Sommerkuss und Inselglück - Britta Blum - E-Book
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Sommerkuss und Inselglück E-Book

Britta Blum

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Beschreibung

Bereit, dein Herz zu verlieren? Der Sammelband »Sommerkuss und Inselglück« von Lena Lindberg, Marie Winter und Britta Blum als eBook bei dotbooks. Endlich ist der Sommer da: Die beste Zeit für einen Inselurlaub, für fruchtige Cocktails – und um sich zu verlieben! Iris, die gerade privat wie beruflich eine Pechsträhne hat, folgt ganz diesem Motto und macht sich nach Ibiza auf. Als sie dann durch Zufall auf der idyllischen Nachbarinsel Formentera landet und dort den charmanten Juan kennenlernt, merkt sie schon bald, dass sie trotz anfänglicher Zweifel genau da ist, wo sie sein sollte … Auch Janine, die ein Reisebüro leitet, verschlägt es auf die Insel: Sie lernt bei einem Termin auf Mallorca einen aufregenden Hotelbesitzer kennen, mit dem es gewaltig knistert. Und Lea? Die will einfach mal dem Familienchaos und ihren Exmännern entkommen, landet dann aber mit einem unerwarteten und ganz schön attraktiven Mitbewohner in ihrer Finca … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der Sammelband »Sommerkuss und Inselglück« enthält die Romane »Das Flüstern des Schicksals« von Lena Lindberg, »Das Leuchten deines Herzens« von Marie Winter und »Familienleben auf Freiersfüßen« von Britta Blum. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1010

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Über dieses Buch:

Endlich ist der Sommer da: Die beste Zeit für einen Inselurlaub, für fruchtige Cocktails – und um sich zu verlieben! Iris, die gerade privat wie beruflich eine Pechsträhne hat, folgt ganz diesem Motto und macht sich nach Ibiza auf. Als sie dann durch Zufall auf der idyllischen Nachbarinsel Formentera landet und dort den charmanten Juan kennenlernt, merkt sie schon bald, dass sie trotz anfänglicher Zweifel genau da ist, wo sie sein sollte … Auch Janine, die ein Reisebüro leitet, verschlägt es auf die Insel: Sie lernt bei einem Termin auf Mallorca einen aufregenden Hotelbesitzer kennen, mit dem es gewaltig knistert. Und Lea? Die will einfach mal dem Familienchaos und ihren Exmännern entkommen, landet dann aber mit einem unerwarteten und ganz schön attraktiven Mitbewohner in ihrer Finca …

Eine Übersicht über die Autorinnen finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Sammelband-Originalausgabe Juni 2022

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Cedric Weber, ViChizh, our_Vector, Kovop58

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-96655-783-2

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Sommerkuss und Inselglück

Drei Romane in einem eBook

dotbooks.

Lena LindbergDas Flüstern des Schicksals

Über Nacht steht Iris ohne Freund und ohne Job da. Sie braucht dringend einen Tapetenwechsel – was gäbe es da besseres als die Partyinsel Ibiza? Doch stattdessen landet sie auf der idyllisch-verschlafenen Nachbarinsel Formentera. Warum kommt ihr dort vieles so seltsam vertraut vor? Immer mehr beschleicht sie das Gefühl, dass auch die Einheimischen sie zu kennen glauben … Und was hat das alles mit Eva zu tun, der Frau, die in das einst so beliebte Hippie-Paradies auswandern wollte? Die Insel hält für beide Frauen Überraschungen bereit – und bringt ein altes Geheimnis ans Licht, von dem weder Iris noch Eva je etwas geahnt haben …

Für D. und L. N.

In großer Liebe.

Prolog

Mit dem zweiten Schlag der Kirchenuhr war sie wach. So wie immer. Sommer wie Winter, Jahr ein, Jahr aus. Schwester Augusta versuchte, durch die leicht geöffneten Gardinen in den gemauerten Innenhof zu blicken, doch egal wie sehr sie sich auch mühte, aus ihrer liegenden Position im Bett konnte sie nichts erkennen. Nicht nur ihr Rücken schmerzte, sondern heute war wieder einer dieser Tage, an denen sie das Gefühl hatte, jeden einzelnen Knochen ihres Körpers zu spüren. Es musste nachts geregnet haben, da war sie sich sicher. Die dampfige Luft in ihrem kleinen Zimmer, ihr leichtes Frösteln unter der wollenen Decke und ihre starken Schmerzen waren ganz eindeutige Anzeichen.

Sie schloss noch einmal ihre Augen und dachte an früher. An all die Jahre, in denen sie schon beim vierten Gongschlag fröhlich aus dem Bett gesprungen war, sich in Windeseile angezogen und mit einigen anderen Ordensschwestern aus Santa Clarita vor der Morgenandacht das Frühstück für alle vorbereitet hatte. Damals hatte sie jeden Tag als ein großes Geschenk empfunden. Ein Geschenk des Herrn, das dazu bestimmt war, Gutes zu tun und anderen zu helfen.

Heute war jeder neue Tag für sie nur noch eine Last. Seit ihrem ersten Schlaganfall vor zwei Jahren und der Lähmung danach war Schwester Augusta an ihr Bett oder den Rollstuhl gefesselt und war nun selbst die, die Hilfe benötigte. Beim Waschen, Anziehen, Essen, bei eigentlich fast allem.

Nachts, kurz bevor sie einschlief, fragte sie den Herrn in ihrem Schlafgebet seit vielen Monaten, warum er sie denn nicht endlich ganz zu sich hole, nachdem er ihr doch schon Beweglichkeit, Gesundheit, Lebenssinn und Mut genommen habe. Doch der Herr hatte ihr Flehen bis zum heutigen Tage nicht erhört und so waren die schönen Erinnerungen an die vergangenen Zeiten und die ein oder andere Andacht das einzige, was ihr heute noch geblieben war.

Das laute Klopfen an der schweren Holztür riss Schwester Augusta aus ihren trüben Gedanken. »Ja, bitte!«, versuchte sie, so laut sie nur konnte, zu rufen, doch auch ihre Stimme versagte an diesem Morgen fast vollständig. Trotzdem wurde die Tür nach ein paar Sekunden mit einem lauten Knarzen geöffnet und eine junge Novizin stand an ihrem Bett. »Schwester Augusta, guten Morgen! Es ist kurz nach fünf Uhr. Wie geht es Ihnen heute?«

»Nicht so gut«, flüsterte Augusta, doch die Novizin beugte sich nah genug über sie, um ihre Worte zu verstehen.

»Möchten Sie denn trotzdem die Morgenandacht besuchen?«

»Ja, das wäre sehr schön«, flüsterte Augusta.

»Na, dann wollen wir Sie schnell waschen, anziehen und in die Kapelle fahren.«

Keine Stunde später saß Schwester Augusta, bekleidet mit ihrem alten Habit und in ihrem Rollstuhl, zwischen den anderen Ordensschwestern in der kleinen Kapelle von Santa Clarita. Der junge Priester Adrián hielt die Messe und Augusta lauschte jedem seiner Worte bedächtig.

Adrián war erst seit wenigen Monaten in Santa Clarita, doch Augusta hatte ihn vom ersten Tag an in ihr Herz geschlossen. Denn obwohl er noch sehr jung war, predigte er eindringlich, anschaulich und bewegend. Und das gefiel Augusta. Heute wandte sich Adrián in seiner Predigt besonders an die ganz jungen Novizinnen, die erst vor einigen Wochen ins Kloster gekommen waren. Er machte ihnen noch einmal deutlich, wozu sie sich als Ordensschwestern würden verpflichten müssen: Zu absolutem Gehorsam, der Ehelosigkeit und der persönlichen Armut. »Glaubt nicht, eure Sünden blieben unentdeckt«, predigte er von seiner kleinen Kanzel hinunter. »Sicherlich, ihr mögt eure Mitschwestern oder eure Äbtissin bei Fehlverhalten eine Zeit lang täuschen können. Aber nicht Gott. Er sieht all eure Taten. Und er ist es auch, vor dem ihr euch eines Tages für euer Handeln rechtfertigen müsst. Aber Gott ist gnädig und wird euch eure Sünden vergeben.«

Da spürte Augusta es wieder. Einen leichten Stich in ihrer Brust. Und eine unbeschreibliche Last, die sich auf ihr Herz legte und ihr fast den Atem nahm. Es fiel ihr schwer, Priester Adriáns Worten noch zu folgen. In ihrem Kopf machte sich ein unbeschreibliches Rauschen breit, das nur noch einzelne Fragmente seiner Predigt in ihr Ohr ließ.

»…die sieben Todsünden… Habgier… Tag des Jüngsten Gerichts…«

Schwester Augusta hatte das Gefühl zu ersticken und spürte plötzlich einen Stich, scharf wie von einem Messer in ihrem Kopf. Dazu einen Knall in ihrem Trommelfell. Dann merkte sie, wie sie aus ihrem Rollstuhl rutschte und das Bewusstsein verlor.

»Der dritte Schlaganfall in nicht einmal zwei Jahren. Einige sind auch wirklich gestraft!«

»Ja, sie kann einem wirklich leidtun, die Arme. Wo sie doch selbst so viele Jahrzehnte nur Gutes getan hat. Aber da siehst du mal wieder: Keiner bleibt verschont, nicht mal die Nonnen.«

»Da hast du wohl Recht. Aber es scheint irgendwie, als klammere sie sich am Leben fest und könne nicht richtig loslassen. Mensch, andere in dem Alter haut’s doch schon beim ersten Schlag weg.«

»Ja, traurig. Schwester Marta, wir setzen zunächst die intravenöse Lyse- und Heparintherapie fort. Wenn sie noch einmal aufwachen sollte, geben Sie ihr Novalgin oder Tramadol, falls sie Schmerzen hat.«

Augusta hatte jedes Wort gehört. Auch wenn sie die Stimmen der Ärzte, die bei der Visite eben neben ihrem Bett gestanden hatten, nur wie durch einen Schleier wahrgenommen hatte. Als sie nun ihre Augenlider mit größter Mühe öffnete, sah sie, wo sie sich befand: In einem modernen Krankhaus. Sie lag allein in dem Zimmer und sie konnte ihren eigenen Herzschlag anhand des überlaut eingestellten Monitors mit seinem fürchterlichen Piepen genau hören. Sie versuchte, ihre Beine zu bewegen: vergeblich. Auch ihre Arme und Hände wollten ihr nicht mehr gehorchen. Sie atmete heftig und spürte, wie ihr Herz immer schneller schlug, was der piepsende Monitor sofort mit einem Alarm quittierte.

Eine junge Krankenschwester eilte in ihr Zimmer und beugte sich über sie. »Hallo? Sind Sie wach? Können Sie mich hören?«

Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete die Schwester ihr abwechselnd in beide Augen. Augusta nickte.

»Prima. Können Sie verstehen was ich sage? Dann antworten Sie mir bitte oder nicken Sie noch einmal.«

Augusta flüsterte ein leises »Ja«.

»Das ist sehr schön Señora. Haben Sie Schmerzen?«

Augusta flüsterte »Nein«.

»Haben Sie einen Wunsch? Soll ich Ihnen etwas bringen?«

»Den Priester.«

»Priester Adrián aus dem Kloster? Ja? Gut. Ich lasse ihn holen. Versuchen Sie, noch ein bisschen zu schlafen und Kräfte zu sammeln.«

»Schwester Augusta?« Sanft strich Adrián über Augustas Wange. »Sie wollten mich sehen? Ich bin jetzt da!«

Augusta erwachte und ein leichtes Strahlen wanderte über ihr Gesicht.

»Sie sind da. Endlich!« Ihre Stimme war zwar nicht laut, aber trotz ihrer Lähmungen recht verständlich.

»Ich bin sofort zu Ihnen geeilt, Schwester. Was kann ich für Sie tun? Wie geht es Ihnen?«

»Ich will sterben. Und kann doch nicht«, flüsterte Augusta. »Ich möchte«, sie machte eine lange Pause, »dass Sie mir noch einmal die Beichte abnehmen, bevor ich hoffentlich endlich vor Gott treten kann.«

Adrián setzte sich auf einen Stuhl neben ihr Bett, rutschte ganz nah an sie heran, nahm ihre Hand und sprach ebenfalls leise zu ihr: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Du hast gesündigt?«

»Ja«, flüsterte Augusta und machte wieder eine Pause, um zu Atem zu kommen. »Viel zu lange habe ich geschwiegen.« Wieder stockte ihre Stimme. »Ich habe Schreckliches getan und hoffe inständigst, der Herr möge mir vergeben.«

»Der Herr ist gnädig und wird dir verzeihen. Doch nun mein Kind, sage mir zunächst: Was hast du getan?«

Kapitel 1

1970

Eva war gerade dabei, eine hellblaue Mustang-Jeans mit weit ausgestelltem Bein zurück ins Regal zu räumen, als ihre Kollegin Claudia sie von hinten antippte: »Du sollst sofort zum Alten kommen. Er will dich sprechen. Ich würde mich beeilen. Er sah ziemlich wütend aus.«

»Was will er denn?«

»Keine Ahnung. Aber an deiner Stelle würde ich ihn nicht lange warten lassen.«

Eva atmete tief durch, denn sie hatte bereits eine Vorahnung, weswegen Herr Kaltenfluss, Inhaber des gleichnamigen Jeans-Fachgeschäftes »mit Tradition«, sie in sein Büro bestellt hatte. Auf dem Weg dorthin legte sie sich deshalb gedanklich schon einmal passende Worte der Entschuldigung bereit.

Aber ob ihm das reichte? Wohl nicht. Kaltenfluss war ein unangenehmer Zeitgenosse und ein ziemlich jähzorniger Chef. Oft schon hatte er sie oder ihre Kolleginnen wegen absoluter Lappalien angeschnauzt und Eva durchdrang schon jetzt das dumpfe Gefühl, dass er ihr die gestrige Aktion wohl nicht verzeihen würde.

Sie musste einfach an sein soziales Gewissen appellieren und zeitgleich ihre weiblichen Reize, die sie zweifelsohne besaß und denen Herr Kaltenfluss im Allgemeinen sehr aufgeschlossen gegenüber war, in Szene setzen.

Also legte Eva einen kurzen Zwischenstopp im Personalraum ein, um ihr Aussehen noch einmal kritisch zu überprüfen.

Sie blickte in den großen Wandspiegel, über den Kaltenfluss ein Schild hatte anbringen lassen: »So sieht Sie der Kunde«.

Eva war zufrieden mit dem, was die Kunden und auch sie selbst sahen. Ihr lilafarbener Mini-Rock war frisch gebügelt und saß am Po knackig. Ihre braunen Overknee-Stiefel mit den Plateauabsätzen waren ordentlich geputzt und die rosa Rüschenbluse mit den kleinen lila Kornblumen darauf betonte ihre schlanke Taille und ihren üppigen, aber festen Busen geradezu ideal. Der schwarze Kajalstift, mit dem sie ihre strahlenden blauen Augen umrandet hatte, war noch unverschmiert und mit dem blass rosafarbenen Lippenstift, den sie noch schnell aus der Häkeltasche in ihrem Spind fischte, zog sie auch noch einmal ihre Lippen nach. Dann tupfte sie sich ein paar Spritzer ihres derzeitigen Lieblingsparfums Janine D. hinter die Ohren und positionierte die Haarspange, auf der eine Blume appliziert war, noch einmal akkurat in ihrem langen, glatt geföhnten, blonden Haar. Sie schaute in den Spiegel und ließ ihren Blick über ihren Körper gleiten. Perfekt! Das musste Kaltenfluss einfach milde stimmen. Und wenn nicht? Eva überlegte, was sie nun noch tun könnte. Schnell knöpfte sie ihre Bluse auf, öffnete den Verschluss ihres BHs und warf diesen zusammen mit ihrer Häkeltasche zurück in ihren Spind. Das Scheppern des Wandlautsprechers riss sie aus ihren Gedanken. »Fräulein Mayrhuber bitte umgehend 100. Fräulein Mayrhuber bitte!«

Es war Kaltenfluss persönlich. Jetzt musste sie sich aber wirklich beeilen.

Der Chef saß hinter seinem schweren Mahagoni-Schreibtisch und sah sie ziemlich wütend an. »Grüß Gott, Herr Kaltenfluss! Sie wollten mich sprechen?«

»Da sind Sie ja endlich, Fräulein Mayrhuber. Setzen Sie sich. Warum hat das denn so lange gedauert?«

»Entschuldigung, ich war noch in einem Verkaufsgespräch mit einer Kundin und wollte diese natürlich nicht einfach so stehen lassen.«

Eva setzte sich auf den Besucherstuhl, dem Chef direkt gegenüber. Sie bemühte sich, dieses möglichst sexy zu tun. Überschlug ihre Beine, fuhr sich mit der Hand noch einmal kunstvoll durch ihr Haar und beugte sich schließlich so weit nach vorne, dass Herr Kaltenfluss den einen oder anderen Einblick in ihr Dekolleté musste erhaschen können. Ihr attraktives Aussehen, verteilt auf 175 Zentimeter, war jetzt ihre einzige, wenn nicht sogar letzte Chance. Das war ihr klar. »Fräulein Mayrhuber. Wie lange sind Sie nun schon bei uns?«

»So ungefähr ein halbes Jahr«, sagte Eva.

»Diese Zeit sollte Ihnen doch eigentlich gereicht haben, sich mit den Gegebenheiten unseres Hauses vertraut zu machen, oder?«

»Ja, schon.«

»Sie wissen, dass ich Ihnen damit, Sie sofort in den Verkauf zu lassen, eine sehr große Chance gegeben habe? Schließlich sind Sie eine ungelernte Kraft.«

»Ja, ich weiß.«

»Und bisher waren nicht nur Ihre Abteilungsleiterin Frau Schmidt, sondern auch ich immer zufrieden mit Ihren Leistungen. Sie haben sich schnell eingearbeitet, immer gut verkauft und waren bei Kunden und Kollegen äußerst beliebt. Aber mit dem, was gestern passiert ist, haben Sie mein Vertrauen in Sie maßlos enttäuscht.«

»Herr Kaltenfluss. Lassen Sie es mich bitte erklären.«

Eva berichtete ihrem Chef von der alleinerziehenden, arbeitslosen Mutter, die mit ihren drei Kindern in den Laden gekommen war. Die ihr dann ihr Leid geklagt hatte, über ihre düstere Situation ohne Mann, Job und Geld. Der Eva, weil sie ihr so leid tat, dann drei Kinderjeans zum Preis von einer gab, indem sie die Preisetiketten umgeklebt und so Neuware zu herabgesetzten Restposten umdeklariert hatte. Dummerweise hatte Brigitte Kaltenfluss, die Chefgattin, die sich um die Buchhaltung kümmerte und kurzzeitig die Kasse übernommen hatte, als die Kollegin eine kurze Pause machte, den Betrugsversuch sofort entdeckt.

 »Wie ich sehe, geben Sie den Verstoß zu. Sie wissen, was das heißt?«, fragte Kaltenfluss.

»Nein«, sagte Eva kleinlaut. »Es tut mir so leid. Aber ich wollte doch nur...«

Weiter kam sie nicht, denn Kaltenfluss fiel ihr direkt ins Wort. »Fräulein Mayrhuber! Wir sind doch hier nicht bei der Heilsarmee. Oder beim Roten Kreuz. Das geht so nicht. So leid es mir tut, ich muss Ihnen kündigen.«

»Aber ich habe doch nichts gestohlen.«

»Das vielleicht nicht, aber Sie haben uns hintergangen. Fräulein Mayrhuber, hier trennen sich unsere Wege. Sie werden das Haus sofort verlassen. Weil ich kein Unmensch bin, werde ich Ihnen den angebrochenen Monat bezahlen und damit hat es sich. Meine Frau wird Ihnen Ihre Unterlagen zuschicken.«

Eine halbe Stunde später hatte Eva bereits ihren Spind geräumt, sich von ihren geschockten Kolleginnen verabschiedet und schlich nun wie ein angeschossenes Reh durch die Kaufingerstraße, Münchens belebte Einkaufs-Fußgängerzone und dachte dabei über ihr verkorkstes Berufsleben nach.

Das war er nun gewesen. Ihr dritter Job in nicht einmal 12 Monaten. Jetzt musste sie also bei schönstem Wetter im Mai, statt gemütlich im Englischen Garten zu liegen, die neue Sommermode zu kaufen oder im Eiscafé zu sitzen, erst einmal wieder die Stellenanzeigen in der Abendzeitung lesen und wieder auf ihrer alten Schreibmaschine, auf der das »M« immer klemmte, Bewerbungsunterlagen tippen. Ihr graute davor. Vielleicht sollte sie es mal in einer ganz anderen Branche als dem Einzelhandel versuchen? Der hatte ihr ja weiß Gott irgendwie kein Glück gebracht. Im Hotelgewerbe? Sprachbegabt war sie. Englisch, Französisch und Spanisch konnte sie. Hätte sie bloß ihre blöde Fremdsprachenschule nach der Mittleren Reife fertig gemacht. Dann wäre sie heute bestimmt Sekretärin oder Übersetzerin und müsste sich nicht mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Aber die Lehrer waren einfach wirklich zu spießig gewesen. Und dann war vor zwei Jahren ja auch noch Alex auf einer Party in ihr Leben getreten. Sie hatten eine wilde Zeit gehabt. Viel gefeiert, viele Kurse und Vorlesungen geschwänzt. Er die Uni und sie ihre Fremdsprachenschule. Tagelang lagen sie nur im Bett. Bis Eva schließlich durch zwei große Prüfungen gerasselt war und das letzte Schuljahr komplett hätte wiederholen müssen. Doch dazu hatte sie beim besten Willen keine Lust gehabt.

Seitdem versuchte sie es in diversen Klamottenboutiquen, in einem Blumengeschäft und einer Bäckerei und hatte trotz den ganzen Jobwechseln eigentlich immer ganz ordentlich verdient. Zwar nicht die Welt, aber genug zum Leben, so dass es für sie keinen Grund gab, sich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen und dann wieder nur mit ein paar hundert Mark im Monat auskommen zu müssen. Zu sehr gefiel es ihr, sich ab und zu etwas zu gönnen. Ein paar Klamotten hier, eine Langspielplatte dort, ein teures Parfum….

Alex hingegen hatte sein Musikstudium trotz der verpassten Vorlesungen fast geschafft, alle Scheine beisammen und obwohl die Karriereaussichten für Studenten dieses Fachs eher mäßig waren, vor ein paar Wochen einen absoluten Treffer in Susis Tanzbar gelandet. Susis Tanzbar war ein übler Anmachschuppen für alleinstehende Mittvierziger in Schwabing, in dem Alex dreimal pro Woche abends auftrat. Eine Art Kontaktcafé mit Damenwahl. Ähnlich dem berühmten Café Keese auf der Hamburger Reeperbahn. Mit viel Plüsch und Kitsch, inklusive kleinen Tischtelefonen und großer Discokugel. Alex stand hier auf der Bühne, sang die aktuellen Schlager der Hitparade rauf und runter und begleitete sich dabei selbst am Keyboard oder ließ zu seinem Gesang ein Halbplayback mit der Musik vom Band laufen. Weniger, um sich künstlerisch zur verwirklichen, wie er immer sagte, sondern mehr, weil der Job recht gut bezahlt war und ihm die ein oder andere flirtwillige Dame gerne ein üppiges Trinkgeld zusteckte, wenn er mit seiner »wunderbar rauchigen und unverwechselbaren Stimme«, wie sie immer sagten, noch einmal »Dein schönstes Geschenk« von Roy Black oder »Du« von Peter Maffay für sie zum Besten gab.

Es war kein Wunder, dass Alex so gut bei den weiblichen Gästen ankam: Er war ein absoluter Frauentyp. 27 Jahre alt, 1,91 Meter groß, mit breiten Schultern und schmaler Taille. Dazu halblanges, dunkelbraunes Haar, braune Knopf-Augen und schlanke, aber doch männliche Hände. Auch Eva hatte sich vor gut zwei Jahren sofort in ihn verliebt, als er ihr von einer Freundin auf besagter Party vorgestellt wurde. Zunächst hatte sie gedacht, er sei Südländer, als er da so vor ihr stand, mit seinem dunklen Haar, dem dunklen Teint und dem rassigen Brusthaar, das sich seinen Weg aus seinem lässig aufgeknöpften Hemd bahnte. Doch Alex war ein original Münchner Kindl, genau wie sie.

Sie hatten geredet, getanzt und getrunken. Von allem ein bisschen zu viel. Und er roch so gut. Wenn der Spruch, man könne jemanden »gut riechen« stimmte, dann passte er zu 150 Prozent auf Alex. Eine herb-holzige Wolke mit einem Hauch Patschuli umgab ihn und Eva hätte ihn schon an diesem ersten Abend auffressen können.

Nach Verlassen der Party, auf dem Weg zu ihren Fahrrädern, hatten sie das erste Mal geknutscht. Eva konnte sich noch genau an diese leidenschaftlichen Küsse erinnern. Es waren Küsse, mit denen er sie sofort um den Verstand gebracht hatte. Kein Mann zuvor hatte sie einerseits so zärtlich und gleichzeitig so leidenschaftlich und fordernd geküsst. Sie war damals wie von Sinnen gewesen von ihm, den Küssen und dem Alkohol. Sie hatte ihn ohne Zögern in seine kleine Studentenbude begleitet, wo sie sich schon im Eingang die Klamotten vom Leib gerissen und anschließend die ganze Nacht stürmisch geliebt hatten.

»Danke Pharmaindustrie!«, hatte Eva am nächsten Morgen gedacht als sie eine Anti-Baby-Pille, die seit ein paar Jahren endlich auch in Deutschland erhältlich war, eingenommen hatte.

Seit damals waren sie zusammen. Sie und Alex. Das war etwas Großes, da waren sie sich sicher. Und so zogen sie schon nach ein paar Monaten zusammen in eine kleine Zweizimmerwohnung im bezahlbaren Stadtteil Giesing, die sie beide trotz ihres recht überschaubaren Einkommens sehr schick und gemütlich eingerichtet hatten.

Ein Manager der Plattenfirma Intercord hatte Alex nun angesprochen, da ihn sein Auftritt bei einem Besuch »absolut umgehauen hatte«, wie er sagte. Man bestellte ihn zu Probeaufnahmen in ein Tonstudio und allesamt waren danach vom Ergebnis und seinen Sangeskünsten äußerst angetan gewesen. Daraufhin bot man ihm einen Plattenvertrag an. Und dessen Details wollten die Manager heute mit ihm bei einem gemeinsamen Mittagessen im Paulaner Biergarten besprechen.

Eva blickte auf ihre Armbanduhr: Viertel nach Zwölf. Jetzt musste sie ihm die Daumen drücken, damit alles gut lief.

Eigentlich war ja alles klar. Es ging nur noch um ein paar nicht ganz unwichtige Faktoren, wie seine Gage zum Beispiel. Aber Alex hatte gemeint, dass die Manager von einer Vorauszahlung von mindestens 10.000 Mark gesprochen hätten.

Eva lief ein wohliger Schauer den Rücken hinunter. Vielleicht könnte sie ja ganz aufhören zu arbeiten. Das wäre doch dufte. Dann würde sie erst mal ganz gemütlich zuhause bleiben und sich in Ruhe darüber klar werden, was sie in Zukunft eigentlich machen wollte.

Vielleicht eine Ausbildung zur Heilpraktikerin? Oder doch noch mal zurück auf die Sprachenschule? Wenn Alex erst mal ein großer Popstar war, musste sie sich um ihre Zukunft eh keine Sorgen mehr machen.

»Begrüßen Sie mit mir in der ZDF-Hitparade: Alex Roth mit seinem neuesten Hit ‚Bleib bei mir’.«

Eva musste grinsen, als sie sich vorstellte, wie Dieter-Thomas Heck ihren Alex wohl anmoderieren würde und all ihre Freundinnen ihn im Fernsehen sähen. Mittendrin zwischen Roy Black und Peter Maffay. Sie selbst würde strahlend in der ersten Reihe sitzen und nach der Sendung die Fans mit Autogrammkarten versorgen. Alex auf Tourneen begleiten und ihm als Muse zur Seite stehen – ja, das wäre doch mal ein Job, der ihr gefallen würde.

Eva war inzwischen fast am Stachus angekommen, wo sie in die Tram-Bahn nach Hause steigen wollte. Doch vorher kaufte sie im Kaufhaus Oberpollinger für die letzten 31,30 Mark die sie aus ihrem Portemonnaie hervorkramte noch schnell eine Flasche Sekt, eine Packung Buttertoast, ein bisschen Heringssalat und ein paar Scheiben vom edlen Räucherlachs. Schließlich wollte sie trotz ihres blöden Rauswurfs den heutigen Abend mit Alex genießen und seinen Plattenvertrag gebührend feiern. Bepackt mit ihren gerade erworbenen Köstlichkeiten, die Eva in ihrer Häkeltasche verstaut hatte, bestieg sie die Straßenbahn. So konnte sie auch noch in Ruhe ein bisschen aufräumen, bevor Alex zurückkam. Sie wollte es sich und ihm so richtig gemütlich machen. Bei Kerzenlicht, Sekt und Räucherstäbchen.

Es war halb zwei, als Eva im Treppenhaus die Post aus ihrem Briefkasten fischte: drei nervige Rechnungen und eine Postkarte von einer Freundin aus Indien. Als sie ihre Wohnungstür aufschloss, wartete jedoch eine Überraschung auf sie. Alex saß nämlich entgegen aller Erwartungen nicht mehr mit den Plattenmanagern im Biergarten, sondern bereits auf dem braunen Cordsofa.

»Es ist aus. Es hat nicht geklappt. Ich bin draußen«, sagte er mit trauriger Stimme, noch bevor Eva selbst etwas sagen konnte.

Dann schwieg er. Genau wie sie.

»Meine Stimmfarbe passt angeblich doch nicht in ihr Programm«, sagte er nach einigen Minuten der Stille. »Sie wäre nicht unverwechselbar genug. Sie haben mich einfach abserviert. Und dafür habe ich letzte Woche meinen Job bei Susis gekündigt. Ich bin so wütend. Ich könnte morden!«

Eva ließ die Häkeltasche mit ihren Einkäufen auf den Boden fallen und setzte sich zu ihrem Freund aufs Sofa. »Ach Mensch. So ein Mist. Das kann doch alles nicht wahr sein! Können wir denn nicht auch mal ein bisschen Glück haben?« »Ja, echt alles eine große Scheiße. Aber immerhin haben wir noch deinen Job. So kommt wenigstens ein bisschen Geld in unsere Haushaltskasse«, sagte Alex.

»Leider nicht.« Eva machte eine Pause. »Den bin ich auch los. Ich wurde heute gefeuert.«

»Wie bitte?«

»Ja. Nur weil, weil ich…«, Eva stockte, denn in diesem Moment schnürte sich ihre Kehle zu und sie spürte, wie Tränen in ihren Augen aufstiegen. Alex zog sie an sich heran und tröstete sie. »Schatz, hör’ auf zu weinen. Das ist die ganze Sache doch nicht wert!«

»Aber was sollen wir denn jetzt bloß machen? Wir kommen doch so schon kaum mit unserem Geld hin«, schluchzte sie.

Alex zog seine Freundin fest an sich und küsste ihr Gesicht. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Die alle hier haben uns doch gar nicht verdient. Die können uns mal gern haben!« Er kraulte zärtlich ihren Hinterkopf. »Weißt du was? Ich habe gerade eine super fantastische Idee.«

»Ja?«, Eva schaute ihn fragend an.

»Wir hauen einfach ab von hier. Weg. Weit weg. Raus aus dem spießigen Bayern. Wir steigen aus! Ich weiß auch schon ganz genau, wohin wir gehen…«

Kapitel 2

Heute

»Hey, Ricardo! Bringst du mir bitte noch einen Aperol-Spritz? Für dich auch?«

Patrick nickte.

»Ricardo, mach zwei draus!«

Ricardo, ihr Lieblingskellner in der Münchner Tagesbar Cuore, machte sich auf den Weg hinter den Tresen und Patrick strahlte: »Komm, Iris-Schätzchen, du musst zugeben, der Mantel war wirklich ein Schnäppchen!«

Iris schüttelte ungläubig den Kopf: »Kein Mensch braucht einen Dolce&Gabbana-Wildledermantel für 2500 Euro.« »Doch, ich schon!«, erwiderte Patrick gespielt trotzig. »Ich habe ja auch keinen Mann, von dem ich mit so vielen schönen Dingen verwöhnt werde wie du!«

»Ach, hör auf. Die paar lächerlichen Geschenke und Blumen. Das macht Thorsten doch nur, weil er ein mega-schlechtes Gewissen hat.«

»Hat er?«, Patrick guckte überrascht.

»Aber hallo! Er ist es doch, der Tag und Nacht in der Redaktion abhängt und für unser Privatleben so gut wie null Zeit hat. Außerdem kennst du doch die nervige Situation: Wir können morgens nicht zusammen im Büro auftauchen und abends nie zusammen gehen, selbst wenn er mal früher fertig ist. Keine gemeinsamen Abendtermine. Nichts, Nada.« Iris machte eine Pause und seufzte tief. »Und trotzdem liebe ich ihn.«

»Meinst du denn wirklich, es hat immer noch keiner mitbekommen?«, Patrick blickte Iris skeptisch an. »Ich meine, so was kann man doch nicht ewig geheim halten. Eine unvorsichtige Berührung hier, ein Kuss dort, Sex im Kopierraum…«, er prustete los.

»Ach Mensch, du bist echt blöd! Du weißt genau, dass wir das nie machen würden, wenn andere auch noch im Büro sind. Nein, ich glaube wirklich nicht, dass es schon jemand mitbekommen hat. Außer meiner Kollegin Conny – und der habe ich es schließlich selbst erzählt. Es wäre ehrlich gesagt auch ein ganz schöner Mist, wenn das raus käme und das ganze Getratsche losginge. Bei dem verlästerten Klatschhaufen – ich mag überhaupt nicht dran denken…«

Seit über sechs Monaten waren sie jetzt ein Paar, Iris und ihr Chef Thorsten. Ein heimliches.

Als sie vor gut einem Jahr bei Stars & Co. angefangen hatte, wäre sie im Leben nicht auf die Idee gekommen, etwas mit einem ihrer Vorgesetzten anzufangen. »Never fuck the Company!«, so lautete ihre eiserne Devise und zwar seit sie ihre Brötchen selbst verdiente. Liebe im Büro führte doch immer nur zu blöden Komplikationen: Eifersüchteleien, ätzend große Dramen, Jobstress – Iris hatte um dieses Minenfeld immer ganz bewusst einen großen Bogen gemacht.

Dass Thorsten sie attraktiv fand, wusste sie zwar, hatte er ihr doch schon bei ihrem Vorstellungsgespräch Komplimente gemacht. Nicht nur für die Geschichten in ihrer Bewerbungsmappe, sondern auch für ihr Outfit.

Das hatte Iris zwar gewundert, denn mit ihren 1,69 Metern, ihren gefühlten 15 Kilo zu viel auf der Waage, ihrem ihrer Meinung nach viel zu großen Busen und ihren halblangen, braunen Haaren würde sie nun ganz bestimmt nicht als Germanys Next Topmodel durchgehen. Trotzdem hatte sie sich weiter nichts dabei gedacht. Und in den ersten Monaten bei Stars & Co. gab es auch keine weiteren Indizien dafür, dass Thorsten, den sie damals natürlich noch ganz offiziell Herrn Schnieder nannte, sich für sie interessierte.

Thorsten hingegen war eigentlich alles, was Frau sich von einem Mann wünschen konnte. Super attraktiv, charmant und ein wahrer Macher. Er war Chefredakteur von Deutschlands erfolgreichstem People-Magazin. Und dazu offensichtlich wohlhabend: Er fuhr einen dicken Porsche und bewohnte ein 250-Quadratmeter-Luxus-Loft im noblen Stadtteil Bogenhausen. Und er verstand es, Frauen auf gefühlte 1000 Arten um seinen Finger zu wickeln. Es gab keine Kollegin, war sie auch noch so unattraktiv oder unbegabt, der er nicht immer mal wieder etwas Nettes sagte. Und dazu war er einfach wahnsinnig gut aussehend: Blond, groß, braun gebrannt und mit lässigem Drei-Tage-Bart, breitschultrig, mit sexy verwuscheltem, leicht sonnengeblichenem Haar. Um es einfach zu sagen: Typ Robert Redford. In jung und knackig.

»Der ist ein unglaublicher Charmeur«, hatte ihre Kollegin Conny, mit der sie das Büro teilte, sie schon gleich an ihrem ersten Arbeitstag gewarnt. »Auf den waren schon alle hier scharf und haben ihn umgarnt, aber bisher hat sich noch jede die Zähne an ihm ausgebissen. Er flirtet, ist mega charmant und doch läuft irgendwie mit keiner wirklich was. Oder er macht es so geschickt, dass es keiner mitbekommt.«

»Vielleicht steht er nicht auf Frauen?«, vermutete Iris daraufhin. Doch das hielt Conny für total unwahrscheinlich: »Na ja, so genau weiß das hier zwar keiner. Theoretisch könnte es natürlich schon sein. Aber wenn es so ist, will man es dann wirklich wissen? Das ist doch wie mit all diesen Boybands oder hübschen Soap- und Telenovela-Darstellern. Angeblich alle hetero. Und natürlich Single.« Conny hatte gelacht. »Auf Veranstaltungen geht er jedenfalls immer allein. Und ein bisschen Hoffnung will man doch noch haben, oder nicht? Ich meine, so ein Typ als Lover – das wär’s doch!«

Iris hatte sich in den folgenden Tagen und Wochen schnell eingewöhnt in der neuen Redaktion und ihre Tätigkeit als Kino-Redakteurin machte ihr viel Spaß. Schon wenige Wochen nachdem ihre ersten Filmkritiken und Interviews bei Stars & Co. abgedruckt worden waren, hatte Thorsten sie zu sich gerufen, sie für ihre »großartige Arbeit« gelobt und ihr gleich eine kleine Gehaltserhöhung gegeben. Das war doch mal ein Chef!

Auch mit Conny, mit der sie ein Büro teilte, hatte Iris sich von Tag eins an gut verstanden. Die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach. Conny war bei Stars & Co. zuständig für die Musikthemen und eine absolute Expertin auf diesem Gebiet, genau wie Iris in Sachen Kino. Zusammen glichen sie einem perfekten Gespann. Iris durfte Conny auf Konzerte begleiten und sie selbst nahm Conny im Gegenzug auf Filmpremieren mit.

Ihr Job war glamourös – doch in Sachen Privatleben und Liebe lief nicht viel derzeit. Wenn sie nach einem anstrengenden Tag in der Redaktion nach Hause kam, hing Iris meist nur noch müde auf dem Sofa ab, telefonierte mit ein paar Freundinnen und zappte gelangweilt durchs Fernsehprogramm. Seit fast zwei Jahren war sie nun schon Single. Für wilde Aufrissabende in der Disco oder Bar fühlte sie sich mit ihren 38 Jahren inzwischen zu alt und die Männersuche per Internet war auch nicht wirklich die ihre. Genauso wenig wie flüchtige Affären oder Sexabenteuer. Ganz im Gegensatz zu ihrem besten und schwulen Freund Patrick, der – wenn er mal wieder sehr »liebesbedürftig« war, wie er es immer nannte – den ein oder anderen Partner für eine Nacht per Kontaktforum im Internet fand.

Doch eigentlich warteten sie beide auf die große Liebe. Die dazu auch gerne ein bisschen Geld mitbringen durfte. Sozusagen ihren »Brad Pitt auf dem Goldesel«, wie Patrick immer sagte.

Eines Freitags, Iris hatte für sich und Kollegin Conny für die Premierenfeier anlässlich eines neuen Streifens mit Hugh Grant Pressekarten besorgt, ließ Conny sie kurz vor Beginn der Party, bei der auch Hugh selbst zugegen sein sollte, per Anruf im Regen stehen. »Iris, ich habe ein spontanes Date mit dem Traummann überhaupt und kann nicht mitkommen. Er lädt mich ganz edel zum Essen ein – da konnte ich einfach nicht Nein sagen. Bist du jetzt böse?«

»Ist schon ok«, hatte Iris geantwortet und ganz genau gewusst, wer liebend gerne mal einen Live-Blick auf den smarten Hugh werfen wollen würde.

»Aber logo! Ich bin in einer halben Stunde bei dir!«, hatte Patrick begeistert ins Telefon geflötet.

Und so schritten die zwei, Iris ganz in Schwarz und Patrick von Kopf bis Fuß in Gucci, gemeinsam über den roten Premieren-Teppich. Seite an Seite mit den Münchener Promis und denen, die sich dafür hielten. Der Film war eher mäßig gewesen, die Party relativ öde und der smarte Hugh nach einem Anstandsglas Champagner längst wieder in Richtung Hotel inklusive intimer Privatparty entschwunden.

Und dennoch hielt der Abend eine nette Überraschung für Iris bereit. Als Patrick frischen Champagner an der Bar holte und sie einen kurzen Moment allein im Kinofoyer stand, tippte ihr plötzlich von hinten jemand auf die Schulter. Als sie sich umdrehte, stand ihr Chef vor ihr. »Hallo, Iris. Sind Sie ganz allein hier?«

Das was folgte, waren Minuten, Stunden, ach was, eine Nacht, die Iris niemals vergessen würde. Thorsten, Patrick und sie hatten bis in die frühen Morgenstunden geplaudert, getrunken und geflirtet. Thorsten total unverschämt und völlig unverblümt mit ihr und sie ein kleines bisschen auch mit ihm. Dieser Abend glich einem Feuerwerk, das sich entlud. Ja, sie hatte Ihren Chef immer schon attraktiv und charmant gefunden, so wie die meisten Kolleginnen in der Redaktion. Und doch hatte sie seit Wochen im Büro das Gefühl gehabt, dass er sie anders ansah, als am Anfang. Ein kurzer Blick hier, eine zufällige Berührung am Konferenztisch dort, ein scheinbar belangloser Talk in der Kaffeeküche. Iris wurde in den letzten Tagen das Gefühl nicht los, dass Thorsten nicht nur versuchte, ihre Sympathie für ihn zu checken, sondern sogar sich ihr zu nähern. Auffällig unauffällig. Und das elektrisierte sie von Tag zu Tag mehr. War es sein Aussehen oder seine Machtposition gewesen, die sie so anmachten? Oder die Tatsache, dass ihr vielleicht das gelingen könnte, was all ihre Kolleginnen vorher nicht geschafft hatten? Sich diesen Charmeur zu angeln? Iris wusste es nicht und versuchte, sich darüber klar zu werden, während Patrick mit Ben, dem persönlichen Friseur und Maskenbildner von Hugh Grant, den er am kalten Buffet zwischen Lachstartar und California-Sushi-Röllchen aufgegabelt hatte, ebenfalls auf Teufel komm raus flirtete.

Irgendwann, als die Vögel schon wieder zwitscherten, waren sie alle noch »auf einen letzten Absacker« ins P1, Münchens hippsten Disco-Club, gedüst.

Gegen 6 Uhr hatte Patrick völlig lull und lall eingewilligt, sich von Ben die »unglaublich stylishe Junior-Suite« und das »total überwältigende Frühstücksbuffet« im Hotel Bayrischer Hof zeigen zu lassen, während Iris, trotz Champagner in jeder Ader ihres Körpers noch absolut Herrin ihrer Taten, sich von Thorsten ganz brav zum Taxistand auf der gegenüberliegenden Straßenseite begleiten ließ. Sie wollte jetzt stark und ein anständiges Mädchen sein. Hatte sie beschlossen. Da konnte Thorsten so charming sein und ihr tief in die Augen blicken, wie er wollte. So. Basta.

»Das war ein ganz besonderer Abend. Du bist so unglaublich sexy«, hatte er ihr ins Ohr geflüstert, als er ihr die Taxitür geöffnet hatte. »Ich hoffe, wir wiederholen das ganz bald!«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, hatte er sie dann geküsst. Ganz selbstverständlich. Ganz direkt. Mit seinen unglaublich weichen und sinnlichen Lippen.

Iris war trotz ihrer guten Vorsätze hin und weg gewesen. Der Fußboden hatte sich gedreht – ob wegen des Champagners, des Kusses oder beidem zusammen, wusste sie später nicht mehr so genau – und sie war mit heftigstem Herzklopfen mit dem Taxi nach Hause, in ihre Wohnung gefahren.

Sie lag noch ewig wach. Denn alles drehte sich. Das Bett, ihr Kopf, ihre Gedanken. Noch immer hatte sie das Gefühl, den langen Kuss von Thorsten auf ihrem Mund spüren zu können und auch der Geruch seines würzigen Eau de Toilette haftete noch an ihr. Wie in einem Sinnesrausch war sie schließlich aber doch, völlig übermüdet, eingeschlafen.

Geweckt wurde sie wenige Stunden später vom Piepsen ihres Handys: Eine SMS von Thorsten, der sich bei Iris für den tollen Abend bedankte und sie zum Abendessen ins französische Restaurant »Chez Gabrielle« einlud. Iris rief sofort Patrick an und wenig später gingen sie die Geschehnisse der letzten Nacht auf Iris’ Sofa noch einmal minutiös durch. Iris hatte keine Geheimnisse vor Patrick, vertraute seinem Urteil in fast allen Fragen. Dass Patrick Männer liebte, so wie sie, aber gleichzeitig auch einer war, hatte sich schon mehrfach als sehr praktisch erwiesen. Denn obwohl Patrick eine extrem große Leidenschaft für Mode und alle schönen Dinge des Lebens hatte, so war er doch immer noch Manns genug, um zu wissen, wie die Herren der Schöpfung tickten und wie Frau die ein oder andere Handlungsweise der Kerle einzuordnen hatte. Selbst beim Thema Sex hatte Iris in den vielen Jahren ihrer Freundschaft schon einige nützliche Tipps von ihm bekommen.

Und an diesem Morgen mehr Details, als ihr, dank zu viel Champagners, schwer angeschlagener Magen vertragen konnte: »Ich habe keine Minute geschlafen«, erzählte Patrick aufgeregt über seine Erlebnisse mit Edelfrisör Ben. »Und das mega Buffet haben wir natürlich auch verpasst… Er ist ja sooooooo niedlich! Findest du nicht? Er hat mich übrigens eingeladen, ihn in London zu besuchen. Dann will er mir auch mal einen ganz neuen Look verpassen, hat er gesagt. Mein Blond sei total yesterday. Ich solle mein Haar lieber dunkel und kürzer tragen. Würden David und Vicky Beckham schließlich auch immer mal wieder tun. Was meinst du?«

»Das kann schon sein, dass dir das gut steht. Wenn du aussehen willst wie der einfältige Kicker.«

»Entschuldige mal! Wer würde das denn nicht wollen? Aber nun berichte du erst mal von deinem Thorsten!«

Iris erzählte ausführlich. Von Thorstens Charme-Attacken, ihren guten Vorsätzen, auch von dem Kuss, der sie schließlich trotz allem so sehr aus der Bahn geworfen hatte. »Weißt du, wenn er mich anguckt, so richtig, dann geht mir das durch Mark und Bein. Das hatte ich echt ewig nicht, dieses Gefühl. Ich würde mich am liebsten sofort nackt auf ihn stürzen. Ich glaube, ich bin eine Schlampe.«

Aber Patrick hatte Iris Zweifel, ob ihrer plötzlich entfachten Verknalltheit und ob sie sich wirklich auf ihren Chef einlassen sollte, ganz schnell ausgeräumt: »Wenn du ihn dir nicht schnappst, tut es eine andere! Hallo? Ich meine der Typ ist smart, sexy, sieht super aus und hat weder Frau noch Kinder, oder? Go with the flow! Lass es einfach laufen. Du musst ihn ja nicht morgen heiraten und übermorgen schwanger werden!«

Und so hatte Iris ein paar Stunden später tatsächlich mit dem Objekt ihrer Begierde bei Kerzenschein im Chez Gabrielle gesessen.

Über ein halbes Jahr war das alles nun her. Das erste Date, das erste Dinner, die erste gemeinsame Nacht. Iris ließ die letzten Monate gedanklich noch einmal Revue passieren, während Ricardo mit ihren Drinks und einer kleinen Schale Oliven an ihren Tisch kam.

»Na, ihr beiden Hübschen, was habt ihr heute noch vor?«, fragte er grinsend.

»Ich weiß gar nicht«, antwortete Iris und blickte Patrick fragend an. »Was haben wir denn noch vor?«

»Auf große Action habe ich eigentlich keine Lust mehr. Ich muss Ben morgen schon um viertel nach acht vom Flughafen abholen. Wir könnten uns eine DVD ausleihen, ein bisschen bei mir auf dem Sofa abhängen und dazu schweinische Dinge wie Ben&Jerry’s-Eis und Pringles essen?«

»Gute Idee!«, fand auch Iris. »Ich bin total groggy von der Woche. Zu mehr bin ich heute auch nicht mehr imstande.«

Für sie und Patrick war die Kinopremiere vor ein paar Monaten zu einer Art Schicksalsnacht geworden. Denn obwohl Iris es nicht für wahrscheinlich hielt, hatte sich Patricks vermeintlicher One-Night-Stand Ben ein paar Tage später tatsächlich noch einmal bei ihm gemeldet. Sie hatten daraufhin immer öfter miteinander telefoniert und ein paar Wochen später war Patrick tatsächlich spontan nach London geflogen, um ihn zu sehen. An der Themse hatte er dann nicht nur einige Zentimeter seines Haares und die blonde Farbe, sondern auch sein Herz verloren. Obwohl er, als jahrelang erprobter Dauersingle, das natürlich nicht so ganz zugeben wollte. »Ach Blödsinn. Das ist nur eine kleine, internationale Affäre. Ganz unverbindlich. Wir gucken mal, wie lange es überhaupt gut geht…«, hatte er Iris von Anfang an gegenüber immer wieder betont. Doch dafür, dass es nur »ganz unverbindlich« sein sollte, sahen sich die beiden doch recht regelmäßig, wie Iris in den letzten Monaten festgestellt hatte. Patrick und Ben telefonierten mehrmals am Tag miteinander, mit ihren iPhones schrieben sie sich ständig verliebte Nachrichten und fast jedes Wochenende sahen sie sich. Entweder weil Ben, so wie an diesem Wochenende, Patrick hier in München besuchte, oder weil Patrick zu Ben nach England flog. Finanziell für die beiden kein Problem: Ben unterhielt im Stadtteil Chelsea seinen gut laufenden Promi-Friseursalon, in dem neben Hugh Grant auch die Beckhams, so sie denn mal wieder in London auftauchten, diverse Pop- und Fernseh-Sternchen und sogar Englands Top-Politiker einliefen. Und Patrick verdiente als Chefdesigner beim angesagten Modelabel Lou Lou Lex so unverschämt viel, dass Iris schon einige Male überlegt hatte, warum sie nicht auch längst in die Mode-Branche gewechselt war.

»Ben hat mich übrigens was gefragt«, erklärte Patrick auf dem Weg zum DVD-Verleih. Er blieb stehen, blickte in Iris’ Augen und setzte einen höchst dramatischen Gesichtsausdruck auf.

»Was denn?«, fragte Iris.

»Ob ich ganz zu ihm nach London ziehe.«

Kapitel 3

1970

»Mann, ist das hier eine Hitze!«, Eva wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich bin jetzt schon völlig erledigt!«

»An die Wärme solltest du dich besser ganz schnell gewöhnen«, sagte Alex, der trotz des üppigen Mittagessens, das sie gerade an Bord serviert bekommen hatten, ziemlich fit wirkte und dem auch die knapp drei Stunden Flugzeit offensichtlich nichts ausgemacht hatten. »Schließlich ist das hier unser neues Zuhause!«

Eva und Alex standen auf der Treppe, die von ihrem Spantax-Flieger auf das Rollfeld führte, wo Busse bereits auf die ankommenden Touristen warteten. »Und wie lange brauchen wir noch? Ich kann nicht mehr«, jammerte Eva.

»Nicht mehr so lang, Schatz, entspann dich! Sobald wir das Gepäck haben, fahren wir mit einem Taxi zum Hafen, das soll so ungefähr eine halbe Stunde dauern und dann geht’s weiter mit dem Schiff. Keine zwei Stunden später sind wir da...«

»Und du bist dir sicher, dass Toni dort auf uns wartet?«

»Aber klar! Er holt uns vom Hafen ab und bringt uns zum Haus.«

Nach ihrem unrühmlichen Ende bei Jeans Kaltenfluss und seiner Zwangspause in Sachen Musikkarriere war alles ganz schnell gegangen: Alex und Eva hatten ihre Wohnung aufgegeben, Evas’ Freundin und Ex-Kollegin Claudia, die gerade zusammen mit ihrem Freund auf Wohnungssuche war, hatte dankbar sofort ihr Reich in München Giesing übernommen. Sie hatten auch die meisten ihrer Möbel an die beiden verkauft und in den folgenden Tagen alles zu Geld gemacht, was nur irgendwie flüssig zu machen war. Alex hatte zwei Gitarren und sein heiß geliebtes Keyboard an ein Musikgeschäft verscherbelt. Eva den wertvollen Erbschmuck ihrer Großtante in ein Pfandleihhaus getragen und fast ihre gesamten Klamotten – inklusive zwölf Paar Jeans in sämtlichen Schnittvarianten – in einen Secondhand-Shop gebracht. So hatten sie knapp 1000 Mark zusammen bekommen.

Genug für die Flugtickets und ein bisschen Startkapital in ihr neues Leben, das keine Woche nach Evas’ Rauswurf nun tatsächlich beginnen sollte. »Ihr braucht hier in Spanien nicht viel Geld«, hatte Toni, ein alter Studienfreund von Alex, die beiden beruhigt. »Ihr habt die Sonne, das Meer, die unvergleichliche Natur, ein Dach über dem Kopf und ein völlig neues Leben. Dazu braucht ihr kaum Peseten. Geld ist doch eh der Untergang der Gesellschaft. Dieser ganze Konsum, Kommerz und Kapitalismus. Davon müsst ihr euch ganz schnell befreien. Klaro?«

Und das wollten Eva und Alex ja. Sich ganz schnell befreien. Von ihrem alten Leben, vom schlechten Karma in München und von all dem hässlichen und immer andauernden Streben nach Besitz. Einfach noch einmal ganz neu starten. Das Erlebte reflektieren und dabei wieder zu sich selbst finden. Seele und Körper sollten nun endlich wieder eine Einheit bilden. Das war es, das sie beide nun mehr als alles andere wollten. Und dabei einfach nur noch in den Tag hinein leben...

Toni hatte die beiden Münchner bei der Planung ihrer Auswanderung tatkräftig unterstützt. Zum Glück hatte Eva die Postkarte, die er den beiden vor ein paar Wochen geschrieben hatte, wiedergefunden. Auf die hatte Toni neben Begeisterungsstürmen über sein neues Leben unter Spaniens Sonne auch die Telefonnummer der Tapas-Bar geschrieben, in der er seit ein paar Wochen gelegentlich aushalf. Nur so hatte Alex ihn überhaupt erreichen können, denn eine wirklich feste Adresse schien auf dieser ominösen Insel kaum einer zu haben, geschweige denn einen Telefonanschluss. »Du, das ist hier nicht so spießig wie in Deutschland«, hatte Toni gesagt. »Mal ist man hier, mal dort. Irgendwas zum Schlafen findet man immer und wenn es unter dem sternenklaren Himmel am Strand ist. Herrlich! Ich nutze mein kleines Zimmer hinter der Tapas Bar eigentlich fast nie.«

Da Eva und Alex aber nicht so ganz komplett ins Blaue starten wollten, hatte Toni versprochen, sich nach einer festen Bleibe für die beiden umzuhören. Bereits zwei Tage später hatte er sich mit der freudigen Nachricht zurückgemeldet, dass er etwas gefunden habe. »In einer alten Finca, ganz idyllisch gelegen.«

Dort seien gerade zwei Schweden ausgezogen und deren Zimmer könnten sie nun haben. Ganz billig und vor allem ganz ruhig.

Da standen sie nun am Gepäckband des kleinen Flughafens und warteten auf die zwei großen Koffer – den gesamten Besitz, der ihnen nach dem Ausverkauf ihres alten Lebens geblieben war.

Eine halbe Stunde später saßen Eva und Alex im Taxi auf dem Weg zum Hafen. Der Fahrer rauchte Kette und beplauderte sie ohne Unterlass. Eva, die sich wunderte, wie gut sie immer noch Spanisch sprechen und vor allem verstehen konnte, sagte höflicherweise alle paar Minuten »Si«. Mal bejahend, mal fragend und auch mal antwortend, weil sie einfach zu erschöpft für ein längeres Gespräch war.

Im Hafen angekommen, löste Alex die Fährtickets in der Hafenmeisterei. Zum Glück war ihnen am Flughafen Riem in München noch eingefallen, ein paar Mark gegen Peseten einzutauschen. »Das Schiff da hinten rechts, die Joven Dolores!«, wies ihnen der freundliche alte Spanier, der ihnen die Tickets verkauft hatte, den Weg.

»Da ganz hinten? Herrje. Schon wieder gehen…«, maulte Eva.

Schnaufend schleppten die beiden Auswanderer ihre schweren Koffer die Hafenmole entlang. Hier und dort hatten Händler Holzstände voller Linsen, Trockenfrüchte und frischem Fisch aufgebaut. Die Sonne brannte vom blauen, wolkenfreien Himmel. Eva und Alex stand der Schweiß auf der Stirn. »Wie kriegen wir bloß die Koffer vom Hafen zum Haus?« fragte Eva sich jetzt schon.

»Och, da wird sich schon was finden. Bestimmt hat Toni eine Idee. Er weiß ja, dass wir mit dem 15-Uhr-Schiff kommen«, erwiderte Alex sehr gelassen.

Endlich waren sie bei der Joven Dolores angekommen. Am Ende des kleinen Klappstegs, der an Bord führte, erwartete sie bereits ein – wie Eva fand – netter und äußerst attraktiver Matrose, der ihnen nicht nur die Tickets, sondern auch die schweren Koffer abnahm.

Auf dem Oberdeck hatten sich bereits jede Menge Passagiere versammelt. Es war eine bunte Mischung aus Hippies, Familien mit kleinen Kindern und Einheimischen, von denen die meisten Frauen trotz der großen Hitze lange, dunkle Röcke, hochgeschlossene Blusen und schwarze Kopftücher trugen.

»Dass die sich nicht tot schwitzen und umkippen bei den Temperaturen«, sagte Eva. »Das ist echt ein Wunder!«

Sie selbst trug kurze Jeansshorts, ein T-Shirt mit psychedelischen Mustern und dazu braune Ledersandalen. »Aber die lustigen Strohhüte mit dem schwarzen Band drum, die die alten Damen hier über ihren Kopftüchern tragen, gefallen mir. So einen will ich auch. Nun guck doch mal, Alex!«

Doch Alex schien sich weniger für die Modetrends der Insulaner, sondern mehr für seine Banknachbarn zu interessieren, mit denen er schon ins Gespräch gekommen war. »Eva, das sind Jeffrey und Christine. Stell dir vor, sie sind aus San Francisco hierhergekommen!«

Eva machte sich mit den Amerikanern bekannt. Auch Jeffrey und Christine wollten aussteigen, genau wie sie! »Aber woher kanntet ihr diese Insel in Amerika?« fragte Eva verwundert.

»Die ist gerade total trendy«, erklärte Jeffrey. »Alle reden drüber! Besonders bei uns in Kalifornien. Sogar Bob Dylan und King Crimson waren schon hier. Wusstet ihr das nicht?«

Tatsächlich schien der Ruf der Insel als Hippie-Mekka längst über die Grenzen von Europa hinweg geschwappt zu sein. Spanier, Skandinavier, Deutsche und Amerikaner starteten hier ein neues Leben. Jeffrey und Christine bestätigten ihnen, dass es so etwas Tolles wie diese Insel in ganz Nord- und Südamerika nicht gebe. »Siehste, Eva. Wir haben alles richtig gemacht!«, freute sich Alex.

Nachdem der Kapitän dreimal getutet hatte, ging es los und die kleine Fähre verließ gemütlich tuckernd die Hafenbucht. Doch schon nach ein paar Minuten gestaltete sich die Überfahrt wesentlich ungemütlicher: Der eben noch blaue Himmel zog sich zu, ein kräftiger Wind ließ die Wellen gegen den Bug der kleinen Fähre spritzen. Teilweise so stark, dass die Passagiere, die in den ersten Reihen auf dem Oberdeck saßen, ganz nass wurden. Doch das schien diesen offenbar nichts auszumachen, denn sie juchzten und quietschten vergnügt bei jeder Welle, die über Bord platschte.

Eva war dagegen gar nicht zum Quietschen zumute. Das Flugzeugessen hatte anscheinend nicht vor, die Reise mit ihr fortzusetzen.

Noch ehe sie überlegen konnte, ob es an Bord der Fähre wohl auch eine Toilette gebe, spürte sie das Unheil in sich aufsteigen. Eva sprang auf, sprintete los und schaffte es gerade noch zur Reling auf dem hinteren Oberdeck. In einem riesigen Schwall erbrach sie sich ins Meer.

Sie fühlte sich hundeelend. Der Matrose, der ihr vorhin die Koffer abgenommen hatte und gerade eine Zigarette rauchend an der Reling stand, nahm sich ihrer an. »Geht es Ihnen nicht gut, Señora? Keine Angst, wir sind bald da!«

»Danke, es geht schon wieder.« Eva war die Situation entsetzlich peinlich. Doch der Matrose beruhigte sie mit tröstenden Worten: »Der Wind ist heute sehr stark«, sagte er mit sonorer Stimme, »wer das nicht so gut kennt, bekommt schnell Probleme mit dem Magen. Warten Sie hier, ich bringe Ihnen etwas, das Ihnen helfen wird!«

Er verschwand und kehrte keine zwei Minuten später mit einem kleinen Glas mit bräunlichem Inhalt zurück. »Trinken Sie das! Das wird Ihnen gut tun.«

»Äh, was ist denn das?«

»Hierbas mit Cognac.«

»Hierbas?«

»Ja. Ein Kräuterschnaps, den wir hier selber brauen. Der macht kaputte Mägen ganz schnell wieder heil. Sie werden sehen.«

Eva nippte an dem Glas. »Uih. Das ist aber sehr stark, oder?«

»Ja. Aber auch sehr gut! Trinken Sie alles auf einmal. Los!« Eva hielt die Luft an, atmete tief durch und trank das Glas in einem Zug leer.

»Sehr gut!«, lobte der Matrose. »Ich heiße übrigens Javier.« »Und ich bin die Eva. Danke, Javier, für den Schnaps!«

Eva spürte das teuflische Gesöff wie einen warmen Fluss erst ihre Speiseröhre und dann ihren Magen hinunterlaufen. »Es ist wirklich schon besser, danke.«

»Wenn Sie noch einen brauchen, lassen Sie es mich wissen, ok?«

»Ja, danke. Das mache ich.«

Schnaps und frischer Fahrtwind hatten Eva tatsächlich gut getan und ihr Magen beruhigte sich langsam wieder. Sie ging zurück zu Alex, der sich inzwischen mit Christine und Jeffrey einer anderen Gruppe Hippies angeschlossen hatte, die gerade einen großen Joint kreisen ließen. »Schatz, wo warst du denn?«, fragte Alex, der offensichtlich schon ein paar Mal mehr an der fetten Hasch-Zigarette gezogen hatte, wie seine großen, glasigen Augen verrieten.

»Ach, ich habe nur mal kurz ein bisschen Luft geschnappt und mir das Boot angeschaut«, log Eva, die vor ihm auf keinen Fall ihren kleinen »Aussetzer« zugeben wollte. »Hier, willst du auch einen Zug?« Alex hielt ihr den Joint im Großformat vor die Nase.

»Nein, danke. Mir ist schon schlecht.«

»Mensch, Eva, nun sei doch keine Spielverderberin! Das macht man hier so!«

Ein wenig später sah Eva, die im Gegensatz zu Alex lieber aufs Meer guckte anstatt in die müden Gesichter der Hippies, am Horizont langsam ihre neue Heimat auf sie zukommen. Die kleine Insel lag flach und friedlich vor ihnen. Das erste das Eva sah, waren lange, weiße Strände und ein paar Dünen. Die Sonne hatte sich inzwischen wieder ihren Weg durch die Wolken gebahnt und ließ das Meer in hellem Türkis erstrahlen. Eva fühlte sich durch den Flug und ihr unschönes Spuck-Erlebnis immer noch ein wenig schmuddelig und wäre am liebsten mit einem Köpfer ins kühle Nass gesprungen.

Die Joven Dolores verlangsamte ihre Fahrt. »Nun guck doch mal! So schön! Alex!«, rief Eva. Doch ihr Freund war offensichtlich zu sehr mit seinen neuen Freunden inklusive Joint beschäftigt.

Das Schiff tuckerte inzwischen so nah am Strand entlang, dass Eva genauer sehen konnte, was sie doch zunächst nur für eine optische Täuschung gehalten hatte: Alle Menschen, die dort lagen oder sich ins Meer stürzten, waren nackt. Ob das der FKK-Strand war? Offensichtlich… Eva schmunzelte. Darum war die Insel wohl gerade bei Hippies so beliebt. Freies Leben, freie Meinung, freie Liebe – und freie Körper.

Die Joven Dolores fuhr einen großen Bogen, ließ die weitläufigen Strände hinter sich und bog in einer großen Kurve in eine Art Lagune ein, von schmalen Mauern und einer langen Mole gesäumt, an deren Ende sich ein kleines Leuchtfeuer befand. Der Hafen der Insel, beziehungsweise das Häflein, wie Eva feststellte. Denn außer ein paar Fischerboten, ein paar Anglern, die auf der Mole standen und auf den großen Fang warteten, hielt sich das Treiben hier doch ziemlich in Grenzen. Erst als das kleine Schiff nach erneutem Tuten am Kai festmachte und Matrosen es vertäuten, stellte sich rund um das kleine, weiße Gebäude in dem der Hafenmeister saß, eine Art von Leben ein. Ein paar Motorräder knatterten heran, einige Radfahrer versammelten sich direkt an der Anlegestelle und auch ein staubiger Bus kam mit quietschenden Reifen auf dem kleinen Parkplatz zum Stehen, der sich neben der Hafenmeisterei befand.

Auch die Hippies und Alex erhoben sich schließlich, nachdem bereits alle anderen von Bord gegangen waren und man ging auseinander, aber nicht ohne sich vorher umarmt und versichert zu haben, dass man sich doch bald in der Fonda wieder sehen wolle, um dort weiter zu machen, wo sie soeben leider aufhören mussten.

Alex’ Pupillen waren weit aufgerissen, als er Eva in den Arm nahm und er roch aus jeder Pore nach den Unmengen von Gras, die er soeben inhaliert hatte. »So hatte ich mir unsere Ankunft eigentlich nicht vorgestellt.«, meckerte Eva.

»Ach, Baby, nun mach dich mal locker. Das bisschen Gras. Das gehört hier einfach dazu. Hast du Haschisch in den Taschen, hast du immer was zu naschen.«

»Ja, schön. Nun lass uns endlich von Bord gehen. Nicht, dass noch jemand mit unseren Koffern abhaut.«

»Oh Mann, Eva. Du bist so eine olle Spießerin! Denkst du, hier klaut dir jemand deine Miniröcke?«

Die beiden gingen über die schmale Gangway an Land, wo inzwischen das ganz große Chaos ausgebrochen war. Kinder heulten, schrien nach ihren Müttern und die wiederum nach ihren Kindern. Väter versuchten, in den riesigen Bergen aus Kartons, Kisten und Koffern ihr Gepäck zu finden, die Matrosen der Joven Dolores, offensichtlich heillos überfordert, mittendrin. Jeder wühlte, kramte, schimpfte vor sich hin. »Siehst du Toni schon irgendwo?«, fragte Eva, während auch sie vergeblich versuchte, in dem heillosen Chaos ihre Lederkoffer zu finden. »Ich schau mal«, sagte Alex und verschwand im Gewühl.

»Señora! Ihre Koffer habe ich dort hinten hin gestellt«.

Es war Javier, der Eva auf die Schulter tippte und den entscheidenden Tipp gab.

»Oh, danke! Sehr lieb!«

»No Problema. Dafür sind wir doch da!«, sagte Javier und strahlte sie dabei aus seinen großen, braunen Augen an. »Ich wünsche Ihnen viel Spaß und hoffe, dass wir uns bald wiedersehen!«

»Ja, das hoffe ich auch«, sagte Eva und spürte, wie sie dabei leicht errötete.

»Wo treffe ich Sie auf der Insel?«, fragte Javier.

»Tja, wenn ich das selbst so genau wüsste. Keine Ahnung. Ich weiß noch nicht genau, wo wir wohnen werden.«

»Nun ja. Es wird Ihnen bestimmt gefallen. Sie werden sehen. Vielleicht sehen wir uns ja mal in der Fonda?«

»Der Fonda?«, Eva wusste nicht, was Javier meinte.

»Ja, die Fonda. Fragen Sie einfach danach. Jeder kennt auch Pepe, den Besitzer.«

»Ja, das werde ich tun!«

»Und ansonsten wissen Sie ja, wo Sie mich finden, Eva«, sagte Javier. »Wenn Sie einmal Hilfe brauchen, ich bin immer für Sie da! Und einen Hierbas bekommen Sie hier auch. Aber das wissen Sie ja bereits.«

Eva war ihr Aussetzer noch immer peinlich und sie wurde noch röter. »Äh ja, danke, Javier!«

Er stand ganz nah neben ihr und sie konnte seine Männlichkeit förmlich riechen. Ein betörender Mix aus Sonne, Meer und Patschuli, das sie so liebte.

Der Duft ging ihr durch Mark und Bein. Javier legte seinen Arm um ihre Schulter. »Javier, ich bin hier mit meinem…« Eva kam nicht weiter, denn Alex, der inzwischen zurück war und sie von hinten anstupste, unterbrach sie.

»Ich habe Toni gefunden. Er steht da hinten. Los, komm. Hast du die Koffer?«

»Ja, habe ich!«

Javier hatte, als Alex zurückkam, ganz spanischer Gentleman sofort seinen Arm von ihrer Schulter genommen und einen Schritt zurück gemacht.

»Eva, komm jetzt endlich! Ich nehme schon mal die Koffer.«

Voller Energie griff sich Alex die beiden Gepäckstücke und kämpfte sich Richtung Hafenmeisterei durch. »Los jetzt!«

Eva blieb zögernd zurück und drehte sich noch einmal um: »Adios, Javier!«

»Adios, Eva! Noch eine Frage? Wie lange bleiben Sie?«

Eva lächelte. »Für immer!«

Kapitel 4

Heute

Das war wieder ganz typisch für sie. Montag war einfach nicht ihr Wochentag, fand Iris. Nach einem völlig unspektakulären Wochenende kam sie heute nicht richtig auf Trab. Eigentlich komisch. Hätte sie jetzt wild durchgefeiert oder die Nächte mit Thorsten durchgeliebt, wäre ihr Montag-Morgen-Blues verständlich gewesen. Aber so?

Thorsten hatte sie seit Freitagvormittag in der Redaktion nicht mehr gesehen. Er war am Wochenende auf einem Führungskräfteseminar in Köln gewesen. »Mit 24 Stunden Referenten-Terror und Dauerbespaßung«, wie er Iris am Freitag erzählte.

Das Seminar fand am Rhein statt, da B&B-Media, der Verlag zu dem auch Stars & Co. in München gehörte, dort seinen Stammsitz hatte. Thorsten musste relativ oft an Wochenenden auf derartige Seminare und Workshops, da dem Medienkonzern gerade an der »ständigen Weiterbildung« seiner Führungskräfte sehr gelegen sei, wie Thorsten ihr einmal erklärt hatte. Dass Iris ihren Liebsten aus bekannten Gründen nicht auf solche Trips begleiten konnte, war klar. Und so waren die romantischen Wochenenden, die sie in den letzten Monaten ganz für sich allein gehabt hatten, recht überschaubar gewesen. Ja, wenn sie zusammen waren, war es immer ein Traum. Sie gingen schick Essen, Thorsten verwöhnte sie mit kleinen Liebesdiensten und Geschenken und sie hatten wirklich guten Sex. Aber die Zeit, die sie miteinander verbrachten, war einfach zu wenig gewesen in letzter Zeit. Immer wieder hatten Job-Meetings, Tagungen und seine Auslandsreisen ihnen einen Strich durch ihr Liebesleben gemacht.

Genervt kurvte Iris über den wieder einmal übervollen Mittleren Ring, die Hauptverkehrsader, die sich wie ein neuralgischer Dauer-Stau durch München schlängelte. Sie blickte auf die Uhr: 9.17 Uhr. Seit gut einer Viertelstunde sollte sie eigentlich an ihrem Schreibtisch sitzen. Doch von dem war sie noch kilometerweit entfernt. Stoßstange an Stoßstange, es ging nur im Schritttempo vorwärts.

Als Iris endlich im Büro ankam, zeigte die Uhr bereits Zehn. Aber auch Conny schien gerade erst angekommen zu sein. Sie war gerade dabei, ihre Jeansjacke auf den Garderobenständer zu bugsieren. »Na Süße, habt ihr auch verpennt?«

»Von ihr kann keine Rede sein. Thorsten war doch wieder auf so einem dämlichen Seminar. Ich habe ihn das ganze Wochenende nicht gesehen.«

»Ach… Er ist aber auch noch nicht da«, sagte Conny. »Sein Auto stand eben jedenfalls noch nicht in der Garage.«

Iris wunderte sich. »Komisch. Sonst ist er doch immer der Erste. Vielleicht hat er ja gestern Abend auch den letzten Flieger verpasst und kommt erst heute Vormittag zurück?«

»Das weißt du nicht? Was ist denn das für eine komische Beziehung, die ihr da führt? Sprecht ihr nicht miteinander?«

»Danke, Conny. Schrei bitte noch lauter, damit es auch jeder in der Redaktion mitkriegt. Herrgott! Nein, wir haben am Wochenende nicht miteinander gesprochen, da die dort rund um die Uhr Programm hatten. Thorsten hat mir nur ab und zu eine SMS geschrieben.«