Herbstfunkeln in Cornwall - Cara Lindon - E-Book

Herbstfunkeln in Cornwall E-Book

Cara Lindon

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Beschreibung

»Cornwall tut den Augen und der Seele gut«, sagte Grandma, »... und es heilt gebrochene Herzen.«

Mann weg, Job weg, Wohnung weg. Kurz vor ihrem 30. Geburtstag hat Alys alles verloren. Zutiefst unglücklich kehrt sie in das romantische Cornwall zurück, ins Haus ihrer Großmutter. Mit Schokolade, Büchern und ihren besten Freundinnen versucht sie sich zu trösten, aber das Leben erscheint ihr leer. Um nicht mehr so allein zu sein, adoptiert sie Mr. Cat, einen missmutigen Kater aus dem Tierheim. Gerade hat Alys sich ihrem Dasein als einsame Katzenfrau abgefunden, da treten gleich zwei Männer in ihr Leben: der sympathische Jory, mit dem Alys lachen kann, und der erfolgreiche Daveth, der sie verwöhnt. Kann sie ihrem Herzen vertrauen oder steht die Vergangenheit ihrem Glück im Weg?

Eine Liebesgeschichte mit einer vom Pech verfolgten Heldin, einem selbstbewussten Kater, viel Schokolade, wunderbaren Freundinnen, sowie Herz und Humor.

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Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

»Cornwall tut den Augen und der Seele gut«, sagte Grandma, »… und es heilt gebrochene Herzen.«

Mann weg, Job weg, Wohnung weg. Kurz vor ihrem 30. Geburtstag hat Alys alles verloren. Zutiefst unglücklich kehrt sie in das romantische Cornwall zurück, ins Haus ihrer Großmutter. Mit Schokolade, Büchern und ihren besten Freundinnen versucht sie sich zu trösten, aber das Leben erscheint ihr leer. Um nicht mehr so allein zu sein, adoptiert sie Mr. Cat, einen missmutigen Kater aus dem Tierheim.

Gerade hat Alys sich ihrem Dasein als einsame Katzenfrau abgefunden, da treten gleich zwei Männer in ihr Leben: der sympathische Jory, mit dem Alys lachen kann, und der erfolgreiche Daveth, der sie verwöhnt. Kann sie ihrem Herzen vertrauen oder steht ihre Vergangenheit ihrem Glück im Weg?

Eine Liebesgeschichte mit einer vom Pech verfolgten Heldin, einem selbstbewussten Kater, viel Schokolade, wunderbaren Freundinnen sowie Herz und Humor.

Über Cara Lindon

Cara Lindon ist das Pseudonym der Autorin Christiane Lind, die auch mit ihren historischen Romanen im Programm des Aufbau Verlages vertreten ist.

Cornwall ist ihr Sehnsuchtsort, den sie mindestens einmal im Jahr besuchen muss, damit Land und Meer ihre Seele streicheln.

Cara hat ihren Seelenverwandten bereits gefunden und lebt mit ihm und drei Katern in einer kleinen Stadt – leider nicht in Cornwall.

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Cara Lindon

Herbstfunkeln in Cornwall

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Die kornischen Namen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Nachwort: Reisetipps

Glossar

Rezept für Pimm’s und Royal Pimm’s

Die Jezebel-Bligh-Bücher

Danksagung

Impressum

Die kornischen Namen

Alys – kornische Form von Alice

Bryluen – kornisch: Rose (Aussprache: Bree-loo-en)

Chesten – kornische Form von Christine

Colan – kornische Form von Collen

Daveth – kornische Form von David

Hedra – kornisch: Oktober

Helyer – kornisch: Jäger

Jory – kornische Form von George

Kitto – kornische Form von Christopher

Lowenna – kornisch: Glück, Freude

Metheven – kornisch: Juni/Mittsommer

Rosenwyn – kornisch: weiße Rose

Kapitel 1

Vor zehn Jahren

Wo sie nur blieben? Alys bewegte sich von einem Fuß auf den anderen. Die Sonne streifte bereits die niedrigen Dächer der Cottages und es war empfindlich kühl geworden. Vielleicht hätte sie Turnschuhe statt der Sandalen anziehen sollen? Noch konnte sie zurück ins Haus gehen und die Schuhe wechseln. Da kam der dunkle Vauxhall die Straße herunter und hupend vor ihr zum Stehen. Ihr wurde gleichzeitig warm und kalt ums Herz. Wie viele Jahre würden vergehen, bevor sie wieder zusammen mit ihren Freundinnen zu ihrem Lieblingsstrand fuhr? Ja, es musste sein. Das Leben ist Wandel, pflegte Grandma zu sagen, aber dennoch …

So sehr Alys den Tag herbeigesehnt hatte, an dem sie endlich über ihr Leben bestimmen konnte, so sehr hasste sie, dass diese Veränderung sie den größten Halt kosten würde: die Nähe zu ihren Freundinnen und zu ihrer Großmutter.

Als ahnte sie Alys’ düstere Gedanken, kletterte Bree halb aus dem Beifahrerfenster, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.

»Da seid ihr ja endlich.« Vorsichtig legte Alys ihren Rucksack auf den Rücksitz, was dennoch ein bedenkliches Klirren mit sich brachte. Dann stieg sie ein und umarmte ihre Freundinnen, so unbequem das im Auto auch war.

»Sorry.« Bree wuschelte sich mit der linken Hand durch ihre brünette Mähne, wie immer, wenn sie sich über ihre Eltern ärgerte. »Meine Mutter musste mir eine Predigt halten. Du weißt schon: ›Trink nicht so viel.‹«

»Sei um Mitternacht wieder zu Hause«, warf Chesten ein.

»Stell nichts an, was wir nicht auch tun würden«, vervollständigte Bree.

»Grandma hat wie immer gesagt ›Ich vertraue darauf, dass du vernünftig bist.‹«, antwortete Alys.

Bree seufzte. »Kann sie mich nicht adoptieren?«

Alys verzog das Gesicht. »Ach, so toll ist das auch nicht. Deine Mutter hat dich bestimmt darauf hingewiesen, dass Turnschuhe die klügere Wahl sind. Ich friere jetzt schon. Wie wird das erst, wenn die Sonne untergegangen ist?«

Bree hob einen Rucksack mit Hello-Kitty-Logo hoch. »Ich hab’ Champagner dabei. Du musst nur genug trinken, dann wird dir schon warm.«

Chesten schaute in den Spiegel, sodass ihr Blick und der von Alys sich trafen, und lächelte. Immer wenn sie mit ihren Freundinnen zusammen war, kam Alys sich vor, als wäre sie der Durchschnitt aus beiden. Chesten war schmal, zierlich und blond, Bree groß, kräftig und mit einer Woge dunklen Haars. Alys war mittelgroß, mitteldick und ihre Haare, die sie schulterlang trug, waren von einem langweiligen Mausbraun.

»Meine Mutter hat uns Sandwiches gemacht und Scones eingepackt.«

»Hey, für die Süßigkeiten bin ich zuständig.« Bree gab vor, beleidigt zu sein. »Ich habe den ganzen Tag gebacken. Fairings und Saffron Buns. Wehe, es bleibt etwas übrig.«

Ein bittersüßes Gefühl stieg in Alys auf. Sie konnte sich ein Leben ohne Bree und Chesten nicht vorstellen. Das Leben, das nun auf sie wartete.

Als Chesten zum wiederholten Mal den Wagen zurück in eine Einbuchtung steuern musste, um einem entgegenkommenden Auto Platz zu machen, sprach Bree aus, was Alys durch den Kopf ging. »Ich würde jedes Mal in Panik geraten. Diese engen Wege – und dann die Hecken an der Seite … Das ist nichts für mich.«

»Wenn du wie ich mit acht Jahren Traktorfahren gelernt hast, fällt dir Autofahren leicht. Alles nur Übung.«

Chesten bog in eine der überwachsenen Straßen ein, die so typisch für ihre Heimat waren. Die Kronen der Bäume, die rechts und links der schmalen Fahrspuren standen, hatten sich einander zugeneigt und bildeten ein Blätterdach, das Regen, aber auch Sonnenstrahlen abhielt. In Höhe der Doppeldeckerbusse sah es aus, als hätte jemand die Äste und Zweige viereckig zurechtgestutzt. Oft waren das die Busse selbst, wie Alys wusste, die dieses Transportmittel häufig nutzte.

Obwohl sie den Führerschein gemacht hatte, fand sie keinen Spaß am Autofahren. Deshalb würde sie in einer Stadt leben, in der es Busse und U-Bahnen gab.

Am Ende des Weges fuhr Chesten an die linke Seite und stellte den Wagen ab. Bree sprang als erste aus dem Auto und lief sofort nach hinten, um den Kofferraum zu öffnen. Alys bekam von ihrer Freundin eine Picknickdecke und einen Picknickkorb in die Hand gedrückt. Chesten nahm die Tüte mit dem Feuerholz, Bree trug den MP3-Player und die Lautsprecher.

Der schmale Weg zu ihrer Bucht schlängelte sich durch kornische Heide, die jetzt immergrün und struppig aussah. Erst im Spätsommer würde sie erblühen und die Landschaft in unterschiedliche Rottöne tauchen.

»Friends are forever«, stimmte Bree laut und falsch den Song an, den sie zu ihrer Hymne erklärt hatten. »Lovers may leave but friends are forever … foooooorever«, fielen Chesten und Alys ein.

Sie ließen ihr Gepäck im bereits abgekühlten Sand liegen und gingen engumschlungen zum Meer, das sich durch die Ebbe zurückgezogen hatte. Alys liebte die Buchten von Sennen Cove: Das Meer glitzerte hier türkisfarben, als wäre man in der Karibik und nicht im guten alten Cornwall. Ob sie es wagen sollte, mit den Füßen ins Wasser zu gehen oder war es dafür zu kalt?

»Seht nur.« Chesten, die Romantikerin, deutete auf den aufgeklarten Himmel, an dem die Sonne leuchtendrot stand. Die Hitze flirrte um sie herum. Nach und nach färbte er sich orange und dann rot, was die schroffen Klippen, die viele Seeleute das Leben gekostet hatten, geheimnisvoll aufleuchten ließ. Schaumkronen tanzten auf dem Wasser und rollten langsam in ihre Richtung. Über den Klippen schwebten Sturmtaucher und Seeschwalben nahezu schwerelos im Wind. Eine Mantelmöwe, unverkennbar mit ihren dunklen Flügeln, stieß pfeilschnell hinab.

»Das wollt ihr wirklich verlassen?« Chestens Worte durchbrachen die Stille des Augenblicks. »So etwas Wundervolles haben weder London noch New York zu bieten.«

»Kommt, lasst uns feiern«, antwortete Bree. »Ich habe Durst, ihr nicht?«

Gemeinsam suchten sie sich einen windgeschützten Platz und hoben eine Grube für das Lagerfeuer aus. Chesten, die am praktischsten veranlagt war, kümmerte sich um das Feuer, während Bree die Decke ausbreitete und das mitgebrachte Essen auf den Picknicktellern verteilte.

Sie schauten einander an, betrachteten Essen und Getränke und schwiegen, als wäre ihnen allen bewusst, dass es die Zeit des Abschieds war.

»Nur nicht sentimental werden, Mädels«, rief Bree mit zu viel Fröhlichkeit in der Stimme. »Egal, was unser Leben bringt, wir werden immer Freundinnen sein. Mach mir einen Royal Pimm’s, Barfrau.«

»Sehr gerne! Öffne den Champagner, Darling.« Alys schnitt Gurke, Zitrone und Erdbeeren in Stücke und füllte sie in zwei hohe Gläser. Dann folgten Eiswürfel. Großzügig bemaß sie den Pimm’s-Likör, bevor sie Bree die Gläser reichte. Die füllte mit Champagner auf und gab Alys ein Glas zurück.

Inzwischen hatte sich Chesten Ginger Ale eingegossen und erhob ihr Glas. »Auf uns. Auf die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann.«

Täuschte Alys sich oder glitzerten Tränen in Chestens Augen?

»Bye, bye, Comprehensive School. Jetzt kommt das Leben.« Bree trank einen großen Schluck Pimm’s. »Morgen bin ich weg. Ich werde euch vermissen.«

»Wir wollten doch nicht sentimental werden.« Alys wollte sich ihren letzten Abend nicht verderben, auch wenn sie sich auf die Lippe biss, um gegen Tränen anzukämpfen. »Lasst uns endlich etwas essen. Ich verhungere gleich.«

»Ich dachte, du fragst nie. Ihr wisst doch, dass ich auf meine Figur achten muss als zukünftiges Plus-Size-Model.« Bree verteilte die randvollen Teller.

»Vielleicht hätten wir doch zur Feier gehen sollen …« Chesten schaute ihre Freundinnen an. »Schließlich macht man den Schulabschluss nur einmal im Leben.«

Alys und Bree wechselten den Blick, den sie immer austauschten, wenn Chesten wieder einmal zweifelte.

»Die ganze Schulzeit über sind die anderen uns auf die Nerven gegangen, haben uns doof behandelt, und jetzt soll ich so tun, als wäre alles gut?« Brees braune Augen blitzten zornig. »Weil es so ein besonderer Moment ist, will ich ihn mit euch verbringen. Nicht mit arroganten Tussis und dämlichen Jungs.«

»Ich hatte gehofft, dass Yestin …« Chesten sprach nicht weiter.

»Ach, Darling.« Alys nahm ihre Freundin in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Yestin hat nur Augen für Stacey. Und du bist viel zu gut für ihn.«

Chesten nickte, aber ihr Blick blieb traurig. Es tat Alys unendlich leid, dass ihre wunderbare Freundin sich zielsicher immer in die falschen Männer verliebte und darunter litt. Bree hingegen ließ leidende Männer und berstende Herzen zurück. Und Alys selbst war wie so oft in der Mitte – sie hatte die zweijährige Beziehung mit Alan vor einem Vierteljahr beendet, weil ihre Leben sich ändern würden.

Bree warf ihre dunkle Mähne zurück. Alys beneidete ihre Freundin, seitdem sie sich das erste Mal begegnet waren, um deren Haarpracht. Dicke, dunkle Locken umrahmten ihr Gesicht. Bree konnte jede Frisur tragen und es sah einfach großartig aus. Alys seufzte leise und strich sich durch ihre feinen Haare. Sobald sie sie länger wachsen ließ, lagen sie platt am Kopf und für eine Kurzhaarfrisur fehlte ihr der Mut. Die würde ihr niemals so gut stehen wie Chesten mit ihren feinen Gesichtszügen, was ihr Pixieschnitt noch betonte. Aber auch mit langen Haaren sah Chesten einfach wunderbar aus. Feenhaft.

»Haltet ihr an euren Plänen fest?«, fragte Alys, um über den Moment der Traurigkeit hinwegzukommen, der sie überfallen hatte. »Warum bleiben wir nicht hier? Hier ist es schön. Millionen Touristen können sich nicht irren.«

»Sofort nach dem Examen kehre ich zurück.« Chesten lächelte versonnen. Sie war schon immer die Bodenständigste von ihnen und gleichzeitig eine Träumerin gewesen. »Ma braucht mich auf dem Hof. St. Bartholomew ist eine schöne Stadt. Mir fehlt hier nichts.«

»Bäh. Viel zu klein. Das einzig Interessante ist Branok Manor.« Bree schüttelte sich, als wäre ihr ein ekliges Insekt über die nackten Arme gekrabbelt. »Ich will so weit wie möglich weg. Nur raus aus der Enge. Etwas erleben. Die Welt sehen. Erst New York, dann Mailand, Paris …«

Ihre Augen leuchteten, als sie sich ihre bunte Zukunft ausmalte. Alys war sich sicher, dass ihre Freundin alles erreichen würde, was sie sich vorgenommen hatte. Bree war so ein Mensch. Zielstrebig, umtriebig und voller Mut. Nicht so auf Sicherheit versessen wie Alys oder so verträumt wie Chesten. Bree wollte nach New York reisen, um dort bei den Agenturen ihr Glück zu versuchen. Bei dem Gedanken, dass ihre Freundin ans andere Ende des Atlantiks fliegen würde, zog sich Alys der Magen zusammen.

»Und du, Alys?« Chestens sanfte Stimme holte Alys aus ihrem Grübeln. Ihre Freundin streckte die Hand aus und strich ihr über den Arm. »Willst du wirklich Betriebswirtschaft studieren? Du hast so ein großes Talent …«

»Das stimmt«, mischte sich Bree ein. Ihre Stimme klang verwaschen von dem Pimm’s, den sie getrunken hatte. »Wenn ich malen könnte wie du, würde ich Kunst studieren oder Design.«

»Kunst ist brotlos.« Wie oft hatten sie diese Diskussion schon geführt. »Ich bin nicht der Typ, der dafür hungert. Wirtschaft ist etwas Solides, mit Perspektive. Mit einer Zukunft.«

Eine Weile hatte Alys mit dem Gedanken gespielt, an der Falmouth School of Art in Penryn zu studieren. Grandma hatte ihr sehr zugeredet, diesen Weg zu gehen, aber Alys fürchtete, dass sie einfach nicht gut genug wäre, um davon leben zu können. Und beim besten Willen sah sie ihre Zukunft nicht darin, schlechtbezahlte Jobs auszuüben, nur damit sie in ihrer spärlichen Freizeit malen könnte und sich ständig fragen würde, warum andere den Erfolg hatten, den sie sich wünschte. Da wählte sie lieber die Sicherheit und hoffte, diese Entscheidung nicht zu bereuen.

Kapitel 2

Heute, im Mai

Zum dritten Mal versuchte Alys Brände auf Borneo, den zweiten Roman der Jezebel-Bligh-Serie, aus dem Regal zu ziehen, aber ihre zitternden Finger glitten am Buchrücken ab. Wie konnte das nur geschehen? Was hatte sie verbrochen, dass ihr ganzes Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt war?

Die anderen Zutaten für ihre heutige private Trauerfeier lagen auf dem Couchtisch bereit:

Schokolade

Southern Comfort und Ginger Ale

… und eine Packung Taschentücher, weil sie weinen musste.

Mit verschwommenem Blick sah sie sich um. Alles in dem vertrauten Cottage erinnerte sie an ihre Grandma, vor allem die Fotos an den Wänden und über dem Kamin. Sie ging zu dem Schnappschuss, den sie am meisten liebte: Grandma und sie in London während einer Einkaufstour.

»Hier habe ich gewohnt, als ich noch jung war.« Grandmas Augen hatten geleuchtet, als sie auf ein unscheinbares Haus in der Carnaby Street deutete. »Wilde Zeiten waren das. Bis ich deinen Großvater kennenlernte.«

»Warst du ein Groupie?«, fragte Alys, die sich im Internet über die Swinging Sixties informiert hatte und sich nicht vorstellen konnte, wie ihre stets korrekt gekleidete Großmutter in diese Welt passen sollte. »Wovon hast du gelebt?«

Grandmas Antwort war ein Lachen gewesen. »Ach, Kind, das erzähle ich dir, wenn du groß bist.«

Der Stil ihrer Großmutter war in dem behaglichen Häuschen überall zu spüren. Durch indirekte Beleuchtung und helle Farben war es ihr gelungen, aus dem Cottage ein lichtdurchflutetes, behagliches Heim zu schaffen.

Das einzig Dunkle waren die Dielen, die abgeschliffen und versiegelt waren. Alys mochte das Gefühl des warmen Holzes an ihren Füßen und war Grandma dankbar, dass diese das Holz nicht mit Teppich überdeckt oder gar herausgerissen hatte.

Sie fühlte sich zuhause und hatte alles belassen, wie es war, nachdem sie hier eingezogen war. Jeden Raum verband sie mit einer Erinnerung an ihre Großmutter, mit Leben, Streit und Lachen. Noch immer erwartete sie, Grandma auf dem gemütlichen Sofa vor dem Kamin sitzen zu sehen. Die zusammengewürfelten Bücher im Regal trugen Grandmas Namen auf der dritten Buchseite. Manchmal hatte sie auch Bemerkungen zur Geschichte dazu geschrieben, meist, wenn sie sich über die Romane geärgert hatte.

Vor dem Fenster hingen beigefarbene Stoffgardinen, deren aufgedruckte Rosen von dem gleichen intensiven Rot waren wie das Sofa, auf das sich Alys setzte, nachdem sie das Buch endlich herausgezogen hatte, und die Beine anwinkelte.

Dann zog sie eine Bilanz ihres Lebens, die traurig aussah:

Grandma: fehlt mir immer noch unendlich

Chesten: bei ihrem Lover

Bree: In Mailand oder San Francisco oder New York

Job: weg und kein neuer in Sicht

Craig: Flop meines Lebens

… und all das innerhalb kurzer Zeit. Sie konnte kaum fassen, wie schnell ihr Leben zerbrochen war. Noch vor einem Jahr hatte sie als Personalentwicklerin bei einer Londoner Bank gearbeitet und in einer überteuerten, aber schnuckeligen Wohnung in Notting Hill gelebt, gemeinsam mit Craig. Erst überraschte sie die Kündigung, dann die Trennung und schließlich im Oktober der verhängnisvolle Anruf von Grandma.

»Alys, Dearie, ich … ich bin krank. Sehr krank.«

Sofort ließ sie in London alles stehen und liegen, um ihrer geliebten Großmutter in Cornwall beiseite zu stehen. Sechs gemeinsame Wochen waren ihnen vergönnt gewesen. Alys verzog den Mund, hob die Hand vors Gesicht, aber die Tränen ließen sich nicht eindämmen. Sie schnäuzte sich die Nase, goss sich eine großzügig bemessene Portion Southern Comfort ein und füllte das Glas mit Ginger Ale auf. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, öffnete sie das Taschenbuch der Mission für M.I.S.T.R.-Reihe. So wie Grandma liebte sie die Abenteuer der exotischen Heldin Jezebel Bligh und ihres Teams.

»Jedes Mal, wenn Jezebels geheimnisumwitterte Vergangenheit erwähnt wird, trinke ich einen Schluck Southern«, wiederholte sie die Regeln ihres Spiels. »Bei jeder Erwähnung ihrer außergewöhnlichen Attraktivität gibt es Schokolade.«

Wow, erst auf Seite neun und sie musste das Glas bereits auffüllen. Jezebel Blighs hatte eine sehr geheimnisvolle Vergangenheit, was der Autor nicht oft genug erwähnen konnte. Wie eine Meerjungfrau war sie als Kind eines Tages in Borneo halb ertrunken angespült und von einem Eingeborenenstamm aufgezogen worden.

»Auf dich, Grandma.« Alys hob ihr Glas. »Und auf deinen seltsamen Buchgeschmack. Ich vermisse dich. Entsetzlich.«

Erneut stiegen Tränen in ihren Augen auf, denen sie durch einen großen Schluck des süßen Getränks beikommen wollte.

Wieso war die Schokolade schon alle? Das musste an Jezebel Blighs Sex-Appeal liegen. Alys erhob sich, um sich eine neue Tafel zu holen, und plumpste zurück aufs Sofa.

Ups!

Der Southern Comfort wirkte stärker, als er schmeckte. Möglicherweise lag es daran, dass sie seit dem Frühstück nichts gegessen hatte. Der Gedanke an den morgigen Tag raubte ihr den Appetit. Sicher, es war Grandmas letzter Wunsch gewesen, aber musste Alys deshalb ihr Leben umkrempeln?

»Auf den kommenden Mitbewohner.« Darauf noch einen Schluck des leckeren Getränks. Irgendwie hatte Alys das Gefühl, der Southern Comfort würde immer mehr in ihrem Mund. Vielleicht sollte sie erst einmal einen Schluck Wasser trinken. Oder zwei. Doch irgendwie konnte sie sich nicht dazu aufraffen, aufzustehen und in die Küche zu gehen. Stattdessen schniefte sie und schnäuzte sich in das Taschentuch, das schon ziemlich durchweicht war.

Ich bin ganz allein! Niemand liebt mich. Ich könnte hier und heute tot umfallen und es würde Monate dauern, bis es jemand merkt.

Als sie sich weiter in ihr Selbstmitleid einkuscheln wollte, klingelte ihr Smartphone. Wo war das verfluchte Ding nur? Alys stand auf, schwankte, aber es gelang ihr, auf den Beinen zu bleiben, auch wenn sie sich an der Sofalehne abstützen musste. Auf der Suche nach ihrem Telefon kniff sie ein Auge zu, weil sie auf einmal alles unscharf und doppelt sah.

Ah, da war das blöde Ding. Wie es da nur hingekommen war?

Glücklicherweise hatte ihr Anrufer viel Geduld.

»Hallo!« Alys keuchte ein wenig, weil die Suche und vor allem der Versuch, aufrecht zu bleiben, ganz schön anstrengend war. »Ja?«

»Wie viel hast du getrunken?«

»Hallo Bree, Ich freu mich auch, dich ssu hör’n.«

»Ach, komm, wer außer mir sollte heute deshalb anrufen.«

Stimmt. Ein echter Punkt. Chesten war mit den Gedanken meist woanders und außerdem viel zu freundlich, als dass sie Alys an ihre Fehler erinnern würde. Brees Schmerzgrenze lag deutlich tiefer, wenn es um klare Worte ging. In diesem besonderen Fall jedoch hatte Chesten gestern bereits angerufen, um ihr mitzuteilen, dass sie einen Termin für Alys ausgemacht hatte.

Alys seufzte. »Mussu mich daran erinnern?«

»Du trinkst allein?!« Brees Stimme klang ungläubig. »Die wievielte Flasche Sekt?«

»Kein Sekt. Schoschern Comfort, wegen Grandma.« Wenn sie sich auf den Rücken legte und mit der linken Hand ein Auge zuhielt, drehte sich das Zimmer kaum noch. »Und wegen morgen. Chesten hat sich drum gekümmert.«

Schweigen antwortete ihr. Eine skeptische Stille.

»Das willst du doch nicht wirklich machen?«

»Oh doch.« Alys kämpfte gegen einen Schluckauf an und schloss beide Augen. Trotzdem drehte sich das Zimmer noch. »Versprochen is’ versprochen. Hicks.«

»Ach, Darling.« Brees Stimme klang für ihre Verhältnisse sehr sanft. »Deine Grandma würde es verstehen, wenn du dich anders entscheidest. Nach Craig wird noch jemand kommen.«

»Versprochen is’ versprochen«, wiederholte Alys mit Nachdruck in der Stimme. Erneut drohte die Traurigkeit sie zu überwältigen. »Grandma wirsich schon wasch dabei gedacht habn. Craig – wer is’ Craig. FmL.«

Flop meines Lebens, manchmal auch gFmL – der größte Flop meines Lebens. Nicht dass Bree nicht von Anfang an prophezeit hatte, dass er sich als das herausstellen würde.

»Dearie, pack einfach deine Sachen und besuch mich.« Bree wurde nicht müde, ihr dieses Angebot zu machen, obwohl Alys es bestimmt schon zehnmal abgelehnt hatte. »Ich fänd’s schön, wenn du hier wärst.«

Nein, Brees Modelwelt war keine, in der Alys sich einfügen könnte – da war sie sicher.

»Ich muss einen Job finden.« Alys hasste es, wenn sie sich stur und verbissen und spießig anhörte. Konnte Bree denn nicht verstehen, dass sie nicht auf Kosten ihrer Freundin leben wollte? »Auscherdem hab’ ich morgen den Termin.«

Erneut schwieg Bree. Sie war die Königin des vielsagenden Schweigens. Wenn sie nüchtern gewesen wäre, wäre Alys vielleicht eingeknickt. Dank des wunderbaren Southern Comforts konnte sie Brees Schweigen gut aushalten. Ab und zu öffnete sie ein Auge, um zu überprüfen, ob der Raum sich immer noch drehte.

Jep.

»Na gut, dann renn in dein Unglück.« Bree seufzte. Manchmal hörte sie sich an wie die große Schwester, die Alys nie gehabt hatte. »In zehn Tagen komme ich nach St. Bart. Ich habe einen Auftrag in Rom und mache einen Zwischenstopp bei euch.«

»Dann kannscht du ihn oder sie kennenlernen.« Nun war der Schluckauf doch ausgebrochen, obwohl Alys alles versucht hatte, ihn zu unterdrücken. »Ich freu mich, aber ich glaub, ich muss jezz ins Bett.«

»Hoffentlich hast du morgen keinen Kater.« Bree schüttete sich aus vor Lachen. »Du verstehst den Witz.«

»Ja, Bree. Obwohl er nichso lussig ist wie du denkst.« Alys bemühte sich, etwas gekränkte Würde zu verbreiten, aber mit Schluckauf war das nur schwer zu bewerkstelligen. »Gute Nacht.«

»Geh wirklich schlafen und trink nicht noch den Rest aus.« Alys konnte Bree förmlich vor sich sehen, wie sie den Kopf schüttelte. »Tschüs, Love.«

»Ciao.« Alys legte auf und stellte das Glas ab. Einen Moment überlegte sie, sich aus reinem Trotz noch einen Southern Comfort einzuschenken, aber der Schluckauf war ein deutliches Signal, dass sie genug hatte.

Also torkelte sie in die Küche, goss sich dort ein großes Glas Wasser ein, in dem sie eine Magnesium- und eine Kalziumtablette auflöste. Während die Tabletten vor sich hinsprudelten, hielt Alys sich die Nase zu, um den verfluchten Schluckauf endlich zu besiegen.

Sie warf einen letzten verschwommenen Blick durch das Cottage, ob alles für morgen vorbereitet und einsatzbereit war. Ja, sie war gut organisiert. Eine Frau mit miesem Männergeschmack, aber einem eindeutigen Organisationstalent. Ab morgen würde alles anders.

»Proscht!« Mit Todesverachtung trank sie die säuerliche Magnesium-Kalziummischung und hoffte, dass dies dem morgigen Kopfschmerz vorbeugen würde.

Kapitel 3

»Was du nur wieder hast, Mr. Cat?« Emily Warren seufzte. Vom ersten Tag an brachte der grau-weiße Kater nur Scherereien mit sich. Sicher, die Kollegen vom Tierheim in Truro hatten sie vorgewarnt, als sie ihr Mr. Cat angeboten hatten.

»Bei uns findet der nie ein Zuhause. Der präsentiert sich schlecht. Wir haben einfach zu viele Katzen. Unkompliziertere Katzen.«

Also hatte Emily sich breitschlagen lassen, Mr. Cat aufzunehmen. Das von ihr geleitete Tierheim war eines der kleineren, sodass man sich den einzelnen Tieren individueller widmen konnte. Vor allem, weil sie viele ehrenamtliche Helfer hatten – zum Hunde ausführen oder Katzen streicheln. Daher waren die Vermittlungschancen bei ihnen besser als in den größeren Tierheimen. Meistens jedenfalls.

Mr. Cat schien sich als Abweichung von der Norm zu erweisen. Zu Beginn saß der korpulente Kater in einer Wohnhöhle und fauchte und spuckte, sobald sich ihm eine andere Katze näherte. Menschen gegenüber war er nicht wesentlich freundlicher. Selbst die gutmütigsten Katzenstreichler hatten vor seinem Zorn kapituliert. Grumpy Cat konnte sich von diesem Kater noch eine Scheibe abschneiden, was schlechte Laune anging.

Das Einzige, was Mr. Cats Stimmung hob, war Futter, viel Futter. Nachdem Emily festgestellt hatte, dass er anderen Katzen das Fressen raubte – unter Einsatz seiner gesamten Körpermasse – hatte Mr. Cat ein Einzelzimmer bekommen.

Wenn Mr. Cat nur ein wenig zugänglicher wäre. Der Kater schien einfach nicht zu begreifen, dass nur freundliche Katzen eine Chance auf Vermittlung hatten. Emily musste sich eingestehen, dass sie mit diesem Kater nicht warm wurde. Was äußerst unglücklich war, da er wohl den Rest seines Lebens hier verbringen würde.

»Was geht in deinem Kopf bloß vor?« Emily schaute den Kater an, der sie aus seinen runden, grünen Augen musterte. »Nachher kommt eine Frau, die Chesten angemeldet hat. Versuch einfach mal, netter zu sein. Oder willst du für immer hierbleiben?«

Sie wandte sich um. Schließlich gab es noch einen ganzen Wurf Kittens zu betreuen, die sich freuten, sie zu sehen. Als sie den Raum verließ, blieb das unangenehme Gefühl, dass der Kater ihr hinterher starrte und unfreundliche Pläne fasste.

*********

Durfte sie überhaupt schon fahren? Alys’ Kopf dröhnte und schmerzte trotz der Tabletten, die sie gestern genommen hatte. Sie konzentrierte sich auf die Straße, unsicher, weil sie so lange kein Auto mehr gelenkt hatte. Chestens schwarzer Vauxhall kam ihr riesig vor und sie zog den Wagen jedes Mal nach links, wenn ihr ein anderer PKW entgegenkam. Hoffentlich kommt kein Bus, murmelte sie wie ein Mantra vor sich hin. Die ohnehin schmale Straße wirkte noch enger durch die Hecken, die an beiden Seiten wuchsen. Hinter ihnen verbargen sich an etlichen Stellen Mauern aus grauem Fels, mit denen Alys nicht in Kontakt kommen wollte. Ihre Hände am Lenkrad fühlten sich schweißnass an.

Trotz ihrer Panik konnte sie die Fahrt auch genießen. Jedenfalls dann, wenn die Begrenzungen endeten und sich der Blick auf die Felder und Hügel richten konnte. Sanfte Hügel mit Weiden in kräftigem, hellen Grün, umrahmt von dunkelgrünen Hecken, die an Schachbretter erinnerten. Ab und zu schauten hellgraue Felssteine zwischen den Hecken hervor, die als Befestigung dienten. Dazwischen zeigte sich immer wieder das kräftige Grün kleiner Wäldchen wie Flicken auf einem Teppich. Atemberaubend war das Bild, weil sich hinter den Hügeln das tiefe Blau des Meeres erstreckte, das am Horizont in das hellere Blau des Sommerhimmels überging.

Auch wenn sie nicht in Cornwall aufgewachsen war, ein Teil ihres Herzens gehörte hierher. So sehr sie London und dessen Vielfältigkeit geliebt hatte, etwas hatte Alys stets vermisst: das leuchtende Meer, die exotischen Palmen, den wilden Wind und das satte Grün, unterbrochen von den leuchtenden Farben der Blumen, Bäume und Büsche. Das intensive Gelb des Ginsters, das sanfte Blau der Bluebells, die unterschiedlichen Rottöne der Rhododendren und schließlich die Vielfarbigkeit von Kamelien und Magnolien. Dass sie alle Pflanzen benennen konnte, obwohl sie meist erfolglos in deren Pflege war, verdankte sie ihrer Großmutter. Genau wie dieses Abenteuer.

Endlich tauchte das Schild des Tierheims auf, in dem Chesten sie angemeldet hatte. Alys lenkte den Wagen auf den kleinen Parkplatz aus Schotter, stieg aus und wischte ihre Hände an der Jeans ab. Noch einmal tief durchatmen und überlegen, ob sie es wagen wollte. Ja. Mit dem Mut einer getroffenen Entscheidung stieß sie die Tür auf.

»Ich … also … na ja.« So würden ihr die Leute nie eine Katze anvertrauen. Sie sollte seriös und stabil wirken, nicht verzweifelt. Okay, zweiter Versuch. »Also. Ich möchte eine Katze, die sonst keiner haben will. Chesten Gwynn hat mich angemeldet.«

Schweigen antwortete ihr. Die beiden Frauen hinter dem Tresen musterten sie. Emily Warren hieß die Große, Hagere, die sich als Tierheimleiterin vorgestellt hatte. Mit ihren kurzgeschnittenen blonden Haaren und der Aura von Energie erinnerte sie Alys an eine Fitnesstrainerin. Den Namen ihrer deutlich molligeren Kollegin mit wilden dunklen Locken hatte Alys vor Aufregung vergessen. Irgendetwas mit J. Sie wich den Blicken der Frauen aus und schaute sich in dem kleinen Raum um.

Die graugestrichenen Wände waren vollgepflastert mit Suchanzeigen. Computerausdrucke von Hunden und Katzen, die vermisst wurden. Flyer stapelten sich in einem Prospektständer; sie trugen so unerfreuliche Titel wie »Was tun bei Würmern?« oder »Mittel gegen Flöhe und Milben.« Schluck. Daran hatte Alys noch nicht gedacht. Unerwünschte Hausgäste, die ihr Haustier mit sich bringen könnte. Würmer – igitt. Sie war so vertieft in die Bilder, die ihre Fantasie ihr malte, dass sie die Frage von Emily Warren überhörte.

»Entschuldigung«, murmelte Alys, riss sich von den Flyern los und schaute die beiden Frauen an. Obwohl sie äußerlich absolut gegensätzlich wirkten, schwebte über beiden der Eindruck von Resolutheit. So musste man wahrscheinlich sein, wenn man sich um ausgesetzte Tiere kümmerte. War sie die Richtige für eine Katze?

»Warum?« Die Tierheimfrauen wechselten einen Blick. Mrs. Warren führte das Gespräch, während ihre Kollegin Alys nur prüfend musterte. »Warum wollen Sie nicht eine süße kleine Katze? Oder eine mit Rasse? Oder in einer ungewöhnlichen Farbe?«

Was waren das denn für Fragen? Alys war sich inzwischen sicher, dass es keine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Aber es war Grandmas letzter Wunsch gewesen. Und sie war nun einmal eine Frau, die zu ihrem Wort stand. Also Augen zu und durch. Die beiden Tierheimfrauen würde sie hoffentlich nicht wiedersehen. Außerdem fehlte ihr die Energie, sich eine gut klingende Lüge auszudenken.

»Meine Grandma hatte sich vor ihrem Tod gewünscht, dass ich mir eine hole. Und da habe ich mir gedacht, wenn schon eine Katze, dann eine, die chancenlos ist.«

»Das Alter ist ihnen egal?« Die stämmige Tierheimfrau betrachtete Alys mit echtem Interesse. Vielleicht etwas zu viel Interesse. »Geschlecht und Farbe auch?«

Noch konnte sie flüchten. Ihren Namen hatte sie bisher nicht genannt. Wenn sie sich jetzt umdrehte und davonrannte … Aber nein. So ein Mensch war sie nicht. Abgesehen davon würde es sich bestimmt gut anfühlen, einem armen Tier, das ihr ewig dankbar wäre, ein Heim zu geben. Eine Katze, die mit ihr auf dem Sofa säße und Poldark guckte oder Game of Thrones oder Downton Abbey. Ein sanftes Fellbündel, das ihr in den kalten Nächten die Füße wärmen würde.

»Ja. Ich habe keine Präferenzen.« Alys nickte. »Nur ein Mauerblümchen soll es sein.«

Ja, Mauerblümchen klang gut. Nach einem netten, sanften, freundlichen Wesen – so wie sie.

Wieder wechselten die Frauen einen Blick. Dieses Mal allerdings erschien er Alys wie der von Verschwörerinnen. Sie schluckte. Vielleicht war Mauerblümchen doch ein blöder Begriff. Single klang besser, ein bisschen jedenfalls.

»Also …«, sagte Emily Warren. Ihr gestreifter Pullover war übersät mit Katzenhaaren. Ob sie in einem Jahr auch so aussähe, fragte sich Alys. »Wir haben einen Kater, der seit einem Jahr ein Zuhause sucht.«

»Eine Katze wäre mir eigentlich lieber.« Von männlichen Wesen hatte sie seit Craig genug. Andererseits wäre es schön, wieder einen Mann im Haus zu haben. »Aber … ich verlasse mich da ganz auf Sie.«

»Ja, der arme Mr. Cat hat ein bitteres Schicksal.« Erneut sahen die beiden Tierheimfrauen sich an, sodass Alys‘ Skepsis wuchs. »Erst wollten seine Menschen ihn nach ihrer Trennung nicht mehr haben.«

»Und dann?«, fragte Alys, nun doch neugierig, was für ein Hascherl sie erwartete. Ihr Herz wurde weich, als sie daran dachte, einem ungeliebten Wesen Zuneigung zu schenken.

Emily Warren seufzte. »Mr. Cat kam mit seiner Mutter, aber die wollte ihn auch nicht mehr …«

»Ach, der Arme.« Alys schmolz dahin. Später würde sie sich dafür treten, dass sie nicht überlegt hatte, warum Mr. Cats Mutter ihren Sohnemann loswerden wollte. »Ja, der klingt nach dem Richtigen.«

»Haben Sie einen Transportkorb?«, fragte die mollige Frau. Sie grinste so breit, dass sich Alys die Nackenhaare aufstellten. »Wir können Ihnen einen leihen.«

Bevor Alys etwas sagen konnte, verschwand sie hinter einer Tür.

»Ich bin gleich wieder zurück.« Auch Emily Warren eilte davon, als würden ihr die Hacken brennen. Über die Schulter hinweg rief sie Alys zu: »Gehen Sie bloß nicht weg.«

Während Alys wartete, schaute sie sich weiter um. Suchplakate, Aufforderungen, das eigene Tier kastrieren zu lassen, und Bilder glücklich vermittelter Hunde und Katzen hingen übereinander an der Wand.

Auch wenn sie zweifelte, ob sie ein Katzenmensch war, musste sie zugeben, dass Grandma recht damit hatte, einem einsamen Tier ein Zuhause geben zu wollen. Wegen einer Tierhaarallergie hatte ihre Großmutter kein Haustier haben können, daher hatte sie stattdessen Streuner gefüttert und sich im Tierschutz engagiert.

Die Außentür öffnete sich mit einem Quietschen. »Bitte«, hörte sie eine Männerstimme. Der Tonfall war gleichzeitig wütend und flehend, sodass sie sich neugierig umwandte. Sie musste sich korrigieren – der Sprecher sah eher aus wie ein hochaufgeschossener Junge, schlaksig, mit zerzausen Haaren und gebeugten Schultern, als säße er viel vor einem Computer. Höchstens Anfang zwanzig und verzweifelt. »Es war ein Versehen. Meine Eltern hätten den Hund nie hier abgeben dürfen.«

Kapitel 4

»Es tut mir leid«, antwortete das Mädchen am Tresen. »Wir können den Hund nur den abgebenden Menschen überlassen oder einem neuen Besitzer nach Vorkontrolle.«

»Was auch immer das sein mag«, presste der dunkelhaarige Mann hervor. »Wenn ich Buddy nur wiederbekomme, unterziehe ich mich dem gern.«

»Die Vorkontrolle ist ein angekündigter Besuch beim Interessenten«, antwortete die junge Frau mit leiernder Stimme, so als hätte sie das schon hundertfach abgespult. »Wir prüfen, ob Ihre Wohnung tiergerecht ist.«

Niemand vom Tierheim hatte sie besucht, überlegte Alys, weder angekündigt noch überraschend. Bedeutete das, dass sie jetzt unverrichteter Dinge gehen musste, wo sie sich gerade dazu durchgerungen hatte, sich eine Katze auszusuchen? Müssten die Mitarbeiter nicht froh sein, dass sich jemand fand, der eine Samtpfote oder einen Hund aufnehmen wollte?

»Können Sie mir wenigstens versprechen, dass Buddy so lange hierbleibt? Dass sie ihn nicht an Fremde vermitteln werden?«

Meine Güte, dachte Alys, ihm scheint wirklich etwas an dem Hund zu liegen. Aber wieso hat er dann so spät erst bemerkt, dass seine Eltern Buddy weggegeben haben? Ach, was geht es mich an?

»So einen Fall hatten wir bisher noch nicht.« Das Mädchen hinter dem Tresen wirkte irritiert. »Da muss ich die Chefin fragen. Warten Sie bitte einen Moment.«

»Mir bleibt ja nichts anderes übrig«, knurrte er.

Nachdem die junge Frau verschwunden war, drehte er sich um und schaute Alys geradewegs an, was ihr furchtbar peinlich war. Hätte sie bloß weiter die Flyer studiert! Was würde er nur von ihr denken, die so offenkundig gelauscht hatte? Da half nur eins – Frontalangriff.

»Hallo.« Alys lächelte, als wäre da nichts, was ihr peinlich sein könnte. »Ich hatte es mir leichter vorgestellt, ein Tier zu adoptieren. Sagt man das so?«

Der Junge starrte sie mit diesem finsteren Blick an. Dann lächelte er, was sein Gesicht erhellte und ein Grübchen auf seiner linken Wange auftauchen ließ. Alys verstummte. Sie konnte diesen völlig verwandelten Mann nur anstarren und denken: Was für eine Veränderung.

»Suchen Sie auch einen Hund?«, fragte er und kam auf sie zu. Er streckte die Hand aus, als wollte er sich vorstellen. Von Nahem musste sie ihre Einschätzung korrigieren. Er war älter, vielleicht Mitte 20, auf jeden Fall jünger als sie.

»Kommen Sie bitte. Wir möchten Ihnen Mr. Cat zeigen«, unterbrach sie Emily Warren, die Alys zuvor so sehnsüchtig erwartet hatte. Was für ein mieses Timing! Hätte sie nicht noch fünf oder zehn Minuten warten können? Neben ihr stand ihre mollige Kollegin, einen Plastikkorb in der Hand.

»Viel Glück mit Buddy«, konnte Alys daher nur sagen und lief den Tierheimfrauen nach.

»Dann schauen wir ihn uns doch einmal an.« Emily Warren ging mit schnellen Schritten, als fürchtete sie, dass Alys es sich anders überlegen könnte. »Mr. Cat sitzt allein in der Quarantäne-Station.«

»Sollen Katzen nicht zu zweit sein, wenn man sie nur in der Wohnung hält?« Alys wollte ihr zu verstehen geben, dass sie nicht gänzlich naiv auf das Abenteuer »Katze in meinem Leben« losgegangen war. Immerhin hatte sie sich im Internet informiert. Stundenlang. Unglaublich, wie viele Seiten sich mit dem Zusammenleben mit Katzen beschäftigten. Ein paar Bücher hatte sie auch gekauft. Allerdings noch nicht gelesen – das hob sie sich für ihr gemeinsames Leben auf.

»Die meisten schon, aber Mr. Cat ist ein Einzelkater.« Emily Warren schaute gequält. »Er … er war nicht begeistert davon, in der Gruppe zu leben.«

»Man hört doch immer von Tierheimlieben.« Den Gedanken hatte Alys tröstlich gefunden. Selbst Katzen und Hunde fanden irgendwann ihre große Liebe. Warum nicht auch sie?

»Nicht unser Mr. Cat.« Die mollige Tierheimfrau versuchte ein Lächeln, das nicht sehr überzeugend wirkte.

Alys fragte sich, ob es so klug gewesen war, auf einer Katze zu bestehen, die niemand wollte. Das war bestimmt wie mit den Männern, die noch Singles waren. Oder mit Frauen wie ihr. Kurz vor der dreißig, mit einer üblen gescheiterten Beziehung hinter sich.

»Vielleicht hat er nur noch nicht die Richtige gefunden?« So schnell wollte sie die Idee der wahren Liebe nicht aufgeben. »Haben Sie es denn probiert?«

»Mehr als einmal.« Emily Warren schaute stur geradeaus. Ihr Lächeln wirkte wie festgefroren. Von links erklang so lautes Hundegebell, dass sie ihre Stimme erheben musste. »Wenn sie Mr. Cat mit einer anderen Katze zusammenbringen, wird er zum dreibeinigen Raser.«

»Wie bitte?« Alys musste erneut schlucken. Eine behinderte Katze traute sie sich nicht zu. Sie konnte kein Blut sehen. Oder Spritzen. Das wäre eher etwas für Chesten. »Er hat nur drei Beine? Fällt er da nicht um?«

»Keine Sorge. So haben wir das nur genannt.« Die Mollige – Jenna oder Jennifry – lächelte beruhigend. »Mr. Cat faucht wie eine Dampflok und schlägt mit der rechten Vorderpfote nach der anderen Katze.«

»Aber das macht die doch auch.« Alys deutete auf eine winzige schwarze Katze, die nach einer hübschen Roten schlug.

»Ja, aber …« Wieder dieses gefrorene Lächeln. »Mr. Cat hüpft in einem Höllentempo auf drei Beinen hinter seinem Gegner her.«

»Eine Kämpfernatur also.«

»Wenn Sie das so nennen wollen …«

Die mollige Tierheimfrau – Alys entschied sich dafür, sie Jenna zu nennen – öffnete die Tür zu einem Zimmer mit lauter Katzenbabys.

»Ist die süß!« Alys blieb stehen und schaute einem dreifarbigen Kätzchen zu, das eine Stoffmaus über den Boden jagte. »Wie alt ist die denn?«

»Acht Wochen.« Emily Warrens Gesicht wirkte ernst und müde. »Jetzt ist die Zeit der ausgesetzten Kitten. Wenn sie lieber so eine wollen …«

Alys überlegte einen Moment. So ein fröhliches kleines Kätzchen … Die waren schon niedlich, aber brauchten bestimmt viel Betreuung. Außerdem, sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Eine Frau, die keiner wollte, und eine Katze, pardon, ein Kater, den keiner wollte. Sie würde diesem Mr. Cat eine Chance geben.

»Danke, aber ich stehe zu meinem Wort.« Alys wandte sich ab von den Kätzchen, die einander jagten, den Katern, die sich elegant putzten, und den Katzen, die sie mit ihren Blicken verfolgten. »Ich nehme Mr. Cat. Wenn er mich will.«

»Schön. Hier ist er. Ganz hinten.«

Die Tierheimfrau öffnete eine weitere Tür. Ganz am Ende des Raumes trennte eine durchsichtige Plastikwand einen Käfig von den anderen ab.

Mit großen Schritten ging Alys zu dem Kater, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte, und prallte überrascht zurück. Dass ihr die Tierheimfrau in die Hacken lief, bekam sie kaum mit.

Alys konnte den gewaltigen Kater nur anstarren, der bei ihrem Anblick aufgestanden war und sie mit erhobenem Kopf anschaute. Fordernd. Schien ein selbstbewusstes Kerlchen zu sein. Nein, ein ganzer Kerl. Sie hatte Bullterrier gesehen, die kleiner waren. Vielleicht hätte sie sich doch Chestens Hilfe versichern sollen. Die wusste, wie man mit schwierigen Katern und Hunden umging. Nur bei Männern versagte ihr sechster Sinn für Problemfälle.

»Kitty, Kitty, Kitty«, sagte sie mit sanfter Stimme, woraufhin der Kater sich umdrehte und ihr den Hintern zuwandte.