Tante Dimity und der unbekannte Mörder - Nancy Atherton - E-Book
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Tante Dimity und der unbekannte Mörder E-Book

Nancy Atherton

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Beschreibung

Ein Mord in Finch? Lori ist fassungslos über die entsetzliche Nachricht, als sie mit ihrer Familie nach einem längeren Urlaub in das beschauliche Dorf zurückkehrt. Das Opfer, die kürzlich zugezogene Prunella Hooper, hatte es sich leider mit allen Nachbarn verscherzt. Sie galt als intrigant, klatschsüchtig und war als Unruhestifterin bekannt. Aber ist einer der Dorfbewohner wirklich ein Mörder? Zusammen mit dem Neffen des Vikars, einem ausgesprochen attraktiven und charmanten jungen Mann, macht Lori sich auf Spurensuche. Allerdings sind sie nicht allein - denn auch Tante Dimity geht mit ihnen auf Mörderjagd.

Märchenhafte Spannung mit Tante Dimity. Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

Versüßen Sie sich die Lektüre mit Tante Dimitys Geheimrezepten! In diesem Band: Ingwerplätzchen mit Blattgold.

"Ein großes Lesevergnügen, tröstlich und charmant." Milwaukee Journal Sentinel

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Seitenzahl: 306

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Ingwerplätzchen mit Blattgold

Über dieses Buch

Ein Mord in Finch? Lori ist fassungslos über die entsetzliche Nachricht, als sie mit ihrer Familie nach einem dreimonatigen Amerikaufenthalt in das beschauliche Dorf zurückkehrt. Das Opfer, die kürzlich zugezogene Prunella Hooper, hatte es sich allerdings mit allen Dorfbewohnern verscherzt. Intrigant, klatschsüchtig und verleumderisch war Prunella eine verhasste Unruhestifterin.

Wird es Lori gelingen, den Mörder unter den verschlossenen Dorfbewohnern zu finden?

Unerwartet taucht Hilfe a ihrer Seite auf: Der Neffe des Vikars, ein ausgesprochen leibendwürdiger und gefährlich attraktiver junger Mann. Allerdings sind sie nicht allein – denn auch Tante Dimity geht mit ihnen auf Mörderjagd.

Über die Autorin

Nancy Atherton ist die Autorin der beliebten „Tante Dimity“ Reihe, die inzwischen über 20 Bände umfasst. Geboren und aufgewachsen in Chicago, reiste sie nach der Schule lange durch Europa, wo sie ihre Liebe zu England entdeckte. Nach langjährigem Nomadendasein lebt Nancy Atherton heute mit ihrer Familie in Colorado Springs.

NANCY ATHERTON

Aus dem Amerikanischen von Peter Pfaffinger

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Umschlaggestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Alvaro Cabrera Jimenez | Montreeboy

Illustration: Jerry LoFaro

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3498-2

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aunt Dimity: Detective« bei Penguin Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2001 by Nancy T. Atherton

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2006

by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für die Bürger von Bellflower,

gute Nachbarn allesamt

Kapitel 1

ALS DER MORD in Finch geschah, waren meine Familie und ich dreitausend Meilen weit entfernt. Das verschaffte uns ein »so gut wie wasserdichtes Alibi«, wie mein Mann, der Anwalt ist, es ausdrückte. Aufgrund der Tatsache, dass unsere Zwillinge noch nicht ganz zwei Jahre alt waren, konnte es darüber hinaus als sicher gelten, dass auch sie nichts mit der Tat zu tun hatten. Da ich andererseits laut Bill in der Lage war, alles irgendwie hinzukriegen, und das völlig unabhängig von Zeit und Raum, sah er sich gezwungen, mich doch noch als Verdächtige in Betracht zu ziehen. Mir war nicht so recht klar, ob ich mich angesichts seines grenzenlosen Glaubens an mich geschmeichelt fühlen oder entsetzt sein sollte.

Obwohl Bill und ich Amerikaner sind, lebten wir in England, genauer gesagt in einem honigfarbenen Cottage in der Nähe des Dörfchens Finch in den Cotswolds. Finch ist ein verschlafenes Nest auf dem Lande, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, eine Zuflucht für Rentner und in Ferienzeiten für Sommerfrischler aus der Stadt. Es ist ein friedlicher Ort, wo die Leute ein ruhiges Leben führen, kurz: genau das Richtige für uns. Bill leitete von seinem Büro am Dorfplatz aus die europäische Zweigstelle der ehrwürdigen Kanzlei seiner Familie, während ich mit Will, Rob und einer bei uns lebenden zuverlässigen englischen Kinderfrau das Haus hütete. Ein besseres Leben konnten wir uns einfach nicht vorstellen.

Doch wir hatten auf der anderen Seite des Atlantiks familiäre Verpflichtungen, sodass wir die ersten drei Monate des neuen Jahres drüben hatten verbringen müssen. Wir lebten bei Bills Vater im Familiensitz in Boston, einem echten Herrenhaus, wo uns Bills hochnäsige Tanten ein schwindelerregendes Besuchsprogramm auferlegten, wohl in der Absicht, die Zwillinge allen Wichtigtuern im noblen Bostoner Stadtteil Brahmin vorzustellen. Ich vergötterte meinen Schwiegervater, doch durch die Gesellschaft zu wirbeln, war wirklich nicht mein Ding. So war ich am Ende der drei Monate überglücklich, in mein Leben in Finch zurückzukehren.

Am Tag nach unserer Ankunft stand ich im Wohnzimmer und genoss den Anblick eines Aprilschauers, der gerade kräftig die Weißdornhecke abduschte, als die Frau des Pfarrers auf unserer Kiesauffahrt vorfuhr. Ich war wie immer hocherfreut. Lilian Bunting war eine schlanke Dame mittleren Alters, gebildet, liebenswürdig und als Beobachterin mindestens so scharfsichtig wie ein mit allen Wassern gewaschener Polizist. Wenn mich jemand auf den neuesten Stand von drei Monaten Klatsch in und um Finch bringen konnte, dann Lilian.

Ich empfing sie an der Haustür, nahm ihr den Schirm ab und wollte ihren Regenmantel aufhängen, doch sie lehnte ab.

»Ich kann nicht bleiben, Lori«, erklärte sie. »Ich muss wirklich gleich wieder zu Teddy zurück.«

»Ist der Pfarrer krank?«, fragte ich leicht beunruhigt.

»Nein, aber das wird er noch, wenn diese Angelegenheit nicht zügig aufgeklärt wird.« Lilian verschränkte nervös die Finger. »Das ist auch der Grund, warum ich gekommen bin. Ich muss Sie um einen Gefallen bitten. Ich hätte mich ja an Emma Harris gewandt, aber sie und Derek sind für ein paar Tage nach Devon gefahren.«

»Ach, dort sind sie also!« Emma Harris war meine nächste Nachbarin und engste Freundin in England. Bei meiner Rückkehr hatte ich eine Nachricht von ihr auf meinem Anrufbeantworter vorgefunden, doch als ich versucht hatte, zurückzurufen, war niemand drangegangen.

»Und am Telefon wollte ich Sie nicht um Hilfe bitten«, fuhr Lilian fort. »Ich wäre gar nicht mit so etwas zu Ihnen gekommen, wenn es nicht wegen Teddy wäre.«

Meine Unruhe wuchs. Lilian Bunting nahm es mit der Höflichkeit ganz genau, und doch hatte sie mich nach der langen Abwesenheit weder willkommen geheißen noch die obligatorischen Erkundigungen nach Bill und den Jungen angestellt. Ihr Haar war zerzaust, ihr Gesicht eingefallen und sie wirkte durcheinander, ja erschöpft.

Ich beugte mich vor. »Was ist los, Lilian?«

»Es ist wegen Nicky«, sagte sie. »Nicholas Fox, mein Neffe. Nicky ist ein Schatz, aber jetzt wird er für ganze zwei Wochen bei uns bleiben, und ich weiß einfach nicht, was ich mit ihm machen soll! Es gibt im ganzen Dorf niemanden in seinem Alter, und weil Teddy und ich morgen ziemlich lange beschäftigt sein werden, wollte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht ...« Sie sah mich mit flehendem Blick an.

»Bringen Sie Nicky ruhig zu mir«, sagte ich, ohne zu überlegen. »Den Jungen und mir fällt schon was ein, um ihn zu beschäftigen.« Als Mutter von Zwillingen war ich es gewöhnt, beträchtliches Chaos zu bewältigen. Die Aussicht darauf, ein zusätzliches Kind aufzunehmen, schreckte mich kein bisschen.

Lilian ergriff meine Hand. »Danke, Lori! Ich weiß ja, wie erschöpft Sie nach Ihrer weiten Reise sein müssen.«

»Ich fühle mich pudelwohl«, entgegnete ich. »Da wir mit der Concorde geflogen sind, ist Jetlag kein Thema für uns. Bill war nach der Ankunft so ausgeruht, dass er gleich beschlossen hat, bis Samstag in London zu bleiben und den ganzen Papierkrieg aufzuarbeiten.«

»Wunderbar.« Lilian strich sich das Haar glatt. »Dann kann ich Nicky beruhigt bei Ihnen lassen, solange Teddy und ich für eine Vernehmung zur Verfügung stehen müssen.«

»Vernehmung?«, fragte ich.

»Pure Zeitverschwendung«, erklärte Lilian mit fester Stimme. »Wir wissen doch bereits, wann, wo und wie die arme Frau ermordet wurde.«

»Ermordet?« Ich plapperte ihr schon wieder nach. So langsam kam ich mir wie ein Papagei vor.

Lilian sah mich erschrocken an. »Gütiger Himmel! Sie wissen es noch nicht?«

»Was weiß ich nicht?«

»Es hat einen Mord gegeben. Hier in Finch.«

Ich hatte mich doch bestimmt verhört. Die Worte »Mord« und »Finch« konnten doch unmöglich in einem Satz auftauchen, es sei denn mit dem Zusatz »Völlig ausgeschlossen!«. Finch war ein ländliches Paradies, kein städtischer Dschungel. Das letzte Verbrechen, das in dem Dorf verübt worden war, hatte im Diebstahl einiger obskurer Dokumente aus dem Büro des Pfarrers bestanden. Auf einer Verbrechensskala von eins bis zehn wurde eine derartige Tat nicht einmal mit erfasst. Mord bedeutete vor diesem Hintergrund eine Erschütterung vom Ausmaß eines verheerenden Erdbebens.

»M-Mord?«, stammelte ich und fügte überflüssigerweise hinzu: »Sind Sie sicher?«

Lilian zuckte die Schultern. »So sicher man nur sein kann. Die Polizei scheint zu glauben ...«

Ich fiel ihr ins Wort. »Wer?« Vertraute Gesichter zuckten so schnell an mir vorbei, dass mir fast übel wurde. »Wer ist ermordet worden?«

»Mrs Hooper«, antwortete Lilian.

»Pruneface?«, rief ich und zog sofort den Kopf ein, um Lilians tadelndem Blick zu entgehen. »Verzeihung. Mr Barlow hat sie so genannt, als er sie mir auf dem Dorfplatz gezeigt hat. Er schien sie nicht übermäßig zu mögen. Er sagte, ihr Gesicht wäre immer so verkniffen.«

»Prunella Hooper mag nicht allseits bewundert worden sein«, erwiderte Lilian steif, »aber in der Gemeinde Sankt Georg leistete sie wertvolle Hilfe. Ihre Blumendekorationen waren unnachahmlich, und sie war sich eben auch für untergeordnete Aufgaben nie zu schade. Teddy und mir war sie hochwillkommen als Neumitglied unserer Gemeinde.«

Ich zeigte mit einem beflissenen Nicken gebührende Zerknirschung. Im Grunde wusste ich ja kaum etwas über Prunella Hooper, weil sie erst kurz vor Weihnachten nach Finch gezogen war. Sie hatte das Crabtree Cottage von Peggy Taxman, der Postmeisterin und Inhaberin des Emporium, unseres hiesigen Gemischtwarenladens, gemietet. Mrs Hooper und ich waren einander nie offiziell vorgestellt worden und hatten nur im Vorübergehen flüchtig Artigkeiten ausgetauscht. Ich hatte sie als eine kleine, stämmige Frau fortgeschrittenen Alters in Erinnerung, die zu viel Make-up benutzte und ihr getöntes Haar auf altmodische Weise hochtoupiert trug.

»Wie wurde sie ermordet?«, fragte ich.

»Durch einen Schlag auf den Kopf mit einem stumpfen Gegenstand. Vor zehn Tagen in ihrem Cottage. Peggy Taxman hat sie kurz nach neun Uhr in der Früh gefunden. Sie lag in einer Blutlache direkt vor dem Wohnzimmerfenster, da wo ihre ganzen Blumen stehen ...«

»Die Geranien«, entfuhr es mir. Einen Moment lang überlegte ich, wer nun all die Hängepflanzen pflegen würde, die jedes Fenster im Crabtree Cottage bevölkerten.

In diesem Moment schlug die große Uhr im Flur. Lilian runzelte nervös die Stirn. »Seien Sie mir nicht böse, Lori, aber ich muss los. Mrs Hoopers Tod macht Terry schwer zu schaffen. Er ist im Moment wirklich nicht in der Lage, sich um meinen Neffen zu kümmern.«

»Bei mir ist er gut aufgehoben,« versicherte ich ihr. »Ich freue mich schon darauf, Nicky kennenzulernen, und die Zwillinge werden sicher viel Spaß mit ihrem neuen Spielgefährten haben.«

Lilian drückte mir dankbar die Hand, ergriff ihren Schirm und stürzte sich wieder in den strömenden Regen. Ich wartete, bis ihr Auto hinter der Hecke verschwunden war, dann lenkte ich meine Schritte zu unserem Wintergarten.

Es war ein unfreundlicher Apriltag, windig, nass und viel kälter als sonst um diese Jahrezeit, also genau einer von den Tagen, an denen ich gottfroh über den Wintergarten war, der sich über den ganzen hinteren Teil unseres Häuschens erstreckte und meinen Söhnen einen fast gleichwertigen Ersatz fürs Herumtollen im Freien bot, ohne dass gleich eine Lungenentzündung zu befürchten war. Dort widmeten sich Will und Rob jetzt gerade unter den wachsamen Augen ihres Kindermädchens hingebungsvoll dem Zerlegen einer Flotte von Spielzeuglastwagen, die ihnen ihr liebender Großvater in Boston geschenkt hatte.

»Annelise!«, rief ich in der Tür, »hast du einen Moment Zeit?« Sobald die junge Frau neben mir stand, fragte ich sie leise, ob sie wusste, dass es einen Mord in Finch gegeben hatte.

»Aber natürlich«, antwortete sie. »Mum hat es mir gleich am Tag danach erzählt.«

Annelise hatte uns nach Boston begleitet, hatte aber regelmäßig mit ihrer Familie telefoniert.

»Warum hast du Bill und mir nichts davon gesagt?«, wollte ich wissen.

»Mum hat gemeint, das würde euch nur den Urlaub verderben, und außerdem war es doch kein großer Verlust. Nicht schade um die alte Schreckschraube, sagt Mum.«

Ich starrte sie mit offenem Mund an. Eine warmherzigere junge Frau als Annelise konnte ich mir kaum vorstellen, und ihre Mutter war die Güte in Person. Gerade von diesen beiden hätte ich am allerwenigsten erwartet, dass sie so schlecht von einer Toten sprechen würden.

»Bist du da nicht etwas zu hart?«, fragte ich.

»Nicht annähernd so hart, wie sie es verdient hat. Niemand war über ihren Tod traurig, außer vielleicht die Buntings und Mrs Taxman, und die hatten ja keinen Schimmer!«

»Keine Schimmer wovon?«

»Von dem Unfrieden, den sie gestiftet hat.« Annelise verschränkte die Arme vor der Brust. »Es tut mir leid, aber mehr kann ich nicht sagen. Mum hat mir verboten, die üblen Gerüchte, die diese Frau in die Welt gesetzt hat, zu wiederholen und dadurch auch noch im Umlauf zu halten.«

Es war vergebliche Liebesmüh, ein Verbot unterlaufen zu wollen, das die Matriarchin des Sciaparelli-Clans verhängt hatte. So wandte ich mich einem weniger hoffnungslosen Unterfangen zu und begann, das Mittagessen zu kochen.

Zwei Stunden später stand ich auf der Kuppe des Pouter’s Hill und starrte durch den grauen Regenvorhang auf das Land hinaus, ohne wirklich etwas Bestimmtes erkennen zu können.

Der Pouter’s Hill ragte gleich hinter meinem Garten steil in die Höhe. Ihn zu erklimmen, war für mich bei jeder Heimkehr zu einem Ritual geworden. Es war meine Art, diese Landschaft nach einer längeren Trennung wieder zu begrüßen. Meistens empfand ich den Ausblick als beruhigend – den Flickenteppich aus Feldern, den Himmel, der nie derselbe war, die mit Schafen übersäten Hügel, doch diesmal brachte er mir keinen Seelenfrieden.

Ich schaffte es einfach nicht, die Erinnerung an meine erste Begegnung mit Prunella Hooper beiseitezudrängen, nicht an den Tag zu denken, an dem Mr Barlow sie mir auf dem Dorfplatz gezeigt hatte. Seine Kommentare hatten sich mir derart eingeprägt, dass ich sie Wort für Wort im Gedächtnis behalten hatte.

»Diese Sorte kenne ich schon«, hatte er geknurrt. »Vornerum tun sie dir mordsmäßig schön, und ehe du weißt, was los ist, rammen sie dir ein Messer in den Rücken. Hinterhältig und fies hat mein Dad solche Leute genannt, und er hatte eine Ahnung von der Welt. Ich kann Ihnen nur raten: Halten Sie sich von ihr fern. Frauen wie die säen Zwietracht, wo immer sie sind.«

Unwillkürlich grübelte ich darüber nach, ob Mr Barlows Worte prophetisch gewesen sein könnten. Hatte Mrs Hooper wirklich Zwietracht in Finch gesät? War es das, was Annelise mit »üblen Gerüchte« gemeint hatte? War eines dieser Gerüchte so niederträchtig gewesen, dass es am Ende eine derartig grausame Vergeltung ausgelöst hatte?

Hatte ein Dorfbewohner Pruneface Hooper ermordet?

Das schien höchst unwahrscheinlich. Es wäre doch reiner Wahnsinn, als Mitglied einer Gemeinschaft einen Mord zu begehen, hier, wo jeder jeden kannte und genau wusste, wer wen umbringen würde und wie er das anstellen würde – wenn er denn eine Gelegenheit dazu hätte.

Und doch hatte irgendjemand Prunella Hooper getötet. Jemand hatte ihr den Kopf eingeschlagen und sie sterben lassen, mitten unter den ungestüm sprießenden Topfgeranien, die vor dem Wohnzimmerfenster des Crabtree Cottage herabhingen.

Ich schauderte jäh, als ich mir vorstellte, wie sich die fröhlichen roten Blüten in der Blutlache spiegelten, dann drehte ich mich abrupt um und stapfte niedergeschlagen den schlammbedeckten Pfad hinunter, der mich nach Hause führen würde.

Ich hatte den Abstieg zur Hälfte bewältigt, als das Pferd vor mir auftauchte.

Kapitel 2

ER KAM AUS dem Nichts, ein mächtiger schwarzer Hengst, der wie ein führerloser Zug auf mich zujagte. Ich setzte dazu an, mich mit einem Sprung zur Seite zu retten, und vergaß in meiner Panik ganz, wie fest meine Regenstiefel im zähen Schlamm steckten. So sprang ich zwar, aber nur aus den Stiefeln, und schlug der Länge nach in einer gut durchmischten, breiigen Masse aus Laub vom Vorjahr und frischem Matsch auf.

Während ich noch benommen dalag und in einem verzweifelten Versuch, nach Luft zu schnappen, den Mund auf- und zuklappte wie eine gefangene Forelle, brachte der Reiter sein Tier zum Stehen, stieg ab und ließ sich neben mir auf die Knie sinken.

»Lori?«, rief er. »Mensch, Lori, bist du verletzt?«

Eine behandschuhte Hand berührte mich an der Stirn, und ich sah über mir die dunkelblauen Augen des Mannes, dem ich vor etwas mehr als einem Jahr das Leben gerettet hatte.

Bei unserer ersten Begegnung war Christopher Anscombe-Smith unrasiert, zottelhaarig, halb verhungert gewesen und in Lumpen gehüllt gegangen.

Seitdem hatte er sich gewaltig verändert.

Das lag nicht zuletzt daran, dass er auf Anscombe Manor, dem an mein Grundstück grenzenden Anwesen, eine feste Anstellung als Stallmeister gefunden hatte. Er lebte dort in einer spärlich eingerichteten Wohnung gegenüber den Ställen. Er hatte sich den Bart abrasiert, das vorzeitig ergraute Haar kurz schneiden lassen, die Lumpen gegen eine strapazierfähige Arbeitskluft getauscht, und seine nur aus Haut und Knochen bestehende Gestalt hatte einiges an Fleisch und Muskeln aufgebaut. Sein Gesicht – sein ungewöhnlich schönes Gesicht –, das früher eingefallen und blass gewesen war, strahlte jetzt Gesundheit aus, und zwar aus jeder Pore. Der freundliche Teil von mir freute sich, ihn so gut erholt zu sehen.

Der Rest von mir hätte ihn am liebsten erdrosselt.

»Kit!«, keuchte ich. »Bist du wahnsinnig? Du hättest mich umbringen können!«

»Lieber würde ich mich selbst umbringen«, murmelte er und zog den Reißverschluss seiner Regenjacke auf. »Hast du dir wehgetan?«

»Mir geht’s prima!« Ich stemmte mich hoch, bis ich aufrecht saß, und holte Luft. »Es gibt nichts, was ich lieber täte, als mich in eiskaltem Matsch zu wälzen.«

Kit wickelte mich in seine Jacke und half mir auf meine nur noch mit Strümpfen bekleideten Füße. Ich zuckte wie elektrisiert zusammen, als der Schlamm durch die dünne Stoffschicht drang und meine Haut eisig umschloss.

»Kann ich bitte meine Stiefel haben?«, fragte ich zähneklappernd.

»Ich binde sie an den Sattel«, brummte Kit. »Es ist besser, wenn ich dich nach Hause bringe.«

»Auf Zephyr?« Voller Misstrauen beäugte ich das Pferd. »Danke, aber ich gehe lieber zu Fuß.«

»So holst du dir den Tod!« Kit barg meine Regenstiefel und drehte das Pferd zu mir herum. »Bitte widersprich mir nicht, Lori. Ich fühl mich auch so schon schlimm genug.«

»Aber ...«

Doch Kit erstickte meinen Protest im Keim, indem er mich in die Luft hob und auf den Rücken des Pferdes verfrachtete, auf dem ich bedenklich schwankte, bis er hinter mir aufstieg und mir die Arme um die Taille schlang.

»Lehn dich zurück«, wies er mich an. »Ich lass dich schon nicht fallen. Ruhig jetzt, Zephyr ...«

Zephyr fiel nun tatsächlich in einen ruhigen Schritt, und Kit hielt mich mehr oder weniger aufrecht, was allerdings nichts daran änderte, dass der Ritt bergab zu einer Strapaze ausartete. Ich war auch unter idealen Umständen eine erbärmliche Reiterin, und das steile Gelände forderte seinen Tribut, indem es selten benutzte Muskeln meines Körpers zu Höchstleistungen zwang, um zu verhindern, dass ich aus dem Sattel rutschte. Als Kit den Hengst am Apfelbaum in meinem Küchengarten festband, war ich mir sicher, dass ich nie wieder würde gehen können.

Ich war auch schon drauf und dran, von Kit zu fordern, dass er mich ins Haus trug, doch dann bemerkte ich, dass Will und Rob uns vom Wintergarten aus mit weit aufgerissenen Augen beobachteten. Also zwang ich mich zu einem fröhlichen Lächeln, ließ mich vorsichtig aus dem Sattel gleiten und humpelte auf meinen eigenen, halb abgefrorenen Füßen zum Cottage.

»Ich begleite dich hinein«, bot Kit an. »Und dann reite ich weiter.«

»O nein, das wirst du nicht!« Ich packte ihn am Ellbogen. »Glaubst du etwa, ich lasse zu, dass du weiter auf die arglose Öffentlichkeit losgehst? Du bist eine Gefahr für dich selbst und für alle anderen!« Ich verstärkte meinen Griff. »Du kommst jetzt mit rein, damit du dich aufwärmen und trocknen kannst, und verlässt das Haus so lange nicht, bis du mir gesagt hast, was hier eigentlich los ist!«

Kit sah weg. »Wie kommst du darauf, dass irgendetwas los ist?«

Ich blitzte ihn an. »Sehe ich so dumm aus, oder was? Du bist wie ein Besessener da raufgaloppiert. Und du reitest sonst nie wie ein Besessener. Ergo: Irgendwas muss passiert sein.« Ich versuchte, mir das nasse Haar aus den Augen zu wischen, verschmierte mir dabei aber nur die Stirn mit Schlamm und stieß einen langen, gequälten Seufzer aus. »Außerdem bekommst du schon blaue Lippen. So kann ich dich unmöglich weiterreiten lassen. Bring also Zephyr gefälligst in den Schuppen und komm dann rein.«

Nach kurzem Zögern führte Kit den Hengst um das Haus herum in den Schuppen, wo er alles finden würde, was er benötigte, um das Pferd vorläufig zu versorgen.

Ich sah den beiden nach, dann patschte ich ins Haus, wo mich meine liebenden Söhne mit einer Lachsalve begrüßten. Eine schmutzstarrende, klatschnasse und noch dazu humpelnde Mutter war offenbar genau der Anblick, der Kleinkinder verzückte.

Annelise sah mich kurz an, dann lief sie los, um gleich darauf mit den Armen voller Handtücher zurückzukehren.

Es wurde schon dunkel, als Kit und ich uns zum Essen an den Tisch setzten. Da die Jungen bereits im Bett lagen und Annelise zu ihrer Mutter nach Hause gegangen war, hatten wir die Küche nun für uns. Kit hatte seine nassen Kleider gegen ein Flanellhemd und eine weite Jogginghose getauscht, die zuletzt die viel kräftigere Gestalt meines Mannes geziert hatte. Ich selbst war in Jeans, einen Pullover und meine dicksten Wollsocken geschlüpft.

Nachdem ich Kits Reitmontur in die Waschmaschine gesteckt hatte, rief ich Bill an, um ihn kurz über den allzu ereignisreichen Tag zu informieren. Er zeigte sich erwartungsgemäß entsetzt über den Mord, erleichtert über den glimpflichen Ausgang meiner Begegnung mit Zephyr – wenn man von meiner verletzten Würde absah – und genauso schockiert wie ich über Kits Leichtsinn. Dass ich fest entschlossen war, herauszufinden, was Kit auf der Seele lag, wunderte ihn kein bisschen.

»Du bist eben sein guter Engel«, meinte er. »Und er braucht weiß Gott einen.«

Engelhaft kam ich mir bestimmt nicht vor, als ich zwei Schalen mit Gerstensuppe füllte. Ich war steif und zerschlagen und ging davon aus, dass bestimmte Teile meines Körpers am nächsten Morgen grün und blau sein würden.

»Ich hab eine Nachricht für die Harris in ihrem Hotel in Devon hinterlassen.« Zum ersten Mal, seit wir uns in die Küche gesetzt hatten, machte Kit den Mund auf. »Damit sie wissen, wo ich bin, falls sie bei mir anrufen sollten.«

Emma und Derek Harris, Kits Arbeitgeber, waren die Eigentümer von Anscombe Manor. Sie lebten dort zusammen mit ihren halbwüchsigen Kindern Peter und Nell.

»Prima Idee. Es wäre wirklich nicht gut, wenn sie sich Sorgen machten.« Ich legte die Schöpfkelle beiseite und deckte den Suppentopf wieder zu. »Nicht, dass hier irgendein Grund zur Sorge besteht.«

»Lori ...«

»Iss deine Suppe.« Ich stellte die randvollen Schüsseln auf den Tisch und schob einen Teller mit belegten Brötchen zu ihm hinüber. »Ich darf einem hungrigen Mann keine Löcher in den Bauch fragen. Das wäre ein Verstoß gegen die Genfer Konvention.«

Es wäre freilich auch ein Verstoß gegen mein Gewissen gewesen. Egal, wie gesund Kit jetzt auch wirkte, ich würde nie so ganz den halb verhungerten kranken Fremden vergessen können, der vor etwas mehr als einem Jahr auf der Auffahrt zu meinem Haus zusammengebrochen war. Selbst jetzt hatte er noch etwas Zerbrechliches an sich, eine Verletzlichkeit, die die Löwin in mir auf den Plan rief. So verärgert ich im Moment auch über ihn war, nie würde ich zulassen, dass er noch einmal hungerte. Und wäre jemals jemand so dumm, Kit etwas anzutun, würde ich denjenigen mit dem größten Vergnügen zerfleischen.

Kit aß mechanisch, pflichtschuldig, als wollte er vor allem mir eine Freude machen und nicht so sehr seinen Hunger stillen. Ich ließ ihn in Ruhe, doch sobald die leeren Teller in der Spüle standen, kehrte ich zu dem Thema zurück, das mir die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen war.

»Bill ist in London«, erklärte ich, den Blick unverwandt auf sein Gesicht gerichtet. »Und Annelise ist bei ihrer Mutter. Das heißt, wir sind ganz allein, mein Lieber. Du kannst mir also getrost reinen Wein einschenken. Verrat mir, warum du wie ein Henker den Pouter’s Hill raufgaloppiert bist.«

Kit hatte die Unterarme auf die Tischplatte gelegt, und seine grazilen, langfingrigen Hände ruhten aufeinander. »Diesmal glaube ich nicht, dass du mir helfen kannst, Lori. Das kann wohl niemand.«

»Aber ich kann es versuchen.«

Eine schiere Ewigkeit blieb er stumm, bis seine Augen plötzlich aufblitzten und er die Fäuste ballte. »Es ist diese Hooper!«, stieß er hervor. »Wenn ich gewusst hätte, was für einen Schaden sie anrichtet, hätte ich sie eigenhändig umgebracht!«

Kapitel 3

PLÖTZLICH HÄMMERTE MEIN Herz wie wild gegen den Brustkorb. »Du ... du hast doch nicht ...«, stammelte ich. »Du hast sie doch nicht umgebracht?«

»Nein, und das ist wirklich zu schade.« Kit drosch mit der Faust auf den Tisch. »Aber wenn sie den Mann, der es war, je erwischen, bin ich der Erste, der ihm die Hand drückt.«

Noch nie zuvor hatte ich Kit zornig gesehen. Ich hatte mir gar nicht vorstellen können, dass er je in Wut geraten würde, doch jetzt belehrte mich sein Gesichtsausdruck eines Besseren. Er kochte. Einen kurzen Moment lang empfand ich fast so etwas wie Ehrfurcht vor Mrs Hooper. Eine Frau musste schon übernatürlich gemein sein, wenn sie einen so sanften Menschen wie Kit derart in Rage bringen konnte.

»Kit«, fragte ich vorsichtig, »was hat Mrs Hooper denn getan, um dich so zu verärgern?«

Er stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus, dann sah er mir fest in die Augen. »Mrs Hooper ist schuld daran, dass Nell Harris mir ihre Liebe erklärt hat.«

Ich prustete los, bevor ich es mir verkneifen konnte. »Nell glaubt, dass sie in dich verliebt ist? Was ist so schlimm daran?«

»Alles!«, knurrte Kit. »Wenn eine Fünfzehnjährige einem vierzig Jahre alten Mann nachstellt, geht man normalerweise davon aus, dass er auch was getan hat, um sie dazu zu ermutigen. Immer wenn ich mich im Dorf blicken lasse, empfangen mich die Leute entweder mit einem komplizenhaften Zwinkern, oder sie decken mich mit einem Sperrfeuer aus giftigen Blicken ein. Es ist die reinste Hölle!«

Seine Worte ernüchterten mich. Jemand, der seine Intimsphäre so sorgsam hütete wie Kit, musste derartig viel öffentliche Aufmerksamkeit als Spießrutenlauf empfinden. Andererseits war auch mir klar, dass seine Lebensweise zu Spekulationen förmlich einlud.

Kit war ein Einzelgänger, lebte außerhalb des Dorfes und arbeitete größtenteils völlig selbstständig. Er war alleinstehend, sah blendend aus, und doch hatte er keine Verlobte oder feste Freundin. Andererseits wusste jeder, dass er viel Zeit gemeinsam mit Nell verbrachte, die Pferde nicht weniger liebte als er. Kurz und gut, mein Freund war der Traum aller Lästerzungen.

»Woher weißt du, dass das Mrs Hoopers Schuld war?«, setzte ich nach.

»Von Nell. Sie hat mir gestanden, dass sie mir ihre Liebe erst an ihrem sechzehnten Geburtstag erklären wollte, aber dass Mrs Hooper sie dann bedrängt hat, es mir gleich zu sagen. Gott steh mir bei! Danach habe ich erfahren, dass Mrs Hooper Nells Absichten unter den schlimmsten Tratschtanten in ihrer Nachbarschaft verbreitet hat – natürlich aus purer Sorge um Nells Wohlergehen, du verstehst schon.«

Wie Schuppen fiel es mir jetzt von den Augen. Das also hatte Annelise mit »üblen Gerüchten« gemeint. Ein paar geflüsterte Anspielungen, wohldosiert und an der richtigen Stelle eingeflochten, hatten anscheinend genügt, um Kit selbst vor Menschen, die ihn überhaupt nicht kannten, als Raubtier zu brandmarken.

»Nell ist in mich verknallt, seit ich bei den Harris angefangen habe«, fuhr Kit fort, »nur hab ich das am Anfang nicht gemerkt. Ich dachte immer, sie würde die Arbeit mit Pferden genauso mögen wie ich.«

»Nell liebt Pferde wirklich«, hielt ich ihm vor.

»Und mich offenbar auch«, brummte Kit.

Ich stützte das Kinn auf der Hand ab und musterte ihn verwirrt. »Warum hat Nell überhaupt auf Mrs Hooper gehört?«

»Mrs Hooper konnte sehr einnehmend sein«, meinte Kit. »Wenn es ihren Zwecken diente, konnte sie ihren ganzen Charme rauskehren und sehr überzeugend sein.«

»Den Pfarrer und seine Frau hat sie jedenfalls um den Finger gewickelt«, bestätigte ich. »Nun ja, die Buntings gelten im Ort viel. Sie haben hohes Ansehen und Einfluss. Aber was hat sie sich davon versprochen, als sie sich an Nell ranmachte?«

»Rache.« Kit fuhr sich mit der Hand durch das kurze Haar. »Ich hab ihren Enkel nicht auf Zephyr reiten lassen. Sie war mal mit diesem verzogenen Fratz, der genauso breit wie hoch ist, bei mir im Stall und hat verlangt, dass er auf meinem Pferd einen Ausritt machen darf.«

»Hatte sie noch alle Tassen im Schrank?«, rief ich. »Zephyr hätte den Kleinen doch gleich abgeworfen!«

»Genau das habe ich Mrs Hooper auch gesagt, und sie schien es auch zu verstehen. Beim Abschied lächelte sie mich honigsüß an und wünschte mir alles erdenklich Gute. Und eine Woche später – an Heiligabend – ist Nell zu mir gekommen und hat mir diese lächerliche Liebeserklärung gemacht. Ich kann mir nur vorstellen, dass das zu ihrer Rache gehörte.« Kit verdrehte stöhnend die Augen gen Himmel. »Wenn das nicht grotesk ist, Lori! Selbst wenn ich an einer Beziehung interessiert wäre – was nicht der Fall ist –, würde ich doch keine mit einem Kind anfangen!«

»Einem Kind?«, wiederholte ich nachdenklich. Nun, dieses Wort wäre mir zu Emma Harris’ Stieftochter nicht unbedingt als Erstes eingefallen.

Lady Eleanor Harris war keiner von den üblichen linkischen Backfischen. Sie war groß, geschmeidig und von einer zarten Schönheit wie Eisblumen an einer Fensterscheibe. Ihre Augen hatten die Farbe des mitternächtlichen Himmels, und ihre goldenen Locken schienen selbst an wolkenverhangenen Tagen wie unter Sonnenstrahlen zu leuchten. Sie war anmutig, liebenswürdig, blitzgescheit und selbstsicher genug, um sich jedem Erwachsenen gegenüber behaupten zu können.

Nell hatte eine offene Art, die sie für das ungeübte Auge kindlich wirken ließ, doch wer sie besser kannte, musste über kurz oder lang einsehen, dass sie reifer war, als ihre Jahre ahnen ließen.

»Um Himmels willen, sie geht doch noch zur Schule!«, ereiferte sich Kit. »Ich würde nie und nimmer ...«

»Du nicht, das weiß ich doch«, beruhigte ich ihn.

Kit schnitt eine Grimasse. »Und dann schickt sie mir diese Liebesbriefe. Leidenschaftliche. In parfümierten Umschlägen. Peggy schaut mich immer ganz giftig an, wenn ich einen Fuß in ihren Laden setze.«

»Armer Kit.« Ich gab mir alle Mühe, nicht zu grinsen.

»Das ist überhaupt nicht lustig!«, schimpfte Kit, der mich durchschaut hatte.

»Das weiß ich doch, ehrlich.« Ich tätschelte ihm die Hand. »Aber ich fürchte, dir wird nichts anderes übrig bleiben, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Nell wird aus dieser Schwärmerei herauswachsen, das garantiere ich dir.«

»Und bis dahin?« Kits sanft geschwungener Mund war zu einem Strich zusammengepresst. »Ich dachte schon, die Sache wäre im Sande verlaufen, aber diese Woche habe ich drei anonyme Anrufe bekommen. Heute Morgen wollte irgend so ein Arsch wissen, ob er mir dabei helfen kann, junge Stuten einzureiten.«

»Deswegen also warst du heute so geladen und bist wie ein Irrer den Pouter’s Hill raufgeprescht!«

»Ich war stinksauer. Dabei bin ich sonst wirklich friedfertig, das weißt du.« Kit senkte die langen Augenlider und holte mit zitternden Nasenflügeln Luft. »Lori«, sagte er dann, »ein Rennstall in Norfolk hat mir eine Stelle angeboten. Ich überlege ernsthaft, ob ich ...«

»Nein!«, fiel ich ihm ins Wort. »Auf keinen Fall!«

»Aber Lori ...«

»Du gehst nirgendwo hin, Kit!«, beschied ich ihn streng. »Du liebst Anscombe Manor, du liebst deine Arbeit, du liebst deine Freunde hier, und sie lieben dich. Das alles gibst du doch wegen einer gehässigen Frau und eines liebestollen Mädchens nicht einfach auf!«

Kit hob hilflos die Arme. »Sonst weiß ich keinen Ausweg mehr.«

»Du wirst doch für dich selbst einstehen können!«, sagte ich ärgerlich. »Glaubst du, du bist der Erste, der hier ins Gerede gekommen ist? Tratsch gedeiht in Finch genauso gut wie Klee.«

»Aber ein Mann in meiner Stellung ...«

»Glauben denn Emma und Derek, dass du ein Techtelmechtel mit ihrer Tochter hast?«

»Wäre ich dann noch bei ihnen beschäftigt?«

»Eben«, sagte ich trocken. »Ich vertraue dir, Bill vertraut dir, und Nells Eltern vertrauen dir. Die Einzigen, die dir nicht vertrauen, sind diejenigen, die dich nicht kennen, und die können dich doch samt und sonders gernhaben.« Ich schlug mit der Handfläche auf den Tisch. »Einschließlich und insbesondere Peggy Taxman. Soll sie doch in den Fluss springen, wenn ihr was nicht passt!«

Kits dunkelblaue Augen flackerten, und langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Das würde einen schönen Spritzer geben.«

Ich verlor den Faden, dann begriff ich und erwiderte sein Grinsen. »Stimmt, da hätte das Wasser nicht mehr viel Platz.«

Kits Grinsen wurde noch breiter. »Der Anblick würde sich lohnen.«

»Darauf kannst du Gift nehmen.« Ich berührte ihn am Arm. »Dass du mir bloß nicht noch mal daran denkst, nach Norfolk zu gehen, okay?«

»Das würde ich im Leben nicht wagen.« Kit sah abrupt auf, als eine Windböe den immer noch herabprasselnden Regen gegen das Fenster über der Spüle peitschte.

Meine Augen folgten den seinen. »Bis morgen wird der Sturm sich wohl beruhigt haben. Bleib über Nacht hier.«

»Ich kann nicht.« Kit gab einen müden Seufzer von sich. »Jetzt wo Emma und Derek in Devon sind, ist niemand da, der die Pferde am Morgen versorgt.«

»Dann rufe ich Annelises Bruder an. Lucca hat doch schon mal geholfen. Er kennt sich mit Pferden aus.« Ich legte meine Hand auf die von Kit. »Bleib hier. Ich beziehe dir das Sofa.«

»Na gut. Ich hab mich ohnehin nicht auf den Heimritt gefreut. Vorhin hat mich die Wut warm gehalten, aber jetzt ist mein Zorn verraucht, warum, das weiß allein der Himmel.« Er wickelte seine langen Finger um die meinen. »Du hast mir gefehlt, Lori. Ich hab dein mitreißendes Lachen vermisst.«

»Ich hab dich auch vermisst.« Ich drückte seine Hand etwas fester, um ihn aufzumuntern. »Und das mit dem Zorn kannst du mir überlassen, Kit. Darin bin ich viel besser als du.«

»Ich schaue nur noch kurz bei Zephyr rein, und dann sehe ich zu, dass ich früh ins Bett komme.« Kit ließ sich zurücksinken und massierte sich das Gesicht. »Seit Weihnachten hab ich nicht mehr ordentlich geschlafen.«

Ich bemerkte die dunklen Ringe unter seinen großen Augen. Plötzlich spürte ich den Drang, ihn zu beschützen wie eine Löwin ihre Jungen. Kit war so lieb und gut und völlig hilflos. Er hatte Mrs Hoopers Enkel vor Schaden bewahrt, und sie hatte ihm das mit einem hinterhältigen Anschlag auf seinen Ruf vergolten.

Wäre sie in diesem Moment in meine Küche spaziert, hätte ich nur schwer der Versuchung widerstehen können, nach dem nächsten stumpfen Gegenstand zu greifen.

Kapitel 4

DER STURM WÜTETE die ganze Nacht lang, doch bei Tagesanbruch hatte er sich ausgetobt. Die Sonne stieg über einer glitzernden Welt aus Pfützen und mit Regen benetzten Hecken auf. Die Luft war frisch, der Himmel schimmerte blau, und nur noch ein paar verlorene Wolkenfetzen erinnerten daran, dass am Vortag ein Unwetter übers Land gezogen war. Der April in den Cotswolds war alles Mögliche, nur nicht beständig.

Kit schlummerte noch, als Annelise und ich die Jungen zum Frühstück nach unten brachten. Will und Rob waren begeistert und drohten schon, das Sofa zu belagern, doch es gelang mir, sie mit getoastetem Mohnbrot und einem Ausflug zum Schuppen abzulenken, wo ich Zephyr fütterte. Danach beschäftigte ich sie in der Küche mit Brotbacken. Auf keinen Fall sollten sie Kit aus seinem ersten richtigen Schlaf seit Weihnachten reißen.

Kit war noch immer tot für die Welt, als um halb elf das Schrillen der Türklingel die Ankunft von Lilian Bunting und ihrem Neffen ankündigte. Mit gemischten Gefühlen trottete ich zur Tür. Ich konnte nur hoffen, dass der kleine Nicky einigermaßen gut erzogen war. Auf keinen Fall wollte ich, dass er Kits Ruhe störte. Kurz schaute ich ins Wohnzimmer, um einen Blick auf Kits schlummernde Gestalt zu werfen, dann öffnete ich die Vordertür.

Auf dem mit Steinplatten gefliesten Weg stand mir ein Mann in schwarzem Trenchcoat gegenüber. Er war Mitte dreißig, gut einen halben Kopf größer als ich und schmal gebaut. Sein hellbraunes, von leuchtend goldenen Strähnen durchzogenes Haar fiel von einem strengen Mittelscheitel in kräftigen Locken fast bis auf die Schultern hinab, als schämte er sich, seine Ohren zu zeigen, oder als wäre er seiner Hippiejugend immer noch nicht entwachsen. Er hatte ein kantiges und nicht gerade schönes Gesicht mit markantem Kinn und einer Nase, die dem Anschein nach mehr als einmal gebrochen worden war, doch die Augen, eine schimmernde Türkisschattierung durchwirkt mit Blau und Gold, waren sehr anziehend. Sie lächelten bereits, ehe der Mund es ihnen gleichtat.

»Hallo«, sagte er. »Ich bin Nicholas Fox. Sie haben mich erwartet, nehme ich an?«

»Nicky?« Ich blinzelte ihn verdattert an.

»Nicholas bitte. Den ›Nicky‹ habe ich mit Ende der Grundschule hinter mir gelassen.«

»Aber ... Sie sind ja gar kein Kind«, stammelte ich.

»Das war ich mal«, erwiderte er fröhlich. »Und gelegentlich wird mir vorgeworfen, ich würde mich wie eins verhalten. Wollen Sie eine Kostprobe?«

Lachend bat ich ihn, einzutreten. »Verzeihen Sie das Missverständnis«, erklärte ich, während ich die Tür hinter ihm schloss. »So, wie Lilian von Ihnen gesprochen hat, habe ich gedacht, Sie wären ein kleiner Junge.«

»Die liebe Tante Lilian«, schmunzelte er. »Für sie werde ich immer Nicky sein. Und Sie sind Lori Willis, nehme ich an.«

»Lori Shepherd«, verbesserte ich ihn. »Willis ist der Nachname meines Mannes, nicht meiner, aber wir können das Ganze vereinfachen und bei Lori bleiben.«