Tausend Widerworte und ein Kuss zur Liebe - Carmen Ullrich - E-Book
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Tausend Widerworte und ein Kuss zur Liebe E-Book

Carmen Ullrich

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Beschreibung

Jamal - ältester Sohn des Emirs von Bhakem - kommt ums Leben und hinterlässt Geheimnisse, denen Maher, sein jüngerer Halbbruder auf der Spur ist. Dabei begegnet er Anastasia und erkennt, dass sie diejenige ist, die Qamar ihm vorausgesagt hat. Wird es ihm gelingen sie zu erobern, obwohl sie sich mit Händen und Füßen wehrt und die zwei Kinder in ihrer Obhut versucht zu schützen?

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Impressum

Prolog

Anastasia Papadoupoulou stand mit versteinertem Blick am Grab ihrer Schwester Michaelia. Ihre Nichte Theodora und ihr Neffe Theodoros - beide acht Jahre alt - klammerten sich an sie. So war es schon immer gewesen, kaum dass die beiden damals zur Welt gekommen waren. Michaelia hatte sich lieber mit ihrem Geliebten Jamal vergnügt, der zwar finanziell für die Kinder aufgekommen war aber sich sonst auch eher selten mit ihnen abgegeben hatte.

Theo und Thea - wie die beiden Kinder immer liebevoll genannt wurden - waren bei ihrer Tante aufgewachsen. Anastasia war Modedesignerin mit Diplom von der AKTO und arbeitete in einer Firma die exklusive teils Einzelteile aus Leder herstellte, oft nach persönlichen Kundenwünschen. Sie hatte daher zwar nie so viel Zeit wie sie den beiden gern gewidmet hätte, doch die zwei liebten "Tante Ana" umso herzlicher.

Der Tod ihrer Eltern ließ sie seltsam unberührt - Theodora hätte es in ihrem Alter vielleicht noch nicht so ausgedrückt, aber sie fragte sich, warum Tante Ana mit ihr und ihrem Bruder auf dem kleinen Dorffriedhof stand und sie dem orthodoxen Geistlichen zuhören musste, der über dem Grab das Weihrauchfass schwenkte und aus der Bibel predigte - zudem noch auf Altgriechisch, was kaum jemand verstand. Die Frau, die beerdigt wurde verband sie nicht mit dem Wort "Mutter" oder einem zärtlichen "Mama". Mama war immer Tante Ana gewesen, auch wenn sie beide sie nie so nannten.

"Können wir nach Hause?" fragte Theodoros seine Tante leise. "Mir ist kalt und es ist langweilig und sie hat sich doch eh nie für uns interessiert. Papa vielleicht ab und zu mal, wenn er da war, aber der liegt hier ja nicht." "Nein, den haben die ja weggeholt. Mit uns wollten die ja nichts zu tun haben." Theodoras Bemerkung klang bitter.

Anastasia drückte die beiden tröstend an sich. "Wir müssen dann noch in den Gemeindesaal und dieses Kaffeetrinken über uns ergehen lassen. Und dann essen wir noch etwas von Tante Despinas Fischsuppe und danach können wir dann nach Hause nach Athen."

"Wieso haben die Papa weggeholt und Mutter zurückgelassen?" fragte Theodora. Anastasia erschrak innerlich ein wenig. Ihre Nichte war für ihr Alter ein wenig zu erwachsen. "Wahrscheinlich wussten die von eurer Mama nicht." murmelte sie und wusste, dass es eine fromme Lüge war, denn die Verwandten von Jamal bin Abdullah Qadir hatten sehr wohl von Michaelia gewusst, doch ihre Schwester hatte auf Bitten ihres Geliebten die Existenz der beiden Kinder geheim gehalten und sich oft genug bei ihr ausgeweint, dass die Familie von Jamal sie nie akzeptieren würde. Anastasia war das recht gewesen. Sie hatte ihre Schwester sogar noch darin bestärkt die zwei gegenüber der Familie in den Emiraten zu verschweigen indem sie ihr wohlüberlegt kleine Horrorgeschichten erzählte. Anders als Michaelia wusste sie nämlich sehr gut, dass im Orient das Recht an jeglichen Kinder beim Mann und seiner Familie lag und die Mutter kaum Rechte hatte. Theodora und Theodoros waren außerdem das Einzige gewesen - das hatte offenbar auch ihre Schwester begriffen - was Jamal immer wieder zurückkehren ließ.

Innerlich angewidert dachte Anastasia an die vielen Zeitungsberichte aus der Klatschpresse. "Jamal der Partyprinz mit seinem Harem" hatte eine Überschrift gelautet. "Jamal und Filmsternchen Paloma Flores - wird sie seine Prinzessin?" die Nächste. Wenn der eine Prinz schon so ein Playboy ohne Verantwortungsgefühl war, konnte seine Verwandtschaft kaum besser sein. Sie hatte alles versucht um die Bilder und Berichte über Jamal von den Kindern fern zu halten. Die beiden wussten nicht einmal, dass ihr Vater der Sohn eines Emirs war, geschweige denn irgendeinen Nachnamen. Gerade mal, dass er aus Bhakem, einem kleinen reichen Emirat kam, das wussten die beiden, denn ihr Vater hatte ihnen oft von seiner Heimat vorgeschwärmt. Aber da er ihnen auch gesagt hatte, dass ihr Großvater und ihre Onkel und Tanten sie nicht sehen wollten, hatten die beiden Kinder schon früh für sich beschlossen, dass sie dann diesen Großvater, diese Onkel und Tanten ebenfalls nicht kennen lernen mussten.

Anastasia würgte pflichtschuldig die Tasse Kaffee und die dazu gereichten süßen Mandeln im Gemeindesaal hinunter, während die wenigen Verwandten, Freunde und "Schaulustigen", die an der Beerdigung teilgenommen hatten, leise kondolierten oder sich mitleidig darüber ausließen, dass Michaelia ihrer Schwester nun wirklich keinen Gefallen getan hatte. Die zwei Kinder seien doch sicher eine Belastung und gedankenlos wie die lebenslustigere Ältere der Papadoupoulosschwestern schon immer gewesen sei, habe sie doch sicher keine Vorkehrungen getroffen um die beiden abzusichern.

"Wir kommen zurecht, sind wir bisher immer!" erklärte Anastasia einer besonders hartnäckigen besserwisserischen Nachbarin ihrer inzwischen hauptsächlich in Deutschland lebenden Eltern. Die waren nicht anwesend. Der Tod ihrer älteren Tochter hatte das Paar mitgenommen und beim Vater einen Herzinfarkt ausgelöst. Unter Tränen hatte ihre Mutter Anastasia um Entschuldigung gebeten, dass nun die ganze Verantwortung für Michaelias Beerdigung auf ihren Schultern lastete und sie keine Unterstützung von ihren Eltern haben würde. Anastasia hatte ihre Mutter beruhigt. Das geheuchelte Mitleid hinter dem sich lediglich Neugier versteckte, weckte die kalte Wut in ihr. Sie ging zu ihrer Tante Despina, die ihr in mütterlicher Anteilnahme zur Seite gestanden hatte, umarmte sie, dankte ihr und eilte dann mit den Kindern zu ihrem Jeep mit dem sie aus Athen gekommen waren.

Erschöpft schliefen die beiden auf dem Rücksitz ein, während Anastasia sich während der Fahrt Gedanken darüber machte wie sie ihre kleine Familie - denn das waren Theodora und Theodoros für sie - in Zukunft würde durchbringen können. Bisher hatte der Vater der beiden die meisten Kosten bestritten, ab und zu - wenn Michaelia allein war und keine Lust verspürt hatte die beiden um sich zu haben, waren sie schon bei ihr, Anastasia, gewesen, aber Kleidung und ähnliches war immer besorgt worden und die meisten Mahlzeiten hatte Michaelia aus irgendwelchen Restaurants liefern lassen und so hatten die beiden nur selten bei ihrer Tante gegessen...

Kapitel 1

Prinz Karim saß besorgt am Krankenbett seines Vaters. "Ich weiß, dass Bhakem in guten Händen sein wird, mein Sohn." sagte der Emir ruhig und gelassen mit schwacher Stimme. Der Kronprinz lächelte traurig. "Und Georgina wird eine sehr beliebte Königin werden. Die meisten Frauen unseres Landes sehen zu ihr auf. Sie ist elegant, klug und hilft dir dich selbst nicht immer zu ernst zu nehmen." Er lachte leise. "Du hast dir eine wunderbare Frau ausgesucht." Karim lächelte zärtlich als er an seine Georgina dachte. "Ja, das habe ich..." murmelte er. "Übrigens kommen Zaki und Diana morgen." Der Emir seufzte. "Du hast den beiden Bescheid gesagt..." "Natürlich, es wird Zeit, dass mein Bruder langsam seine Pflicht erfüllt und ein Ministeramt übernimmt und da meine Frau mir mehr und mehr zur Seite steht, wird meine Schwägerin gefälligst das Amt der Ministerin für Frauen und Familie übernehmen! Auch wenn Henry Clyvedon Zaki vor einigen Jahren adoptiert hat, Vater, Zaki ist immer noch - wenn dem Namen nach zwar nicht mehr dein Sohn so doch ein Sohn von Bhakem!" Karim klang entschlossen. "Sei nicht so streng mit ihm." mahnte der Emir. "Komm, er hatte lange genug Zeit sich auszutoben! Henry hat ihn dazu erzogen die Güter in England zu verwalten also kann er das in ähnlichem Rahmen auch in Bhakem als Wirtschaftsminister tun! Immerhin hat er in England auch genug Zeit gehabt sich seinem Hobby zu widmen. Soweit ich mitbekommen habe hat er einen Exklusiv-Vertrag mit Aspreys und Diana hat für ein exklusives Möbelhaus gearbeitet - anonym, beide, aber trotzdem." schnaubte Karim. Er mochte Zaki und Diana, hatte aber für die handwerkliche Begabung beider eher wenig Verständnis, obgleich er es beiden als Ausgleich und Hobby gönnte. Für Diana war das Tischlern von Möbeln - sie hatte Tischlerin gelernt und machte inzwischen ihren Master in Kunstgeschichte - allerdings schon immer Beruf und Berufung gewesen. In vielen Räumen des Palastes, nicht zuletzt in Zakis zukünftigem Büro, standen einzigartige Möbel. Ein Lächeln huschte über Karims Gesicht als er an die eine, die einzige nicht perfekte Arbeit von seiner Schwägerin dachte die er je gesehen hatte: die Schnitzerei an einer der Schubladen im Arbeitszimmer Zakis. Doch diese Beschädigung an der Schnitzerei war in einem Moment entstanden in dem Diana endlich gestanden hatte, dass sie seinen Bruder liebte und es war Zakis ausdrücklicher Wunsch gewesen darum genau diese beschädigte Schnitzerei haben zu wollen.

"Wie war die Beerdigung von Jamal? Ich hoffe, er ist mit dieser Michelle nicht in Verbindung gebracht worden?" Karim seufzte. Sein Bruder war mit seiner griechischen Geliebten während eines Aufenthaltes in Europa irgendwo in den Alpen mit dem Auto verunglückt. Jamal war schon immer verantwortungslos gewesen, weswegen man ihm auch immer eher sinnlose Ämter gegeben hatte, wie das, was er schon seit Jahren ausgefüllt hatte: Sportminister. Grimmig dachte Karim, dass man Jamal am besten das Amt als "Minister für Wintersport" gegeben hätte, denn sein Bruder war ganz offensichtlich auf dem Weg von der Eröffnung der Sommerolympiade in Berlin zurück nach Athen gewesen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte es seinen ältesten Bruder immer wieder in die griechische Hauptstadt und zu dieser Michaelia Papadoupoulou zurückgezogen. Wieso konnte er sich nicht erklären, denn angesichts der Schönheiten mit denen der zweite Sohn des Emirs von Bhakem sonst immer abgelichtet worden war, verblasste die blondierte Griechin sichtlich. "Irgendwas wird sie an sich gehabt haben. Vielleicht war sie auch die Eine, die Richtige für Jamal, so wie ich für dich oder Diana für Zaki..." das hatte zumindest Georgina zu ihrem Ehemann gesagt.

"Nein, wir haben das dezent erledigt. der verunglückte Ferrari ist aus der Schlucht geborgen worden und die Leiche von Miss Papadoupoulou wurde in irgendein Bergdorf abseits von Athen verbracht. Die Trauerfeier für Jamal ging würdevoll und angemessen über die Bühne." berichtete Karim seinem Vater. "Und was ist mit unserem Penthouse in Athen? Kümmerst du dich darum, dass es leer geräumt wird? Vermutlich werden da noch einige ihrer Sachen lagern und auch sonst..."

Karim seufzte. "Darum kümmert Gabriel sich, Dianas Bruder. Er hat geschäftlich in Athen zu tun. GB-Design wird in der nächsten Saison Lederjacken anbieten und dort ist wohl eine kleine Fabrik die sich auf Spezialanfertigungen versteht. Gabriel trifft sich mit der dortigen Chefdesignerin und Direktrice. Ich habe ihm angeboten in unserem Penthouse zu wohnen und er hat mir versprochen dafür zu sorgen, dass die Sachen von Miss Papadoupoulou an ihre Familie und Jamals an uns geliefert werden." berichtete der Kronprinz seinem Vater. "Ich hätte ungern Maher geschickt, denn der ist gerade in seinem Pilotentraining und würde zu viele Flugstunden versäumen." "Gabriel zu schicken ist genauso gut als hättest du Maher geschickt, mein Sohn. Er gehört ebenso zur Familie wie sein... Lebensgefährte Glen."

Gabriel Bolton und Glen Brewster waren die Designer für mehrere Herrscherfamilien in den Emiraten geworden nachdem Karim ihre Kollegin Georgina-Ariadne-Artemis Bright geheiratet hatte und sein Bruder zwei Jahre später Gabriels Schwester Diana. Bisher hatte die Kronprinzessin von Bhakem auch noch ab und zu für GB-Design gearbeitet was sich wohl schon bald ändern würde. Innerlich seufzte der älteste Sohn des Emirs. Seine Frau hatte Freude an ihrer Arbeit - sowohl als Ministerin, aber eben auch als Designerin und Schneiderin und er nahm ihr ungern etwas.

"Er wird morgen in Athen ankommen. Ich habe eines unserer Flugzeuge geschickt um Zaki und Diana abholen zu lassen und die fliegen über Griechenland und nehmen meinen Schwager mit." Der Emir lachte leise. "Mahers Flugstunden sind aber nicht der wirkliche Grund weswegen du ihn nicht schickst, oder?" Ertappt blickte Karim seinen Vater an. "Nein, ich mache mir Sorgen, dass er an jemanden aus Jamals Freundeskreis geraten könnte. und Wafaa hat mir von einer Prophezeiung von Qamar erzählt, die sie nur vor ihr und Maher gemacht hat. Ich will nicht, dass einer meiner Lieblingsbrüder an eine hirnlose, charakterschwache Frau gerät die ihn nur ausnutzt." Der Emir schüttelte den Kopf. "Du weißt doch inzwischen, dass geschieht was geschehen soll, mein Sohn. Sie hatte bei meinen drei ältesten Kindern recht und sie wird auch bei meinem vierten richtig liegen. Warten wir doch einfach ab, was die Zeit bringt." meinte er mit verschmitztem Lächeln. "Bisher bin ich mit Shams Ehemann genauso zufrieden wie mit meinen zwei Schwiegertöchtern. Hadi ist ein fähiger Emir von Bheran, Georgina eine ausgezeichnete Ministerin und Mutter von immerhin inzwischen vier Kindern und Diana ist eine hervorragende Tischlerin und Geschäftsfrau über die ihr ehemaliger Schulleiter, dieser Sir Chester Berkham, mir immer sehr positive Berichte bezüglich ihres Studiums geschickt hat. Außerdem ist sie eine wahre Löwenmutter. Auch wenn ich meine Enkel Henry und Georg nicht oft sehe, telefoniere ich doch oft mit den beiden oder rede über Skype mit ihnen - oder mit ihrem anderen Großvater, Henry Clyvedon."

"Kommen die Jungs diesen Sommer wieder in den Ferien?" fragte Karim. "Natürlich. Sie kommen mit Henry. Zaki schreibt gerade an seiner Doktorarbeit. Er hat als Thema etwas über Verwaltung von Landgütern gewählt und meinte - nicht ganz ernst - dann hätten seine Frau und er endlich mal Ruhe." lachte der Emir. "Oh ja, als ob Diana und Zaki jemals ihre Kinder oder auch ihre Neffen und Nichten zu viel würden. Ich weiß doch wie begeistert die drei Kinder von Shams und Hadi waren als sie die letzten Ferien bei den beiden in London verbracht haben und unsere vier dazu. Mein kleiner Bruder und seine Frau sind mit den neun Kindern richtig gut klargekommen."

In Athen kamen Theodora und Theodoros in ihrer Pfadfinderuniform in den Arbeitsraum ihrer Tante in der Firma. Kostas Galanis, der Eigentümer war ein echter Familienmensch, der sich immer freute, wenn die beiden Kinder vorbeischauten - und nicht nur Theo und Thea, auch die Kinder der wenigen anderen Angestellten mochten den lebenslustigen älteren Mann, der sogar alle Geburtstage wusste, von einigen der Kinder seiner Arbeiter sogar der Patenonkel war und jeden den er einmal unter seine Fittiche genommen hatte als "Ikogenia", als Familie sah. "Kalos iphaté!" rief er als die beiden mit einem fröhlichen "Yassou Theo Kostas!" an ihm vorbeigestürmt waren.

Anastasia legte ihren Stift und den Winkel beiseite mit dem sie gerade von Hand Gradierungen an den neusten Schnitten eines kleinen exklusiven Londoner Ateliers vornahm. Die beiden Designer von GB-Design waren über die Grenzen der Britischen Insel hinaus bekannt geworden. "Hallo ihr zwei, na was habt ihr heute bei eurem Pfadfinderausflug gelernt?" begrüßte sie die beiden Kinder, die sich ihr in die Arme warfen. "Demetrios hat uns gezeigt wie ich mit meiner Armbanduhr anhand der Sonne die Himmelsrichtung bestimmen kann!" berichtete Theodoros stolz. "Und auch wie das mit dem Mond funktioniert, aber das ist kompliziert - weil der Mond ja abnehmen kann und zunehmen und so." fügte seine Schwester hinzu. "Wusstest du, dass du sogar mit den Sternen bestimmen kannst wo du lang musst?" fragte ihr Neffe. Anastasia grinste. "Klar, du schaust wo der Polarstern ist und richtest dich danach." Theo schüttelte den Kopf. "Nein, wenn du den nicht siehst, weil es zum Beispiel total wolkig ist! Mit dem Polarstern ist das leicht!" Die Tante der beiden lächelte. "Ich muss noch diese Schnittmuster fertig machen, dann können wir nach Hause und ihr könnt mir haarklein erklären wie das geht."

Theodora seufzte leise. "Als Papa noch gelebt hat, konnten wir in seinem Penthouse leben." flüsterte sie ihrem Bruder etwas sehnsüchtig zu. Die kleine Wohnung von Tante Ana war zwar gemütlich aber auch sehr beengt für drei Personen. "Bist du verrückt? Die werden Papas Verwandte doch ausräumen und wer weiß, was die mit uns machen. wenn wir da auftauchen!" zischte ihr Bruder ihr zu. "Und bei Tante Ana geht es uns doch gut, auch wenn sie manchen Monat Probleme hat uns wirklich satt zu kriegen!" "Meinst du wir essen zu viel?" fragte Theodora besorgt. Ihr Bruder grinste. "Nein, das war ein Scherz, aber Papa hat ja oft Essen liefern lassen, aus Restaurants und so. Das gibt es nun nicht mehr." Theodora zuckte mit den Schultern. "Tante Anas Moussaka, ihr Stifado, ihr Ofengemüse mit gratiniertem Ziegenkäse und die marinierten Paprikaschoten mit Joghurt-Walnuss-Sauce oder ihre gefüllten Weinblätter sind eh viel leckerer als das Zeug das er immer bestellt hat. Und wir dürfen immer mit ihr kochen. Ich kann Stifado sogar schon selber machen! Und Moussaka kann ich auch kochen, nur nicht für uns drei, da ist die Form dann zu schwer." Theodoros zwinkerte seiner Schwester zu. Sie kochte für ihr Leben gern und eigentlich hatte sie schon beschlossen, dass sie Köchin werden und irgendwann eine kleine Taverne haben wollte in der sie die Gäste mit traditioneller griechischer Hausmannskost verwöhnen würde.

Sie wandte sich ihrer Tante zu. "Sollen wir schon nach Hause gehen? Ich kann schon Kartoffeln schälen und das Gemüse putzen. Theo hilft mir bestimmt, wenn ich ihm erzähle, dass er sonst nichts zu essen kriegt." fragte sie und versuchte auszuweichen als ihr Bruder sie kitzelte. "Ich krieg was vom Essen, Ziege!" neckte er sie. "Natürlich du Kamel!" rief sie lachend. "Bitte wartet. Ihr wisst, dass ich euch beiden ungern allein in Athen rumlaufen lasse! Das ist viel zu gefährlich!" bat die Tante. Sie sah nur kurz von ihrer Arbeit auf. Trotzdem die beiden Kinder erst acht Jahre alt waren, waren beide doch recht reif. Das war wenigstens einer der Vorteile von Michaelias unstetem Lebenswandel, der nur sporadischen Anwesenheit eines zwar stolzen, aber sorglosen Playboyvaters der sie nie offiziell anerkannt hatte und ihnen daher keine Flausen in den Kopf hatte setzen können. "Aber wenn wir nachher zusammen nach Hause fahren können wir noch in die Varvakios Argora gehen und einkaufen." "Prima, vielleicht schenkt Ioannis mir wieder was von dem leckeren Fisch." Theodora kicherte. "Eher Estia. Seit du diesem Taschendieb, der der einen Stammkundin von den beiden das Geld geklaut hatte ein Bein gestellt hast und die Polizisten ihn festnehmen konnten hast du bei den beiden ein Stein im Brett - und nicht nur bei denen. Ifigenia, die Obsthändlerin und Iljos der Gemüsehändler hatten ja auch Kunden die immer mal wieder beklaut wurden."

Anastasia lächelte. Vor einem guten Jahr war sie mit den Kindern - wie einmal in der Woche um ihre Vorräte aufzustocken - in der Athener Markthalle gewesen. Am Stand des Fischhändlers Ioannis Meksis und seiner Frau Estia hatte Theodoros beobachtet, wie ein junger Mann einer Kundin die Geldbörse aus der Tasche gezogen hatte und sich möglichst unauffällig davonmachen wollte. Der Junge hatte laut "Dieb!" gerufen und sich genau so positioniert, dass er eben diesem ein Bein stellen konnte. Die Händler hatten den Mann dann festgehalten und eine Erklärung verlangt. Als sich bewahrheitete was Theodoros beobachtet hatte, war er der erklärte Held der Markthalle gewesen. Die bescheidene Art beider Kinder hatte ihnen die Freundschaft der Händler eingetragen und besonders die des kinderlosen Fischhändler-Ehepaares. "Wenn du nicht weißt was du irgendwann mal werden willst, dann kannst du bestimmt Fischhändler werden." ärgerte Theodora ihren Bruder. "Ne, ich werde lieber Polizist oder Kapitän, vielleicht von einem Tanker oder einem Kreuzfahrtschiff." wehrte der ab. "Ich mag zwar gern Fisch, aber das ist mir zu stinkig den zu verkaufen. Ich verstehe auch nicht wie Ioannis und Estia das aushalten." er grinste.

Zwei Stunden später - Anastasia hatte ihren Weidenkorb am Arm - gingen die drei durch die Markthalle. "Yassou, ihr drei!" hallte es ihnen von einigen Ständen entgegen und wurde fröhlich erwidert. Die zwei Kinder waren schon vorausgeeilt um ihre besten Freunde - Ehepaar Meksis - zu begrüßen, als einer der Gemüsehändler Anastasia zu sich rief. Er war ein älterer, aber warmherziger Mann. "Mädchen, ich habe gehört, dass du jetzt für die zwei Kinder sorgst? Der Vater von den beiden hat sich nach dem Tod der Mutter aus dem Staub gemacht, wird erzählt." Er wirkte besorgt. Sie schüttelte den Kopf. "Nein, das hat er nicht, er ist mit ihr verunglückt und seine Verwandten wollen die Kinder nicht." Er schnaubte verächtlich. "Typisch für solche Leute!" meinte er und bevor sie etwas sagen konnte hatte er ihr Kartoffeln, Tomaten, einige Knoblauchknollen und diverses anderes Gemüse in den Korb gepackt. Anastasia wollte protestieren doch der Mann schüttelte den Kopf. "Ich bin auch Vater, Mädchen, ich weiß, was Kinder alles essen. Die können einem die Haare vom Kopf fressen. Und die beiden sind immer mit dir hergekommen, also sorgst du nicht erst seit gestern für die beiden. Das mit der Mutter von den beiden hat sich rumgesprochen und du weißt, dass ihr drei hier auch beliebt seid. Wir wollen alle ein wenig helfen die beiden groß zu kriegen. Sind Prachtkinder, beide, also jetzt schimpf nicht, Mädchen. Ich soll dir übrigens von Nikos, dem Metzger sagen, dass er ein schönes Stück Rindfleisch für dich beiseite gelegt hat und Ilenia dir gern ein paar Gewürze mitgeben würde. Na, und Ioannis und seine Estia haben glaube ich schon eine ganze Fischsuppe für euch zusammengestellt." Er zwinkerte ihr zu. "Also sei ein braves Mädchen, nimm einfach mal ein paar Kleinigkeiten an, sie kommen von Herzen, und hab kein schlechtes Gewissen. "Danke, Kyrie Ageloupoulos." sagte sie, ziemlich überrascht von dem, was der Gemüsehändler ihr erzählt hatte. Mit einem seltsamen Gefühl ging sie zum Metzger Nikos, der ihr Geld ablehnte indem er mit einem Zwinkern behauptete: "Das Stück Rindfleisch ist zu zäh um es zu verkaufen. Da verschenk ich es lieber!" Sie dankte ihm und kam auf dem Weg zum Stand der Meksis an Ilenias Gewürzstand vorbei. Die junge Händlerin hielt sie zurück als sie vorbeihuschen wollte. "Na, so kommen Sie mir aber nicht davon, Frau Papadoupoulou!" meinte sie lächelnd. "Sie müssen unbedingt meine neue Gewürzmischung für Fisch probieren und ich will unbedingt wissen wie meine neuen Nelken und der Koriander sind. Ich brauche jemanden der das testet!" sagte sie und legte ein Büschel frischen Koriander und mehrere kleine Tütchen in Anastasias Korb. "Hey, Milos!" rief sie dann zum Käsehändler hinüber. "Hast du nicht gerade diesen neuen Ziegenkäse reingekriegt und willst jemanden haben der mal damit kocht? Die Tante von Theo und Thea hilft dir da sicher!" "Ah, wunderbar, schick sie rüber!" rief Milos und bevor Anastasia protestieren konnte, hatte Ilenia sie schon zu seinem Stand gezogen. Er wickelte eine dicke Scheibe des Ziegenkäses ein. "Sag mal, ich hab‘ da noch ein Kantenstück vom Graviera Agrafon. Esst ihr drei gern Käse? Ach, ich pack dir das einfach mal ein." Anastasia errötete. Ihr war das ganze ziemlich unangenehm. "Guck nicht so, Kantenstücke verkaufen sich nicht gut." meinte Milos mit einem Schulterzucken als er noch ein Stück - ebenfalls ein Kantenstück, wie er betonte - Metsovone-Käse hinzufügte. Anastasia blieb nur ihm zu danken, Ilenia zu danken und dann hastig weiterzulaufen.

Ioannis Meksis merkte sofort, dass ihr die Aufmerksamkeit seiner Kollegen in der Agora ein wenig unangenehm gewesen war. Er legte ihr mit einem Schulterklopfen ein Päckchen mit Fisch in den Korb. "Für die Kinder. Ein paar kleine Fische." meinte er. Mit zweifelndem Blick schaute sie auf das für "kleine Fische" recht große Paket. "Was braucht ihr drei denn noch?" fragte seine Frau Estia nachdem sie Anastasia herzlich begrüßt hatte. Die Designerin errötete. "Ich glaube, wir haben alles... ich..." Die Fischhändlerin nahm sie beiseite.

"Ana, Kind, das ist dir peinlich?" fragte sie besorgt, während sie ihr ein Glas Tee aus einer Thermoskanne einschenkte. Anastasia nickte. "Muss es nicht sein. Schau, Ioannis und ich könnten uns längst zur Ruhe setzen, aber wir mögen den Trubel hier. Und die meisten von uns haben die ein, zwei Male mitbekommen die deine Schwester und ihr Freund mit den Kindern hier durchgegangen sind. Er war ein Snob, der alles nur kritisiert hat, sie wollte die Kinder daran hindern uns zu begrüßen und den "gammeligen Fisch" anzufassen. Sie hat Theo sogar vor unserem Stand eine Ohrfeige gegeben als er meinte wir seien Freunde von ihm. Und dann haben wir Theo und Thea gesehen, wenn du mit den beiden hier warst. Du weißt selber, dass die beiden jeden hier kennen, jeden begrüßen und sogar helfen, wenn sie können. Theo hat letztens gerade Ifigenia geholfen Äpfel fein säuberlich hinzulegen und Thea hat derweil zwei Kilo Birnen an eine Kundin verkauft und auch richtig abkassiert." Estia lachte. "Die Frau wollte sogar wissen ob Thea das öfter macht, denn das wäre doch Kinderarbeit, worauf die Kleine ihr richtig Bescheid gegeben hat." "Heiliger... was hat sie denn gesagt? Hoffentlich hat sie Frau Milos Kundin nicht beleidigt!" Die Fischhändlerin grinste. "Nein, keine Angst. Sie hat nur gesagt, dass du - wobei sie gesagt hat "meine Mama" - gerade einkaufst und "Tante Ifi" auf sie und ihren Bruder aufpassen würde. Ifigenia hat das natürlich mit einem Zwinkern bestätigt."

"Ich glaube, wir haben alles Tante Ana." meinte ihre Nichte plötzlich hinter ihr. Anastasia drehte sich um und wäre vor Scham fast im Boden versunken. Zu dem was Metzger, Gemüsehändler, Gewürzhändlerin und Käsehändler ihr schon in den Korb gelegt hatten war noch mehr gekommen. Sie sah ein Glas grüner Oliven, ihr Neffe hielt eine Tüte mit Zitrusfrüchten im Arm. "Von Theia Ifi." erklärte er entschuldigend als er ihren fassungslosen Blick bemerkte und auch Theodora hielt einen Beutel in der Hand. "Von Theos Nikodemos..." murmelte sie. "Bist du böse auf uns?" Anastasia schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht, ich bin nur gerade etwas überrascht, fassungslos... Ich weiß nicht wie ich das ausdrücken soll." "Eurer Tante ist das ein wenig peinlich, dass die meisten von uns Kinder haben und daher wissen was zwei junge Menschen wie ihr, die noch wachsen müssen, alles vertilgen können!" meinte Ioannis erklärend. "Sollen wir das Obst zurückbringen?" fragte Theodora. "Untersteht euch! In ein paar Jahren will ich doch wenigstens wissen, dass ihr beiden wisst was ihr anbietet, wenn ich vielleicht mal krank bin!" Die Obsthändlerin Ifigenia kam um die Ecke. "Ich habe ganz vergessen euch beiden die Zitronen für den Fisch mitzugeben." sagte sie und reichte das Netz an den Fischhändler als sie Anastasia begrüßte.

Kapitel 2

Mit hochrotem Gesicht verließ Anastasia mit ihrem Neffen und ihrer Nichte im Schlepptau die Markthalle. Ihr war die Hilfsbereitschaft der Händler unangenehm gewesen. In Zukunft würde sie wohl tiefer in die Tasche greifen und Lebensmittel in dem kleinen Edelladen um die Ecke kaufen müssen.

"Theia Ifi hat mir frische Feigen eingepackt, Tante Ana." Theodora schien auf der Rückbank mit ihrem Bruder begeistert die Schätze auszupacken. "Lasst das bitte eingepackt. Wir sind gleich zuhause!" ermahnte sie ihre Nichte. Als sie in die kleine Gasse einbog in der die Wohnung lag, suchte Anastasia schnell nach einem Parkplatz und brachte dann mit den Kindern die Lebensmittel in die Wohnung. Gemeinsam packten sie aus.

Ungläubig starrte Anastasia auf das große Stück Rindfleisch aus der Hohen Rippe das alles andere als zäh war. Die zwei "Käsekanten" entpuppten sich als große Stücke, die "kleinen Fische" - ganz wie sie befürchtet hatte - waren in Wahrheit echte Prachtexemplare und Ifigenia hatte alle Zutaten für einen üppigen exotischen Obstsalat eingepackt.

"Tante Ana, können wir zu nächster Woche Muffins backen und allen einen Muffin schenken? Oder Kekse? Als Dankeschön, meine ich." Theodora strahlte über das ganze Gesicht und auch ihr Bruder war begeistert von den ganzen Lebensmitteln. "Können wir heute Fisch essen?" fragte er. "Fischsuppe? Und die drei hier frieren wir für das Wochenende ein. Aus dem Rindfleisch machen wir mit Gemüse Stifado und wir können einen Teil davon auch für einen Salat nehmen, denn wir haben Paprika, Gurke, Tomate und Zwiebeln." beschloss Anastasia. "Oh, wie den, den die Nachbarin von Yaya und Papous in Deutschland immer macht?" fragte Theodora. Ihre Tante nickte. "Und aus einigen der Früchte können wir Marmelade machen. Davon bringen wir dann Ifigenia und Joannis und Estia welche mit. Und wir können auch backen. Dann kriegen die anderen als Dankeschön Muffins." wobei sie schon überlegte, wie sie diese ohne ein neuerliches "Spießrutenlaufen des Gabenempfangens" würde verteilen können.

Müde fiel sie abends ins Bett. Zehn Gläser Marmelade aus Pfirsichen und vier aus Feigen standen zum Auskühlen auf dem kleinen Küchentisch. Eine große Portion Fischsuppe war ebenso eingefroren wie das Stifados und das Ofengemüse für den nächsten Tag war schon vorbereitet - zum Gratinieren mit dem "auszuprobierenden" Ziegenkäse.

Die Kinder waren schon lange im Bett als Anastasia noch grübelnd im kleinen Wohnzimmer saß. Hatte sie alles gut genug gradiert um den hohen Ansprüchen der Londoner Designer gerecht zu werden? Davon hing für die Firma von Kostas Galanis eine ganze Menge ab. Es gab mehrere Firmen in Fernost, die Lederwaren billiger und in ähnlicher, vielleicht nicht gleichwertiger, aber doch recht guter Qualität fertigen konnten. Als sie endlich Ruhe fand landete auf dem Flughafen Athen-Eleftherios Venizelos gerade eins der Flugzeuge des Herrscherhauses von Bhakem. Gabriel Bolton stieg aus nachdem er sich von seiner Schwester und seinem Schwager verabschiedet hatte. Auf dem Rollfeld wartete bereits eine Limousine, die ihn in das Penthouse bringen sollte das Prinz Jamal sonst immer benutzt hatte. An sich war es irgendwann mal gekauft worden - so hatte Zaki ihm während des Fluges erzählt - um Abkommen mit den griechischen und einigen anderen europäischen Reedern treffen zu können, wenn es um Ölexporte aus Bhakem ging. Inzwischen, wo Piräus zum größten Passagierhafen geworden war, profitierte man allerdings eher von den Kreuzfahrtschiffen, die vor allem in Dubai anlegten.

Der Verkehr in der Stadt war mäßig und so war Gabriel nach einer guten halben Stunde an dem modernen Luxusgebäude im Athener Stadtteil Kolonaki angekommen. Der Portier brachte ihn in zur Wohnung und reichte ihm die Schlüsselkarte. Er betrat die Wohnung und stellte seinen Koffer erst einmal in den Flur. Mit leisem Schaudern erkannte er in dem üppigen überbordenden auf orientalisch-kitschig getrimmten Dekor den Geschmack von Jamal.

Die dreimal in der Woche kommende Putzfrau hatte die Betten neu bezogen. Gabriel beschloss daher erst einmal schlafen zu gehen. Am nächsten Tag traf er sich mit dem Besitzer der kleinen Ledermanufaktur und dessen Mitarbeiterin. Als er ins Bett ging, fiel ihm ein Bilderrahmen auf dem einen Nachttisch auf und ein Buch, das wie ein Fotoalbum aussah, doch er kümmerte sich nicht darum.

Erst am nächsten Morgen schaute er genauer hin. Überrascht sah er, dass auf dem Foto Prinz Jamal mit zwei Kindern zu sehen war, gemeinsam mit einer blonden Frau. Gabriel griff zu dem Buch, das sich wirklich als Fotoalbum entpuppte. Auf den ersten Seiten waren viele Fotos von der Frau. "Michaelia am Strand", "Michaelia in meinem Ferrari" und ähnliches stand darunter. Erst einige Seiten später kam ein Foto auf dem besagte Michaelia offenbar in einem Bett im Krankenhaus lag und zwei Kinder im Arm hatte. Eine andere, dunkelhaarige, ein wenig molligere Frau stand daneben. "Michaelia mit unseren Kindern und ihrer Schwester" hatte Jamal darunter gekritzelt. Die folgenden Bilder zeigten wie die Kinder älter wurden. Und immer wieder stand da: "Mein Sohn mit seiner Tante" oder "Meine Tochter mit ihrer Tante". Einen Moment lang starrte er auf die Bilder, dann griff er zu seinem Smartphone und rief bei seinem Schwager an.

Zaki klang etwas verschlafen als er das Gespräch annahm. "Sag mal, hattet ihr euch nicht gewundert, wieso Jamal immer zu seiner Freundin zurück ist?" fragte Gabriel. "Ich habe zu wenig mit ihm zu tun gehabt, aber ja, ich glaube Karim erwähnte mal, dass ihn das irritiert habe. Wieso?" "Nun es scheint, Zaki, dass ihr eine Nichte und einen Neffen habt. Jamal scheint seine Kinder verschwiegen zu haben die er gemeinsam mit dieser Michaelia hat oder hatte. Waren in dem Wagen vielleicht... waren die beiden allein oder...?" Am anderen Ende der Leitung fluchte es. "Nein, da waren nur zwei Leichen drin. Jamals und die seiner Freundin. Fragt sich also wo die Kinder sind. Ich rede mit Karim und Maher. Wir müssen die Kinder finden. So können sie wenigstens bei uns aufwachsen. Entweder bei Diana und mir in London oder hier bei Georgina und Karim." Er zögerte. "Gibt es irgendeinen Anhaltspunkt wo die Kinder sein könnten?" Gabriel seufzte leise. "Ja, sie sind auf den Fotos in dem Album oft mit einer anderen Frau zu sehen. Es gibt aber keinen Namen, Jamal hat unter die Fotos nur "Michaelias Schwester" oder "Die Kinder mit ihrer Tante " geschrieben. Ich weiß nicht mal wie die Kinder heißen. Er hat keine Namen notiert. Ich muss nachher zu meinem Geschäftstreffen und danach werde ich schauen ob ich irgendwelche Unterlagen finde. Es muss ja irgendwo eine Geburtsurkunde geben. Vielleicht solltet ihr euch mal erkundigen ob Jamal irgendwo ein Schließfach hatte, in einer Bank, meine ich. Nur falls ich keine Geburtsurkunde oder so finde." "Ich kümmere mich mit meinen Brüdern darum. Danke erstmal für die Information, Gabe." antwortete Zaki.

Die beiden verabschiedeten sich voneinander. Eine Stunde später brach Gabriel zu seinem Treffen mit dem Manufakturbesitzer Galanis und seiner Designerin auf. Die Frau, so hatte der Lederwarenfabrikant versichert, würde die gesandten Schnitte an die Lederschnitte anpassen und ihm auch erklären können wieso welche Änderungen für Jacken notwendig waren. Wenn alles gut lief, könnte GB-Design in der nächsten Saison vielleicht sogar Lederkostüme und Hosen und Röcke anbieten.

Kostas Galanis empfing ihn herzlich. "Lassen Sie uns gleich zu Anastasia gehen, meiner Chefdesignerin und Direktrice. Phantastische Frau, begabt, mit einem Blick für Details. Ich wüsste nicht was ich ohne sie machen sollte!" sagte er und winkte dem britischen Designer ihm zu folgen. Gemeinsam betraten sie ein kleines Atelier. Auf zwei Schneiderpuppen hingen zwei fertiggestellte Entwürfe von Glen und ihm, erkannte Gabriel. Die Frau, die sich mit einem Lächeln zu ihrem Chef und ihm umwandte, kam ihm vage bekannt vor, obwohl er wusste, dass er sie noch nie gesehen hatte. "Anastasia Papadoupoulou, meine rechte Hand - und manchmal auch meine Linke, wie ich gestehen muss!" rief Kostas Galanis fröhlich als er seine Mitarbeiterin vorstellte.

Es schien, dass die Frau keine Freundin langen Geredes war. Sie kam schnell und direkt zur Sache, erklärte anhand der Schnitte und der zwei fertiggestellten Modelle was sie an den Schnitten geändert hatte und wieso und zeigte ihm die bereitgelegten Leder- und Futterstoffproben. Damit überzeugte sie Gabriel. "Ich wäre Ihnen verbunden, Mrs. Papadoupoulou, wenn Sie vielleicht für einige Zeit nach London kommen könnten um uns, meinem Partner Glen und mir, zu zeigen was wir bei Leder beachten müssen. Dann haben Sie in Zukunft weniger Probleme mit Schnitten von uns." "Das ist sehr nett, Mr. Bolton, aber nur schwer machbar. Ich muss die Schulferien meiner Kinder abpassen und die letzten waren gerade." "Kann ihr Mann nicht für eine oder zwei Wochen auf die beiden aufpassen?" erkundigte Gabriel sich. Anastasia Papadoupoulou wandte sich zu ihm um. "Der Vater der zwei ist tot, Mr. Bolton. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Ich mache dann die vier restlichen Schnitte fertig und Sie können mit Mr. Galanis alles weitere klären." "Wie alt sind ihre Kinder denn? Ich habe Neffen und Nichten - na ja, zwei richtige Neffen und je zwei "angenommene" Nichten und Neffen, die Kinder von Karim und Georgie. Georg und Henry sind die Kinder von meiner Schwester Diana und ihrem Mann Zaki. Wir können sicher dafür sorgen, dass die beiden in der Schule nichts versäumen - wenn die beiden Lust haben. Meine Neffen freuen sich bestimmt."

Täuschte er sich oder blickte sie misstrauisch? "Klingt nicht gerade britisch, Zaki, meine ich." murmelte sie. Der Designer lachte. "Nein, Zaki ist aus den Emiraten. Sein Vater ist der Emir von Bhakem - eigentlich, aber das ist kompliziert." Jetzt sah er, dass die Frau vor ihm sichtlich zusammenzuckte. "Verstehe. Nun, wie ich bereits sagte, danke für das Angebot, aber es geht nicht und wenn Sie ihre Schnitte schon perfekt hier abliefern machen Sie meine Arbeit hier überflüssig, nicht wahr?

---ENDE DER LESEPROBE---