Tante Dimity und der Kreis des Teufels - Nancy Atherton - E-Book

Tante Dimity und der Kreis des Teufels E-Book

Nancy Atherton

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Beschreibung

An einem stürmischen und verregneten Tag macht sich Lori Shepherd auf dem Weg nach Wyrdhurst Castle, einem geheimnisvollen Landhaus im Hochmoor von Northumberland. Im Auftrag ihres ehemaligen Chefs soll sie sich die wertvolle Bibliothek genauer ansehen. Beim Durchstöbern der Privatsammlung entdeckt Lori ein Bündel mit Briefen aus dem Ersten Weltkrieg. Diese offenbaren eine verbotene Liebesgeschichte, deren Erinnerung immer noch auf der Familie lastet. Aber damit nicht genug - Lori entdeckt auch Andeutungen auf einen verborgenen Schatz. Ihr Spürsinn ist geweckt, und mit Hilfe von Tante Dimitys magischen Tagebuch macht sie sich daran, die Rätsel der Familie zu lösen.

Versüßen Sie sich die Lektüre mit Tante Dimitys Geheimrezepten! In diesem Band: Claires Spitzen.

Ein Wohlfühlkrimi mit Tante Dimity. Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

"Einer der liebeswertesten Romane, die man heutzutage lesen kann." (Mystery Guide)

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Seitenzahl: 316

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Claires Spitzen

Über dieses Buch

Es regnet und stürmt immer stärker. Lori Shepherd kann kaum noch etwas durch die Windschutzscheibe sehen, als sie mit ihrem Range Rover die steilen Serpentinen des Hochmoors von Northumberland hinauffährt.

Hätte sie nicht besser gemütlich zu Hause bleiben sollen, statt sich in ein ungewisses Abenteuer zu stürzen? Doch schon taucht Wyrdhurst Castle vor ihr auf. Die düstere Halle, die sie nach ihrer Ankunft betritt, birgt lauter Überraschungen.

Dort erwartet Lori ein charmanter und geheimnisvoller Fremder. Beim Durchstöbern der Bibliothek entdeckt Lori außerdem ein Bündel mit Briefen aus dem Ersten Weltkrieg. Diese offenbaren eine verbotene Liebesgeschichte, deren Erinnerung immer noch auf der Familie lastet. Aber damit nicht genug – Lori entdeckt auch Andeutungen auf einen verborgenen Schatz. Ihr Spürsinn ist geweckt.

Mit Hilfe von Tante Dimitys magischen Tagebuch macht sie sich daran, die Rätsel der Familie zu lösen.

Über die Autorin

Nancy Atherton ist die Autorin der beliebten „Tante Dimity“ Reihe, die inzwischen über 20 Bände umfasst. Geboren und aufgewachsen in Chicago, reiste sie nach der Schule lange durch Europa, wo sie ihre Liebe zu England entdeckte. Nach langjährigem Nomadendasein lebt Nancy Atherton heute mit ihrer Familie in Colorado Springs.

NANCY ATHERTON

Aus dem Amerikanischen von Christine Naegele

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

Copyright © 2017 Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Alvaro Cabrera Jimenez | Montreeboy

Illustration: © Jerry LoFaro

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3374-9

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aunt Dimity Beats the Devil« bei Penguin Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2000 by Nancy T. Atherton

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2007

by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für E. Terrancen Atherton –Soldat, Bruder, Freund

Kapitel 1

ES WAR EIN düsterer, stürmischer Nachmittag auf den Hochmooren von Northumberland. Ein kalter Oktoberregen trommelte auf das Dach des Range Rovers, und der Nebel war zäh und undurchdringlich wie Haferschleim. Ich hoffte, meine Gastgeber in Wyrdhurst Hall würden mit dem Tee auf mich warten, denn es sah ganz so aus, als würde ich mich verspäten.

Wegen der schlechten Sicht musste ich das Tor zur Zufahrt von Wyrdhurst übersehen haben. Dem Holpern und Schlingern des Range Rovers nach zu urteilen, hatte ich die geteerte Landstraße verlassen und war auf eine schmale, unbefestigte und schlammige Straße geraten, die eigentlich nur ein Weg war und steil bergauf führte, um irgendwo in den Wolken zu verschwinden.

Ich hatte keine Wahl, als weiterzufahren. Zu meiner Rechten stieg das Moor steil an, zu meiner Linken ging es ebenso steil bergab.

Es gab keinen Platz zum Wenden, und ich hatte nicht vor, diesen Weg, den ich kaum sehen konnte, im Rückwärtsgang zu nehmen.

Noch weniger wollte ich meinen Mann anrufen und ihm sagen, dass ich ganz schön in der Klemme steckte. Bill hatte ohnehin ernste Bedenken gehabt, mich allein von unserem Dorf in den Cotswolds in diesen abgelegenen Ort nahe der schottischen Grenze fahren zu lassen. Wenn ich ihn nun anriefe, um ihm zu erzählen, wo ich mich befand – oder genauer gesagt, wo ich mich nicht befand –, so würde ich sein »Hab ich’s nicht gesagt?« laut und deutlich hören können, auch wenn er es nicht aussprach.

Abgesehen davon hätte Bill mir tatsächlich nicht helfen können, es sei denn, er hätte einen Helikopter geschickt, um mich samt meinem Wagen durch die Luft abschleppen zu lassen, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass selbst der mutigste Hubschrauberpilot sich bei diesem Wetter freiwillig in die Luft schwingen würde.

Allerdings war ich drauf und dran, ein transatlantisches Telefonat nach Boston zu führen, um meinen Frust bei Dr. Stanford J. Finderman abzuladen, meinem ehemaligen Chef. Je höher der Weg anstieg, desto mehr machte ich Stan für den Regen verantwortlich, der meine Windschutzscheibe immer undurchdringlicher werden ließ. Schließlich war diese Fahrt sein Einfall gewesen. Zähneknirschend dachte ich daran, wie er mich angefeuert hatte, ausgerechnet im verregneten Oktober in diesen entlegenen Winkel Nordostenglands aufzubrechen.

»Shephard! Wie zum Teufel geht’s dir?« Stan war der Kurator der Sammlung bibliophiler Bücher an meiner alten Alma Mater, aber seine herzhafte Ausdrucksweise war mehr auf seine Zeit in der Marine zurückzuführen als auf die Jahre, die er in der exklusiven Gesellschaft seltener Bücher zugebracht hatte. »Erinnerst du dich noch an Dickie Byrd?«

Ich fegte in meinem Gedächtnis ein paar Spinnweben beiseite, und da war er wieder: Richard Fleetwood Byrd, Oberhaupt eines florierenden Familienunternehmens in Nordengland, ein dickköpfiges, jähzorniges altes Schlitzohr mit einer Leidenschaft für kostbare illuminierte Manuskripte. Ich hatte ihn acht Jahre lang nicht mehr gesehen, aber es gab keinen Grund zu der Annahme, dass er sich in der Zwischenzeit geändert haben sollte.

»Der Schrottkönig aus Newcastle?« Ich saß am Schreibtisch im Arbeitszimmer, wo ich den Anruf entgegengenommen hatte. »Natürlich erinnere ich mich an ihn. Was ist mit Dickie?«

»Seine Nichte Nicole hat gerade geheiratet«, teilte Stan mir mit. »Heißt jetzt Hollander. Der Vorname ihres Mannes ist Jared.«

»Worum geht’s? Soll ich ihr ein Hochzeitsgeschenk vorbeibringen?«, fragte ich.

»Hör einfach mal zu, ja?«, erwiderte Stan ungeduldig. »Dickie ist Nicoles Vormund, und sie ist sein Augapfel. Die kleine Nickie wollte ein Landhaus als Hochzeitsgeschenk, also durfte sie sich einen der Familiensitze aussuchen. Sie entschied sich für ein riesengroßes viktorianisches Gemäuer im tiefsten Northumberland. Und der Kasten heißt Wyrdhurst Hall.«

»Weird hearse?«, wiederholte ich und verzog das Gesicht. »Ein ziemlich unheimlicher Name für ein Hochzeitsgeschenk.«

»Staub mal dein altenglisches Wörterbuch ab, Shephard. Es schreibt sich W-Y-R-D-H-U-R-S-T. Was so viel heißt wie ›Wachtposten auf bewaldetem Hügel‹. Dickies Großvater hat es gebaut. Es hat eine eigene Bibliothek – über tausend Bände, wie Dickie mir sagte.«

»Also, das ist ein hübsches Hochzeitsgeschenk«, bemerkte ich.

»Das fand ich auch«, stimmte Stan zu, »aber Dickie fürchtet, dass die Bücher in der Bibliothek für seine Prinzessin womöglich nicht gut genug sind. Er möchte, dass ein Fachmann entscheidet, ob man sie behalten oder durch etwas Besseres ersetzen sollte. Ich würde selbst hinfahren, aber ich muss demnächst nach Yale, wo ich den Vorsitz in so einer verdammten Konferenz über Bücherkonservierung habe. Außerdem, das Budget in meiner Abteilung ...«

»Yeah, yeah, yeah«, murmelte ich. Ich kannte diese Platte. Immer, wenn Stan in England ein Geschäft mit Büchern witterte, rief er mich zu Hilfe. Mein früherer Chef schien der festen Überzeugung zu sein, dass ich mein Familienleben lediglich deshalb von Boston in dieses winzige Dorf in den Cotswolds verlegt hatte, um sein Reisebudget zu schonen. »Und was bietet Dickie als Gegenleistung für unsere Dienste?«

»Die Serenissima«, erwiderte Stan.

Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Die Serenissima war ein Gebetbuch aus dem fünfzehnten Jahrhundert, geschmückt mit Blattgold, Halbedelsteinen und bunter Emailarbeit. Ein Prachtstück, das Stan bei seinen Sponsorenessen stolz herumzeigen könnte.

»Ist das nicht ein ziemlich hoher Preis für einen so kleinen Gefallen?«

»Was soll ich dazu sagen? Dickie möchte, dass seine Nichte den besten Fachmann bekommt. Deshalb hat er mich angerufen. Und deshalb rufe ich dich an. Hilfst du mir, Shephard? Northumberland ist doch genau das, was du liebst – Landschaft, so weit das Auge reicht.«

Stans Angebot war eine große Versuchung. Eine sehr große sogar. Es war eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal in einer wirklich interessanten Privatsammlung herumgestöbert hatte, und in Northumberland war ich auch noch nie gewesen. Die Zigeunerin in mir wäre beim Gedanken an diese nebligen, sagenumwobenen Höhen am liebsten sofort losgezogen, aber die verantwortungsbewusste Mutter in mir trat auf die Bremse.

»Wie lange würde es dauern?«, fragte ich.

»Höchstens eine Woche«, versicherte Stan. »Die Hollanders wohnen bereits dort. Man würde dich fürstlich unterbringen.«

»Eine Woche?«, seufzte ich. »Das wäre sehr lange für mich. Bill wird vielleicht nicht so lange mit den Zwillingen allein sein wollen, jetzt, wo sie laufen und anfangen zu sprechen und Zähne bekommen und ...«

»Taugt denn dein neues Kindermädchen nichts?«, unterbrach Stan mich.

Um ehrlich zu sein, mein neues Kindermädchen war wertvoller, als es die Serenissima jemals sein würde. Annelise Sciaparelli hatte den Job von ihrer älteren Schwester übernommen, nachdem diese geheiratet und nach Oxford gezogen war. Ein Händchen im Umgang mit kleinen Kindern zu haben, schien in der Familie zu liegen, denn Annelise war genauso zuverlässig und kompetent, wie Francesca es gewesen war.

»Annelise ist ein Goldstück«, erwiderte ich, »aber ...«

»Wann ist Bill das letzte Mal auf eine seiner Geschäftsreisen verschwunden?« Stan ließ nicht locker. »Was dem einen recht ist ...«

»Das ist nicht fair«, protestierte ich. »Bills Arbeit ist wichtig und ...«

»Ach, und deine nicht? Ich hab kapiert, Shephard. Also, dann lass mich wissen, wie dein Herr und Meister entscheidet, okay?« Mein alter Chef schnaubte verächtlich und legte auf.

Ich legte den Hörer an seinen Platz zurück und sah nachdenklich durch das efeuumrankte Fenster des Arbeitszimmers. Ich hätte Stans Stichelei ignorieren und mit der Verachtung strafen sollen, die sie verdiente – wenn nicht ein Körnchen Wahrheit darin gewesen wäre.

In letzter Zeit war ich nicht viel herausgekommen, während Bill häufig unterwegs gewesen war.

In den neunzehn Monaten seit der Geburt der Zwillinge war ich genau eine Nacht von ihnen getrennt gewesen. Bill hingegen war manchmal wochenlang weg, wenn er sich um die europäische Filiale der Anwaltskanzlei seiner Familie kümmern musste. Ich hatte mich bereitwillig damit abgefunden – für mich gab es nichts Wichtigeres als meine Mutterrolle –, aber Stans spitze Bemerkungen ließen meine Rolle doch ein wenig unfair erscheinen.

Allmählich fragte ich mich, ob sie tatsächlich gut für mich war. Will und Rob waren der größte Schatz in unserem Leben, der alles für uns bedeutete, aber nach anderthalb Jahren im ausschließlichen Umgang mit den Kleinkindern sank ich langsam auf ihr Niveau ab. Ich musste an unseren fünften Hochzeitstag denken, den Bill und ich in einem eleganten Restaurant in Oxford feierten. Weder Bill noch ich werden jemals vergessen, wie der Sommelier schmerzlich zusammenzuckte, als ich den Wein probierte, ein Gesicht schnitt und »Bäh!« sagte.

Mein Gehirn lag brach, so viel war klar. Ich musste wieder mehr Kontakt mit Erwachsenen haben, und wenn aus keinem anderen Grund, dann schon meines Vokabulars wegen.

Während die Mutter in mir zögerte, führte die Zigeunerin, angefeuert durch die Vorstellung jener nebelverhangenen Berge, einen Freudentanz auf. Und als ich abends endlich dazu kam, mit meinem Mann darüber zu sprechen, hatte die Zigeunerin haushoch gewonnen.

»Bill«, sagte ich entschlossen, »Stan hat ein Projekt für mich, in Northumberland.«

»Das ist doch wunderbar!«, sagte Bill begeistert. »Es würde dir guttun, mal ein bisschen herauszukommen, und ganz ehrlich gesagt, ich würde auch gern ein paar Tage mit den Jungs allein sein. Sie sollen doch nicht in dem Glauben aufwachsen, dass Vater zu sein eine Teilzeitbeschäftigung ist.«

»A-aber ich würde mindestens eine Woche weg sein«, stotterte ich, verunsichert durch Bills Bereitwilligkeit. Es war fast, als hätte man einem Berg Schlagsahne einen Fausthieb versetzt.

»Kein Problem«, sagte Bill. »Ich lege meine Termine um, und Gerald kann sich um die dringenden Sachen kümmern, die anfallen. Außerdem habe ich ja Annelise als Hilfe, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.«

»Stimmt«, gab ich widerstrebend zu.

»Und wenn du fertig bist, komme ich nach«, sagte Bill, der sich immer mehr für die Idee erwärmte. »Wir fahren zusammen nach Edinburgh und hören uns eine Debatte im neuen schottischen Parlament an. Das wollte ich schon längst einmal erleben. Schließlich ist es das erste Mal seit fast dreihundert Jahren, dass die Schotten ...« Er hielt mitten im Satz inne und sah mich fragend an. »Um Himmels willen, Lori, du brauchst mich doch nicht um Erlaubnis zu fragen, wenn du fahren willst. Was glaubst du denn, wer ich bin? Dein Herr und Gebieter?«

»Ich glaube«, sagte ich, wobei mir die Knie weich wurden, »du bist ziemlich vollkommen.«

Nachdem ich meinen Mann ausgiebig geküsst hatte, ergriff ich den Hörer, um Stan anzurufen, der über die Nachricht natürlich hoch entzückt war.

»Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, Shephard. Ich faxe dir die Details und sage den Hollanders, dass du kommst. Und genieße die Landschaft.«

Welche Landschaft?, schäumte ich, während der Range Rover seine halsbrecherische Fahrt den Berg hinauf fortsetzte. Meine Sicht reichte nicht viel weiter als bis zu meinen weißen Fingerknöcheln, die das Lenkrad umklammerten. Der Wettermann im Radio teilte mir gut gelaunt mit, dass es den ganzen letzten Monat über im Norden stark geregnet habe, und seiner Vorhersage konnte man entnehmen, dass sich daran wohl in nächster Zeit nichts ändern würde. Ich hoffte, dass die Hollanders wenigstens an ihrem Hochzeitstag Sonnenschein hatten, denn ich ging jede Wette ein, dass sie seitdem die Sonne nicht mehr gesehen hatten.

Es hatte keinen Sinn, Stan die Schuld für meine Situation zu geben. Er mochte mich angestachelt haben, nach Northumberland zu fahren, aber für den Regen war er nicht verantwortlich. Also ließ ich das Handy in meiner Umhängetasche, die auf dem Beifahrersitz unter meiner Jacke lag.

Plötzlich hörte ich, wie es hart auf das Dach des Range Rovers trommelte. »Hagel«, murmelte ich und rollte die Augen. »Und was kommt als Nächstes? Eine Heuschreckenplage?«

Ich sah nach hinten, wo sich normalerweise die Kindersitze der Zwillinge befanden, und dankte dem Himmel, dass meine Jungen zu Hause in Sicherheit waren. Beinahe wäre ich jedoch vom Weg abgekommen, denn im selben Moment wurde der Rover von einem Steinhagel getroffen. Auf der Windschutzscheibe zeichnete sich ein Sprung ab, und die Seitenfenster wurden zu Millionen kleiner, scharfer Splitter zertrümmert. In Panik trat ich auf die Bremse und schlitterte ein Stück weiter, bis an jene Stelle, wo ein Bergrutsch die aufgeweichte Straße vor mir versperrte.

Fassungslos sah ich, wie die polternden, schlammigen Erdmassen sich den steilen Berg hinabwälzten und die schmale Straße verschütteten, wobei sie alles, was ihnen in den Weg kam, mitrissen, und in den nebligen Abgrund fegten. Vorsichtig griff ich nach dem Schalthebel, um den Rückwärtsgang einzulegen, aber noch ehe ich dazu kam, ging eine Erschütterung durch den Wagen, worauf er sich unaufhaltsam in Richtung der vorbeifließenden Schlammlawine neigte. Der Boden unter meinen Rädern gab nach.

Meine Hand blieb in der Luft stehen, dann ließ ich sie langsam sinken und löste den Sitzgurt. Ich wagte kaum zu atmen, als ich nach dem Türgriff tastete, mit dem Ellbogen die Wagentür aufdrückte und mich hinaus in den Schlamm warf, wo ich in blinder Panik die Böschung hinaufkletterte, nur weg von dem Abgrund, der sich hinter mir auftat. Vor Angst keuchend drehte ich mich um, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der Range Rover, das Heck nach oben gedreht wie ein untergehendes Schiff, in die neblige Tiefe stürzte.

Kraftlos und vor Entsetzen schluchzend sank ich in den Schlamm. Trotz allem war ein winziger, vernünftiger Teil meines Gehirns zu einer ruhigen Bestandsaufnahme fähig.

Kein Auto, kein Telefon, kein Mantel, kein Schirm. Keine gebrochenen Knochen, immerhin. Aber auch keine Ahnung, wo ich war oder wo ich einen Unterschlupf finden könnte.

Es sah ganz so aus, als sei der High Tea in Wyrdhurst Hall in weite Ferne gerückt.

Kapitel 2

MIR WAR SO kalt, dass ich nicht einmal mehr zittern konnte. Mein völlig durchnässter Pullover hing mir fast bis an die Knie, meine Hose aus Wollstoff klebte wie modriges Laub an meinen Beinen, und aus meinen Wildlederstiefeln quoll der Schlamm, als ich, von eiskaltem Wind getrieben, vorwärts stolperte. Der Wind schien an Stärke zuzunehmen, während meine eigenen Kräfte schwanden. Trotzdem lief ich weiter. Ich war taub an Körper und Seele und wusste weder, wo ich war, noch wie ich hierhergekommen war, ich wusste nur eines: Wenn ich aufhörte zu laufen, würde ich sterben.

Und das durfte nicht passieren. Gleich hinter der nächsten Kurve warteten Will und Rob auf mich, und Bill war auch da. Sie hatten trockene Kleidung für mich, ein warmes Essen und eine weiche Daunendecke, groß genug für uns alle. Schließlich hatte ich doch bereits die lange unbefestigte Strecke bis zur Straße zurückgelegt, da würde ich es auch noch bis zur nächsten Kurve schaffen, oder?

Wenn nur das Heidekraut nicht so verlockend gewesen wäre. Wenn ich nur dem Wunsch widerstehen könnte, mich auf dem weichen Grasboden zusammenzurollen und einzuschlafen. Nur ein kurzes Nickerchen, mehr wollte ich gar nicht. Das würden die Jungen doch verstehen. Sie würden nicht wollen, dass ihre Mama so schrecklich, schrecklich müde war.

Ein scharfer Schmerz an meiner rechten Kniescheibe brachte mich beinahe zu Fall. Ich sah nach unten und merkte, dass ich gegen eine niedrige Mauer am Straßenrand gelaufen war. Dahinter stand, wie ein bescheidenes Camelot, das sich aus den Nebeln von Avalon erhob, ein winziges weißes Cottage mit zwei Fenstern, die tief in die dicken Wände eingeschnitten waren, und mit einer Tür, so blau wie eine Pfauenfeder. Aus dem Schornstein stieg Rauch, der augenblicklich vom wütenden Wind zerpflückt wurde.

Wie hypnotisiert starrte ich auf den Rauch, bis Bill mir befahl, mich zusammenzureißen. Die Vision verblasste, und ich stolperte mit letzter Kraft auf die blaue Tür zu, hob meine Faust, die ich vor Kälte kaum noch spürte, und schlug zweimal dagegen.

»Bitte«, flüsterte ich, dann merkte ich, wie meine Beine nachgaben, und ich sank ohnmächtig zu Boden.

Träge schwamm ich durch ein endloses Meer aus Schlaf. Wie aus weiter Ferne nahm ich den beißenden Geruch eines Kohlefeuers und einen flackernden Feuerschein auf den Augenlidern wahr, dazu die vertraute Berührung von Bills Körper, der unter einer dicken Schicht weicher Decken dicht neben mir lag. Mit geschlossenen Augen, nur widerwillig aus den Tiefen des Schlafes auftauchend, drehte ich den Kopf und schmiegte das Gesicht in seine Halsbeuge.

»Mmm«, murmelte ich. »Du bist so schön warm.«

»Das war auch die Absicht«, sagte eine Stimme.

Die Stimme klang nicht wie die meines Mannes.

»Bill?«, versuchte ich es noch einmal, voller Hoffnung.

»Einen Bill gibt’s hier leider nicht«, sagte die Stimme. »Tut’s ein Adam auch?«

Ich öffnete die Augen und sah ein Schlüsselbein, das zwar nicht unattraktiv, mir aber völlig unbekannt war. Als ich den Blick hob, sah ich ein Gewirr dunkler Locken, das ein blasses, herzförmiges Gesicht umrahmte, ein Gesicht, das ich noch nie gesehen hatte. Die Augen des Fremden, dunkel wie die eines Zigeuners, blitzten im Feuerschein, und seine Lippen waren mir so nahe, dass sie fast meine Augenbrauen berührten.

»Adam Chase zu Diensten«, sagte er, und meine Haare kräuselten sich in seinem Atem. »Und wer sind Sie?«

»Lori«, sagte ich heiser. »Lori Shephard.«

»Normalerweise hab ich nichts dagegen, wenn Frauen mir in die Arme fallen, Lori Shephard, aber Sie haben mich ganz schön erschreckt.« Adam Chase stützte sich auf den Ellbogen und stopfte sorgfältig die Decke zwischen uns fest, wodurch mir die interessante Tatsache bewusst wurde, dass wir beide nackt wie neugeborene Mäuse waren. Er musste mir meine große Verwirrung angesehen haben, denn erklärend fügte er hinzu: »Körperwärme. Es war das Einzige, was mir einfiel, um Sie wieder aufzutauen.«

»Oh«, sagte ich ratlos. »Danke.«

»Keine Ursache«, sagte Adam. »Was meinen Sie: Können Sie etwas Suppe essen?«

Als hätte er nur auf dieses Stichwort gewartet, knurrte mein Magen. »Ich sollte eigentlich zum High Tea in Wyrdhurst sein«, murmelte ich benommen.

»Tatsächlich? Wie schade. Die Teestunde ist längst vorbei.« Adam schwang die Beine aus dem schmalen Eisenbett und schaffte es, in eine schwarze Jeans zu schlüpfen, ohne sein schlankes, muskulöses Hinterteil länger als eine Sekunde zu präsentieren. Er langte nach einem schwarzen Sweatshirt, das über der Rückenlehne eines abgewetzten braunen Ledersessels hing, und hielt es mir hin.

»Ihre Sachen sind noch nicht trocken, und ich möchte nicht, dass Sie sich erkälten.« Er zögerte. »Können Sie sich allein anziehen, oder soll ich ...«

»Ich schaffe es schon«, sagte ich hastig, um im nächsten Augenblick zu erröten, weil es mir peinlich war, dass ich so heftig reagiert hatte. Schließlich würde mein Retter nichts zu sehen bekommen, was er nicht schon gesehen hatte.

Adam schien es zu verstehen. »Natürlich«, sagte er ernst, als ich das Sweatshirt ergriff. »Wenn Sie mich brauchen, ich bin in der Küche.«

Diese Bemerkung sollte offenbar ein Witz sein, denn es gab gar keine Küche. Als ich endlich eine sitzende Position eingenommen hatte, wobei ich das Sweatshirt bis über meine Hüften herunterzog, sah ich, dass die Hütte ein einziger großer Raum war, der nur durch Möbelstücke in verschiedene Funktionsbereiche unterteilt war.

Die Küchenecke bestand aus einem Steinbecken mit Wasserhahn, darüber hing ein Wandschrank. Neben der Spüle war eine Arbeitsplatte aus Kiefernholz, darauf befanden sich ein zweiflammiger Gaskocher, ein Schneidebrett und ein Blumentopf, vollgestopft mit Küchenutensilien.

Ein einfacher Tisch aus Kiefernholz samt zwei Stühlen aus Buche stellte das Speisezimmer dar. Über dem Tisch hing eine Öllampe aus Messing, die Adam auf seinem Weg in die Küche anzündete.

Die Ecke rechts von der Eingangstür war als Arbeitszimmer eingerichtet, mit einem Schreibtisch, einem Drehstuhl und einigen überquellenden Bücherregalen. Auf dem Schreibtisch standen eine Reiseschreibmaschine und ein Marmeladenglas mit Kugelschreibern und Farbstiften, daneben lagen Papiere.

Die Ecke gegenüber dem Arbeitszimmer musste das Schlafzimmer sein. Über einer kleinen Kommode waren Kleiderhaken angebracht, an denen Hemden hingen; ein Nachtschrank stand neben dem leeren Platz, wo das Bett normalerweise gestanden hätte, wenn es nicht meinetwegen vor den Kamin gerückt worden wäre. Der Ledersessel und das dazugehörige Sofa waren von ihrem Stammplatz vor dem Feuer verdrängt worden, um für das Bett Platz zu machen.

Meine Kleider – alles, was ich angehabt hatte – hingen von dem einfachen hölzernen Kaminsims herunter, wo sie mit ein paar faustgroßen Steinen beschwert waren. Meine Wildlederstiefel standen in einiger Entfernung vor dem Feuer, wo sie trocknen konnten, ohne dass das Leder von der Hitze rissig wurde. Von dem Schlammbad würde es ohnehin bretthart sein.

»Es ist etwas abgelegen hier.« Ein Streichholz flammte auf, und Adam beugte sich über den Gaskocher. Auf die eine Flamme stellte er einen Topf, auf die Andere den Wasserkessel. »Ich habe kein Telefon, und mein Auto ist im Moment zur Reparatur im Dorf. Ich habe aber ein Fahrrad« – er deutete auf ein stabiles Mountainbike, das gleich neben der Tür an der Wand lehnte –, »damit hätte ich in die Stadt fahren können, um Hilfe zu holen, aber ich wollte Sie nicht allein lassen.«

Während er den Inhalt des Topfes umrührte, stiegen verschwommene Erinnerungen in mir auf – grauer Nebel, silbriger Regen und eine braune, schlammige Straße, die von einer Walze aus Geröll hinweggefegt worden war.

»Das Einzige, was ich tun konnte«, fuhr Adam fort, »war, das Feuer richtig in Gang zu bringen und Sie davor zu legen, und mich auf die andere Seite, um Sie zu wärmen.« Er probierte die Suppe. »Sie verstehen hoffentlich, dass dies eine rein therapeutische Maßnahme war.«

Ich spürte wieder, wie der eiskalte Regen meinen Pullover durchnässte, während der Range Rover in die Tiefe stürzte, und ein unkontrollierbares Zittern überfiel mich.

»Mein Gott«, flüsterte ich, indem ich in die Kissen zurücksank.

Der Löffel fiel auf die Arbeitsplatte, und Adam beugte sich über mich. Besorgt runzelte er die Stirn. »Lori? Was ist los?«

»Es ist weg«, sagte ich, während ich mich langsam wieder erinnerte. »Mein Auto, mein Gepäck«, stöhnte ich verzweifelt, »und Reginald.«

»Du lieber Gott ...« Adam kniete sich neben mich, legte mir fest die Hand auf die Schulter und sagte ganz ruhig: »War noch jemand mit Ihnen im Wagen?«

»Nein«, sagte ich. »Reginald ist kein Mensch. Er ist ein ...« – ich wurde noch röter als zuvor –, »ein Hase, ein rosa Hase aus Flanell. Ich weiß, es klingt albern, aber ich habe ihn schon seit meiner Geburt. Er ist ... er ist ...«

»Ein alter Freund?«, half Adam.

»Genau«, sagte ich dankbar. »Ich muss ihn finden. Und ich muss meinen Mann anrufen. Er wird sich schreckliche Sorgen um mich machen.« Ich versuchte, die Decken wegzuschieben, aber Adam drückte mich sanft in die Kissen zurück.

»Bleiben Sie liegen«, befahl er. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Mann so bald wie möglich benachrichtigt wird. Am liebsten würde ich es sofort tun, aber es wäre ziemlich aussichtslos, im Dunkeln und bei Windstärke neun ins Dorf zur Telefonzelle zu radeln. Und Sie wären noch viel weniger dazu imstande.«

Ein Regenschwall prasselte gegen das Fenster, und ich fuhr zusammen.

»Ganz ruhig«, sagte Adam. »Sie sind in Sicherheit, die Hütte steht seit über hundert Jahren hier, sie hat schon schlimmere Stürme überlebt als diesen.«

Ich sah an ihm vorbei, und anhand der Tiefe der Fensterbänke konnte ich sehen, wie dick die Mauern waren. Ich war beruhigt. Die Hütte war wie eine sichere Höhle.

»Wo sind wir hier?«, fragte ich.

Adam hockte sich auf die Fersen. »Wir sind in einer Fischerhütte an einem kleinen Flüsschen, weniger als eine Autostunde von Newcastle entfernt. Bis nach Blackhope, dem nächstgelegenen Dorf, ist es per Fahrrad eine halbe Stunde, und Wyrdhurst Hall befindet sich in Rufweite.«

»Ist das Ihr Ernst?«, sagte ich.

»Vollkommen. Wenn Sie noch ein bisschen weitergelaufen wären, hätten Sie das Tor erreicht.« Das leise Pfeifen des Wasserkessels wuchs zu einem Crescendo an, und Adam sprang auf. »Dinner wird in fünf Minuten serviert, Mrs Shephard.«

»Nennen Sie mich bitte Lori, das fände ich viel besser«, sagte ich.

»Und ich bin Adam.« Er half mir, mich aufzusetzen, stopfte die Kissen hinter meinem Rücken fest und ging zurück, um die Teekanne zu füllen. »Bist du mit der Familie befreundet?«, fragte er, während er den Tee aufbrühte.

»Mit den Hollanders?« Mein Magen äußerte lauten Beifall, als der Duft der Suppe zu mir herüberdrang. »Ich habe sie noch nie gesehen. Der Onkel von Mrs Hollander hat mich herbestellt, weil ich mir die Bücher in der Bibliothek ansehen soll.«

»Sie ist eine geborene Byrd, nicht wahr?«, fragte Adam.

»Richtig«, sagte ich. »Ihr Onkel ist Dickie Byrd, ein Industrieller.«

»Dann ist zumindest eines der Gerüchte wahr.« Adam nahm eine Keramikschale aus dem Hängeschrank. »Und ich wette, es ist das einzig Wahre.«

»Gerüchte?« Ich spitzte die Ohren. »Was für Gerüchte?« Adam zuckte verächtlich die Schultern. »Der übliche Unsinn. Du weißt ja vielleicht, wie Dorfbewohner über Neuankömmlinge herziehen.«

Als Amerikanerin, die in einem kleinen englischen Dorf wohnte, wusste ich nur zu genau, wie Dorfbewohner über neu Zugezogene reden konnten. Wenn die Bewohner von Blackhope meinen Nachbarn in Finch ähnelten, dann würden Nicole und Jared Hollander allem möglichen Klatsch ausgesetzt sein.

»Bist du von hier?«, fragte ich.

»Ich bin Schriftsteller«, erwiderte Adam, womit er meine Frage nicht ganz beantwortete. »Ich habe diese Fischerhütte gemietet, um hier in Ruhe mein Buch fertig zu schreiben.«

»Kein Telefon.« Ich sah auf die Reiseschreibmaschine. »Und du hast keinen Computer, also kannst du auch keine E-Mails empfangen.«

Adam ließ den Löffel durch die Luft tanzen. »Hier kann mich kein Lektor, kein Agent und kein Verleger erreichen. Himmlischer Friede.«

Er ging zu einem der Bücherregale und nahm ein großes, nicht sehr dickes Buch heraus. Ich erwartete, dass er mir eines seiner Werke zeigen wollte. Stattdessen legte er das Buch auf den Holztisch, wo er es mit einem weißen Geschirrtuch bedeckte.

»Ich habe kein Tablett«, erklärte er, als er das Geschirr daraufstellte, »also muss Ladlighters Illustrated History of the Ypres Salient einspringen.«

»Ypres«, wiederholte ich, wobei ich mich bemühte, dieses schwere Wort auszusprechen. »Das war im Ersten Weltkrieg, nicht wahr?«

»Sehr gut, Lori.« Adam war beeindruckt. »Es ist eine Stadt im Südwesten Belgiens. Die Soldaten nannten es Ypern, ja, es spielte eine bedeutende Rolle im Ersten Weltkrieg. Eine Viertelmillion Soldaten fielen dort.«

»Schreibst du ein Buch über den Ersten Weltkrieg?«, fragte ich.

»Ich schreibe über die Konsequenzen des Krieges.« Er brachte das improvisierte Tablett ans Bett und stellte es mir auf den Schoß. »Madam, es ist angerichtet.«

Das Menü, bestehend aus einer wunderbaren, dunklen Rindfleischsuppe, wurde von einer dicken Scheibe Roggenbrot mit Butter und einem Becher süßen Tees mit reichlich Milch abgerundet. Meine Hände zitterten immer noch so stark, dass ich es kaum fertigbrachte, den Becher zum Mund zu führen, und nachdem Adam zugesehen hatte, wie ich einen Löffel voll Suppe auf sein Sweatshirt gekleckert hatte, fing er an, mich wie ein kleines Kind zu füttern. Als er mir den letzten Löffel Suppe gereicht hatte, hörten meine Hände auf zu zittern, und ich war in der Lage, den Tee ohne Hilfe zu trinken.

Ich lehnte mich gegen die Kopfkissen zurück und sah zu, wie Adam das Geschirr spülte, die Öllampe löschte und sich einen dicken, kobaltblauen Pullover überzog. Beim Anblick des Pullovers war ich etwas beruhigt. Adam Chase war nicht sehr groß, aber sein Körperbau war athletisch, und das warme Licht des Feuers auf seinen wohl trainierten Bauchmuskeln hatte mich stärker abgelenkt, als mir lieb war.

Nachdem er das Feuer mit ein paar Kohlestücken versorgt hatte, drehte er den Lehnsessel zu mir herum. »Ich schlage vor, du schläfst jetzt«, sagte er, indem er sich niederließ.

»Willst du nicht wissen, was passiert ist?«, fragte ich.

»Das hat eigentlich bis morgen Zeit, aber wenn du nicht warten kannst ...«

»Die Straße war völlig ausgewaschen«, unterbrach ich ihn. »Eben fahre ich noch am Berghang hoch, und im nächsten Moment hänge ich über dem ... über dem Nichts. Ich konnte gerade noch aus dem Wagen springen, ehe er hinunter in den Nebel stürzte.« Ich seufzte tief. Bill hatte mir den kanariengelben Range Rover zu Weihnachten geschenkt, und jetzt war er in eine gottverlassene Schlucht gestürzt. Samt Reginald.

»Weißt du noch, auf welcher Straße du warst?«, fragte Adam.

»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es eine Straße war«, erwiderte ich. »Sie war unbefestigt, ungefähr fünf Zentimeter breit und führte fast senkrecht nach oben.«

Adam spitzte die Lippen. »Du musst auf einer Straße im Militärgelände gewesen sein. Das passiert normalerweise nicht. Das Gebiet wird sorgfältig abgesperrt. Hast du die Warntafeln nicht gesehen?«

»Ich konnte nicht mal die Straßenbegrenzung sehen«, erklärte ich. »Sind wir denn auf militärischem Gelände?«

»Die Hochmoore sind eine Art Übungsgelände«, sagte Adam. »Das Militär veranstaltet in manchen Gebieten Artillerie-Übungen.«

»Na ja«, ich lächelte etwas gequält, »das wird meinem Mann die Sache erleichtern, wenn er die Truppen ausschickt, um mich suchen zu lassen.«

Adam lehnte sich in den Sessel zurück. »Jedenfalls dürfte es nicht schwer sein, Wyrdhurst zu finden.«

»Was für ein Haus ist es?«, fragte ich.

»Imposant«, sagte er nach einigem Nachdenken. »Und natürlich spukt es dort.«

Ich lachte. »Gespenster mit rasselnden Ketten, die den Kopf unterm Arm tragen?«

»Und nachts herumpoltern.« Adam schüttelte sich.

»Schrecklich, nicht wahr, und das heutzutage! Aber man hat mir glaubhaft versichert, dass der Geist von Josiah Byrd dort nachts durch die Korridore wandelt.«

»Wer hat dir das glaubhaft versichert?«, fragte ich zweifelnd.

»Mein Automechaniker«, sagte Adam todernst, obwohl seine Augen dabei lachten. »Mr Garnett ist eine Autorität in der Geschichte von Wyrdhurst. Der alte Josiah, der Bauherr, muss ein ziemliches Ekel gewesen sein. Und wenn man Mr Garnett Glauben schenken darf, ist er es immer noch.«

»Wenn Josiah Byrd Wyrdhurst Hall erbaut hat, muss er schon ewig lange tot sein«, wandte ich ein. »Du willst mir doch nicht weismachen, dass die Dorfbewohner immer noch Angst vor ihm haben?«

»Das Gedächtnis der Menschen reicht weit zurück«, sagte Adam. »Sie sind nicht sehr erfreut darüber, dass das Haus renoviert und wieder bewohnt ist. Ich glaube, sie hatten alle gehofft, es würde verfallen und in den Staub sinken.«

»Ich habe keine Angst vor Gespenstern.« Ich hatte am eigenen Leib erfahren, dass die Untoten eher hilfreich als bösartig sind, aber ich konnte meine seltsame Beziehung zu Tante Dimity nicht jemandem erklären, den ich kaum kannte. Adam würde sofort eine ernste Kopfverletzung bei mir vermuten, oder, noch schlimmer, einen Fall von geistiger Umnachtung.

»Aber sie jagen Mrs Hollander Angst ein«, sagte Adam. »Wenigstens hat man es mir berichtet. Die Dorfbewohner glauben, dass sie deshalb in ihrem neuen Heim nicht recht glücklich ist.«

»Wahrscheinlich ist es der Nebel«, sagte ich entschieden. »Würdest du den ersten Monat deiner Ehe an einem Ort mit so schrecklichem Wetter verbringen wollen?«

Adam schwieg einen Moment und sah ins Feuer. Dann sagte er leise: »Ich glaube, wenn man mit dem richtigen Menschen zusammen ist, dann macht einem das Wetter nichts aus.« Er sah mich an. »Was meinst du?«

Die schwarzen Locken auf seiner Stirn glänzten im Feuerschein, und seine Augen waren dunkel wie die Nacht. Ich fühlte, wie es warm in mir aufstieg, von den Fußsohlen bis zu den Spitzen meiner Ohren. Ich wandte den Blick ab, jedoch empfand ich kein Schuldgefühl. Es war kaum möglich, dass man als Frau nackt in den Armen eines Mannes erwacht, ohne etwas dabei zu empfinden. Ich wusste aber auch, dass ich diesen Empfindungen nie nachgeben würde. Dazu liebte ich meinen Mann viel zu sehr.

»Wie lange wirst du in Wyrdhurst bleiben?«, fragte Adam.

»Ich weiß nicht genau«, hörte ich mich sagen. »So lange es nötig ist, vermutlich.«

»Ich fahre gleich morgen früh hin. Die Hollanders werden dich bestimmt abholen lassen. Aber jetzt« – Adam deutete mit dem Finger auf mich – »musst du schlafen. Morgen können wir weiterreden. Und wenn du nachts etwas brauchst, bin ich gleich neben dir.« Er legte die Füße auf das Sofa, räkelte sich bequem im Sessel und schloss die Augen.

Ein kleiner Regenschwall kam durch den Schornstein und fiel zischend auf die Kohlen. Ich glitt unter die Decken, drehte mich auf die Seite und sah ins Feuer, wobei ich mich fragte, warum ich Adam nicht die Wahrheit gesagt hatte. Schließlich wusste ich genau, wie lange ich in Wyrdhurst Hall bleiben würde: eine Woche. Es gab keinen Grund, länger zu bleiben, und allen Grund, zu meinem Mann und den Kindern heimzukehren.

Und doch schienen sie in diesem Augenblick so weit weg. Und Adam war so nahe. Ich blinzelte über den Rand der Decken und musterte das blasse, herzförmige Gesicht. »Adam?«, flüsterte ich.

»Ja?«, kam die geduldige Antwort.

»Ich danke dir. Du hast mir das Leben gerettet.«

»Und du hast meines um zehn Jahre verkürzt«, erwiderte er und drehte das Gesicht ins Dunkle.

Ich lächelte verlegen, rollte mich zusammen und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Draußen war es noch dunkel, und es regnete noch immer, als ich eine Hand auf der Stirn fühlte und eine leise, aber inzwischen vertraute Stimme sagte: »Lori? Wach auf. Dein Mann hat tatsächlich die Truppen ausgeschickt.«

Kapitel 3

IM GRAUEN MORGENLICHT sah ich einen hochgewachsenen, sehnigen jungen Mann, der an der dunkelblauen Tür stehen geblieben war. Sein kurz geschnittenes Haar war blond wie ein Weizenfeld, sein Gesicht rot vor Anstrengung. Er trug einen militärischen Tarnanzug, in den Händen hielt er eine schwarze Baskenmütze, die völlig durchnässt schien. Seine Stiefel und Hosenbeine waren voller Schlamm, und über dem Stuhl hing ein tropfendes olivfarbenes Regencape.

»Lori Shephard«, sagte Adam, der neben ihn trat, »Captain Guy Manning.«

Captain Manning trat vor. »Ich bin ausgeschickt worden, um Sie zu suchen, Miss Shephard. Ihr Mann hat sich große Sorgen gemacht, als Sie gestern Nachmittag nicht an Ihrem Ziel ankamen.«

»Dazu gab es auch allen Grund.« Adam verschränkte die Arme vor der Brust. »Miss Shephards Auto ist bei einem Bergrutsch auf einer Ihrer Straßen abgestürzt.«

Captain Manning bedachte Adam mit einem ausdruckslosen Blick. »Mir ist die Situation bekannt, Sir. Ich habe den Bergrutsch gestern Abend gesehen.«

»Dann muss Ihnen auch bekannt sein, dass eines Ihrer Tore offen gestanden hat«, sagte Adam.

»Die Angelegenheit wird untersucht, Sir.« Die grauen Augen Captain Mannings kehrten zu mir zurück. »Brauchen Sie ärztliche Hilfe, Miss Shephard?«

»Nein«, sagte ich und setzte mich auf. »Aber was ist mit meinem Mann? Ist er in Wyrdhurst?«

»Ihr Mann wartet in Ihrem Haus in den Cotswolds auf Nachricht von Ihnen, Ma’am.«

Als der Offizier ein Handy aus der Brusttasche zog und es mir anbot, hätte ich es ihm beinahe aus der Hand gerissen.

Ich wählte so schnell ich konnte unsere Nummer, und Bill antwortete beim ersten Klingelton.

»Lori, ist alles in Ordnung mit dir?«

Die Angst in seiner Stimme machte mir deutlich, wie nahe ich daran gewesen war, alles zu verlieren. Ich drückte meine Hand auf den Mund, um nicht loszuheulen.

»Mir geht es gut, Bill.« Ich schluckte hart und fasste einen schnellen Entschluss: Ich würde meinem Mann erst die ganze Wahrheit erzählen, wenn er bei mir war; für den Augenblick würde ich die Sache herunterspielen. Es hatte keinen Zweck, ihm über diese Entfernung hinweg Sorgen zu bereiten. »Mein Auto ... kam von der Straße ab, weil es so neblig war, und ich ... ich verlor mein Handy. Ich hatte mich auch verfahren, deshalb ... verbrachte ich die Nacht ... in einer Fischerhütte. Ein Offizier, Captain Manning, hat mich gerade gefunden.«

»Bist du auch ganz bestimmt nicht verletzt?«, fragte Bill.

»Ganz bestimmt nicht.« Ich zögerte. »Aber der Rover ist ... wahrscheinlich ... ein Totalschaden.«

»Zum Teufel mit dem Rover!«, rief Bill. »Der kann ersetzt werden. Aber du nicht. Möchtest du, dass ich komme?«

»Das ist überhaupt nicht nötig«, sagte ich entschieden. »Es war ein dummer kleiner Unfall, und er ist mir eher peinlich. Es tut mir furchtbar leid, dass ich dir so einen Schrecken eingejagt habe.«

»Es ist doch nicht deine Schuld«, sagte Bill. »Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist. Hier, ich lass dich jetzt mal mit Will und Rob sprechen.«

Ich weiß nicht, wie Adam und Captain Manning über das Babygeplapper dachten, das jetzt folgte. Sie hielten diskreten Abstand – von mir und voneinander bis ich mein Gespräch beendet hatte. Dann drehten sie sich gleichzeitig um und sahen mich an.

Adam hob eine Augenbraue und sagte: »Ein dummer kleiner Unfall?«

»Na ja, ich kann meinem Mann doch nicht sagen, dass mein Auto in eine Schlucht gestürzt ist, oder? Er würde sofort angefahren kommen und mich ins nächste Krankenhaus verfrachten. Und dann würde er einen Nervenzusammenbruch bekommen.« Ich faltete die Hände auf der Decke. »Sobald ich wieder zu Hause bin und er sehen kann, dass es mir gut geht, werde ich ihm die Wahrheit sagen.«

Captain Manning nahm mir sein Handy wieder ab. »Wenn Sie erlauben«, sagte er, »dann möchte ich jetzt Bericht erstatten.«