau und Wirtin, hängte Petroleumlampen über dem Tresen auf, auf dem Grill lagen kleine Fische, ihre Kinder tobten am Strand herum.

Es war der 15. August, Maria Himmelfahrt und Hannes 25. Geburtstag. »Unser Küken!«, hatte Claude sie genannt, dabei waren Miriam und Claude nur ein paar Tage und Wochen älter.

Die Sonne verschwand langsam hinter den orangerot leuchtenden Wolken. Es war ihr letzter Abend.

Miriam hob das kleine Cognacglas an, »Der 15. August«, verkündete sie, »sei in Zukunft unser gemeinsamer Geburtstag«.

Hanne und Claude applaudierten, »Wunderbare Idee!«

»Im Gedenken an diesen Sommer und unsere Freundschaft, die Freiheit und …«, Miriam zögerte einen Moment, aber dann fügte sie mutig hinzu, »die Lebenslust!«

»Jaaah«, seufzte Hanne, »und die Leidenschaft!«

Keine von ihnen wusste, was das Leben nach diesem portugiesischen Sommer mit ihnen vorhatte, und vielleicht verlangte Claude deshalb eine Art Versicherung, »Jungs schließen in solchen Momenten Blutsbrüderschaft. So etwas haben wir natürlich nicht nötig«, sie machte eine theatralische Pause, »aber ich schlage vor, wir legen einen Schwur ab. Wollt ihr mir nachsprechen: ›Was auch immer geschieht, zum Fünfzigsten sitzen wir wieder hier!‹«

»Ja!«, rief Hanne, und Miriam ergänzte, »zum halben Jahrhundert sind wir wieder hier! An unserem gemeinsamen Geburtstag. Genau hier, an diesem Strand, in dieser Bude.«

»Hoch und heilig!«

Sie legten ihre Hände übereinander. »Was auch immer geschieht, zum Fünfzigsten sitzen wir wieder hier!«

Das war ihr Versprechen. Hoch und heilig, nicht zu brechen.

»Und bis dahin«, schloss Claude pastoral, »lebet wild und gefährlich.«

Sie schauten einander in die Augen. Klar, das würden sie tun. Das war ihr Lebensgefühl nach diesem Sommer am Rand Europas, wo vor Jahrhunderten Seefahrer aufgebrochen waren, um in unbekannten Meeren fremde Welten zu entdecken. Miriam, Claude und Hanne – sie würden sich was trauen im Leben.

Dann bestellten sie bei Amalia die nächste Runde Kaffee mit Cognac und drehten weitere Zigaretten, während die Wellen sich aufbäumten, glitzerten, zusammenkrachten und lang im Sand ausliefen.

Inhaltsverzeichnis

3

Miriam hatte ihrem 50. Geburtstag gelassen entgegengesehen. Sie würde ihn hinter sich bringen. Kleines Fest, fifty – so what?, und weiter im Text des Lebens.

Doch dann tauchte eines Morgens beim E-Mail-Check eine dieser Verbindungsanfragen auf. Von einer Claudia Hollander, nie gehört, klick und weg – Moment, Claudia Hollander? War das etwa … Miriam öffnete die Nachricht mit Foto – und blickte in drei regennasse, glückliche Gesichter. Portugal! Der Atlantik, die Wellen, der Strand, der feuchte Sand unter den Füßen – der lange Sommer.

Es war so weit. Natürlich.

Leider absolut nicht machbar.

Miriam betrachtete ihren Kalender auf dem Computerbildschirm, die Stapel auf dem Schreibtisch – Entwürfe für Fragebogen, Anfragen, Pressemitteilungen, Einladungen. Sie lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück, schloss einen Moment die Augen.

Fünfzig! Das war Lichtjahre entfernt gewesen, ein schlechter Witz aus einem anderen Universum. Als ob das stinknormale Leben ausgerechnet uns drei nicht hätte erwischen können, dachte Miriam. Andererseits, sie hatten sich ihr Versprechen so ernst und ehrlich gegeben, dass sie vielleicht doch geahnt hatten, wie wenig abenteuerlustig man sich mit fünfzig fühlen konnte.

Tag für Tag traf Miriam am laufenden Band Entscheidungen – ja, nein, bitte nachhaken, zur Wiedervorlage. Gab klare Antworten, verteilte Aufgaben. Routiniert und souverän. Aber jetzt war sie überfordert: Was sollte sie Claude antworten? Ignorieren ging nicht, zusagen auch nicht. Also absagen. Nein. Was tun? Zeit gewinnen.

Das normale Leben war über Miriam direkt nach ihrem exzellenten Studienabschluss hereingebrochen. Praktikum in der Marktforschung, Jobangebot und los ging’s. Sie hatte sich an an ein, zwei Stufen auf der Karriereleiter versucht – sie trugen bestens. Also weiter, Stufe um Stufe, die Aussicht von weiter oben war nicht schlecht, der Job wurde interessanter, vielseitiger und vor allem: angenehmer, je weniger Chefs ihr in die Projekte reinreden konnten. Als sie schwanger wurde, waren die Entscheidungen schnell getroffen: Hochzeit, Geburt und Robert blieb zwei Jahre zu Hause. Miriam verdiente damals schon irrsinnig gut, der junge Architekt konnte da nicht mithalten.

Robert war ein anwesender Vater und konnte auch mehr als nur Fischstäbchen in die Pfanne werfen. Zusammen waren sie ein prima Team, glücklich und ihre Kinder vermutlich gelungen. Derzeit war Florian zwar vollpubertierend und bis auf Weiteres in seinem Kapuzenpulli verschwunden und die 15-jährige Sofia schlenderte mit unerträglichem Desinteresse, aber picobello gezupften Augenbrauen und penibel lackierten Fingernägeln durch die Flure des Gymnasiums. Das würde sich alles geben, Robert hatte Vertrauen. Miriam war, zumindest mit ihrer Tochter, weniger gnädig und geduldig. Sie hätte nun wirklich etwas wilder und gefährlicher sein können.

Aber Miriam hatte alle und alles gebändigt, diszipliniert konzentriert, und so war aus einer feministischen Rebellin das Erfolgsmodell jeder Familienministerin geworden, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie predigt.

Zwar hatte sie sich hin und wieder an ihr Versprechen erinnert, aber so, wie sich im Laufe der Jahre ihre Überzeugungen abgeschliffen hatten, so war der Wunsch nach einem Wiedersehen am Strand verblasst.

Bis zu dieser Nachricht am Morgen, diesem Windstoß, der ihr optimiertes Leben durcheinanderwirbelte. Was sollte sie Claude nur antworten?

Es ging ja nicht um ein Klassentreffen, bei dem man sich einen Abend lang bemühte, Kindernamen mit erwachsenen Gesichtern, grauen oder gar keinen Haaren und erstaunlich runden Bäuchen zusammenzubringen.

Es ging um eine Reise nach Portugal mit zwei Frauen, die sie vor 25 Jahren kennengelernt und zu denen sie keinen Kontakt mehr hatte. Mit denen sollte sie an einem gottverlassenen Atlantikstrand über ihr bisheriges Leben mit all seinen kleinen Betrügereien sinnieren? Weinselig ergründen, ob sie mit fünfzig nur die erste Halbzeit hinter sich gebracht hatten oder schon in der Nachspielzeit waren?

Diese nostalgischen Spinnereien, Miriam hatte weder das Bedürfnis noch die Zeit dafür. Der Sommer war mit den Kindern natürlich längst durchgeplant, im August musste Miriam schon wieder im Büro sitzen.

Also gut, sie sollte Claude wenigstens antworten. Freundlich, unverbindlich. Und so tippte Miriam am späten Nachmittag hastig ihren Gruß an Claude. Vergaß in der Eile, ihre automatische Signatur mit der Telefonnummer zu löschen.

Keine Minute später klingelte das Telefon.

 

»Ciao Miri! Du hast dich also doch noch erinnert?«

Da war sie, diese vergnügte, etwas heisere Stimme, die Miriam schon damals umwerfend gefunden hatte.

»Claude, ich bitte dich, natürlich erinnere ich mich«, Miriam versuchte, sich zu fassen, »Wie geht es dir?«, aber sie fühlte, wie sie hilflos ruderte.

»Komm schon, Miri, du weißt, warum ich anrufe.«

Das war Claude, schnörkellos direkt. Damals war die Tramperin mit Rucksack und Gitarre auf eine wunderbare Weise extravagant gewesen. Hatte sie immer noch den jungenhaften Kurzhaarschnitt, mit dem sie aussah wie Jean Seberg in »Außer Atem«? Die mit Jean Paul Belmondo im Bett so irrsinnig lässig die Zigarette danach rauchte.

Vermutlich rauchte Claude immer noch. Zumindest klang ihre Stimme so, tiefer und rauer als damals.

»Ging schneller als gedacht, was? 25 Jahre …«

Miriam gewann ihre Fassung wieder, sie sollte schleunigst klarmachen, dass es kein Wiedersehen in Portugal geben würde. »Ach Claude, damals haben wir uns eingebildet, alles wäre möglich. Was haben wir uns nur dabei gedacht? Woher soll ich die Zeit nehmen?«

»Gar nichts haben wir gedacht«, unterbrach Claude, »und das war gut so!«

Miriam hörte ein Räuspern, Claudes Stimme senkte sich, als sie sanft, aber sehr entschieden hinzufügte, »15. August, Miri!«.

Pause.

»Wir haben es uns versprochen!«

»Natürlich, aber …«, sie rang nach Worten, »damals konnten wir uns nicht vorstellen, wie das Leben wird, mit Familie und Beruf, und alle wollen ständig was von mir …«

»Nun entspann dich mal«, Claude schlug diesen Ton von damals an, und Miriam hörte sich selbst leise lachen. Wie damals, als Claude mit ihr auf der Düne gesessen und ihr zum Sonnenuntergang nicht nur gezeigt hatte, wie man einen erstklassigen Joint baut, sondern vor allem, wie man ihn cool durchzieht: tief einatmen und Rauch zwischen vollen Lippen verführerisch in Kringeln Richtung Horizont schicken.

»Relax«, sagte Claude am anderen Ende der Leitung und Miriam musste lachen, »Wie hieß der Kerl noch? Der mit den Tattoos und dem unmöglichen Irokesenschnitt?«

»Frääänkie?«, quäkte Claude so amerikanisch wie möglich, »benannt nach Frankie Goes to Hollywood.«

»O Gott, ja«, stöhnte Miriam und erinnerte sich, wie dieser Typ morgens auf der Düne gestanden und wie ein Feldmarschall von oben »Relaaaax!« gebrüllt hatte. Seine tätowierten Kumpel am Strand waren aufgesprungen, »Relax, Alter!«. Ein johlender Morgengruß statt Yoga.

»Man möchte nicht wirklich wissen, wo der gelandet ist«, sagte Miriam.

»In Hollywood vermutlich nicht«, antwortete Claude trocken.

»Und wie hieß der Typ mit dem Saxophon noch«, schob Miriam hinterher, »Sebastião? Hast du von dem noch mal was gehört?«

Warum fiel ihr dieser Name bloß wieder ein? Der mit den langen Wimpern und den meerblauen Augen.

»Keine Ahnung.«

Hanne hatte sie noch gewarnt: »Schlafzimmerblick, Mädels! Ganz billige Nummer!« – ausgerechnet Hanne, die liebe, süße Hanne.

Genug. Miriam riss sich zusammen. Sie sollte nicht tiefer graben, sondern das Telefongespräch beenden.

»Claude, ich muss Schluss machen. Also, tut mir wirklich leid, aber ich kann unmöglich im August weg«, sie hatte sich wieder im Griff. »Das kannst du dir vielleicht nicht vorstellen, aber … hast du inzwischen eigentlich Kinder?«

»Nein. Lenk nicht ab. Also, meine Liebe, wild und gefährlich, du erinnerst dich?«

»Natürlich. Schön wär’s«, quälte sich Miriam.

»Zwei Wochen«, forderte Claude, »mindestens zehn Tage.«

»Du ahnst ja nicht, was hier los …«

»Hanne hat ihren Flug gebucht.«

»Oh«, entfuhr es Miriam. Sie war sprachlos.

»Tja …«, Claude klang triumphierend.

»Hanne, so entschlossen?«, wunderte sich Miriam.

»Nun, vielleicht hat das Leben sie etwas gelehrt?«, sagte Claude, »Miri, du hast keine Chance. Zehn Tage. Mindestens. Ohne dich werden wir nicht fünfzig. Wir …«

»… haben es uns versprochen«, beendete Miriam den Satz.

 

Regungslos blieb sie nach dem Gespräch hinter ihrem gläsernen Schreibtisch sitzen.

Das war tatsächlich Claude gewesen, Claude pur.

Es klopfte an der Bürotür, Miriam schüttelte sich, »Ja?«.

Svenja, ihre junge Sekretärin, schaute herein.

»Ich gehe jetzt.« Sie hatte bereits Laufhose und Schuhe angezogen, sie joggte immer nach Hause, sehr effizient.

»Alles in Ordnung?«, Svenja musterte sie.

»Klar, sicher. Warum?«

»Sie wirken etwas … irritiert?«

»Schon in Ordnung«, wiegelte Miriam ab, »Ist noch etwas?« Wie alt war Svenja eigentlich? Schon dreißig?

»Sie haben gleich einen Arzttermin …«

»Verdammt«, Miriam warf einen Blick auf die Uhr, »den hätte ich verpasst, danke. Ciao, schönen Abend.«

Miriam klappte den Laptop zu. Augenarzt, natürlich, dieser dunkle Fleck im linken Auge.

Robert wollte sich um das Abendessen kümmern, Miriam sollte sich entspannen.

Morgens um vier war sie hochgeschreckt. Herzrasen. Dieser Traum, schon wieder. War zu schnell einen Abhang hinuntergerannt, hatte Beine und Füße nicht mehr kontrollieren, nicht mehr anhalten können – und war schlagartig erwacht. Ihr linkes Bein summte und trat ins Leere.

Vielleicht hatte Robert recht, sie sollte einen Gang runterschalten.

Und vielleicht sollte sie sich später bei Hanne melden.

Inhaltsverzeichnis

4

Berlin, Sommer 1989

Sogar für Hanne war Jens’ unterirdisch schlechte Laune schwer erträglich. Sie hatte die zweite Kanne Tee zum Frühstück an diesem wolkenlosen Samstag gekocht. Jens las die Tageszeitung, in der einen Hand das Nutella-Brötchen, mit der anderen tastete er nach dem Teebecher.

»Ist noch heiß …«, sagte Hanne und schob ihm den dampfenden Teebecher hin, legte ihm ihre Hand in den Nacken und las über seine Schulter die Schlagzeilen.

Jens nippte, »Verdammt, ist der heiß!«, und knallte den Becher zurück auf den Tisch. Hanne holte einen Lappen.

»Hat deine Maus doch gesagt, Jensi-Boy!« Ihr Mitbewohner Paolo war in Unterhose, T-Shirt und Badelatschen in die Küche gekommen und grinste.

Jens schwieg. Es war noch zu früh für lange Sätze.

»Er hat bis zwei Uhr heute Morgen am Schreibtisch gesessen«, verteidigte Hanne ihren Liebsten.

»Der Arme«, spottete der italienische Mitbewohner, »aber solange du ihm noch den Nacken kraulst …«, er nahm zwei Becher aus dem Regal und goss Tee ein, »Was wäre unser zukünftiger Staranwalt nur ohne dich?«

Jens muffelte irgendetwas Unfreundliches, schob den Rest seines Brötchens in den Mund, blätterte in der Zeitung und vertiefte sich in die Seite mit den Auslandsnachrichten.

Hanne seufzte. Sie hatte gerade ihren letzten Arbeitstag im Kindergarten hinter sich und vor ihr lag ein langer Sommer ohne Pläne, aber mit Arbeitslosengeld, und im Herbst das erste Semester Sozialpädagogik. Jens hingegen bereitete sich auf das Juraexamen vor. Aber Hanne gedachte ihn aufzuheitern und bei Bedarf für Ablenkungen zu sorgen.

»Hör mal, Hase«, begann Hanne, »wir könnten doch am Wochenende zu …«

»Hanni«, fuhr Jens auf, »nicht schon wieder! Ich kann gerade gar nichts, und schon gar nicht am Wochenende irgendwo hinfahren. Wenn du das machen willst, viel Spaß, bitte sehr, aber ohne mich, tut mir leid.«

Hanne legte ihm die Hand auf die Schulter, »Du musst mal raus, den Kopf durchlüften«.

»Danke, Hanni«, knirschte Jens, »ich sage Bescheid, okay?«, er schüttelte ihre Hand von seiner Schulter, »Wenn du Fernweh hast, bitte, da ist Paolo, der wollte nach Italien!«

»Sorry, hat sich erledigt!«, Paolo hob die Hände, »Ich lass euch Turteltäubchen allein. Morgen bin ich weg, ich habe eine Mitfahrgelegenheit gefunden, auf dem Motorrad mit …« Er grinste, es war das Stichwort für den Auftritt eines verschlafenen Lockenkopfes in der Küchentür, in einem zu großen T-Shirt von Paolo.

»Katharina!«, beendete Paolo seinen Satz und legte der kleinen barfüßigen Frau den Arm um die Schultern. »Nach Italien, nicht wahr, amore? Möchtest du Tee?«

Hanne betrachtete Katharina, das war also die »Mfg gegen Bkb« nach Italien, die Paolo aus den Kleinanzeigen am letzten Wochenende gefischt hatte. Mitfahrgelegenheit gegen Benzinkostenbeteiligung, sperrige Worte für einen einfachen Deal, zu lang und zu teuer für eine Kleinanzeige.

»Du? Bei ihr auf dem Motorrad?«, Jens blickte hoch und scannte den Lockenkopf bis zu den lackierten Fußnägeln.

»Sie hatte eigentlich eine Frau gesucht, aber dann kam eben Paolo und nicht Paula zum Treffen, haha! Kleines Missverständnis …«

Der Lockenkopf lächelte, nahm einen Teebecher und verschwand.

»Mal ehrlich, Hanne«, Paolo nahm die Zeitung vom Tisch, »willst du dir wirklich den ganzen Sommer verderben lassen? Schau mal, hier gibt es doch bestimmt …«, Paolo blätterte auf die Seite mit den Kleinzeigen, »auch für dich eine charmante Mitfahrgelegenheit.«

Hanne stand in der Küche und betrachtete die beiden. Jens hatte eine schlechte Phase, sicher, aber sie liebte ihn trotzdem und gemeinsam …

»Hier, wie wäre es mit Portugal, Hanne?«, feixte Paolo, »maximale Entfernung zu diesem Stinkstiefel hier. Nur in Lappland wärst du sicherer, ist aber nicht so sonnig.«

Jens boxte Paolo mit dem Ellenbogen in die Seite, »Es reicht. Schönen Urlaub, Paolo!« Er stand auf und schlurfte den Flur hinunter, Richtung Schreibtisch.

»Jensi-Boy, entspann dich mal«, rief ihm Paolo hinterher, zwinkerte Hanne zu und verzog sich seinerseits in Richtung seiner lockigen Mitfahrgelegenheit.

Hanne schaute dem gut gelaunten Gigolo hinterher, sie würde später Details über die neue Prinzessin erfahren. Wie üblich. Sie war Paolos Vertraute, seitdem sie in die WG eingezogen war.

Sie hatte Jens beim David-Bowie-Konzert am Brandenburger Tor kennengelernt, in dem historischen Moment, als »Heroes« von der Bühne dröhnte und die Fans im Osten hinter der Mauer mitjohlten. Doch davon hatte Hanne nichts mehr mitbekommen, denn neben ihr stand dieser Typ, Hände in den Hosentaschen, der Einzige, der kein Feuerzeug, keine Wunderkerze schwenkte. Ihre Blicke trafen sich im Schein der vielen kleinen Lichter – und ließen sich nicht wieder los. Hanne verbrannte sich den Daumen an ihrem Feuerzeug, ein Lächeln flog über sein Gesicht, sie hatte ihn tatsächlich aus der Reserve gelockt. »We can be heroes!« – das war’s. Hanne wurde immer noch schwindelig, wenn sie sich daran erinnerte.

Jens hatte das größere WG-Zimmer mit dem größeren Bett zu bieten, fortan wechselte Hanne in ihrer WG nur noch die Klamotten.

Paolo fand die exklusive Zweisamkeit der beiden okay, solange Jens weiterhin mit ihm zum Basketball ging. Sabine, die damalige dritte Mitbewohnerin, packte nach krisengeschüttelten WG-Gesprächen ihre Kisten und zog aus. Hanne blieb und schickte Jens zum Basketball, kochte derweil für die Jungs und guckte ungestört von blöden Kommentaren »Schwarzwaldklinik«.

Hanne schwebte verliebt durch die Tage, bändigte im Kindergarten mit Engelsgeduld einen Sack Flöhe – je bunter das Leben, desto lustiger.

Dann flog Jens durch das erste Staatsexamen.

Nicht knapp, sondern volle Kanne. Sein Vater, selbst Anwalt, drohte, die monatlichen Zahlungen einzustellen. Sein Sohn könne mietfrei und vermutlich konzentrierter im Elternhaus in München lernen. Dem Vater war offensichtlich der Zusammenhang zwischen Hannes sonniger Präsenz im Leben seines Sohnes und den finsteren Resultaten des Studiums aufgefallen.

Hanne räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine, legte die Tageszeitung auf das Fensterbrett und wischte den Tisch ab. Gemeinsam würden Jens und sie diese Krise meistern – eine Herausforderung für ihre Liebe. So konnte man das ja auch mal sehen.

Hanne nahm die Zeitung und setzte sich an den Tisch.

Nur ein kurzer Blick, sie blätterte hastig – da waren sie, Kleinanzeigen, Reise, »Mfg gegen Bkb für Frau, Berlin–Portugal …«

Portugal! Allein das Wort elektrisierte Hanne.

»… hin Mi 12.7., zurück nach Absprache, Miriam«.

Tat sie Jens nicht vielleicht sogar einen Gefallen, wenn er in Ruhe lernen konnte? Mittwoch war in vier Tagen. Hanne atmete tief durch und ging zum Telefon.

 

Vier Tage später fuhr sie mit Miriam schweigend durch die DDR gen Westen, begleitet vom rhythmischen Bedumm-bedumm-bedumm-bedumm, dem Sound der Plattenautobahn. Im Schleier des Nieselregens verloren sich Wiesen und Felder. Hanne verfolgte die Linien, die Regentropfen über das schmale Schiebefenster der Beifahrertür zogen. Was für eine bekloppte Idee. Im R4 quer durch Europa, mit dieser Miriam, die offensichtlich auch nicht besser gelaunt war als Jens. In den ersten beiden Stunden hatten sie kaum miteinander geredet: Benzinkosten? Abwechselnd die Tankfüllungen zahlen. Führerschein? Hatte Hanne. Könnte sie Miriam auch am Steuer ablösen? Klar, kein Problem. Isomatte, Schlafsack dabei? Nein, wieso das denn? Macht nichts, kann ich dir leihen. Übernachten im Zelt, in Ordnung? Klar, kein Problem. Schweigen.

Nach einer Weile versuchte sich Hanne an einem Gespräch.

»Und, was machst du so?«

»Studiere. Politik und Soziologie.«

»In Berlin?«

»Nee, Köln …«

»In Berlin hast du Freunde?«

Schweigen.

»Scheißthema.«

»Ah. Verstehe.«

Schweigen.

Hanne verfolgte wieder Regentropfen. Sie dachte an Jens. Linste zu Miriam. Sie sieht klasse aus, dachte Hanne, sehr hübsch. Groß, die dunklen Haare energisch hinters Ohr geklemmt. Herbe Gesichtszüge. Wenn nur diese Zornesfalte nicht wäre. Wütend sah sie aus. Und traurig. Kinder plärren einfach los, dachte Hanne, Erwachsene halten die Luft an und Miriam schien eine erstklassige Luftanhalterin zu sein.

Sie wirkte so entschieden, das gefiel und verunsicherte Hanne. Sie selbst ließ die Dinge meist geschehen, ihr Leben passierte einfach. Deshalb saß sie ja auch in diesem Auto. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Ahnung, was sie in Portugal wollte. Es war das Wort »Portugal« gewesen, das Bilder in ihrem Kopf entstehen und sie einen Moment lang Jens’ Elend vergessen lassen hatte.

Die Frau am Telefon hatte nett geklungen. Miriam war nicht da gewesen, aber ja, der Platz im Auto sei noch frei.

Als Miriam zurückrief, war Hanne nicht zu Hause. »Mittwochmorgen, neun Uhr, ich hole sie ab«, diktierte sie dem verdatterten Jens und fragte nach der Adresse.

Hanne hätte sich am liebsten aufgelöst, als Jens ihr wortlos den Zettel mit der Notiz gereicht hatte, aber statt einer Szene hatte Jens nur gemurmelt »finde ich ja irgendwie …«, mit den Achseln gezuckt und war zum Schreibtisch geschlichen.

Sonntag. Montag. Dienstag. Mehr hatte er zu ihrer spontanen Portugalreise nicht zu sagen gehabt. Kein »Das finde ich blöd …« oder vielleicht »Ich vermisse dich jetzt schon …« oder gar »Bleib!«. Im Gegenteil.

Nach einer schlaflosen Nacht hatte Hanne am Morgen der Abfahrt entschieden, »Hase, ich fahre nicht! Ich lasse dich nicht allein.«

»Schon okay. Ich komm klar, Hanni«, das war’s. Fand er diese Mfg gegen Bkb mit ungewisser Rückfahrt etwa in Ordnung?

Inzwischen war sie hundemüde und wäre am liebsten an der nächsten Raststätte ausgestiegen. Zurück nach Berlin. Ins Bett, zu Jens. Aber so einfach konnte sie auf einer DDR-Autobahn nicht die Seiten wechseln. Vorwärts immer, rückwärts nimmer, oder wie hieß das noch?

Aber dann begann Miriam, mit der rechten Hand in dem Karton zu Hannes Füßen zu kramen. »Lass, ich mach schon«, sagte Hanne, »was suchst du?«

Miriam blickte kurz nach unten, »geht schon, warte …«, zog eine Kassette heraus, murmelte »wusste doch, dass sie noch dadrin ist …« und schob sie mit dem Anflug eines Lächelns in den Rekorder.

»Eine für dich …«, sie drehte die Lautstärke auf und Ina Deter röhrte:

»Ich sprüh’s an jede Häuserwand,

ich such den schönsten Mann im Land.

Ein Zettel an das Schwarze Brett

er muss nett sein auch im Bett.«

»Das habe ich ja ewig nicht gehört«, Hannes Laune hellte sich auf, »Hast du damals ihren Auftritt in der Hitparade gesehen?«

»Ina Deter? Bei Dieter Thomas Heck?«, empörte sich Miriam, »Unmöglich! Die war doch nicht bei diesem Schlagerfuzzi!«

»Doch, doch«, sagte Hanne, »Ich weiß noch, dass mein Vater gesagt hat, die habe das doch gar nicht nötig, so proper, wie sie aussieht.«

»Typisch«, schnaubte Miriam, »Aber egal, ist ohnehin nicht mehr mein Thema.«

»Was?«

»Männer. Neu oder alt – aus, vorbei. Aber du, du siehst so aus …«

»Ich? Ich brauche keinen Neuen. Seitdem ich mit Jens zusammen bin, brauche ich keinen anderen.«

»Sicher?«, Miriam warf ihr einen skeptischen Blick zu.

Im Regenschleier tauchten die Absperranlagen der DDR-Grenze auf. »Neue Männer braucht das Land!«, sang Miriam leise den letzten Refrain mit und schaltete den Rekorder aus, als sie abbremsten. »Wir wollen diesen Männern besser nicht die Laune verderben.«

Sie reihten sich in die Autoschlange ein. Miriam schob das Fenster auf und gab einem Grenzsoldaten ihre Pässe und die Fahrzeugpapiere, er reichte sie zur Kontrolle weiter, winkte sie aus der Schlange auf einen Parkplatz. »War ja klar«, stöhnte Miriam.

»Wieso nicht mehr dein Thema?«, fragte Hanne.

»Was?«

»Männer, du hast gesagt …«

»Na Männer eben«, raunzte Miriam, »oder vielleicht doch wieder, egal, wir fahren jetzt erst mal nach Portugal, fertig.«

Grenzsoldaten schlenderten um den alten Renault. »Immer dieser Affentanz …«, Miriam schaute nervös aus dem Fenster. Sie schwiegen. Hanne wusste, sie musste es jetzt sagen, sonst wäre es zu spät. Sie atmete schwer.

»Hör mal, ich fahr nicht mit nach Portugal. Ich steige im Westen aus, lass mich an irgendeinem Bahnhof raus und ich fahre nach Berlin zurück.«

»Bitte was?«, Miriam guckte sie fassungslos an. »Ich weiß überhaupt nicht, was ich in Portugal soll. Das war ein spontaner Entschluss, ohne nachzudenken, und jetzt … das ist nicht in Ordnung«, stocherte Hanne herum, »Mein Freund sitzt allein in Berlin, büffelt für sein Examen und wenn er durchfällt, kann er sein Studium stecken, all die Jahre …«

»Herr im Himmel, wo lebe ich eigentlich?«, Miriam warf verzweifelt die Hände hoch, »Frauen …«, stöhnte sie verzweifelt.

Hanne schluckte. »Verstehst du, Jens ist in der Krise und ich hau ab, während er mich braucht …«

»Er braucht dich nicht«, sagte Miriam trocken.

»Woher willst du das wissen?«

»Er hat dich ins Auto geschoben.«

»Hat er nicht …«

»Hat er doch. Ich habe Augen im Kopf.«

Hanne schwieg beleidigt.

Miriam hatte recht.

Hanne spürte noch den Druck seiner warmen Hand. Sie hatte einen Moment gezögert, ins Auto einzusteigen. Er hatte sie hineingeschoben.

Ein Beamter neigte sich zum Fenster herunter. »Öffnen Sie den Kofferraum.«

Miriam stieg aus, zog die Klappe hoch, die Grenzer räumten aus. Miriams Tasche, Hannes Rucksack, Zelt, zwei Isomatten, zwei Schlafsäcke, eine Kiste mit Campingkram und eine mit Büchern – kein Platz mehr für einen Flüchtling der Republik. Sie bekamen ihre Pässe zurück und rollten weiter zu den Grenzern der BRD.

»Warst du schon mal in Portugal?«

Miriam nickte. Die Zornesfalte tauchte wieder auf.

»Scheißthema?«, fragte Hanne.

Miriam starrte durch die Windschutzscheibe.

»Und was willst du dort machen?«, wagte sich Hanne vor, »Urlaub?«

Miriam schüttelte den Kopf. »Nelkenrevolution 1974, Agrarrevolution 1975 und die revolutionäre Rolle der Frauen – Recherche für eine Semesterarbeit.«

Hanne hatte keine Ahnung, wovon Miriam redete, brauchte aber nicht nachzufragen, Miriam hatte eine Vorlesung parat. »1974 beendete das portugiesische Militär unblutig über 40 Jahre Diktatur und koloniale Herrschaft«, dozierte die Studentin der politischen Wissenschaften, »Das Volk tanzte auf den Straßen, steckte den Soldaten Nelken in die Gewehrläufe, das Regime fiel zusammen wie ein Kartenhaus.« Miriam zeigte mit dem Daumen hinter sich auf die Befestigungen der DDR-Grenze, »Das war ein Volksheer, von so einer Revolution würden diese Männer da drüben Albträume kriegen.«

Sie passierten schweigend den Grenzübergang in die BRD, Pässe raus, Pässe zurück, der Kofferraum blieb geschlossen. Miriam setzte ihr Referat fort, »Ein Jahr nach der Revolution der Nelken begann die tatsächliche Revolution: Bauern und Tagelöhner besetzten die gigantischen Latifundien im Süden und gründeten Kooperativen. Eine traumhaft revolutionäre Geschichte, aber natürlich: Bis heute wird sie erzählt, als ob Frauen nicht dabei gewesen wären, als ob Frauen nicht die Hälfte des Himmels gehören würde.«

»Klar«, sagte Hanne, »und das willst du nachholen?«

Miriam nickte zögernd, »Ich will erst mal Interviews mit Bäuerinnen machen und verstehen, was aus den Kooperativen fast 15 Jahre später geworden ist. Ein sozialistisches Portugal wäre natürlich nicht im Interesse des globalen Kapitals …«

»Du sprichst Portugiesisch?«, unterbrach Hanne.

»Ähm, Portugiesisch? Nein.«

»Wie willst du mit den Bäuerinnen reden?«

»Wird schon irgendjemand Englisch sprechen.«

»Portugiesische Bäuerinnen sprechen Englisch?«

»Nein, natürlich nicht«, fuhr Miriam auf, »Man muss halt improvisieren, mit Händen und Füßen, diese ganze Reise – ach, verdammt!« Miriam schlug mit dem Handballen auf das Steuerrad, »Ich bringe dich zum nächsten Bahnhof und fahre nach Köln, Sommer am Rhein, Urlaub auf Balkonien. Mir wird schon ein anderes Thema für die Semesterarbeit einfallen. Sowieso besser so.«

»Spinnst du?«, Hanne glaubte es nicht. Eben blitzten noch Feuer und Flamme für Revolutionen und Bäuerinnen in Miriams Augen und jetzt wollte sie auf ihrem Kölner Balkon Tomaten pflanzen?

»Ich ziehe das Ende mit Schrecken diesem Eiertanz vor«, grummelte Miriam und wischte sich mit dem Handrücken eilig eine Träne von der Wange. »War alles anders geplant gewesen. Eigentlich hätte Sonja auf deinem Platz sitzen sollen. Die Frau, mit der du telefoniert hast, Schlafsack und Isomatte sind ja noch hintendrin. Wir haben uns vergangenen Sommer in Portugal auf einer Frauenreise kennengelernt. Sie war Reiseleiterin, sehr smart. Und sie spricht etwas Portugiesisch und wollte mir helfen.«

»Also, dann, ihr wart ein Paar?«, fragte Hanne leise.

»Waren wir eben nicht«, fuhr Miriam auf, »Ich war ihre Affäre! Ihre heimliche Geliebte! Wie jede scheißnormale Heteronummer. Wer sich nach sechs Wochen nicht getrennt hat, trennt sich nie, hat mir eine Freundin am Anfang gesagt. Dann wartest du dein Leben lang. Das gilt für Männer wie für Frauen.«

Miriam wischte sich links und rechts Tränen aus dem Gesicht, schnäuzte sich, »Und weißt du, was das dickste Ding ist? Sie hat die Kleinanzeige aufgegeben, sie! Wollte angeblich für uns eine Mitfahrerin organisieren, wegen der Kosten. Tatsächlich hat sie nur dafür gesorgt, dass ich auch ohne sie fahre. Heute Morgen hat sie sich verabschiedet. Ihre Freundin hätte angeblich alles über uns rausgekriegt und einen Nervenzusammenbruch hingelegt, sodass Sonja begriffen hat, wo sie hingehört. Bei mir könne man ja auch nie wissen, von wegen vielleicht doch hetero, bla, bla, bla … Nun ist Sonja wieder bei ihrer Trulla und feiert Verschwesterung oder was auch immer.«

Miriam fuhr auf einen Parkplatz und sprang aus dem Auto. Sie lehnte sich an den Kotflügel und blieb mit verschränkten Armen im Nieselregen stehen. Hanne öffnete die Tür, stieg aus und rief über das Dach, »Und weil Sonja dir freundlicherweise eine Mitfahrerin ins Auto gesetzt hatte, konntest du nicht einfach absagen?«.

Miriam nickte.

»Jetzt fährst du meinetwegen nach Portugal?«, Hanne musste lachen. Sie ging um den Wagen herum, rüttelte Miriam an der Schulter. »Echt? Meinetwegen?«

»Na ja, auch wegen der Bäuerinnen«, Miriam lächelte unter ihren Tränen.

»Also dann«, begann Hanne vorsichtig, »Ich spreche ein wenig Französisch. Vielleicht hilft das? Ich könnte dich begleiten.«

»Sicher?«

»Klar. Kein Problem.«

Claudes Gitarre und Rucksack lehnten am blauen Autobahnschild. Sie hielt den Daumen in den Hamburger Nieselregen und fragte sich, welche barmherzige Verirrung sie auf die Idee gebracht hatte, Krankenschwester zu werden. Sie, die singen wollte, vielleicht auch schauspielern, fotografieren, so etwas, aber doch bitte nicht im Schichtdienst Nachttöpfe leeren, Schnabeltassen reichen und all das Blut immer – Grundgütiger! Ihre besten Einsätze waren noch die Spät- und Nachtschichten gewesen. Von ihr hatten die Patienten zur Nachtruhe nicht nur bunte Becher mit allerlei Tabletten bekommen, sondern auf Wunsch auch – und zwar mit beachtlichem Erfolg – Schlaflieder: lieber was Romantisches, wie »Fever« von Elvis Presley, oder wehmütig wie Ella Fitzgerald, »Summertime – and the living is eeeeasy …«? Das war immer gut angekommen und hatte oft auch ihre eigene Laune gerettet. Das Beste an diesem Job war noch gewesen, dass er sie vor familiären Einsätzen als Kellnerin in Schwarz-Weiß im piefigen Lokal ihrer Eltern am Elbstrand bewahrt hatte. Schicht war Schicht und danach musste sie ausschlafen, da gab es nichts zu diskutieren.

Doch nachdem Claude mal wieder beim Blutzapfen ohnmächtig zusammengesackt war, erwachte sie auf der Liege im Schwesternzimmer mit einer glasklaren Entscheidung: Schluss damit. Das war nicht ihr Leben. Sie wollte singen. Und zwar nicht im Krankenhaus.

Deshalb stand Claude mit Rucksack und Gitarre an der Autobahnauffahrt, grobe Richtung Südfrankreich, Straßenmusikantin an der Côte d’Azur und vielleicht rüber nach Italia tingeln? Nach zehn Minuten hielt ein Typ im VW Polo – Osnabrück? Claude war weg.