Sommerschimmern in Cornwall - Cara Lindon - E-Book

Sommerschimmern in Cornwall E-Book

Cara Lindon

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Beschreibung

Gibt es eine zweite Chance für die Liebe?

Während ihre Tochter Chesten im Ausland ist, hütet Sylvia ihre ehemalige Farm und versorgt die Tiere. Doch mit der Rückkehr kommen auch die alten Erinnerungen zurück. Damals vor 33 Jahren hat Sylvia sich für Tomas entschieden, mit dem sie eine glückliche Ehe führte. Nun, fünf Jahre nach seinem Tod, denkt sie an den unvergleichlichen Sommer zurück, in dem sie von zwei wunderbaren Männern umworben wurde. Sylvia entschied sich für Thomas, aber was wurde aus Frederick? Gewährt das Leben ihnen beiden eine zweite Chance oder gibt es nur einmal die große Liebe?

Eine Liebesgeschichte über eine starke Heldin, die Kraft der Erinnerungen, eine kleine Streunerkatze, wunderbaren Freundinnen, sowie Herz und Humor.

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Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Gibt es eine zweite Chance für die Liebe?

Während ihre Tochter Chesten im Ausland ist, hütet Sylvia ihre ehemalige Farm und versorgt die Tiere. Doch mit der Rückkehr kommen auch die alten Erinnerungen zurück. Damals vor 33 Jahren hat Sylvia sich für Tomas entschieden, mit dem sie eine glückliche Ehe führte. Nun, fünf Jahre nach seinem Tod, denkt sie an den unvergleichlichen Sommer zurück, in dem sie von zwei wunderbaren Männern umworben wurde. Sylvia entschied sich für Thomas, aber was wurde aus Frederick?

Gewährt das Leben ihnen beiden eine zweite Chance oder gibt es nur einmal die große Liebe?

Eine Liebesgeschichte über eine starke Heldin, die Kraft der Erinnerungen, eine kleine Streunerkatze, wunderbaren Freundinnen sowie Herz und Humor.

Über Cara Lindon

Cara Lindon ist das Pseudonym der Autorin Christiane Lind, die auch mit ihren historischen Romanen im Programm des Aufbau Verlages vertreten ist.

Cornwall ist ihr Sehnsuchtsort, den sie mindestens einmal im Jahr besuchen muss, damit Land und Meer ihre Seele streicheln.

Cara hat ihren Seelenverwandten bereits gefunden und lebt mit ihm und drei Katern in einer kleinen Stadt – leider nicht in Cornwall.

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Cara Lindon

Sommerschimmern in Cornwall

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Danksagung

Impressum

Kapitel 1

Aachen, vor 33 Jahren

Nicht einmal mehr 24 Stunden und Sylvia würde ihren Fuß auf englischen Boden setzen. Seitdem sie als Kind zum ersten Mal Das Haus am Eaton Place gesehen hatte, war sie Großbritannien verfallen. Sie liebte britische Musik, britische Mode und britische Filme, aber bisher hatte ihr das Geld gefehlt, auf die Insel zu reisen.

In die Stille ihres Zimmers flüsterte sie: »Ich habe mein Examen und werde endlich England sehen.«

Ein nie gekanntes Glücksgefühl überkam sie, als sie an all die Orte und Sehenswürdigkeiten dachte, die sie besuchen wollte. Wie von selbst formten ihre Lippen die Namen der Orte, nach denen sie sich schon so lange sehnte: Seven Sisters, St. Ives, Tintagel, Land’s End.

Aber was, wenn sie sich so in eine Verklärung von England hineingesteigert hatte, dass die Wirklichkeit nicht mithalten konnte? Auf einmal schien die Bettdecke an ihrer Haut zu kleben. Unruhig drehte sie sich auf die andere Seite.

In den vergangenen Monaten hatte sie nur für das verfluchte Examen gebüffelt. Dann kamen die Reisevorbereitungen und Planungen. Jetzt war der erste Moment, in dem sie über ihr Leben nachdenken konnte, über die Zukunft, über ihren Weg.

Ein bisschen Unsicherheit schlich sich neben all die Möglichkeiten, die sich vor ihr ausbreiteten.

Wie wird mein Leben in einem Jahr aussehen? In fünf Jahren? In zehn Jahren? Wo werde ich wohnen? Werde ich einen Job haben, der mir Spaß bereitet? Eine Familie? Werden Maike und ich Freundinnen bleiben?

Nicht, dass es aktuell einen Mann in ihrem Leben gab, aber ihre Mutter wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, wie gern sie Enkel hätte. Warum mussten Frauen immer noch wählen, während die Kommilitonen, mit denen Sylvia studiert hatte, beides bekommen würden: Beruf und Familie.

Männer mussten sich nicht mit den Fragen plagen, die ihr ständig gestellt worden waren: »Ist es nicht ungewöhnlich, als Frau so etwas zu studieren?«

»Glaubst du wirklich, du findest damit einen Job?« oder ihr Liebling: »Also, ich finde ja, dass Mathe unweiblich ist.«

Es wird sich schon finden. Die schlimmste Hürde habe ich hinter mir. Ich habe mein Examen geschafft, in einem Fach, in dem nur wenige bis zum Schluss durchhalten. Ich bin gut organisiert und klug. Ich werde meinen Weg gehen.

Gerade, als ihr Atem tiefer und ruhiger wurde, klingelte ihr Telefon. Sylvia setzte sich auf, spürte das kalte Linoleum des Fußbodens an den Füßen und tapste zum Flur, wo das Telefon auf einem Tischchen stand.

»Sylvia Rasmussen.«

»Bist du aufgeregt?« Wie typisch für ihre Freundin, sich nicht zu melden, sondern sofort mit dem herauszuplatzen, was ihr auf dem Herzen lag. »Stell dir bloß den Wecker, damit du nicht verschläfst.«

»Ich lag schon im Bett.«

»Habe ich dich geweckt?«

»Nein, mir ging so vieles im Kopf herum.«

»Entspann dich. Der Job kommt später. Jetzt ist erst England dran. Ich jedenfalls bin aufgeregt. Es wird großartig.«

»Nichts beschwören!«, stieß Sylvia hervor, getrieben von einem Aberglauben, der stärker war als ihre Vernunft. »Ich werde es erst glauben, wenn wir das erste Mal Fish & Chips gegessen haben.«

»Du bist eine Unke. Gute Nacht.«

»Bis morgen«, antwortete sie, aber Maike hatte schon aufgelegt. Also blieb Sylvia nur, sich wieder hinzulegen. Nun hatte sie etwas Neues zum Grübeln gefunden. Die Reise mit Maike, ob das gut gehen würde?

Maike war so etwas wie ihre beste Freundin, allerdings nicht so eine, wie Sylvia es bei anderen Frauen gesehen hatte. Mit einer Mischung aus Unverständnis und Neid hatte sie schon den Mädchen im Kindergarten zugesehen, die nur zu zweit gespielt hatten. Sylvia blieb eher für sich oder spielte gemeinsam mit den Jungen mit Baggern und Autos.

So war es weitergegangen, auch als sie älter wurde. Sie verstand sich stets besser mit Jungen als mit Mädchen, begriff nicht, worin der Wert einer besten Freundin liegen sollte. Einer, mit der man alle Gedanken teilte, mit der man sich gemeinsam schminkte und frisierte, mit der man stundenlang telefonierte und gemeinsam auf Toilette ging. So jedenfalls hatte Sylvia die Freundschaften ihrer Klassenkameradinnen wahrgenommen. Daher war es für sie immer noch wie ein Wunder, dass sie Maike gefunden hatte. An einem Ort, wo sie niemals damit gerechnet hätte, Freundschaft mit einer Frau zu schließen. Eine andere Art von Freundschaft als die ihrer Schulkameradinnen, aber eine seit sechs Jahren andauernde Gemeinschaft.

Sylvia erinnerte sich noch gut an den ersten Tag des Studiums, als sie den vermaledeiten Hörsaal nicht finden konnte und zu spät in die Vorlesung gekommen war. Zögernd war sie in der Tür stehen geblieben, hatte die Rücken der Menschenmenge unter sich gemustert und erneut überlegt, ob sie nicht einen großen Fehler begangen hatte.

»Warum machst du nicht etwas Sicheres und wirst Lehrerin?«, fiel ihr die Ermahnung ihres Vaters wieder ein, gefolgt von Mutters Worten: »Ich werde nie Enkel bekommen. Kein Mann interessiert sich für ein Mädchen, das Maschinenbau studiert.«

»Aber es ist das Einzige, das mich interessiert.« Wie ein Mantra hatte Sylvia die Worte wiederholt. »Ich kann und will nichts anderes studieren.«

Diesen Wunsch hatte sie allen gegenüber verteidigt: Lehrern, der Berufsberatung und den lieben Verwandten.

Ihre so frauenuntypische Begeisterung für alles Technische ließ sie selbst das Praktikum überstehen, in dem sie entweder anzügliche Bemerkungen oder zweifelnde Blicke erntete. Sie hatte sich ihre Leidenschaft nicht ausgesucht. So war sie einfach. Schon als Kind hatte sie begeistert kaputte Radios, Toaster und Kaffeemaschinen auseinandergenommen und versucht, diese zu reparieren. Ihre Mutter versuchte, dem entgegenzusteuern – mit Puppen und Mädchenbüchern, aber Sylvia legte die Barbie beiseite, um deren Auto auseinanderzubauen.

Nun allerdings, verspätet, mit hochrotem Kopf und abgehetzt, begann auch sie zu zweifeln. Würde sie es wirklich ertragen, aufzufallen wie der sprichwörtliche bunte Hund? Konnte es sein, gab es hier nur junge Männer? Sie schluckte.

»Sind Sie hier falsch, junge Frau? Kunstgeschichte oder Germanistik finden Sie in einem anderen Hörsaal.«

Sylvia spürte, wie ihre Wangen brannten, als sich auf die Worte des Professors hin alle Studenten nach ihr umdrehten. Für sie sahen sie aus wie eine amorphe, ihr feindlich gesinnte Masse. Noch nie war der Wunsch, einfach davonzulaufen, größer als in diesem Moment.

»Cornelia, hier. Cornelia, komm her«, erklang eine helle Stimme.

Suchend sah Sylvia sich um. War noch eine Frau zu spät gekommen? Langsam fiel der Groschen – das Mädchen mit den dichten blonden Haaren meinte sie. Durch ihre Rufe hatte sie die Aufmerksamkeit der Kommilitonen und auch des Professors auf sich gezogen. Der schüttelte zwar den Kopf, aber er rügte sie nicht. Wahrscheinlich war selbst er gefangen von ihrer Schönheit – und schön war sie, das gestand Sylvia neidlos ein. Große blaue Augen, umrahmt von perfekt gebogenen Wimpern, ein vollkommener Schmollmund und eine zierliche Nase – das erkannte sie, als sie sich durch die Reihen drängte, um sich neben das Mädchen zu setzen.

»Danke«, flüsterte sie, nachdem sie sich hingesetzt hatte. »Ich heiße übrigens Sylvia.«

»Du siehst aber mehr nach einer Cornelia aus. Ich bin Maike.« Mit einem Lächeln deutete sie unbestimmt in den Hörsaal. »Gegen die Männerübermacht müssen wir zusammenhalten.«

Nach der Vorlesung gingen sie gemeinsam einen Kaffee trinken. Sylvia lächelte, als sie die Blicke bemerkte, die Maike auf sich zog. Das war ihr nur recht – im Kielwasser ihrer attraktiven Kommilitonin würde sie nicht auffallen, würde unsichtbar werden und könnte sich ganz dem Studium widmen.

»Warum studierst du Maschinenbau?«, lautete ihre erste Frage. Schließlich war Maike die erste andere Frau, die sie hier entdeckt hatte.

»Es gilt als das schwerste Studium. Das finde ich spannend.« Mit dieser Antwort hätte Sylvia nicht gerechnet, aber sie nahm sie hin. So wie sie vieles von Maike hinnehmen würde.

Später sollte Sylvia erfahren, dass Maike einen Abi-Schnitt von 1,0 erreicht hatte und alles hätte studieren können. Es war typisch für ihre Freundin, dass sie sich beweisen musste und ein Fach wählte, das eine enorm hohe Abbruchquote aufwies.

Zu Anfang hatte Sylvia gedacht, dass Maike sie nur als unattraktives Beiwerk nutzen wollte, vor dem sie selber noch hübscher und begehrenswerter aussah, doch bald stellte sie fest, dass Maike einsam war. Viel einsamer als Sylvia, die es gewohnt war, mit sich allein auszukommen. Maike hingegen wünschte sich Freunde, aber es fiel ihr erstaunlich schwer, welche zu finden.

Die Maschinenbaustudenten wagten es nicht, ein Mädchen anzusprechen, das so intelligent war und außerdem noch aussah, als könnte sie Miss Germany werden. Die wenigen anderen Studentinnen hielten Maike für arrogant und gingen ihr aus dem Weg. So kam es, dass Sylvia, die es gewohnt war, mehr Zeit mit Maschinen als mit Menschen zu verbringen, auf einmal eine beste Freundin hatte, neben der sie in Vorlesungen und Seminaren saß, mit der sie gemeinsam lernte und mit der sie nun zusammen in den Urlaub nach England fahren würde.

Sylvia hatte nicht ablehnen können, als Maike ihr vorschlug, dass sie gemeinsam reisten. Nach sechs gemeinsamen Studienjahren hätte Maike das als Zurückweisung auffassen können. Ganz zu schweigen davon, dass es für ihre Freundin selbstverständlich gewesen war, dass Sylvia sich über Begleitung freuen würde. Also hatte Sylvia Ja gesagt, erleichtert, dass sie sich dem Abenteuer nicht allein stellen musste. Trotzdem fragte ein Stimmchen immer wieder, ob es wirklich gut gehen würde. Ob Maike sich wirklich all das ansehen wollte, was ihr wichtig war?

Kapitel 2

England, vor 33 Jahren

Die weißen Klippen von Dover. Ja, wirklich und wahrhaftig, nur noch wenige Minuten und ich betrete englischen Boden. Wie unglaublich schön die Klippen sind. Kein Foto, das sie davon gesehen hatte, konnte ihnen gerecht werden.

Beinahe hätte Sylvia den Anblick verpasst, weil sie auf der linken Seite des Luftkissenboots gestanden und über die See geblickt hatte. Dann hatte sie bemerkt, dass die anderen Passagiere auf die rechte Seite des Aufenthaltsraums wechselten, sodass sie ihnen, ganz Herdentier, folgte.

Vor dem Hintergrund eines wolkenlosen azurblauen Himmels und dem düsteren Grau der See wirkten die Klippen nahezu glitzernd. An einigen Stellen zeigten sich dunkle Furchen und Riefen, an anderen konnte man sehen, dass die Felsen mit Gras bewachsen waren. Winzig stand ein strahlend weißer Leuchtturm auf der Klippe.

Sie zuckte zusammen, als eine Möwe pfeilschnell von links heranschoss, anscheinend auf der Jagd nach etwas, das Sylvia nicht sah. Dutzende der weißen Vögel umflatterten das Hovercraft, als erwarteten sie einen Tribut von den Reisenden.

»Komm, alle anderen rennen schon zu ihren Autos.« Maike schlug ihr mit der flachen Hand gegen das Bein. »Ich will nicht die Letzte sein.«

»Ein Bild noch.« Ob es ihr gelang, einzufangen, wie die Sonne den Hafen in Licht badete?

Als sie sich schließlich umdrehte, um Maike zu folgen, entdeckte sie die Silhouette einer Burg.

Ich hätte mich im Reiseführer über Dover informieren müssen. Nichts weiß ich über die Stadt, außer dass es hier die weißen Klippen gibt. Was das für ein Schloss ist, finde ich noch heraus.

»Wo bleibst du?«

Sie folgte Maike zum Golf GTI Cabrio. Ungeduldig trommelten die Finger ihrer Freundin auf das Lenkrad, während sie darauf warteten, dass die Autos vor ihnen das Schiff verließen.

England, endlich England. Sylvia richtete sich auf dem Autositz auf. Leider war der erste Eindruck eher unspektakulär. Dovers Hafen war halt ein Arbeitsort, kein touristisches Highlight. Das machte jedoch nichts, schließlich hatten sie Zeit und Sylvia eine lange Liste dessen, was sie unbedingt sehen wollte.

»St. Ives! St. Ives! Wir fahren nach St. Ives«, grölten Maike und sie laut und falsch, sobald sie von der Fähre von Calais nach Dover heruntergefahren waren.

Auch wenn sie es Maike gegenüber nie zugegeben hätte, war ihr ein wenig mulmig gewesen, als der Golf GTI auf das Luftkissenboot gefahren war. Zu präsent war ihr der Hovercraft-Unfall im März im Kopf, als Wind und Wellen die Princess Margaret bei rauer See gegen die Hafenmauer in Dover geschleudert hatten. Zu deutlich hatten sich die Fernsehbilder und Zeitungsfotos des längsseits aufgerissenen Luftkissenboots eingebrannt. Vier Menschen hatten an dem Tag ihr Leben verloren.

Nicht zu vergessen die Warnungen ihrer Mutter. Selbst die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, ob sich innerhalb so kurzer Zeit ein weiterer Unfall ereignen würde, hatte Sylvia nur wenig beruhigen können.

»Wie schön, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben«, sagte sie leichthin.

»Sag nicht, du hattest Angst auf dem Hovercraft?« Maike schaute kurz zu ihr hinüber. Sie saß am Steuer – es war schließlich ihr Wagen – und Sylvia hatte die Aufgabe, die Karten zu lesen und ihre Freundin sicher durch den Linksverkehr zu lotsen. Es war komplizierter, als sie gedacht hatte, von der Fähre zu kommen und sich auf die richtige Spur Richtung Süden einzufädeln.

»Kind, warum fahrt ihr nicht nach Norderney oder Borkum?«, imitierte Sylvia die Stimme ihrer Mutter. »Das ist viel ungefährlicher als dieses furchtbare Luftkissendings.«

»Meinen Eltern ist es völlig egal, was ich im Urlaub mache, solange ich sie nicht nerve.«

Sylvia wusste nicht, ob sie ihre Freundin um deren Eltern beneiden oder sie bedauern sollte. Herr und Frau Ziegler arbeiteten als Ärzte und waren natürlich furchtbar enttäuscht, dass ihr einziges Kind nicht in ihre Fußstapfen getreten war. Trotzdem finanzierten sie Maike das Studium und hatten ihr zum Examen das nagelneue knallrote Golf GTI Cabrio geschenkt, mit dem Sylvia und Maike nun durch England reisen würden.

»Da vorne müssen wir nach links.« Sylvia schob mit dem Zeigefinger die Brille nach oben. Durch diese blöden Sonnenbrillenschieber-Dinger war sie so schwer, dass sie immer nach unten rutschte. Aber ihr fehlte das Geld für eine Sonnenbrille in ihrer Brillenstärke.

»Weißt du was?« Maikes Finger trommelten einen Rhythmus auf dem Lenkrad, so wie immer, wenn ihr spontan etwas einfiel. »Wir fahren nach rechts. Ich will die weißen Felsen von Dover von Nahem sehen.«

»Aber … wir müssen spätestens um sechs bei unserem Bed and Breakfast sein. Sonst verfällt die Reservierung.«

Weil es ihr erster Urlaub war, hatte Sylvia alles durchgeplant. Drei Standorte hatte sie festgelegt, an denen sie jeweils sieben Tage bleiben würden. Für jeden Aufenthalt gab es ein ausgefeiltes Besichtigungsprogramm, das Herrenhäuser, Gärten und Museen einschloss.

Maike hatte nur gelacht und erklärt, dass sie sich unter Urlaub etwas anderes vorstellte, als von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten zu hetzen. Aber Sylvia war davon ausgegangen, dass sie wenigstens ein paar der Tage dem Plan folgen würde. Sie hasste es, wenn sich Abweichungen ergaben, die nur zu Komplikationen führen würden.

»Das schaffen wir. Sei nicht so eine Spaßbremse.«

»Und wenn wir in einen Stau geraten?«

»Dann rufen wir dort an.«

Obwohl Sylvia auf Anhieb zehn weitere Argumente einfielen, warum es viel besser wäre, nach links in Richtung Eastbourne zu fahren, hielt sie den Mund. Sie wusste nur zu gut, dass Maike sowieso nicht auf sie hören würde. Also konnte sie sich ihre Worte sparen und damit auch den Spott ihrer Freundin. Vielleicht hatte Maike ja sogar recht, dass Sylvia einfach zu vorsichtig und ordnungsliebend war und sich so den Spaß am Leben nahm.

Wobei ich mich frage, was Spaß sein soll? Im letzten Jahr habe ich nur gebüffelt, um diese blöden Prüfungen zu bestehen. Müsste ich nicht viel glücklicher sein, dass ich es geschafft habe? Oder ist der Weg das Ziel, wie Tante Wiebke immer sagt?

Sylvia musste lächeln, als sie an ihre Hippie-Eso-Tante dachte, die zwar seltsame Sprüche von sich gab und noch seltsamere Klamotten trug, ihr aber ein großzügiges Geldgeschenk zum Examen gemacht hatte, allerdings gekoppelt an eine Bedingung: »Wehe, du gibst das Geld für etwas Vernünftiges aus. Mach eine Reise, kauf dir ein Kleid, ein Pferd oder eine Gitarre.«

Die Reise war es geworden. Kleider trug sie nicht, Gitarre spielen konnte sie nicht und ein Pferd hätte sie kaum in ihrer winzigen Ein-Zimmer-Kochnische-Dusche-Wohnung unterbringen können, so gern sie es auch gewollt hätte. Also ging es ab in den Süden Englands, so wie sie es geplant hatte. Dank Tante Wiebke waren es nun drei und nicht zwei Wochen Aufenthalt, die Sylvia in Bed and Breakfasts verbringen konnte statt mit Camping. Für ihr Lieblingsland hätte Sylvia das Zelten auf sich genommen, aber die Vorstellung, mit Spinnen und anderen Kriechtieren auf einer Ebene zu schlafen, sagte ihr so gar nicht zu. Vom Regen ganz zu schweigen, der sie in England sicher erwarten würde. Daher erschien ihr ein Bed and Breakfast als absoluter Luxus. Danke, Tante Wiebke!

Ursprünglich hatte sie die Reise als eine Solo-Tour per Interrail geplant. Diese Idee hatte ihre Eltern in schiere Panik versetzt. Nachdem Maike sich ihr angeschlossen hatte, waren Sylvias Eltern so begeistert, dass sie ebenfalls Urlaubsgeld beisteuerten.

Ich muss nicht aufs Geld achten, ich kann mir Fish & Chips und Cream Tea leisten, wann immer ich will. Ich kann mir sogar Souvenirs kaufen, ohne auf den Pfennig achten zu müssen. Alles wird gut.

Schließlich hatte Maike sich bereit erklärt, Sylvia die Organisation zu überlassen.

»Mir ist egal, wo es hingeht. Hauptsache, weg nach der ganzen Lernerei.«

»Ich will unbedingt nach St. Ives.« Diese Bedingung hatte Sylvia gestellt. Und Bed and Breakfasts vorgebucht, weil sie ihre kostbare Reisezeit nicht mit der Sucherei nach einem Zimmer vergeuden wollte.

»Wenn es sein muss.« Maike hatte die Augen verdreht, aber nicht widersprochen. Also schöpfte Sylvia Hoffnung, dass sie es miteinander aushalten würden. Schließlich hatten sie auch ihr Studium gemeinsam verbracht.

Als Maike nun jedoch nach rechts abbog, zu den weißen Klippen, klangen Sylvia die warnenden Worte ihrer Mutter im Ohr: »Einen Menschen lernst du erst kennen, wenn du einen Urlaub mit ihm verbracht hast. Oder ihn geheiratet hast.«

Manchmal gelang es ihrer Mutter, sie zu überraschen. Die Worte hallten nach, wahrscheinlich, weil sie ihre eigenen Befürchtungen getroffen hatten. Als Einzelkind war sie es gewohnt, ein Zimmer für sich allein zu haben. Sie konnte sich auch schlecht entspannen, wenn sie mit ihrem Freund in einem Bett übernachtet hatte. Vielleicht war es nicht ganz so schlimm, wenn sie sich das Zimmer mit jemand teilte.

Berühmte letzte Worte, dachte sie, aber nun war es zu spät. Außerdem war es deutlich bequemer, sich von Maike chauffieren zu lassen, als mit ihrem Gepäck per Bahn zu reisen. Anstatt des Rucksacks konnte sie nun einen großen Koffer mitnehmen, in den sie Kleidung für jedes Wetter (außer Schnee) gepackt hatte.

»Komm, du Schlafmütze. Du träumst mit offenen Augen.« Maikes Worte und ein Knuff auf ihren Oberarm holten sie aus ihren Gedanken. »Wir steigen aus, schießen ein paar Bilder und fahren dann weiter, damit du beruhigt bist.«

»Es wär doch blöd, wenn wir nicht ins Zimmer kommen.«

»Sie werden schon auf uns warten.«

Sylvia hatte keine Lust, sich darüber zu streiten, und ging daher zum Kofferraum, um ihre Kamera herauszuholen. Verglichen mit Maikes teurem Fotoapparat, für den sie mehrere Objektive dabei hatte, war es ein billiges Gerät, aber sie machte gute Bilder. Schließlich wollte sie nur ein paar Urlaubserinnerungen festhalten und keine preiswürdigen Fotos knipsen.

Vom Parkplatz führte ein Weg zu den Klippen, an dessen Rand Holzbänke standen. Neugierig trat Sylvia näher heran, um sich die Blumengestecke an deren Seiten anzuschauen.

»Uh, Plastikblumen.« Sie zog die Nase kraus, als sie erkannte, dass die Blumen in grünen Vasen, ebenfalls aus Plastik, steckten, die sie von Friedhöfen kannte. Sie beugte sich vor, um die Gravur auf dem bronzefarbenen Schild zu lesen.

»Was machst du da? Ich denke, wir haben keine Zeit.«

»Das ist eine Erinnerungsbank.«

»Mit Plastikblumen. An wen erinnert sie? Sportler, Schriftsteller oder sonst einen berühmten Sohn der Stadt?«

»An einen normalen Menschen, von seiner Familie gespendet.«

»Na ja, sinnvoller als ein Grabstein.«

Obwohl sie diese Bemerkung sehr rüde fand, sagte Sylvia nichts dazu, sondern folgte Maike. Kurz hatte sie überlegt, ein Foto der Bank zu schießen, aber das erschien ihr irgendwie pietätlos.

»Sei vorsichtig«, rief sie ihrer Freundin zu, die nah an den Rand der Klippen getreten war, um den idealen Punkt für ihr Foto zu finden. Als wollte Maike sie provozieren, machte sie noch einen Schritt nach vorn.

Sylvia hielt den Atem an. Was wäre, wenn die Klippen dort bröckelig waren? Von Höhenangst geplagt, wagte sie sich nicht einmal in die Nähe der Kanten, aber selbst von ihrem sicheren Standort aus betrachtet, wirkte es sehr tief nach unten.

»Maike«, sagte sie noch einmal, bemüht, sich die Panik nicht anmerken zu lassen. »Von hier aus hast du einen besseren Blick.«

Endlich tat ihre Freundin ihr den Gefallen und kehrte zurück zu ihr. Sylvia atmete auf.

Wenn Maike dort heruntergefallen wäre, hätte ich hier festgesessen. Ich habe nicht einmal einen Schlüssel für ihren Wagen. Ohne sie bin ich in England verloren.

Kapitel 3

England, vor 33 Jahren

Zehn Minuten vor sechs kamen sie in Eastbourne an. Die letzten Meilen war Sylvia auf ihrem Sitz hin und her gerutscht, als wäre der zu heiß, um still sitzen zu können.

Zwei Minuten vor sechs klingelten sie an der Tür des Bed and Breakfast. Ein mittelgroßer Mann mit weißen Haaren und Lachfalten um Mund und Augen, gekleidet in eine bequem aussehende Strickjacke und Hauspantoffeln, öffnete die Tür. Er schien schon in Feierabendstimmung zu sein, aber lächelte, als er sie sah. Vor allem Maike erhielt eine volle Dosis seines Strahlens.

»Entschuldigung, dass wir so spät sind«, platzte Sylvia zur Begrüßung heraus und wurde rot, als ihr klar wurde, dass sie ihren Vermieter in Deutsch angesprochen hatte. Eilig schob sie nach: »Sorry, we are late.«

Maike seufzte genervt auf. In vollendetem Englisch sagte sie: »Nice to meet you, Mr. Russell. I am Maike Ziegler.«

»Good to see you.« Der Mann trat beiseite. »Please, do come in.«

Am Ende des kurzen Flurs stand eine dunkelbraune Theke mit einer Glocke und einem Buch darauf. Das war offenbar die Rezeption. Mr. Russell bückte sich dahinter, sodass sie nur seinen Rücken sahen.

»Ihr Zimmer ist die Nummer 6. Frühstück gibt es morgen zwischen sieben Uhr dreißig und neun Uhr.«

Erleichtert registrierte Sylvia, dass sie keine Probleme hatte, seinem Englisch zu folgen.

Er tauchte wieder auf, eine Art Quittungsblock in der Hand. »Bitte füllen Sie das aus. Tee und ein Wasserkocher befinden sich im Zimmer. Milch gibt es im Frühstücksraum im Kühlschrank.«

Er öffnete die Tür zu einem kleinen Zimmer, in dem vier Tische mit Stühlen standen, deren Holz etwas heller war als das der Dielen. Bunte Teppiche und Drucke mit Seemotiven gaben dem Raum eine freundliche Atmosphäre. Der Kühlschrank war winzig und stand auf einer Anrichte, in der vermutlich das Frühstücksgeschirr aufbewahrt wurde.

»Danke.« Wie selbstverständlich nahm Maike den Schlüssel an sich, den der Wirt ihnen überreichte. »Wo ist das Zimmer?«

»Die Treppe hoch, nach links und dann die zweite Treppe hoch.«

Mit einem Kopfnicken entließ er sie und verschwand im hinteren Teil des Hauses, der wahrscheinlich der Familie vorbehalten war. Ob es auch eine Mrs. Russell gab? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein alleinstehender Mann eine Pension führte.

Sylvia suchte in ihrer Handtasche nach einem Kugelschreiber, aber Maike schüttelte den Kopf.

»Die Anmeldung können wir immer noch ausfüllen. Ich will erst einmal duschen.«

»Das dauert doch nur ein paar Minuten.«

Aber ihre Freundin war bereits auf dem Weg ins Zimmer, sodass Sylvia nichts anderes übrig blieb, als ihr zu folgen.

»Habe ich doch gesagt. Es ist kein Problem, wenn wir später kommen.« Maike drehte sich zu ihr um und grinste, als sie vor Sylvia die schmale Stiege hochstieg. »Wir hätten noch ewig Zeit gehabt, Fotos zu schießen. Ist schließlich noch Vorsaison.«

Sylvia brummelte etwas, das man als Ja oder als Nein verstehen konnte. Sie wollte nicht streiten, sie wollte einfach nur die Schuhe ausziehen, sich waschen und dann etwas essen gehen. Am besten Fish & Chips, damit das England-Gefühl endlich einsetzte. Bisher spürte sie das Land noch nicht, auch wenn sie auf der falschen Seite fuhren, überall englische Ortschaften angezeigt wurden und sie an mehreren Marks & Spencers vorbeigekommen waren.

Vielleicht hätte ich lieber allein fahren sollen. Dann kommt man mehr mit Einheimischen in Kontakt. Und ich würde mehr Englisch sprechen. Wenn ich Maike vorschlage, dass wir Englisch miteinander reden, tippt sie sich bestimmt an den Kopf.

»Rechts oder links?«, durchbrach Maikes fröhliche Stimme ihre Gedanken.

Ein Doppelbett – und nur eine Decke. Das kann ja heiter werden.

»Was? Äh, ich meine, wie bitte?«

»Schläfst du auf der rechten oder auf der linken Seite?« Ihre Freundin verzog die Oberlippe. »Schnarchst du?«

»Keine Ahnung. Bisher hat sich noch niemand beschwert.«

Das sagte sie, um Maike zu beeindrucken. Sooo zahlreich waren Sylvias Beziehungen nicht, dass es zu Klagen hätte kommen können. Drei Männer hatte es in ihrem Leben gegeben, um genau zu sein. Mit einem Jungen hatte sie während der Schulzeit etwas begonnen, als sie sich noch bemüht hatte, so zu sein wie die anderen Mädchen, einen »festen Freund« zu haben und sich für Mode und Schminken zu interessieren. Bei all dem war sie glorreich gescheitert und hatte eingesehen, dass sie eben anders war und dass es völlig zwecklos war, eine Rolle zu spielen, die ihr nicht passte.

Nummer zwei war ein Maschinenbauer gewesen, der sie zu einem Kaffee eingeladen hatte. Mit Maik hatte sie super über Technik und Maschinen reden können. Das war ihr als ideale Basis für eine längerfristige Beziehung erschienen, aber nach zwei Monaten hatte er sie für eine Kunstgeschichtestudentin verlassen. Worüber er mit ihr redete, hätte Sylvia schon interessiert.

»Mit dir zusammen zu sein fühlt sich immer so an, als wäre ich mit einem Kumpel im Bett.« Diesen Abschiedssatz hätte Maik sich ihrer Meinung nach sparen können, aber sie hatte daraus gelernt, keine Kaffeeeinladungen von Kommilitonen mehr anzunehmen.

Stattdessen hatte sie auf einer Party Uwe getroffen, einen Theologie-Studenten. Das halbe Jahr mit ihm war wirklich schön gewesen, aber letztlich hatte er nicht akzeptieren können, dass sie ihre Erfüllung nicht darin finden konnte, seine Ehefrau zu werden, sondern eigene berufliche Pläne hegte. Nach einem mit Vorwürfen gespickten Ende der Beziehung hatte Sylvia sich auf das Studium konzentriert und die Frage nach ihrem Liebesleben verschoben, genau wie die nach ihrer beruflichen Zukunft.

»Haaallo.« Maike stupste ihren Zeigefinger in Sylvias Brustbein, was sie hasste. »Ich hab dich jetzt dreimal gefragt, ob wir essen gehen wollen.«

»’Tschuldige, ich bin offenbar müder, als ich dachte.« Sie gähnte demonstrativ. »Auf jeden Fall.«

Nachdem beide sich frisch gemacht hatten, gingen sie in den Ort. Zu Sylvias Enttäuschung gab es in der Nähe ihres Bed and Breakfast nur einen Thai-Imbiss und ein indisches Restaurant. Also würden Fish & Chips und auch eine zünftige britische Tea Time warten müssen.

Ich habe ja noch Zeit. Wenn ich alles am ersten Tag hinter mich brächte, gäbe es ja nichts mehr, auf das ich mich freuen könnte.

»Lass uns etwas vom Imbiss holen und damit ans Meer gehen.«

»Das wollte ich auch vorschlagen.« Kumpelhaft schlug ihr Maike auf den Oberarm. »Wenn wir schon einmal hier sind, sollten wir auch das volle Touri-Programm mitnehmen.«

Eine Viertelstunde später mussten sie erkennen, dass es eine unglückliche Idee war, am Strand etwas essen zu wollen. Sobald sie sich auf eine Bank am Kai gesetzt und ihr Essen ausgepackt hatten, kamen aus allen Himmelsrichtungen Möwen herbeigeflogen, die einen Teil des Essens einforderten.

Sylvia krümelte ihnen Reste eines Brötchens hin, das sie in den Tiefen ihrer Handtasche gefunden hatte. Anstatt sich damit zufriedenzugeben, flatterten die Möwen näher, und am Horizont konnten sie weitere entdecken, die Kurs auf sie nahmen.

»Zurück ins Zimmer?«

»Zurück ins Zimmer. Aber dann kehren wir noch einmal ans Meer zurück.«

Auch wenn das Essen nicht original englisch war, wie Sylvia es sich gewünscht hatte, schmeckte es ihr sehr. Angeblich sollte es in London die besten indischen Restaurants der Welt geben. Aber London musste auf einen anderen Urlaub warten.

Cornwall, Devon, Somerset, Dorset. Wie ein Mantra sagte Sylvia die Namen der Grafschaften, die sie besuchen wollten, im Kopf auf. Auch wenn die schönsten Herrenhäuser und Gärten in Somerset und Devon lagen, so galt ihre Liebe Cornwall, dem mystischen Land.

Hoffentlich kann ich Maike davon überzeugen, nach Tintagel zu fahren, auch wenn sie mich dafür bestimmt auslachen wird. Aber ich liebe Die Nebel von Avalon und die Artus-Saga. Der Urlaub käme mir nur halb vor, wenn ich nicht den Ort besichtige, an dem Artus geboren worden sein soll.

»Auf geht’s. Bevor es dunkel wird, will ich noch einmal ans Meer.« Wie konnte Maike nur so energiegeladen sein, obwohl sie die ganze Zeit Auto gefahren war?

Sylvia gähnte verstohlen. Es zog auch sie ans Meer, aber gerade jetzt fand sie ihr Bett deutlich ansprechender. Aber sie raffte sich auf, griff nach ihrer Tasche und folgte Maike.

»Den hast du vergessen.« Sie hielt ihrer Freundin den Schlüssel entgegen. »Unser Wirt macht bestimmt nicht mehr auf, wenn du nach 20:00 Uhr klingelst.«

»Dafür habe ich ja dich.«

Leise schlossen sie die Tür hinter sich und gingen nach rechts. Ein dunkler Schatten huschte vor ihnen über die Straße und verschwand unter einem der Autos, die dort geparkt waren. Maike hüpfte erschrocken zur Seite, während Sylvia in die Knie ging und unter den Wagen schaute. Wie sie es erwartet hatte, funkelten ihr grüne Augen entgegen. Eine schwarze Katze, etwas struppig und mager, aber sichtlich bereit, ihr Leben zu verteidigen.

»Du bist ja eine Hübsche«, murmelte Sylvia beruhigend. »Hast du Hunger? Schau mal.«

Langsam, mit ruhigen Bewegungen griff sie in ihre Tasche und holte die kleine Schachtel mit Trockenfutter heraus, aufmerksam beobachtet von der schwarzen Katze. Als Sylvia etwas Futter in ihre Hand schüttete und dann unter das Auto legte, bekam sie zum Dank ein Fauchen zu hören.

»Schon gut. Ich lasse dich ja in Ruhe essen.«

»Hast du ernsthaft Katzenfutter aus Deutschland mitgebracht?« Maike schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht jede hungrige Katze in England füttern.«

»Aber jede, der wir begegnen.«

»Glaub bloß nicht, dass ich auf deinen Spleen Rücksicht nehme. Kommst du jetzt mit zum Meer oder nicht?«

»Gleich.« Weiterhin vorsichtig schüttelte sie den Rest des Trockenfutters auf die Straße, so weit unter das Auto, das die Katze nicht hervorkommen musste. »Tschüs, Mieze.«

»Du planst hoffentlich nicht, in jedem Urlaubsort die Streuner zu suchen?«

»Sie finden mich schon.«

»Ich jedenfalls werde meinen wohlverdienten Urlaub nicht damit verbringen, mich um herrenlose Viecher zu kümmern.«

»Musst du auch nicht«, lenkte Sylvia ein, wie so oft in den letzten Jahren. »Mach du, was du willst, und ich tue, was mir passt.«

»Ist schon okay. Du brauchst nicht gleich patzig zu werden.«

»Entschuldige, ich habe es nicht so gemeint.«

Warum musste sie immer die sein, die nachgab?

Kapitel 4

England, vor 33 Jahren

Verärgert über Maikes harsche Worte und ihr eigenes Einknicken, trödelte Sylvia hinter ihrer Freundin her, die mit raumgreifenden Schritten zur Mole ging. Sylvia nutzte die Zeit, sich ein bisschen in Eastbourne umzuschauen. Schließlich wollten sie ein paar Tage in der Stadt verbringen.

Maike scheint sich für gar nichts hier zu begeistern, weder für die Architektur noch für Sehenswürdigkeiten. Seltsam, dass ich sie bisher überhaupt nicht gefragt habe, was sie von unserer Reise erwartet, was sie an England interessiert.

Natürlich war Eastbourne nicht so berühmt wie Brighton, das nur wenige Meilen entfernt lag, aber die Stadt hatte – jedenfalls behauptete Sylvias Reiseführer das – auch einiges zu bieten: einen Pier, vier Theater, mehrere Museen und einen Konzertpavillon namens »Bandstand« an der Strandpromenade, den sich Sylvia auf jeden Fall ansehen wollte.

Ich mag diese Häuser im viktorianischen Stil. Warum unterscheiden sich englische Gebäude so sehr von deutschen? Ob ein viktorianisches Haus mit seinen Giebeln und Erkern nach Deutschland passen würde? Könnte ich mir ein Fachwerkhaus hier vorstellen? Vielleicht hätte ich doch Architektur studieren sollen, aber das hätten meine Eltern überhaupt nicht mitgemacht. Zu unsichere Berufschancen. Maschinenbauer hingegen braucht man immer, das musste selbst meine Familie einsehen.

»Sag mal, träumst du?« Maikes Ruf zerrte Sylvia unsanft aus ihren Überlegungen.

»Ich habe mich gewundert, dass es hier nur Hotels und Bed and Breakfast gibt und überhaupt keine Geschäfte.«

»Stand doch im Reiseführer. Irgend so ein Duke of Devonshire wollte das nicht.« Maike zog einen Mundwinkel hoch. »Weil ihm die halbe Stadt gehörte, mussten ihm alle gehorchen.«

»Du hast den Reiseführer gelesen?« Sylvia konnte nicht sagen, was sie mehr erstaunte: dass Maike sich damit beschäftigt hatte oder dass sie sich an ein solches Detail erinnerte. »Das hast du behalten?«

»Fotografisches Gedächtnis«, antwortete Maike nebenbei. »Das weißt du doch, oder?«

Nein, das ist mir neu. Wie konntest du mir so etwas mehr als fünf Jahre verschweigen? Was für Geheimnisse werde ich noch über dich erfahren?

»Schade, dass wir zu spät für den Sonnenuntergang sind.« Sylvia schaute hinaus auf die Weite der See, die sich im Halbdunkel vor ihnen erstreckte. Zu ihrer Überraschung roch es nicht nach Fisch oder Tang oder Algen, wie sie es von der Nordsee kannte, sondern eher nach Salz. Das leise plätschernde Geräusch der Wellen, die an die Kaimauer schlugen, trieb den Streit mit Maike davon.

»England«, flüsterte sie. »Endlich England.«

Der Weg zum Kai, der sie an hübschen viktorianischen Häusern vorbeigeführt hatte, und das Meer, das sich bis zum Horizont ausdehnte, hatten es endlich geschafft, ihr das England-Urlaubsgefühl zu vermitteln, nach dem sie sich so sehnte. Sylvias Herz wurde weit und sie hätte gern gesungen, wenn sie nur einen Ton treffen würde.

»Was?« Maike war weitergegangen, als Sylvia stehen blieb, um den Anblick des Meeres zu genießen.

»Ach nichts, ich freue mich, hier zu sein.«

»Ich mich auch.« Maike kam auf sie zu und umarmte sie. Etwas, das Sylvia nach all den Jahren immer noch irritierte. In ihrer Familie war man nicht so … so körperlich bei Zuneigungsbekundungen. Nicht dass es allzu viel Nähe gab. Ihre Eltern waren sehr preußisch.

»Tue deine Pflicht so lange, bis sie deine Freude wird.« Diesen Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach hatte ihr Vater zum Familienmotto erhoben. Sie konnte nicht sagen, wie oft sie das zu hören bekommen hatte. Obwohl Sylvia diesen Spruch hasste, hatte er ihr Leben geprägt: Disziplin stand weit oben auf der Liste ihrer Eigenschaften.

»Lass uns zur Feier des Tages etwas trinken gehen.« Mit diesen Worten zerstörte Maike die märchenhafte Stimmung zwischen ihnen und dem Meer.

»Ich bin müde. Und ich mag keine Menschenmengen. Das weißt du.«

Sylvia hasste es, wenn sie so nölig klang, aber die Vorstellung, einen Abend in einer verräucherten Kneipe zu verbringen, gefiel ihr überhaupt nicht.

»Ach komm, es ist unser erster Abend.«

»Ich bin total erschöpft. Du etwa nicht?«

»Die Pubs haben sowieso nur bis zehn oder so auf.«

»Na gut, aber nur ein Bier. Morgen wollen wir schließlich zu den Seven Sisters.«