Winterglitzern in Cornwall - Cara Lindon - E-Book

Winterglitzern in Cornwall E-Book

Cara Lindon

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Beschreibung

Was wäre, wenn eine einzige Begegnung dein Leben verändert?

Bree arbeitet als Curvy Model und genießt ihr Single-Leben mit Reisen, spannenden Jobs und unverbindlichen Affären. Ein Anruf ihres Vaters ändert jedoch alles: Sie muss zurück ins beschauliche Cornwall, um sich dort um die Bed & Breakfast Pension ihrer Eltern zu kümmern. Den einzigen Gast kennt sie bereits aus einer unerfreulichen Begegnung in London. Ben, Mitte 30, enttäuscht von der Liebe und gelangweilt vom Job. Er ist sofort von Bree fasziniert, aber sie zeigt ihm die kalte Schulter. Bald entdeckt Bree Anzeichen, dass Ben ihr die wahren Absichten seines Aufenthalts verheimlicht. Aber warum kann sie seine braunen Augen nicht vergessen? Als sie schließlich Bens Geheimnis auf die Spur kommt, droht alles zu zerbrechen. Wird Bree um ihre Liebe kämpfen oder kehrt sie in ihr altes Leben zurück?

Ein Liebesroman mit selbstbewusster Heldin, unerzogenem Hund, höflichem Kater, anstrengender Familie, wunderbaren Freundinnen, zahlreichen Verwicklungen, sowie ganz viel Herz und Humor!

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Seitenzahl: 349

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Was wäre, wenn eine einzige Begegnung dein Leben verändert?

Bree arbeitet als Curvy Model und genießt ihr Single-Leben mit Reisen, spannenden Jobs und unverbindlichen Affären. Ein Anruf ihres Vaters ändert jedoch alles: Sie muss zurück ins beschauliche Cornwall, um sich dort um die Bed & Breakfast Pension ihrer Eltern zu kümmern.

Den einzigen Gast kennt sie bereits aus einer unerfreulichen Begegnung in London. Ben, Mitte 30, enttäuscht von der Liebe und gelangweilt vom Job. Er ist sofort von Bree fasziniert, aber sie zeigt ihm die kalte Schulter. Bald entdeckt Bree Anzeichen, dass Ben ihr die wahren Absichten seines Aufenthalts verheimlicht. Aber warum kann sie seine braunen Augen nicht vergessen? Als sie Bens Geheimnis schließlich auf die Spur kommt, droht alles zu zerbrechen.

Wird Bree um ihre Liebe kämpfen oder kehrt sie zurück in ihr altes Leben?

Ein Liebesroman mit selbstbewusster Heldin, unerzogenem Hund, höflichem Kater, anstrengender Familie, wunderbaren Freundinnen, zahlreichen Verwicklungen sowie Herz und Humor.

Über Cara Lindon

Cara Lindon ist das Pseudonym der Autorin Christiane Lind, die auch mit ihren historischen Romanen im Programm des Aufbau Verlages vertreten ist.

Cornwall ist ihr Sehnsuchtsort, den sie mindestens einmal im Jahr besuchen muss, damit Land und Meer ihre Seele streicheln.

Cara hat ihren Seelenverwandten bereits gefunden und lebt mit ihm und drei Katern in einer kleinen Stadt – leider nicht in Cornwall.

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Cara Lindon

Winterglitzern in Cornwall

Inhaltsübersicht

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Kapitel 1

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Kapitel 4

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Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

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Kapitel 21

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Kapitel 24

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Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Anhang

Glossar

Bree backt

Mousehole Harbour Lights und Penzance

Danksagung

Impressum

Kapitel 1

Sommer vor zehn Jahren

Sollte sie Longo mitnehmen? Bree betrachtete den zerrupft aussehenden Plüschaffen, der sie seit ihrer Geburt begleitet und sich ihre Sorgen angehört hatte. In den letzten fünf Jahren allerdings hatte er ein Schattendasein auf ihrem Bücherregal geführt. Seine braunen Glasaugen schienen sie bittend anzusehen. Ach, so schwer war er nicht – und außerdem ein Stück Heimat. Vorsichtig verstaute Bree ihn in ihrem Koffer.

»Warum gehst du nicht zur Abschlussfeier? Warum willst du immer etwas Besonderes sein?« Damit fing es an. Ihre Mutter war in Brees Zimmer gekommen, natürlich ohne anzuklopfen, als sie ihre Sachen für die große Reise packte. »Wir können es uns nicht erlauben, uns auszuschließen.«

Bree schloss einen Moment die Augen und atmete tief durch. Es lohnt sich nicht zu streiten. Morgen bin ich weg. Morgen bin ich frei. Wortlos packte sie weiter. Sehnsüchtig wartete sie darauf, das Hupen zu hören, das die Ankunft ihrer Freundin Chesten ankündigen würde. Doch leider kam die erwartungsgemäß zu spät.

»Kannst du nicht einmal an deinen Vater und mich denken?«, fuhr ihre Mutter mit der üblichen Litanei fort. »Für unser Hotel brauchen wir die Unterstützung der anderen Eltern.«

Nicht einmal heute konnte ihre Mutter Ruhe geben, obwohl es Brees Schulabschluss war, obwohl sie morgen nach Amerika abreisen würde.

»Hotel?«, schnaubte Bree, deren Geduld nicht besonders ausgeprägt war. »Immer dreht sich alles nur um das verdammte Bed & Breakfast.«

»Fluch nicht!«

»Kannst du mich nicht wenigstens heute nicht nerven? Morgen bist du mich ja endlich los.«

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bereute Bree sie bereits, weil ihre Mutter ihr diesen Blick zusandte. Den Blick, bei dem Bree sich immer mies und gemein vorkam und vom schlechten Gewissen überwältigt zu werden drohte. Bevor sie sich entschuldigen konnte, erklang draußen Hupen. Sie ging zum Fenster, blickte hinaus und atmete erleichtert auf.

»Ich muss los. Meinetwegen müsst ihr nicht aufbleiben.«

Den Abschiedsgruß ihrer Mutter wartete sie nicht ab, sondern lief in die Küche, holte den Champagner – wenn schon, denn schon – aus dem Kühlschrank und packte ihn in den Hello-Kitty-Rucksack zu den Keksen, die sie heute Nachmittag gebacken hatte. Im Flur griff sie nach ihrer blauen Jacke und dann war sie endlich entkommen.

»Tut mir leid.« Chesten war ausgestiegen und umarmte Bree. Sie roch wie immer nach Pferd und Heu und dem Rosen-Amber-Duft von White Musk. »Eines der Ponys ist ausgebrochen und ich musste es einfangen.«

Bree beugte sich zu Chesten herunter und erwiderte die Umarmung. Neben ihrer schmalen blonden Freundin kam Bree sich noch kräftiger und dunkler vor.

»Lass uns losfahren. Alys steht bestimmt schon vor der Tür.«

Während Chesten die dramatische Geschichte des flüchtigen Ponys erzählte, gelang es Bree, den Ärger mit ihrer Mutter langsam hinter sich zu lassen. Auf gar keinen Fall wollte sie sich den heutigen Abend verderben lassen. Die letzte gemeinsame Nacht. So sehr Bree sich auch darüber freute, das provinzielle St. Bart und ihr Elternhaus endlich verlassen zu können, so sehr würde sie Alys und Chesten vermissen, ohne die sie die grässliche Schulzeit niemals überstanden hätte.

»Ups, da ist Alys schon.« Chesten hupte und fuhr an den Straßenrand.

»Hallo Love!« Bree ließ das Fenster herab und beugte sich heraus, um ihrer Freundin einen Kuss zu geben. Alys‘ hellbraune, feine Haare streichelten dabei über Brees Wange.

»Da seid ihr ja endlich.« Alys legte ihren dunkelgrünen Rucksack auf den Rücksitz und stieg ins Auto. Nacheinander umarmte sie Bree und Chesten.

»Sorry.« Selbst ihren besten Freundinnen gegenüber mochte Bree nicht über den ständigen Krach Zuhause reden. »Meine Mutter musste mir eine Predigt halten. Du weißt schon: ‚Trink nicht so viel.‘«

»Sei um Mitternacht wieder Zuhause«, warf Chesten ein.

»Stell nichts an, was wir nicht auch tun würden«, spann Bree ihre Geschichte weiter.

»Grandma hat wie immer gesagt ‚Ich vertraue darauf, dass du vernünftig bist.‘«, antwortete Alys.

Bree seufzte. »Kann sie mich nicht adoptieren?«

Glühend beneidete sie Alys um deren Großmutter, die ihre Enkelin als erwachsenen Menschen behandelte und dazu ermutigte, ihren eigenen Weg zu gehen. Nicht wie Brees Mutter, die sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als dass ihre Tochter ein genauso langweiliges Leben führte wie sie. Vor einem Jahr hatte Bree zufällig eine Unterhaltung ihrer Eltern belauscht, die ihren Wunsch, aus St. Bart zu fliehen, verfestigt hatte.

»Könnten wir nicht versuchen, sie im White Swan unterzubringen?«, hatte ihre Mutter gesagt. »Wenn Bree das Hotelgeschäft von der Pike auf lernt, wäre das bestimmt von Vorteil.«

Bree biss sich auf die Fingerknöchel, dass es wehtat. Ihre Mutter plante ihre Zukunft, ohne sie auch nur zu fragen.

»Breenie interessiert sich doch überhaupt nicht für das Geschäft.« Bree spürte Dankbarkeit für ihren Vater, der nicht einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden wollte.

»Wer soll es denn sonst übernehmen?«, bügelte ihre Mutter den Einwand ab. »Emblyn hat ihre Familie und Pawly ist sehr erfolgreich in seinem Beruf.«

Von diesem Tag an hatte Bree begonnen, Vorbereitungen für ein eigenes, freies Leben zu treffen, hinter dem Rücken ihrer Familie.

Nein, heute Nacht wollte sie nicht daran denken, beschloss Bree und konzentrierte sich auf ihre Freundinnen.

»Ich friere jetzt schon. Wie wird das erst, wenn die Sonne untergegangen ist?«, hörte sie Alys sagen.

»Ich hab‘ Champagner dabei.« Bree hob ihren Rucksack hoch. »Du musst nur genug trinken, dann wird dir schon warm.«

»Meine Mutter hat uns Sandwiches gemacht und Scones eingepackt.« Chesten bog in eine schmale, von hohen Hecken gesäumte Straße ein.

»Hey, für die Süßigkeiten bin ich zuständig«, antwortete Bree und schob die Unterlippe vor, als ob sie beleidigt wäre. »Ich habe den ganzen Tag gebacken. Fairings und SaffronBuns. Wehe, es bleibt etwas übrig.«

Sie holte die Dosen mit den Ingwer- und Safrankeksen hervor. Durch das Backen hatte sie sich von dem Ärger mit ihrer Mutter ablenken können, wie so oft in den vergangenen Jahren.

Ihre Freundinnen lachten, aber es wirkte irgendwie traurig. Oder lag es an ihr? Trug sie den Streit weiter mit sich, obwohl sie es nicht wollte?

»Ich würde jedes Mal in Panik geraten«, sagte Bree, um ihre Gedanken nicht weiter wandern zu lassen. Sie bewunderte, wie geschickt Chesten rückwärtsfuhr, um einem entgegenkommenden Auto Platz zu machen. »Diese engen Wege – und dann die Hecken an der Seite … Das ist nichts für mich.«

Die Straßen waren wie alles hier: klein und einengend. Ich will frei sein, will die Welt sehen, will mich nicht einschränken müssen.

»Wenn du wie ich mit acht Jahren Treckerfahren gelernt hast, fällt dir Autofahren leicht. Alles nur Übung.«

Am Ende des Weges fuhr Chesten an die linke Seite und stellte den Wagen ab. Bree sprang aus dem Auto und ging zum Kofferraum. Sie öffnete die Klappe und drückte Alys die rotkarierte Picknickdecke und den Picknickkorb in die Hand. Chesten nahm die Tüte mit dem Feuerholz, Bree griff sich den MP3-Player und die Lautsprecher.

Der schmale Weg zu ihrer Bucht schlängelte sich durch kornische Heide, die jetzt immergrün und struppig aussah. Erst im Spätsommer würde sie erblühen und die Landschaft in unterschiedliche Rottöne tauchen. Dann bin ich bereits in Amerika und hoffentlich erfolgreich. Bree schaute sich um, ob sie irgendwo Holz fände, auf das sie klopfen könnte.

»Friends are forever«, stimmte sie laut und falsch den Song an, den sie zu ihrer Hymne erklärt hatten. »Lovers may leave but friends are forever … foooooorever«, fielen Chesten und Alys ein.

Wehmut überkam Bree. Ob es wahr war, dass sie für immer Freundinnen bleiben würden? Warum musste sie auch gleich so weit weg flüchten? Warum war sie nicht gemeinsam mit Alys nach London gegangen? Danke, Mum, dass du mir meinen letzten Abend verdorben hast.

Sie ließen ihr Gepäck im abgekühlten Sand zurück und gingen engumschlungen zum Meer. Da Ebbe war, zeigte sich ein breiter Streifen des hellen Sands.

»Seht nur.« Chesten deutete auf den aufgeklarten Himmel, an dem leuchtendrot die Sonne stand. Die Hitze flirrte um sie herum. Nach und nach färbte der Himmel sich orange und rot, was die schroffen Klippen geheimnisvoll aufleuchten ließ. Schaumkronen tanzten auf dem Wasser und rollten langsam in ihre Richtung. Morgen würde Bree über dieses Meer fliegen und alles hier hinter sich lassen.

»Das wollt ihr wirklich verlassen?« Chestens Worte durchbrachen die Stille des Augenblicks. »So etwas Wundervolles haben weder London noch New York zu bieten.«

»Kommt, lasst uns feiern«, antwortete Bree, die fürchtete, dass die Stimmung kippen würde, wenn sie ihre Freundinnen nicht ablenkte. »Ich habe Durst, ihr nicht?«

Gemeinsam suchten sie sich einen windgeschützten Platz und hoben eine Grube für das Lagerfeuer aus. Chesten, die am praktischsten veranlagt war, kümmerte sich um das Feuer, während Bree die Decke ausbreitete und das mitgebrachte Essen auf den Picknicktellern verteilte.

Sie schauten einander an, betrachteten Essen und Getränke und schwiegen. Nur zu sehr war ihnen bewusst, dass es die Zeit des Abschieds war.

»Nur nicht sentimental werden, Mädels«, rief Bree. Sie stolperte über die künstliche Fröhlichkeit in ihrer Stimme. »Egal, was unser Leben bringt, wir werden immer Freundinnen sein. Mach mir einen Royal Pimm's, Barfrau.«

»Sehr gerne! Öffne den Champagner, Darling.« Alys schnitt Gurke, Zitrone und Erdbeeren in Stücke und füllte sie in zwei hohe Gläser. Dann folgten Eiswürfel. Großzügig bemaß sie den Pimm's Likör, bevor sie Bree die Gläser reichte. Die füllte mit Champagner auf und gab Alys ein Glas zurück.

Chesten hatte sich Ginger Ale eingegossen und erhob ihr Glas. »Auf uns. Auf die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann.«

»Bye, bye, Comprehensive School. Jetzt kommt das Leben.« Bree trank einen großen Schluck Pimm's, der bitter schmeckte. »Ich werde euch vermissen.«

Mist! Das hatte sie doch nicht sagen wollen, um ihnen den letzten Abend nicht zu verderben. Manchmal fiel es ihr schwer, die Fassade aufrecht zu halten; manchmal konnte sie nicht mehr unterscheiden, was nur gespielt und was echt war.

»Wir wollten doch nicht sentimental werden«, sagte Alys zu Brees Überraschung. Sie hatte erwartet, dass sie am meisten unter der Trennung leiden würde. Chesten hatte ihre Familie und die Tiere, Bree suchte die Freiheit, aber Alys … »Lasst uns essen. Ich verhungere gleich.«

»Na endlich. Ihr wisst doch, dass ich auf meine Figur achten muss als zukünftiges Plus-Size-Model.« Bree verteilte die randvollen Teller.

»Vielleicht hätten wir doch zur Feier gehen sollen …« Chesten schaute ihre Freundinnen an. »Schließlich macht man den Schulabschluss nur einmal im Leben.«

Bree und Alys wechselten den Blick, den sie immer wechselten, wenn Chesten wieder einmal zweifelte.

»Die ganze Schulzeit über sind die anderen uns auf die Nerven gegangen, haben uns doof behandelt und jetzt soll ich so tun, als wäre alles gut?« Warum also sollte man am letzten Tag vorgeben, sie wären alle die besten Freunde? »Weil es so ein besonderer Moment ist, will ich ihn mit euch verbringen. Nicht mit arroganten Tussis und dämlichen Jungs.«

»Ich hatte gehofft, dass Yestin …« Chesten schaute zu Boden.

Alys nahm sie in die Arme. »Ach, Darling. Yestin hat nur Augen für Stacey. Und du bist viel zu gut für ihn.«

Chesten nickte, aber ihr Blick blieb traurig. Manchmal musste Bree sich zurückhalten, um ihre Freundin nicht zu schütteln, die sich immer in die falschen Jungen verliebte. Niemals würde Bree sich selbst so aufgeben, nur für einen Mann. In ihrem Leben spielte die Liebe nur eine Nebenrolle. Sicher, sie flirtete gern und mochte Sex, aber das bedeutete nicht, dass sie ihre Unabhängigkeit opfern würde. Wie ihr Song es sagte: Liebhaber gingen, Freundinnen blieben ein ganzes Leben. Ihr Blick wanderte von der zierlichen Chesten, die aussah wie eine klassische englische Rose, obwohl ihre Mutter eine Deutsche war, zu Alys mit den feinen Haaren und dem schmalen Gesicht. Sie selbst fiel auf, das wusste Bree, durch ihre Größe, durch ihre Rundungen, durch ihre dunkle Mähne. Genau das wollte sie nutzen, um leichtes Geld zu verdienen. Warum eine Ausbildung machen, wenn man mit Modeln schnell und einfach seinen Lebensunterhalt sichern konnte? Natürlich war sie nicht naiv und hegte die Illusion, dass die Modewelt nur auf sie wartete, aber sie hatte herausgefunden, dass man selbst als Katalogmodel gutes Geld bekam. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert.

»Haltet ihr an euren Plänen fest?« fragte Alys. »Warum bleiben wir nicht hier? Hier ist es schön. Millionen Touristen können sich nicht irren.«

»Sofort nach dem Uni-Abschluss kehre ich zurück.« Chesten lächelte versonnen. Bree beneidete sie ein wenig um die Gewissheit, mit der sie in ihre Zukunft sah. »Ma braucht mich auf dem Hof. St. Bartholomew ist eine schöne Stadt. Mir fehlt hier nichts.«

»Bäh. Viel zu klein. Das einzig Interessante ist Branok Manor«, warf Bree ein. Sie musste so starke Worte wählen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass ihre Entscheidung die richtige war. »Ich will so weit wie möglich weg. Nur raus aus der Enge. Etwas erleben. Die Welt sehen. Erst New York, dann Mailand, Paris …«

»Und du, Alys?« Chesten streckte die Hand aus und strich Alys über den Arm. »Willst du wirklich Betriebswirtschaft studieren? Du hast so ein großes Talent …«

»Das stimmt«, mischte sich Bree ein. »Wenn ich malen könnte wie du, würde ich Kunst studieren oder Design.«

Wenn sie ein Talent hätte wie ihre Freundin, würde sie es niemals brachliegen lassen, aber so, ganz ohne herausragende Fähigkeiten oder Interessen war Bree gezwungen, sich ihren Weg zu suchen. Das Modeln war ein Anfang, vor allem wollte sie damit Geld verdienen, um unabhängig von ihren Eltern zu sein. Bree hatte Dutzende von Jobs gemacht, um sich die Reise in die USA und den Lebensunterhalt für zwei Monate zu sichern. Wenn sie bis dahin keinen Erfolg hätte … Nun, das würde sich zeigen.

Kapitel 2

Heute im Oktober

Bree spürte ihren linken Arm nicht mehr, gefühlt seit einer halben Stunde, und noch immer war das Jüngelchen hinter der Kamera nicht zufrieden mit ihrer Pose. Verdammt, sie war Model, kein Schlangenmensch, und er war nur ein verfluchter Katalogfotograf und kein Helmut Newton oder Mario Testino. Vom Perfektionismus her konnte er es allerdings mit Rankin aufnehmen. Um Himmels willen, es ging hier nur um Katalog-Fotos, nicht um das Cover der Vogue.

»Mädchen, mehr Körperspannung«, rief er mit seiner hohen Stimme, die in Bree den Verdacht geweckt hatte, dass er dem Stimmbruch noch nicht entwachsen war. »Und lächeln, dein Cover-Lächeln will ich sehen.«

Dich möchte ich lächeln sehen, wenn jeder Muskel wehtut, weil dich jemand in eine blödsinnige Pose zwingt, dachte Bree.

»Jeder Auftrag zählt. Gib immer dein Bestes, egal ob Cover oder Katalog«, das hatte Sarah, ihre Agentin, Bree von Anfang an gesagt. »Du weißt nie, wer die Bilder sieht.«

Das war ein Grund, der andere war, dass Bree es einfach nicht fertigbrachte, schlechte Arbeit abzuliefern, selbst wenn der Fotograf die Pest war wie dieses Jüngelchen, der sie behandelte, als wäre sie ein blondes Dummchen.

»So ist gut, Mädchen. Warum nicht gleich so, Mädchen?«

Ich könnte deine Mutter sein, dachte sie und lächelte, aber wenn ich deine Mutter wäre, hättest du mehr Respekt Frauen gegenüber und würdest sie nicht Mädchen nennen. Ich habe einen Namen, verdammt noch mal.

»Okay, das war’s.« Er nahm die Kamera herunter und ging nach hinten, wo Essen und Getränke warteten. Nicht einmal das übliche »Danke« hielt er für nötig. Lag es an ihrer Wahrnehmung, dass die Fotografen immer jünger und unhöflicher worden? Oder war sie inzwischen zu alt für diesen Job?

Während sie sich ihren Bademantel überwarf, dachte Bree an all die Kolleginnen, mit denen sie einmal begonnen hatte und die im Laufe der letzten zehn Jahre verschwunden waren. Geheiratet und Kinder bekommen hatten einige, ein Studium oder eine Berufsausbildung begonnen andere. Nur zwei oder drei Models, die sie so lange kannte, dass Bree sie als Freundinnen betrachtete, arbeiteten noch, aber dachten inzwischen auch darüber nach, etwas anderes zu machen. Zu viele junge Frauen drängten auf den Markt, häufig bereit, sich schlechter bezahlen zu lassen, um den Einstieg zu schaffen.

Zwar holte Sarah mehr als genug Aufträge ein, was Bree die Chance gab, auszuwählen. Aber wie lange noch? Wer kannte schon Models, die älter als 35 Jahre waren? Natürlich gab es ein paar berühmte Ausnahmen, Supermodels wie Kate Moss, Naomi Campbell und Christy Turlington, die alle jedoch dem klassischen Model-Schönheitsideal entsprachen. Curvy Models wie Bree hingegen waren eine Modeerscheinung. Es stand zu befürchten, dass die Modewelt irgendwann genug von weiblichen Rundungen hätte und wieder zum Mager-Look zurückkehren würde.

Auch wenn sie genügend Jobs bekam, fand Bree ihr Leben nicht mehr so aufregend und interessant wie vor zehn oder sogar vor fünf Jahren. Der Glanz der Reisen rund um den Globus war verblasst, ebenso wie der der Partys, auf denen sie Schauspieler, Musiker und gelegentlich Künstler traf.

Auf Partys konnte sie weder viel trinken noch bis früh in den Morgen feiern, weil sie ihren Schönheitsschlaf brauchte. »Disziplin ist der Schlüssel zum Erfolg«, auch das hatte Sarah gepredigt, als sie Bree unter Vertrag nahm. Maßhalten beim Feiern, beim Trinken und selbst beim Essen. Sie musste – wie alle Models – darauf achten, was sie aß. Tunlichst sollte sie auf alles verzichten, was zu Hautunreinheiten führte, wie Schokolade.

Nur wenn sie Abstecher nach St. Bart unternahm, ignorierte Bree ihre Essensvorschriften und gönnte sich, was sie liebte. Das bezahlte sie mit verschärftem Training und mahnenden Worten der Make-Up-Artists, die ihre Hautunreinheiten überschminken mussten. Scones schmeckten aber einfach zu gut – und an Nannis Schokoladenkuchen durfte sie gar nicht erst denken.

Apropos Essen. Bree schaute auf die Uhr. Noch zwei Stunden, bis sie sich mit Madison, ihrer Personal Trainerin, traf. Da konnte sie sich noch schnell etwas gönnen. Hoffentlich hatte der magere Junge, der sie fotografiert hatte, nicht alles aufgefuttert.

»Gut, dass es Photoshop gibt«, hörte sie seine hohe Stimme, als sie sich dem hinteren Teil des Raums näherte, der durch einen Paravent abgeteilt war. »An den Bildern ist einiges nachzuarbeiten. Wer will schon Falten sehen? Und Cellulitis.«

»Du übertreibst.« Das war die Stimme der Frau, die für die Kleidung verantwortlich war. »Der Kunde hat explizit Bree angefragt.«

»Warum sie heute alle die Fetten in den Katalogen wollen, versteh ich beim besten Willen nicht.« Er gab ein Geräusch des Abscheus von sich. »Fett sein ist Willensschwäche.«

Gerade, als sie hinter den Raumteiler stürmen wollte, um ihm ein paar passende Worte zu sagen und möglicherweise auch eine zu knallen, wie er es verdiente, brummte ihr Smartphone. Hoffentlich war es Sarah, der Bree gleich sagen konnte, dass sie mit diesem Typen nie wieder arbeiten würde. Sie schaute auf das Display. Ihr Finger zögerte einen Moment, bevor sie den Anruf annahm.

»Hallo Mum.«

»Ich bin’s, dein Dad.«

»Ist etwas mit Mum?« Noch nie hatte ihr Vater angerufen. Er kam immer zum Schluss ans Telefon, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln, ganz klassisch.

»Bree, Love, wir brauchen dich.« Selbst über die weite Entfernung zwischen St. Bart und New York konnte sie die Besorgnis in seinem Tonfall so deutlich hören, dass ihr übel wurde. Alles andere, selbst der gemeine, dumme Fotograf, verlor plötzlich an Bedeutung.

»Was … Dad … was ist geschehen?« Wie von selbst fuhren die Finger ihrer linken Hand in ihr Gesicht, kratzten über Wange und Kinn.

»Deine Mum hatte einen Schwächeanfall und musste ins Krankenhaus.« Sie konnte ihm so sehr anmerken, wie er sich bemühte, optimistisch zu wirken, dass es Bree körperlich schmerzte. »Dort haben sie etwas entdeckt …«

»Was?!«, hätte sie am liebsten ins Telefon gebrüllt. »Verflucht, sag es mir und mach es nicht so dramatisch.«

Aber sie kannte ihren Vater und wusste, dass er ihr die Geschichte in dem ihm eigenen Tempo erzählen musste. Wenn sie ihn drängelte, würde er nur noch länger brauchen.

»Einen Tumor. Nichts Bösartiges, heißt es, aber sie muss operiert werden.« Er seufzte, was sich beinahe anhörte, als kämpfte er gegen Tränen an. »Mehr konnten die Ärzte nicht sagen. Aber sie muss länger ins Krankenhaus. In zehn Tagen.«

Erneut seufzte er. Sie schwieg, weil sie ihn durch Fragen nicht zum Verstummen bringen wollte. Aber es fiel ihr unglaublich schwer. Bree presste die Lippen zusammen, bis diese schmerzten, damit ihr nur ja kein Wort entkam.

»Kannst du kommen?«, fragte ihr Vater schließlich. »Dein Bruder muss arbeiten, deine Schwester hat mit den Kindern genug zu tun.«

Natürlich. In euren Augen arbeite ich ja nicht, sondern jette aus Spaß um die Welt und lasse mich von kleinen Klugscheißern beleidigen. Ihr Bruder wohnte fünf Meilen entfernt, seine Frau war Zuhause, und die Kinder ihrer Schwester gingen zur Schule, aber natürlich dachte ihre Familie in so einer Situation sofort an Bree. Das hatte sich in den vergangenen zehn Jahren nicht geändert und würde sich wohl nie ändern.

Für ihre Eltern würde sie immer die bleiben, die keinen seriösen Job hatte und sich ihre Zeit frei einteilen konnte. Bestimmt hegten ihre Eltern noch die Hoffnung, dass Bree eines Tages das Bed & Breakfast übernehmen würde. So wie Bree es sah, brachte das Hotel nur Arbeit und kaum freie Tage mit sich. Reich geworden waren Mum und Dad damit bisher nicht. Cornwall boomte, nur ihre Heimatstadt bekam davon nichts ab.

»Ich werde versuchen, rechtzeitig da zu sein«, antwortete sie nach einigen Momenten des Nachdenkens. »Ich muss schauen, ob Sarah Projekte für mich hat.«

»Ja, musst du wohl.« In den wenigen Worten schwangen so viele unausgesprochene Vorwürfe mit, dass Bree auflegen wollte, aber sie brachte es nicht übers Herz, ihre Eltern im Stich zu lassen.

»Ich melde mich gleich wieder.« Sie legte auf, atmete einmal tief durch und schob alle Gedanken zur Seite, die sich mit Krankheit und St. Bart beschäftigten.

»Hallo Sarah, ein Notfall in der Familie. Kannst du die Jobs umbuchen?«

»Für dich tue ich das, Lovely.« Sarahs Stimme hörte sich an, als hätte sie heute bereits zwei Schachteln Zigaretten geraucht, die sie mit Whiskey begleitet hatte. Dabei lebte ihre Agentin strikt abstinent und makrobiotisch. »Was ist los?«

»Meine Mutter ist krank. Ich muss nach St. Bart.« Sie stöhnte auf bei dem Gedanken, wieder in ihr Kinderzimmer ziehen zu müssen. »So schnell wie möglich.«

»Kannst du auf dem Weg dorthin in London Station machen?« Sarah sprach leichthin, aber Bree kannte ihre Agentin gut genug. Je mehr Sarah versuchte, etwas unbedeutend erscheinen zu lassen, desto wichtiger war es ihr. »Ich buch‘ dir ein Zimmer und kümmere mich um den Flug. Brauchst du ein Auto?«

»Ich fahr von London aus mit Bahn oder Bus. Kannst du mir etwas suchen, bitte?«

»Sicher.« Von Abschiedsworten hielt Sarah nichts, was Bree zu Beginn ihrer Zusammenarbeit verunsichert hatte. Inzwischen allerdings nahm sie es kaum noch wahr.

»Ich komme«, sagte sie ihrem Vater. »Heute Abend kann ich dir sagen, wann.«

Gut, dass Sarah sich um alles kümmerte.

Als letztes wählte sie Alys Nummer. Kaum hörte sie deren »Hallo« konnte sie freier atmen.

»Alys, Love. Ich werde mir euer Projekt schneller ansehen, als du ahnst.« Bree zögerte, ihre Stimme drohte zu kippen. »Nächste Woche komme ich nach Hause. Meine Eltern … sie brauchen mich.«

»Kann ich helfen? Was ist los?«

»Nichts Schlimmes, hoffe ich. Meine Mutter muss ins Krankenhaus und Dad braucht Unterstützung.«

Die Stimme ihrer Freundin zu hören, hatte sie beruhigt. Obwohl ihre Hände ein Eigenleben zu führen schienen und ihr der Appetit vergangen war, war sie nun zuversichtlicher. In St. Bart war sie nicht allein.

»Friends are forever«, summte sie vor sich hin.

Auch wenn der Anruf ihres Vaters sie erschüttert hatte, eines blieb noch zu tun. Bree schob Angst und Sorge zur Seite wie den Paravent.

»Bald ist Weihnachten«, sagte sie zu dem Fotografen. »Böse kleine Jungen wie du sollten nicht auf Geschenke hoffen. Ciao.«

Kapitel 3

Nachdem London sich Bree gestern von seiner düsteren Seite gezeigt hatte – Nieselregen und Novembergrau – meinte es die Stadt heute Morgen gut mit ihr. Sonnenstrahlen schienen in ihr Hotelzimmer und gaben Bree Hoffnung. Vielleicht war die Krankheit ihrer Mutter harmlos, vielleicht würde sie St. Bart schon in ein paar Tagen wieder verlassen können, vielleicht hatte Sarah den besten Job aller Zeiten für sie bekommen.

Nach einem ausgiebigen Frühstück – einer der Gründe, warum Bree so gern in diesem Hotel am Kensington Park abstieg – zog sie ihre Sportkleidung an. Ihre Agentin hatte sich geweigert, Bree zu sagen, was sie mit ihr besprechen wollte. Eine Joggingrunde war das ideale Mittel, um sich von allen Spekulationen abzulenken. Sie nickte dem Portier zu und ging durch die gläserne Drehtür.

Bree bevorzugte die ruhigeren Ecken des Kensington Parks, um sich auf ihren Laufrhythmus konzentrieren zu können. Nach kurzem Stretching verfiel sie in einen leichten Trab. Die feinziselierten schmiedeeisernen Tore des Black Lion Gates, die durch ihre spitzen Zacken und die schwarze Farbe bedrohlich wirkten, standen weit offen und gewährten einen Blick auf die riesigen alten Bäume, die die breite Allee säumten. An der rot-goldenen Laubfärbung zeigte sich deutlich der Herbst. Bree steigerte ihr Tempo, als sie nach links in den Park einbog. Der Sand federte unter ihren Füßen.

Aufgeschreckt huschte ein Grauhörnchen den Stamm einer Steineiche empor, einem der wenigen Bäume, die Bree mit Namen kannte. Langsam erwärmten sich ihre Muskeln, als sie den Broad Walk entlangjoggte, in Richtung Kensington Road. Nach kurzer Zeit sah sie aus dem Augenwinkel den KensingtonPalace, in dem Lady Diana nach der Trennung von Prinz Charles gelebt hatte. Auch heute warteten hier einige Touristen, als hofften sie, die Prinzessin würde zurückkehren. Am Palastzaun lagen frische Blumen und Briefe. Sie hielt nicht an, um herauszufinden, welche Nachrichten in Memoriam für die ehemalige Prinzessin hinterlassen worden waren. Stattdessen hielt sie auf den Round Pond zu und erfreute sich an der Eleganz der Schwäne, die unbeeindruckt von den Besuchern ihre Kreise auf dem See zogen.

Bree wandte sich nach Südosten, in Richtung des Albert Memorials. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass ihr noch genügend Zeit blieb. Daher milderte sie ihr Tempo, bis sie in einen angenehmen Trott fiel, den sie für eine lange Zeit beibehalten konnte. Sie hatte sich für eine ihrer Lieblingsstrecken entschieden, die sie zu The Serpentine, dem großen See, führen würde. Ihr Weg kreuzte einen der Reitwege, die durch den Park führten. Frische Pferdeäpfel dampften in der kühlen Luft. Bree rümpfte die Nase.

»Willkommen im Hyde Park«, murmelte sie, nachdem sie die Brücke des Sees überquert hatte, der die beiden großen Parks voneinander trennte. Obwohl The Serpentine voller Ruderboote und Wasservögel war und etliche Menschen, Londoner und Touristen, die Oktobersonne nutzten, genoss Bree den Frieden, den sie beim Anblick des Wassers empfand.

Ich sollte jeden Moment der Ruhe mitnehmen, bevor ich mit Mum zusammenstoße.

Der Gedanke ließ sie schneller laufen, als könnte sie so dem anstehenden Konflikt entgehen, der in St. Bart auf sie wartete, sollte ihre Mutter sich nicht durch ein Wunder oder die Krankheit verändert haben. War sie eine schlechte Tochter, weil ihr solche Gedanken durch den Kopf gingen?

In dem Moment galoppierte ein braunweiß gefleckter Hund laut bellend auf sie zu. Dabei hatte sie sich bewusst für eine Strecke entschieden, auf der Hunde an der Leine zu führen waren. Aufgrund ihrer Hundeerfahrung entschied sie sich dafür, nicht weiter zu joggen, solange der Beagle frei war.

Na, das ist mal wieder typisch, dachte Bree und trabte entnervt auf der Stelle. Ein Hundebesitzer, der sich nicht an das Leinengebot hält, weil

sein Dexter / Russel / Monty oder Oscar so gut erzogen ist, dass er frei herumrennen darf,

der Leinenzwang den natürlichen Bewegungsdrang des Hundes einschränkt und damit Tierquälerei ist,

normalerweise hier NIEMAND um diese Uhrzeit joggt oder

Winston / Alfie / Bonnie oder Jack nur spielen will.

Ignorante Hundehalter. Wie sie die hasste!

Und – überraschenderweise – waren es immer die Menschen, deren Hunde am schlechtesten erzogen waren, die sich nicht an die Regeln hielten. So wie dieses Prachtexemplar: Ein Mann, etwa so groß wie sie, der hinter seinem Beagle herjagte und brüllte: »Charlie Brown. Komm sofort her, Charlie Brown!«

So wie der Hund reagierte, hätte der Mann auch »Lauf so schnell du kannst, und versuch die Frau zu fangen, Charlie Brown!« rufen können.

Bree trabte immer noch auf der Stelle und beobachtete das Schauspiel. Eins musste sie dem Beagle lassen. Für einen Hund hatte er wirklich Humor. Er ließ seinen Besitzer bis auf ein paar Schritte an sich herankommen und rannte dann, wie von Wölfen gehetzt, davon, nur um sich ein paar Meter weiter auf seinen Hintern zu setzen, den Kopf schief zu legen und auffordernd zu kläffen.

Immerhin – und das hielt sie ihm zugute – hatte der Besitzer nicht versucht, mit ihr zu darüber zu diskutieren, ob der Beagle ein braver Hund wäre, an dem sie unbesorgt vorbeijoggen könnte. Nein, er war sofort losgestürzt, um Charlie Brown einzufangen …

… und das war jetzt das Ergebnis: ein Rennen zwischen Herrchen und Hund, das eindeutig der Beagle für sich entscheiden würde. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihre Befürchtungen. Wenn er Charlie Brown (immerhin ein pfiffiger Name) nicht bald einfing, käme sie zu spät zu ihrem Treffen mit Sarah, die Unpünktlichkeit verabscheute.

»Na ja, ein bisschen Sport hat dein Mensch auf jeden Fall nötig«, murmelte Bree in sich hinein und beschloss, dass sie, da der Beagle abgelenkt war, gefahrlos weiterlaufen konnte.

»NEIN! NEIN! Auf keinen Fall! CHARLIE Brown, aus!« Als sie die ansteigenden Schreie hörte, erkannte Bree, dass das Weiterjoggen nicht eine ihrer besten Ideen gewesen war.

Der Beagle hatte wohl entschieden, dass Herrchen fopppen deutlich langweiliger war als Beute jagen, und raste bellend auf sie zu. Sie hielt an.

»Mist, damit ist das Training heute für die Katz«, zischte sie dem Beagle entgegen, der immer noch auf sie zukam, jetzt aber mit geöffnetem Maul und schwanzwedelnd. Mit deutlichem Abstand folgte sein Herrchen.

Bree stand ruhig, aber in ihrem Innern kochte es. Sie liebte es, wenn sie in Kensington Gardens und im Hyde-Park joggen konnte. Jedes Mal, wenn sie in London war, nutzte sie die Chance. Hier hatte Laufen etwas Meditatives, bei dem sie allen Ärger und alle Sorgen vergessen konnte. Und jetzt das! Ausgerechnet heute, wo sie knapp in der Zeit lag.

Während der Beagle kläffend um sie herum hüpfte, sah Bree dem Mann entgegen, der sich wacker abmühte, seinen Hund zur Räson zu bringen. Das Repertoire reichte von »Charlie, lass das!« über »Sitz, Charlie!« bis hin zu »Komm sofort her, Charlie Brown. SOFORT!«, alles mit einem Keuchen in der angenehm dunklen Stimme und keinerlei Effekt auf den Hund.

Endlich war er angekommen und griff nach dem Halsband des Beagles. Der blieb stehen und wedelte mit dem Schwanz. Bree hätte schwören können, dass der Hund sie angrinste.

Neugierig musterte Bree den Mann, der angestrengt atmete. Irgendwie passte alles an ihm nicht so recht zusammen: sein dunkler Zauselbart und die ausgewachsene Frisur bildeten einen seltsamen Kontrast zu den teuren Schuhen und dem eleganten Regenmantel von Hackett, den Bree auf den ersten Blick erkannte. Er sah aus, als hätte er sich gehen lassen, aber erst seit Kurzem. In einem Anflug von Neugier fragte sie sich, was wohl für eine Geschichte dahintersteckte.

»Tschuldigung«, murmelte Zauselbart, während er die Leine am Halsband befestigte. »Das macht er sonst nie.«

Dieser Spruch brachte Bree dazu, die Augen zu verdrehen. Wenn sie jedes Mal fünf Pfund bekäme, wenn ein Hundebesitzer etwas in der Art sagte, könnte sie sich auf einer Südsee-Insel zur Ruhe setzen. Sie holte tief Luft und donnerte los: »Können Sie Ihren Hund nicht an der Leine behalten?!«

Beinahe tat er Bree leid, wie er den Boden anstarrte und hilflos den Beagle streichelte, aber nur beinahe. Obwohl er von Nahem attraktiv aussah mit seinen hellbraunen Haaren und dunkelbraunen Augen. So dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten, unter kräftigen Augenbrauen, die gezupft aussahen. Auch das passte nicht zu Haaren und Bart. Am auffallendsten jedoch waren seine Lippen: geschwungen und voll, sodass sie weiblich wirkten.

»Das hier ist ein Weg mit Leinenpflicht. Menschen wie Ihnen sollte man verbieten, Hunde zu halten.«

»Sorry«, sagte Zauselbart und lächelte zu ihrer Überraschung. »Charlie Brown hat sich losgerissen. Das macht er normalerweise wirklich nicht. Ehrlich. Ich weiß, das sagen alle.«

Ein tolles Lächeln. Nein, im Moment habe ich keine Zeit für eine Affäre.

»Halten Sie den Hund jetzt fest! Bitte.« Bree drehte sich um und joggte langsam weiter. Mist, damit ist das Training heute für die Katz, nein für den Beagle. Hinter sich hörte sie den Beagle bellen und den Mann etwas murmeln, dass sie nicht verstehen konnte und auch nicht verstehen wollte. Aber es hörte sich beinahe an, als hätte er sie zu einem Kaffee einladen wollen.

»Warten Sie!«, rief er ihr hinterher, so laut, dass Charlie Brown hektisch kläffte. »Hallo, bitte warten Sie!«

Bree drehte um und trabte langsam zurück.

»Was ist denn jetzt noch?« Er sollte ruhig merken, dass sie besseres zu tun hatte, als sich mit einem Hundebesitzer zu unterhalten, der keine Rücksicht auf andere Menschen nahm. »Entschuldigt haben Sie sich ja schon.«

»Wie wäre es mit einem Kaffee als Wiedergutmachung?«, platzte er heraus. Also hatte sie sich eben nicht verhört. »Ich kenne ein nettes Café hier um die Ecke.«

»Ich bin verschwitzt vom Joggen.« Das hätte er sich auch selbst denken können, nicht wahr. »Daher muss ich ablehnen.«

Sie drehte sich wieder um und joggte davon, begleitet von seinem Angebot: »Vielleicht später? Oder ein Essen, heute Abend?«

Als Antwort hob sie die linke Hand und winkte. Selbst wenn sie Interesse an einer Affäre hätte, dann sicher nicht mit einem Beaglebesitzer in London. Obwohl … eine nette Nacht, bevor sie nach St. Bart fuhr, war keine so schlechte Idee.

Nein, sie war nicht in Stimmung dafür, nicht, solange sie nicht wusste, wie es ihrer Mutter ging. Ganz zu schweigen davon, dass ihr Tag in London ohnehin verplant war.

In Gedanken versunken nahm Bree die Schönheit der Blumenbeete in diesem Teil des Parks kaum wahr. Obwohl ihre Muskeln sich müde anfühlten und durch die Zwangspause abgekühlt waren, zwang sie sich zu einem kleinen Sprint, vorbei an den Bootshäusern und Mietbooten. Durch das ärgerliche Intermezzo blieb ihr weder die Zeit für einen kurzen Abstecher zu den Italian Gardens mit den wunderschönen Brunnen und Pavillons noch für einen Besuch bei ihrem Lieblingsbaum, dem Elfin Oak, einem Baumstumpf mit eingeschnitzten Zwergen und Elfen. Na, der Tag konnte ja nur besser werden. Oder auch nicht. Sarah wollte mit ihr essen gehen, ein deutliches Signal, dass ein längeres Gespräch fällig war. Und längere Gespräche mit ihrer Agentin bedeuteten nichts Gutes.

Kapitel 4

Aufgrund des Beagle-Zwischenfalls blieb Bree nur wenig Zeit zum Duschen und Schminken. Obwohl sie es vorzog, in der Freizeit locker und bequem gekleidet zu sein, musste sie sich bei einem Treffen mit Sarah als Top-Model präsentieren. Alles andere würde ihre Agentin als mangelnde Professionalität begreifen und Bree einen unter ihren Klienten gefürchteten Vortrag halten.

Mist!

Natürlich verzog sie die schmale Linie des Kajals, so dass sie von vorne anfangen musste. Bree atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen. Wenn sie sich stresste, würde sie sich am Ende nur den Eyeliner ins Auge stechen. Beim zweiten Anlauf klappte es mit dem Lidstrich, schnell noch Mascara und Lippenstift und einmal mit der Bürste durch die Haare. Ein Dank den guten Genen, die ihr die Lockenpracht ihrer Mutter eingebracht hatten. Wie es ihr wohl ging? Am Telefon hatte sie abgewiegelt, dass es nur eine unbedeutende Operation wäre, aber Bree konnte das nicht glauben. Für eine winzige Operation ging man nicht für zwei Wochen ins Krankenhaus, oder?

Stopp! Morgen würde sie alle Details erfahren, heute musste sie mit Sarah über ihre berufliche Zukunft reden. Hoffentlich gab es hier wenigstens gute Nachrichten. Bree schlüpfte in ein tomatenrotes Kleid, zog passende Stiefeletten an und warf sich ihren dunkelblauen Kaschmirmantel über, den ihr ein zufriedener Kunde geschenkt hatte. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel – ja, so konnte sie sich ihrer Agentin gegenüber präsentieren.

Ihr Glück schien sich zu wenden, denn vor dem Hotel erwischte Bree sofort ein Taxi, das sie nach Chelsea brachte. Fünf Minuten vor der verabredeten Zeit kam sie am Restaurant an.

Ein schneller Blick in den Handspiegel, den dunkelroten Lippenstift noch einmal nachgezogen und Bree fühlte sich bereit, sich Sarah zu stellen.

»Guten Tag, ich bin hier verabredet. Ein Tisch auf den Namen Bramwell.« Sie lächelte dem Mädchen zu, das aussah, als wäre es heute Morgen noch in die Schule gegangen. Oder war sie inzwischen so alt, dass ihr alle Jüngeren vorkamen wie Kinder?

»Guten Tag, Ms. Marrak. Sie werden bereits erwartet.« Die Frau winkte einen der Kellner in Schwarz heran. »Bitte bringen Sie unseren Gast zu Tisch 7.«

»Guten Tag und herzlich willkommen.« Der Junge, auch er kaum älter als das Mädchen am Eingang, verbeugte sich leicht. »Wenn Sie mir bitte folgen.«

Bree nickte ihm zu. Hach, das hatte schon etwas, diese besondere Atmosphäre in teuren Restaurants, wo man sich fühlte, als wäre man ein besonderer Gast, gern gesehen und vermisst, wenn man längere Zeit nicht hier war. Sie mochte das The Tavern, weil es hier exquisites Essen in unaufgeregtem Ambiente gab. Auf dunklen Holzdielen standen großzügig verteilt Tische mit weißen Decken, Gläsern und schlichtem Besteck. Die Wände waren dezent-grau. Nur auf dem Flur im Eingangsbereich lockerten hellgraue Tapeten mit Zebras den strengen Eindruck etwas auf.

Sarah saß bereits am Tisch, immer pünktlicher als alle anderen. Sie erhob sich und lächelte, als Bree sich näherte. Ihre Agentin war eines der ersten Curvy Models gewesen und hatte die Standards für die nachfolgenden Generationen gesetzt. Noch heute war sie eine attraktive Frau, die bewundernde Blicke auf sich zog, sobald sie einen Raum betrat. Ein tiefschwarzer Pagenkopf umrahmte ein schmales Gesicht, in dem der herzförmig geschminkte Mund und die übergroßen veilchenblauen Augen auffielen. Heute trug Sarah ein Salz-und-Pfeffer-Kostüm, das ihre weiblichen Formen dezent betonte. Selbst mit viel Fantasie konnte Bree sich ihre Agentin nicht in einem Jogging-Anzug oder einer Bequemhose vorstellen.

Nach einer kurzen, aber extrem erfolgreichen Karriere hatte Sarah ihre Kontakte und Erfahrungen genutzt und die Agentur Real Women gegründet, die sich ausschließlich auf die Vermittlung von Models mit weiblichen Rundungen spezialisiert hatte. Seit mehr als fünfzehn Jahren behauptete sie sich nun schon gegen die großen Agenturen.

»Bryluen«, Sarah sprach den Namen wie Brailin aus. »Darling, wie schön, dich zu sehen.«

Zwei angedeutete Küsse rechts und links neben die Wangen, dann setzte sich ihre Agentin wieder. Bree nahm ihr gegenüber Platz. Als Kind und Jugendliche hatte sie ihren Namen gehasst und – genauso wie ihre beiden Geschwister – ihre Eltern verflucht, die ihnen diese überkandidelten kornischen Namen gegeben hatten. Heute jedoch fiel sie dank dieses Namens auf, war eine »Marke«, wie ihre Agentin es nannte.

»Eine Flasche Chateldon 1650 für die Damen, wie beim letzten Mal.« Der Kellner deutete eine Verbeugung an. »Oder wünschen Sie einen Aperitif?«

»Danke, wir sind geschäftlich hier. Nur das Wasser, bitte.« Sarah entließ ihn mit der Andeutung eines königlichen Kopfnickens.

»Ich habe die Fotos aus L.A. gesehen. Sie sind besser als erwartet. Wie lief das Shooting?«

»Wenn du so fragst, weißt du doch schon Bescheid.« Sarah und sie arbeiteten lange genug zusammen, so dass Bree sich die offenen Worte leisten konnte. »Er hielt sich für einen verhinderten Künstler und fand mich fett und alt. Gelte ich jetzt als schwierig?«

Falls ja, würde sie das dem kleinen Mistkerl nie verzeihen. »Schwierig« war, sofern man nicht Naomi Campbell hieß, tödlich in ihrer Branche. Bisher hatte Bree sich bemüht, mit allen, mit denen sie zusammenarbeitete, gut auszukommen.

»Keine Sorge, Dearie.« Sarahs Lächeln erinnerte Bree an den vegetarischen Hai aus »Findet Nemo«, nur mit mehr Zähnen. »Der kleine Arsch hat den Bogen schon mehrfach überspannt. Fotografen gibt es wie Sand am Meer.«

Bree nickte.

»Models allerdings auch.« Erneut das haiische Lächeln. »Darling, hast du dir meinen Vorschlag durch den Kopf gehen lassen?«