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Willkommen in Kronenbrück, der Stadt, in der Fußball nur im Abstiegskampf spannend ist; und das Städtische Klinikum nur, wenn man seine moralischen Ansprüche auf dem Parkplatz abgibt. Drei Intensivpflegerinnen streamen live aus dem Herzen der Station: piepende Monitore, halbschlafende Patienten, Klatsch zwischen Infusionsständern. Auf StreamHubz läuft das unter dem charmanten Namen 'NachtschichtNackt'. Doch dann stolpert Martin Seelmann, ehemaliger Intensivpfleger mit einem Gespür für Skandale, über den Kanal. Aus einer zufälligen Entdeckung wird eine juristische Materialschlacht, wie sie Deutschland selten gesehen hat: Abmahnungen, Unterlassungsklagen, PR-Desaster und ein Gerichtssaal, in dem das Lachen manchmal lauter ist als der Paragrafendschungel. Satirisch, böse, rechtssicher; eine Abrechnung mit Streamingkultur, Krankenhausbürokratie und der schillernden Welt absurder Rechtsstreitigkeiten.
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Seitenzahl: 57
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1 – Willkommen in Kronenbrück
Kapitel 2 – StreamHubz: Wo Anstand stirbt
Kapitel 3 – Martins Nacht
Kapitel 4 – Das erste Anschreiben
Kapitel 5 – Von Streams und Sturköpfen
Kapitel 6 – Abmahnung eins: Willkommen im Spiel
Kapitel 7 – Mara Thielmann steigt ein.
Kapitel 8 – Abmahnung drei bis sieben
Kapitel 9 – Die Community erwacht.
Kapitel 10 – Die Presse wittert Blut
Kapitel 11 – Feuer im Elfenbeinturm
Kapitel 12 – Die Hobbydetektive der Nation
Kapitel 13 – Die Schlagzeile, die einschlug wie ein Defibrillator
Kapitel 14 – Die Pressekonferenz des betretenen Grinsens
Kapitel 15 – Analyse eines Desasters in Echtzeit
Kapitel 16 – Die persönliche Keule
Kapitel 17 – Mara zerlegt
Kapitel 18 – Abmahnung zwölf
Kapitel 19 – Der Tod im Stream
Kapitel 20 – Tag der Verhandlung
Kapitel 21 – Wortgefecht der Giganten
Kapitel 22 – Zeugen der Absurdität
Kapitel 23 – Das Urteil
Kapitel 24 – Das Nachspiel
Epilog – Kronenbrück atmet durch
Vorwort
Kronenbrück ist keine Stadt, die man im Reiseführer findet. Es gibt keinen malerischen Marktplatz, keinen historischen Stadtkern und schon gar kein Straßencafé, in dem man für fünf Euro einen Cappuccino serviert bekommt, der nach Urlaub schmeckt. Kronenbrück schmeckt nach Filterkaffee aus Thermoskannen, nach kaltem Frittierfett vom Kiosk an der Ecke und nach abgestandenem Regenwasser, das seit Wochen in den Schlaglöchern vor dem Städtischen Klinikum steht.
Dieses Klinikum ist ein Betonklotz aus den 1970ern – gebaut in der Zeit, als man glaubte, Beton sei nicht nur stabil, sondern auch eine ästhetische Entscheidung. Seitdem wurde hier nur renoviert, wenn man ein Loch im Dach nicht mehr ignorieren konnte oder wenn eine PR-Kampagne einen neuen Eingangsbereich brauchte. Drinnen herrscht eine Mischung aus Überstundenwahnsinn, Personalmangel und einem Humor, der so schwarz ist, dass er nachts unbeleuchtet arbeiten könnte.
Man könnte meinen, der schlimmste Ort in diesem Gebäude sei die Intensivstation. Das stimmt. Und gleichzeitig stimmt es nicht. Denn dort gibt es Menschen, die Leben retten, während sie mit einem Auge auf den Monitor schauen und mit dem anderen die Infusionsleitung im Blick behalten. Menschen, die zwischen drei Pieptönen und zwei Notfällen noch einen Witz reißen können – nicht weil es ihnen egal ist, sondern weil man sonst verrückt würde.
Und dann kam StreamHubz. Eine Plattform, auf der jeder alles streamen kann. Essen, Schlafen, Videospiele – und jetzt eben auch den Alltag einer Intensivstation. Für die drei Pflegerinnen Melanie Krauss, Saskia Düwel und Ronja Mertens war es wohl eine Mischung aus Langeweile, Geltungsdrang und der irrigen Annahme, dass Datenschutz nur etwas für Banken ist. Für alle anderen war es ein Schlag ins Gesicht.
Was Sie in diesem Buch lesen werden, ist keine Liebeserklärung an die Pflege, kein Krankenhausroman und schon gar keine moralinsaure Medienkritik. Es ist die Chronik eines absurden Kampfes – zwischen einem Mann, der zufällig stolperte, und einem System, das lieber auf Imagepflege als auf Patientenpflege setzt.
Es ist die Geschichte von Anrufen, die niemand beantwortet, von Anwälten, die in Schachtelsätzen ertrinken, von Pressekonferenzen, bei denen niemand eine Frage beantwortet, und von Streams, die zeigen, was niemand sehen sollte.
Willkommen in Kronenbrück. Es wird gelacht, bis es wehtut – manchmal aus Verzweiflung.
Kapitel 1 – Willkommen in Kronenbrück
Kronenbrück ist eine Stadt, die auf keiner Postkarte abgedruckt wird, weil selbst der beste Fotograf daran scheitert, sie hübsch aussehen zu lassen. Zwischen zwei mittelmäßig befahrenen Bundesstraßen klemmt sie wie ein vergessener Kaugummi unter dem Tisch der Republik. Wer hier wohnt, tut das entweder, weil er es schon immer getan hat oder weil er beim Aussteigen aus dem Regionalzug eingeschlafen ist.
Das Städtische Klinikum Kronenbrück erhebt sich am nördlichen Stadtrand wie ein grauer Betonaltar für die 70er-Jahre-Architektur. Acht Stockwerke hoch, plattgedrückte Fensterfronten, ein Eingangsbereich, der mehr nach Jobcenter als nach Heilungsort aussieht. Über der Drehtür hängt ein vergilbtes Schild mit dem Logo der Stadt, das vermutlich seit der Einweihung niemand mehr gereinigt hat. Der Wind trägt den Geruch von Krankenhausessen, Dieselabgasen und dem nahen Recyclinghof herüber – eine Mischung, die selbst hartgesottene Besucher zum schnellen Durchmarsch motiviert.
Im Inneren: Neonlicht, das jeden Teint um drei Nuancen kränklicher wirken lässt. Linoleum-Böden in einem undefinierbaren Beige, dessen einziger Vorteil ist, dass es Blut, Kaffee und Jodlösung gleichermaßen verschluckt. Links vom Haupteingang sitzt der Empfang – oder besser gesagt: eine Dame mit Lesebrille und der Autorität eines Grenzbeamten, die entscheidet, ob man heute das Glück hat, überhaupt eine Auskunft zu bekommen.
Die Intensivstation liegt im dritten Stock, Trakt B. 18 Betten, davon mindestens 5 permanent belegt von Patienten, deren Krankengeschichte dicker ist als die Klinikum-Broschüre. Hier arbeiten Menschen, die den Spagat zwischen Idealismus und Zynismus perfektioniert haben. Darunter auch die drei Pflegerinnen, die bald für mehr Aufsehen sorgen werden, als das Klinikum vertragen kann.
Melanie Krauss, 29, kräftige Statur, braune Haare zum praktischen Dutt gebunden, trägt ihre FFP2-Maske meist unter der Nase, „damit man besser atmen kann“. Privat schwört sie auf Energy-Drinks und laute Musik im Auto, beruflich ist sie die inoffizielle Königin der Abkürzungen – medizinisch wie bürokratisch.
Saskia Düwel, 34, schlank, ewig müde Augen mit dunklen Schatten, die weder Concealer noch Sonnenschein beseitigen können. Ihre rot gefärbten Haare wirken, als wären sie zuletzt vor einem halben Jahr nachgetönt worden. Sie gilt als „die Kreative“ auf Station, was vor allem heißt, dass sie selbst in der Nachtschicht noch bunte Post-its an die Monitore klebt.
Ronja Mertens, 26, klein, drahtig, mit der Körperspannung einer Katze, die jederzeit bereit ist zu kratzen. Kurze blonde Haare, Piercing in der linken Augenbraue, lacht oft und laut – manchmal auch mitten in Situationen, in denen andere lieber ernst bleiben würden.
An diesem Dienstagabend herrscht auf Station B3 überraschend wenig Betrieb. Die Maschinen piepen im gewohnten Rhythmus, und der Geruch von Desinfektionsmittel hängt wie immer in der Luft. Melanie lehnt am Schwesternstützpunkt, Smartphone in der Hand. Saskia und Ronja sitzen daneben, vor sich einen Laptop. Auf dem Bildschirm läuft die Plattform StreamHubz – und mittendrin ihr Kanal „NachtschichtLive“.
Die Kamera ist auf den Flur gerichtet. Im Hintergrund huscht eine Silhouette an einem Zimmer vorbei. Der Chat explodiert vor Kommentaren wie „Was war das da hinten?“ und „Zeig mehr vom Monitor!“. Ronja grinst, zoomt ran, und Saskia liest halblaut die besten Sprüche vor. Melanie kichert und nimmt einen Schluck aus ihrer Energy-Dose.
Draußen vor dem Gebäude, drei Etagen tiefer, leuchtet das Klinikumsschild im fahlen Licht. Drinnen ahnt noch niemand, dass diese harmlose Abendbeschäftigung bald eine Kettenreaktion lostreten wird, die nicht einmal die Rechtsabteilung des Hauses wieder einfangen kann.
Es war nur ein Klick – und der Anfang eines sehr langen Problems.
Kapitel 2 – StreamHubz: Wo Anstand stirbt
StreamHubz ist die Art von Plattform, die auf ihrer Startseite ein nettes, harmloses Motto hat – „Dein Leben. Dein Stream.“ – und im Kleingedruckten alles stehen hat, was jeder Jurist als Haftungsausschluss der Kategorie „Finger weg“ bezeichnet. Offiziell ist sie „eine Plattform für kreative Echtzeit-Inhalte“, inoffiziell eine Mischung aus Dauerwerbesendung, Hobby-Kochshow und ungewollter Doku-