Terrorflammen über Jerusalem - Michael Buschmann - E-Book

Terrorflammen über Jerusalem E-Book

Michael Buschmann

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Beschreibung

»Elf Gestalten sprangen aus einem Schlauchboot an Land, bis zu den Zähnen mit Munitionsketten und MGs bewaffnet. Ihr brachialischer Aufschrei ›Itbach el Jahud! Schlachtet die Juden!‹ wurde sofort von Schüssen durchbrochen. Zwei der Terroristen sanken getroffen ins Wasser. Instinktiv duckte sich Sadam Habash in sein Badetuch und hätte sich am liebsten im Sand verbuddelt. Er versuchte sich die Ohren zuzuhalten, aber bekam doch das Kreischen verschreckter Kinder und die stakkatohaften Befehle um ihn herum mit, die von Soldaten kommen mussten. Ihm kam es endlos vor. Tatsächlich aber dauerte der Schusswechsel nur. vier Minuten, dann war alles vorbei …« Das Buch spielt vor dem Hintergrund des arabisch-israelischen Konfliktes zur Zeit zwischen der Besetzung Kuwaits und dem Ausbruch des Golfkrieges. In einer Zeit, in der Jerusalem von der Angst vor dem Terror und Schrecken der Intifada beherrscht wird, muss sich die Freundschaft zwischen einem arabischen Arzt und einem Oberst der israelischen Armee bewähren. ---- Michael Buschmann wurde 1961 in Dortmund geboren, ist verheiratet und wohnt heute in einer Kleinstadt in Ostwestfalen. Nach seinem Abitur studierte er an der Universität Paderborn. Zur Zeit arbeitet er teilzeitlich in einem Altenheim. Dadurch bleibt ihm genügend Zeit für seine schriftstellerische Arbeit. Der Bestsellerautor Michael Buschmann ist ein Spezialist für spannende, sehr realitätsnahe Romane über brandheiße Themen.

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Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Terrorflammen über Jerusalem

Roman

Michael Buschmann

Impressum

© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Michael Buschmann

Cover: Eduard Rempel, Düren

ISBN: 978-3-95893-054-4

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

 

Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Prolog

Das Quecksilber in der Thermometersäule überstieg die 26-Grad-Marke an diesem sonnigen Montag. Bis zum frühen Nachmittag hatte sich am Mittelmeerstrand ›Nizzanim‹, südlich von Tel Aviv gelegen, die Zahl an Badehungrigen auf mehrere hundert erhöht. Lang ausgestreckt auf Liegestühlen, Luftmatratzen und Decken aalten sich von Sonnenlotion glänzende Körper in den warmen Strahlen des Feuerballs, der prall und wie angenagelt an einem dunkel-blauen Himmel hing. Einige Nimmermüde spielten in einem selbst in den Sand markierten Feld Volleyball, die Aktivität zwischen Strand und Meer glich einem Pendelverkehr aus aufgeheizten Leibern, die nach Abkühlung lechzten, und zufrieden triefenden, die Lust auf ein nächstes Sonnenbad verspürten.

»Möchtest du auch eine Cola?« fragte Sadam Habash die blonde Schönheit, die neben ihm bäuchlings auf ihrer Strandmatte lag.

»Im Moment nicht«, bekam er eine Antwort, die halb in die mit einem bunten Papagei verzierte Unterlage gemurmelt war.

Er langte sich eine eisgekühlte Dose aus der Kühltasche, die er unter den Sonnenschirm zu seiner Linken platziert hatte, riss sie auf und nahm einen tiefen, löschenden Schluck.

»Willst du wirklich nicht?« sprach er erneut den braungebrannten Körper neben sich an, den ein knapper Bikini zierte.

»Nee«, fing die junge Frau sich zu räkeln an, fingerte mit ihren schmalen Händen geschickt an den hauchdünnen Bändern ihres Bikinioberteils, um sie wieder zu schließen, und drehte sich auf den Rücken.

Achselzuckend trank er noch zwei, drei Schluck und verstaute die Dose sorgsam in der Kühltasche.

Sadam Habash war arabischer Oberarzt im Jerusalemer Hadassah-Krankenhaus. Dass er einen anstrengenden Nachtdienst hinter sich hatte, sah man ihm nicht mehr an. Der Gedanke, eine Spritztour an den 60 Kilometer entfernten Strand von Tel Aviv zu machen, war ihm spontan gekommen. Kurzerhand hatte er seine neue Freundin angerufen und sich mit ihr verabredet. Sie war Schwedin und arbeitete stundenweise in einem Reisebüro der Stadt. Kennengelernt hatten sie sich vor fünf Wochen bei einem seiner gewohnheitsmäßigen Diskothekenbummel und seitdem fast alle zwei Tage getroffen. Mal war er zu ihr gefahren, mal hatte sie bei ihm in Giloh übernachtet.

Sein Blick ging zu den vier Kindern, die ein paar Meter weiter ausgelassen mit ihren Schaufeln und Eimern im Sand spielten.

»Woran denkst du?«

Die junge Frau hatte sein nachdenkliches Gesicht bemerkt. »Nichts Besonderes. Wieso?«

»Dann kannst du mich ja ein bisschen einreiben«, meinte sie kess in ihrem skandinavisch-akzentuierten Englisch, fischte eine Tube Lotion unter ihren Kleidungsstücken hervor und warf sie ihm zu.

Es war genau 15.11 Uhr, als Sadam Habash sich daranmachte, den wohlgeformten Frauenkörper von Kopf bis Fuß mit einer duftenden Sonnenschutzcreme aus Sesamöl und Ruhrwurzel einzureiben.

Das Patrouillenboot der israelischen Kriegsmarine lag zehn Seemeilen von der Küste in Höhe Tel Avivs. Seit einer Stunde waren seine Turbinen heruntergeschaltet, trieb es still in den Wellen des Mittelmeers. Das Mehrzweck-Schnellfeuergeschütz der Masada befand sich vorne auf dem Schiff und besaß eine gefürchtete Durchschlagskraft. Es galt als das modernste seiner Art, war mit einem Feuerleitradar gekoppelt und wurde von einem Richtcomputer gesteuert. Ohne nachladen zu müssen, vermochte es ein komplettes Magazin mit 20 Granaten in rascher Folge abzufeuern.

Auf der Kommandobrücke der Masada standen der Kommandant und ein Oberst der IDF, der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, der eigens für die Aktion auf das Boot beordert worden war, dicht hintereinander am Fenster.

»Es tut sich nichts«, bemerkte Oberst Meridor und atmete kräftig durch, dass sich das Hemd seiner Uniform sichtbar aufblähte.

Seit geraumer Zeit beobachteten sie die einzelnen Schiffssilhouetten von Frachtern, Tankern und Passagierschiffen am westlichen Horizont.

»Ja, verdammt still sogar«, seufzte der Kommandant und sah auf seine Uhr. Sie zeigte 15.13 Uhr.

Er machte einen letzten kräftigen Zug, tauchte seinen Kopf noch einmal im erfrischenden Nass unter, dann spürte er bereits den Boden unter seinen Füßen. Sich mit den Händen durch die tropfenden Haare fahrend, stakste Sadam Habash durchs Wasser. Ein Ball klatschte direkt vor ihm spritzend auf, den er einer Gruppe Jugendlicher zurückwarf, eine Frau mittleren Alters unternahm zaghafte Versuche, trotz aller hartnäckigen Wellen sicher auf ihre Luftmatratze zu gelangen. Er schlängelte sich an den Liegeplätzen vorbei zu seiner Freundin, die im Schneidersitz ein Fruchteis schleckte.

»Möchtest du mal probieren?« hielt sie ihm die süße Leckerei hin. Abwinkend verzog er eine geringschätzige Miene und machte sich patschnass, wie er war, auf seinem Badetuch lang.

»Was ist los?« beugte sich die junge Frau mit ihrem Oberkörper über ihn, schlug ihr langes, glattes Haar zu einer Seite, damit es ihr nicht ins Gesicht fallen konnte, und küsste ihn. »Kummer?«

»Wie kommst du darauf?« Er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf.

»Du benimmst dich so … so …«

»Wie?«

»So anders als sonst. – Küss mich!«

Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den dezent geschminkten Mund.

Enttäuscht blickte sie ihn an.

»Das war aber nix Heißes wie sonst.«

Hastig schleckte sie an ihrem Eis, das auf ihren Oberschenkel zu tropfen begonnen hatte, und musterte sein Gesicht. Zu gerne hätte sie gewusst, was dahinter vorging.

Unter Wasser lauschten aufmerksam die Sonar-Ohren der Masada nach allen Seiten. Über Wasser suchten ihre Radargeräte unaufhörlich das Meer ab.

»Es müsste längst aufgetaucht sein. Bengasi ist keine Welten von uns weg.« Der Kommandant biss sich nervös auf die Unterlippe.

»Vielleicht hat sich der Mossad aber auch geirrt? Ist Libyen auf den Leim gegangen?«

Das gequälte Lächeln, das er bei Oberst Meridor dafür erntete, ließ ihn die Realität schnell in Erinnerung rufen: Israels Geheimdienst galt als der effektivste und beste der Welt. Der Summton ließ sie zusammenzucken. Sogleich ertönte eine kräftige, zackige Stimme.

»Meldung von Überwachung an Oberst Meridor. Radar positiv.«

»Kurs?«

»Objekt befindet sich in Planquadrat Alpha. Kurs Nordost.« Der Oberst wandte sich an den Funkoffizier auf der Brücke.

»Geben Sie die Nachricht an ›Goliath‹ weiter. Phase Orange beginnt.«

Im Kommandanten schien sich eine 100 000-Volt-Spannung zu entladen.

»Na also. – Es geht los!«

Ratlos, das weichgeformte Kinn in die Innenhand gestützt, starrte sie hinaus aufs Meer, wo in Küstennähe Yachten und Segelboote kreuzten.

Wieso war er heute so seltsam verändert? Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie fand nicht. Um so mehr ärgerte es sie, dass er einfach mit der Sprache nicht herausrückte. Als ging ihn das alles gar nichts an, lag er stur da und ließ sich von der Sonne braten. Diese Bockigkeit konnte sie mehr auf die Palme bringen als jedes geradeheraus gesprochene Wort. Pikiert kramte sie in ihrer Umhängetasche und nahm sich einen Roman, den sie regelmäßig für Sonnenbäder am Strand einpackte. Dass sie ihn heute hervorholen würde, damit hatte sie im vorhinein nicht gerechnet. Sie versuchte, sich auf die Zeilen zu konzentrieren. Aber irgendwie wanderten ihre Gedanken immerzu fort, was sie nur noch ärgerlicher werden ließ. Wütend warf sie das Buch schließlich in den Sand.

»Das ist unfair! Sag es mir geradeheraus: Ist da eine andere?«

Sadam Habashs Augen, die unverwandt zum wolkenlosen Firmament gerichtet waren, schwenkten auf das zierliche Gesicht, das ihn bei ihrer ersten Begegnung wegen seiner engelhaften Züge in den Bann gezogen hatte. Müde lächelte er sie an.

›Wenn du wüsstest, mein Täubchen, wieviel andere vor dir dran waren‹, dachte er im stillen und fühlte sich darüber überhaupt nicht mehr so stolz wie früher.

Leise platschten die Wellen gegen den Bug der Masada. Im schwach erleuchteten Rumpf des Patrouillenbootes stierte der Radarbeobachter auf seinen Schirm, auf dem ein bestimmter Blip seit einer Viertelstunde klar und deutlich zu sehen war. Erst als er die Augen zusammenkniff, konnte er die zwei winzigen Lichtpunkte erkennen, die sich vom eigentlichen Radarobjekt nach Nordosten zu entfernen schienen. Ein dritter schloss sich an, kurz darauf ein vierter. Sie waren allesamt so klein, dass der Mann am Radargerät sie beinahe übersehen hätte. Ihr Radarecho hätte auf Blechkanister schließen lassen können, doch konnten die bekanntlich keine 30 Knoten Fahrt machen. Der Oberst auf der Brücke traute seinen Ohren nicht.

»Sind Sie sicher?«

»Absolut sicher, Herr Oberst«, kam es entschieden zurück, »Radarziel teilt sich in sechs Objekte.«

Er drückte einen Knopf auf der Schalttafel.

»Volle Fahrt. Kurs 2-0-8. Alle Mann auf Gefechtsstation.«

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Kommandant seinen Vorgesetzten irritiert.

»Abu El Abbas ist nicht dumm. Das hat er mit seinen Terrorkommandos schon oft bewiesen. Sie haben vom Mutterschiff sechs pfeilschnelle Schlauchboote ausgesetzt.«

Er wandte sich erneut an den Funker.

»Geben Sie weiter an ›Goliath‹: Kampfverband mit sechs Schnellbooten. Operation ›Bengasi‹ in Phase Rot.«

Der Kommandant setzte sein Fernglas an.

»Meinen die, so unbehelligt an den Strand zu gelangen?«

»Unbehelligt und blitzkriegartig.«

»Warum bloß immer auf unschuldige Zivilisten! – Ob diese Boote auch über Katjuscha-Raketen verfügen?«

Die Stimme des Kommandanten klang eigenartig verzerrt und unsicher. Der Oberst ahnte weshalb. Auch er musste an die Marinestreife denken, die erst vor zwei Stunden ein anderes Terroristenboot nördlich von Tel Aviv auf dem Meer abgefangen hatte.

›Hoffentlich geht uns nicht eins durch die Lappen‹, holte ihn ein Gedanke ein, von dem er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, wie real er später werden würde.

Die Stimmung war auf den Tiefpunkt gesunken. Sadam Habash fühlte sich mies und ekelhaft. Was war nur los mit ihm? fragte er sich in einem fort. So zimperlich hatte er sich bei all den früheren Bekanntschaften doch nicht verhalten?

Entnervt zündete er sich eine Zigarette an. Ein paar verstohlene Blicke hinüber zu seiner Freundin halfen ihm auch nicht weiter. Sie saß schmollend auf ihren Fersen und steckte sich die seidigen Haare hoch.

»Willst du ins Wasser?« fragte er kleinlaut zwischen zwei Zigarettenzügen.

»Ich muss mich abreagieren«, erwiderte sie tonlos.

Seine Anstalten, die Position zu ändern und sich auf die Seite zu drehen, missdeutete sie und fuhr ihn barsch an.

»Lass dir ja nicht einfallen mitzukommen!«

Mit einem Satz war sie aufgesprungen und lief durch den heißen Sand auf das plätschernde Wasser zu. Gedankenverloren schaute Sadam Habash ihr hinterher. Sein Blick fing nichts von dem Boot ein, das sich vom Meer her in großer Geschwindigkeit der Küste näherte.

Frustriert warf er sich zurück auf das Badetuch. Er bereute es, heute seinem spontanen Impuls gefolgt und die Spritztour nach Tel Aviv unternommen zu haben. Sollte er seine Sachen packen und fahren? In den unkontrollierbaren Wust an Gedanken schlich sich unvermittelt sogar einer ein, der ihn noch mehr verstörte.

»So'n Quatsch!« zischte er sich selbst an, »ich sag ihr doch nicht die Wahrheit. Wozu denn? Liebe ich sie etwa? – Na also.« Von der Straße her wurde starkes Motorengeräusch laut, dem er jedoch keinerlei Beachtung schenkte.

»Reiß dich zusammen, altes Haus. Du hattest früher keine Skrupel, warum also jetzt damit anfangen.«

Rufe und Schreie rissen ihn aus seinen Gedankengängen, die vom Wasser plötzlich herüberschallten.

»Was blöken die denn so hys-«

Der Blick zum Wasser ließ ihn schlagartig jedes Kreisen um sich selbst vergessen. Mit offenem Mund starrte er entsetzt auf den Alptraum, der sich vierzig Meter von ihm entfernt abspielte.

Elf Gestalten sprangen aus einem Schlauchboot an Land, bis zu den Zähnen mit Munitionsketten und MGs bewaffnet. Ihr brachialischer Aufschrei ›Itbach el Jahud! Schlachtet die Juden!‹ wurde sofort von Schüssen durchbrochen. Zwei der Terroristen sanken getroffen ins Wasser. Instinktiv duckte sich Sadam Habash in sein Badetuch und hätte sich am liebsten im Sand verbuddelt. MG-Salven krachten. Er versuchte, sich die Ohren zuzuhalten, aber bekam doch das Kreischen verschreckter Kinder und die stakkatoartigen Befehle um ihn herum mit, die von Soldaten kommen mussten. Ihm kam es wie endlose Minuten vor. Tatsächlich dauerte der Schusswechsel nur vier Minuten, dann war alles vorbei, kehrte Stille ein. Vorsichtig, als könnte er sich irgendworan den Kopf stoßen, richtete er sich auf. Überall am Strand flitzten bewaffnete Armeesoldaten umher. Sieben der palästinensischen Guerillas standen waffenlos mit erhobenen Händen wie angewurzelt, zwei weitere Körper lagen regungslos am Boden, unter sich den heißen Sand in ein dunkles Rot tränkend.

Kapitel 1

Das kleine schmucke Häuschen mit seinem roten Ziegeldach stand entlang einer breiten, planierten Straße. Es gehörte zu einem Neu-bauviertel, das mit seinen vielen Baustellen untypisch war für die im Oberen Galiläa liegende Stadt Safed. Der 15 000 Einwohner zählende Ort gehörte nicht nur wegen seiner Synagogen zu den vier heiligen Städten Israels, sondern auch zu den malerisch schönsten. Er lag in einer Art riesiger Schatztruhe der Geschichte. Kreuz und quer zogen sich alte Karawanenstraßen, die Afrika, Asien und Europa miteinander verbunden hatten, standen Überreste von mächtigen Bergfestungen aus Kreuzritterzeiten, von jahrtausendealten Synagogen und römischen Tempeln. Auf einem der höchsten Berge Galiläas errichtet, war von dort aus ein einzigartiger Rundblick auf drei kostbare Perlen des Landes möglich – auf den See Genezareth im Südosten, auf das Mittelmeer im Westen, und im Norden auf den schneebedeckten Gipfel des Hermon. Gerade jenem einmaligen Kleinod verdankte es Safed, dass es jedes Jahr neu im Winter zum Ausgangspunkt für viele tausend Skiläufer avancieren durfte.

Dunkelheit hatte sich in den Hügeln Galiläas über die zahlreichen romantischen Straßen und das berühmte Künstlerviertel im Südwesten Safeds gelegt, so dass die drei erleuchteten Fenster des schmucken Häuschens selbst in der Ferne wie Feuer funkelten. Hinter jedem Fenster herrschte allergrößte Betriebsamkeit. Hinter den beiden im Obergeschoß wurde Dafna zum Ausgehen angezogen und der sternenklare Abendhimmel mit einem kleinen Armee-Teleskop abgesucht. In der Etage darunter zog von der Küche aus ein lieblicher Duft von frischen Nüssen und Mandeln durchs ganze Haus.

Shoshana Meridor wischte sich ihre Mehlhände an der Schürze ab und öffnete mit einem Topflappen die Klappe des Gasherdes. Eine Wolke heißer Luft quoll ihr ins Gesicht. Mit einer langen Nadel piekte sie an zwei Stellen in den Kuchen, der bereits eine köstlich braune Kruste aufwies.

,Noch zu früh‹ befand sie und verlängerte die Backzeit am an der Wand tickenden Wecker um drei Minuten. Unverhofft bekam sie in der Küche Gesellschaft.

»Du, Mami«, stand ihre 6jährige Tochter im Türrahmen, »Liora sagt, die Milchstraße heißt so, weil's da viel Milch gibt. Stimmt das?«

»Das ist Unsinn«, rollte sie ungestört den Teig auf dem eingefetteten Backblech aus. »Hast du dein Zimmer aufgeräumt?«

»Noch nicht«, erklang es kleinlaut.

»Dann aber flott! In fünf Minuten bin ich oben. Dann hast du dir die Zähne geputzt und liegst im Bett.«

»Ach Mann!« zog die Kleine ein unzufriedenes Gesicht und schob beleidigt ab, zu der Puppe auf ihrem Arm sprechend: »Sei nicht traurig, Dafna. Gehen wir ein andermal aus.«

Am Treppenabsatz kam ihr von oben ihre 12 Jahre alte Schwester entgegen, die an ihr vorbei zur Küche stürmte.

»Ist Paps schon gekommen?« fragte sie ihre Mutter.

»Nein«, entgegnete Shoshana knapp und strich sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Schade. Hab‹ nämlich was Tolles entdeckt.«

»So? Ich auch. Ava läuft hier immer noch herum. Du solltest sie doch ins Bett bringen.«

»Oh! – Wird sofort erledigt«, versprach ihre Tochter mit verlegenem Gesichtsausdruck und machte auf der Stelle kehrt. Das Telefon im Flur läutete.

»Ich geh' ran.« Shoshana legte das Obst aus der Hand. Bevor sie den Hörer abnahm, rief sie ihrer ältesten Tochter noch nach: »Und hör‹ bitte auf, Ava solch einen Unfug über Milchstraßen zu erzählen!«

»Meridor.«

Es blieb still in der Leitung. Außer einem Rauschen hörte sie nichts.

»Hallo?« sprach sie in die Muschel. »So melden Sie sich doch!« Es knackte, und die Leitung war unterbrochen.

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte sie gelassen den Hörer aufgelegt und die Sache als erledigt abgetan. Nicht so jetzt, da es an diesem Abend der dritte Anruf solcher Art war. Nachdenklich, mit leichten sorgenvollen Wolken auf dem Gesicht, begab sie sich zurück in die Küche. Sie wollte gerade nach dem Oberst fassen, als es mehrmals an der Haustür klopfte.

Ihre Blicke wanderten geradeaus durch den Flur direkt auf die aus massivem Holz bestehende Haustür. Es klopfte erneut. Sekunden darauf erschien ein Schatten hinter dem gerippten Milchfenster rieben der Haustür. Lioras Stimme erschall von oben.

»Es hat geklopft, Mutti!«

Wieselflink huschte sie die Treppenstufen hinunter, blickte mit den Worten »Ist die Schelle kaputt?« kurz in die Küche und trat zur Haustür, um sie zu öffnen.

Ihr entfuhr ein freudiges Gicksen. »Ich hab‹ was ganz Tolles mit dem Teleskop entdeckt. Das muss ich dir unbedingt zeigen.«

»Später, Lio. Lass mich erst mal deine Mutter begrüßen.« Oberst Micha Meridor schob seine Tocher mit einem Küsschen behutsam beiseite und marschierte in seiner Zahal-Uniform auf seine Frau zu. Er begrüßte sie mit einem Kuss und einer innigen Umarmung.

»Tut mir leid, dass es so spät geworden ist. Aber alle Kollegen wollten plötzlich was von mir, so als würde ich aus dem Urlaub nicht zu-rückkehren.« Er lachte.

»Wieso hast du geklopft, Micha?«

Er deutete mit dem Kopf auf das Schlüsselbrett an der Wand.

»Ich hab‹ ihn heute morgen in der Eile vergessen einzustecken. – Das duftet fantastisch hier«, lobte er sie begeistert, wofür er strahlende Augen erntete.

»Kommst du denn jetzt, Papi?« quengelte vom Flur her seine Tochter.

»Ja, Lio, ich komme«, antwortete er und gab Shoshana von neuem einen Kuss. »Bin gleich zurück.«

»Ava war bis vorhin auf. Schaust du bei ihr noch rein und betest mit ihr?«

Er winkte ihr ein Okay zu. Im gleichen Augenblick rappelte der Wandwecker, und sie widmete sich wieder ihrem Kuchen im Backofen.

Kapitel 2

Ava strahlte an diesem Morgen besonders glücklich. Sie freute sich und brüstete sich nicht wenig stolz darüber, dass sie heute nicht wie sonst mit den Nachbarn mitfahren musste, sondern ihr Vater sie zur ›Na'amat‹-Tagesstätte chauffierte. Es handelte sich dabei um das sogenannte Moshe und Mussa-Vorschulprogramm, bei dem jüdische und moslemische Kinder zwischen sechs Monaten und sechs Jahren ein friedliches Miteinander lernen sollten.

Seit zwei Jahren schickte Micha seine Tochter dorthin und bewunderte immer wieder von neuem, wie problemlos und herzlich die Sprösslinge miteinander spielten und sangen. Wenn er das sah, konnte er die Feindseligkeit nicht fassen, die vielerorts im Lande zwischen seinem Volk und der arabischen Bevölkerung aufflackerte. Sein kleines Töchterchen nahm mit Begeisterung an diesem Vorschulprogramm teil und zählte nicht wenige arabische Altersgenossen zu ihren engsten Freundinnen, weshalb sie bereits Wehmut befallen hatte angesichts ihres bevorstehenden 7. Geburtstags, der für sie das Ende von ›Na'amat‹ bedeutete. Nach einem dicken Abschieds-Kuss krabbelte Ava vom Rücksitz des Peugeot Combi.

»Und bleib schön artig, Dafna, hörst du! Ich bin bald wieder bei dir«, tröstete sie ihre Puppe und musste all ihre Kräfte aufwenden, um die Autotür zuzuschlagen. Mit zwei wippenden Zöpfen hüpfte sie vergnügt auf den Eingang zu, wo zwei Freundinnen schon auf sie warteten.

Micha schaute auf seine Uhr. Um bei der Hapoalim-Bank vorbei-zufahren, war es noch zu früh. Bedächtig setzte er den Wagen in Gang und schlug deshalb die Richtung nach Hause ein.

Oberst Micha Meridor war 39 Jahre alt, hatte eine sportliche Figur, ein energisches Kinn und trug einen kleinen gepflegten Schnurrbart. Seine wachen blauen Augen verbarg er an diesem Morgen wie so oft hinter einer Sonnenbrille. Die Eckdaten seines bisherigen Lebenslaufes verstand er stets schnell zu schildern: 1965 wanderte er mit seinen jüdischen Eltern aus Amerika nach Israel ein. Zwei Jahre später verlor er sie im dritten arabisch-israelischen Krieg. Den vierten – und bisher letzten Krieg – erlebte er 1973 als aktiver Soldat, als am Jom Kippur, dem heiligsten Feiertag Israels, Syrien und Ägypten einen Überraschungsgroßangriff auf den kleinen Judenstaat eröffneten. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie an diesem 6. Oktober um 14 Uhr plötzlich über den Suezkanal 80 000 ägyptische Soldaten gegen 436 israelische Reservisten in den Stützpunkten der Bar-Lev-Linie stürmten – und dennoch vernichtend geschlagen wurden. Eine Tatsache, die er damals wie heute nur als unbeschreibliches Wunder bezeichnen konnte. Nach dem Jom-Kippur-Krieg strebte er eine Karriere in Israels Armee an, wo er relativ rasch bis zum Oberst auf-stieg.1976 heiratete er Shoshana und zog 1987 in den idyllischen Ort Safed im Norden Israels, wo er für seine Familie ein Haus gekauft hatte.

Es geschah um jene Zeit, dass ihm und Shoshana etwas widerfuhr, das ihr Leben von Grund auf veränderte. Sie machten durch das Moshe und Mussa-Vorschulprogramm die Bekanntschaft mit Achmed Faraschi, einem Araber, der seinen Sohn ebenfalls in der Tagesstätte angemeldet hatte. Dass dieser Araber so ganz anders war als viele andere, mit denen sie beruflich oder privat zu tun hatten, merkten sie sehr bald. Als sie eines Tages ihre Tochter von einer Geburtstagsfeier abholen wollten, zu der Achmed Faraschis Sohn Ava eingeladen hatte, waren sie mit dem Hausherrn ins Gespräch gekommen. Seine aufgeschlossene, liebenswürdige und gastfreundliche Art hatte es ihnen leicht gemacht, die Kinder noch eine Weile spielen zu lassen und auf die Unterhaltung einzugehen. Dabei hatten sie nicht nur erfahren, dass ihr etwa gleichaltriger Gastgeber seit einem Jahr verwitwet war, sondern auch, dass er dem christlichen Glauben angehörte. Aber nicht bloß angehörte. Micha und Shoshana hatten die vielen christlichen Kirchen, die alle in Israel ihr Exklusivrecht behaupteten, sowie ihre Rivalität untereinander kennengelernt. Es hatte sie abgestoßen. Das allerdings, was sie von diesem Araber hörten und vorgelebt bekamen, sprach sie an, denn es kam spürbar von Herzen. Das Feuer, das in ihm für diesen Jesus von Nazareth brannte, war natürlich, echt und überzeugend. Es hatte ihre Neugier geweckt, so dass sie von sich aus mehr Gespräche gesucht hatten. Eines Tages dann hatte Achmed Faraschis Auslegung der Bibel sie überzeugt: Dieser Jesus war der Messias gewesen, auf den die Juden noch heute warteten! Von dem Tag an war es Micha schwergefallen, seine Zugehörigkeit zur Synagoge aufrechtzuerhalten, und es war unmöglich für ihn geworden, als er und Shoshana das erste Mal auf Knien zu Jesus gebetet, sie ihm ihre Vergehen der Vergangenheit bekannt und nach biblischem Vorbild und dem Befehl Jesu sich in einem nahegelegenen See hatten taufen lassen. Sie hatten nun die geistige Wiedergeburt erlebt, die notwendig war, um ein Kind Gottes zu werden und ewiges Leben zu erhalten.

Da er für den Rückweg eine andere Route gewählt hatte, wurde er Zeuge des Menschenauflaufs, der sich vor dem Haus des Tankwarts Adnan Jibril angesammelt hatte. Eine ganze Reihe PKWs und Motorroller standen am Straßenrand, auf dem Gehsteig scharten sich einige Dutzend Männer, Frauen und Kinder. Micha parkte sein Auto in zweiter Reihe neben den anderen und stieg aus. Sogleich löste sich aus der Traube ein junger Mann mit einer Kippa auf dem Hinterkopf, die die Aufschrift ›Yeshua Ha'maschiach‹ trug.

»Was ist hier los, Yacov?« fragte er den jungen Mann, erspähte jedoch im gleichen Augenblick durch eine Lücke selber den Grund. An der weißen Kalkwand unterhalb eines Fensters hing ein Transparent. In Englisch und Arabisch war darauf der Aufruf zu lesen: »Nieder mit der Sklaverei in Israel!«

Darunter steckte die Fahne der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation.

»Dicke Luft, wie du siehst«, erklärte Yacov Cohen. »Adnan schwört Stein und Bein, dass er nichts mit dieser Schmierschrift zu tun hat. Jemand müsse sie ihm in der Nacht am Haus angebracht haben. – Ich glaube ihm. Und du kennst Adnans ablehnende Haltung gegenüber der PLO ja auch.«

Er kannte sie. Adnan Jibril hatte, obwohl er Araber war, nichts für die Intifada der PLO, dem gewaltsamen Aufstand gegen Israel übrig.

Micha beunruhigte an diesem Vorkommnis etwas ganz anders. Handelte es sich bloß um einen Dummen-Jungen-Streich, oder bedeutete es ein warnendes Fanal, dass das Feuer der Intifada nun auch Safed in Brand zu stecken suchte? Bei der zweiten Möglichkeit wurde ihm unwohl in der Magengegend.

»Reißt das Spruchband ab, und dann ist die Sache erledigt«, schlug er vor und ging zurück zu seinem Wagen. »Kommst du heute Abend?«

»Aber klar!« kam die entschlossene Antwort.

Zu Hause erwähnte er gegenüber Shoshana nur flüchtig das Transparent. Er versuchte, dem Vorfall nicht zu große Bedeutung beizumessen. Mit der Bibel unter dem Arm zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück, wo er seine tägliche Bibellese im 83. Psalm fortsetzte.

»Gegen dein Volk planen sie listige Anschläge, und sie beraten sich gegen die, die bei dir geborgen sind. Sie sprechen: Kommt und lasst uns sie als Nation vertilgen, dass nicht mehr gedacht werde des Namens Israel!«

Er sann über die beiden Verse nach, während er in die breite Krone des Akazienbaumes schaute, der im Garten vor dem Fenster seines Arbeitszimmers stand. Nach einer Weile schlug er das Neue Testament auf, las weiter im 10. Kapitel des Römerbriefes und trat anschließend in ein langes Gebet.