Star Trek - Deep Space Nine 9.01: Kriegspfad - David Mack - E-Book

Star Trek - Deep Space Nine 9.01: Kriegspfad E-Book

David Mack

4,8

Beschreibung

Der Auftakt der neunten Staffel! Sie wurden als Tötungsmaschinen geschaffen. Die Jem'Hadar sind eine hochintelligente, einfallsreiche, und trügerisch komplexe Spezies, die für den Krieg konstruiert und auf genetischer Ebene für einen einzigen Zweck programmiert wurde: bis zum Tod als Soldaten eines sich ausdehnenden Imperiums namens Dominion zu kämpfen. Kein Jem'Hadar hat je länger als dreißig Jahre gelebt, und nicht einmal ihre Herren, die formwandelnden Gründer, wissen, zu welcher Entwicklung eine solche Kreatur fähig wäre, wenn man sie aus ihrem Soldatendienst befreien würde. Doch ein Gründer hat es gewagt, sich diese Frage zu stellen. Odo selbst hat ihn auserwählt, um an Bord von Deep Space 9 friedliche Koexistenz zu lernen: Taran'atar, ein Ehrwürdiger Älterer der Jem'Hadar. Monatelang war er der Besatzung der Station ein treuer, wenn auch konfliktbelasteter, Verbündeter, der stets damit rang, die Mission zu verstehen, auf die er geschickt wurde ... bis etwas schrecklich schiefging. Von Selbstzweifeln und stetig wachsender Wut zerfressen, hat sich Taran'atar gegen diejenigen gewandt, die er zu unterstützen schwor. Während Captain Kira Nerys und Lieutenant Ro Laren in der Krankenstation von DS9 mit dem Tod kämpfen, flieht ihr Angreifer mit einer Geisel in cardassianischen Raum. Commander Elias Vaughn verfolgt ihn mit der U.S.S. Defiant. Doch im Laufe dieser Jagd wird Taran'atars wahres Ziel immer schleierhafter, denn der abtrunnige Jem'Hadar führt die Defiant zu einer Entdeckung, die noch schockierender ist, als sein Verbrechen.

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STAR TREK

DEEP SPACE NINE™

KRIEGSPFAD

DAVID MACK

Based upon

Star Trek

created by Gene Roddenberry

Star Trek: Deep Space Nine

created by Rick Berman & Michael Piller

Ins Deutsche übertragen von

Christian Humberg

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DEEP SPACE NINE: KRIEGSPFADwird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Christian Humberg;

verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust und Gisela Schell;

Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Cliff Nielsen; Print-Ausgabe gedrucktvon CPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DEEP SPACE NINE: WARPATH

German translation copyright © 2013 by Amigo Grafik GbR.

Original English language edition copyright © 2006 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2013 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are marks of CBS Studios Inc. All rights reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-86425-168-9 (März 2013) · E-Book ISBN 978-3-86425-169-6 (März 2013)

WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.STARTREKROMANE.DE · WWW.STARTREK:COM

Für alles, was wir verloren haben, und alles,was wir zu finden hoffen.

Verloren ist die Schlacht;

Doch alles ist nicht hin! Es blieb der Wille,

Der unbezwingliche, der Rachedurst,

Der Hass, der nimmer stirbt, der Mut, der nie

Zurückweicht, nie sich unterwirft.

– John Milton, Das verlorene Paradies

Hüte dich vor dem Zorne des geduldgen Mannes.

– John Dryden, Absalom und Achitophel

Ein Wesen, das Verstand beweist,

Lebende, die zum Tod hin reist,

Mit sichrem Geist und Willensglück

mit Weisheit, Stärke und Geschick;

Perfekte Frau, nobel und schön

Lässt sie mich warnen, trösten, ziehn.

– William Wordsworth, »Phantom der Freude war sie mir«

Historische Anmerkung

Diese Geschichte spielt im Januar 2377 (Alter Kalender) und schließt unmittelbar an die in »Fall der Götter«, dem Dominion-Beitrag zu »Die Welten von Star Trek – Deep Space Nine«, geschilderten Ereignisse an.

Kapitel 1

Harkoum

Jäger und Beute rannten blindlings durch einen Dschungel verrosteter Rohre.

Jonu genoss den Geschmack ihres eigenen Schweißes, als sie der Cardassianerin nachlief. Ihre Stiefel wirbelten bei jedem Schritt Kies auf. Die klingonische Kopfgeldjägerin wusste, dass sie ihrer Beute immer näher kam, denn sie sah sie nun öfter – zwischen den gewundenen grauen Röhren und Stahlträgern oder wenn sie sich unter dem voluminösen Bauch eines perforierten Lagertanks hindurch duckte. Die Luft war feucht und roch nach Chemikalien.

Knapp vier Kilometer hinter Jonu ruhten die Wracks ihres eigenen kleinen Schiffes und des Shuttles, das die Cardassianerin gestohlen hatte. Die zerstörten, qualmenden Gefährte lagen in verschmorten Einzelteilen über die Ödnis verstreut, die die verlassene Erzraffinerie umgab. Es war nahezu unmöglich gewesen, das winzige Schiff abzuschießen, und Jonu hätte nie damit gerechnet, dass die Cardassianerin ihrer Verfolgungsjagd ein Ende setzen würde, indem sie ihr Schiff plötzlich umdrehte und Jonus einfach rammte. Es zeugte von ihrer beider Pilotengeschick (und dem Ingenieurverstand derer, die ihre Schiffe entworfen hatten), dass sie den Absturz überlebt hatten – und noch dazu unverletzt.

Jonu hatte keine andere Wahl gehabt, als die Beute fortan zu Fuß zu jagen, und sie genoss es. Jedes Mal, wenn sie in diesem industriellen Irrgarten einen flüchtigen Blick auf die Silhouette der Cardassianerin erhaschte, gab ihr das neuen Antrieb. Ihr Herz tanzte vor Freude über die Jagd, und sie spürte den Blutdurst ihres d’k tagh. Ihre Hand umschloss den kurzen Griff der Klinge fester.

Durch die verfallenen Außenwände der Raffinerie sah sie die karge, schöne Trostlosigkeit von Harkoums senffarbenem Bergbaugebiet. Das Licht blaugrüner Blitze durchzuckte die schweren purpurnen Sturmwolken, Vorboten eines weiteren ätzenden Niederschlags, und der Wind, der durch das Skelett des Gebäudes wehte, roch nach Ozon und versprach eine wahre Sintflut. Die zwei Sonnen versanken am Horizont, majestätisch strahlend und von der nahenden Sturmfront bekrönt.

Näher, sagte sich Jonu. Der Geruch cardassianischen Schweißes wurde intensiver. Auch sie schwitzte. Harkoums feuchtwarme Luft gönnte ihr keinerlei Abkühlung, nicht einmal bei vollem Tempo. Jonu spürte die Jagd in ihren Oberschenkeln, ihren Waden, und mit jedem keuchenden Atemzug war ihr, als ramme man ihr Messer in die Brust. Ihre schweren Schritte verstärkten ihr Leiden noch.

Und doch genoss sie es und grinste zufrieden. Näher …

Wie würde ihr Endkampf gegen die Cardassianerin aussehen? Falls die Beute stolperte, wäre ein direkter Angriff die beste Methode. Jonu würde ihr d’k tahg tief zwischen die Schulterblätter des Opfers rammen, vielleicht auch in den Hals, oberhalb des Brustbeins. Versuchte die Cardassianerin aus- oder zurückzuweichen oder anders Zeit und neue Kraft zu gewinnen, würde Jonu umso härter vorgehen und ihrer Gegnerin keine Chance zu einem Gegenangriff oder zur Flucht geben. Sollte sie aber gar nicht fliehen, sondern sich Jonu im Kampf stellen … wäre das der bestmögliche Ausgang der Jagd.

Sie erreichte die nächste Ecke und umrundete einen schiefen Haufen Maschinenschrott, als sie die Cardassianerin plötzlich vor sich sah, nicht mehr als ein Dutzend qams entfernt. Ihre Beute sah sich über die Schulter zu Jonu um.

Die Klingonin lächelte noch breiter, zeigte ihre scharfen Zähne. Die Nackenknochen der Cardassianerin würden eine schöne Halskette ergeben, wenn sie mit ihr fertig war.

Plötzlich blitzte es. Laut hallte der Klang einer Explosion durch die Anlage. Brennende Stahltrümmer regneten auf Jonu nieder, schnitten in ihr Fleisch und raubten ihr die Sicht. Sie ließ das d’k tahg fallen und hob schützend die Arme vors Gesicht. Die Druckwelle erfasste sie und warf sie seitlich gegen eine Mauer. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, doch das Adrenalin in ihren Adern ließ es wie eine Ewigkeit wirken.

Dann verging die Druckwelle. Die Schwerkraft übernahm wieder die Kontrolle und Jonu fiel mit dem Gesicht voran in den Dreck. Sie konnte noch immer nichts sehen, doch der Klang einstürzenden Metallschrotts war eindeutig. Jonu kroch auf allen Vieren vorwärts und blinzelte. Ihre Suche nach Deckung endete, als mehrere Tonnen dampfenden Eisens ihre Beine zu blutigem Klump zerquetschten.

Jonu schrie nicht vor Schmerz, sondern vor Zorn. Ihre Stimme war tief und laut, wie die vieler Klingoninnen, und ihr Schrei hallte von den Oberflächen der Raffinerie wieder, bis ihn die Dunkelheit der nahenden Nacht verschluckte.

Der Staub legte sich. Jonu spürte, wie die Kraft ihren Körper verließ. Ihr Blut bildete eine magentafarbene Lache, die von Harkoums trockenem, nimmersattem Boden aufgesogen wurde. Donnerschläge brachten das Land zum Beben, und ein erstes Prasseln kündete vom einsetzenden Regen.

Die Cardassianerin stand vor Jonu, das d’k tahg der Klingonin in der Hand, und sah sie leidenschaftslos an – Jonu erkannte darin den Blick einer Könnerin, wie sie selbst eine war. Blutiger Schleim sammelte sich unter Jonus Zunge, und sie spuckte ihn aus. »Ich verblute«, sagte sie.

»Ich weiß«, erwiderte die Cardassianerin.

Jonu fokussierte ihren Blick auf die Ehrenklinge, die einst ihre gewesen war. »Sie könnten mir den Tod einer Kriegerin gewähren.« Und mir nah genug kommen, dass ich meine Hände um Ihren knochigen grauen Hals legen kann.

»Könnte ich«, entgegnete die Cardassianerin. Dann steckte sie das d’k tahg in den Gürtel, den sie lässig um die tarnfarbene Jacke geschlungen hatte.

»Haben Sie kein Ehrgefühl?«, schrie Jonu wütend.

»Schon«, antwortete die andere Frau. »Aber ich bin schlau genug, keiner Klingonin zu trauen, die ihre Schlachten des Geldes wegen führt. Sie sind keine Kriegerin … sondern eine Söldnerin. Sie haben keine Ehre.« Als sie sich zum Gehen wandte, fielen die ersten Regentropfen und besprenkelten den Staub rings um Jonu mit kleinen, dunklen Flecken.

»Ich kann Ihnen meinen Disruptor zuwerfen«, rief Jonu ihr nach. »Sie könnten es auch aus der Ferne beenden.«

Die Cardassianerin drehte sich zu ihr um. »Wenn Sie Ihren Disruptor erreichen, dann beenden Sie’s doch selbst.«

»Nein«, sagte Jonu. »Das ist nicht die klingonische Art.«

»Verstehe. Und ich schätze, Sie würden Ihre von Breen gefertigte Waffe auch nicht heimlich zur Detonation bringen und mir als eine Art Granate zuwerfen wollen … oder?« Ihre Mundwinkel zuckten, und der Hauch eines arroganten Lächelns schlich sich auf ihre Züge.

Jonu kam beides seltsam vertraut vor. »Kenne ich Sie?«, fragte sie und mühte sich vergebens, das Gesicht der Frau in der Dunkelheit auszumachen.

Dann zog die Cardassianerin die Kapuze vom Kopf. Darunter kam kurzes rabenschwarzes Haar zum Vorschein. »Nein«, antwortete sie. »Das bilden Sie sich nur ein.« Abermals wandte sie sich ab und verschwand in der Nacht.

Zurück blieben der Regen und ein pechschwarzer, sternloser Himmel. Von Finsternis umschlossen lag Jonu unter dem umgestürzten Metall und Schrott. Schwindel und Müdigkeit übermannten sie, je mehr Blut sie verlor, und schon bald gab sie ihr Gesicht den ätzenden Regentropfen preis. Sie wusste, dass dies ihre letzten Momente waren, und stählte ihren Geist für die Reise nach Gre’thor.

Als sie den letzten Atemzug tat, wusste sie plötzlich, woher sie die Augen der Cardassianerin kannte. »Ertränkt sie in einem Fluss aus Blut«, bat sie ihre Vorfahren flüsternd.

Kapitel 2

Deep Space 9

Dieses Gesicht.

Captain Kira sah in Taran’atars Richtung. Ihr Blick war trüb und unfokussiert, es lag kein Lebensfunke mehr darin. Sie erwiderte das unverwandte Starren des Jem’Hadars nicht. Taran’atar fragte sich, ob das auf ihre schwindende Kraft zurückging oder Ausdruck ihres Tadels war. Kira lag auf der Seite, halb an die Korridorwand gelehnt und inmitten einer sich rasch ausbreitenden Lache ihres eigenen hellroten Blutes. Es roch angenehm metallisch, aber er genoss den Geruch nicht. Seine Klinge steckte noch in ihrer Brust. Sie hatte ihr Herz nicht verfehlt.

Neben Kira, gleich vor dem Turbolift, der seinem Quartier am nächsten war, lag Lieutenant Ro im Gang. Ihr verdrehter Oberkörper zeugte von der Schwere ihrer Verletzungen. Es war klug gewesen, zunächst die Sicherheitschefin auszuschalten. Kira war erfahrener im Nahkampf, doch hätte er sich zuerst ihr gewidmet, hätte er der zweiten Bajoranerin die Chance zur Gegenwehr gegeben und sich nicht nur auf ein Ziel konzentrieren können. Also hatte er Ro aus dem Verkehr gezogen und sich erst danach um Kira gekümmert.

Nun drückte er auf die Taste, die den Lift rief.

Als er zu Kira hinabsah, wallte Zorn in ihm auf. Auch wenn ihn der Gründer Odo an diesen elenden Ort geschickt und ihm aufgetragen hatte, die Völker und Sitten des Alpha-Quadranten zu studieren, konzentrierte er seine Wut nun einzig auf die bajoranische Kommandantin von Deep Space 9. Sie hatte sich durch ihre Taten seinen Respekt verdient – obwohl sie diesen gar nicht benötigte, denn er hatte ihre Anweisungen ohnehin auf Odos Befehl hin befolgt, als wären es die des Gründers – doch nun verkörperte sie alles, was er an seinem Exil hasste, an seiner Trennung vom Dominion und den Jem’Hadar, von dem Leben, für das er gezüchtet worden war.

Kiras Atem ging schwach und unregelmäßig.

Als sich die Lifttüren öffneten, trat Taran’atar in die Kabine. »Runabout-Plattform A«, sagte er.

Entsetzen und Trauer standen in Kiras sterbenden Augen geschrieben.

Der erdrückenden Last ihres Blickes überdrüssig reinigte Taran’atar seinen Geist von unnötigen Gedanken und tarnte sich. Die Lifttüren glitten zu. Als die Kabine ihrem Zielort entgegenfuhr, trat er in die hintere linke Ecke und wappnete sich für den Fall, dass jemand nichts ahnend zustieg oder ihn gar aufzuhalten versuchte, bevor er den Hangar erreichte und die Station verließ.

Der Lift wurde langsamer. Taran’atar hörte das Summen und Klackern magnetischer Bremsen und Sicherungen, die die Richtung wechselten, dann ging die bis dahin vertikal verlaufene Reise horizontal weiter. Binnen Sekunden war das alte Tempo wieder erreicht, und die Kabine eilte am äußeren Rand des Habitatrings entlang.

Taran’atar fühlte sich schon seit Wochen zunehmend isoliert und orientierungslos. Er fürchtete, vom Ideal eines Jem’Hadars abgewichen zu sein, und diese Furcht war durch seinen Besuch der Gründerin, die in der geheimen Föderationsanlage Ananke Alpha inhaftiert war, noch vergrößert worden. Aus Gründen, über die er nur spekulieren konnte, hatte die Gründerin ihre und die Göttlichkeit aller anderen Gründer abgestritten. Taran’atar hatte versucht, diese Aussagen auf ihre lange Haft zu schieben, doch sie waren nur der Anfang einer ganzen Reihe ähnlich schwacher Behauptungen gewesen. Konnte eine Göttin wirklich den Verstand verlieren?

Nach seinem Lebenszweck hatte er plötzlich auch seine Götter verloren.

Drei Tage lang hatte er sich daraufhin in seinem Quartier verschanzt, wo sich Verwirrung und Anspannung schließlich in einem Wutausbruch entladen hatten. Stationsbewohner, die er in ihrer Gesamtheit zu verachten gelernt hatte, waren ihm in seiner Fantasie erschienen und hatten seinen Frust zu spüren bekommen. Binnen Minuten hatte er die wenigen, hässlichen Möbel seiner Unterkunft zerschlagen. Seine Klinge war zerbrochen, als er sie an die Wand schleuderte. Eine andere Wand hatte Risse zurückbehalten, als er sich dagegen warf.

Letzteres hatte den Alarm ausgelöst, worauf Kira und Ro ihn via Interkom gerufen hatten. Da er den Ruf ignoriert hatte, waren sie persönlich erschienen.

Und jetzt verließ er die Station.

Die Verwirrung, die Unentschlossenheit und die Orientierungslosigkeit, die ihn wochenlang geplagt hatten, waren verschwunden. Mit der Tatkraft war auch die Klarheit zurückgekehrt, und Fortschritt war Belohnung genug. Aus Zweifeln war Sicherheit geworden, das absolute Vertrauen darauf, an jedem Scheideweg zu wissen, welche Richtung die richtige war. Taran’atar hatte mit Odos vagen Anweisungen gebrochen. Nun navigierte er auf den unbekannten Gewässern des freien Willens.

Der Turbolift bremste mit tiefem Summen, und ein leises Zischen begleitete das Öffnen der Türen. Taran’atar sah niemanden im Korridor jenseits der Schwelle. »Fusionskern«, wies er den Computer an. »Sektor zweiundzwanzig.« Noch immer getarnt trat er aus der Kabine, bevor sich die Türen wieder schlossen und der Lift weiterfuhr. Dann schlich er zum Wartungshangar, der an Runabout-Plattform A grenzte.

Von jenseits der Hangartür klangen gedämpfte Geräusche nach draußen. Taran’atar blickte durch die runde Scheibe transparenten Aluminiums, die sich inmitten des rostfarbenen, runden Schotts befand, und sah einen Bajoraner in der Ingenieuruniform der Sternenflotte ins Gespräch mit Ensign Prynn Tenmei vertieft, der leitenden Pilotin der U.S.S. Defiant. Hinter ihnen stand die Euphrates auf einer höhenverstellbaren Plattform. Die Deckentür des Hangars glitt langsam in die Stationshülle zurück und öffnete den Raum zum Weltall hin. Nur ein unsichtbares Kraftfeld stand noch zwischen den beiden Sternenflottenangehörigen und einem Tod im Vakuum. Der Ingenieur deutete auf sein Padd und auf die Euphrates, dann reichte er das Padd an Tenmei. Die nickte knapp, woraufhin die beiden in verschiedene Richtungen fortgingen. Der Mann trat durch eine Tür in der linken Seite des Hangars, Tenmei ging zum Runabout und berührte ihren Kommunikator. Einen Moment später erwachten die Navigationsdüsen des Schiffes mit einem lauten Summen zum Leben, das Taran’atar bis hinaus auf den Gang hörte. Tenmei hielt kurz inne und inspizierte die Warpgondel auf der Steuerbordseite, dann zog sie erneut das Padd zu Rate. Sie schaltete es aus und trat durch die offene Einstiegsluke ins Innere der Euphrates.

Taran’atar berührte den Schottöffner. Die runde Tür glitt beiseite. Schnell überquerte er die Schwelle und schloss sie von innen wieder. Dann sog er die Luft ein. Treibstoffdämpfe und der Geruch frisch geschmolzenen Duraniums überdeckten die meisten Körpergerüche, doch die Ausdünstungen Tenmeis und des Ingenieurs waren noch immer wahrnehmbar.

Als er sicher war, dass er allein war, eilte Taran’atar auf das Runabout zu. Er war nach wie vor getarnt und glitt unbemerkt ins Innere, bevor sich die Einstiegsluke schloss. Eigentlich hatte er Deep Space 9 ohne Begleitung verlassen wollen, doch er wusste, dass auch dieses Szenario seine Vorzüge hatte.

Prynn ließ sich im Pilotensitz der Euphrates nieder. Mit der linken Hand fuhr sie die Antriebssysteme hoch, mit der rechten übermittelte sie ihren Flugplan an Lieutenant Dax auf der Ops. Das Runabout war zwar weit weniger komplex als die Defiant, doch sie widmete ihm die gleiche professionelle Aufmerksamkeit, während sie sich methodisch durch die Vorflugkontrolle arbeitete.

Routinen und Prozeduren wie diese hatten ihr seit ihrer Rückkehr von Andor schon oft den Tag gerettet. In Gedanken war sie nämlich noch immer dort, stand auf dem Turmhügel und sah, wie sich Blitze im Ozean spiegelten und Shars offenes weißes Haar im Wind wehte. Während der gesamten Reise nach Deep Space 9 hatte sie an dieses Bild gedacht. Einsamkeit war kein neues Gefühl für sie – nicht zuletzt dank ihres Vaters Elias Vaughn, der bei ihrer Erziehung meist durch Abwesenheit geglänzt hatte, war sie sogar daran gewöhnt. Vaughn war Karriereoffizier und hatte immer irgendeinen dringenden Auftrag gehabt.

Shars Abwesenheit nagte jedoch deutlich stärker an ihr. Sie hatte ihn willentlich gehen lassen, ihn sogar darin bekräftigt, sie aufzugeben und einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen … Nun aber, zurück und ohne ihn, fiel es ihr schwer, es nicht zu bedauern. Für Shar war eine Zukunft voller Möglichkeiten angebrochen, die er längst verloren geglaubt hatte. Wie hätte sie ihn da bitten können, seinen Bündnispartnern, seiner Familie und seinem Volk den Rücken zu kehren? Soll er sein Geburtsrecht meinetwegen aufgeben?, tadelte sie sich für ihre egoistischen Träume. Das hätte ich nie von ihm verlangt. Ich könnte es nicht.

Sie atmete tief ein und konzentrierte sich wieder auf ihre aktuelle Aufgabe, die jüngsten Upgrades an der Euphrates zu kontrollieren. Laut Lieutenant Nog, dem Chefingenieur der Station, war das Schiff nicht mehr »so ganz hundertprozentig«, seit Dr. Bashir und Lieutenant Dax vor knapp acht Monaten mit ihm auf dem Planeten Sindorin abgestürzt waren. In seinem Bericht listete der junge Ferengi-Ingenieur auch Schäden auf, die während Captain Kiras Rettungsmission in der Menschenkolonie auf Europa Nova verursacht worden waren. Seit Juni war das Runabout nun wieder im regulären Einsatz, und obwohl die Piloten ihm ein gutes Zeugnis ausgestellt hatten, hatte Nog auf einem kompletten Update der Warp- und Impulssysteme bestanden. Dieses war zwar erst halb abgeschlossen, doch Nog wollte auf einem kurzen Testflug Richtwerte für die weiteren Überarbeitungen aufstellen.

Die meisten Piloten hatten Ausreden erfunden, der vierstündigen Einzeltour zu entgehen, Prynn hingegen hatte sich freiwillig gemeldet. Zwar war sie seit Neuestem der Ansicht, manche Schäden seien schlicht irreparabel, doch sie teilte Nogs Vorliebe für permanente Wartung und respektierte seinen Sinn fürs Detail … und sie sehnte sich nach vier Stunden vollkommener Einsamkeit am Steuer eines fliegenden Schiffes. Dass dieses auch noch schneller denn je zuvor sein würde, war da nur ein Bonus.

Auf ihrer Konsole flackerte ein grünes Signallämpchen zweimal auf, der Flugplan war also bestätigt. Mit schnellen, geübten Tasteneingaben schloss Prynn die Einstiegsluke und öffnete einen Komm-Kanal zum Operationszentrum der Station. »Ops, hier Euphrates. Erbitte Starterlaubnis von Runabout-Plattform A.«

»Erlaubnis erteilt, Euphrates«, antwortete Lieutenant Dax, die an diesem Abend Dienst hatte. »Kraftfeld wird deaktiviert und Plattform in Startposition gehoben. Bitte warten.«

Das Summen der Motoren und der Hebehydraulik der Plattform war selbst durch die Schiffshülle zu hören. Das Runabout stieg den Sternen entgegen. Als es oberhalb der Stationshülle ankam, konnte Prynn die nach innen gebogenen oberen Pylonen und das zentrale Kommandomodul erkennen. Das Deck vibrierte sanft unter ihren Füßen, als die Plattform unter dem Schiff einrastete.

»Euphrates«, meldete sich Dax über Funk. »Sie haben Startfreigabe.«

»Verstanden«, erwiderte Prynn und fuhr die Navigationsdüsen hoch. »Bis in ein paar Stunden. Euphrates Ende.« Sicher steuerte sie das Schiff vom Habitatring weg und in die Sterne hinein, wo sie den Impulsantrieb auf ein Viertel seiner Leistungsfähigkeit programmierte. Die Station verschwand umgehend hinter ihr, und in weniger als einer Minute war der Abstand zu ihr groß genug, um zu beschleunigen. Prynn erhöhte das Tempo auf vollen Impuls und begann mit den Testmanövern, die Nog angeordnet hatte.

Dann hörte sie ein Rascheln hinter sich. Sie drehte ihren Sessel herum – und blickte auf Taran’atar und in das ungünstige Ende eines Sternenflottenphasers.

»Rufen Sie nicht um Hilfe«, befahl der Jem’Hadar. »Und setzen Sie einen neuen Kurs.«

Dr. Julian Bashir materialisierte aus dem Transporterstrahl und rannte zu Captain Kira. Lieutenant Ro lag einige Meter weiter auf dem Boden. Bashirs Tasche, die ihm locker von der Schulter baumelte, quoll fast über vor Operationsbesteck und Hyposprays. Schwester Etana Kol und der MTA Michael Ingar rannten aus der anderen Richtung des Korridors herbei, ebenfalls mit tragbarer Ausrüstung beladen. Die Sicherheitsleute Alberto Taveras und Franz Cortez, die den medizinischen Notfall gemeldet hatten, standen bei Kira und Ro. Sie wirkten verwirrt und erschüttert.

Das Uniformoberteil des Captains glänzte feucht vor Blut. Es sprudelte aus der Stichwunde einer in Kiras Brust steckenden Klinge. Ros Körper war besorgniserregend unnatürlich verdreht.

»Bewegung!«, befahl Bashir. Für Höflichkeiten fehlte die Zeit. Bashir, Etana und Ingbar schoben sich an Taveras und Cortez vorbei. Bei Kira angekommen mühte sich Etana, die gewaltige Blutung zu stoppen. Ingbar sah währenddessen nach Ros Zustand. Bashir kniete sich neben Kira, klappte den medizinischen Trikorder auf und zog ein Hypo mit Neurozin aus seiner Tasche. Falls Kira Glück hatte, würde das Medikament ihr Gehirn zumindest in den kritischen Sekunden vor einer Hypoxie schützen, die Bashir brauchte, ihren Zustand zu prüfen und sie in den OP zu beamen. Er presste das Hypospray an ihre Schlagader und entlud es. Er hoffte das Beste, auch wenn die Erfahrung ihn gelehrt hatte, vom Schlimmsten auszugehen. Das Abbild von Kiras zerrissenem Herzmuskel erschien auf dem Trikorderdisplay. Ihr Herz war brutal zerfetzt worden. Bashir berührte seinen Kommunikator. »Bashir an Ops: Medizinischer Nottransport! Fünf Personen auf die Krankenstation. Sofort!«

Der glitzernde Sog eines Transporterstrahls umhüllte die zwei verwundeten Frauen und die drei medizinischen Offiziere. Sie materialisierten im zentralen Diagnostiklabor, just als sich der Haupteingang der Krankenstation hinter Dr. Simon Tarses und der neuen bajoranischen Chirurgin Dr. Aylan Edeen, einer blonden Enddreißigerin, schloss.

»Tarses, hier rüber«, befahl Bashir. »Dr. Aylam, Sie übernehmen Lieutenant Ro. Ingbar, Sie assistieren ihr.« Das Medizinerteam legte los. Dr. Aylam startete einen Ganzkörperscan Ros, während Tarses und Bashir mit Kira in der Operationsnische verschwanden und sie auf das Biobett hoben. Sofort aktivierten sich die Monitore oberhalb des Bettes und listeten diverse Angaben über Kiras Zustand auf.

»Nahezu vollständige Durchtrennung des Herzmuskels«, sagte Bashir und überspielte so den Schock darüber, dass seine Ärmel vom Blut einer Freundin troffen.

»Massive Blutung im Perikard«, sagte Tarses mit klinischer Ruhe. »Einstichstelle zieht sich von der Aorta bis zur Vena cava inferior durch beide Vorhöfe.«

»Das können wir nicht reparieren«, erkannte Bashir. »Lassen Sie uns die Blutung stillen und sie für einen kompletten Bypass stabilisieren.« Er sah zu Schwester Etana. »Rufen Sie die jüngsten Untersuchungsergebnisse des Captains auf und suchen Sie ein passendes künstliches Herz.« Etana nickte und eilte zum Diagnosezentrum, um mit der Suche zu beginnen. »Dr. Aylam, Bericht!«, rief Bashir, ohne den Blick von Kiras schwindenden Lebenszeichen zu nehmen.

»Fraktur des zehnten und elften Brustwirbels«, meldete die blonde Frau von außerhalb der OP-Nische. Ihrer gepressten Stimme nach zu urteilen, war auch sie hochkonzentriert. »Partielle Durchtrennung des Rückenmarks zwischen dem zehnten und elften Brustwirbel. Der Riss der Milz deutet auf grobe Gewalteinwirkung hin. Innere Blutungen.«

»Stabilisieren Sie sie«, wies Bashir an, »und danach helfen Sie uns.«

»Ja, Doktor.«

»Simon«, fuhr Bashir fort. »Holen Sie den chirurgischen Rahmen, wir müssen sofort anfangen.« Tarses nickte und eilte los, um das bogenförmige Gerät holen.

Bashir erkannte die Waffe, als er sie aus Kiras zertrümmertem Brustbein zog. Sie gehörte Taran’atar. Rubinrotes Blut tropfte von ihren Klingen, von denen eine intakt und eine zerbrochen war. Er legte sie auf ein für medizinische Abfälle reserviertes Tablett und bediente sich einer altmodischen Operationsschere, um Kiras Uniformoberteil und Shirt aufzuschneiden. Darunter kam die nackte, blutige Brust zum Vorschein. Mit dem Fuß berührte er eine Taste im Sockel des Biobetts und aktivierte das sterilisierende Kraftfeld am Eingang der OP-Nische.

Dr. Tarses kehrte zurück und passierte mit einem leisen Knistern das aktive Kraftfeld. Er befestigte den chirurgischen Rahmen so an Kiras Biobett, dass sie vom Hals bis zur Wade bedeckt war. Mit leisem Summen wurde der tragbare Sterilisator aktiv. Seine Displays leuchteten in diversen Farben auf.

Außerhalb der Nische bediente sich Dr. Aylam eines Ort-zu-Ort-Transports, um Ro fortzubringen. In die angrenzende Intensivstation, vermutete Bashir.

Als wollten sie ihn für diese kurze Unaufmerksamkeit strafen, sanken Kiras Lebenszeichen augenblicklich. Herzstillstand!

»Dreißig ml Triox«, befahl Bashir, griff in seine Tasche und entnahm ihr einen Kortikalstimulator, den er an Kiras Schläfen befestigte »Setze autonomen Bypass.« Der erste Impuls brachte keinerlei Reaktion. Bashir erhöhte die Stufe und verringerte den Abstand. Ein schwaches Zucken bestätigte die Wirkung, doch das EEG flachte sofort wieder zu einer Nulllinie ab. Tarses injizierte das sauerstoffhaltige Medikament in Kiras Blutbahn, und Bashir seufzte, als sich die Werte daraufhin wieder erholten.

»Schließen sie das Beatmungsgerät an«, sagte Bashir. »Ich kümmere mich um den Rest.« Er sah in Richtung Nischenausgang. »Schwester! Kreuzblutbestimmung. Zwanzig Einheiten Blutkonserven – sofort!«

Ein weiterer Schub des Kortikalstimulators verschaffte dem EEG kurz einen Schluckauf, wenige Sekunden später zeigte das Display eine stabile, wenn auch niedrige Hirnfunktion. Zu Bashirs Erleichterung waren keinerlei Hirnschäden zu erkennen. Er schaltete den Kortikalstimulator auf Standby, falls die Nulllinie zurückkehrte.

Dann aktivierte er das Laserskalpell des chirurgischen Rahmens und machte einen vertikalen Schnitt in Kiras Brust. Mit höherer Laserkraft arbeitete er sich daraufhin durch ihren bereits beschädigten Brustkorb und bahnte sich einen Weg zu seinem Ziel. Der Rahmen verfügte über Mikrotransporter und Kraftfeldgeneratoren, doch große Operationen wie diese machten manuelle Einschnitte nach wie vor unerlässlich. Während der präzise ausgerichtete Laserstrahl durch Kiras verletzte Vorhofkammer schnitt, füllte sich ihre Brusthöhle mit Blut. Trotz des Rahmens konnte Bashir den unverkennbaren Geruch wahrnehmen.

Ein schneller Blick versicherte ihm, dass Tarses den Beatmungsschlauch fast schon durch die Nasenhöhle in Kiras Luftröhre eingeführt hatte. Bashir arbeitete, so schnell es ihm seine aufgewerteten Fähigkeiten erlaubten, und verband den Druckinfusor mit dem Herzbeutel. Mit Hilfe des OP-Rahmens gelang es ihm in weniger als einer Minute, die aufsteigende Aorta wieder zu befestigen. Als Schwester Etana nach ihm rief, kümmerte er sich bereits um Kiras obere Hohlvene.

»Doktor, wir haben nur vier Einheiten von Captain Kiras Blutgruppe vorrätig.«

Bashir war zu beschäftigt, um nach Gründen oder Schuldigen zu fragen. »Besorgen Sie sich eine Liste aller Bajoraner auf der Station, die diese Blutgruppe haben. Senden Sie ihnen einen dringenden Aufruf, zu spenden.« Dann wandte er sich an Tarses: »Verabreichen Sie ihr vier Einheiten Plasma, um den Druck aufrechtzuerhalten.« Obwohl nicht genug transfundierbares Blut auf Lager war, um die Prozedur sinnhaft zu machen, nähte er weiter an der Vena cava superior und fand sogar eine intakte Stelle an der unteren Hohlvene für den dritten und letzten Anschluss des Infusors.

»Machen wir weiter«, sagte er zu Tarses. »Sie kümmern sich um die Schäden an der unteren Aorta. Ich bastele uns eine neue untere Hohlvene.«

Mit vier Einheiten Blut und vier Einheiten Plasma würde er Kira zwanzig weitere Minuten lang am Leben halten können.

Danach hatte er keine weiteren medizinischen Tricks mehr im Ärmel.

Dr. Aylam Edeen eilte hinter Dr. Tarses in die Krankenstation. Ihre Hände zitterten. Sie sah Captain Kira und Lieutenant Ro auf dem Boden liegen – Kira steckte eine Klinge in der Brust, und eine Blutlache bildete sich unter ihren Schultern, Ros verdrehter Körper sah aus wie eine misshandelte Puppe.

Und plötzlich zitterte Aylam am ganzen Körper.

Dies war ihr vierter Tag auf Deep Space 9, der erste in der Notfallbereitschaft. Sie war mit grauenvollen medizinischen Krisen vertraut, hatte sie während ihres praktischen Jahrs und der anschließenden Anstellung am Universitätskrankenhaus von Musilla, während der letzten Jahre der cardassianischen Besatzung Bajors, zur Genüge gesehen. Die Opfer der zahllosen Gemetzel zwischen den nahe der Universität stationierten cardassianischen Truppen und den aus dem ebenfalls nahen Tamulna zuschlagenden Widerständlern hatten sie ebenso schnell wie blutig gelehrt, wie Notfallmedizin funktionierte. Als sie sich zum medizinischen Korps der Miliz meldete, hatte sie eigentlich ruhigere Zeiten erwartet, aber schnell musste sie erfahren, dass es im medizinischen Dienst selbst in Friedenszeiten nur selten Ruhepausen gab.

Bashir stand an Kiras Seite, flankiert von Schwester Etana und dem MTA Ingbar. »Tarses, hier rüber«, befahl Bashir ruhig, sachlich und zuversichtlich. »Dr. Aylam, Sie übernehmen Lieutenant Ro. Ingbar, Sie assistieren ihr.«

Bashir und Tarses hoben Kira hoch und trugen sie in die angrenzende OP-Nische. Während sie sich mit geübter Leichtigkeit Kiras Vitalwerten annahmen, zog Aylam ihren medizinischen Trikorder vom Gürtel, justierte diesen schnell auf bajoranische Physiologie und scannte Lieutenant Ro. Der Trikorder lieferte prompt einen detaillierten Bericht, der Aylams Befürchtungen bestätigte.

»Dr. Aylam«, meldete sich Bashir in diesem Moment zu Wort. »Bericht.«

»Fraktur des zehnten und elften Brustwirbels«, erwiderte sie. Aylam studierte die Anzeigen äußerst genau. Sie wollte ihrem leitenden Offizier kein Detail vorenthalten. »Partielle Durchtrennung des Rückenmarks zwischen dem zehnten und elften Brustwirbel. Der Riss der Milz deutet auf grobe Gewalteinwirkung hin. Innere Blutungen.«

»Stabilisieren Sie sie«, wies Bashir an, »und danach helfen Sie uns.«

»Ja, Doktor«, sagte Aylam. Der Befehl war gewichtiger, als die Formulierung vermuten ließ. Ros innere Blutungen hatten natürlich oberste Priorität, doch angesichts ihrer unnatürlichen Körperhaltung würde es schwierig – wenn nicht sogar unmöglich – werden, den OP-Rahmen über Ro zu positionieren. Ich kann es manuell versuchen, analysierte Aylam ihre Optionen, aber schon der kleinste Fehler genügt, Ro für den Rest ihres Lebens zu lähmen … falls sie das nicht ohnehin längst ist.

Eins nach dem anderen, erinnerte sie sich. Dann berührte sie ihren Kommunikator. »Aylam an Ops. Medizinischer Notfalltransport für Lieutenant Ro: Beamen Sie sie auf ein freies Bett auf der Intensivstation.« Aylam trat zurück, und einen Moment später dematerialisierte ihre Patientin. Nachdem sie Ingbar bedeutet hatte, ihr zu folgen, begab sich Aylam vom OP-Bereich zur Intensivstation am anderen Ende des diagnostischen Labors.

Ros Bett befand sich am hinteren Ende des Raums. Aylam näherte sich ihm, immer einige Schritte vor Ingbar gehend, und nahm einen Geweberegenerator mit. »Ingbar«, sagte sie, »helfen Sie mir, ihre inneren Blutungen unter Kontrolle zu bekommen.« Dann scannte sie Ros Milz, aktivierte das Gerät und begann, den Anzeigen ihres Trikorders folgend, das beschädigte Organ zu behandeln, ohne es selbst sehen zu können.

Als junges Mädchen hatte sie gesehen, wie bajoranische Mediziner schockierende Notoperationen an Widerstandskämpfern durchgeführt hatten. Mit metallenen Skalpellen hatten sie die Leiber der Leidenden aufgeschnitten und eigenhändig in die Wunden gegriffen, um den Schaden mit kauterisierenden Chemikalien und mit auf krummen Nadeln geführten Fäden zu beheben. Damals hatten sie nicht über die Wunder moderner bajoranischer und cardassianischer Medizin verfügt, doch je älter Aylam wurde, desto seltsamer fand sie die distanzierte Natur, die auch in der Sternenflotte operativen Eingriffen anhaftete. Ein Teil von ihr hatte wohl immer noch Ehrfurcht vor den gefährlichen und unterschwellig gewaltsamen Methoden der Vergangenheit.

Minuten später war Ros Milz geheilt. Weitere, weniger kritische innere Verletzungen warteten nun auf Aylams Aufmerksamkeit, und früher oder später würde die Medizinerin auch entscheiden müssen, wie Ros Brustwirbel behandelt werden konnten, ohne das ohnehin schon verletzte Rückenmark der Patientin weiter zu schädigen.

Aylam trat an die andere Seite des Bettes, beugte sich über Ros verkrümmt daliegenden Leib und stellte sich der Flut an inneren Verletzungen, die durch gebrochene Rippen verursacht worden waren und vor allem Ros Lunge und obere Eingeweide betrafen. Sie kam gut voran, und Ingbar reichte ihr stumm – und nahezu vorausahnend – zahlreiche chirurgische Instrumente.

Als sie fast fertig war, schlug Ro Laren plötzlich entsetzt die Augen auf und ließ einen Schrei erklingen, der Aylam bis ins Mark fuhr. Die junge Ärztin stolperte zurück, überrascht von Ros abruptem Ausbruch. Der Geweberegenerator fiel ihr aus der Hand und landete klappernd auf dem kalten Metallboden.

Ros panischer, verwirrter Blick jagte durch den Raum. »Was …? Wo …? Der Captain?«

Ingbar legte Ro beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig, Lieutenant«, sagte er in sanftem Ton. »Captain Kira wird gerade operiert. Sie sind beide auf der Krankenstation. Wir flicken Sie gerade zusammen. Bleiben Sie einfach liegen.«

Dr. Aylam fing sich wieder und trat zu Ingbar an Ros Bett. Die verwundete Sicherheitschefin schloss die Augen und atmete tief durch. Dann starrte sie Aylam an. »Warum kann ich mich nicht bewegen?«

Es war noch zu früh, um zu sagen, ob ihre Lähmung temporär oder permanent sein würde. Aylam ahnte, dass sie Ro nur zu weiteren, zunehmend präziseren Fragen provozieren würde, wenn sie jetzt von Wirbelsäulenschäden anfing. Mehr als ein paraphrasiertes »Ich weiß es nicht« würde sie dem Lieutenant auf ihre vielen Fragen nicht antworten können, und das half niemandem.

»Wir machen uns gerade erst ein Bild Ihrer Verletzungen«, erklärte Aylam daher schnell, bevor Ingbar Ros Frage beantworten konnte. »Wir geben Ihnen jetzt etwas, das Sie entspannen wird und …«

»Ich will mich nicht entspannen«, knurrte Ro so einschüchternd wütend, dass es ihrem Zustand Hohn sprach. »Ich will eine Antwort: Warum kann ich mich nicht bewegen?«

Dr. Aylam dachte noch über ihre Antwort nach, als Bashir sich meldete: »Dr. Aylam, melden Sie sich umgehend bei uns!«, drang es laut aus dem Kommunikator.

»Bin unterwegs«, bestätigte sie. Dann wandte sie sich wieder an Ro. »Ich erstelle meine Diagnose nach der Untersuchung, Lieutenant. Nicht vorher. Von daher schlage ich vor, Sie gestatten uns, es Ihnen bis dahin bequem zu machen.«

Ro rollte mit den Augen – ein klares Zeichen ihrer Kapitulation. Aylam nickte Ingbar zu. »Zehn ml Adozin.« Er drückte das Hypospray sanft an Ros Hals und verabreichte das leichte Sedativum, das mit einem leisen Zischen in ihren Blutkreislauf entlassen wurde. Im Nu war Ro nur noch halb bei Bewusstsein.

Als sie zurück zur OP-Nische ging, hatte Aylam fast ein schlechtes Gewissen, weil sie die zweifellos schwierig werdende Unterhaltung mit Ro aufgeschoben hatte. Es war einfach, einem Patienten mitzuteilen, dass alles in Ordnung war. Ein bevorstehender Tod war natürlich eine deutlich traumatisierendere Nachricht, gab den Betroffenen aber wenigstens das Gefühl eines Abschlusses.

Doch wie sagte man einer in der Blüte ihrer Jahre stehenden Frau, dass sie den Rest ihrer Tage wahrscheinlich quadriplegisch, also an allen Gliedern gelähmt, verbringen musste? Das war eine Aufgabe, für die sich Aylam trotz der jahrelangen medizinischen Ausbildung schrecklich unvorbereitet fühlte.

Major Cenn Desca, Verbindungsoffizier des bajoranischen Militärs auf Deep Space 9, geleitete die Sternenflotten-Sicherheitsleute Broeking und Cardok in Taran’atars Quartier. Die zwei Wachmänner gingen mit Bedacht vor, hielten beide einen Phaser in der einen und einen Trikorder in der anderen Hand. Sie betraten den Wohnraum und teilten sich sofort auf.

Cenn beobachtete sie und staunte über das Ausmaß der Zerstörung. Sämtliche Möbel waren entweder wütend zu Klump geschlagen oder gegen die Wände geworfen worden. Eine Wand wies eine beachtliche Delle auf, die die innenliegende Verkabelung beschädigt und die Sensoren für strukturelle Integrität ausgelöst hatte. Es sah aus, als hätte jemand in diesem Zimmer einen langen und außergewöhnlich brutalen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten.

Cenn sah zu Broeking. »Bericht, Ron.«

»Keinerlei Anzeichen von einem zweiten Beteiligten«, meldete dieser. »Das war alles der Jem’Hadar. Ich registriere hier überall seine DNA – auf den Möbeln, an den zerstörten Wänden, auf der Komm-Konsole … Falls er angegriffen wurde, habe ich keinen Schimmer, von wem.«

Cardok sah von seinem Trikorder auf. »Sir«, sagte der Benzit. »Ich finde hier kleine Spuren von frischem Jem’Hadar-Blut auf dem Teppich und auf manchen Möbelstücken.« Er deutete in Richtung Tür. »Die Blutspur scheint aus dem Quartier hinauszuführen.«

Cenn berührte seinen Kommunikator. »Computer, lokalisiere Taran’atar.«

»Taran’atar befindet sich nicht auf der Station«, vermeldete die weibliche Computerstimme. Unter anderen Umständen hätte Cenn sich nun Sorgen um ihn gemacht. Doch er wusste, dass Taveras und Cortez sowohl Captain Kira als auch Lieutenant Ro schwer verletzt vor dem Turbolift gefunden hatten. Vor diesem Hintergrund hegte er einen ganz anderen Verdacht.

Abermals berührte er den Kommunikator. »Cenn an Ops.«

Lieutenant Dax meldete sich: »Sprechen Sie.«

»Taran’atars Quartier ist ein Schlachtfeld, und der Computer sagt, er sei nicht an Bord der Station – was bedeuten könnte, dass er sich getarnt hat.«

»Warten Sie. Verstärkung ist unterwegs.« Einen Moment später hallte der Stationsalarm durch den Raum. Cenn wusste, dass Dax nun überall auf Deep Space 9 gehört wurde. »Achtung, an alle Decks: Eindringlingalarm. Sicherheitsangehörige melden sich bitte umgehend für neue Befehle. Commander Vaughn auf die Ops.«

Commander Elias Vaughn war schon im Turbolift und auf dem Weg zur Ops, als er Lieutenant Dax’ Anweisung hörte. »Bin unterwegs, Lieutenant«, sagte er in seinen Kommunikator.

Der Tag war lang gewesen und eigentlich hatte er gerade Feierabend machen wollen. Vaughn hatte die jüngsten Berichte dreier Föderationsschiffe studiert, die vor fünf Wochen auf langfristige Forschungsreisen in den Gamma-Quadranten gestartet waren. Als er zum Abendessen in die »Botschaft der Ferengi auf Bajor« gehen wollte, auch bekannt als Quarks Bar, hatte er beobachtet, wie die Doktoren Tarses und Aylam über die gut besuchte Promenade in Richtung Krankenstation geeilt waren. Vaughns durch mehr als achtzig Jahren bei der Flotte geschulter Instinkt hatte ihm geraten, ihnen zu folgen.

An der Schwelle zur Krankenstation war der Kommandooffizier allerdings stehen geblieben. Captain Kira und Lieutenant Ro waren hereingebeamt worden, eine blutüberströmt und die andere mit sichtlichen Knochenbrüchen lagen sie auf dem Boden. Vaughn erkannte die Klinge in Kiras Brust sofort als die von Taran’atar und wusste, dass etwas Grauenvolles geschehen war.

Ohne Kira war er der leitende Offizier Deep Space 9s. Also verschwendete er keine Zeit, eilte zu einem Turbolift und fuhr zur Ops, wo er Lieutenant Dax, die an diesem Abend Dienst hatte, ablösen wollte. Als Dax dann nach ihm rief, hatte er sich bereits erste Maßnahmen überlegt und ersann gerade einige Notfallprotokolle, die er in der Hinterhand halten würde, bis sie gebraucht wurden.

Die Schotts zogen an der offenen Frontseite des Lifts vorbei. Ein vertrautes Deck erschien und verschwand gleich wieder, und dann war die Ops da. Anspannung lag in der Luft, vermischt mit einem nahezu greifbaren Gefühl der Dringlichkeit. Vaughn war schon aus dem Lift, bevor die Kabine angehalten hatte, und eilte die Stufen hinunter. Ezri Dax wirkte wie das stille Auge im Sturm. »Bericht«, sagte Vaughn.

»Captain Kira und Lieutenant Ro wurden …«

»Angegriffen, ja. Hab ich gesehen. Unsere Reaktion?«

»Major Cenn leitet die Untersuchungen und befindet sich in Taran’atars Quartier, wo Kira und Ro vor ihrem Angriff hinwollten. Ich habe Nog angewiesen, Cenn bei der Koordination der forensischen Ingenieurteams zu helfen.«

Vaughn nickte. »Was ist mit Taran’atar?«

»Laut Computer befindet er sich nicht auf der Station, aber falls er getarnt ist …« Dax verstummte, als Vaughn ihr durch Gesten verständlich machte, dass er sich der Grenzen der Scanner-Hardware bewusst war. Sie reichte ihm ein Padd, auf dem sich ein umfassendes Protokoll der Suche befand. »Wir haben Eindringlingsalarm gegeben und durchkämmen nun jedes Deck einzeln.«

Vaughn stutzte. »Falls sein Angriff auf Kira und Ro ein erster Schritt gegen die Station gewesen sein sollte, ist er inzwischen vermutlich unterwegs zum unteren Kern. Von dort aus könnte er die Sicherheitsmechanismen deaktivieren, die diesen vor einer Überladung schützen.«

Dax nickte. »Das war auch meine Vermutung. Ich habe den primären und sekundären Zugriff auf den Stationskern gesperrt und zwanzig Sicherheitsleute nahe den primären Hitzewandlern positioniert.«

»Wo ihre Körperwärme und ihr Geruchsprofil von niemandem aufgespürt werden kann«, erkannte Vaughn, beeindruckt von den Fortschritten, die Dax im taktischen Bereich machte. »Gute Arbeit. Haben Sie ein Suchteam losgeschickt?«

»Ja, Sir. Bowers hat die Leitung.«

»Gute Wahl.« Vaughn sah zum Kontrolltisch, der sich im Zentrum der Ops befand. Den Blick auf die dortige schematische Darstellung der Station gerichtet, fragte er sich, wo überall sich ein Jem’Hadar verstecken konnte. Welche Wege würde er wählen, um Deep Space 9 zu schaden und Besatzung wie Bewohner zu töten? Allein die Wartungsröhren erstreckten sich über Kilometer hinweg, und in den unteren Decks gab es außerdem noch inaktive Erzrutschen und Transportkanäle. Falls Taran’atar getarnt blieb, konnte er sich nahezu endlos unentdeckt in diesen ungenutzten Bereichen der Station aufhalten.

Die Jagd hatte begonnen – doch im Moment war sich Vaughn nicht sicher, wer hier eigentlich wen jagte.

Kapitel 3

Kira

Unglaublich schwer, ein Sturz durch formenlose Leere, Schrecken und Zweifel ohne Stimme …

Kira drehte sich nach rechts, als sie den Phaser zog. Die kalte Klinge in ihrem Fleisch war wie der Biss einer Schlange mit Eiszähnen. Taran’atar verschwand, tarnte sich. Ro lag auf dem Deck, und obwohl sie sich nicht rührte, leuchtete sie noch, war nach wie vor mit dem Leben verbunden.

Die Welt war fort, die Zeit zu Ende.

Ein Gang zwischen den stummen Polen des Lichts und der Dunkelheit, durch eine windlose Weite, durch unendliche Einsamkeit, und die furchtbare Last der temporalen Existenz fällt ab wie vertrocknete Haut …

Erinnerungen glitten vorbei, Sandkörner in der Uhr ihres Bewusstseins. Die Gesichter derer, die sie geliebt und verloren hatte – fast zu schnell, um sie zu erkennen. Da war Shakaar, dort Bareil, dann ihr Vater. So viele sinnlose Tode: Ziyal, Marritza, Jadzia. Ein Leben voller ungesühnter Missetaten: die Gemetzel von Gallitep, ihre untertänige Mutter, das Messer in ihrer Brust …

Alte Erinnerungen flohen vorüber, gingen ineinander über und verschwanden, verblassten im Äther des Vergessens.

Eisiger Regen fiel auf das Basislager der Widerstandsgruppe, spülte den Schlamm die Hügel hinab. Kira Nerys kauerte unter einem Stück Plane und presste den Rücken an den breiten Stamm eines Kava-Baumes. Blitze zogen weiter unten über die von Nebel bedeckte Ebene, energetische Gabeln, die die Nacht für Sekundenbruchteile zerrissen und ihre grünlichen Echos in Kiras Netzhäute brannten. Der Feind war nah, also durfte es in dieser Nacht weder Feuer, noch Laternen geben. Nur Dunkelheit und die Kälte des Winters.

Untergang. Namenlos. Leer.

Major Kira hielt den sterbenden Aamin Marritza in den Armen. Die tödliche Wunde in seinem Rücken änderte nichts an der Schuld, die in seinem Blick lag … Kira weinte, als sie neben Bareil stand. Er lag sterbend auf einem Biobett in der Krankenstation, wo sich sein Verstand langsam verabschiedete und seine letzten Momente zu einer grässlichen Parodie des Lebens verkommen ließ, das er geführt hatte … Es geschah ohne Warnung, und schon beim Klang des Schusses, bei dem Lichtblitz, wallten die ersten Schreckensschreie auf, und Chaos verbreitete sich in der Menge wie Feuer in einem trockenen Wald. Überall Hektik und Verwirrung. Kira sah Shakaar tot umfallen. Er war endlich wieder mit seinem Pagh vereint, das – wie sie später erfahren würde – schon vor Monaten erloschen war, als der Parasit sich seines Körpers bemächtigt hatte.

Gefangen in einer endlosen Strömung, fortgerissen wie Nebelschwaden in einem Sturm, treibend zwischen kalten und fernen Sternen …

Kirayoshi für Keiko und Miles zur Welt bringen. Die erste Liebe. Die Wärme eines ersten Kusses. Der Geschmack von etwas Süßem. Das würzige Aroma von Hasperat. Das trübe Rosa eines Sonnenuntergangs nach einem dunstigen Sommertag. Die bittersüße Musik, die sie zu Tränen rührte. Benjamin Siskos Lächeln, als er ins Kommandantenbüro der Station zurückkehrte … All diese Erinnerungen an große und kleine Freuden wurden ihr genommen, wurden ihren flehenden Händen entrissen, gestohlen …

Weiß. Blendend und endlos, und doch erstickend nah. Die alles verschluckende flüssige Wärme des Mutterleibs …

Ich bin Kira Nerys. Allein in einer Ewigkeit ätherischen Lichts hob sie reflexartig die Hand zur Brust. Ihr Körper war heil. Keine Verletzung und kein Riss im Stoff ihrer Uniform kündeten von ihrem tödlichen Schicksal. Sie stand aufrecht, obwohl sie keinen Boden unter den Füßen hatte. Es gab keine erkennbare Quelle und doch war überall Licht. Die Schatten schienen verbannt zu sein. Nie zuvor war sie wirklich hier gewesen wie Sisko, aber sie wusste ohne jeden Zweifel, dass sie sich im Himmlischen Tempel befand.

Eine Frauenstimme, monoton und mit von Reife zeugender Tiefe, durchbrach die fremdartige Stille, und Kira begriff, dass sie nicht allein war, nie allein gewesen war. Hier zu sein, bedeutete, bei ihnen zu sein, bei den Propheten, außerhalb der Zeit.

»Unsere Hand«, sprach das Abbild Opakas.

Eine Vision von Ro erschien. »Unsere Hand ist geschlossen.«

Kira ahnte, dass sie nicht mit ihr, sondern an ihr vorbei sprachen. »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Was bedeutet das? Eure Hand ist geschlossen? Heißt das, ich bin nicht willkommen?«

Weitere Gesichter erschienen vor dem gleißenden weißen Vorhang der Zeitlosigkeit. Shakaar. Marritza. Bareil. Ziyal. Tekeny. Ihr Vater. Jadzia.

Einer nach dem anderen kamen sie, aus allen Richtungen.

Umzingelt von ihnen, hörte Kira zu, drehte sich von einem zum anderen.

»Unsere Hand ist unsicher«, sagte der Shakaar-Prophet.

»Ihr Zweck ist ungewiss«, ergänzte der Jadzia-Prophet.

Plötzlich war der Bareil-Prophet neben ihr, nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. In dem Blick, mit dem er sie betrachtete, lag eine Tiefe wie die Unendlichkeit zwischen den Galaxien. »Unsere Hand ist nicht bereit.«

»Nicht bereit wofür?« Kira war verwirrt. »Die meine zu ergreifen? Mich in den Tempel zu führen?«

»Unsere Hand muss geöffnet werden«, sagte die Ziyal-Prophetin.

Die Jadzia-Version umkreiste Kira. »Sie muss sich nach unseren Kindern ausstrecken.«

Kira drehte den Kopf, um Jadzia zu folgen, sah aber plötzlich einen Propheten als Vaughn aus der anderen Richtung kommen. »Unsere Kinder brauchen unsere führende Hand«, sagte er.

»Ich verstehe«, erwiderte Kira, obwohl sie gar nichts verstand.

Eine neue Stimme, voll und warm, ließ sie herumfahren. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind.« Es war ein Ben Sisko. »Es wurde Zeit.«

»Ben?« Hoffnung wallte in Kira auf. »Sind das wirklich Sie?«

»Es ist ein Teil von mir«, antwortete er. »Welcher, vermag ich selbst nicht zu sagen. Ich existiere jetzt wieder in der linearen Zeit, auf Bajor … aber ein Teil von mir existiert auch hier. Ich war schon immer hier, aber nie auf diese Weise – bis ich auf diese Weise hier war.«

Sie schüttelte den Kopf. »Da komme ich nicht mehr mit.«

Er lächelte. Das tröstete ein wenig.

»Ist nicht wichtig«, erklärte er. »Zumindest noch nicht.«

Hinter ihm sah sie plötzlich ihre letzten Momente auf dem Korridor von Deep Space 9 – doch aus der Entfernung einer Beobachterperspektive und umgeben von dem immer gleichen formlosen Weiß. Drei Gestalten, wie Schauspieler ohne Bühne. Ro brach zusammen. Kiras Hand griff nach dem Phaser. Die Klinge verließ Taran’atars Hand und grub sich in ihre Brust. Ihr Blut spritzte aufs Deck, ihre Schulter schlug gegen die Wand.

»Ben«, sagte sie und empfand mit einem Mal fürchterliche Angst. »Was wird jetzt werden?«

»Das hängt von Ihnen ab«, antwortete Sisko.

»Aber bin ich …« Die Frage blieb ihr im Halse stecken, als sie sah, wie ihr zweites Ich in einem Meer von Blut das Bewusstsein verlor. »Ist dies der Tod?«

»Es ist ein Ort zwischen Leben und Tod«, korrigierte er.

»Bin ich deswegen hier?«

»Nein«, entgegnete Sisko.

»Weswegen dann?«

Der Opaka-Prophet hob die Hand und berührte sanft Kiras rechtes Ohr. »Um unsere Hand auf den Pfad zu geleiten.«

Kapitel 4

Das andere Universum – Kalandra-Sektor

Die Ungeduld war nahezu greifbar. Obwohl Intendantin Kira den Flottenkommandanten, die hinter ihr an den Längsseiten des Konferenztisches saßen, den Rücken zuwandte, spürte sie, wie sich ihre starrenden Blicke in sie bohrten.

Captain Klag von der Gorkon, einem Schlachtkreuzer der Regent-Klasse – benannt nach dem hochverehrten Kanzler, der die Allianz im vorigen Jahrhundert zum Sieg über die Terraner geführt hatte –, trug wie üblich die klobigen und schweren klingonischen Insignien und kippte sich nahezu theatralisch Unmengen an Blutwein in den Rachen. Seine Kleidung und sein Benehmen ließen fast vergessen, dass er nur einen Arm besaß. Den zweiten hatte er angeblich in einem mutigen Einzelkampf verloren.

Gul Akellen Macet, Kommandant des schweren cardassianischen Kriegsschiffes Trager, bot mit seiner schlichten, schmucklosen grauen Uniform und seiner ruhigen Art einen starken Kontrast zu Klags an Zierrat reicher Gewandung und seiner Lautstärke. Doch beiden war an diesem Abend eines gemein: Sie rieben sich daran auf, auf die Negh’Var gerufen worden zu sein, das von Klingonen gebaute Flaggschiff der Intendantin.

»Wir sind stark genug, sie zu vernichten«, sagte Klag. »Wir sollten einen direkten Angriff auf Terok Nor und seine Rebellen fliegen.«

Intendantin Kira sah Gul Macets nickenden Schädel in dem breiten Fenster aus Transparastahl vor sich gespiegelt. »Dem stimme ich zu«, erwiderte Macet. »Wir könnten die Station zurückerobern und den Rebellen das Genick brechen.«

Kira schüttelte den Kopf. Der Mangel an Weitsicht ihrer Begleiter widerte sie an. »Zu welchem Preis?« Sie wandte sich vom Panorama der Sterne ab und versuchte nicht einmal, ihre Verachtung zu verbergen. »Die Rebellen haben die Station gut gesichert und sind bereit, gegen Bajor Vergeltung zu üben. Eine Belagerung Terok Nors würde für uns den Verlust Bajors bedeuten. Sollten die Rebellen Bajor zerstören, vernichten wir sie und ihre Rebellion.«

»Demnach wollen Sie in die Badlands vordringen?«, spekulierte Klag. »Welch glorreicher Feldzug das wäre, jedes System einzeln von den Stützpunkten der Aufständischen zu befreien!« Der einarmige Klingone klang, als sei er stolz auf sich. Er glaubt wohl, meine Absichten zu kennen, folgerte die Intendantin und verzog die Mundwinkel zu einem abfälligen Grinsen.

»Das wäre Wahnsinn«, mahnte Macet Klag, als die Intendantin ihren Platz am Kopf des mattschwarzen Konferenztischs einnahm. »Die meisten der dortigen Siedlungen sind wenig mehr als Köder, die unsere Schiffe in die Gefahr locken sollen, während sich die Rebellen zurückziehen und auf Sindorin, wo unsere Sensoren nutzlos sind, neu gruppieren.«

Intendantin Kira schenkte ihm ein grausames Lächeln. »In der Tat, Macet. Genau deshalb habe ich bereits vor zwei Stunden die Neunte Klingonische Flotte einen Überraschungsangriff auf Sindorin fliegen lassen.« Diese Enthüllung brachte ihr ein bewunderndes Nicken von Macet und ein Knurren der Anerkennung von Seiten Klags ein.

Klag griff nach dem Krug Blutwein, der in der Tischmitte stand. »Regent Martok hat Ihnen also seine geliebte Neunte Flotte überlassen, ja?« Er füllte seinen Becher und verschüttete dabei großzügig Wein auf dem Tisch. »Was hat Sie das wohl gekostet?«

»Mehr als Sie je erfahren werden, Klag«, antwortete die Intendantin in festem, humorlosem Tonfall. Sie wollte so viele Details ihrer Strategie geheim halten wie irgend möglich. Dennoch hatte sie Martok mehr als genug offenlegen müssen, um seine Unterstützung zu erhalten. Anders als bei den sexuellen Gefälligkeiten, durch die sie sich dieses Raumschiff verdient hatte, hatte sie dieses Mal sogar richtige Zugeständnisse machen müssen. »Sobald die Neunte Flotte zu uns stößt, sind wir bereit, uns unserem nächsten Ziel zu widmen.«

»Und was ist unser nächstes Ziel?«, wagte Macet, nachzuhaken.

»Alles zu seiner Zeit, Macet«, war ihre einzige Antwort.

Klag studierte ihr Gesicht, als könne er ihre Geheimnisse aus den Sorgenfalten ihrer Stirn herauslesen. Das war wenigstens eine willkommene Abwechslung zu den Blicken, die er ebenso unverhohlen wie pausenlos ihren von dem engen schwarzen Body betonten Kurven zukommen ließ. »Falls es nicht Terok Nor ist«, sagte er und wählte seine Worte hörbar mit Bedacht, »und die Badlands bereits gesäubert wurden, welchen Plan hecken Sie dann aus, Intendantin? Ich hoffe doch sehr, Sie beabsichtigen nicht, Martok zu stürzen!« Dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen, hätte ihn das kaum sonderlich gestört.

Kira schmunzelte innerlich, doch nahezu sofort trübten dunkle Gedanken ihre Laune. Verlief alles nach Plan, war Martoks Autorität wohl die Geringste der Hürden, die sie zu nehmen beabsichtigte. Schon bald würde sie den Pakt mit ihrem neuen Verbündeten schließen, und ab jenem Tag würde es ihr nie wieder an eroberbaren Welten mangeln.

»Die Allianz beherrschen?«, murmelte sie schließlich. »Das war schon immer Ihre Schwäche, Klag … Sie denken zu klein.«

Kapitel 5

Deep Space 9

Major Cenn stand in Taran’atars Quartier. Rings um ihn gingen die Forensiker still ihrer Arbeit nach. Ein forensisches Team trennte auf dem Boden die Splitter zerbrochener Polymermöbel von den zahlreichen Glasscherben. Kurz hinter der Schwelle hatten sie ein kleines Bruchstück einer Klinge auf dem blaugrauen Teppich gefunden. Ein Kratzer an der Wand neben der Tür markierte die Stelle, an der die Waffe wohl zerbrochen war.

Lieutenant Nog schloss einen tragbaren Scanner an die Komm-Konsole des Raumes an. Im Zentrum der Konsole, mitten in einem Netz aus Rissen und Sprüngen, prangte ein faustgroßes Loch, aus dem Funken sprühten. Forensikspezialist Lieutenant Michael Strang kniete davor und nahm Proben einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit vom Teppich, die Sicherheitsoffizier Cardok als Jem’Hadar-Blut identifiziert hatte. Bislang hatte Strang keinerlei andere organische Flüssigkeiten im Raum gefunden, was mit Cardoks erstem Scan übereinstimmte. Also hatte sich der Jem’Hadar seine Wunden entweder selbst zugefügt, vermutete Cenn, oder gegen einen außergewöhnlich robusten Gegner gekämpft.

Das Gerät in Nogs Hand gab einige leise Töne von sich. Cenn wandte sich an den jungen Ferengi: »Sind Sie drin?«