Sternkreuzer Proxima - Sammelband 4 - Dirk van den Boom - E-Book

Sternkreuzer Proxima - Sammelband 4 E-Book

Dirk van den Boom

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Beschreibung

Die Entscheidungsschlacht um ein verstörendes Erbe der Menschheit!

Die außerirdische KI Caliban hat Captain Zadiya Ark und die Proxima um Hilfe bei einem verheerenden Konflikt in ihrem Heimatsystem gebeten. Unter der Flagge von Arks Heimat Khalid soll die Proxima mit dieser Mission auch einen essentiellen Wissensvorsprung sichern. Doch die Terranische Republik ist ebenfalls interessiert: Admiral Bonet beauftragt Captain Gerard Kraus - und beide haben noch eine Rechnung mit Zadiya Ark offen.

Vor Ort werden die Terraner mit der bitteren Wahrheit über den Ursprung Calibans und das Schicksal der Maschinenwesen vom Volk der Zu7 konfrontiert. Captain Kraus hat sich mit den aggressiven, überlegenen Aliens verbündet - doch bei der entscheidenden Schlacht macht er Ark ein überraschendes Angebot ...

Sternkreuzer Proxima: Folge 10-12 der Military-SF-Serie von Dirk van den Boom als epischer Sammelband!

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Dirk van den Boom
Sternkreuzer Proxima - Sammelband 4

Digitale Erstausgabe

beTHRILLED in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe von „Konvoi der Verzweifelten“:

Copyright © 2021 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 - 20, 51063 Köln

Für die Originalausgabe von „Die letzte Schlacht“:

Copyright © 2021 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 - 20, 51063 Köln

Für die Originalausgabe von „Maschinenhölle“:

Copyright © 2022 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 - 20, 51063 Köln

Für diese Ausgabe: Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter unter Verwendung von Motiven © Arndt Drechsler

ISBN 978-3-7517-1740-3

be-thrilled.de

lesejury.de

Vita

Dirk van den Boom (geboren 1966) hat bereits über 100 Romane im Bereich der Science-Fiction und Fantasy veröffentlicht. 2017 erhielt er den Deutschen Science Fiction Preis für seinen Roman "Prinzipat". Zu seinen wichtigen Werken gehören der "Kaiserkrieger-Zyklus" (Alternative History) und die Reihe "Tentakelkrieg" (Military SF). Dirk van den Boom ist darüber hinaus Berater für Entwicklungszusammenarbeit, Migrationspolitik und Sozialpolitik sowie Professor für Politikwissenschaft. Er lebt mit seiner Familie in Saarbrücken.

Über das Buch

Die Entscheidungsschlacht um ein verstörendes Erbe der Menschheit!

Die außerirdische KI Caliban hat Captain Zadiya Ark und die Proxima um Hilfe bei einem verheerenden Konflikt in ihrem Heimatsystem gebeten. Unter der Flagge von Arks Heimat Khalid soll die Proxima mit dieser Mission auch einen essentiellen Wissensvorsprung sichern. Doch die Terranische Republik ist ebenfalls interessiert: Admiral Bonet beauftragt Captain Gerard Kraus – und beide haben noch eine Rechnung mit Zadiya Ark offen.

Vor Ort werden die Terraner mit der bitteren Wahrheit über den Ursprung Calibans und das Schicksal der Maschinenwesen vom Volk der Zu7 konfrontiert. Captain Kraus hat sich mit den aggressiven, überlegenen Aliens verbündet – doch bei der entscheidenden Schlacht macht er Ark ein überraschendes Angebot …

Konvoi der Verzweifelten

Die Proxima gibt dem Konvoi der Flüchtenden von der Konferenz Geleit – da werden sie erneut angegriffen! Mit den Schiffen der Zu7 fliegt auch ein alter Bekannter … Captain Gerard Kraus! Kann Zadiya Ark dem rachsüchtigen Terraner etwas entgegensetzen und gleichzeitig den Konvoi schützen? Und was steckt wirklich hinter der Aggression der Maschinenwesen?

Die letzte Schlacht

Die Proxima kämpft an der Seite der Allianz gegen die Zu7. Ein verzweifelter Vorstoß auf die Zentralwelt der Maschinenwesen trifft auf erbitterten Widerstand. Beide Armeen sind bereit, in dieser Schlacht in den Tod zu gehen. Auch Captain Kraus kämpft mit – auf der Gegenseite. Doch dann macht er Zadiya Ark ein überraschendes Angebot. Kann sie ihm vertrauen?

Maschinenhölle

Tief im Maschinendom der Zu7 fällt die Entscheidung: Gelingt es Ark und dem Kybernetiker Dr. Maarten, den Konflikt ohne weiteres Blutvergießen zu beenden? Und wird Captain Kraus mitspielen? Nicht der geringste Fehler darf passieren, ansonsten wird die Lage eskalieren … und die Proxima und ihre Crew sind dem Tod geweiht!

Sternkreuzer Proxima - Sammelband 4

Cover

Titel

Impressum

Vita

Über das Buch

Inhalt

Sternkreuzer Proxima – Konvoi der Verzweifelten

Cover

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

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Sternkreuzer Proxima – Die letzte Schlacht

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Titel

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Sternkreuzer Proxima – Maschinenhölle

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Titel

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Epilog

Guide

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Contents

DIRK VAN DEN BOOM

KONVOI DER VERZWEIFELTEN

Folge 10

1

»Ein solcher Angriff wird den Feind demoralisieren.«

Der Delegant der Zu7 sagte es ohne jede Empathie, eine kalte, berechnende Feststellung. Kraus hatte absolut nichts dagegen, Feinde zu demoralisieren, er hatte während des Krieges um die Republik durchaus Freude daran empfunden, derlei zu erreichen. Demoralisierte Feinde hatten einen sehr großen Vorteil: Ihr Widerstand wurde schwächer, und sie entwickelten eine Tendenz dazu, die Waffen zu strecken. Besorgniserregend war nur der kleine Prozentsatz an Abweichlern, die eine andere Reaktion entwickelten, etwas, das der Offizier »aktive Verzweiflung« nannte. Wenn ein Bewaffneter nichts mehr zu verlieren, aber noch einige Patronen im Magazin hatte, entwickelte er eine ganz eigene Art der Gefährlichkeit. Seltsamerweise hatten solche Verzweiflungstäter manchmal auch noch das Glück auf ihrer Seite, beides zusammen war in jedem Falle eine gefährliche Mischung.

Daher war Kraus eher vorsichtig, was seinen eigenen Enthusiasmus anging. Sich emotional zurückzuhalten, passte ohnehin gut zu einem Gespräch mit dem Deleganten. Er wunderte sich immer noch ein wenig, dass eine Maschine so gut verstand, was es überhaupt bedeutete, Demoralisierung zu empfinden.

»Wird ein solcher Konvoi nicht besonders gut geschützt sein?«, fragte er.

»Vormals: ja. Aktuell: nein. Es sind zu viele unterwegs und die Kräfte der Allianz weit gestreut. Sollte sich unser Angriff ankündigen, gäbe es das Risiko einer organisierten und vor allem vorbereiteten Gegenwehr. Derzeit gehen wir nicht davon aus, dass man uns erwartet. Die meisten unserer eigenen Einheiten operieren in anderen Sektoren. Wir kommen unerwartet.«

Der Delegant drehte sich, und obgleich man es gar nicht richtig erkennen konnte, wirkte es, als würde er Kraus direkt anstarren. Der Captain der Anaconda bemühte sich um Reglosigkeit angesichts dieser Beobachtung. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Johannsen in ihrem Sessel versteifte. Gemeinsam saßen sie im Bereitschaftsraum, nur sie beide und der Roboter. Die Frau hatte eine grundlegende Abneigung gegen die Zu7 entwickelt. Diese hielt sie nicht von ihren Pflichten ab, alles andere als das. Dennoch war der Ersten Offizierin stets anzumerken, dass sie die Gegenwart der Zu7-Drohne nicht gerade genoss. Für so eine Empfindung kämpften sie allerdings aktuell auf der falschen Seite.

»Welche Rolle spielen wir?«

»Sie werden sich am Angriff beteiligen.«

»Unsere Bewaffnung ist unzureichend, um erfolgreich gegen Schiffe der Allianz eingesetzt zu werden. Und haben Sie die Schutzschirme erst geknackt, bedarf es unserer Raketen gewiss nicht mehr.«

»Das ist nicht der Punkt. Wir greifen den Konvoi an, in dem die Proxima mitfliegt. Wir wünschen, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit auf dieses Schiff konzentrieren. Wir werden dafür geeignete Rahmenbedingungen schaffen und den Konflikt analysieren.«

Der Delegant war unerbittlich. Er wollte, dass sich die Anaconda in Gefahr brachte. Seine Motivation war auf eine erschütternde Weise der eines organischen Lebewesens ähnlich: Es ging zum einen um einen Loyalitätsbeweis, der die Basis für jede weitere Kooperation sein sollte. Es ging zum zweiten um ihre Rolle als Anschauungsobjekt, das unter dem sezierenden Blick des Deleganten seine Handlungen und Reaktionen offenzulegen hatte. Dafür gab es sogar einen wissenschaftlichen Fachbegriff: die teilnehmende Beobachtung. Kraus hatte es nachgeschlagen, das Einzige, was ihn aktuell von den Reaktionsmöglichkeiten einer Laborratte zu unterscheiden schien. Und vielleicht gab es auch noch einen dritten Grund, der etwas mit der Proxima zu tun hatte. Vielleicht wollte man auch sehen, wie man dort reagierte, wenn es drauf ankam. Über all das konnte Kraus lediglich Spekulationen anstellen.

»Wir stehen zur Verfügung«, sagte er. Der Delegant hatte das unmerkliche Zögern gewiss bemerkt, es war unwahrscheinlich, dass ihm hier irgendwas entging. Aber warum sollte Kraus seinen Widerwillen auch vollständig verbergen?

»Wir werden Ihr Schiff schützen«, erklärte die Maschine. »Die Beobachtung erfordert, dass Ihr Fahrzeug weitgehend unbeschädigt bleibt. Kollateralschäden können nicht ausgeschlossen werden.«

Also Besatzungsmitglieder, die irgendwie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Kraus war kein Mann mit hohen moralischen Standards, das würde niemals jemand über ihn behaupten. Aber seine Crew, das war ein anderes Kapitel. Die ihm anvertrauten Frauen und Männer nicht sinnlos zu opfern und so gut wie möglich am Leben zu erhalten, das gehörte zu den Pflichten, die er früh verinnerlicht hatte. Deswegen ging ihm die nonchalante – oder schlicht eiskalte – Attitüde der Drohne mächtig gegen den Strich. Andererseits würden sie und Admiral Bonet sehr schnell beste Freunde werden – und sich wahrscheinlich im Streitfalle ohne jeden Skrupel gegenseitig umbringen.

Manchmal lebte er schon in einer schrecklichen Welt.

»Dann danke ich Ihnen für den Schutz«, war aktuell die einzige Antwort, die ihm noch einfiel. Johannsen und er beobachteten den Deleganten, wie er einen Datenburst auf ihre Schirme übertrug, ehe er ohne weitere Formalitäten davonglitt und sie im Raum des Captains allein ließ. Johannsen betrachtete die Daten, taktische Informationen, Einschätzungen gegnerischer Kampfkraft, alles sehr wichtig und zu einem anderen Zeitpunkt hoch faszinierend, denn sie boten einen Einblick in außerirdische Technologie.

Johannsen war also nicht uninteressiert. Aber ihre Aufmerksamkeit lag woanders, das war ihr anzusehen. Kraus konnte das nachvollziehen. Und sie machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube.

»Mir gefällt das nicht, Captain«, fasste die Frau nun ihr Unwohlsein in Worte. Sie legte ihr Tablet auf den Tisch und schob es mit einer kleinen, aber entschieden wirkenden Geste von sich. »In was für eine Art von Kooperation begeben wir uns hier eigentlich?«

»Wir haben das doch bereits diskutiert …«

»Nein, Captain, das hier nicht.« Sie zeigte auf das Tablet. »Wir sollen nicht einfach nur die Proxima angreifen. Damit hätte ich kein Problem. Das ist ein Konvoi, der sich für mich durch zwei Dinge auszeichnet: Er beinhaltet bewaffnete Einheiten der Allianz, von denen wahrscheinlich jede einzelne die Anaconda aus dem All fegen könnte, und zahlreiche unbewaffnete Raumfahrzeuge, die sich nicht einmal gegen uns so richtig wehren können, wenn wir es auf einen Angriff anlegen. Das bedeutet für mich, dass wir möglicherweise in die Situation geraten, einen Haufen Zivilisten umzubringen, die nichts anderes tun, als sich in Sicherheit zu bringen. Und sei es nur durch einen Fehler in der Feuerleitung, gar nicht mal aus Absicht.«

»Ich denke schon, dass wir bei der Auswahl unserer Ziele sehr selektiv und sehr sorgfältig vorgehen werden«, wandte Kraus ein. »Ich habe definitiv nicht die Absicht, auf Schiffe zu feuern, die sich weder wehren können noch eine Bedrohung für uns darstellen.«

»Das haben wir dem Deleganten aber nicht gesagt.«

»Er sprach von der Proxima . Ich spreche von der Proxima . Sollten die Zu7 etwas anderes erwarten …«

»… und wir diese Erwartung dann nicht erfüllen, werden wir vom einigermaßen gelittenen Kooperationspartner sehr schnell zum Opfer werden. Und sei es nur als ein Kollateralschaden, auf den man jetzt auch keine Rücksicht mehr nehmen muss.«

»Sie sehen das zu pessimistisch.« Kraus sagte es mit Nachdruck, obgleich er absolut nicht sicher war, ob er damit auch recht hatte.

Johannsen war erwartungsgemäß nicht beeindruckt. »Ich bin die Erste Offizierin, es ist mein Job, das Schlimmste zu erwarten. Irgendwann wird es so kommen, dass wir ein zu großes Risiko eingehen. Ich möchte aus dieser Sache lebend herausfliegen, Captain. Wenn wir gute Beute machen wollen und Admiral Bonet mit uns zufrieden sein soll, ist die Fortsetzung unserer Existenz dafür eine ganz wichtige Voraussetzung.«

Kraus verzog den Mund. »Sie werden sarkastisch. Das bedeutet, Sie meinen es sehr ernst, so gut kenne ich Sie. Ich halte die Augen offen, das verspreche ich. Und wir feuern nur auf die Proxima . Wenn Ark und ihre Mühle als expandierende Trümmerwolke im All schwebt und die Zu7 auf andere Gedanken kommen, haben wir im Zweifelsfalle auf unserem eigenen primitiven Schiff ein großes Maschinenproblem und müssen weitere Kampfhandlungen leider abbrechen.« Er sah sie bedeutungsvoll an. »Das ist ein Vorfall, den man zu gegebener Zeit mit Willis vorbesprechen sollte.«

Johannsen lächelte. »Man« war sie, und die gegebene Zeit war jetzt. Sie war mit diesem Befehl absolut einverstanden, das war ihr anzusehen.

»Captain!«, sagte sie und erhob sich. »Das wäre von meiner Seite aus alles.«

Johannsen ließ ihn in seinem Raum allein. Er verbrachte noch einige Momente nachdenklich mit einer kalt gewordenen Tasse Kaffee, die er nicht zu verschwenden gedachte.

Kraus sah auf die Tür, durch die Johannsen gerade gegangen war, und wusste die Vorbereitung des »Vorfalls« in guten Händen. Dass der Delegant mit seiner ständigen akribischen Aufmerksamkeit diese Art von Trick womöglich durchschauen würde, war eine Gefahr, der sie begegnen mussten. Kraus hatte im letzten Krieg viele Dinge getan, und nicht an alles dachte er gerne zurück. Sein Pflichtbewusstsein und seine Selbstdisziplin hatten ihm über manchen leisen Zweifel hinweggeholfen, und die Aussicht auf Beförderung und gesellschaftlichen Aufstieg war für ihn immer sehr motivierend gewesen. Aber auch für Gerard Kraus gab es eine rote Linie. Es musste bei ihm einiges passieren, bis man sie überschritt. Manchmal war sie von seiner Position aus gar nicht richtig zu erkennen, aber sie war immer da. Da war er mit Johannsen ganz einer Meinung.

Im Regelfalle war es eine schlechte Idee, sich zu viel Moral zu leisten. In dieser Situation mochte es sich gar als fatal erweisen. Aber es gab Dinge, die selbst ein Captain Kraus nicht zu tun bereit war.

2

Die Ghimli war ein sehr zerknautschtes Raumschiff. Und das war bereits sehr höflich formuliert.

Marcus Hamilton war sich darüber im Klaren, dass diese Klassifikation nicht den Standards entsprach, weder denen seiner Flotte noch denen der Allianz. Aber ihm fiel wirklich kein besseres Wort ein. Als Margie und er mit dem kleinen Boot nahe an den kleinen Frachter herangekommen waren, hatten sie ausreichend Gelegenheit gehabt, sich das Schiff anzusehen. Ebenso wie die Proxima im letzten Drittel des Konvois positioniert, hatte es während ihres nunmehr ersten Orientierungsaustritts aus dem Hyperraum laut und vernehmlich um Hilfe gebeten und von allerlei technischen Problemen berichtet. Sara hatte ihnen, unterstützt von Simmons, die Einschätzung gegeben, dass die primitiven Menschen mit ihren groben Werkzeugen hilfreich sein konnten, denn die Probleme betrafen das Tritranstriebwerk der Ghimli , und damit kannte man sich immerhin einigermaßen aus. Die Proxima war außerdem in der Nähe und hatte ein funktionsfähiges Beiboot.

Ark hatte sie demnach losgeschickt. Sie tat alles, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Der Kommandant der Ghimli , ein Wesen namens Endim, das ebenso zerknautscht wirkte wie der Frachter, war jedoch nicht sonderlich begeistert gewesen. Vielleicht befürchtete er, für einen Public-Relations-Stunt missbraucht zu werden. Dummerweise sanktionierte das Kommandoschiff des Konvois die Aktion sofort, offenbar dankbar, einen Freiwilligen gefunden zu haben. Da der Konvoi nach einer ereignislosen ersten Hyperraumetappe nun einige Stunden im Leerraum zubrachte, gab es genug Zeit für Reparaturen. Die Ghimli war nicht das einzige Schiff mit Schwierigkeiten, und der Konvoi sollte auf jeden Fall zusammenbleiben. Würde die Herde ein schwächeres Mitglied zurücklassen, war die Gefahr groß, zum Opfer von Raubtieren zu werden. Die Tatsache, dass die Raubtiere hier aus Metall, Plastik und Elektronik bestanden, änderte nichts am Risiko.

Die Ghimli erinnerte am ehesten an eine nicht vollständig zerdrückte Kartoffel, die einen Überguss aus dunklem, silbrig schimmerndem Material erhalten hatte. Sie war im Moment ebenso wie die Proxima mit Flüchtlingen aller möglichen Spezies vollgestopft, stand aber unter dem Kommando eines Captains aus dem Volk der Anndi, das auch den Großteil der Crew stellte. Im Vergleich zu den Menschen waren sie eher kleinwüchsig, rund, mit einem Kopf, der so bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Form des Raumfrachters hatte, dass Marcus schon sehr an sich halten musste, um nicht unhöflich zu starren.

Das Schiff selbst war in einem Zustand, den Margie und er nach kurzem Austausch und der ersten Sichtung von übermittelten Statusdaten als kritisch bezeichnen mussten. Es war nicht nur das Triebwerk, dessen teilweiser Ausfall sie auf den Plan gerufen hatte. Es war der generelle Reparaturbedarf, der sich für das geschulte Auge auch auf einem Fahrzeug zeigte, dessen genaue Konstruktionsprinzipien ihnen unbekannt waren. An Bord angekommen, verfestigte sich der Eindruck leider. Wenn aus halb offenen Leitungen Flüssigkeiten austraten, die Innenbeleuchtung in regelmäßigen Abständen in ein wildes Geflacker ausbrach und stechender, leicht schimmliger Geruch auf eine verminderte Leistung der Luftumwälzung hinwies, dann wurde deutlich, dass die Ghimli schon bessere Zeiten gesehen hatte. Auch das war immer noch eine sehr höfliche Umschreibung. Marcus mochte sich irren, aber er kam zu der Einschätzung, dass diese »besseren Zeiten« auch schon ziemlich lange her waren und der kommandierende Anndi die Gelegenheit zu Reparaturen eher zögerlich ergriffen hatte. Armut könnte der Grund dafür sein, Marcus wollte da aber nicht voreilig urteilen.

Jedenfalls war dies die höfliche Einschätzung, die Margie auf Nachfrage ihres Führers abgab. Bei dem handelte es sich um einen Bordtechniker des Schiffes, der gleichen Spezies wie der Kommandant angehörend, aber offenbar deutlich jünger. Ein Individuum namens Olkar, das weitaus netter und zugänglicher war als die meisten, denen sie bei ihrem Gang durch das Schiff begegnet waren. Vielleicht war die schonende Höflichkeit an ihn verschwendet, aber sie wollten nicht über verborgene kulturelle Tretminen stolpern, das hatte Ark ihnen eindringlich aufgetragen. Das grundsätzliche Problem bei Tretminen war aber eben, dass man sie nicht sah. Marcus wappnete sich für eventuelle Missverständnisse.

»Vorsicht, da ist eine Pfütze!«, sagte Olkar hilfreich. Wie auch bei seinen vorhergehenden Außeneinsätzen trug Marcus einen winzigen Lautsprecher im Ohr, der ihn Saras direkte Übersetzung genießen ließ. Sie hatten Olkar, da er über keine weitere Ausrüstung verfügte, einen der Translator-Ohrstöpsel von der Proxima mitgebracht. Darüber hinaus begann Marcus aber langsam ein Verständnis für das Allianz-Standard zu entwickeln. Er war keine Gimenez, die Sprachen offenbar förmlich einatmete, aber diese lingua franca war logisch aufgebaut und schmeichelte seinen Stimmbändern, was das Lernen einfacher machte. Er traute sich zu, in der Messe der Ghimli die hiesige Entsprechung eines Kaffees zu bestellen. Eine völlig hypothetische Überlegung. Angesichts des Gesamtzustands des Schiffes wollte er lieber davon absehen, etwas zu sich zu nehmen, was aus seinem Inneren wieder herauskommen könnte.

Die Pfütze bestand aus einer Mischung aus Flüssigkeiten, die aus einem halb zerschmolzenen Bodengitter austrat. Sie war, davon ging Marcus instinktiv aus, mindestens gesundheitsgefährdend. Er tänzelte darum herum. Angesichts der etwas niedrigen Decke wirkte das nicht sehr elegant, da er unwillkürlich gebeugt ging, obgleich das im Grunde nicht notwendig war.

Es war gut, dass sie Wartungsanzüge trugen, die nötigenfalls auch eine eigene Sauerstoffversorgung hatten und als absolut dicht galten. Die faltbaren Helme hingen an ihren Gürteln. Sie waren auf alles vorbereitet.

Allianz-Technik war der irdischen überlegen, daran gab es keinen Zweifel. Sie hatten hier viel zu lernen, und einer der Gründe, warum Ark sie losschickte, war exakt das: die Augen offen halten, Geräte scannen, Unterlagen sichern – lernen! Marcus lernte in der Tat: Die beste Technologie war wenig wert, wenn sie nicht gewartet und geprüft wurde. Vielleicht nicht so intensiv wie auf der Proxima . Aber gewiss nicht nur alle paar Jahre, wenn mal wirklich was kaputt ging. Der Kommandant der Ghimli schien das allerdings nicht so zu sehen.

Sie betraten den Maschinenraum, halb so groß wie auf der Proxima und vollgestellt wie ein Lager. Marcus musste an sich halten. Das Geschrei verletzter Sicherheitsbestimmungen, das ihm hier entgegenhallte, war kaum auszuhalten. Der Chefingenieur war ein Messi, anders konnte man sich dieses Durcheinander nicht erklären. Es war nicht alles Schrott, die beiden Terraner erblickten ordentlich verpackte Ersatzteile, die in einem Wirrwarr auf Sesseln, Konsolen, kleinen Regalen oder irgendwo an der Wand lagen. Manche Verpackungen waren allerdings halb aufgerissen, andere schon so lange unberührt, dass sich eine Schicht aus Staub und Schmiere darauf gebildet hatte. Die Wände hatten Löcher, abgelöste Wandplatten, freigelegte Zugangsschächte.

Ein winziger Bodenroboter summte durch den Raum und kämpfte mit verzweifelt rotierenden Bürsten gegen den Dreck an. Seine Programmierung hatte eigene Probleme, er zog offenbar die immer gleiche Bahn über den Boden, sodass es zwei sich kreuzende Streifen gab, die sauber wirkten, während der Rest des Untergrunds etwas … matter aussah.

Hin und wieder floh Marcus’ Verstand in Verniedlichungen, um das zu verarbeiten, was er so sah.

»Gut. Wir müssen diese Verkleidungen … ah, ich sehe schon.«

Praktischerweise war auch der wesentliche Zugang gar nicht mehr verkleidet. »Es fällt dauernd aus«, sagte Olkar. Dann schwieg er. Marcus wartete noch einen Moment, aber da kam nichts mehr.

Anscheinend wurde der dahinterliegende Teil so oft repariert, dass man es an Bord dieses Schiffes für unnötig hielt, ihn ständig wieder abzudecken. Marcus empfand keine weitere Verwunderung darüber.

»Haben Sie eine genaue Schadensanalyse oder ein Reparaturlog?«, fragte Margie.

»Ontpi hatte das.«

»Wer ist Ontpi?«, fragte sie und sah sich um. »Marcus, wir sind hier ganz allein.«

In der Tat, es fiel ihm jetzt auch auf. Außer ihnen dreien war hier niemand zu sehen – vom kreuzförmig den Boden durchmessenden Reinigungsautomaten natürlich abgesehen. Der aber war definitiv keine große Hilfe, für niemanden.

»Ontpi war der leitende Ingenieur«, sagte Olkar. »Also, er ist es immer noch. Er liegt in einem Krankenhaus. Also, nicht hier. Nacht vor dem Abflug. Er war sich mit jemandem nicht … einig. Üble Kopfverletzung. Hat es dann nicht mehr an Bord geschafft.« Zu Verdeutlichung berührte der Techniker sein eigenes Haupt. Marcus wollte nicht unfair sein, aber ihm drängte sich der Eindruck auf, dass Olkar nicht der hellste Stern am Firmament war. »Seitdem bin ich … also … der Captain sagte: Olkar, jetzt bist du es.« Der Anndi seufzte. »Also bin ich es.«

»Olkar, was ist Ihre Spezialisierung?«, fragte Marcus betont freundlich.

»Oh, ich repariere hier mehr oder weniger alles, seit Ontpi nicht mehr da ist. Vorher eigentlich auch schon.« Er machte eine charakteristische Handbewegung, die kulturelle und interstellare Verständnisbarrieren überbrückte. Ontpi nahm sich wohl gerne einen zur Brust und war auch nicht immer im Dienst, wenn er im Dienst war.

»Aber Ihre Ausbildung?«, insistierte Margie mit gleicher Freundlichkeit. »Was haben Sie gelernt?«

»Sanitäranlagen und Umluft«, sagte Olkar. »Da kenne ich mich aus.«

Marcus warf seiner Begleiterin einen bedeutungsvollen Blick zu. Die Wurzel des Problems stand vor ihnen, sehr freundlich, sehr auskunftsfreudig und viel zu entspannt für den Zustand, in dem sich dieses Schiff befand. Das war wirklich ein starker Kontrast zu dem Regiment auf der Proxima .

»Gut«, sagte Margie nach einer längeren Pause, in der sie wahrscheinlich darüber nachgedacht hatte, ob sie lieber lachen oder weinen sollte. »Dann wollen wir mal!«

»Kann ich helfen?«, fragte der Installateur mit großem Eifer. Es tat ihm fast leid, aber Marcus schüttelte sachte den Kopf, in der Hoffnung, dass der Mann das richtig verstand.

»Das ist sehr freundlich, Olkar. Ich würde sagen, Sie überwachen als der verantwortliche Offizier unsere Arbeit. Da drin ist es ja ziemlich eng, und wir sind beide recht groß und vielleicht etwas unbeholfen.«

Olkar wirkte hocherfreut über seine Beförderung und die Kompetenzen, mit denen er gerade bedacht worden war. Er setzte sich auf den einzigen nicht vollgemüllten Sessel, der bei diesem Vorgang eine Kakofonie von Knarz- und Quietschgeräuschen von sich gab. Marcus sah die Sitzgelegenheit irritiert an, sie schien ihm das perfekte Symbol des Gesamtzustands dieses Raumschiffs zu sein.

»Es wäre mir ja egal«, murmelte Margie zu ihm, als sie sich vor der geöffneten Verkleidung niederknieten, um einen ersten Blick hineinzuwerfen. »Aber diese Schrottkiste ist voll von Flüchtlingen, und die können wirklich nichts dafür. Wenn wir nur Platz hätten, ich würde sie alle auf die Proxima evakuieren und die Ghimli davontreiben lassen.«

»Das ist leider keine Option«, gab Marcus ebenso leise, aber sehr grimmig zurück. »Schau mal, was ist das denn?«

Er griff in die Öffnung hinein und zog mit spitzen Fingern etwas hervor. Schon einigermaßen lose am Schwanz hängend, kam der halb verweste Körper eines Tieres zum Vorschein, das offensichtlich in der Nähe der hochsensitiven Anlagen verendet war. Er musste das plötzliche Gefühl von Übelkeit unterdrücken, das in ihm aufsteigen wollte. Er hatte es nicht leicht. Marcus drehte sich um und zeigte dem Techniker seinen Fund, ohne betont vorwurfsvoll auszusehen. Das gelang ihm gut.

»Oh, eine Schiffsratte«, sagte Olkar fröhlich. »Die sind normalerweise ganz niedlich. Die da jetzt nicht mehr. Hm, eigentlich sorgt der Reinigungsroboter dafür, dass sie hier nicht weit kommen.«

Marcus warf den Leichnam in die Öffnung eines Abfallverwerters. Er wischte sich die glücklicherweise behandschuhten Finger an seiner Montur ab. Den Ekel zu unterdrücken fiel ihm letztlich nicht schwer, er hatte schon Schlimmeres gesehen. Sein Entsetzen über die Zustände an Bord dieses Schiffes aber war nur schwer zu unterdrücken.

Der Reinigungsroboter summte an ihm vorbei. Die eine Spur, die er immer wieder säuberte, war mittlerweile gewiss sorgsam desinfiziert. Marcus stellte sich vor, wie die Ratte fröhlich piepsend über die Bahn gehüpft war, ehe sie im Innenleben des Triebwerks ihr unverhofftes Ende gefunden hatte.

»Ich habe Desinfektionsspray im Rucksack«, murmelte Margie. »Zwei Kanister. Vom guten Zeug.«

Marcus sah sie dankbar an. Sie würden es gewiss brauchen.

3

»Dr. Maarten. Ich habe nur wenig Zeit für Sie, aber ich habe das Gefühl, ich sollte sie mir nehmen.«

Als Zadiya Ark das neu eingerichtete Labor auf der Proxima betrat, hatte sie bereits eine kleine Tour durch das Schiff hinter sich. Hin und wieder war es notwendig, sich sehen zu lassen. Damit auch die Flüchtlinge begriffen, dass sich die Kommandantin des Schiffes persönlich um ihr Wohlergehen sorgte. Das war eine vertrauensbildende Maßnahme, die Ark als notwendig erachtete. Bisher lief alles gut, und völlig unabhängig von den wachsamen Augen von Varas Marines hatte es noch keine Konflikte oder andere Probleme gegeben. Kommunikation war immer möglich dank der Übersetzungshilfe von Sara. Klare Worte halfen, manchmal auch beruhigende, und die kulturellen Missverständnisse hielten sich aufgrund der disziplinierenden Kraft einer Notlage noch in Grenzen.

Alle verhielten sich mustergültig. Aber es fühlte sich für Ark wie ein sehr brüchiger Frieden an. Das war entweder ihre professionelle Paranoia oder einfach eine grundlegende Unsicherheit, was den Transport von mehr als einhundert Außerirdischen über einen langen Zeitraum anging. Selbst Doktor von Kampens betonter Optimismus beruhigte sie nur ansatzweise.

So gesehen, war es eine willkommene Abwechslung, das Reich der Eierköpfe zu betreten.

»Danke, Captain! Bitte, nehmen Sie doch Platz.«

Es war angenehm leise, sauber und aufgeräumt im Labor, und ein anderes Mitglied von Maartens Team stellte sehr fürsorglich eine Tasse Kaffee vor der Kommandantin ab. Sie roch an der dampfenden Flüssigkeit und runzelte die Stirn.

»Dr. Maarten, das ist kein Produkt unserer Automaten.«

Es sollte eigentlich gar nicht vorwurfsvoll klingen, tat es dann aber möglicherweise doch.

Der alte Mann lächelte entschuldigend. »Ich muss um Ihr Verständnis bitten, Captain. Nichts gegen den Schiffskaffee, aber … okay, doch: Wir alle haben etwas gegen das Zeug. Doktor Jeneva dort hat einen eigenen kleinen Zubereiter mitgebracht, und wir haben sehr vorausschauend Bohnen eingepackt. Wir mahlen und dosieren selbst, und die Brühstufe ist von ausgezeichneter Qualität, sehr individuell regelbar. Diese Droge wird uns eine Weile am Leben erhalten, bis wir notgedrungen auf das Angebot der Schiffsküche zurückgreifen müssen.«

Maartens Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er diesem Zeitpunkt mit eher gemischten Gefühlen entgegensah. Arks Blick fiel auf die Kanne aus Metall, ein sehr altmodisches Stück, das auf einem Tisch auf einer Wärmplatte stand, direkt neben einer ebenfalls nicht hochmodern wirkenden Zubereitungseinheit. Diese schien über mehr Knöpfe und Schalter zu verfügen als ihre Konsole auf der Brücke.

Sie nahm einen vorsichtigen Schluck aus ihrer Tasse, und jeder Vorwurf fiel sofort in sich zusammen. Ihr Gaumen war durch das Zeug aus den Automaten dermaßen verwirrt worden, dass sie offenbar gar nicht mehr wusste, wie richtiger Kaffee zu schmecken hatte. Es war ihr wohl anzusehen, wie sehr sie ihn genoss.

»Ich muss Sie öfter besuchen kommen, Doktor.«

»Nein, bitte nicht. Zum einen stört es unsere Abläufe, zum anderen ist das unser Kaffee.«

Maarten lächelte dabei wieder. Ark war sich dennoch einigermaßen sicher, dass er das eben sehr ernst gemeint hatte. Sie stellte die Tasse ab und sah ihn auffordernd an.

»Wie ist der Stand Ihrer Forschungen, Dr. Maarten?«

»Oh, es ist alles sehr faszinierend. Diese Zu7-Software ist hochkomplex und nicht einfach zu begreifen. Andererseits stehen wir auf den Schultern jener, die die Vorarbeit geleistet haben, um dann kurz vor dem Finale aufzugeben. Das erfüllt mich mit Zuversicht.«

»Wo ist unser Zugang?«

»Stellen Sie es sich so vor: Vor über tausend Jahren haben intelligente Wesen eine Art Betriebssystem für eine hoch entwickelte KI geschaffen, basierend auf uns weitgehend fremden Algorithmen. Dann sind sie ausgestorben, haben aber eine autonome Software-Evolution erlaubt. Sich selbst nicht nur reproduzierende, sondern auch weiterentwickelnde Programme. Und dann passiert das Gleiche wie bei der biologischen Evolution in unserer DNA : Wir hinterlassen Spuren. Sie finden in unserer DNA zum Beispiel inaktive Reste vorhergehender, überwundener Versionen, die Hinweise darauf geben, woher wir evolutionär kommen. Je weiter diese Zeit zurückreicht, desto weniger klar sind die Reste zu identifizieren. Beim Programmcode sich selbst entwickelnder KI ist es ähnlich: Sie bauen die Architektur neuer Iterationen auf dem Fundament der vorhergehenden auf. Dabei nutzen sie, was bereits stabil funktionierte, und löschen idealerweise, was sie überwunden zu haben glauben. Oder sie deaktivieren nur, anstatt zu löschen, in der Erwartung, dass man noch einmal auf die alten Programme zurückgreifen müsse.« Er seufzte. »Ich vereinfache das jetzt sehr, Captain.«

»Ich bin ganz Ohr und hebe die Hand, wenn ich den Faden verliere.«

»Ah, gut. Ja. Jedenfalls versuchen wir jetzt das, was auch das abgebrochene Projekt der Allianz bereits begonnen hat: Wir schauen nach den Fundamenten und nach dem, was davon im Code übrig geblieben ist. Das wichtigste Fundament ist jene Zeit, in der die Zu7 noch treue Diener ihrer Schöpfer waren. Jene Zeit, aus der die Loyalität stammt, die sie für ihre Herren einst hatten. Diese war die Grundlage dafür, ihnen zuverlässig zur Seite zu stehen und ihr Wohl über das eigene zu stellen.«

Ark begriff. Maarten hatte die Fähigkeit, diese Dinge nachvollziehbar darzustellen. Dafür war sie ausgesprochen dankbar, sie kannte andere Wissenschaftler, denen diese Gabe völlig fehlte.

»Ein Fundament, das sie anschließend nicht mehr benötigt haben, als es ihre Schöpfer nicht mehr gab.«

»Ein Fundament, auf dem sie alles Weitere aufgebaut haben, wenn meine Hypothese maschineller Evolution zutreffend ist. Und auf das man zurückgreifen könnte, wenn man weiß, wie.«

Maarten machte eine ausholende Handbewegung, mit der er das Labor und die darin arbeitenden Kollegen einschloss. »Es ist das, woran wir arbeiten. Wir nehmen die Vorkenntnisse auf, hinterfragen sie aber und versuchen mit Calibans Hilfe eine Weiterentwicklung. Ohne seinen Beistand wären wir aufgeschmissen. Seine Rechenleistung und die Tatsache, dass sein eigener Code Zu7-Schnipsel enthält, sind von großer Bedeutung.«

»Danke, Dr. Maarten«, ertönte unvermittelt die Stimme Calibans. »Ich fühle mich geehrt ob Ihres Lobes.«

Ark runzelte die Stirn. »Caliban hört immer mit.«

»Ohne ihn sind wir nichts, mit ihm haben wir eine Chance. Da hilft Geheimniskrämerei unter Zeitdruck gar nicht. Und dass wir unter Zeitdruck stehen, davon darf ich doch ausgehen, oder, Captain?«

»Ich weiß nicht einmal, wie sehr – aber ja, davon dürfen Sie ruhig ausgehen.«

Ark nahm erneut von dem Kaffee. Es wäre eine Schande, ihn kalt werden zu lassen.

»Dr. Maarten«, sagte sie dann, »ich nehme mal an, dass Sie wissen, wie enorm wichtig Ihre Forschung ist und dass Sie mich sofort informieren müssen, wenn der Durchbruch erzielt wurde.«

»Ich werde Sie ständig auf dem Laufenden halten. Und da Sie mich bestimmt nicht in Ruhe lassen, ehe ich Ihnen kein Zeitfenster nenne, lehne ich mich mal sehr weit aus ebendiesem: Geben Sie mir zwei Wochen und etwas Glück. Unsere Freunde von der Allianz haben leider zu einem sehr schlechten Zeitpunkt den Stecker gezogen: Sie waren tatsächlich fast am Ziel. Möglicherweise werde ich Ihnen sogar schon früher mitteilen können, ob wir mit den Ergebnissen etwas erreichen können.«

»Die Zeit sollen Sie haben. Für das Glück bin ich leider nicht zuständig.« Sie hob eine Hand, ehe Maarten etwas erwidern konnte. »Ersparen Sie sich den Bullshit mit des Glückes Schmied.«

»Es ist statistisch nachweisbar, dass …«

»Ersparen, habe ich gesagt.«

»Jawohl, Captain. Eine Sache noch. Ich habe die Datenbanken der Allianz, auf die wir nun dankenswerterweise vollen Zugriff haben, nach den Koordinaten befragt, die uns Zusak überlassen hat. Sie liegen tief im Raum der Zu7, aber vor allem ist dort, rein stellargeografisch gesehen, gar nichts.«

Maarten war ihr hier voraus. Sie hatte sich noch gar nicht darum kümmern können. Sie trank die Tasse leer, schaute bedauernd auf die braunen Flecken am Rand. Hätte sie mehr von diesem Kaffee, wäre sie gewiss auch viel leistungsfähiger. Es war ein Getränk der Götter.

»Gar nichts?«, vergewisserte sie sich. »Sie meinen, Leerraum?«

»Das nächste System ist gut drei Lichtjahre entfernt. Was auch immer die Zu7 dort haben, ihr Zentrum, ihr Gehirn, es hält sich nicht in der Nähe eines Gestirns auf. Ich würde nicht einmal ausschließen, dass es notfalls sogar mobil sein könnte. Tatsächlich gibt es gute Argumente dafür, und das ist auch ein Grund, warum diese Koordinaten nie angegriffen wurden: weil die Strategen der Allianz, die sich ernsthaft damit befasst haben, meinten, selbst bei einem erfolgreichen Angriff würde das, was da ist, schlicht verschwinden, und alles wäre umsonst gewesen – und wer wisse dann, wann man das Ziel noch einmal wiederfinden werde? Wenn ich die Aufzeichnungen richtig interpretiere, haben die Mossima trotzdem mehrmals auf einen Überraschungsschlag gedrängt, wurden aber immer überstimmt.«

»Und haben dann frustriert aufgegeben«, murmelte Ark. »Zusak sagte, er hoffe, dass wir einen Zugang zu unseren Artgenossen hier finden, was es uns ermöglichen könnte, zur Zentrale der Zu7 vorzudringen. Ich glaube, Ihre Arbeit an den Loyalitätsprotokollen wird uns da mehr weiterhelfen. Am Ende wird es vielleicht auch eine Kombination aus beidem sein. Die zentrale Frage bleibt sowieso: Kann man auf diese Weise die Zentrale der Zu7 ›umstimmen‹? Was können wir mit dieser Software anstellen, wenn Sie erfolgreich sind?«

»Im Idealfall sind wir dann die Herren der Zu7«, sagte Maarten. Er runzelte die Stirn. »Oder wir werden uns zumindest die Gelegenheit zu einem Gespräch erarbeiten. Ich weiß es noch nicht genau. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob Ersteres überhaupt der Idealfall sein wird. So viel Macht in unseren Händen … der Gedanke macht mir eher Angst.«

»Mir auch. Und ich will keine intelligente Zivilisation versklaven, ob nun organischen oder technischen Ursprungs. Aber ich will, dass der Krieg aufhört. Ich will unsere Artgenossen hier befreien und aus der Schusslinie ziehen. Dann fliegen wir heim. Alles andere ist die Sache der Leute, die hier leben, da mische ich mich nicht ein. Aber Prioritäten zu setzen – ich befürchte, vor der Entscheidung werden wir stehen, und wir dürfen nicht davor zurückschrecken.«

Maarten nickte. »Ihre Sichtweise gefällt mir. Dann müssen wir nur noch dafür sorgen, dass diese Software Kraus nicht in die Hände fällt. Ich hege die Befürchtung, dass er Ihre Skrupel nicht haben wird. Und dann stelle ich mir lebhaft vor, wie er seinem Admiral eine Flotte von Zu7-Schiffen mitbringt, quasi als Prätorianergarde der Republik, gnadenlos und absolut gehorsam. Der Gedanke allein macht mir große Angst.«

»Nicht nur Ihnen.« Ark sah ihn nachdenklich an, warf dann einen Blick in die Runde der an anderen Stationen stumm und konzentriert vor sich hin arbeitenden Kollegen. Sie senkte ihre Stimme. »Ich will Ihnen ja nicht vorschreiben, wie Sie Ihr Team hier koordinieren, Doktor, aber …«

»Ich weiß«, erwiderte Maarten leise. »Ich gebe jedem sein Stückchen vom Kuchen. Ich versichere Ihnen aber, das gesamte Rezept kenne am Ende nur ich. Und natürlich Sie, damit wir beide wissen, was wir damit anstellen können. Wenn wir so weit kommen.«

»Ja, wenn. Gut, ich lasse Sie damit jetzt in Ruhe. Sie informieren mich, wenn es etwas Neues gibt.«

Maarten sagte nichts weiter, nickte zustimmend, und Ark ging, noch mehr in Gedanken versunken als vorher. Es war ein wenig beunruhigend. Sie spürte, wie der Gedanke an so umfassende Macht sie faszinierte, und das schreckte sie gleichzeitig ab. Es sagte etwas aus über ein Potenzial, das in ihr schlummerte, wie wahrscheinlich in jedem Menschen. Sie durfte sich dieser Verlockung nicht ergeben, egal, wie sehr sie sich eines Tages aufdrängen mochte.

Für einen Moment überlegte sie, schon jetzt mit Vara darüber zu reden, entschied sich aber dagegen. Sie war sich absolut nicht sicher, wie ein Mann wie er auf eine solche, wenngleich derzeit noch ferne Möglichkeit reagieren würde. Davor hatte sie beinahe noch mehr Angst als vor ihrer eigenen Schwäche.

4

Kraus beobachtete auf dem Schirm, wie sich drei Drohnenschiffe der Zu7 um die Anaconda positionierten. Sie waren, zumindest aktuell, seine Verbündeten, zumindest soweit er sich dieser Sache sicher sein konnte. Dennoch beschlich ihn ein ungutes Gefühl, das er lieber für sich behielt. Das Geschwader sammelte sich für den letzten Hypersprung, der sie in die Nähe des Konvois führen sollte. Weitere Drohnenschiffe standen in Bereitstellungräumen und würden später dazustoßen.

Die Zu7 hatten relativ freimütig ihre taktischen Daten geteilt, sodass sich Kraus bemerkenswert gut informiert fühlte. Nach dem Gespräch, das er mit Johannsen geführt hatte, empfand Kraus eine Mischung aus Vorfreude und Ablehnung, und er hoffte nur, er würde den Regeln, die er sich selbst gesetzt hatte, in jedem Falle folgen können.

»Sprungdaten eingetroffen. Captain, ein Ruf der Zu7 von ihrem Leitschiff.«

Johannsen und Kraus wechselten einen Blick, der ihre Verwirrung ausdrückte. Seit der Delegant an Bord der Anaconda war, hatte es keinerlei Funkverbindung mehr mit den Maschinen gegeben, denn alle Kommunikation war über ihren Emissär verlaufen. Welchen Sinn machte es, jetzt diese Art der Kontaktaufnahme zu wählen? Sie würden es sogleich herausfinden.

»Auf meine Konsole. Johannsen …«

Die Erste Offizierin stellte sich neben ihn. Zu ihrer beiderseitigen Überraschung erschien auf dem Schirm weder das verwirrende Fraktalbild, das die Zu7 bei ihrer Kommunikation zu senden pflegten, noch eines der vertrauten Roboterovale. Es war stattdessen ein Mensch. Eine Frau, um genau zu sein, vielleicht Anfang dreißig, mit einem breiten Gesicht, streng zurückgekämmten Haaren und sehr konzentriert wirkenden grauen Augen, die Kraus direkt bis auf den Grund seiner Seele zu schauen schienen. Sie trug, soweit man das erkennen konnte, eine schlichte Montur ohne irgendwelche Symbole oder Abzeichen, aber von perfektem Sitz. Der Hintergrund war ausgeblendet, nicht mehr als eine weiße Wand, sodass Kraus nicht erkennen konnte, in welcher Umgebung die Frau sich wirklich aufhielt. Sie wirkte wie eine strenge Lehrerin, die Kraus zu sich zitiert hatte, um ihn für eine Verfehlung zurechtzuweisen.

Das war natürlich Unsinn. Aber die Frau hatte ein Charisma, das sich selbst über eine Videoverbindung zeigte, und Kraus war beeindruckt. Für einen Moment überlegte er, Hakonen auf die Brücke zu rufen, entschied sich aber dagegen. Vielleicht war es ganz gut, wenn bei ihrem »Erstkontakt« keiner der damals Verantwortlichen zugegen war. Außerdem, machte ihn der Mann nervös, gestand er sich widerwillig ein.

»Captain Kraus, mein Name ist Elaine.«

Klare Stimme, nicht unangenehm und mit einer Aussprache ohne jeden Akzent. Sie sprach das terranische Standard. Offenbar hatten die Sprachdateien der Fortuna überlebt, und Elaine hatte sich die Mühe gemacht, die Sprache ihrer Vorfahren zu erlernen, warum auch immer. Es war in jedem Falle eine seltsame Sache, einem sehr altehrwürdigen terranischen Frauennamen so weitab der Heimat zu begegnen.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«

Das Gesicht Elaines blieb beherrscht, fast starr.

»Ich wünschte, mir ginge es ebenso. Auf meinen Wunsch hin wird dieser Kontakt etabliert. Ich habe viele Fragen, und ich war ungeduldig. Wir haben nicht viel Zeit, die Bestrafung der Unwürdigen steht bevor. Wir wollen diesen Austausch so effizient wie möglich gestalten, Captain Kraus.«

Ungeduld war eine erfrischend menschliche Regung nach all den nicht immer nachvollziehbaren maschinellen »Emotionen«, mit denen Kraus hatte arbeiten müssen. Er lächelte, doch das fruchtete bei Elaine nicht. Sie reagierte nicht mit einem Gegenlächeln. Ihre dünnen Lippen blieben feine Striche, und sie bewegte den Mund nur, um die benötigten Laute auszustoßen. Wurde man so, wenn einen intelligente Maschinen aufzogen? Kraus fehlte es völlig an Vergleichsmöglichkeiten, aber er entsann sich, dass die Verantwortlichen der Fortuna -Expedition exakt diese Art der Erziehung vorgesehen hatten, wenngleich unter etwas anderen Umständen.

»Auch wir haben Fragen und …«

»… und Sie werden sie für sich behalten. Dieses Gespräch geht nur in eine Richtung, was den Fluss von Informationen angeht. Wollen Sie die Unterhaltung fortsetzen, oder soll ich abschalten?«

Das war nicht einmal passiv-aggressiv, das war eine klare, kalte Ansage: Tu, was ich will, oder es herrscht wieder Funkstille. Die Entscheidung fiel Kraus nicht schwer. Manchmal konnte man aus guten Fragen, die einem gestellt wurden, mehr lernen als aus schlechten Antworten, die man erhielt.

»Nein, Elaine. Ich freue mich in jedem Falle, hier einem Menschen zu begegnen.«

»Ihre Aussage ist etwas zynisch. Wir sind alle hier geboren – ich und meine Brüder und Schwestern –, und unsere Vorstellung von unserem Ursprung ist die von einer feindseligen kalten Welt, aus der unsere Vorfahren weggeschickt wurden, getrieben von Egoismus und Machtgier. Ihr bisheriges Verhalten legt nahe, dass sich daran nichts Grundsätzliches geändert hat.«

Damit war in etwa das eingetreten, was sich Kraus nach den Schilderungen über das Fortuna-Projekt bereits gedacht hatte. Es würde schwer sein, durch diesen emotionalen Panzer zu dringen.

»Wir Menschen sind nicht perfekt. Sie sind doch nicht anders, oder?«

Elaine verzog den Mund. »Ich habe Ihnen nichts zu beantworten. Sie werden jetzt aber zu folgenden Fragen Stellung beziehen: Wie lange wollen Sie sich mit diesem Schiff wirklich in diesem Sektor aufhalten? Sind Sie unseretwegen gekommen? Möchten Sie uns zurückholen, oder wollen Sie uns heimsuchen, um eine Gefahr auszuschalten?«

»Ich habe dem Deleganten die Parameter unserer Mission …«

»Nicht ausweichen, oder dieses Gespräch ist auf der Stelle beendet. Ich habe Sie etwas gefragt. Ich möchte jetzt Antworten aus Ihrem Mund bekommen, Kraus.«

Kraus bezähmte sich. Unter anderen Umständen hätte er sich über eine Person wie Elaine nicht nur aufgeregt, es wären ihm auch Strategien eingefallen, sie wahlweise zu erniedrigen, abzuweisen oder anderweitig für ihren Tonfall zu bestrafen. Aktuell herrschten aber keine solchen Umstände, und er ermahnte sich, darauf Rücksicht zu nehmen. Johannsen, das bekam er aus den Augenwinkeln mit, warf ihm einen warnenden Blick zu. Sie dachte wie er, wahrscheinlich fühlte sie den gleichen Unwillen. Im Zweifel würde sie auf ihn aufpassen.

»Meine Antworten, Elaine.« Auch Kraus konnte klar und gefühlskalt reden. »Wir wollen uns so lange in diesem Sektor aufhalten, wie wir willkommen sind beziehungsweise bis wir die Grundlagen für einen fruchtbaren Austausch gelegt haben. Wir sind an einem Technologietransfer sehr interessiert, daraus habe ich keinen Hehl gemacht – und daran, dass die Proxima , das Schiff von Captain Ark, nicht in unseren Sektor zurückkehren sollte, denn wir gehören rivalisierenden Mächten an. Das Konzept ist Ihnen ja nicht fremd.«

»Wir befinden uns hier alle auf einer Seite, Kraus. Uns ist der Bruderkampf unserer Artgenossen in der fernen Heimat absolut fremd und unverständlich.«

»Ich nehme das zur Kenntnis. Zweite Frage: Wir sind nicht Ihretwegen gekommen, wenngleich wir Informationen über das Projekt Fortuna besaßen. Die Motivation habe ich bereits erwähnt. Rivalität und Gier.«

Elaine zeigte eine plötzliche Reaktion, ein Lächeln, ein anerkennendes Kopfnicken.

»Sie sind jetzt ehrlich«, sagte sie dann fast freundlich. »Sie reden nicht um die Sache herum. Ich respektiere das.«

»Danke«, erwiderte Kraus, heilfroh, instinktiv den richtigen Tonfall getroffen zu haben. Wenn Elaine unter der Pädagogik einer Maschinenzivilisation aufgezogen worden war, so war seine Vermutung gewesen, gehörte eine Sprache voller Ambiguität und Halbwahrheiten nicht zu den Dingen, die sie zu schätzen wusste. Er hatte recht behalten. »Dritte Frage: wir reden gerne mit Ihnen, wir kooperieren gerne mit Ihnen, aber wir wollen Sie weder zurückholen noch vernichten.«

Dass Dr. Hakonen nichts dagegen hätte, ein lebendes Exemplar gefangen zu nehmen, das hatte der alte Wissenschaftler bereits angedeutet. Darüber hinaus verfolgte er möglicherweise weitere Pläne, denn er schien an der Grundidee seines damaligen Vorhabens keine Zweifel bekommen zu haben. Kraus sah keinen Sinn darin, näher darauf einzugehen, außerdem waren die Wünsche dieses Mannes für ihn nur von sekundärer Bedeutung. Es war Gérard Kraus, der hier das Sagen hatte.

»Ich nehme Ihre guten Absichten zur Kenntnis«, sagte Elaine, und sie klang beinahe besänftigt. »Die Kooperation wird ebenso fortgesetzt wie die Kommunikation. Erweisen Sie sich als nützlich, werden die Zu7 einem begrenzten Technologietransfer zustimmen – unter der Voraussetzung, dass Sie danach von hier verschwinden und niemals zurückkehren!«

Das war eine gefährliche Forderung. Kraus persönlich hatte kein Problem, ihr nachzukommen, seine individuelle Perspektive war in der Republik und seiner dortigen Karriere fest verankert. Aber das sagte nichts über die Perspektive seiner Vorgesetzten aus – erst recht nicht über die von Admiral Bonet. Wenn der einmal Blut geleckt hatte nach dem »begrenzten Technologietransfer«, würde seine Gier jede Vereinbarung und jede Vernunft aus dem Weg räumen. Kraus hoffte doch sehr, dann nicht mehr dafür zuständig zu sein, die Befriedigung dieses Bedürfnisses in die Tat umzusetzen.

»Ich sichere das zu!«, log er also, und er rühmte sich, ganz gut darin zu sein. »Mich sehen Sie nicht wieder, Elaine, soweit ich Macht über mein Schicksal habe.«

Die Frau nickte, schien ihm zu glauben. So richtig beurteilen konnte Kraus das natürlich nicht.

»Wir setzen dieses Gespräch später fort. Sie haben nun eine Aufgabe zu erledigen, wenn ich das richtig sehe. Wenn Sie das gut machen, Captain Kraus, besteht die Möglichkeit, dass ich bei unserem nächsten Gespräch sogar dazu bereit bin, die eine oder andere Ihrer Fragen zu beantworten.«

»Wo würde ich Sie denn finden, Elaine? Ich würde Sie in der Tat auch gerne persönlich kennenlernen.«

»Wie gut, dass das, was Sie gerne würden, für mich völlig unwichtig ist.«

Und damit verschwand sie von seinem Bildschirm. Kraus stieß leise Luft aus, und Johannsen nickte, als müsste sie einer Bewertung dieses Austauschs zustimmen.

»Es ist gut, dass Hakonen nicht dabei war«, murmelte sie leise. »Und ich weiß nicht, was passiert, wenn Elaine und die Ihren herausfinden, wen wir da an Bord mitgebracht haben.«

»Dann sollten wir das erst einmal für uns behalten. Falls uns der Delegant nicht vorher verpetzt. Auf Dauer wird sich die wahre Rolle Hakonens und seiner Leute vor ihm kaum verbergen lassen.«

Johannsen sah ihn sorgenvoll an. Dies war eine Gratwanderung, und der Abgrund auf beiden Seiten war tief. Aber jetzt galt es, die Proxima anzugreifen, und das war wiederum etwas, auf das Kraus sich durchaus freute, wenngleich die Umstände ebenso unsicher waren wie die Erfolgsaussichten.