Star Trek - Deep Space Nine: Botschafter - J. M. Dillard - E-Book

Star Trek - Deep Space Nine: Botschafter E-Book

J. M. Dillard

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Beschreibung

Ben Sisko wird Kommandant einer maroden Raumstation

In der Nähe des Planeten Bajor wird von den Cardassianern eine Raumstation betrieben, die sie allerdings demontieren und verlassen, als sie ihre Besetzung des Planeten aufgeben. Die Föderation übernimmt die Station, Ben Sisko wird Commander auf der kaum noch funktionsfähigen Deep Space Nine. Die Station wird in die Nähe eines Wurmlochs verlegt, das Reisen in den Gamma-Quadranten der Galaxis ermöglicht, und so treffen auf DS9 viele intelligente Zivilisationen aufeinander. Und auch die Cardassianer zeigen plötzlich wieder Interesse an der Station. Als eines ihrer Schiffe aus dem Wurmloch nicht zurückkehrt, nehmen die die Station unter Beschuss.

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STAR TREK

seit mehr als 25 Jahren auf Erfolgskurs: die größte Fernsehserie aller Zeiten.

STAR TREK – THE NEXT GENERATION

– ein neues Schiff mit einer neuen Mannschaft – ging 20 Jahre später auf die Reise und ist dabei, alle Rekorde zu brechen.

Nun startet

DEEP SPACE NINE

eine weitere Serie im Star Trek-Universum: eine geheimnisvolle Raumstation weit draußen in der Galaxis, von vielen intelligenten Spezies besucht und am Rande eines Wurmlochs gelegen, durch das die Routen zu den entferntesten Bereichen der Milchstraße führen – und weit darüber hinaus.

J. M. DILLARD

BOTSCHAFTER

Star Trek™

Deep Space Nine

Für Dave Stern.

Kapitel 1

Die erste Begegnung mit Jean-Luc Picard brachte eine krasse Veränderung in Ben Siskos Leben.

Sternzeit 44002.3: Vierzig Raumschiffe der Föderation erhielten den Befehl, Kurs auf Wolf 359 zu nehmen und dort ein Borg-Schiff abzufangen, das in Richtung Erde flog. Die Saratoga erreichte das Einsatzgebiet vor dem Rest der Flotte.

Lieutenant Commander Benjamin Sisko erfüllte an Bord der Saratoga die Pflichten des Ersten Offiziers, und es erging ihm wie allen anderen Besatzungsmitgliedern: Er hatte noch nie einen Borg gesehen und wusste kaum etwas von jenem Volk. Starfleet Command schien es für sehr gefährlich zu halten. Die Borg standen in dem Ruf, noch erbarmungsloser zu sein als die Romulaner. Wenn sie angriffen, ließen sie praktisch nie Überlebende zurück. Trotzdem: Sisko fürchtete sich nicht. Er vertraute sich selbst, dem Captain, der Saratoga und Starfleet.

Doch er war nicht auf die unglaubliche Größe des Gegners vorbereitet.

Das breite Projektionsfeld im Kontrollraum der Saratoga zeigte einen riesigen Borg-Raumer, der bewegungslos vor dem Hintergrund der Sterne hing – im Vergleich zu ihm war das Föderationsschiff ein Zwerg. Es fiel Sisko zunächst schwer, das Gebilde als Raumschiff zu erkennen: Er sah einen Würfel aus Metall, an dessen Seiten sich zahllose Leitungen, Verbindungsstutzen und andere Dinge erstreckten. Nirgends gab es eine große glatte Fläche. Nichts deutete darauf hin, dass die Konstrukteure so etwas wie Eleganz beabsichtigt hatten. Das Etwas erweckte vielmehr den Eindruck, als verdanke es seine Existenz dem instinktiven Bemühen, einzelne Komponenten zusammenzufügen. Wie ein Nest, dachte Sisko.

Oder wie ein Bienenstock. Insekten, die einen gigantischen, stählernen Bienenstock bauten …

Als das Borg-Schiff auf dem Wandschirm erschien, beugte sich Captain Storil in seinem Sessel vor, und dünne Falten formten sich über gewölbten Brauen.

Sisko nahm diese Reaktion mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis. Ein anderer Captain hätte vielleicht nach Luft geschnappt oder leise geflucht, um Verblüffung zum Ausdruck zu bringen, doch bei Storil genügte eine gerunzelte Stirn. Er war Vulkanier und somit daran gewöhnt, alles Emotionale zu verdrängen, in jedem Fall Logik und Vernunft den Vorrang zu geben. Wie die meisten Angehörigen seines Volkes verfügte er über eine bemerkenswert hohe Intelligenz und kontrollierte die eigenen Gefühle so gut, dass er kühl und berechnend erschien, wenn man menschliche Maßstäbe anlegte. Sisko hatte zunächst befürchtet, dass der Vulkanier bei seinen Entscheidungen die Moral der überwiegend aus Menschen bestehenden Crew unberücksichtigt ließ. Doch bald wurde ihm klar: Die Logik spielte eine große Rolle für Storil, aber noch wichtiger war für ihn die Mannschaft seines Schiffes.

»Fähnrich Delaney.« Storil neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Versuchen Sie, eine Kom-Verbindung herzu…«

Im Projektionsfeld flackerte es kurz, und ein Gesicht ersetzte die Darstellung des Borg-Schiffes. Ein menschliches Gesicht, dachte Sisko in der ersten Millisekunde. Doch als sich die Züge formten, ahnte er, dass irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

»Picard«, hauchte Storil neben ihm.

Siskos Blick kehrte zum Wandschirm zurück. Jean-Luc Picard – und er stand auf der Brücke des großen Borg-Schiffes. Aus einem der routinemäßigen Flottenberichte wusste Sisko, dass Picard vor einigen Jahren den Befehl über die Enterprise bekommen hatte; er galt als einer der besten Raumschiff-Kommandanten Starfleets, die Enterprise als eines der besten Schiffe. In den Hologrammen hatte Sisko einen würdevollen, selbstsicheren Mann gesehen, der auch Wärme ausstrahlte. Ja, dies war zweifellos der berühmte Captain der Enterprise.

Und gleichzeitig handelte es sich um ein fremdes Wesen, um eine grässliche Mischung aus Metall und Fleisch. Eine komplex anmutende mechanische Prothese erweiterte den einen Arm, und aus der Schläfe ragte ein spezieller Sensor für die visuelle Wahrnehmung. Nicht der geringste Ausdruck zeigte sich in dem blassen, leeren Gesicht. Würde und Wärme waren verschwunden. Weiter hinten standen reglose Borg in individuellen, wabenartigen Nischen. Erneut dachte Sisko an Insekten und stellte sie sich als geistlose Angehörige eines Kollektivs vor, das Metall absonderte und Picard in einen Kokon aus Technik hüllte.

Wenn noch etwas vom früheren Jean-Luc Picard übriggeblieben war, so ließ sich das Mensch-Maschine-Wesen nichts davon anmerken. Der Schläfensensor glühte rot, summte leise und neigte sich nach vorn. Er betrachtete das sich ihm darbietende Bild mit einer Intelligenz, die so leer, unendlich und kalt war wie das All.

Wenn die Borg eine derartige Metamorphose für die Crew der Saratoga planten … Sisko wäre lieber gestorben.

»Ich bin Locutus«, sagte das Wesen. Die Stimme gehörte Picard, aber sie klang leblos und monoton. »Ihr werdet integriert. Widerstand ist zwecklos.«

Ärger erfasste Sisko, als er die Arroganz in diesen Worten hörte. Er begegnete Storils Blick. Das Gesicht des Captains blieb ruhig und gefasst, aber die Brauen schoben sich andeutungsweise nach oben. Sisko kannte den Vulkanier gut genug, um so etwas wie Trotz zu erkennen.

Wir sollen integriert werden?, fragten die Augen des Ersten Offiziers stumm. Von wegen!

In Storils Miene gab es etwas, das diese Einstellung bestätigte.

»Deaktiviert eure Waffensysteme und begleitet uns anschließend zum Sektor null null eins«, fuhr Locutus fort. »Eine Weigerung hat nur eure Elimination zur Folge.«

Null null eins – die Erde. Der bolianische taktische Offizier Hranok strich mit hellblauen Händen über die Konsole, schob das Kinn vor und zischte empört.

Sisko wandte sich den Anzeigen seiner Instrumente zu und sah eine graphische Darstellung von drei Raumschiffen, die sich der Saratoga hinzugesellten. Jetzt waren vier Davids bereit, es mit Goliath aufzunehmen. »Sir, Admiral Hanson hat uns die Gage, Kyushu und Melbourne geschickt.«

Captain Storils Aufmerksamkeit galt auch weiterhin dem Wandschirm. »Bringen Sie uns in Position Alpha, Fähnrich.«

»Aye, Sir«, erwiderte Fähnrich Tamamota. Es fiel ihr schwer, den Blick von Locutus im Projektionsfeld abzuwenden. Tamamota war jung und noch recht unerfahren, aber ihre Hände zitterten nicht, als sie die Kontrollen bediente. Vielleicht lag es an der Ruhe, die Storil ausstrahlte.

»Torpedokatapulte vorbereiten«, sagte der Vulkanier. Im gleichen Tonfall hätte er eine routinemäßige taktische Überprüfung anordnen können. Dennoch hörte Sisko gewichtigen Ernst: Storil verabscheute es, die Waffen einzusetzen; sie stellten für ihn das letzte Mittel dar, den letzten Ausweg. »Akkumulatoren der Phaserkanonen mit Energie beschicken.«

Der in einen Borg verwandelte Picard verschwand abrupt vom Wandschirm – offenbar verstand er die Bedeutung von Storils Reaktion. Das Bild wechselte, zeigte wieder den würfelförmigen Raumer.

Der muskulöse Hranok beugte sich zu seiner Konsole vor. »Das Borg-Schiff richtet einen Traktorstrahl auf die Melbourne.«

»Ausgangspunkt des Traktorstrahls anpeilen, Lieutenant«, sagte Storil ruhig. »Eröffnen Sie das Feuer, sobald Sie soweit sind.«

Sisko beobachtete, wie Phaserstrahlen und Photonentorpedos durch schwarze Leere rasten. An dem Würfel schien die destruktive Energie kurz heller zu gleißen, bevor ihr Leuchten verblasste.

Gleichzeitig nahm der Borg-Raumer die Melbourne unter Beschuss.

Jetzt geht es uns allen an den Kragen, fuhr es Sisko durch den Sinn.

Zwei oder drei Sekunden lang erbebte die Melbourne vor dem Hintergrund des schwarzen Kosmos, war dabei von einer gespenstischen Korona umgeben. Sisko kniff die Augen zusammen, als es im Projektionsfeld blendend hell loderte. Er zwang sich, auch weiterhin zuzusehen, zu beobachten, wie die Melbourne auseinanderplatzte. Mehrere Explosionen schufen Dutzende von großen Lecks und schleuderten Trümmer davon. Er stellte sich vor, was nun im Kontrollzentrum jenes Schiffes geschah, auf einer Brücke, die sich kaum von der der Saratoga unterschied. Er dachte an sterbende Besatzungsmitglieder …

Sisko war stolz auf seine Fähigkeit, bei Notfällen nicht die Beherrschung zu verlieren. Während des ersten Ausbildungsjahrs an der Starfleet-Akademie hatte er bei einer entsprechenden Übung jämmerlich versagt, weil ihn die Nerven im Stich ließen. Jenen unliebsamen Zwischenfall nahm er zum Anlass, psychisch und emotional zu exerzieren. Das Ergebnis jener Bemühungen erfüllte ihn mit Zufriedenheit: Selbst jetzt, in dieser praktisch aussichtslosen Situation, verharrte er in Gelassenheit; die Gefühle wichen fort, bis er ebenso kühl wurde wie der Captain. Ein Teil von ihm gab sich dem Entsetzen hin und schrie immer wieder, dass ihnen allen der Tod bevorstand, dass er seinen Posten verlassen sollte, um die letzten Sekunden bei Frau und Sohn zu verbringen. Doch der stärkere, rationale Aspekt seines Selbst wusste: Er konnte Jennifer und Jake nur helfen, indem er jetzt seine Pflichten so gut wie möglich erfüllte.

Die Zeit dehnte sich. So deutlich wie nie zuvor spürte Sisko den eigenen Atem, das Pochen des Herzens in seiner Brust. Er sah den Kommandanten an und wartete, dachte überhaupt nicht, als das Borg-Schiff den Kurs änderte und auf die Saratoga zuhielt.

Der Boden hob und senkte sich. Sisko taumelte und wahrte das Gleichgewicht, als Lieutenant Hranok rief: »Die Borg richten den Traktorstrahl auf uns!«

»Ausweichmanöver«, sagte Storil und hielt sich an den Armlehnen des Sessels fest. »Delta-Muster.«

Tamamotas Finger huschten über die Schaltflächen der Navigationskonsole. »Delta-Muster initialisiert.« Sie starrte auf die Anzeigen hinab, und Sisko sah, wie sie erblasste. »Wir rühren uns nicht von der Stelle.«

Die am Operatorpult sitzende Delaney bestätigte. »Der Traktorstrahl hat uns erfasst.«

Sisko blickte zum Wandschirm. Zuvor hatte die Saratoga versucht, der Melbourne zu helfen, und jetzt zeigten die Gage und Kyushu das gleiche Gebaren: Sie eröffneten das Feuer auf den Borg-Raumer.

Trotzdem haben wir nicht die geringste Chance, dachte der Erste Offizier mit eisiger Gewissheit. Unmittelbar darauf unterdrückte er diesen Gedanken, konzentrierte sich allein auf das Hier und Jetzt.

»Unsere Schilde verlieren energetisches Potenzial«, meldete Delaney. »Kapazität sinkt auf vierundsechzig Prozent … zweiundvierzig …«

»Strukturnutation verändern«, sagte Storil. Er sprach so ruhig, als bliebe ihnen jede Menge Zeit.

Hranok führte die Anweisung hastig aus. »Die Modulationen sind wirkungslos.«

»Wir verlieren die Schilde!«, entfuhr es Delaney, und diesmal vibrierte Panik in ihren Worten. »Wir …«

Dunkelheit. Kurz darauf krachte es fast ohrenbetäubend laut, und Flammen züngelten durch den Kontrollraum. Irgend etwas schleuderte Sisko zu Boden. Die Saratoga kippte jäh zur Seite, und als sie sich wieder aufrichtete, schnappte der Erste Offizier nach Luft. Rauch drang ihm in die Lungen, und er hustete, schnitt eine Grimasse und stemmte sich hoch. Qualm wogte, brannte in den Augen. Er wischte sich vermeintlichen Schweiß von der Stirn und erschrak nicht, als er dunkelrote Flüssigkeit am Ärmel sah.

Dies war kaum der geeignete Zeitpunkt, um sich Furcht hinzugeben. Es kam jetzt nur darauf an zu handeln.

Finsternis kroch über die Brücke und wich nur dort ein wenig zurück, wo Funken aus beschädigten Konsolen stoben. Sisko lauschte, ob die ruhige Stimme des Captains zu vernehmen war. Vulkanier waren weitaus kräftiger und widerstandsfähiger als Menschen; bestimmt erholte sich Storil als erster – wenn er überlebt hatte.

Stille.

»Schadensbericht«, brachte Sisko heiser hervor und hustete erneut.

Keine Antwort. Die Notbeleuchtung flackerte mehrmals, und dann ging ein gleichmäßiger matter Schein von ihr aus.

»Schadensbericht!«, wiederholte Sisko scharf – als könnte er allein mit Willenskraft dafür sorgen, dass es noch andere Überlebende gab. Er stand auf und schwankte mehrmals.

Im Halbdunkel bewegte sich etwas. Ein verwundeter und blutender Hranok zog sich an seiner Konsole hoch, während Sisko von Offizier zu Offizier eilte, nach Handgelenken griff und vergeblich versuchte, den Puls zu ertasten. Zuerst Garcia, dann Delaney. Tot. Tot. Ebenso Tamamota.

Nicht fühlen, nur handeln. Nimm die Fakten einfach nur zur Kenntnis; denk nicht über sie nach.

Captain Storil … Blicklose Augen starrten ruhig und unbewegt ins Nichts.

Nicht fühlen, nur handeln.

Sisko zog die Hand vom Vulkanier fort, erhob sich langsam und sah zu Lieutenant Hranok, der sich am Pult abstützte. Er schien starke Schmerzen zu haben, doch seine Wunden blieben in der Düsternis verborgen.

»Direkter Treffer«, krächzte Hranok. »Decks eins bis vier.«

Decks eins bis vier. Jennifer und Jake. Nicht denken. Nicht fühlen. Nur handeln.

Sisko klopfte auf seinen Insignienkommunikator. »Maschinenraum, Status.«

Stille. Sisko und Hranok wechselten einen ernsten Blick.

»Achtung«, ertönte die Sprachprozessorstimme des Computers. »Beschädigung des Materie-Antimaterie-Wandlers. Strahlungsabschirmung versagt in vier Minuten.«

Nicht denken …

Erneut berührte er den Insignienkommunikator. »An alle: Verlassen Sie das Schiff.« Sisko trat zum Lift und drehte sich um, als er merkte, dass Hranok an der Konsole verweilte und weiterhin versuchte, den Kontrollen eine Reaktion abzuringen. »Wir müssen die Zivilisten …«

(Jennifer und Jake)

Nicht denken, nicht fühlen …

»… zu den Rettungskapseln bringen, Lieutenant«, sagte er fest, ohne sich der Erkenntnis zu stellen, dass er Storils ruhige Stimme nachahmte.

Nicht denken …

Nur handeln.

Hranok nickte und folgte ihm.

Das Schott des Turbolifts glitt beiseite und gab den Blick frei auf eine surrealistische Version der Hölle. Dichte Qualmwolken zogen langsam dahin, und eine Kakophonie der Verzweiflung erklang: weinende Kinder, die Schreie von Verletzten, dumpfes Stöhnen und Schluchzen.

Nicht denken. Nicht fühlen …

Im trüben Glühen der Notbeleuchtung taumelten schemenhafte Gestalten aus dem Halbdunkel, zeichneten sich als dunkle Silhouetten vor dem roten Widerschein von Flammen ab. Sisko roch verbranntes Fleisch und spürte, wie ihm Hitze entgegenwogte. Zusammen mit Hranok trat er aus der Transportkapsel – und wankte nach links. Die Stabilisatoren funktionierten nicht mehr richtig, und dadurch war das Deck zur Seite geneigt.

Es grenzte an ein Wunder, dass die Lebenserhaltungssysteme noch immer ihre Aufgabe erfüllten. Sisko zählte die Sekunden und versuchte sich einzureden, dass ihm genug Zeit blieb, um das Quartier zu erreichen und dort feststellen, ob Jennifer …

Nicht denken. Nicht fühlen …

Heiße Glut sprang aus einem Seitenkorridor, brannte über Siskos Schulter und versengte die Uniform. Er griff nach Hranoks Arm, und gemeinsam schoben sie sich am Feuer vorbei. Kurz darauf erreichten sie eine Gruppe von Zivilisten, die verschiedene Dinge mit sich schleppten. Eine Frau – das Haar war halb verbrannt, und große Blasen zeigten sich im Gesicht – blieb stehen, um ein zu Boden gefallenes Holo-Bild aufzuheben. Tränen der Panik quollen ihr in die Augen, als weitere Gegenstände unter ihren zitternden Armen hervorrutschten.

»Lassen Sie alles stehen und liegen!«, rief Sisko, um das Prasseln und Donnern der hungrigen Flammen zu übertönen. In seiner Stimme erklang eine solche Autorität, dass die Frau sofort aufstand, dem Holo-Bild und allen anderen Gegenständen keine Beachtung mehr schenkte. »Suchen Sie sofort den Ihnen zugewiesenen Evakuierungsbereich auf.«

Die Frau ignorierte ihre Sachen und eilte weiter. Die anderen Zivilisten folgten ihrem Beispiel.

Sisko und Hranok setzten den Weg fort. Dutzende von Passagieren kamen ihnen entgegen, und der Erste Offizier hielt nach zwei ganz bestimmten Gesichtern Ausschau. Verzweiflung keimte in ihm, als er sie nirgends sah, und er kämpfte gegen dieses Gefühl an.

Die nicht von Emotionen belastete Computerstimme wies erneut auf die Gefahr hin. »Achtung: Beschädigung des Materie-Antimaterie-Wandlers. Strahlungsabschirmung versagt in drei Minuten.«

Drei Minuten. Genug Zeit. Sie musste genügen. Nicht mehr weit bis zum Quartier …

Weiter vorn stolperte jemand durch den Rauch. Jähe Hoffnung entstand in Sisko – und wich gleich darauf Enttäuschung. Jenes Gesicht war zwar vertraut, aber er hatte sich ein anderes erhofft. »Doran!«

Jennifers beste Freundin. Dorans Familie wohnte direkt nebenan.

Sisko stützte die Taumelnde, und sie sank erschöpft in seine Arme.

Unterdessen schien Hranok seine Wunden vergessen zu haben. Mühelos hob er Doran hoch. »Ich kümmere mich um sie. Gehen Sie nur.«

Sisko warf ihm einen dankbaren Blick zu und zögerte gerade lange genug, um Doran zu fragen: »Hast du Jennifer gesehen?«

Die Frau wandte ihm ein rußiges Gesicht zu, sah ihn aus kummervollen Augen an und öffnete den Mund, um zu antworten. Doch sie brachte keine verständlichen Worte hervor, nur ein leises, wimmerndes Schluchzen.

Sisko fühlte stechenden Schmerz mitten in der Brust. Ruckartig drehte er sich um und lief los, achtete nicht mehr auf die Personen, die ihm unterwegs begegneten. Er sah weder Flammen noch irgend etwas anderes, bis er sein Quartier erreichte.

Die Tür stand halb offen, und dichter schwarzer Rauch quoll in den Korridor. Sisko trat sofort ein und spürte gar nicht, wie der Rauch auf Lungen, Hals und Augen wirkte.

Eine Explosion hatte den Boden aufgerissen und es den Flammen erlaubt, sich vom unteren Deck bis hierher durchzufressen. Die Zerstörung betraf nicht nur das Zimmer, sondern auch viele persönliche Dinge mit hohem Erinnerungswert.

Doch das spielte keine Rolle. Sisko kletterte über halb verbrannte Trümmer hinweg und rief: »Jennifer!«

Stille.

»Computer«, sagte der Erste Offizier. »Lokalisiere Jennifer Sisko.«

Nichts. Er schob schwelende Möbelstücke und geborstene Metallteile beiseite, sah nach rechts und links.

Ein Teil der Wand hatte sich nach innen gewölbt und war dann geplatzt. Daneben, am Rand eines qualmenden Schutthaufens, entdeckte Sisko eine Hand.

Er machte sich sofort an die Arbeit, mit einer an Wahnsinn grenzenden Mischung aus Kraft und Entschlossenheit. Die Metallkanten waren nicht nur scharf, sondern auch heiß. Tiefe Schnittwunden bildeten sich in seinen Händen, doch er merkte kaum etwas davon.

Nicht denken. Nicht fühlen. Nur handeln …

Innerhalb weniger Sekunden legte er Jennifers zur Seite geneigten Oberkörper frei, und daneben fand er den kleinen Jake – sie hatte das Kind mit ihrem eigenen Körper von der Explosion und den Flammen abgeschirmt. Sisko sah kein Blut, doch angesichts der Dunkelheit und des Rauchs ließen sich keine Einzelheiten erkennen. Den Umstand, dass Jennifer völlig still lag und nicht atmete, eliminierte er aus seiner bewussten Wahrnehmung.

Kein Blut. Das bedeutet, es ist alles in Ordnung mit ihr. Sie hat nur das Bewusstsein verloren. Gleich erwacht sie wieder …

»Keine Sorge, jetzt habt ihr's überstanden«, teilte Sisko seiner Familie mit. Er sprach selbstsicher und zuversichtlich – Captain Storils Stimme –, in dem gleichen Tonfall, mit dem er zuvor die Zivilisten im Korridor beruhigt hatte. Nicht einmal einen Sekundenbruchteil lang erwog er die Möglichkeit, dass ihn Mutter und Sohn gar nicht hörten. »Ich bringe euch fort von hier, in Sicherheit.«

Er zog und zerrte. Heißes, scharfes Metall schnitt ihm in die Hände, doch so sehr er sich auch bemühte: Er konnte Jennifer nicht aus dem Trümmerhaufen befreien. Die untere Hälfte ihres reglosen Körpers ruhte auch weiterhin unter einer schweren Last. Er versuchte es wieder, und noch einmal.

Gerate nicht in Panik. Halte alle Gefühle von dir fern.

Verzweifelt probierte er es von der anderen Seite her und fand eine Möglichkeit, Jake zwischen den Trümmern hervorzuziehen. Der Junge war ohne Bewusstsein, hatte viele Schnitt- und Brandwunden erlitten, aber er atmete. Ohne einen Medo-Scanner konnte Sisko in Bezug auf die inneren Verletzungen seines Sohns nur spekulieren. Als er sich in seinen Armen bewegte, durchströmte den Vater eine so tiefe Erleichterung, dass ihm fast Tränen über die Wangen rollten.

Nicht fühlen …

»Alles klar, Jake«, sagte er mit der gleichen munteren Fröhlichkeit, die er mehrmals als Werkzeug verwendet hatte, um den Knaben nach einem Albtraum zu beruhigen. »Jetzt holen wir nur noch deine Mutter, und dann verlassen wir diesen Ort.«

Aber Jennifer blieb unter den Trümmern eingezwängt. Sisko versuchte einmal mehr, schwere Brocken aus Metall und Kunststoff beiseite zu räumen, als Hranoks Silhouette in der Tür erschien.

»Commander …« Dieses eine Wort kam einer flehentlichen Bitte gleich.

Sisko sah ihn kurz an. »Helfen Sie mir.«

Hranok betrat die Kabine, in der noch immer dichte Rauchschwaden wogten, holte seinen Tricorder hervor und sondierte Jennifer. Sisko beachtete ihn nicht mehr, zog mit noch größerer Entschlossenheit an den Trümmern. Der Bolianer steckte den Tricorder wieder ein.

»Sir …« Hranok sprach nun ungewöhnlich sanft. »Wir müssen zu den Rettungs…«

Der taktische Offizier unterbrach sich abrupt, und daraufhin drehte Sisko den Kopf, folgte Hranoks Blick zu den eigenen Händen: Sie waren blutig und verbrannt.

Sisko starrte auf sie hinab, ohne zu verstehen. Seine Hände spielten keine Rolle – nur noch Jennifer war wichtig. Hranoks Zögern ließ jähen Zorn in ihm entstehen.

»Meine Frau ist eingeklemmt. Helfen Sie mir.«

Hranok bückte sich, griff mit starken Armen nach Jake und verharrte unsicher neben dem Commander. »Sir …«

Wut brodelte in Sisko, und er griff erneut nach einem scharfkantigen Metallteil, zuckte nicht einmal zusammen, als es sich ihm heiß in die Hand bohrte. »Das ist ein Befehl!«, rief er und sah kurz zurück: Hranok hielt Jake in den Armen und musterte ihn wortlos.

Einige Sekunden lang sahen sie sich stumm an, und dann sagte der Bolianer schlicht: »Sie ist tot. Wir können ihr nicht mehr helfen.«

Sisko blinzelte und verstand nicht. Er wollte nicht verstehen, klammerte sich auch weiterhin an Hoffnung fest. »Was ist mit den Transportern?«

»Ausgefallen, Sir.« Hranok stapfte mit Jake zur Tür. »Wir müssen uns beeilen.«

»Achtung«, erklang wieder die künstliche Stimme des Computers. »Beschädigung des Materie-Antimaterie-Wandlers. Strahlungsabschirmung versagt in zwei Minuten.«

Sisko schüttelte den Kopf, kniete neben Jennifer und tastete mit blutigen Fingern nach ihrer schlaffen, leblosen Hand. Er konnte sie nicht allein lassen, sah keine andere Möglichkeit, als seine Frau in den Tod zu begleiten – das war weitaus besser als ein Leben ohne sie. »Gehen Sie nur, Lieutenant. Und nehmen Sie den Jungen mit.«

Geheuchelte Vernunft erklang in seiner Stimme, und jemand anders hätte sich vielleicht davon täuschen lassen. Aber als ein Sicherheitswächter vor dem Zugang des Quartiers erschien, reichte ihm Hranok den Knaben und zog Sisko auf die Beine.

»Wir gehen, Sir, und zwar jetzt sofort.«

Mit einer Ruhe, die an Wahnsinn grenzte …

(Nicht fühlen, nicht fühlen …)

… erwiderte Sisko: »Nein. Ich kann nicht ohne sie fort.«

Hranok spannte die Muskeln, und es blieb Sisko gar nichts anderes übrig, als sich der bolianischen Kraft zu beugen. Er wurde zur Tür gezerrt und sah dabei zurück. Sein Blick klebte an der reglosen Jennifer fest, und nach wie vor trennten ihn innere Barrieren von einem Chaos aus Empfindungen. Er begriff überhaupt nicht, was um ihn herum geschah.

»Verdammt«, sagte er monoton und wie benommen. »Wir müssen ihr helfen …«

Hranok schob Sisko durch die Tür. Der Erste Offizier hob seine verletzten Hände – Hände, die ihn und Jennifer im Stich gelassen hatten – und betrachtete sie.

Später erinnerte er sich nicht daran, durch brennende Korridore gelaufen zu sein. Er erinnerte sich nicht daran, dass er zusammen mit zwölf anderen Personen in einer kleinen Rettungskapsel Platz genommen hatte. Nur zwei Dinge blieben ihm im Gedächtnis: der Anblick des bewusstlosen Jake in den Armen des Sicherheitsoffiziers, und das Panorama der sterbenden Saratoga, als die Überlebenskapseln durchs All glitten.

Sisko trat ans Backbordfenster heran und beobachtete, wie das Wrack allmählich hinter dem Schwarm aus Rettungseinheiten schrumpfte. Der an vielen Stellen geplatzte und aufgerissene Rumpf glühte im Widerschein der noch immer stattfindenden Schlacht. Hier und dort flackerte es im Weltraum – wie das Wetterleuchten am sommerlichen Nachthimmel. Die Kyushu existierte nicht mehr, und nun stand der Gage die Vernichtung bevor. Auf diese Weise würde es weitergehen, bis kein einziges Starfleet-Schiff übrigblieb.

Für Sisko war das alles bedeutungslos – ›irrelevant‹; um einen Ausdruck Picards zu benutzen. Die Borg hatten recht: Widerstand war tatsächlich zwecklos, wurde mit Zerstörung und Tod bestraft.

Die Irrelevanz bezog sich auch und gerade auf Gefühle. Sisko streifte alles Emotionale ab. In seiner Vorstellung lag er tot neben Jennifer. Die Imagination zeigte ihm zwei verbrennende Leichen …

Er beobachtete, wie die Reste der Saratoga explodierten, sich in eine kleine Sonne verwandelten, deren jähes Licht ihn blendete.

Kapitel 2

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