Schattenverlies: Hoffnungsschimmer - Kaiden Emerald - E-Book

Schattenverlies: Hoffnungsschimmer E-Book

Kaiden Emerald

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Beschreibung

Auch Monate nach den tragischen Ereignissen lassen Yukio die schrecklichen Erinnerungen nicht los. Die Tatsache, dass er damit nicht allein ist, beschert ihm jedoch glücklicherweise einen neuen Freund. Trotzdem wandern seine Gedanken immer wieder zu seinem Retter, von dem er sich so schnell wieder verabschieden musste. Als es zu einem unerwarteten Wiedersehen kommt, gerät alles außer Kontrolle und das Schicksal zwingt ihm eine neue Bürde auf.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog: Zeitsplitter

Kapitel 1: Ruhelosigkeit

Kapitel 2: Schwerer Tag

Kapitel 3: Das Aquarium

Kapitel 4: Alte Wunden

Kapitel 5: Raffinierte List

Kapitel 6: Machenschaften

Kapitel 7: Stille Hoffnung

Kapitel 8: Alltagstrott

Kapitel 9: Verhängnis

Kapitel 10: Fatale Entgleisung

Kapitel 11: Verzweiflung

Kapitel 12: Heikle Kunde

Kapitel 13: Freundschaftsdienst

Kapitel 14: Lethargie

Kapitel 15: Verfolgung

Kapitel 16: Aufeinandertreffen

Kapitel 17: Abkommen

Kapitel 18: Erwartungen und Zweifel

Kapitel 19: Schattenverlies

Kapitel 20: Spaziergang

Kapitel 21: Zusammenkunft

Kapitel 22: Rückkehr

Kapitel 23: Unliebsame Erinnerungen

Kapitel 24: Wankelmut

Kapitel 25: Wunschtraum

Kapitel 26: Morgendliche Idylle

Kapitel 27: Der Plan

Kapitel 28: Versprochen ist Versprochen

Kapitel 29: Zurück im Leben

Kapitel 30: Drei ist einer zu viel

Kapitel 31: Frieden

Kapitel 32: Neue Pläne

Kapitel 33: Denkaufgabe

Kapitel 34: Anweisungen

Kapitel 35: Spiel mit Flammen

Kapitel 36: Geständnisse

Kapitel 37: Liebende

Kapitel 38: Euphorie

Kapitel 39: Betrug

Kapitel 40: Enthaltung

Kapitel 41: Zusammenarbeit

Kapitel 42: Einkaufsbummel

Kapitel 43: Liebesnacht

Kapitel 44: Neue Umgebung, alte Feinde

Kapitel 45: Rufmord

Kapitel 46: Wahre Freunde

Epilog

Danksagung

Kaiden Emerald

Schattenverlies

Band 3: Hoffnungsschimmer

Impressum

Copyright © Kaiden Emerald, 2023

[email protected]

Layout: Kaiden Emerald

Buchcover © M.Feitsch/ bookcoverdesign.art Layout designed by © Kaiden Emerald Lektorat: Die Korrifeen – Mel, Mims und Flash

Originalausgabe, erschienen 11/2023, Auflage 1

Kaiden Emerald

Maildrop 24

Holderäckerstr. 8

70499 Stuttgart

Deutschland

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Autors ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Alle Personen und Namen in diesem E-Book sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. 

Prolog: Zeitsplitter

Yukio & Takeru

Yukio, 27. September 2003

Wieder lag ich heute Nacht stundenlang wach und habe die Decke angestarrt, anstatt zu schlafen. Dabei schossen mir tausende von Bildern durch den Kopf. Erinnerungen, die ich vergessen wollte, aber die mir keine Ruhe lassen und immer wiederkehren. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas dagegen tun. Stark sein, diese Dinge ein für alle Mal aus meinem Hirn verbannen und nicht mehr daran denken. Aber am Ende bin ich dem Strudel hilflos ausgeliefert. Die Erinnerungen kommen mit der Dunkelheit und lauern in den Wänden, überall um mich herum. Sie warten nur darauf, mich heimzusuchen. Vor allem dann, wenn ich am wenigsten damit rechne oder tatsächlich glaube, es könnte besser werden ...

Takeru, 28. September 2003

Nie hatte ich etwas um mich haben wollen, dessen Verlust ich nicht verkraften könnte. Doch dann trat Linh in mein Leben und bereicherte es um so viele kostbare Momente. Ich werde nie vergessen, wie sich unsere Blicke trafen und sie mir erstmals ihr bezauberndes Lächeln schenkte.

Heute fürchte ich, dass all diese Erinnerungen irgendwann verblassen werden. Dass ich sie bald nur noch wie durch den Schleier eines Traums wahrnehmen werde, bis eines Tages nur noch Bruchstücke dessen erhalten bleiben, was einmal mein Leben war.

Takeru, 02. Oktober 2003

Ich bekomme oft die ganze Nacht über so schlecht Luft, dass man meinen könnte, meine Kehle sei zugeschnürt. Dann habe ich das Gefühl, kaum atmen zu können, geschweige denn sprechen oder gar weinen. Aber erst recht nicht wieder einschlafen. Dabei kreist mir immer dieser eine Gedanke durch den Kopf: der an Linh und die Zukunft, die wir nun nie haben werden. 

Unentwegt kommen mir dann wieder Dinge in den Sinn, die ich ihr noch hatte sagen wollen. Chancen, die ich vertan habe. Aber auch Träume, die ich für uns hegte. Nie kam mir in den Sinn, dass jedes Lächeln, das sie mir schenkte, auch das letzte sein könnte. Ich war töricht und nun ist ihr Lachen für ewig verstummt.

Yukio, 04. Oktober 2003

Heute habe ich alle Papiere fertiggemacht und den Rektor meiner Universität informiert, dass ich die nächsten drei Monate pausieren werde. Er war zwar nicht begeistert davon, zeigte aber Verständnis. Dank Kaorus Geld kann ich mir diese Pause leisten, ohne mir noch einen Job suchen zu müssen. Dafür bin ich ihm unheimlich dankbar. Durch ihn kann ich tun, was im Augenblick für mich am besten ist. Denn ich kann nicht einfach weitermachen, als wäre alles normal, schließlich ist es das nicht. Nicht für mich. Während alle anderen ihrem Alltag nachgehen und die Sonne in sich aufnehmen, sehe ich überall nur Schatten. In jeder Ecke, an jeder Biegung lauern sie auf mich und in der Nacht hüllen sie mich ein.

Vieles von dem, was ich träume, kann ich nicht einmal zuordnen. Ich fühle mich wie gefangen in einem Strudel aus Furcht und Wut, der mich an das erinnern lässt, was ich vergessen will. Dabei ziehen die Gedanken in meinem Kopf endlose Kreise.

Es soll aufhören! Diese Bilder sollen verschwinden und nie wiederkommen! Verzweifelt lege ich die Hände auf meine Augen und versuche, sie nicht mehr zu sehen. Vergebens.

Ohne sie hätte ich wohl nie erfahren, was wahre Liebe bedeutet. Verloren hätte ich mich auf Frauen eingelassen, die nur eines wollten. Doch nun ist sie fort. Für immer. Von einem Augenblick auf den nächsten. Und allmählich bekomme ich das Gefühl, dass dieser Verlust irgendetwas in mir kaputtgemacht hat, das nicht mehr heilen kann.

Takeru, 05. Oktober 2003

Linh wurde zwar längst beigesetzt, doch ihre Eltern haben die Trauerfeier auf den 21. Oktober verlegen lassen, weil sich die Familie vorher nicht vollständig zusammenfinden kann. Mir bleibt also noch ein wenig Zeit, bevor ich mich dem endgültigen Abschied stellen muss. Es wird hart werden, ihre Verwandten unter diesen Umständen wiederzusehen. Es ist wirklich bitter, denn eigentlich sollte ein solches Treffen erst im Frühjahr stattfinden, zu unserer Hochzeit …

Ich fühle mich oft, als hätte mir jemand das Herz aus der Brust gerissen. Jeder verdammte Tag fühlt sich wie ein nicht enden wollender Albtraum an, aus dem mir ein Erwachen unmöglich ist. Völlig gleich, wie sehr ich es mir auch wünsche.

Takeru 08. Oktober 2003

Gestern war ich im Krankenhaus und habe mit dem Chefarzt darüber gesprochen, was nun mit mir geschehen wird. Er hat mir einen Therapeuten empfohlen und einen längeren Urlaub verordnet, damit ich erst einmal alles in Ruhe verarbeiten kann. Damit wollte er mir wohl sagen, dass er mich erst wieder arbeiten lässt, wenn ein Psychologe grünes Licht gibt, denn als Arzt lastet eine erdrückend hohe Verantwortung auf mir. 

Dieser Zeitpunkt scheint mir jedoch noch unglaublich weit entfernt. So weit, dass ich mir nicht sicher bin, ob dieser Schmerz überhaupt jemals wieder erträglich wird oder gar weicht. Denn würde das nicht heißen, dass ich Linh vergessen hätte?

Für Fumiko schien Linhs Tod jedenfalls schon lange genug her zu sein.. Wieder hat sie heute versucht, mich anzugraben, ohne jegliches Taktgefühl. Fast, als hätte sie geradezu darauf gewartet. Wie kann ein Mensch nur so empathielos sein? Was erhofft sie sich davon? Dass sie mir mit ihrer plumpen Anmache imponiert? Ganz sicher nicht! Diese Frau ist eine Schlange und eher zerbreche ich, als mich von ihr zu einem Rendezvous überreden zu lassen. Zum Glück sehe ich sie vorerst nicht mehr. Keinen von ihnen …

Yukio, 11. Oktober 2003

Tief in mir weiß ich, dass er nun weg ist und mir nichts mehr antun kann. Doch ich habe noch immer Angst vor der Dunkelheit und auch vor den Nächten. Die Bilder sind noch immer da. Ich schlafe schlecht bis gar nicht. 

In letzter Zeit bleibe ich immer so lange auf, bis ich müde genug bin, dass ich von ganz allein ins Bett falle und hoffe, nicht zu träumen, denn ich ertrage es nicht, mit meinen Gedanken in der Nacht allein zu sein. In meinem Kopf breitet sich ein Chaos aus, das ich nicht bändigen kann. Ich sehe sie immer wieder vor mir. Stunde um Stunde. All diese schrecklichen Bilder … Sie rauben mir den Verstand!

Doch dann ist da noch Shy. Das kleine graue Kätzchen hat mich bei meiner Aufräumaktion beobachtet und ist mir maunzend um die Beine gelaufen. Durch den Kampf mit Ayion war einiges zu Bruch gegangen und es sah ziemlich wüst aus. Ich habe so viel Unwirkliches erlebt, dass mir die bloße Existenz dieses Tieres rätselhaft erscheint. Wo kam sie so plötzlich her? Vielleicht hatte Kaoru etwas damit zu tun. Kaoru … 

Er will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Was, wenn er mich eher gefunden hätte? Hätte man die Explosion des Gebäudetraktes verhindern können? Was, wenn Ayion auch ihn getötet hätte? Hätte ich ihn allein überhaupt stellen können? Was, wenn ich Kaoru nachgelaufen wäre? Wenn ich ihn gebeten hätte, nicht zu gehen? Mich nicht allein zu lassen … Hätte ich ihn aufhalten können und wäre er dann bei mir geblieben?

Yukio, 16. Oktober 2003

Als ich das Zimmer meines Onkels durchgelüftet habe, hat Shy im Flur einen Bilderrahmen von der Kommode gerissen und mir einen riesen Schrecken eingejagt. Alles war auf einmal wieder da: Ayion, dieser Kampf … Die Erinnerungen haben mich auf brutalste Weise eingeholt. Einen Moment lang fürchtete ich sogar, er wäre wirklich zurückgekehrt, und konnte mich vor Angst nicht rühren.

Später bin ich mit Shy hinaufgegangen. Hinauf aufs Dach, auf das ich mich schon so oft heimlich hochgeschlichen habe. Doch der Anblick des Sonnenuntergangs an diesem milden Herbsttag hatte nichts Aufbauendes. Es wirkte nicht, als küsse die Sonne den Himmel, sondern eher, als würde sie von der Nacht gefressen. 

Nur ganz kurz gab es dieses Gefühl, das meinen Körper durchströmte. Dann waren sie mit einem Mal wieder da, die Tränen. Ganz ohne Grund. Manchmal, wenn sie an meinen Wangen hinablaufen, habe ich das Gefühl, das Salz würde meine Haut verätzen. In meinen Albträumen löse ich mich dann auf und bin einfach nicht mehr da. So wie die Sonne am Firmament.

Takeru, 18. Oktober 2003

Meine Mutter sagte mir heute, ich solle doch endlich loslassen und Abschied von Linh nehmen. Dass es mich stärker macht ... ich jung bin und darüber hinwegkommen muss und dann irgendwann schon wieder eine Frau kennenlerne. Eine Frau … das hat sie extra betont, denn einen Mann würde sie nicht tolerieren. Was gäbe das nur für ein Bild nach außen? Was sollen die Leute sagen?

Mir ist schon lange egal, was andere sagen oder denken. Ich bin bi und wenn mein Herz einem Mann gehört hätte, wäre ich genauso am Boden zerstört. Noch immer kann ich ihr das nicht verzeihen. Weder, dass sie mich nicht so akzeptiert wie ich bin, noch, dass sie überhaupt nicht verstehen will, wie es mir geht. Mein Leben wurde von einem Augenblick auf den anderen in einen Scherbenhaufen verwandelt, durch den ich jeden Tag laufen muss. 

Es ist so unheimlich schwer, überhaupt noch weiterzumachen. Ich kann es kaum ertragen, in einer Welt zu leben, in der sie nicht mehr da ist. Wie soll ich nach erst einem Monat schon wieder glücklich sein können? Und wer sagt, dass ich das überhaupt wieder werden kann? Dass dieser Schmerz in meiner Brust irgendwann aufhören wird oder dass es noch irgendetwas dort draußen gibt, dass mir ein Lächeln entlockt? Vielleicht sind manche Wunden ja einfach zu tief zum Heilen …

Takeru, 20. Oktober 2003

Morgen ist der Tag, vor dem ich mich schon die ganze Zeit über fürchte. Schon bei dem Gedanken daran schnürt sich mir die Kehle zu. Es wird sehr hart werden, ihre Familie wiederzusehen und ‚Lebwohl‘ zu sagen. Dieser Abschied ist so ... verdammt endgültig. Ich weiß nicht, ob ich das durchstehe und wenn das so weitergeht, bekomme ich über Nacht womöglich noch Fieber.

Ich habe mir Yukios Nummer gespeichert, als er Linh an jenem Tag anrief und ich am Apparat war. Eben habe ich ihm eine SMS geschickt, dass ich ihn morgen vom Bahnhof abhole. Linh hätte das sicher so gewollt. Yukio ist fremd in Akita und kennt sich nicht aus. Zudem war er Linhs bester Freund und hat im Moment bestimmt auch viel durchzustehen ... Er scheint nett zu sein und ich wünschte, die Umstände wären andere, um ihn endlich persönlich kennenzulernen. 

Yukio, 21. Oktober 2003

Heute war DER Tag. Ich bin mit dem Zug nach Akita gefahren und habe Shy zuvor noch einen vollen Fressnapf und genügend Wasser dagelassen. Sie sollte eigentlich ausharren können, bis ich wieder zurück bin. Mit dem Aufräumen der Trümmer bin ich zumindest so weit gekommen, dass sie sich nirgends mehr wehtun könnte …

Es war komisch im Zug.Die Fahrt dauerte knapp sechs Stunden, mit dem Auto wären es acht gewesen.Von meinem Sitzplatz am Fenster aus betrachtete ich die vorbeiziehende Landschaft, während immer neue Erinnerungen an Linh in mir aufkeimten. Zwar hatte ich mir Musik auf meinen MP3-Player gelegt, doch keinen einzigen Song davon abgespielt. Stattdessen beobachtete ich, wie die Bäume zu einem einzigen Grün verschwammen … Beinahe hätte ich meine Haltestelle verpasst. 

Als ich ausgestiegen war, kam ich mir ziemlich hilflos vor. Doch Takeru ließ nicht lange auf sich warten. Er war genau, wie Linh ihn mir damals beschrieben hatte. Groß und sportlich, mit einem netten Lächeln und kurzen Haaren. Takeru ist etwas älter als Linh es war und sieht, wie ich finde, recht erwachsen aus. Er trug eine verdunkelte Sonnenbrille, die er abnahm, als er mich begrüßte. Seine Augen waren wie meine gerötet.

 In diesem Augenblick war ich froh zu sehen, dass ich nicht der Einzige sein würde, der schon völlig verheult bei der Beerdigung ankam. Als ich ihn begrüßte, sagte ich ihm, dass ich froh sei, ihn zu sehen. Er meinte, er habe doch versprochen, mich abzuholen, immerhin kenne ich mich hier nicht aus. Dann verlief alles recht schweigsam. Wir waren wohl beide in unsere Gedanken vertieft. Dennoch wirkte er nett und führte mich zum Friedhof. 

Ich war zunächst etwas irritiert, da ich Gemurmel von einigen von Linhs Verwandten mitbekam, dass ich doch Nerven hätte, mich hier blicken zu lassen. Vielleicht gaben sie mir die Schuld an ihrem Tod? Schließlich war sie ja zu mir unterwegs, als der Unfall passierte, von dem nur ich weiß, dass es keiner war.

Linhs Eltern haben mich jedoch gleich in die Arme geschlossen und ich glaube, ihre Mutter wollte mich gar nicht mehr loslassen. Da verflogen meine Zweifel, nicht willkommen zu sein, schnell wieder, denn offensichtlich sahen ihre Eltern das anders. Sie sprachen mir auch Beileid für meinen Onkel aus,dessen Bestattung letzte Woche ich seinem Wunsch gemäß ganz alleine beigewohnt hatte. Er sagte immer, er wolle keine große Sache daraus machen, daher verbrachte ich diese Stunden allein an seiner Seite. Erzählen konnte ich nicht viel, doch ich brachte ihm Blumen und habe ein Räucherstäbchen angezündet. Auch Jians Familiengrab habe ich besucht. Es war schwer gewesen, dorthin zu gehen, aber es hatte sich richtig angefühlt.

Die Zeremonie für Linh dauerte den ganzen Nachmittag lang an. All die Blumen, die sie bekam, waren zu wunderschönen Sträußen gebunden. Hätte Linh sie nur sehen können, sie hätte sich sicher gefreut. Denn Blumen hatte sie geliebt … Vor allem Tigersterne oder Krötenlilien, wie man sie auch nennt, mit ihrer auffälligen fleckigen Färbung. 

Takeru hat mir angeboten, Kontakt zu halten, und ich habe zugestimmt. Ich bin mir sicher, er braucht im Augenblick genauso viel Halt wie ich. 

Takeru, 23. Oktober 2003

Mein Eindruck, was Yukio angeht, hat sich bestätigt und er war Linh wirklich ein aufrichtiger Freund gewesen. Schade, dass ... Schade, dass ich ihn erst durch diese abscheulichen Umstände kennengelernt habe. 

Es war mir wichtig, noch einmal allein zur Grabstätte zu gehen, um persönlich Abschied zu nehmen. Das war sehr schwer für mich, doch es fühlte sich richtig an. Noch einmal brachte ich Tigersterne dorthin.

Wieder lag ich neben dir, Linh. Nur trennte uns jetzt statt einer Decke, Holzdeckel sowie Erde und statt deinen Atem zu genießen, erstickte ich beinahe an meinen eigenen Tränen. Ich kann weder aufhören, dich zu vermissen, noch werde ich jemals aufhören, dich zu lieben! Es wird nie jemand anderen für mich geben. Niemand kann jemals den Platz einnehmen, den du in meinem Herzen hattest und noch immer hast! 

Ich werde niemals jemanden so sehr lieben können wie dich und mir scheint, als sei all das Warten umsonst, denn ich warte auf einen Tag, der nie kommen wird: Einen Tag, an dem du wieder bei mir bist!

Yukio, 24. Oktober 2003

Es waren viele Gräber, die ich in letzter Zeit besucht habe. Zu viele … 

Ich war bei meinen Eltern, meinem Onkel, Jians Grabstätte und Linhs Beisetzung. Zwar konnte ich mit den Toten reden, doch sie antworteten mir nicht. Dabei hatte ich noch so viele Fragen und so viel zu sagen ... Das eigene Leben erscheint auf einmal bedeutungslos, wenn alle, die man je geliebt hat, für immer fort sind. Oftmals empfinde ich mein eigenes Dasein als unwirklich. Warum lebe ich noch und sie nicht mehr? Warum liege ich nicht neben ihnen? Vielleicht wäre das besser, vielleicht … würde meine Seele dann Ruhe finden? Es ist so schwer weiterzumachen, wenn man sich klein und unbedeutend fühlt. Immerhin konnte ich weder etwas ausrichten, um sie zu retten, noch Abschied von ihnen nehmen. Das ist es, was am meisten auf mir lastet.

Takeru, 27. Oktober 2003

Es spielt keine Rolle, wie lange ich schlafe, denn die Erschöpfung will einfach nicht vergehen. Meine Knochen schmerzen. Ich bin müde von diesem Leben. Müde vom Kämpfen und vom Durchhalten. Dabei drängt sich mir immer wieder die Frage nach dem ‚Wofür?‘ auf. Wozu soll ich noch stark bleiben? Nichts ist mehr wie zuvor und gut wird es erst recht nie wieder werden.

Warum also soll ich mich weiter durch die Tage quälen, wenn doch alles so unentwegt bedeutungslos bleibt? Auch wenn sich Linh nie gewünscht hätte, dass ich so eingehe und meine Patienten vernachlässige, kann ich nichts dagegen tun. Jeder einzelne Tag ist so endlos lang und farblos ...

Yukio, 29. Oktober 2003

Wenn man wartet, dann vergeht die Zeit so unsagbar langsam. Dabei weiß ich nicht einmal, worauf genau ich warte. Vielleicht darauf, dass es besser wird? Dass die Albträume aufhören und ich all die Bilder aus meinem Kopf verbannen kann? 

Manchmal sitze ich in meinem Zimmer und denke, ich hätte es geschafft. Doch dann holen mich die Erinnerungen ein und ich kann nicht mehr aufhören zu weinen. Was, wenn ich das alles nie verarbeiten werde? Wenn ich diese ganzen Dinge nie vergessen kann? Ich sehne mich nach jemandem, der einfach nur da ist. So wie Shy. Doch sie versteht nicht, was ich ihr erzähle. 

Dann realisiere ich wieder, dass es plötzlich niemanden mehr gibt, mit dem ich reden, lachen oder weinen kann und frage mich: Wird das jetzt für immer so bleiben?

Takeru, 05. November 2003

Immer wenn ich nach draußen gehe, habe ich das Gefühl, alle anderen gehen vorwärts und nur ich bleibe stehen. Ich lebe nicht mehr. Ich funktioniere. 

Doch wofür? Wozu noch? Für wen? 

Alle sagen immer, Liebe tut weh. Aber das ist nicht wahr! Einsamkeit tut weh. Von dem Menschen, den du am meisten liebst, verlassen zu werden, tut weh. Die Reaktionen deines Umfeldes, das deine Trauer nicht verstehen will, tun weh. Aber niemals die Liebe selbst. Im Gegenteil, sie ist die einzige Sache auf der Welt, die uns wieder aufhelfen kann.  

Doch ich weiß nicht, ob ich mein Herz dafür je wieder öffnen kann, denn schon allein der Gedanke daran fühlt sich nach Verrat an und ich bin weder Verräter noch kann ich diesen stechenden Schmerz in meiner Brust einfach abstellen oder gar ignorieren. Warum kapiert meine Familie das nicht?

Yukio, 09, November 2003

Seit Tagen bin ich nun schon traurig, müde und kaputt. Bin genervt von allem und jedem, besonders von den schrecklichen Bildern in meinem Kopf. Den Erinnerungen, die mich nicht loslassen wollen und immer wieder ihre Krallen nach mir ausstrecken. Von der Aussichtslosigkeit, weiterzumachen. Weiterzukämpfen. 

Und dann suche ich nach Gründen und finde keine. Dann ist es wieder da: dieses Zittern, obwohl man gar nicht friert. Nun stehe ich kurz davor, durchzudrehen. 

Ich glaube, diese Phase ist zu einem Dauerzustand geworden.

Yukio, 14. November 2003

Ich habe beschlossen, umzuziehen. Das Haus meines Onkels habe ich soweit wieder herrichten können, dass ein Verkauf möglich wäre. Es sind einfach zu viele Erinnerungen, die an diesen Wänden kleben und mir immer wieder nachjagen. Ich fühle mich oft, als könnte ich hier drinnen nicht atmen, und abgesehen davon genügt ja eine kleine Wohnung für mich allein. 

So langsam gewöhne ich mich auch an Shy. Direkt, wenn ich nach Hause komme, begrüßt sie mich mit einem Miauen. Wenn nicht, suche ich nach ihr. Denn ich will sie nicht auch noch verlieren. 

Mittlerweile verstehe ich, warum Kaoru sagte, ich hätte nun eine Aufgabe. Ich habe oftmals sogar das Gefühl, ich bräuchte sie mehr als sie mich. Denn immer, wenn ich wach liege und die Erinnerungen mich übermannen, dann fühle ich plötzlich diese Leere in mir und die Einsamkeit trifft mich mit voller Wucht. Ich komme mir so unendlich hilflos vor und fürchte, in diesem dunklen Strudel zu ertrinken. 

Doch dann hüpft plötzlich Shy zu mir und schmiegt sich an mich. Wenn ich sie dann nicht streichle, mauzt sie mir so lange die Ohren voll, bis ich es tue. Und auch wenn ich manchmal einfach nur in Ruhe weinen will, so ist es gut, dass sie mich schon so oft zurückgeholt hat. Weg von den Gedanken, fort von der Depression. Sie rettet mich immer und immer wieder und ermutigt mich, weiterzumachen und zu kämpfen. 

Wofür weiß ich selbst noch nicht genau, aber sie ist meine Rettung! Sie erinnert mich oft an die Zeit davor. An das Gefühl von Geborgenheit, das irgendwo unter all dem Schutt meines Inneren begraben liegen muss. Dann fange ich mich immer an zu fragen, ob sie sich denn auch geborgen fühlt bei mir?

Takeru, 18. November 2003

Ich habe mich endlich dazu durchgerungen, mein Versprechen gegenüber Yukio einzulösen und ihn anzurufen. Er hat es mir zum Glück nicht übelgenommen, dass ich mich erst jetzt bei ihm gemeldet habe. Scheinbar steckt er in einer ähnlichen Lage wie ich. Nur, dass er weitaus mehr Menschen verloren hat. Linh erzählte mir vom Unfall seiner Eltern und von diesem Jungen, aus seiner Uni, mit dem er sich einmal getroffen hatte. 

Natürlich wäre da auch noch Linh selbst, seine beste Freundin, und wie ich erst kürzlich erfahren habe, lebt wohl auch sein Onkel nicht mehr. Er muss es schwer haben, neuen Mut zu fassen und weiterzumachen. Schwerer als ich vermutlich, denn ich habe ja immerhin noch Familie. Wobei ich mich in letzter Zeit zu fragen begonnen habe, ob dies nicht eher ein Nachteil ist. Die machen mich wahnsinnig. Allesamt! Ich hoffe, meine Pläne werden sich nicht im Sand verlaufen und dass ich bald meine Ruhe vor ihnen habe. Die werden sich noch umsehen, wenn ich meine Koffer packe und von hier verschwinde! 

Yukio, 18. November 2003

Takeru hatte mich heute angerufen und sich dafür entschuldigt, dass er es nicht eher getan hat. Wahrscheinlich ging es ihm ähnlich wie mir. Bis auf die Bilder, die nur mich verfolgen. Ayion, wie er mich angrinst, mir droht oder auf meinem Bett im Krankenhaus sitzt. Dazu noch all diese schrecklichen Unfälle … Ich weiß nicht, ob ich diese Dinge je wieder aus meinem Kopf herausbekommen kann. Wenn es doch nur eine Pille zum Vergessen geben würde, ich würde darum flehen, sie einnehmen zu dürfen!

Takeru ist demnächst in Tokio und hat vorgeschlagen, mich dann zu besuchen. Ich habe zugesagt und ihm meine neue Adresse durchgegeben. Zwar steht hier noch alles voll mit Kartons, doch ich denke nicht, dass er sich daran stören wird. Zum Auspacken konnte ich mich einfach noch nicht durchringen … Irgendwie freue ich mich schon jetzt auf seine Gesellschaft. Dabei frage ich mich auch, wie es ihm wohl so ergangen sein muss in den letzten Wochen.

Yukio, 26. November 2003

„Eine Katze? Du weißt gar nicht, was du für ein Glück hast!“, waren Takerus erste Worte, als er meine Wohnung betrat und dabei Shy erblickte. Sie kam sofort auf ihn zugestürmt und hat ihn mauzend empfangen, so wie sie es sonst immer nur bei mir macht.

Ausführlich beschrieb er mir seine Erlebnisse in einem der Katzen-Cafés und es tat irgendwie gut, von Linh zu hören, als ob sie noch leben würde. Mir war bewusst, dass Haustiere auch in Akita schwierig zu halten sind, aber dass Linh so vernarrt in die verschmusten Vierbeiner war, dass sie in ein solch teures Lokal ging, nur um sie zu füttern, zu streicheln und um sich zu haben, überraschte mich dann doch. 

Wir haben zusammen Tee getrunken und uns noch lange miteinander unterhalten. Dabei erfuhren wir beide Dinge über Linh, die wir noch nicht wussten und die uns verblüfften. Es war schön, die Erinnerungen so lebendig zu halten und es fühlte sich an, als ob ihr Leben so weiterginge. Als ich ihn nach seiner Arbeit fragte, sagte er, er wäre beurlaubt worden und würde zu regelmäßigen Therapiesitzungen gehen. Nicht nur, um durch diese Zeit zu kommen. Anscheinend war es notwendig, um eine Art Freigabe zu bekommen. Immerhin könnte es bei seinem Beruf Menschenleben gefährden, wenn er nicht hundertprozentig konzentriert bei der Sache ist. 

Irgendwie tat er mir ein wenig leid, aber es war wohl die richtige Entscheidung. Genau wie ich mir noch nicht zutraute, weiter zu studieren. Er fand es ebenso verständlich, dass ich das Ganze erst einmal auf Eis gelegt habe. Auch wenn mir Takeru gut zugeredet hat, weiß ich noch immer nicht, ob und wann ich zurückkehre. In ein paar Monaten, in einem Jahr oder überhaupt nicht mehr. 

Er sagte, ich solle das alles langsam angehen und müsse ebenso wie er erst in den Alltag zurückfinden. Mehr nebenbei fragte ich ihn, ob ein Psychologe dabei hilft. Auch ich hatte kurze Zeit darüber nachgedacht, doch hatte sich das Bild der Zwangsjacke zu sehr in meinem Kopf festgesetzt. Nicht einmal ein Therapeut könnte meine Schuldgefühle begreifen, geschweige denn nachvollziehen, was in einsamen Stunden in mir vorgeht. 

Takerus ernüchternde Antwort hat mich dann ganz von dem Gedanken weggebracht. Er sagte, er hatte nie das Empfinden, verstanden zu werden und dass es wohl nur darum ginge, eine andere Sichtweise zu bekommen und sich auszusprechen. Ich kann mir seinen Frust gut vorstellen, denn mir ginge es in der Situation sicher genauso. 

Durch diesen Abend habe ich das Gefühl bekommen, endlich jemanden gefunden zu haben. Jemanden, der zumindest ein bisschen nachfühlen kann, was ich empfinde. Irgendwie tat es uns beiden gut, uns gewisse Dinge von der Seele zu reden und so beschlossen wir, ein solches Treffen möglichst bald zu wiederholen.

Takeru, 27. November 2003

Ich fühle mich etwas besser, seit ich mit Yukio gesprochen habe.

---ENDE DER LESEPROBE---