Stürmerfoul - Jürgen Reitemeier - E-Book

Stürmerfoul E-Book

Jürgen Reitemeier

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Beschreibung

Schulten Jupp in der Bredouille. Dabei wollte er doch eigentlich nur seinem Freund Rodehuts­kors helfen, einen verschollenen Kollegen zu suchen. Und nun ist dem Detmolder Kommissar die belgische Polizei auf den Fersen. Gut, dass Maren Köster aufpasst. Jürgen Reitemeier und Wolfram Tewes lassen die Detmolder Kripo in ihrem dritten Lippe-Krimi in einem besonders komplexen Fall ermitteln. Es geht um Schutzgelderpressung, um einen Hormonskandal und um ­Wirtschaftskriminalität - bis es schließlich zum Showdown in der Lipperlandhalle kommt: Ausgerechnet beim ­entscheidenden TBV-Spiel gegen den Rivalen aus Minden. »Stürmerfoul« - spannend, voller Lokalkolorit und skuriller Typen.

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Seitenzahl: 488

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Reitemeier / Tewes · Stürmerfoul

Sämtliche Personen und Institutionen sind frei erfunden, und eine Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig. Einige Schauplätze im Roman sind real, andere hingegen fiktiv.

Pendragon Verlag

gegründet 1981

www.pendragon.de

Unveränderte Neuausgabeder Erstausgabe aus dem Jahr 2002

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Bielefeld 2020

© by Pendragon Verlag Bielefeld 2020

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagillustration: Alfons Holtgreve

E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

E-Book ISBN: 978-3-86532-692-8

JÜRGEN REITEMEIER WOLFRAM TEWES

Stürmerfoul

PENDRAGON

Inhalt

(Prolog) 1987

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

„Der schönste Platzist immer der zwischen allen Stühlen!“

Hauptkommissar Josef Schulte

(Prolog) 1987

Der Tierarzt Jakob zu Schwelle-Wenkhausen überquerte den vom Nebel feuchten Hof. Er wusste, dass er um bestimmte Tatsachen nicht herumreden sollte. So kam er gleich zur Sache.

„Das Rind kriegen wir wohl nicht durch. Es muss geschlachtet werden.“

Der Bauer hob die rauhen Hände, die auf seinen Oberschenkeln lagen, etwas an und ließ sie dann wieder kraftlos auf seine Beine zurückfallen.

„Dat is usse beste Kau im Stall.“

Jakob Schwelle-Wenkhausen zuckte mit den Schultern.

„Ich sehe keine andere Möglichkeit.“

Er setzte sich zu dem Bauern auf die Bank und holte eine Schachtel Zigarillos hervor. Wortlos hielt er dem alten Mann die Schachtel hin. Nachdem dieser sich bedient hatte, steckte er sich selber einen zwischen die Lippen. Die Männer zündeten sich die dünnen Zigarren an und rauchten eine Weile schweigend. Dabei sahen sie auf die große Weide, die dem Hof gegenüber lag, als hätten sie die Hoffnung, dass dort jeden Augenblick etwas Unvorhergesehenes passieren würde. Nach einigen schweigsamen Minuten versuchte der Tierarzt ein Gespräch zu beginnen.

„Die Geschichte mit Ihrem Nachbarn ist ja eingeschlagen wie eine Bombe. Ob da wohl noch andere Bauern beteiligt sind?“

Der alte Bauer hob wieder die Hände von den Oberschenkeln, stützte sich ab und erhob sich ächzend.

„Wat wäß denn ick. Kasse doch nix maken,“ war sein Kommentar. Dann ließ er den Tierarzt einfach auf der grün gestrichenen Holzbank sitzen und ging mit gekrümmtem Rücken Richtung Scheune.

Jakob zu Schwelle-Wenkhausen strich sich mit der Hand durchs Haar. Über den Skandal wollte keiner reden. Es schien so, als wüsste jeder der Bauern Bescheid, aber niemand wollte etwas dazu sagen.

Der Tierarzt war im Delbrücker Land geboren. Seine Familie lebte hier über Generationen. Er hatte im Städtchen mit dem windschiefen Kirchturm seine Jugend verbracht, war in Rietberg aufs Gymnasium gegangen und hatte die flache Landschaft nur zum Studieren verlassen. Vor drei Jahren war er mit seiner Freundin zurückgekommen, auf den elterlichen Hof. Gemeinsam eröffneten sie dort eine Tierarztpraxis. Die Tatsache, dass er von hier kam, erleichterte ihm den Start sicherlich, trotz seiner bewegten Jugend. Doch in Momenten wie eben merkte er, dass er nicht richtig dazu gehörte. Mit jedem Nachbarn hätte der Bauer über den Skandal gesprochen. Hätte das Für und Wider erörtert. Sicher auch sein Insider-Wissen zum Besten gegeben. Ihn jedoch ließ man draußen vor, obwohl ein Tierarzt hier auf dem Lande durchaus noch einen gesellschaftlichen Status hatte.

Seit Tagen versuchte Jakob zu Schwelle-Wenkhausen mit den Bauern ins Gespräch zu kommen. Schließlich ging ihn die Sache als Tierarzt auch etwas an. Doch die Leute wandten sich einfach ab, wie jetzt gerade erlebt, oder wanden sich wie Schlangen, um ja kein Wort zu viel zu sagen.

Gestern Abend, als er zurück in seine Praxis kam, steckte ein Zettel im Briefkasten, auf dem stand:

„Halt deine Nase da raus, Doktor!“

Die Buchstaben waren aus der Zeitung ausgeschnitten. Dieser Brief erreichte bei zu Schwelle-Wenkhausen jedoch nur das Gegenteil. Je mehr die Bauern versuchten, ihn aus der Angelegenheit herauszuhalten, um so mehr drängte ihn seine Neugierde. Im Übrigen empfand er es als einen Skandal, was hier mit den Tieren geschah. Und letztendlich mit den Lebensmitteln, die später die Menschen als Nahrung angeboten bekamen. Wirtschaftliche Zwänge hin oder her. Verärgert setzte er sich in seinen Mercedes-Kombi und fuhr vom Hof. Er bog rechts ab auf die B 64. Als er seinen Blick über die nebelverhangenen Felder gleiten ließ, wurde ihm bewusst, dass der Herbst Einzug ins Land hielt. Die Blätter fingen bereits an, sich zu verfärben. Obwohl es noch nicht sieben Uhr war, hatte die Dämmerung schon eingesetzt.

Plötzlich hatte er es eilig, nach Hause zu kommen. Heute Abend hatten sich Jugendfreunde angesagt, die in Delbrück auf Elternbesuch waren. Er freute sich darauf, sie wieder zu sehen. Mit ihnen hatte er vor über zehn Jahren hier die Gegend unsicher gemacht. Sie trafen sich damals immer im Victor-Jara-Zentrum. Das war ein Jugendclub, den sie sich in Eigeninitiative in einem alten Gebäude ausgebaut hatten. Jakob zu Schwelle-Wenkhausen gab Gas und der Mercedes zog kräftig an.

Mit mehr als hundertvierzig Stundenkilometern fuhr er von Wiedenbrück Richtung Delbrück, bog dann links auf einen schmalen Feldweg, der sich durch Felder und Wiesen zu dem Örtchen Schöning schlängelte. Die Gedanken an seine Jugend hatten ein beschwingtes Gefühl in ihm ausgelöst. Im Radio lief Sinead O’Connors Nothing compares 2 U, der Hit des Jahres. Er stellte die Musik lauter, bog dabei in eine 45-Grad-Kurve. Der Tacho zeigte immer noch über achtzig Stundenkilometer an. Als er seine Aufmerksamkeit vom Radio wieder auf die Straße richtete, stand vor ihm ein alter Trecker - mitten auf dem Feldweg. Er riss das Lenkrad zur Seite, versuchte an dem Hindernis vorbeizukommen, kam auf den Grasstreifen, fing an zu schleudern. Dann knallte der Benz gegen eine alte Birke. Der Körper des Tierarztes wurde durch die Scheibe des Autos katapultiert und gegen den nächsten Baum geschleudert.

Als der Unfall entdeckt wurde, war Jakob zu Schwelle-Wenkhausen bereits fünfzig Minuten tot. Die Sachlage war klar. Er war zu schnell gefahren, auf den Grünstreifen gekommen und hatte die Gewalt über sein Auto verloren.

Den alten Traktor, der den Entdeckern des Unfalls entgegenkam, hatte niemand beachtet.

1

Der riesige silbergraue Bus stand abfahrbereit vor dem Hotel Iris. Der Fahrer war nervös. Fast vierhundert Kilometer Fahrt standen ihm bevor: Die Rückfahrt von der belgischen Provinzstadt Hasselt ins heimische Lemgo. Und jetzt fehlte ihm ein Fahrgast! Vor einer Stunde hätte er bereits abfahren sollen, aber was sollte er machen? Er konnte den Mann schlecht in Belgien lassen. Eine weitere halbe Stunde… aber keine Sekunde mehr!

Vermutlich hatte der Kerl eine Frau kennengelernt und kam nun nicht aus den Federn.

Mittlerweile war es viertel vor Elf. Außerdem, es war immerhin Mitte Dezember, war für den Nachmittag Schnee angesagt.

„Hat einer mit dem Mann gesprochen?“ rief er über den Bordlautsprecher den gelangweilten Fahrgästen zu. Ein kollektives und müdes „Nö!“ schallte zurück. Die Reisenden hatten nach dem gestrigen siegreichen Champions-League-Spiel noch eine große Runde durchs ‚Dorf‘ gemacht und kräftig getankt. Hasselt hatte da einiges zu bieten. So liebten die Lemgoer Fans solche Spieltage. Sportlicher Erfolg und anschließend ’ne schöne Sause. Es war alles in allem ein schöner Ausflug gewesen.

Doch jetzt reichte es auch. Wenn sie noch am Abend zurück in Lemgo sein wollten, dann mussten sie endlich in die Pötte kommen. Der Unmut dem Vermissten gegenüber nahm zu.

„Kennt den denn einer?“

„Ja, der ist doch immer dabei!“

„Aber der spricht ja mit keinem!“ Wieder nur ein allgemeines ärgerliches Kopfschütteln. Der Mann war in Kreisen der TBV-Anhänger offenbar kein völliger Unbekannter. Aber niemand kannte ihn näher, niemand wollte je mit ihm gesprochen haben. Der Sportsfreund selbst hatte durch seine abweisende Art keine Bereitschaft zur Kontaktaufnahme signalisiert. War er überhaupt beim Spiel dabei gewesen? Keiner hatte eine Ahnung. Niemand hatte sich für ihn interessiert. Und auch jetzt wollte keiner wegen dieses muffligen Kerls die Nacht durch fahren. Am wenigsten Hans Born, der Busfahrer.

„Ich fahre jetzt los! Hat einer was dagegen?“

„Nein! Fahr endlich!“ rief jemand laut von hinten. Zustimmendes Gebrummel der anderen lösten bei Born die letzten Skrupel und die Handbremse. Dann gab er Gas, zog den Bus auf den breiten Innenstadtring Thonissenlaan bis zur nächsten großen Kreuzung und bog dann rechts ab Richtung Autobahn E 313.

2

Maren Köster betrat gut gelaunt das Büro, obwohl an diesem Morgen schon wieder klassisches lippisches Schmuddelwetter herrschte. Was Anfang Dezember in dieser Region nun wahrhaftig eher die Regel als die Ausnahme darstellte. Aber ihr schien dies nichts anhaben zu können.

Genau gegenteiliger Laune war Bernhard Lohmann, als er ihr mit dem Sportteil der Heimatzeitung unter dem Arm entgegen kam. Mürrisch warf er die Zeitung in den „Rundordner“.

„Na, was macht die Schwangerschaft?“, fragte die Kommissarin gut gelaunt.

Lohmann war kurz davor, Opa zu werden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatte er sich mit dieser Tatsache angefreundet und nahm nun regen Anteil am Zustand seiner Tochter.

„Es kann jeden Moment soweit sein“, grummelte er.

Maren Köster tätschelte ihm den umfangreichen Bauch und meinte:

„Wird aber auch Zeit.“

Lohmann machte eine Handbewegung, mit der er andeutete: Gleich gibt’s was hinter die Ohren. Sagte aber:

„Kannst du nicht in dein Büro gehen? Ich kann deine gute Laune nicht ertragen. Sieh mal aus dem Fenster! Ich könnte mir glatt einen Strick nehmen. Heute Morgen war ich kurz im Garten gucken. Ein einziges Sumpfloch!“

Für Lohmann war der Winter eine schreckliche Zeit. Er war Kleingärtner mit Leib und Seele. Die tägliche Arbeit in seinem Garten war für seine Ausgeglichenheit so wichtig wie die Luft zum Atmen. Ihm fehlte das Rasenmähergeräusch wie dem Trinker der Alkohol. Sein seelisches Gleichgewicht war gestört.

Maren Köster ging nicht weiter auf sein Wehklagen ein, sondern schwatzte munter drauf los: „Bernhard, du wirst es nicht glauben, ich habe geerbt!“

„Sag nicht, deine Tante in Amerika ist gestorben und du bist jetzt weg von den armen Leuten.“

Maren Köster machte eine Handbewegung, als wolle sie einen Schwarm Fliegen verjagen.

„Meine Tante Fine ist gestorben, schon vor einem Monat. Ich habe sie, glaube ich, einmal in meinem ganzen Leben gesehen. Sagt jedenfalls meine Mutter. Na, macht ja auch nichts. Jedenfalls lag vor drei Tagen ein Brief von einem Notar in meinem Briefkasten. In dem stand, dass ich mich bei einem Rechtsanwalt melden solle, von wegen Testament. Gestern hatte ich den Termin und was soll ich dir sagen, sie hat mir ihr Häuschen in Lemgo vermacht. Hier sind die Schlüssel. Kommst du Freitag abend mit, mein neues Zuhause ansehen? Anschließend gebe ich einen aus, im VESUVIO in Lemgo. Das ist demnächst fast mein Nachbar.“

Lohmann stand der Mund offen.

„Na, dann meinen Glückwunsch und Friede ihrer Asche! Wenn ich nicht gerade Opa werde, komme ich natürlich mit.“

„Wo sind denn Schulte und Braunert? Die sollen auch an meinem Glück teilhaben.“

„Sag mal, kriegst du nichts mehr mit? Axel hat doch seit heute Urlaub und Schulte kurvt mit dessen Auto durch die Gegend.“

Maren Köster tippte sich gegen die Stirn.

„Ich bin wirklich ein bisschen durch den Wind. Die Erbschaft macht mich ganz meschugge.“

In diesem Moment steckte Wachtmeister Volle sein Panzerknackergesicht durch den Türspalt.

„’tschuldigung, dass ich störe! Ich habe hier was für die Kripo.“

Er legte seinen Bericht auf den Schreibtisch und verließ schleunigst wieder das Büro. Seit er vor einiger Zeit mit Lohmanns Schwiegersohn Streit hatte, ging er dem Kripomann aus dem Weg. Die nötigen Zusammentreffen versuchte er so kurz wie möglich zu gestalten, was Lohmann sehr entgegen kam.

Maren Köster nahm sich den Bericht und blätterte ihn durch.

„Bei einer Stehpizzeria in der 55er Straße hat irgend Jemand heute Nacht die Scheiben eingeworfen.“

Sie zog die Stirn in Falten und warf die Akte wieder zurück auf den Schreibtisch.

„Na, ich kümmere mich darum. Ist im Moment eh nicht viel los und auf alte Fälle Einsortieren habe ich keine Lust. Man könnte meinen, vor Weihnachten reißen sich alle Ganoven zusammen in der Hoffnung, doch noch was vom Christkind zu bekommen.“

„Na, mach mal langsam! Erst trinken wir noch eine Tasse Kaffee und du erzählst mir von deiner Erbtante“, meinte Lohmann, jetzt doch neugierig geworden.

„Kaffee ist okay, aber über die Erbtante gibt es wirklich nichts zu sagen. Ich habe nicht mal einen Anflug von Trauergefühl. Bis gestern wusste ich wie gesagt nicht mal, dass es sie gibt. Muss ich mich eigentlich schämen, dass ich mich über das Erbe freue? Findest du mich pietätlos?“

Maren Köster war durch die Erbschaft wirklich aus dem Trott geraten. Normalerweise sprachen Lohmann und sie selten über private Dinge. Jetzt hatte sie ihn sogar zur Hausbesichtigung und anschließend zum Essen eingeladen. Maren Köster wunderte sich plötzlich über sich selber und kam ins Grübeln. Wenn sie so recht überlegte, wusste sie auch nicht, mit wem, außer ihren Kollegen, sie ihr plötzliches Glück, fast ein Lottogewinn, hätte feiern können.

Der Polizeiberuf macht einsam, dachte sie. Oder lag es an ihr? Plötzlich wollte sie nicht weiter darüber nachdenken. Mit einer fast unmerklichen Handbewegung versuchte sie die Gedanken zu verscheuchen.

3

Eine halbe Stunde später saß sie in ihrem Auto, einem roten Opel Tigra, und fuhr die wenigen Meter zu der unscheinbaren Pizzeria.

Der Imbiss war in einer ehemaligen Tankstelle untergebracht. Schon von weitem sah sie das Malheur. Die große Frontscheibe war in tausend Scherben zersprungen. Die Spurensicherung hatte schon zusammengepackt. Heinz Krause wollte gerade in sein Auto steigen. Als er jedoch Maren Köster auf den Hof fahren sah, ließ er die Autotür wieder ins Schloss fallen und ging zu ihr.

Sie stieg aus und wandte sich an den Kollegen:

„Na, Heinz! Was hast du gefunden? Kannst du schon was sagen?“

„Ich kann dir schon alles sagen. Drei Pflastersteine, wie es sie in jedem Baugeschäft zu kaufen oder auf jeder Baustelle zu klauen gibt. Sie wurden in die Scheiben und Spiegel geworfen. Keine Fingerabdrücke oder sonstige Spuren. Das war’s! Der Bericht liegt heute Nachmittag auf deinem Schreibtisch.“

Der Kriminaltechniker tippte sich kurz an seine karierte Mütze und verabschiedete sich endgültig.

Maren Köster ging die paar Meter zu dem Gebäude und öffnete überflüssigerweise die Eingangstür, von der es nur noch einen schmalen Türrahmen aus Aluminium gab. Der Pizzabäcker und zwei Frauen hatten schon begonnen, die Trümmer zu beseitigen.

Als er Maren Köster sah, kam er auf sie zu und sagte in seinem italienisch gefärbtem Dialekt: „Wir haben geschlossen, Signora! Können Sie sich das nicht denken?“

Maren Köster hielt ihm ihren Ausweis unter die Nase und sagte kalt:

„Polizei“

Der Pizzabäcker starrte auf ihren Ausweis.

„Eine Frau als Commissario? Signora, hier ist ein Verbrechen passiert! Das ist Männersache!“

Er fuchtelte der Polizistin mit drei zusammengedrückten Fingern unter der Nase herum, um seiner Aussage einen gewissen Nachdruck zu verleihen.

Maren Köster wurde wütend. Sie sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der das sofortige Todumfallen ihres Gegenübers hätte zur Folge haben müssen. Unbekannte, aber mächtige übernatürliche Kräfte ließen den Pizzabäcker überleben.

„Mit einem Commissario kann ich nicht dienen! Jetzt setzen Sie sich verdammt noch mal auf diesen Stuhl und geben mir einen Überblick über den Vorgang!“

Diese Reaktion hatte der Mann nicht erwartet. Kleinlaut drückte er sich auf den Stuhl. Die Kommissarin setzte sich auf den anderen. Sie kramte ein Notizbuch und einen kurzen Bleistift aus der Manteltasche.

„Wie heißen Sie?“

„Giovanni Panini!“

Johannes das Brötchen, dachte Maren Köster. Genau der richtige Name. Ich werde ihm schon zeigen, zu was eine Frau als Commissario so alles in der Lage ist. Der Pizzabäcker schien sich langsam von dem Anraunzer zu erholen.

„Wo leben wir, Frau Commissario? Ich dachte immer so etwas passiert in Sizilien, aber doch nicht hier bei uns in Lippe. Mamma Mia! Kommt da doch vor einer Woche so ein Junge, nicht älter als elf, zwölf Jahre und übergibt mir einen Brief. Er war schneller wieder verschwunden, als ich den Umschlag aufreissen konnte.

In dem Brief stand, ich solle am nächsten Tag dreihundert Euro unter meine Fußmatte legen, wenn ich schließen würde. Dann wäre meine Pizzeria sicher. Elf, zwölf Jahre, Frau Commissario, wo leben wir? Ich habe es natürlich nicht getan. Ich habe mir gedacht: Komische Spiele spielen die Kinder heute.“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Na und was passiert? Sehen Sie sich das an, Frau Commissario! So etwas machen Kinder! Ich verstehe das nicht!“

Der Pizzabäcker wies mit beiden Händen auf einen schon zusammengekehrten Scherbenhaufen.

Bevor Giovanni Panini sich weiter ereifern konnte, fragte Maren Köster nach dem Aussehen des Jungen.

„Na, wie sah er aus? So eine Mütze…, wie sagt man in Deutschland? Pudelmütze! Bis ins Gesicht gezogen, dass man denkt, da sind überhaupt keine Ohren, und so eine Jacke, grau oder schwarz, wie sie alle tragen und eine viel zu große Hose. So eine, bei der man Angst haben muss, dass er im nächsten Moment durch sie ins Stolpern gerät und fällt. Na und eben diese dicken Schuhe.“

„Könnte es auch ein Mädchen gewesen sein?“

„Ein Mädchen!? Madonna, wo leben wir! Ein Mädchen, das soll kochen und nähen, aber doch keine Steine in Schaufenster von Pizzeria schmeißen. Frau Commissario, wo leben wir?“

„Es könnte also auch ein Mädchen gewesen sein?“

„Ja, ja! Auch ein Mädchen. Mamma Mia! Was für eine Welt!“

„Mit anderen Worten, Sie wissen nicht einmal, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen gehandelt hat?“

„Nein, ich weiß es nicht! Aber Mädchen machen doch so etwas nicht. Heilige Maria! Kleine Mädchen bei der Camorra!“

Maren Köster bekam keine weiteren Einzelheiten mehr aus dem Italiener heraus, nur, dass er die Welt nicht mehr verstand.

Da sie unterdessen mehr und mehr zu dem Schluss gekommen war, das Verhör würde sie im Moment nicht weiter bringen, brach sie es ab und machte sich an die Befragung der Nachbarn. Hier stellte sich heraus, dass die Scheibe gegen drei Uhr eingeworfen worden war und dass die Stadt Detmold in bestimmten Bereichen nachts jede zweite Straßenlaterne abschaltete, so dass nichts zu beobachten war. Mit dieser schalen Ausbeute fuhr die Polizistin nach fast zwei Stunden wieder zurück zur Kreispolizeibehörde.

4

Schneematsch. Kalter Wind. Gedränge. Quengelnde Kinder. Adventsmusik.

Hauptkommissar Josef Schulte verabscheute Weihnachtsmärkte. Keinen Meter konnte er ungehindert durch die Detmolder Lange Straße gehen. Überall blieben bummelnde Passanten einfach mitten auf dem Weg stehen und bestaunten die Auslagen der Weihnachtsmarkt-Blockhäuschen. Dort, wo keine Menschen gingen oder standen, versperrten ihm Kinderwagen oder angeleinte Hunde den Weg. Und immer und überall diese süßliche Weihnachtsmusik, die sich ebenso klebrig im Gehör festsetzte wie der lauwarme Glühwein auf der Zunge. Schulte betrachtete kurz einen kleinen Jungen, der sich, unbeobachtet von seiner Glühwein trinkenden Mutter, einen roten Paradiesapfel von einem Stand gegriffen hatte und nun herzhaft hineinbiss. Der rote Zuckerguss lief ihm an den Wangen herunter und machte sich auf seinem hellblauen, astronautenähnlichen Schneeanzug breit, wo ihn der Golden Retriever der Familie wieder fröhlich ableckte. Und was hier alles angeboten wurde. Wer braucht denn so was? Was um Himmels Willen machen die Menschen mit diesen erzgebirgischen Holzschnitzereien? Den Weihnachtspyramiden? Den zipfelmützigen Weihnachtsmännern? Nein! Das war nicht seine Welt. Noch vier Tage musste er irgendwie durchhalten, sich anschließend den ersten Weihnachtsfeiertag über gründlich verkriechen. Am zweiten hatte er Dienst, und dann war der Spuk endlich vorbei.

Erschöpft erreichte er den Hasselter Platz, auf dessen Parkfläche sein Auto stand. Eigentlich nicht seines. Der stadtbekannte goldfarbene Granada-Kombi war rettungslos hinüber nach seinem Einsatz am Velmerstot1. Schulte hatte eine Zeitlang ein Dienstfahrzeug gestellt bekommen. Jetzt war er dazu übergegangen, unter dem Vorwand, bereits ein neues Auto bestellt zu haben, sich reihenweise die Wagen seiner Kollegen auszuleihen. An diesem feucht-kalten Dienstag hatte er den blauen BMW Z3 seines Kollegen Axel Braunert geschnorrt. Braunert war in den Ski-Urlaub geflogen und benötigte den Flitzer nicht. Schulte ruckte sich in dem schnittigen, engen Sportwagen zurecht, schaltete die Sitzheizung ein und fischte im Handschubfach nach einer von Braunerts CDs. Dann ließ er den Motor an, schob die CD in den CD-Player und startete. Sekunden später gab es eine Detonation in seinem Gehör und alle Weihnachtsmarkt-Musik war vergessen. Kurt Cobain von Nirvana jagte ihm mit brachialer Leidenschaft sein Smells Like Teen Spirit durchs gezuckerte Hirn. Das war eigentlich nicht die Musik seiner Altersgruppe, aber sie gefiel ihm. Genau das richtige Gegengift zu Süßer die Glocken nie klingen! Der Hauptkommissar gab richtig Gas und fuhr entspannt lächelnd am Finanzamt vorbei Richtung Bahnhof.

In seiner rot geklinkerten Dienststelle an der Bielefelder Straße waren einige Schreibtische frei. Der Kollege Axel Braunert war im Urlaub. Der Chef des Ganzen, Polizeirat Klaus Erpentrup, war bis zum Ende des Jahres zu einem Seminar Verwaltungsreform der Polizei. So blieb außer ihm und dem eher behäbigen Kollegen Lohmann nur die Kollegin Maren Köster, um auf die lippische Verbrecherwelt Eindruck zu machen.

Wahrscheinlich wieder mal ein Fall für die Ablage, dachte sie, als sie ihr Büro betrat. Sie ging alles noch einmal durch, legte eine Akte an, schrieb dann einen kurzen Bericht. Danach ging sie mit einer leeren Kaffeetasse in Schultes Büro.

Dieser hatte die zweitunterste Schublade aufgezogen, seine Füße darauf gelegt und las in der Mitgliederzeitung der Polizeigewerkschaft.

„Hallo!“, grüßte ihn Maren Köster, „herrscht in Axels Auto schon das gleich Chaos wie in deinem Büro?“

„Wieso?“, fragte Schulte scheinheilig.

„Also, mein Auto bekommst du jedenfalls nur noch, wenn du mir vorher den schriftlichen Vertrag einer Autoreinigungsfirma vorlegst, in dem steht, dass nach Gebrauch deine Spuren von dieser Firma beseitigt werden. Und in diesem Vertrag muss weiter stehen, dass diese Dienstleistung von dir vorher bezahlt wurde.“

„Sag mal, Maren! Was ist denn dir über die Leber gelaufen? Suchst du einen, an dem du rumnörgeln kannst?“

„Nein, nein, schon gut. Mich hat eben nur ein Pizzeriabesitzer geärgert. Außerdem habe ich einen Fall am Hals, der wahrscheinlich unsere Negativstatistik verstärken wird. Das wiederum wird Signiore Panini veranlassen zu sagen: Wenn Frauen schon zur Polizei gehen, Mamma Mia, dann kann ich die Verbrechen auch gleich selber aufklären!“

Schulte zuckte mit den Schultern.

„So ist das Leben! Also, was willst du wirklich?“

„Dich einladen, mit Lohmann und mir mein neues Haus anzusehen. Morgen Abend. Anschließend wollte ich mit euch beim Vesuvio in Lemgo essen gehen. Obwohl, nach meinem letzten Erlebnis ist mir eigentlich gar nicht mehr nach italienisch essen.“

Schulte glotzte sie an, als hätte er sich verhört.

„Wie, neues Haus ansehen? Was denn für ein neues Haus?“

„Mein neues Haus!“

Der Hauptkommissar schluckte.

„Wie kommst du denn an ein Haus? Spielst du Lotto oder woher dieser unerwartete Reichtum? Du bist doch auch nur eine unterbezahlte Polizistin. Ich muss dir mal den Korruptionsverantwortlichen auf den Hals schicken.“

„Nix Lotto, nix Schmiergeld! Ich habe geerbt. Ein Haus in Lemgo, von Tante Fine. Gott hab sie selig!“

Mit diesen Worten tänzelte sie raus. Schulte staunte noch immer, als sein Telefon wimmerte.

„Hei Paps! Hier spricht deine Tochter. Welche? Ina! Erkennst du mich nicht mehr an der Stimme? Du bist mir vielleicht ein Vater! Sag mal, hast du Heiligabend was vor?“

„Was soll ich denn da vorhaben?“

„Ja, Heiligabend zelebrieren eben. Mit Bescherung und so. Gehst du zu irgendwelchen Freunden? Oder hast du eine Frau eingeladen und feierst mit ihr ganz romantisch zu zweit? Oder was machst du sonst?“

Schulte brummte.

„Nichts mache ich! Wenn ich Glück habe, wird irgendwo in Lippe ein Weihnachtsmann ausgeraubt und ich darf Dienst schieben. Wenn ich Pech habe, bleibe ich zu Hause. Dann lege ich die heftigste Rockmusik auf, die ich finden kann. Gieße mir ’ne Flasche Bier ein. Dann werde ich vielleicht…“

„Super! Dann können wir ja kommen!“

„Wer kommt?“ Schulte war verwirrt.

„Ja, wir beide. Deine beiden Töchter! Lena und ich haben gestern telefoniert und festgestellt, dass wir über die Feiertage keine Lust auf unsere Kerle haben. Da haben wir uns gedacht, machen wir doch was zusammen. Besuchen wir einfach unseren alten siechen Vater! Wie findest du das? Stark, nicht wahr? Sag doch was.“

Josef Schulte war baff.

„Äh, ja sicher! Finde ich großartig! Ich bin nur so überrascht. Aber klar, ich…“.

„Schön! Dann sind wir Heiligabend so gegen 17 Uhr bei dir. Du, ich muss Schluss machen, mein Handy… die Karte ist fast alle! Mach’s gut! Tschüss!“

Der ‚alte und sieche’ Hauptkommissar saß noch eine kleine Weile wie benommen an seinem Schreibtisch. Die Anrufe seiner Tochter Ina waren immer wie ein Überfall. Zu Wort kam er dabei selten. Aber trotzdem: Das war eine Perspektive für die trübsinnigen Feiertage. Er sah seine beiden Kinder, sie waren von unterschiedlichen Müttern und ebenso unterschiedlichem Naturell, nur selten. Aber das Verhältnis zwischen Vater und Töchtern war liebevoll und von gegenseitigem Respekt geprägt. Er mochte seine (fast) gleichaltrigen (Lena war eine Woche älter) Mädels und sie mochten ihren struppigen, nicht immer gesellschaftsfähigen Erzeuger. Schön! Er rieb sich die Hände. Sehr schön! Was sollte er nur kochen? Ein weiterer Anruf unterbrach ihn.

„’n Abend, Herr Hauptkommissar! Rodehutskors hier. Mir drückt da so ein bisschen der Schuh. Können wir uns heute nach Feierabend kurz unterhalten? Wie wäre es mit einem Bierchen in der Braugasse?“

Schulte war einverstanden. Normalerweise würde ein Bürger, der mit der Kripo etwas zu besprechen hat, aufgefordert, in das Polizeipräsidium an der Bielefelder Straße zu kommen. Hermann Rodehutskors nahm hier eine Sonderstellung ein. Dieser stark übergewichtige alte Redakteur der Heimatzeitung hatte der Polizei schon so oft bei der Aufklärung ihrer Fälle wertvolle Hilfe geleistet, dass sie ihm einfach verpflichtet war. Auch musste man Josef Schulte nicht foltern, damit er sich zu einem Bier in der Braugasse überreden ließ. Hier trafen Pflicht und Neigung zusammen.

Maren Köster schaute, bevor sie Feierabend machte, noch einmal bei ihm rein.

„Hallo Jupp!“ grüßte sie ihren Vorgesetzten locker. „Ist es bei dir auch so ruhig? Außer diesen kriminellen Blagen ist nichts los, oder?“

„Ja, komisch! Jetzt haben wir unseren obersten Chef in der Schule, den Kollegen Axel im Urlaub und Bernhard ist nicht zu gebrauchen, weil er nun Opa wird. Eigentlich müssten wir beiden Überlebenden dick im Stress stecken. Aber die schweren Jungs packen wahrscheinlich alle ihre Weihnachtsgeschenke ein. Kann man denn die Feiertage schöner verbringen als im Knast? Ohne Blockflöte spielende Kinder, ohne über unsinnige Geschenke Freude heucheln zu müssen?“

„Oh, oh! Da ist aber einer ganz schlecht drauf! Magst du Weihnachten etwa nicht?“

1 siehe DER BERBER

5

Es war kurz vor sieben, als Schulte sein Büro verließ und mit Braunerts Auto die Bielefelder Straße in Richtung Innenstadt hinunterdonnerte. Eigentlich hätte er den kleinen Sportflitzer gern mal zum Cabrio umfunktioniert, aber bei drei Grad Celsius und Schneeregen bot sich das nun mal nicht an. Als er die Treppe in die behagliche Kellergaststätte hinuntergestiegen war, sah er an einem Tisch im hinteren Gastraum bereits den kleinen, fast kugelrunden älteren Herrn sitzen. Rodehutskors winkte ihn fröhlich zu sich.

„Herr Schulte! Schön, dass Sie gekommen sind. Was trinken Sie?“

Ja, Hermann Rodehutskors traf immer gleich den richtigen Ton. Zumindest bei Schulte. Dieser bestellte sich ein naturtrüb gebrautes Bier, das eigens für diese Gaststätte hergestellt wird. Er sah, dass sein Gegenüber einen Teller mit Pickert vor sich stehen hatte und bekam Hunger. Als Zugezogener hatte er noch immer keinen Zugang zu dieser lippischen Spezialität gefunden. Für ihn war Pickert nach wie vor nur ein zu dick geratener Pfannkuchen. Er bestellte sich eine Portion Wurstebrei.

Minuten später fragte Schulte, mit vollen Backen mampfend:

„Worüber wollen Sie denn mit mir sprechen?“

Dann nahm er laut schlürfend einen kräftigen Schluck Bier. Einen seelisch weniger gefestigten Menschen als Rodehutskors hätten Schultes Manieren schon irritieren können, aber diesen alten Journalisten brachte so schnell nichts aus seiner Ruhe. So antwortete er seelenruhig mit seiner tiefen und immer etwas heiseren Stimme:

„Ja, ich weiß eigentlich gar nicht so richtig, ob ich die Polizei damit belästigen sollte. Sie haben wahrscheinlich genug um die Ohren. Oder?“

Schulte wedelte hingebungsvoll kauend mit der Gabel, was Rodehutskors als Aufforderung interpretierte, weiterzusprechen.

„Es geht um einen meiner Kollegen. Rauscher heißt der. Marco Rauscher. Ist ’ne komische Type, dieser Rauscher. Ein muffliger Eigenbrötler, den keiner in der Redaktion so richtig leiden kann. Und er kann auch niemanden leiden. Kurz und gut, dieser Kollege ist seit über einer Woche überfällig. Er hatte sich einen Freitag freigenommen und ist übers Wochenende mit dem Fanbus des TBV Lemgo nach Belgien gefahren. Nach Hasselt. Das ist zufällig die Partnerstadt von Detmold, aber es ging da um irgendein internationales Handball-Pokalspiel. Hatte mit Detmold nichts zu tun. Reiner Zufall! Das fanden wir ja noch alles nachvollziehbar, denn Rauscher hat neben vielen anderen Macken vor allem eine: Er ist Sportfan! So ein richtiger, mit Vereinsschal und Tröte. Das hat noch nie zu diesem spröden Menschen gepasst. Gut, jeder muss wissen, wie er seine Freizeit verbringt. Am Montag hätte er wieder zur Arbeit kommen sollen. Ist er aber nicht. Erst dachten wir, er sei krank. Als dann kein Anruf kam und auch kein Krankenschein, haben wir versucht, ihn zu Hause zu erreichen. Aber er ging nicht ans Telefon und es öffnete auch niemand die Haustür. In seinem Briefkasten steckte noch die Post der letzten Tage. Offensichtlich war er nicht zu Hause. Wir haben dann bei dem Busunternehmen nachgefragt. Die haben uns bestätigt, dass ein Fahrgast auf der Rückfahrt gefehlt hat. Das war offenbar mein Kollege. Jetzt können Sie mich auslachen, aber ich bin seit fast vierzig Jahren Journalist und ich weiß, wann an einer Geschichte was faul ist. Und hier ist was faul! Hundertprozentig!“

Schulte spülte einen Bissen mit Bier hinunter.

„Warum glauben Sie das? Vielleicht hat er er eine Frau kennen gelernt und hat Raum und Zeit vergessen. Das kommt vor!“

Rodehutskors lachte.

„Bei Ihnen kann ich mir das auch vorstellen, Herr Schulte. Aber nicht bei Marco Rauscher. Das passt nicht zu ihm. Der ist nicht so wie wir. Wir beide, wir lieben das süße Leben. Das sieht man uns beiden auch an. Rauscher liebt Probleme. Er ist immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Geschichte. Das ist ja eigentlich für einen Journalisten eine positive Eigenschaft. Aber bei ihm hat sich das zu einer ausgewachsenen Macke entwickelt. Er glaubt zum Beispiel ernsthaft, es gäbe keine Zufälle. Haben Sie schon mal so was Dummes gehört? Dabei ist die Weltgeschichte zu mindestens neunzig Prozent eine Summe aus Zufällen und menschlichen Fehlern, die allein aus Unvermögen heraus entstanden sind. Nein, er wittert hinter allem eine Absicht, am liebsten eine Verschwörung. Er sieht hinter jedem Busch einen Feind. Ein Stimmungskiller und ein Komplizierer, wie er im Buche steht. Na, wir lassen’s uns trotzdem schmecken, oder?“

Mit diesen Worten nahm er ein weiteren kräftigen Schluck aus dem Bierglas und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab.

„Haben Sie denn irgendeine konkrete Sorge?“

„Nein! Habe ich nicht. Aber hier stimmt was nicht, da bin ich mir ganz sicher. Gut, wir haben ein bisschen die Sorge, dass er vielleicht an einem Thema gearbeitet hat, das für ihn eine Nummer zu groß war. Er hat in letzter Zeit so merkwürdige Andeutungen gemacht, von wegen ,großer Durchbruch’ und so weiter. Das hat zwar keiner richtig ernst genommen, aber nun…, wer weiß? Vielleicht hat er sich ja wirklich an was ganz Großes herangewagt und es ist ihm über den Kopf gewachsen. Verstehen Sie, deshalb möchten wir auch keine offizielle Ermittlung mit lautem Getöse und so. Da er Single ist, vermisst ihn keiner. Also stellt auch niemand einen Vermisstenantrag. Vielleicht können Sie ja inoffiziell mal ein bisschen recherchieren, ohne gleich die Pferde scheu zu machen. Das wäre auch im Sinne meines Verlegers.“

Schulte hatte gerade wieder beide Backen voll. Deshalb fuchtelte er einige Zeit mit der Gabel durch die Luft, um anzukündigen, dass er etwas sagen wollte.

„Da gibt es zwei Probleme. Zum einen habe ich meine Dienstvorschriften. Ich kann nicht einfach so, ohne jede Grundlage, irgendeinen Vorgang bearbeiten. Zum anderen haben wir im Moment ein akutes Personalproblem. Und dann… “

Rodehutskors wurde jetzt ernst.

„Als ich Ihnen in den letzten Jahren mehrfach sehr gute Tipps gegeben habe, hat mich mein Verleger dafür auch nicht bezahlt. Und Personalprobleme haben wir auch. Vergessen Sie das nicht, Herr Schulte!“

Schulte schluckte.

Einmal, um den Mund frei zu bekommen, aber auch aus Verlegenheit. Dann klopfte er Rodehutskors auf die Schulter.

„Sie haben ja recht! Tut mir leid! Was trinken Sie?“

6

Willi Potthast war gerade eingeschlafen, als er von seiner Frau Mechthild unsanft den Ellenbogen in die Rippen bekam.

„Irgendwann gibt es getrennte Schlafzimmer,“ maulte sie, „du schläfst wie ein Stein und ich werde laufend von irgendwelchen Anrufen gestört und kann danach nicht mehr einschlafen.“

Potthast rieb sich die Augen.

„Wer ist es denn?“, fragte er.

„Von meinem Kaffeekränzchen ist es jedenfalls keine! Mal wieder deine Firma!“

Sie reichte den Telefonhörer an ihren Mann weiter. Dieser meldete sich und lauschte in den Hörer.

„Okay, ich bin in einer halben Stunde da. Wo, sagst du, wurde der Tote gefunden? In Elsen, von-Ketteler-Straße? Wie war noch die Hausnummer?“

Der Polizist kramte in der Tasche seiner Hose, die er vor einer halben Stunde ordentlich zusammengefaltet über einen Stuhl gelegt hatte, nach Stift und Zettel.

„Wo soll das sein? Fast direkt an der Kirche? Ja, das finde ich, bis gleich!“

Er drückte die Taste seines Telefons, die dazu diente, die Verbindung zu unterbrechen, und machte Anstalten sich anzuziehen.

„Warum musst eigentlich immer du raus?“, fragte seine Frau verschlafen und schlecht gelaunt. „In ein paar Tagen ist Weihnachten und ich sehe unsere Familie schon wieder ohne dich unter dem Weihnachtsbaum sitzen.“

Potthast ging zu ihr, nahm sie in den Arm, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte:

„Lass mal gut sein, Tildchen. Am ersten Januar bekommen wir einen zusätzlichen Mann und im März soll noch eine Kommissarin bei uns anfangen. Dann bleibt nicht mehr alles an mir hängen. Wenn wir es jetzt wirklich mit einem Mord zu tun haben, kommt der Neue vielleicht schon ein paar Tage früher. Wir sind wirklich zu bis oben hin. Noch einen weiteren Fall verkraftet unser kleines Team nicht und schon gar keinen Mord.“

Zehn Minuten später saß Hauptkommissar Potthast in seinem Audi A4 und fuhr durch das verschlafene Wewer Richtung Elsen. Er hatte die Sitzheizung angestellt und auch die Klimaanlage war auf der höchsten Wärmestufe. Auf WDR 4 sang Mireille Mathieu Tarata Ting, tarata tong.

Willi Potthast war ein alter Freund von Josef Schulte. Schon seit dem ersten Tag auf der Polizeischule hatten sie dort gemeinsam die Schulbank gedrückt und seitdem jeden Lehrgang gemeinsam absolviert. Sie trafen sich auch heute noch regelmäßig zum Biertrinken. Hin und wieder gingen sie gemeinsam zu Arminia Bielefeld. Sie waren Fans dieser Fahrstuhlmannschaft, sie hielten ihr in ihrem ständigen Wechsel, sowohl in der einen Saison in der zweiten, als auch in der nächsten Runde in der ersten Bundesliga die Treue und das jetzt schon über ein Jahrzehnt. Damit endete jedoch die Liste ihrer Gemeinsamkeiten. In vielen Bereichen hatten sie nämlich überhaupt nichts gemeinsames. Politisch standen sie sich ähnlich gegenüber wie Don Camillo und Peppone. Dennoch waren die Unterschiede, die den weitaus größeren Teil ihrer Berührungspunkte ausmachten, kein trennender Faktor in der jahrelangen guten Freundschaft.

Hauptkommissar Potthast war begeisterter Schützenbruder des Wewerschen Schützenvereins. Politisch war er so schwarz, dass er, wie Schulte immer zu sagen pflegte, selbst im Kohlenkeller einen Schatten warf.

Potthast hatte seine Jugendliebe Mechthild geheiratet und zwei Jahre nach der Hochzeit hatten sich die beiden ein Haus in Paderborn-Wewer gebaut. „Man muss drum herum gehen können“, hatte er Schulte damals gesagt, als er ihm von dem Bauvorhaben berichtete.

Während der Bauphase war Potthast jeden Sonntag zur Kirche gegangen und hatte gebetet, dass die Fahnder des Arbeitsamtes, die auf Baustellen nach Schwarzarbeitern suchten, um sein werdendes Haus einen weiten Bogen machten. Denn während dieser Zeit hatte er seinen halben Schützenverein unter heimlichem Vertrag. Immer noch dachte er als gläubiger Katholik hin und wieder mal darüber nach, wer wohl der Schutzpatron der Schwarzarbeiter war.

Bald war auch der Hausbau ausgestanden und wieder ein Jahr später wurde Potthast zum ersten Mal Vater. Ein Junge, zwei weitere Kinder gleichen Geschlechts stellten sich im Verlauf der nächsten Jahre ein. Potthasts Frau Mechthild übernahm wie selbstverständlich die Kinderpflege und -aufzucht, kümmerte sich um Haus und Garten und war auch sonst der gute Geist.

Für den Vater Willi blieb die Aufgabe, die Kinder, die allesamt begnadete Fußballer wurden, samstags und sonntags zu den entsprechenden Spielen zu fahren.

Das Haus, in dem der Tote gefunden wurde, war nicht zu übersehen. Es standen drei Streifenwagen vor der Tür. Trotz der späten Stunde hatten sich einige Schaulustige eingefunden. Bei einem Streifenwagen rotierte noch das Blaulicht. Potthast ärgerte sich immer wieder über Gaffer und so fiel seine Laune innerhalb der nächsten Sekundenbruchteile auf den Nullpunkt.

Der Polizist parkte seinen Wagen und betrat den Hausflur. Eine ausgesprochen hübsche Polizistin mit blondem Pferdeschwanz kam ihm entgegen. Noch bevor sie Potthast begrüßen konnte, muffelte er sie an: „Sagen Sie mal Kollegin, sind drei Streifenwagen vor dem Haus nicht ein bisschen übertrieben? Macht doch wenigstens das Blaulicht aus!“

„Wird sofort gemacht! Das haben wir nur Ihnen zuliebe angelassen, damit Sie das Haus besser finden konnten. Wir wollten einfach nicht, dass Sie halb Elsen auf den Kopf stellen. Der andere Wagen fungiert als Fahrdienst. Gockeln Franz war auf einer Weihnachtsfeier und hatte schon ein paar Bier intus. Weil wir aber noch heute Abend mit der Spurensicherung anfangen wollten, haben wir ihn abgeholt.“

Potthast winkte ab und ließ sich von der Polizistin zum Tatort führen. Der Spurensicherer war schon bei der Arbeit. Potthast wehte Bierdunst entgegen.

„Na, Franz? Lassen sie dich nicht mal auf ’ner Weihnachtsfeier in Ruhe?“

„Halb so wild! Bei unserem Gesangverein Concordia Benhausen ist sowieso der Wurm drin. Den machen wir bald zu, kein Nachwuchs. Hatte aber schon ein paar Bier weg, als der Anruf kam. Kennste ja!“

„Und was ist passiert?“

„Es handelt sich bei der Leiche um eine männliche Person. Er wurde aus nächster Nähe erschossen. War aber wahrscheinlich kein Selbstmord. Die Tatwaffe lag drei Meter von der Leiche entfernt und ist offenbar fein säuberlich abgewischt worden. Der Schuss hat den Mann sofort getötet.“

„Also Mord! Scheiße! Und das jetzt vor Weihnachten, wo wir sowieso schwach besetzt sind. Da wird bei uns der Haussegen schief hängen und vernünftig arbeiten kannste auch nicht. Erreichst doch keinen! Wann ist denn der Tod eingetreten?“

„Nach der Totenstarre zu urteilen wahrscheinlich irgendwann gestern Nachmittag. Genaueres wird dir der Pathologe morgen sagen können.“

„Wie hat man den Toten denn gefunden?“ fragte Potthast die Polizistin. „Und wer ist es?“

„Rudolf Kötterhagen hieß er. War siebenundsechzig Jahre. Er spielte jeden Donnerstag Skat mit seinem Bruder und einem weiteren Bekannten. Da er sich nicht abgemeldet hatte, ist sein Bruder nachsehen gegangen und hat ihn gefunden. Der Mann steht unter Schock. Wir haben sofort den Notarzt geholt. Der hat ihn versorgt und ins Josefskrankenhaus bringen lassen. Mit der Vernehmung müssen wir warten. Ich glaube, heute Nacht können wir nicht mehr viel machen.“

7

Joachim Struckmeier startete gegen Mitternacht seinen Computer. Nach kurzer Zeit war er hochgefahren, doch die Oberfläche des Betriebssystems hatte sich irgendwie verändert. Wo waren die vielen Icons seiner Anwenderprogramme? Wo die seiner ganzen Spiele? Er ging mit dem von seiner Maus angesteuerten Pfeil auf den Button, der mit dem Wort Start beschriftet war. Ein Pull-up-Menue wurde aufgeklappt. Er ging auf das Feld Programme. Klickte es an, doch es war leer.

Langsam wurde er nervös. Wo waren seine ganzen Arbeiten? Alles gelöscht? Das würde Stress geben. Bis morgen konnte er das nicht mehr wieder hinkriegen. Seine Hände wurden feucht. Er begann zu schwitzen. Da fiel sein Blick auf einen Ordner der anscheinend neu war. Er klickte ihn an und es erschien ein Text:

Wenn du deinen PC zukünftig noch nutzen willst, würden wir dir raten, für uns zu arbeiten. Ansonsten wirst du jeden Tag eine neue unangenehme Überraschung erleben. Ebenso werden dich alle Übel dieser Welt heimsuchen, wenn du mit jemandem über dies oder ein anderes Ereignis, das mit uns in Verbindung gebracht werden kann, sprichst. Große Aufgaben erwarten dich! Wenn du sie erfüllst, wirst du reich belohnt. Ansonsten öffnet sich das Tor zum Wahnsinn. Neue Anweisungen wirst du in Kürze erhalten.

Dieser Text wird sich nach Schließen des Ordners löschen.

Die Aktionsgemeinschaft

DAS BLAUE WUNDER

Josef Struckmeier bemerkte, wie ihn Angst ergriff. In was für ein Spiel sollte er hier verwickelt werden?

8

Am nächsten Morgen fuhr Potthast widerwillig ins Büro. Mit einem Grummeln im Bauch dachte er an seinen übervollen Schreibtisch. Alles nur Kinkerlitzchen, wie er zu sagen pflegte. Dennoch mussten sie bearbeitet werden. Dann heute Nacht noch der Tote. Der passte ihm überhaupt nicht in den Kram. Jetzt drohte die Arbeit über ihm zusammenzubrechen. Von Vorweihnachtsstimmung konnte keine Rede sein.

Potthast dachte über den kommenden Tag nach. Bevor er in dem Mordfall auch nur einen Finger rühren würde, müsste er zunächst ein Gespräch mit seinem Chef führen, um die Ernsthaftigkeit der Situation zu schildern. Der für Januar angekündigte Kollege aus Dortmund musste schon jetzt kommen. Das war die einzige Möglichkeit, der Arbeitssituation auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Allein würde er die Ermittlungen nicht führen. Eher besorge ich mir einen gelben Schein, dachte der Polizist und wusste gleich, dass dies aber auf keinen Fall in Frage käme. Schlecht gelaunt bog Potthast in die Rathenaustraße ein und stand kurze Zeit später auf einem Parkplatz des Gebäudes der Kreispolizeibehörde Paderborn. Es roch feucht, muffig und nach Abgasen. Diese Eindrücke verbesserten seine Laune nicht gerade. Er nahm die speckige Aktentasche, die er vor über zwanzig Jahren schon gebraucht von seinem Vater geerbt hatte, aus dem Kofferraum und schlug den Weg zu seinem Büro ein.

Potthast dachte über den bevorstehenden Tag nach. Heute musste er unbedingt zum Fahrradladen der P.I.G.A.L., um das bestellte Mountainbike, das Weihnachtsgeschenk für seinen Jüngsten, abzuholen. Schon dreimal hatte er von seiner Frau Mechthild diesen Auftrag bekommen und ebenso oft im Trubel des Tages vergessen. Würde er heute Abend wieder ohne das Fahrrad nach Hause kommen, wäre die Geduld seiner Frau mit Sicherheit endgültig am Ende.

Völlig in Gedanken ging er den Flur entlang und wäre beinahe mit seinem Chef Heiner Schmitz zusammengestoßen. Da dieser ebenfalls Schützenbruder und CDU-Mitglied im Ortsverein Wewer war, hatten die beiden Männer trotz der unterschiedlichen Dienstgrade ein vertrautes Verhältnis miteinander.

„Na Potthast, was träumst du denn so vor dich hin?“

„Träumen! Hör bloß auf, aber du kommst mir gerade recht. Zu dir wollte ich sowieso gerade. Ich muss unbedingt mit dir reden.“

„Was hast du denn so Dringendes? Komm, wir gehen in mein Büro. Ich habe gerade einen frischen Kaffee gekocht.“ Die beiden Männer setzten sich an den Besprechungstisch. Der Polizeioberrat Heiner Schmitz holte zwei Tassen aus dem Schrank und schenkte Kaffee ein.

„Na, dann schieß mal los. Wo brennt’s denn?“

„Du hast sicher schon gehört, dass wir heute Nacht einen Toten hatten. Zu fünfundneunzig Prozent handelt es sich um Mord und wir sind hoffnungslos unterbesetzt. Ich weiß kaum noch wo mir der Kopf steht. Bei uns zu Hause herrscht mittlerweile eine Laune, die ist nicht auszuhalten. Ich brauche dringend Verstärkung.“

Heiner Schmitz kannte Mechthild Potthast und wusste, dass sie sonst eine recht verständnisvolle Frau war. Bis deren Nerven blank lagen, musste es schon heftig kommen. Daher nahm der Polizist den Hilferuf seines Kollegen nicht auf die leichte Schulter.

„Hast du dir schon Gedanken gemacht, wie wir die Kuh vom Eis bekommen?“

„Siehst du eine Möglichkeit, dass der neue Kollege aus Dortmund ein paar Tage früher kommt? Am besten schon morgen. Wir brauchen einfach Hilfe und eine gewisse Kontinuität.“

„Wenn der jetzt neu dazu kommt, gehe ich doch davon aus, dass er nicht gleich Bäume ausreißt.“

„Das vielleicht nicht, aber er kann den Kleinkram erledigen. Das würde mich auch schon weiter bringen.“

Schmitz wiegte den Kopf hin und her.

„Na gut, werde sehen, was sich machen lässt. Ich spreche mit dem Landrat und rufe mal den Polizeipräsidenten von Dortmund an. Ich erzähle dir heute Mittag was dabei rum gekommen ist.“

Anschließend saßen die beiden Männer schweigend am Tisch, hielten die Kaffeetassen in ihren Händen und hingen, jeder für sich, ihren Gedanken nach. So vergingen einige Minuten. Plötzlich nahm Potthast einen großen Schluck aus seiner Tasse und stemmte sich mit einer Dynamik, als hätte jemand nach ihm gerufen, von seinem Stuhl hoch.

„Nutzt ja nichts! Heiner, ich mache mich auf die Socken. Mal sehen, ob wir schon die ersten Ergebnisse von der Spurensicherung haben. Vielleicht gibt es ja ein Adventswunder und wir haben den Fall bis Weihnachten aufgeklärt. Also dann…!“

In seinem Büro angekommen, ließ er keine Minute mehr unnütz verstreichen. Er zog das Telefon zu sich heran und wählte die Nummer der Spurensicherung. Franz Gockeln war sofort am Apparat.

„Hier Willi! Na, hast du schon Ergebnisse?“

„Ja also… “

„Komm, lass uns das nicht am Telefon besprechen“, unterbrach Potthast den Spurensicherer. „Komm in mein Büro, da können wir über alles in Ruhe reden. Ich brauche auch jemanden, mit dem ich mich über den Fall austauschen kann. Dies Grübeln, alleine im stillen Kämmerlein, bringt mich nicht weiter.“

„Okay“, sagte Gockeln und legte auf.

Potthast tippte schon wieder eine Zahlenkombination auf der Tastatur seines Telefons. Er rief in der Zentrale der Paderborner Polizeibehörde an.

„Ja, hier Willi!“, meldete er sich. „Gib mir doch mal die Nummern der beiden Kollegen, die heute Nacht zuerst am Tatort waren.“

Er lauschte in den Hörer, dann sagte er:

„Ich weiß, dass die beiden jetzt Feierabend haben! Dennoch, gib mir die Nummern! Es ist wichtig.“

Er griff sich einen Stift und kritzelte die Zahlen auf seine Schreibtischunterlage. Dann bedankte er sich, legte auf und wählte erneut. Eine verschlafene Frauenstimme meldete sich mit: „Ja bitte?“

„Frau Hofer?“, fragte Potthast. „Hier Potthast! Tut mir leid, dass ich Sie um Ihren wohlverdienten Schlaf bringe. Aber ich brauche Ihre Hilfe. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie gleich in mein Büro kämen? Ich weiß, dass Sie heute eine harte Nacht hatten, aber ich weiß nicht, wie ich in dem Fall ohne ein sofortiges Gespräch mit Ihnen weiter vorgehen soll.“

„Schon in Ordnung! Ralf und ich haben schon damit gerechnet, dass unsere Nachtruhe heute kürzer sein würde als sonst. Ich rufe ihn gleich noch kurz an. Wir sind spätestens in einer Stunde da.“

„Danke!“

Potthast legte den Hörer auf. Er zog die Aufzeichnungen der letzten Nacht aus seiner speckigen Aktentasche, las sich alles noch einmal durch und fing an, die Fakten für sich zu sortieren. Dann machte er einen Plan für das Gespräch, das er gleich mit seinen Kollegen führen wollte und schrieb sich auf, was er selbst heute noch zu erledigen hatte.

Anders als sein Freund Schulte, der meist intuitiv und bauchgesteuert seine Fälle bearbeitete, ging Potthast sehr formal und mit einem hohen Maß an Systematik an seine Aufgaben heran. Er plante jeden Schritt durch und versuchte Überraschungen zu vermeiden.

Zunächst würde er noch einmal in die Wohnung des Toten gehen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Dann würde er den Bruder verhören, der die Leiche gefunden hatte. Doch bevor er dies alles tat, wollte er beim Fahrradladen der P.I.G.A.L. vorbeifahren und das Fahrrad für seinen Filius abholen.

Er schrieb alles auf einen Zettel und ging die einzelnen Punkte noch einmal durch. Er war noch nicht ganz fertig, da klopfte es, und Franz Gockeln steckte seinen falkenähnlichen Kopf durch den Türspalt. Potthast winkte den Mann herein und registrierte erfreut, dass dieser eine große Thermoskanne mit Kaffee in der Hand hielt und einen großen ungespülten Becher, den die DPG vor Urzeiten unter die Leute gebracht hatte.

Potthast ging zum Schrank und kramte ebenfalls einige Tassen hervor, die offenbar auch schon einiges von der Welt gesehen hatten. Bei einer fehlte der Henkel. Die beiden anderen waren erheblich vermackelt.

„Melanie Hofer und Ralf Kröger, die beiden Kollegen von der Streife, kommen gleich auch noch. Ich habe sie angerufen.“

Franz Gockeln nickte zustimmend.

„Die Kleine, die Melanie, das ist ’ne Pfiffige. Die ist nicht auf den Kopf gefallen“, sagte er anerkennend. „Wär auch schade um das hübsche Köpfchen!“ Dann rückte er einen Stuhl zurecht und setzte sich an eine Ecke von Potthasts Schreibtisch.

„Wird zwar ein bisschen eng, so zu viert hier in der Bude, aber ich habe keine Lust, in ein Besprechungszimmer umzuziehen.“

Wieder nickte Gockel zustimmend. Er drehte am Deckel seiner Thermoskanne und schenkte sich Kaffee ein. Kaum hatte er den ersten Schluck genommen, da steckte eine junge Frau den Kopf durch die Tür.

„Bringen Sie bitte noch einen Stuhl vom Flur mit herein“, sagte Potthast und goss unaufgefordert das braune Lebenselixier in die restlichen Tassen.

Nachdem alle mit dem Getränk versorgt waren, ergriff Hauptkommissar Potthast das Wort: „Wachtmeisterin Hofer und Wachtmeister Kröger, Sie waren zuerst in der Wohnung des Toten. Was ist Ihnen am Tatort aufgefallen oder zunächst einmal, was haben Sie vorgefunden?“

„Zunächst war da ein völlig aufgelöster Mann,“ begann die Frau. „Der war total am Ende. Er war nicht einmal in der Lage, auch nur die einfachste Frage zu beantworten. Er sagte immer nur: Mein Bruder, mein Bruder! Also haben wir gleich den Notarzt angerufen. Der hat ihm eine Beruhigungsspritze gegeben und ihn dann ins Krankenhaus eingewiesen. Als das erledigt war, haben wir uns in der Wohnung umgesehen. Sie war aufgeräumt und ordentlich. Alles stand an seinem Platz. Mit anderen Worten: Der Mörder hat nicht nach irgendetwas gesucht. Wahrscheinlich kannte der Tote den Mörder. Denn es standen zwei Biergläser auf dem Tisch und zwei angefangene Flaschen alkoholfreies Bier. Sonst ist mir eigentlich nichts weiter aufgefallen. Dass die Waffe einige Meter vom Toten entfernt lag, obwohl er aus nächster Nähe erschossen wurde, hatten wir ja gestern Abend schon festgestellt.“

Dann wandte sich Potthast an den Spurensicherer:

„Franz, was hast du gestern Abend noch gemacht?“

„Nur Fotos von dem Toten, bevor er in die Pathologie abtransportiert wurde. Außerdem habe ich die Lage der Leiche aufgezeichnet und die Waffe sichergestellt. Alles Weitere wollte ich heute machen.“

„Warte damit bitte noch zwei Stunden. Ich möchte mir die Wohnung vorher noch einmal ansehen. Ich rufe dich an, wenn ich das gemacht habe.“

Der Spurensicherer nickte.

„Ich muss gleich sowieso erst mal ins Krankenhaus. Der Pathologe aus Münster ist auf dem Anmarsch. Wenn der sich die Leiche ansieht, möchte ich ganz gerne dabei sein.“

„Okay“, sagte Potthast, „dann gehst du zur Pathologie und ich sehe mir noch einmal die Wohnung des Toten an. Anschließend werde ich versuchen, den Zeugen, den Bruder, zu vernehmen. Ich hoffe, der hat sich wieder gefangen. Vielleicht kommt ja was dabei heraus.“ Dann wandte er sich noch einmal an Melanie Hofer und ihren Kollegen.

„Was meinen Sie? Ist alles besprochen worden oder haben wir etwas übersehen?“

Die beiden Polizisten zuckten mit den Achseln.

„Nicht das ich wüsste“, sagte die Polizistin. „Aber mal was anderes. Sind wir nicht ein bisschen schwach besetzt für diesen Fall? Sie selbst sehen auch nicht aus, als hätten Sie gerade Urlaub gemacht.“

Potthast war verwundert über die Vertrautheit, die seine Kollegin an den Tag legte und gleichzeitig über ihre feinsinnige Beobachtungsgabe. Oder merkte ihm sein Ausgebranntsein schon jeder an?

„Ich habe mit dem Chef gesprochen. Wenn ich Glück habe, kommt der neue Kollege aus Dortmund ein paar Tage früher.“

„Das wäre natürlich was. Komm Ralf, lass uns gehen! Ich muss noch ein paar Stunden schlafen.“

Wenige Minuten später war Potthast wieder allein in seinem Büro. Er packte seine Unterlagen in die alte Aktentasche und machte sich auf den Weg zu seinem Auto. Weitere zehn Minuten später öffnete er die Tür das Fahrradladens.

Ein alles andere als dünner Mann mit Vollbart schniefte in ein großes kariertes Stofftaschentuch, zog dann eine Pillendose aus dem blauen Overall und warf sich einen der kleinen Muntermacher in den Mund. Dann hantierte er weiter an einem Fahrrad. Ohne noch einmal den Kopf zu heben, sagte er:

„Wir haben heute geschlossen. Ich bin hier der Einzige heute. Die anderen sind alle krank. Ich kann nicht gleichzeitig Fahrräder reparieren und verkaufen. Das müssen Sie einsehen.“

Potthast bekam einen kleinen Schock.

„Machen Sie mich nicht fertig! Seit Tagen liegt mir meine Frau in den Ohren, das Fahrrad meines Sohnes bei Ihnen abzuholen, das wir schon vor Monaten hier bestellt haben. Heute habe ich endlich daran gedacht, hier vorbei zu fahren, und jetzt wollen Sie das Ding nicht rausrücken? Wenn ich heute Abend ohne Mountainbike nach Hause komme, hängt der Haussegen schief.“

Das schien den Mann zu beeindrucken.

„Also gut, auf welchen Namen ist das Rad bestellt worden?“

„Potthast.“

„Für den Polizisten?“

„Woher wissen Sie, dass ich Polizist bin?“

„Zeitung“, sagte der Mann wortkarg und ging in den Nebenraum. Nach nicht mal einer Minute schob er ein fabrikneues Fahrrad in die Werkstatt. Nach weiteren fünf Minuten lag das Rad auseinandergebaut im Kofferraum des Audi A4 und Potthast fuhr um über tausend Mark ärmer Richtung Elsen. Komisch, dachte er, dass sich die Leute Namen aus der Zeitung merken. Für sich konnte er sich so etwas nicht vorstellen. Wenn er sich nicht jedes Mal die Namen von fremden Personen aufschriebe, bekäme er keinen Fall gelöst. Wie hieß doch noch der Tote von letzter Nacht? Der Polizist war geneigt, in seiner Aktentasche zu kramen.

Jetzt noch um die Kurve und dann parkte er am Tatort. Es handelte sich um ein Wohnhaus aus den siebziger Jahren, einen riesigen Kasten. Seine Eltern hatten ein ähnliches. Damals hatte sein Vater gesagt:

„Wir bauen auf jeden Fall ein Zweifamilienhaus. Dann zahlen erst die Mieter für uns das Haus ab und nachher kann mal eins von unseren Kindern da einziehen.“

Potthast hatte mittlerweile die Haustreppe betreten. Auch dies Gebäude hatte zwei Wohnungen, wie es aussah. An der zweiten Klingel war jedoch schon vor längerer Zeit das Schild entfernt worden. Der Polizist brach das Siegel auf und öffnete mit dem Schlüssel, den ihm Franz Gockeln gegeben hatte, die Haustür. Es gab in der Tat zwei Wohnungen. Zu der zweiten hatte er jedoch keinen Schlüssel und die Tür war verschlossen. Also betrat Potthast die Räumlichkeiten, in denen der Tote gefunden wurde. In den Zimmern roch es muffig. Wahrscheinlich war hier schon seit längerer Zeit nicht regelmäßig gelüftet worden.

Der Polizist betrat das Wohnzimmer. Schwere Eichenmöbel mit Schnitzereien und eine ausladende Polstergarnitur füllten den großen Raum. Auch die Möbel stammten aus den siebziger Jahren. Damals nannte man den Stil wohl Bauernmöbel. Alles was der Polizist sah, deutete auf das Bemühen hin, mit geringen Mitteln den Eindruck von Wohlsituiertheit herzustellen. Potthast setzte sich in einen der Sessel und schaute sich in dem Raum um. Er versuchte, sich die Anordnung der Möbel einzuprägen. Auf dem schweren Marmortisch lag eine Fernsehzeitung. Potthast griff in seine Aktentasche und suchte nach ein paar Gummihandschuhen, die er sich überzog. Er zog die Zeitung zu sich heran. Auf den oberen Rand der Seiten, welche Auskunft über das Fernsehprogramm des gestrigen Tages gaben, war eine sechsstellige Zahl geschrieben. Sie sah ganz nach einer Telefonnummer aus. Potthast notiere sie auf seinem Block. Im Anschluss daran blätterte er die Zeitung durch. Er fand jedoch keine weiteren Spuren.

Telefonnummer, dachte der Polizist. Stand auf und suchte nach dem Apparat. Er stand auf einem kleinen Schränkchen im Flur. Es handelte sich um ein altes analoges Gerät, das jedoch eine Redial-Taste hatte. Potthast drückte sie. Nach dem dritten Signalton meldete sich die Zentrale der Paderborner Polizei.

Potthast legte auf. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn jetzt der Mörder am Telefon gewesen wäre, dachte er. Dann öffnete er die nächste Tür und befand sich im Schlafzimmer. Hier stand ein Ehebett. Jedoch nur auf einem der beiden Betten lagen fein säuberlich glatt gestrichene Kissen. Auf einer Spiegelkommode lag ein Kamm und in einer Glasschale einige Nägel, ein paar Groschen, ein Feuerzeug und eine angebrochene Packung Aspirin.

Potthast öffnete die Türen eines riesigen Kleiderschrankes. Er fand fünf Anzüge, einige Hosen, Mäntel, Jacken, Unterwäsche und große Mengen Handtücher und Bettwäsche. Alles fein säuberlich aufgestapelt. Der Polizist suchte nicht weiter in dem Schrank. Den würde sich der Spurensicherer Franz Gockeln noch in aller Gründlichkeit vornehmen. Nach einer halben Stunde hatte er sich die Wohnung angesehen. Bis auf die Zahlen auf der Fernsehzeitung hatte er nichts Auffälliges gefunden. Den Schreibtisch und das kleine Arbeitszimmer wollte sich Potthast noch einmal gesondert ansehen.

Der Polizist dachte bei sich, dass es sich auch um die Wohnung seines Vaters handeln könne, der mittlerweile ebenfalls Witwer war und der auch versuchte, seine Wohnung allein in Ordnung zu halten. Lediglich einmal in der Woche kam für vier Stunden eine Putzfrau.

Richtig, dachte Potthast, nach einer solchen muss ich mich bei seinem Bruder erkundigen. Der Hauptkommissar verließ die Wohnung, verschloss sie sorgfältig und klebte wieder ein Siegel auf die Tür. Er stieg ins Auto und griff nach seinem Handy.

„Brüderkrankenhaus Paderborn! Guten Tag! Sie sprechen mit Frau Stamm. Was kann ich für Sie tun?“, meldete sich eine säuselnde Frauenstimme, ohne dabei außer Atem zu kommen. Potthast stellte sich vor und verlangte nach dem behandelnden Arzt des eingelieferten Herrn Kötterhagen. Die Stimme sagte:

„Moment bitte, ich funke den Herrn Doktor an.“

Dann stellte sie den Polizisten in eine Warteschleife.

Potthast wollte gerade auflegen, als sich der Arzt mit: „Doktor Mallinkrott“, meldete.

Der Polizist stellte sich vor und kam dann gleich zur Sache.

9

Nach Beendigung des Telefongespräches dachte er darüber nach, wie es jetzt weitergehen könnte. Alles in allem war der Fall recht unbefriedigend. Ein älterer Mann war umgebracht worden. Es handelte sich um einen unbescholtenen Bürger, der, so wie er es zum jetzigen Zeitpunkt beurteilen konnte, nicht auffällig geworden war. Es sah auch nirgends ein Motiv für einen Mord. Den Polizisten beschlich das Gefühl, dass er am Anfang langwieriger komplizierter Ermittlungen stand. Wieder wurde ihm deutlich, dass er ohne Verstärkung nicht einen Schritt weiter kommen würde.

Potthast lenkte seinen Audi auf die Bahnhofstraße, ließ das Arbeitsamt rechts liegen und bog hundert Meter weiter rechts in die Rathenaustraße ein. Eine Minute später stand er an der Kreuzung Rathenaustraße / Riemekestraße. Er sah links auf das weiße Eckhaus und erinnerte sich daran, dass seiner Meinung nach in der Garage dieses Gebäudes einst die besten Brat- und Currywürste Paderborns verkauft wurden. Potthast wunderte sich über seine Gedankensprünge. Wie kam er von einem wahrscheinlich schwierigen Fall zur besten Currywurst Paderborns?