Spirits of Rainbowlove - Anthologie: Volume 1 - Kaiden Emerald - E-Book
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Spirits of Rainbowlove - Anthologie: Volume 1 E-Book

Kaiden Emerald

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Beschreibung

Diese Anthologie umfasst alle neun Kurzgeschichten, die vom Dezember 2016 bis zum September 2021 geschrieben und veröffentlicht wurden. Diese sind: Moonlight Gathering Unter Zugzwang Wild Games Gebunden Aufruhr in Sherwood Forest Desiderio: Sinfonie einer Liebe Sternensegen zur Weihnacht Rückkehr ins Ungewisse Black Widow: Unstillbares Verlangen

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Moonlight Gathering

Unter Zugzwang

Wild Games

Gebunden

Aufruhr in Sherwood Forest

Desiderio: Sinfonie einer Liebe

Sternensegen zur Weihnacht

Rückkehr ins Ungewisse

Black Widow: Unstillbares Verlangen

Danksagung

Spirits of Rainbow-Love

Anthologie Von Kaiden Emerald

Impressum

Copyright © Kaiden Emerald, 2022

[email protected]

Layout: Kaiden Emerald

Verwendete Bilder fürs Buchcover (Bildlizenzen gekauft): © beti bup (The Book Cover Machine)

Layout designed by © Kaiden Emerald

Lektorat: Die Korrifeen – Mel, Mims und Flash

Originalausgabe, erschienen 04/2022, Auflage 1

Maildrop 24

z. Hd. Kaiden Emerald

Holderäckerstr. 8

70499 Stuttgart

Deutschland

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Autors ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Alle Personen und Namen in diesem E-Book sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Vorwort

5 Jahre ist es nun her, dass meine erste Kurzgeschichte „Aufruhr in Sherwood Forest“ seine ersten Leser fand. Inzwischen haben viele weitere das Licht der Welt erblickt, sodass ich mich entschlossen habe, sie als gesammelte Werke in einer Anthologie herauszubringen. Die einzelnen Geschichten sind dabei sehr unterschiedlich. Meistens gehen sie gut aus, manchmal aber auch nicht. Oft kommt ein schwules Paar vor, in einigen auch ein lesbisches. Andere Storys behandeln wiederum etwas Übernatürliches und fallen damit ins Fantasy-Genre.

Alles in allem ist über die Jahre ein vielseitiger Mix aus kürzeren Erzählungen entstanden, bei dem die Liebe als Kernthema jedoch immer präsent ist. Und diese ist mal verrückt, laut und schrill, mal ruhig und nachdenklich, manchmal aber auch mystisch. Vor allem aber eines: bunt!

Moonlight Gathering

#GayRomance #GayFantasy #Übernatürliches Klappentext: Ständiger Leistungsdruck und Verantwortung können zermürbend sein. Zu dieser Einsicht hat auch Jarek in seinem Job als Eventmanager kommen müssen. Um neue Kraft zu tanken, hat er sich auf Anraten seines Therapeuten für einen längeren Erholungsurlaub an einen verlassenen See zurückgezogen. Der ideale Ort, um den Stress beiseite zu schieben, abzuschalten und in der Abgeschiedenheit zu sich selbst zu finden. Doch das plötzliche Auftauchen eines mysteriösen Mannes bringt nicht nur seine Pläne, sondern auch sein Herz durcheinander und lässt seine Gefühlswelt ungeahnte Wellen schlagen.

Vorwort

Liebe ist eine endgültige Konsequenz. Ihr zu entsagen ist einfach, ersetzt man sie durch andere Dinge. Der Mensch kann sie unmöglich ignorieren, aber er kann Ersatz für sie schaffen und ihr widerstehen, ändert er bloß seine Ansicht und tauscht die Komponenten aus. Ein Seefahrer liebt die Meere, aber selten nur eine einzige Frau. Er ist auch seiner Heimat zugetan, doch nie besitzt er sie. Liebe kennt keinen Besitz. Ein Seemann liebt die See, aber nur in den Armen einer Hafendame bekommt er, was ihm bestätigt, zur See zu fahren. Liebe ist beeinflussbar und macht verletzlich. Sie ist formbar, in ihre Schranken zu weisen und zu verrücken. Man kann in ihr einen Grund sehen, zurückzukommen oder fortzugehen. Aber eines ist sie nie: berechenbar. Und doch geschieht es, dass ein Seemann nach Hause zurückkehrt und dem Meer entsagt. Ein Verliebter würde sich nicht anmaßen, irgendeinen Anspruch auf den Angebeteten zu erheben. Einen Freigeist einzuschränken oder ihm emotionale Ketten anzulegen. Doch ist es so verwerflich, jemandes Grund sein zu wollen, an Land zu kommen und wenn auch nur kurzweilig zu genießen, was ihm sonst verwehrt bliebe?

Kapitel 1

‚Abschalten‘ hatte der Therapeut ihm geraten. Und was gäbe es da besseres als ein Sabbatical? Die längere Auszeit hatte Jarek nach zehn Jahren in der Position des leitenden Eventmanagers bitter nötig. Zwar oblag es ihm, auch Aufgaben an andere zu delegieren, meist blieb aber doch mehr an ihm hängen als geplant. Schließlich war Kontrolle besser als Nachsicht, vor allem da er für die Gesamtprojektleitung verantwortlich war und stets den eigenen Kopf hinhalten musste, wenn die Mitarbeiter zum wiederholten Male etwas verbockten. Schon zu oft waren Dinge aus dem Ruder gelaufen und er hatte improvisieren und wieder hinbiegen müssen, was Praktikant XY verzapft hatte. 

Auszeit … Was machte sich da besser als ein erholsamer Sommer an einem abgelegenen, nahezu unbekannten Platz? Ein verstecktes Häuschen, das sein Vater irgendwann als Geheimtipp gemietet und später sogar gekauft hatte, da er sich zu sehr in diese Idylle verliebt hatte. Ein Rückzugsort ohne Nachbarn mitten im Nirgendwo, umringt von Laubwäldern und Bergen. Als Bonus dazu noch dieser atemberaubende und kristallklare See, der schon beim Anblick eine wohltuende Ruhe ausstrahlte, die jedes Mal wenn er dort war, sofort auf ihn abfärbte. Viele Tage hatten sie hier als Familie genossen. Waren geschwommen, mit dem kleinen Ruderboot hinausgefahren, hatten geangelt und abends am Lagerfeuer zusammengesessen. Ja, das war definitiv der richtige Ort, um neue Kraft zu schöpfen und den inneren Akku aufzuladen. Eins mit der Natur zu werden und den ganzen Alltagsstress einfach hinter sich zu lassen. Zu erkennen was wichtig ist, was es immer war und sein wird und zu begreifen, dass die Dinge, mit denen man sich sonst herumplagte, eigentlich nur lachhaft kleine Lappalien und Nichtigkeiten waren.

Kaum hatte Jarek seinen Jeep neben der beschaulichen, aber gut ausgestatteten Hütte geparkt, machte er sich auch schon auf zum Wasser. Wie magisch angezogen rannte er schon beinahe auf das kühle Nass zu, hockte sich an den Rand und hielt die Hand hinein. Eine leichte Brise säuselte durchs Blätterdach der schier endlos hohen Buchen. Neben Grillenzirpen und Vogelgezwitscher über ihm war dies das einzige Geräusch, welches die Umgebung erfüllte und fügte sich mit den anderen zu einer sanften Natursinfonie zusammen. Er liebte es, den Stimmen des Waldes zu lauschen, und fühlte sich jedes Mal geerdet, wenn er ihnen für längere Zeit zuhörte. Seine innere Balance zu finden. Das war genau die Art von Therapie, die er jetzt brauchte.

Irgendwo war doch … Suchend sah er sich um und ging das Ufer ab, bis er schließlich das kleine Ruderboot fand, nachdem er Ausschau gehalten hatte. Das Gepäck konnte warten. Gerade wollte er nichts sehnlicher, als auf den See hinaus zu paddeln, den Stress hinter sich und seine Gedanken einfach treiben zu lassen. Übereifrig entfernte er die Plane und überprüfte das gute Stück und seine Ruder kurz auf Schäden. Als er alles für wassertauglich befand, schob er die Schaluppe bis an den Spülsaum. Freudig kramte er seine Kopfhörer und sein Smartphone hervor und schaltete den Radiosender ein, den er hier unten immer hörte. Viele empfing man schließlich nicht und er liebte die täglichen Podcasts, die sich die Moderatoren einfallen ließen. Anschließend bugsierte er sich auf die Sitzbank und stieß sich mit den Paddeln vom Ufer ab, bis er weit genug entfernt war, um richtig zu rudern. Selbst diese körperliche Anstrengung verschaffte ihm ein Wohlgefühl, das ihn von innen heraus wärmte. Die Mitte des Sees, dort war sein Lieblingsplatz. Sein eigenes persönliches Bermudadreieck, wo er alles andere um sich herum vergessen konnte und einfach nur existierte. 

Er hatte nicht zu viel erwartet, denn kaum hatte er die Stelle erreicht, zog ihn die Magie des Augenblicks in ihren Bann. Das Wasser glitzerte friedlich im Licht vor sich hin und bis auf die Gesteinsfront im Norden säumten die majestätischen Wälder den See von allen Seiten ein. Der Wind wehte in erträglichem Maß und schwächte die Hitze der Nachmittagssonne zu erträglicher Intensität ab. Zufrieden streckte Jarek beide Arme aus, hielt die Ruder jedoch fest umklammert. Ihm war nicht danach, sie ins Boot zu hieven. Schon gar nicht, wenn sich das zerfurchte Holz so angenehm in seine Handinnenflächen schmiegte, dass er das Gefühl hatte, der Natur gewissermaßen mit einem Gruß zu begegnen. Gerade als er ein wenig vor sich hinzudösen begann, ging der Podcast los und Jarek rutschte noch tiefer in das Boot hinein, legte den Kopf auf den Rand des Hecks und genoss, worauf er schon seit der Hinfahrt zum Paradies gewartet hatte. Die vertrauten Stimmen ließen ihn schmunzeln, während er ihnen lauschte.

Heute melden wir uns mit einer Sage zurück, die so alt ist wie die Gezeiten selbst. Ganz recht, es geht um Wassermänner, auch Meermänner, Nix oder Nöck genannt. Diese Wesen bilden das Pendant zu Meerjungfrauen, und wie ihr sicher ahnt, ist ihre obere Hälfte zwar menschlich, die untere jedoch fischartig und folglich mit einer langen Schwanzflosse versehen. Während die Weibchen dieser Gattung ewig jugendlich wirken, sagt man, dass den Männern ihr Alter anzumerken ist. Hier reifen also eher die Herren, während die Damenwelt ewig jung bleibt und das ganz ohne Make-up, stellt euch das mal vor! Doch genug zu den Frauen, heute soll es ja um die Meermänner gehen. Den Überlieferungen nach sollen diese wie auch ihre weiblichen Gegenstücke in der Lage sein, ihren Unterkörper in einen menschlichen zu verwandeln, sobald sie an Land gehen. Na, vielleicht seid ihr ja sogar schon mal einem Meermann begegnet und wisst es nur nicht? Allerdings dann wohl doch eher einer Nixe, immerhin Wassermänner gibt es laut der Mythologie viel seltener. Denn ein Nix ist zwar in der Lage, eine Vielzahl an Töchtern zu zeugen, jedoch nur einen Sohn und Erben. Deren Kräfte sind wesentlich ausgeprägter als bei den Weibchen. So heißt es, dass sie sogar in der Lage wären, starke Seestürme zu erzeugen und damit ganze Schiffsflotten untergehen zu lassen. Also passt bloß auf, dass ihr keinen Sohn Poseidons verärgert, indem ihr Müll ins Wasser werft. Das solltet ihr ohnehin nicht tun, denn neben den hohen Geldstrafen, die euch erwarten, schadet ihr den Meereslebewesen erheblicher als ihr vielleicht denkt. Also liebe Besucher, achtet bei eurem nächsten Ausflug ans Wasser sowohl auf das was ihr tut als auch darauf, was ihr seht. Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt ‘Der Natur auf der Spur’.

Jarek war längst eingenickt, als die Sendung endete und nicht nur sein Geist war zur Ruhe gekommen, auch sein Körper hatte sich entspannt und die Ruder waren seinen Fingern entglitten. Als er aufwachte, waren sie schon längst nicht mehr da und bis außerhalb seines Blickfeldes fortgetrieben. Panisch schreckte er hoch und blickte in den mittlerweile dunklen Himmel. Die Sonne hatte sich hinter eine dichte Wolkenfront verzogen und der Wind wurde allmählich unangenehm kalt. Wie lange war ich hier draußen? Verdammt! Instinktiv begann er zu rufen: „Hilfe! Hört mich jemand?“ Dann fiel ihm wieder ein, dass es schwachsinnig war, hier auf einen Retter zu hoffen. Schließlich war er an diesen einsamen Fleck gereist, um Abstand von anderen Menschen zu gewinnen. Nach kurzem Grübeln hatte er sich mit der bitteren Erkenntnis abgefunden, auf sich gestellt zu sein, und fing an, mit den Armen zu paddeln, um das Boot – wenn auch nur geringfügig – irgendwie voranzutreiben. Es dauerte nicht lange, bis sich seine Hände wie Eiszapfen anfühlten. Doch ihm blieb keine andere Wahl, denn es zog sich immer mehr zu und er wollte vor dem herannahenden Unwetter möglichst wieder an Land oder besser noch in der Hütte sein. 

Minutenlang verfluchte er sich selbst, zu viel auf einmal gewollt zu haben und dachte bereits daran, notfalls einfach zum Ufer zu schwimmen und das Boot wohl oder übel auf dem Gewässer zurückzulassen. Allerdings hatte der Sommer erst begonnen und eigentlich liebte er es, auf den See hinauszurudern, und hatte vor, dies noch öfter zu tun. Also zwang er sich immer weiterzumachen und ignorierte das zunehmend schmerzliche Ziehen in seinen Schultern so gut es ging. Nach einiger Zeit entschied er sich dennoch für eine kurze Pause. Das wird morgen einen schönen Muskelkater geben. Ich Depp musste es ja auch wieder übertreiben. Gerade als er glaubte, genug Kraftreserven mobilisiert zu haben um fortzufahren, kam zu seiner Verwunderung eine plötzliche Strömung auf, die ihn landwärts bewegte und dabei sogar zunehmend stärker wurde. Jarek wusste zwar weder wodurch dieses Phänomen ausgelöst worden war noch womit er das verdient hatte, doch er nahm diese schicksalhafte Fügung dankbar an. Immer weiter trugen ihn die Wellen ans Ufer und so wartete er geduldig, bis das paddellose Boot nah genug war, um an Land zu springen und es herauszuziehen. Hastig warf er die Plane darüber und lief zum Wagen, um seinen Koffer zu holen. Gerade noch rechtzeitig erreichte er das Haus. Bereits auf der Türschwelle hörte er den Wolkenbruch und war umso erfreuter, nun nicht mehr draußen sein zu müssen. Inzwischen war er reichlich durchgefroren und erschöpft von den Anstrengungen auf dem Wasser. Folglich bereitete er sich einen heißen Tee zu und ließ das Szenario Revue passieren, während dieser durchzog. Wie von Geisterhand hatte sich der Wind gedreht und zu seinen Gunsten entschieden. So hatte er das auch noch nicht erlebt. Noch immer verwundert entfernte er den Beutel und beschloss, sich für heute unter die Bettdecke zu verziehen. Für den ersten Tag war es aufregend genug gewesen, dennoch glaubte er schon jetzt, dass dies eine der Geschichten sein würde, über die er später lachte. Gerade taten ihm dafür jedoch die Arme noch zu weh.

Einen Moment lang beobachtete er das dichte Gebälk finsterer Gewitterwolken und war umso glücklicher, im Trockenen zu sein. Angekommen, stellte er erleichtert fest und atmete tief durch, ehe er den Blick schweifen ließ. Die Bleibe war genauso erhalten wie er sie in Erinnerung hatte: schlicht, aber gemütlich. Das letzte Mal war er vor zwei Jahren und nur zu einem Kurzbesuch hier gewesen. Dennoch fühlte er sich in der kleinen beschaulichen Hütte gleich wieder wie zu Hause. Das Mobiliar mochte ein wenig spartanisch sein, doch verlieh vor allem der Schaukelstuhl in der Ecke des Wohnbereiches dem Anwesen einen gewissen Charme von ländlicher Provinz, ohne dabei überladen zu wirken. Jarek ließ den restlichen Abend ruhig ausklingen und lauschte den niederprasselnden Wassermassen, die in Stakkatowellen ans Fenster klopften. Ein Rhythmus, an den er sich schnell gewöhnte und der seine Lider schwer werden ließ. Müde stellte er seine Tasse auf den kleinen Beistelltisch und brauchte nach all der Anstrengung auch nicht lange, um in den Schlaf zu finden.

Kapitel 2

Es waren die frühen Sonnenstrahlen, die ihn am nächsten Morgen sanft aus dem Schlaf holten. Nach einer ausgiebigen Dusche und einem gemütlichen Frühstück zog es Jarek trotz der Strapazen des vergangenen Tages wieder ins Freie. Vielleicht könnte er sich ja selbst zwei neue Paddel bauen, wenn er ein paar Äste fand? Werkzeug müsste noch im Schuppen neben dem Haus zu finden sein. 

Gähnend öffnete er die Haustür und stolperte beim Hinausgehen beinahe über zwei lange klobige Hölzer, die dort einfach so im Weg herumlagen. Bei genauerem Hinsehen erkannte er die Ruder. SEINE Ruder! Nach kurzem Enthusiasmus lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Wie kommen die hierher? Außer mir ist ja keiner hier. Oder etwa doch? Unbehagen breitete sich in ihm aus, als er die Utensilien aufhob und sich auf den Weg zum Boot machte. Dort angekommen hob Jarek die Plane hoch und legte die Paddel mit einer Mischung aus Erleichterung und Beklommenheit hinein. 

Er versuchte seine Skepsis abzuschütteln und einfach dankbar dafür zu sein, dass sie – wie auch immer – zu ihm zurückgefunden hatten. Schnell waren die Gedanken verflogen und die Idylle zog ihn wieder in ihren Bann. Der kleine Sandstrand übte erneut eine märchenhafte Anziehungskraft auf ihn aus. Wie am Vortag zeichnete die Sonne auch heute ihr Glitzerlicht auf die Wasseroberfläche. Jarek erinnerte sich daran, was er als Jugendlicher hier gerne getan hatte, schnappte sich einen flachen Stein und ließ ihn übers Wasser schnippen. Dreimal trotzte dieser der Schwerkraft, ehe er versank. Einen Moment noch sah er ihm nach, dann starrte er reglos einem zweiten Stein hinterher, der seinen weit überholte, bevor er unterging, und drehte sich ungläubig herum. 

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“ 

Er war also doch nicht allein gewesen. Ein wenig Unmut bereitete ihm diese Erkenntnis schon. Schließlich war es Abgeschiedenheit, die er hier gesucht hatte. Aber das Lächeln, das der gutaussehende Fremde ihm schenkte, strahlte mit der Sonne um die Wette und ließ ihn schnell wieder zur Ruhe kommen. Seine Haare waren vom Wasser gewellt und reichten bis knapp über dessen Schultern, seine Augen waren von einem so klaren Blau wie das Meer selbst und das Schimmern der sonnengeküssten Haut verlieh den ausgeprägten Muskeln beinahe schon einen machohaften Touch. Jarek fielen zudem auch die ausgefallenen Tätowierungen des Mannes auf, der sonst nur mit einer Jeans bekleidet war. Wie zwei Reife legten sich die breiten Mosaikmuster um dessen Oberarme und verliehen ihm etwas Mystisches.

 „Ich ...“ Urplötzlich schämte Jarek sich fürs Starren und wusste nicht, was er sagen sollte.

„Ehan“, stellte sich der andere einfach vor und reichte ihm die Hand. 

„Jarek“, antwortete er und erwiderte den Gruß. „Die Ruder, hast du sie mir zurückgebracht?“

„Ja, ich dachte, du würdest sie vermissen.“

Jarek nickte bedächtig. Zweifellos war er dankbar, doch sein Kopf wollte nicht richtig zusammenbringen, wie der Mann an die Paddel gelangt sein könnte. Immerhin waren sie spurlos verschwunden gewesen. Hör auf alles zu zerdenken! Du bist hier im Urlaub und vor dir steht dein absoluter Traummann! „Das habe ich, vielen Dank!“

„Kein Problem, ich schwimme gern“, beantwortete Ehan seine stumme Frage dennoch.

‚Das sieht man‘, wäre es Jarek beinahe herausgerutscht. „Wo wohnst du? Also, ich meine ...“

„Dort hinten.“ Ehan deutete auf einige Bäume in der Ferne, zwischen deren Stämmen eine kleine Holzhütte zu erahnen war.

Vor zwei Jahren war die aber noch nicht da gewesen. „Oh, die ist mir noch gar nicht aufgefallen. Muss neu sein“, überlegte er laut.

„Ich habe es selbst gebaut.“

Jarek konnte seine Begeisterung nicht zurückhalten, jedoch auch nicht aus seiner Haut des akribischen Managers. „Wow, das ist wirklich beeindruckend. Doch du weißt schon, dass sowas eigentlich nicht rechtens ist, oder? Man muss sich vorher eine Erlaubnis einholen, wenn man ein Haus baut.“ 

Ehans irritierter Blick ließ ihn zusammenfahren. Mist, warum habe ich nicht einfach die Klappe gehalten, jetzt habe ich ihn sicher verstimmt. 

Doch sein Gegenüber lächelte ihn gelassen an. „Die Menschen klammern sich immer zu sehr an ihren Besitz. Dabei verpassen sie oft viel Schönes … Und es ist eher eine kleine Laube als ein richtiges Haus.“

Sofort fühlte sich Jarek schuldig und senkte den Blick. „Ich wollte nicht unhöflich sein, entschuldige bitte.“

„Es ist alles gut, Jarek“, beruhigte ihn der Mann und die Art und Weise wie dieser seinen Namen aussprach ging ihm durch Mark und Bein. Noch nie war er schlagartig so verschossen gewesen. Normalerweise passten Typen wie Ehan nicht in sein Beuteschema. Nicht, dass er ihm nicht gefallen würde, im Gegenteil! Doch Ehan spielte in einer ganz anderen Liga als er, schon allein seiner Erscheinung und seines Charmes wegen, und er würde sich selbst nie trauen, ihn anzusprechen. Daher konnte er nun sein Glück kaum fassen, dass sich so jemand überhaupt mit ihm abgab. „Na dann, auf gute Nachbarschaft!“, verabschiedete sich Jarek. Er musste erst einmal einen klaren Kopf bekommen und in Gegenwart dieses Mannes wäre ihm das unmöglich.

„Bis bald“, erwiderte Ehan und winkte ihm nach. 

Kapitel 3

Am nächsten Tag traf er Ehan wieder und fühlte sich zu einem längeren Gespräch bereit. Dennoch fiel es Jarek schwer, in dessen Gegenwart nicht die Fassung zu verlieren. Aber es lohnte sich, denn so erfuhr er, dass sein Nachbar auf Zeit vor etwa zwei Jahren von zu Hause weggegangen war und sich nun schon eine ganze Weile am See aufhielt. Nach Ehans Angaben konnte er den Anforderungen seiner Eltern nicht gerecht werden, da er sich keine Frau aufzwingen ließ, und hatte deshalb das Weite gesucht. Ein klein wenig schürte diese Aussage die Hoffnung in Jarek, dass Ehans Desinteresse an einer Frau in seinem Interesse am eigenen Geschlecht begründet lag. Aber nachzufragen wagte er nicht. Stattdessen beschloss er zu versuchen, ihn als Freund zu gewinnen. Eine echte Männerfreundschaft in der Wildnis war ja auch etwas wert und zudem wirkte dieser Fremde auf ihn ohnehin unnahbar. 

Interessant fand er auch, dass der Name ‚Ehan‘ so viel wie ‚Vollmond‘ bedeutete und man ihm diesen gegeben hatte, da er in einer Vollmondnacht zur Welt gekommen war. Die Tätowierungen an den Armen sollten seine gesellschaftliche Stellung deutlich machen. Was es damit auf sich hatte, konnte Jarek nicht so richtig nachvollziehen, wollte aber nicht zu neugierig sein, indem er nachhakte.

Später am Nachmittag zeigte Ehan ihm sogar seine Behausung und Jarek stellte fest, dass es weit gefehlt war, seine eigene Bleibe als spartanisch anzusehen. Vermutlich war dies ohnehin ein Vergleich, den nur ein verwöhnter Großstadtmensch ziehen konnte. Denn was er dort erblickte, entsagte jedwedem Luxus. Alles war aus Holz gefertigt, wirkte schon beim Ansehen unbequem, wenn auch der riesige Aufwand, der dahintersteckte, nicht zu verachten war. 

Vielleicht bin ich wirklich zu anspruchsvoll, dachte sich Jarek als er mit der Hand über die Armlehne eines fein abgeschliffenen Holzstuhles strich, der so ganz ohne weiche Sitzauflage nur wenig einladend aussah. „Wie lange hast du an all dem hier gebaut?“, wollte er dennoch wissen.

„Ich weiß nicht genau. Jeden Tag ein bisschen eben“, gestand Ehan. 

Nickend pflichtete Jarek ihm bei. „Das ist eine Menge Arbeit. Aber hast du denn gar keine Sorge, dass dir die Hütte mal abbrennt, wenn alles nur aus Holz gemacht ist? Ich meine, wenn jetzt wegen der Hitze ein Waldbrand entstehen würde oder ein Blitz einschlägt. Hier ist ja nichts geschützt.“

Wie schon am Vortag setzte Ehan sein nachsichtiges Lächeln auf. „Die Hütte ist schon zweimal abgebrannt, seitdem ich hier bin. Aber das macht mir nichts. Ich habe oft neue Ideen im Kopf und bei jedem Neuanfang kann ich etwas anderes bauen als bisher.“

Fassungslos starrte Jarek ihn an. Das kann nicht sein Ernst sein! Und doch war er es offenbar, denn Ehan erweckte nicht den Eindruck, verärgert zu sein, und zeigte ihm den Rest der Einrichtung. Jarek versuchte, seinen Erklärungen zu folgen, während in seinem Kopf die Frage tobte, wie man nur so genügsam sein konnte. Nie im Leben war ihm ein Mensch begegnet, der sich dem Schicksal so sehr ergab und selbst die negativen Dinge einfach klaglos hinnahm. Irgendwie schien er trotzdem glücklich zu sein. Selbst als er über sein Familiendrama sprach, hatte er nicht gewirkt als würden ihn großes Heimweh oder schmerzliche Erinnerungen plagen. Vermutlich gab es solche Menschen aber. Jene, die einfach alles akzeptieren, was das Leben ihnen vorwirft, ohne sich darüber zu beschweren. Nur war Jarek bisher niemandem wie Ehan begegnet. Ist es das, was die Therapeuten ständig predigen? ‚Sei immer deines Lebens froh, was kommen will, kommt sowieso?‘ Eine Scheibe sollte ich mir davon wohl abschneiden.

Kapitel 4

In den darauffolgenden Tagen gab es immer wieder Begegnungen mit seinem verboten gutaussehenden Nachbarn und während Jarek sich abends im Bett Erleichterung verschaffte, fragte er sich stets, ob dieser unter der Jeans noch etwas anderes trug oder völlig nackt war. Mit anderen Kleidungsstücken hatte er ihn immerhin nie zu Gesicht bekommen und auch in Ehans Hütte war ihm kein Kleiderschrank oder dergleichen aufgefallen. Den Anblick des wohldefinierten gebräunten Brustkorbs begrüßte Jarek zwar, doch fiel es ihm zunehmend schwerer, ihn nicht ständig deswegen anzustarren. Tagsüber versuchte er seine Fantasien möglichst unter Kontrolle zu zu halten, was ihm abgesehen von gelegentlichen Wachträumen ganz gut gelang. 

Unabhängig davon genoss er das Beisammensein mit Ehan sehr. Und seinem Nachbarn schien es ähnlich zu gehen, denn schnell wurden aus ihren zufälligen Begegnungen geplante Unternehmungen. Und auch wenn Jarek bei seiner Ankunft eigentlich anderes im Sinn gehabt hatte, so kostete er das Angeln, die Wanderungen im Gebirge und die Abende am Lagerfeuer in ungeahnter Gesellschaft so sehr aus, dass er es andernfalls im Nachhinein vielleicht sogar vermisst hätte. Gemeinsam einsam. 

Zudem war sein neuer Freund völlig anders als alle, die er bisher kannte und gab ihm immer wieder Rätsel auf, durch die er in Verwunderung geriet. Schon allein wie viel Mühe dieser in seine Hütte gesteckt hatte, war einfach unglaublich. Die Fassade, der Dachstuhl, die Möbel darinnen … Alles aus Holz und selbst gefertigt mit seinen eigenen Händen. Jarek riss sich zusammen bevor er wieder in anstößige Fantasien abdriften konnte. Mittlerweile hatte er jegliches Gefühl für die Zeit verloren, denn diese schien allmählich zu verschwimmen. Lediglich sein Telefon erinnerte ihn ab und an daran, welcher Wochentag gerade war. Doch was machte es schon für einen Unterschied? Der Sommer war noch lang, sehr lang sogar und auch Ehan hatte nicht vor, so schnell abzureisen, wie er ihm gestanden hatte. Außerdem lief täglich ein neuer Podcast auf seinem Lieblingsradiosender, sodass er sich bereits am Vortag immer schon auf den nächsten freute. Mit Kopfhörern ausgerüstet saß er am Nachmittag eines Sonntages auf einem großen Felsen am Ufer und beobachtete wie die Wellen am Kliff im Norden zerschellten, während sie zu seinen Füßen eher träge über die Kiesel plätscherten.

Hallo liebe Zuhörer! Wir begrüßen euch an diesem sonnigen Sonntag zu einer neuen Folge von ‘Der Natur auf der Spur’! Doch heute geht es nicht um die Sonne, meine Lieben. Dafür aber um einen anderen Himmelskörper, nämlich den Mond. Wir alle haben ihn schon mal in seiner vollen Pracht gesehen, doch wusstet ihr auch, dass das Mondlicht dem der Sonne extrem ähnlich ist? Viele Fotografen haben dieses Phänomen bereits auf Bildern gebannt, in denen es bei entsprechender Belichtungszeit in der Nacht so aussieht wie am helllichten Tag. Wenn die Sonne mit ihrem rot-glühenden Schein erst einmal verschwunden ist, bleibt nur noch das in der Atmosphäre gestreute Licht übrig. Dieses besitzt einen sehr hohen Blauanteil und mischt sich mit einem gelblich-weißen Wert, sobald der Mond als Lichtquelle in den Vordergrund tritt. Die Helligkeit eines Vollmondes ist dabei sogar zehnmal so hoch wie die eines Halbmondes, wodurch es tatsächlich schon mal passieren kann, dass man nachts noch total viel erkennt und problemlos und ohne Weiteres ein Buch lesen könnte. Na, jetzt seid ihr sicher gespannt, wie hell es heute Abend werden wird, was? Denn … Überraschung: Wir erwarten einen Vollmond und die Chancen auf einen klaren Himmel mit viel Licht zum Davonträumen stehen äußerst gut. Das war es für heute mit ‘Der Natur auf der Spur’! Bis morgen und genießt das tolle Wetter. Oh halt, gerade kam noch eine Meldung von unserem Meteorologen rein. Zum späteren Abend soll …

Jarek nahm die Ohrstöpsel heraus, als er Ehan bemerkte, und wandte sich ihm zu.

„Haben sie was Interessantes gesagt?“, wollte dieser wissen. 

„Oh ja!“, bestätigte Jarek. „Heute Abend wird es einen Vollmond geben.“

„Das dachte ich mir bereits.“

Die Stirn des Eventmanagers legte sich in Falten. Soweit er wusste, hatte Ehan nicht einmal ein Gerät, um die Nachrichten zu hören. „Wie denn?“

„Ich habe das im Gefühl“, erklärte sein Nachbar und schenkte ihm das sanftmütige Lächeln, das er so sehr liebte. 

Ungläubig schüttelte Jarek den Kopf. „Du bist wirklich der komischste Kerl, der mir je begegnet ist. Aber hey, wenn du magst, können wir uns nachher treffen und vielleicht noch einen Nachtspaziergang machen. Die meinten, es würde relativ hell werden.“

„Wenn du das möchtest, gern.“

Kapitel 5

Den Rest des Nachmittags reparierte Ehan die Tür seines Hauses, damit diese wieder richtig schloss. Jarek hingegen ruhte sich aus und las ein wenig in einem der Bücher, die er extra mitgenommen hatte, weil er hier endlich Zeit dafür haben würde. Als es allmählich dunkel wurde, beschloss er hineinzugehen und zu Abend zu essen. Voller Vorfreude beobachte er durchs Fenster das weiß-gelbe Farbspiel am Himmel, welches sich rund um den Mond ausbreitete und teilweise sogar grünlich wirkte. Vor seiner Abreise hatte er sich mit reichlich Konserven eingedeckt, von denen er noch immer zehrte, und sobald er seine Dosenravioli aufgegessen hatte, würde er sich auf den Weg machen und Ehan zu ihrem gemeinsamen Nachtspaziergang abholen. Gleich würde er dieses Schauspiel live erleben können!

Als er sich den letzten Rest der Pasta in den Mund schob und erneut zum Mond blicken wollte, war dieser mitsamt des schönen Lichts bereits hinter einer dichten Wolkenfront verschwunden. Was zur Hölle …? Missmutig blieb er sitzen und wartete ab. Es widerstrebte ihm, sich von ein paar kleinen Wölkchen den ganzen Abend verderben zu lassen. Sicher würden sie gleich vorüberziehen und dann stünde ihrem Ausflug nichts mehr im Weg. Doch statt heller wurde es draußen immer dunkler. Zu allem Übel sah es allmählich so aus, als würde sich ein Gewitter zusammenbrauen. Scheiße, das war’s dann wohl. Wäre ja auch zu schön gewesen. Genervt schob er seinen Teller von sich, stand auf und tigerte unruhig durchs Zimmer. Vielleicht legt es sich ja? Doch das überdeutliche Donnern, ließ ihm nur noch wenig Hoffnung auf Veränderung. Das gleißende Licht des ersten Blitzes verstärkte seinen Unmut. Ob Ehan rechtzeitig fertig geworden ist? Irgendwie empfand er Mitleid mit ihm und seiner bescheidenen Behausung. Vermutlich war das Dach sogar undicht und Ehan würde eine ordentliche Fuhre Wasser abbekommen. Er sollte bei dem Wetter besser hier sein, wo es geschützter ist. Sowie sich der Gedanke in seinem Kopf festsetzte, kam es zum Wolkenbruch und sintflutartiger Regen setzte ein. Mist, ich hole ihn besser. 

Als Jarek aus dem Haus trat, kam ihm ihr erstes Gespräch wieder in den Sinn. Er hatte Ehan auf seine Schutzlosigkeit bei einem möglichen Brand hingewiesen und erinnerte sich, dass dieser sagte, die Hütte wäre bereits zweimal abgebrannt. Was wenn ein Blitz einschlägt? Wenn das Holz Feuer fängt und er nicht rechtzeitig rauskommt und der Regen es nicht rechtzeitig löscht? Wenn er schläft und es nicht mal mitkriegt? Horrorszenarien brauten sich in seinem Kopf zusammen und ließen ihn nur noch schneller laufen. Was anfangs als netter Freundschaftsdienst gedacht war, nahm in seiner Vorstellung nun eher die Ausmaße einer Rettungsmission an und auch die Fantasien, mit ihm unter einem Dach zu schlafen, wurden in den Hintergrund gedrängt. Ich muss ihn finden!

„Ehan!“, rief er aus vollem Hals, doch eine Antwort bekam er nicht. Als er an der Behausung seines Nachbarn ankam, sah er zuerst im Inneren nach. Ob die Tür repariert worden war, konnte er nicht beurteilen, denn der Wind hatte sie aufschwingen lassen. Hier ist er nicht. Aber wo soll er sonst sein? So viele Möglichkeiten zum Unterschlupf gibt es hier nicht. Vielleicht in den Bergen? Jarek schüttelte den Kopf. Nein, das macht keinen Sinn. Er ist sicher unterwegs zu mir. Wir müssen uns verpasst haben. Kaum, dass er die Hütte wieder verlassen hatte und sich auf den Rückweg machen wollte, bemerkte er im Augenwinkel einen Mann, der niemand anderes als sein gesuchter Nachbar sein konnte. Schließlich war sonst keiner weiter hier draußen. 

„Ehan!“, rief er erneut, doch dieser hörte ihn nicht. Stattdessen … zog er sich aus? Was zur Hölle macht der da? Ungläubig starrte Jarek auf die Jeans im Sand, dann auf Ehans Hintern, während sich dieser immer weiter in Richtung Wasser bewegte. Er wird doch nicht etwa … Und ob er würde. Ohne zu zögern betrat er das Gewässer, lief immer weiter hinein und tauchte schließlich unter. 

Allmählich löste sich Jareks Starre und sein Kopf verarbeitete die Bilder, die er eben in sich aufgenommen hatte. Er brauchte Ehan nicht vor einem möglichen Brand beschützen, denn dieser zog es offenbar vor, sich völlig mit Wasser zu umgeben. Allerdings müsste er schon ziemlich abgehärtet sein, sich bei dem Wetter nicht dennoch zu erkälten und überhaupt … Moment! So wahnsinnig er auch sein mag, jedes Kind weiß doch, dass man bei einem Unwetter nicht schwimmen soll. Was, wenn nun ein Blitz im Wasser einschlägt? Jarek atmete schwer. „Ehan, du machst mich fertig“, schimpfte er. Seine Kleidung war bereits völlig durchnässt und klebte an seiner Haut. Wenn das alles hier vorbei war, würde er selbst heiß duschen und sich unter die Bettdecke verziehen müssen, um nicht krank zu werden. Doch nun galt es erst einmal diesen lebensmüden Deppen aus dem See zu angeln. Er hat es sicher nur nicht bedacht oder bislang immer Glück gehabt. 

Der nächste Blitz ließ Jarek zusammenfahren und drängte ihn zur Eile. Zumal Ehan so langsam auch mal wieder auftauchen müsste, es aber nicht tat. Scheiße. Hastig lief Jarek ans Ufer und sprang ihm in voller Montur nach.

Kapitel 6

Verglichen mit dem kalten Regen kam ihm die Temperatur des Wassers sogar angenehm vor, da die Sonne in den letzten Tagen genügend Zeit gehabt hatte, den See aufzuwärmen. Vielleicht suchte Ehan deshalb hier Zuflucht? Doch er war noch immer verschwunden, was Jarek in stetig wachsende Besorgnis versetzte. Er tauchte ein Stück weit und öffnete die Augen. Als gleißendes Licht über ihm durch den Himmel zuckte, konnte er in der Ferne eine Flosse ausmachen, doch von seinem Freund fehlte jede Spur. Ein großer Fisch? Was, wenn er von dem angegriffen wurde?

Kurz schwamm Jarek nach oben, um Luft zu holen. „Ehan!“, rief er ein weiteres Mal, in der Hoffnung, dieser würde ihn nun hören. Verdammt. Wenn du hier irgendwo bist, dann gib mir ein Zeichen! Wieder unter Wasser bekam er einen heftigen Schreck als ihn die Flosse von eben streifte und starrte gleich darauf in die meeresblauen Augen, die ihn schon so oft gefangen genommen hatten. Ehan. Aber … Sein Kopf wollte nicht verarbeiten, was er gesehen hatte und instinktiv schwamm er ein Stück zurück in Richtung Oberfläche, bis diese blendend hell aufleuchtete. Dann ging alles ganz schnell. Ehan, oder vielmehr die Gestalt, die an ihn erinnerte, deren Unterkörper jedoch durch eine lange Flosse ersetzt war, hatte seinen Arm gepackt und zog ihn rasant nach unten in die Tiefe. Jarek wusste weder wie ihm geschah noch konnte er begreifen, dass gerade ein gefährlicher Blitz im Wasser eingeschlagen war und sich der Spannungstrichter am Einschlagpunkt rasant ausdehnte.

---ENDE DER LESEPROBE---