Tod inklusive - Alisha Bionda - E-Book

Tod inklusive E-Book

Alisha Bionda

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Beschreibung

Acht Autorinnen und Autoren erzählen in dieser Sammlung mörderische Kurzgeschichten. Enthalten sind die Geschichten: Tod inklusive – Tanya Carpenter Der Zahn-Doc-Mörder – Barbara Büchner Augenblicke – Haike Hausdorf Bigo will, dass du das fühlst – Stefan S. Kassner Muttertag – Thomas Fitzner Erdbeer-Barbara-Marmelade und Johannes-Beeren-Gelee – Jana Engels Daddy’s Girl – Caitlyn Young Bonusstory: Fridas Tode – Nena Siara

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Hrsg. Alisha Bionda

 

 

 

 

TOD INKLUSIVE

 

Krimikurzgeschichten

 

 

 

 

 

 

 

Ashera Verlag

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2022 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Ashera Verlag GbR

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: Pixabay

Szenentrenner: Pixabay

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

Bisher in dieser Reihe erschienen:

Ruf der Geister, Tanja Bern, Mystery-Krimi

Der Don, Birgit Read, Erotischer Gran Canaria Thriller

Der Putzteufel, Katharina Hadinger, Krimi

Tod inklusive, Hrsg. Alisha Bionda, Krimi-Anthologie

 

Inhaltsverzeichnis

Tod inklusive

Die Autorin

Der Zahn-Doc-Mörder

Die Autorin

Augenblicke

Die Autorin

Bigo will, dass du das fühlst.

Der Autor

Muttertag

Der Autor

Erdbeer-Barbara-Marmelade und Johannes-Beeren-Gelee

Die Autorin

Daddy’s Girl

Die Autorin

Bonusstory - Fridas Tote Prologstory

Die Autorin

Tod inklusive

Tanya Carpenter

 

Melody war nun wirklich nicht der Typ, der im Urlaub gerne Grüppchen mit anderen Hotelgästen bildete. Eigentlich war sie am ersten Abend sogar recht genervt gewesen, als die beiden einzigen freien Plätze beim Animations-Unterhaltungsprogramm am Tisch von Judith und Werner Kloß aus Köln gewesen waren. Aber Paul, ihr Freund, sah das lockerer und fragte höflich, ob sie sich dazusetzen dürften. Das Ehepaar in den Fünfzigern sagte freundlich ja und war sofort angetan von dem jungen Pärchen. Wider Erwarten wurde es ein schöner Abend. Judith und Werner zeigten sich interessiert, aber keineswegs aufdringlich. Erzählten viel von sich und wie sie sich kennengelernt hatten, aber ohne langweilig daherzuplappern und permanent in Erinnerungen an die schöne alte Zeit zu schwelgen.

Melody und Paul entdeckten einige Gemeinsamkeiten mit den älteren Leuten, und kurzerhand schlossen sich beide Paare trotz des Altersunterschiedes zusammen.

Das war vor drei Tagen gewesen. Seitdem frühstückten sie gemeinsam, weil alle vier Frühaufsteher waren. Und sie unternahmen auch zusammen Ausflüge – was diese gleichzeitig günstiger machte. Für den heutigen Tag war eine Fahrt zu den Pyramiden vorgesehen. Da der Zeitplan bei den Bustouren immer viel zu eng war, schlug Judith vor, einen privaten Führer zu engagieren. Durch vier geteilt kam das nicht teurer als die Tour mit der Reiseleitung. Mithilfe des Hotelrezeptionisten hatte sie sogar jemanden gefunden, der Deutsch sprach.

„Ich habe gehört, dass man sogar auf die Pyramide hinaufklettern kann“, erzählte Judith begeistert am Tisch, während Werner gerade seinen Teller am Büffet neu füllte. In Melodys Augen tat er das ein bisschen oft. Sie war gelernte Krankenschwester und Werner war mehr als nur leicht adipös. Außerdem hatte er ein Herzproblem, das ihn zum Frührentner gemacht hatte. Aber Paul verbot ihr entschieden, etwas zu sagen. Sie waren im Urlaub, und Werner und Judith alt genug, um selbst zu wissen, was sie taten. Da durfte sich Melody nicht einmischen, bloß weil sie ihren Job nie gänzlich loslassen konnte. Zerknirscht hatte Melody ihrem Freund versprochen, nichts zu sagen. Aber die Vorstellung, wie Judith ihren kurzatmigen Gatten auf den Gipfel einer Pyramide jagte, ging ihr dann doch zu weit.

„Meinen Sie nicht, dass das ein bisschen anstrengend für Werner sein könnte? Er ist ja nicht mehr der Jüngste und gestern auf dem Markt …“

Melody erhielt unterm Tisch einen Tritt von Paul gegen ihre Wade und verstummte. Dabei sagte sie doch nichts Falsches. Werner war gestern kurz vor einem Kollaps gewesen, die Lippen schon blau. Wenn sie ihn nicht in den Schatten gebracht und ihm ein Glas Wasser besorgt hätte, läge er heute vielleicht im Krankenhaus. Erschreckend, dass Judith so gar keinen Blick für die Gesundheit ihres Mannes hatte. Nach so vielen Ehejahren. Und wo sie wusste, dass sein Herz nicht mehr in Ordnung war.

„Ach.“ Die rüstige Rentnerin winkte auch jetzt ab, die im Gegensatz zu ihrem Mann lediglich aufgrund ihrer Arthritis in den Vorruhestand hatte treten müssen und diese mit Tabletten sehr gut im Griff behielt, „er ist doch medikamentös bestens eingestellt. Genau wie ich. Das schaffen wir beide schon. Nicht wahr, Werner?“

Mit dümmlichem Grinsen ließ sich Werner auf den Stuhl neben seiner Gattin fallen. Schon jetzt schnaufte er vernehmlich, dabei war der Weg vom Büffet hierher höchstens zehn Meter weit. Und der Teller wog maximal sechshundert Gramm. Obwohl Melody gerne die Hälfte davon entfernt hätte. Zum Beispiel die doppelte Portion Rührei. Oder den fetten Speck. Wie konnte man als Herzpatient nur so viel Fett in sich hineinstopfen?

„Melody macht sich Sorgen, ob du den Ausflug schaffst, Liebling. Weil dir gestern so schwindlig war.“

Schwindlig ist ziemlich untertrieben, dachte Melody, biss sich aber auf die Lippen.

„War nur ein kurzer Schwächeanfall“, beschwichtigte Werner ebenfalls. „Hab wohl zu wenig beim Frühstück gegessen.“

Eher zu viel. Wenn es wenigstens Vollkornbrot und ein kleiner Obstsalat gewesen wären.

„Die neuen Herztropfen wirken wahre Wunder, nicht wahr mein Schatz? Wir waren extra vor dem Urlaub nochmal beim Arzt, um auf Nummer sicher zu gehen.“ Judith tätschelte ihrem Werner die Hand und blickte ihn mit vor Liebe strahlenden Augen an.

Vielleicht sah sie es ja wirklich zu dramatisch. Die beiden waren so ein glückliches und eingeschworenes Paar. Sicher ging Judith nicht leichtfertig mit Werners Gesundheit um. Außer, was das Essen anging. Aber vermutlich ließ er sich da auch einfach nichts mehr sagen.

„Die neuen Tropfen sind gut“, bestätigte Werner und schob sich eine große Gabel voller Rührei mit Speck in den Mund. „Schmecken nur ein bisschen komisch“, nuschelte er genüsslich kauend.

Als Melody den Mund öffnete, um zu fragen, welches Präparat er denn vom Arzt bekommen hatte, erntete sie einen zweiten Tritt – diesmal heftiger – und schwieg.

 

 

Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel, während sie in die Wüste hinausfuhren. Melody zweifelte inzwischen, dass es eine gute Idee gewesen war, diesen Ausflug ausgerechnet heute zu machen, wo Temperaturen von bis zu 45 Grad angekündigt worden waren. Werner schwitzte wie ein Tier. Seine Haut war ungesund rot, außer im Bereich um die Lippen, dort war sie erschreckend blass, was den bläulichen Schimmer seines Mundes noch verdeutlichte.

„Geht es Ihnen gut, Werner?“, fragte sie vorsichtig, Pauls warnenden Blick stur ignorierend.

„Alles bestens. Nur ein bisschen warm heute. Und dieses verdammte Auto hat keine Klimaanlage.“

Das hatte es wirklich nicht. Die Hitze setzte auch Melody zu. Aber ihr Körper verkraftete das. Sie war jung, schlank und trainiert. Werner war das genaue Gegenteil.

 

 

Bei den Pyramiden mussten sie Schlange stehen – über eine Stunde. Judith fächelte sich mit einem Prospekt Luft zu und lächelte gequält unter ihrem weißen Strohhut hervor. Dass ihr Mann weder Hut noch eine Möglichkeit zum Fächeln hatte, schien sie nicht zu bemerken. Melody bot ihm höflich ihr Prospekt an, aber Werner lehnte ebenso höflich ab. Auf dem Kopf hatte er schon einen gehörigen Sonnenbrand. Wenn er jetzt noch einen Sonnenstich dazu bekam, würde er den Rest des Urlaubs im Krankenhaus verbringen. Hoffentlich in einem der Moderneren.

„Vielleicht sollten wir nach drinnen gehen. Da ist es auch kühler als hier draußen“, schlug Melody vor. „Oben auf den Pyramiden gibt es ja eh nichts Besonderes zu sehen.“

Judith war damit nicht einverstanden. Sie zog einen Schmollmund. „Aber die Aussicht. Ich wollte die Aussicht von dort oben genießen. Werner …“

Der halb bittende, halb vorwurfsvolle Ton in ihrer Stimme zeigte sofort Wirkung. Egal, was Melody noch sagen wollte, es stieß ohnehin auf taube Ohren. Außer bei Paul, der ihr dafür später im Hotel sicher eine ordentliche Szene machen würde.

Ihr Fremdenführer ignorierte Werners zusehends bedenklicheren Zustand ebenso nachhaltig wie Judith. Zumindest Paul machte nun ebenfalls eine besorgte Miene, hielt sich aber weiterhin raus. Melodys Krankenschwesterherz hingegen schlug Alarm. Das konnte nicht gut gehen.

Werner stolperte mehrfach, keuchte, Schweißperlen tropften ihm vom Gesicht. Judith fächelte, strahlte und kletterte wie eine Gämse weiter hinter dem Araber her, der in gebrochenem Deutsch die Aussicht von oben pries. Als sich Werner schnaufend wie ein Walross auf einen der Steine setzte, holte Melody ihre Wasserflasche aus dem Rucksack und hielt sie ihm hin. Er nahm dankbar einen großen Schluck. Sein Atem klang rasselnd, die Lippen waren bereits lila.

„Wir sollten wieder nach unten gehen. Werner geht es nicht gut. Ich kann auch allein mit ihm zurückgehen, dann können Sie die Aussicht genießen, Judith.“

Sie musste rufen, weil Judith schon weiter oben war. Die Seniorin blieb stehen, die Sonne im Rücken. Melody konnte ihr Gesicht nur schwer erkennen, glaubte aber, sie grinsen zu sehen, was sie angesichts des Gesundheitszustandes von Werner unangemessen fand.

„Wir haben noch nie etwas getrennt gemacht, seit wir zusammen sind, nicht wahr, Werner?“

Sprach sie seinen Namen tatsächlich mit fordernder Schärfe aus, oder klang es nur so? Jedenfalls schien es Werner unter Druck zu setzen, denn er lächelte gequält und rappelte sich wieder auf die Beine, um seiner Frau zu folgen. Er kam genau drei Schritte weit – dann brach er zusammen.

„Werner!“, hallte es hysterisch von oben herab.

 

 

Ein Krankenwagen kam nicht bis zu den Pyramiden heran. Mit vereinten Kräften hatten Paul und ihr arabischer Touristenführer den bewusstlosen Werner wieder nach unten getragen. Melody hatte ihr Möglichstes getan, ihn zu beatmen, was nicht so einfach war, da sich Judith permanent an sie geklammert und geheult hatte. Eine Herzmassage war undenkbar, selbst als sie endlich am Fuß der Pyramide angekommen waren. Irgendwie wollte der Gedanke nicht von Melody weichen, dass dies das Zünglein an der Waage sein könnte. Der Krankenwagen brauchte Ewigkeiten, vielleicht kam es ihnen aber auch nur so vor. Der Notarzt stülpte Werner eine Sauerstoffmaske über und spritzte ihm etwas in die Vene. Es war schwierig, seinen Gesundheitszustand zu erklären, da weder der Arzt noch die Sanitäter Deutsch oder Englisch sprachen. Als der Krankenwagen losfuhr, fragte sich Melody noch, warum Judith ihnen nicht Werners Herzmedikament mitgegeben hatte. Doch ändern konnte sie das jetzt nicht mehr.

Judith ließ sich von ihrem arabischen Guide zum Krankenhaus fahren. Paul und Melody nahmen ein Taxi zurück ins Hotel. Der Tag zog sich endlos hin, bis Judith endlich – leichenblass – in die Eingangshalle wankte. Melody schwante Übles. Sie sprang sofort auf und eilte auf Judith zu, doch die ältere Frau schien sie nicht zu bemerken.

„Judith! Was ist denn? Wie geht es Werner?“

Die Frage war rein rhetorisch. Tief in ihr drin, wusste Melodie die Antwort bereits.

Mit müden und verweinten Augen hob Judith den Kopf und sah Melody an. Paul trat zu ihnen und legte Judith die Hand auf den Arm.

„Mein Werner … er hat es … nicht geschafft.“

Judiths Blick war leer, als sie das sagte. Sie zitterte, wirkte so zerbrechlich. Auf Melodys Bitte hin half Paul ihr zu einem der Rattan-Sessel hinüber, damit sie sich setzen konnte. Danach holte er ein Glas Wasser. Melody fasste sanft nach Judiths Hand. Sie kannte sich mit solchen Situationen aus. Ihre Erschütterung über Werners Tod stellte sie zurück. Ebenso die Vorwürfe, die ihr auf der Zunge lagen, weil Judith dies praktisch bewusst provoziert hatte. Das half jetzt nicht mehr.

„Wollen Sie mir sagen, was in der Klinik passiert ist?“

Reden lenkte ab. Während sie Judith zuhörte, ging Melody im Kopf bereits durch, was sie alles würden tun müssen, damit der Leichnam kurzfristig nach Deutschland gebracht werden konnte. Ob die beiden bei Reisebuchung eine Versicherung für solch einen Fall abgeschlossen hatten? Oder Werners Krankenkasse dafür aufkam? Sie musste das mit Judith besprechen. Aber erst morgen.

Paul kam mit dem Wasser zurück.

„Frag doch bitte nach dem Hotelarzt. Ich denke, sie braucht ein Beruhigungsmittel. Ich kann nicht verstehen, warum die in der Klinik ihr keines gegeben haben.“

Und wie war sie überhaupt zurück zum Hotel gekommen? Mit dem Taxi? Ihrem Guide?

Mit schwacher Stimme erzählte Judith, dass die im Krankenhaus viele Fragen gestellt hätten, die sie nur mithilfe des Guides hatte beantworten können. Sie wollten sie erst nicht zu Werner lassen. Dann kam ein Arzt und teilte ihr mit, dass ihr Mann bereits im Rettungswagen verstorben war und man ihn nicht mehr hatte wiederbeleben können. Es tat ihm sehr leid. Sie musste ihn zur Sicherheit noch identifizieren – das kam Melody seltsam vor. Dann unzählige Formulare ausfüllen, einige Belege unterschreiben. Sie wusste gar nicht, was das alles war, aber sonst hätte man ihn nicht beerdigen dürfen.

Melody stockte. „Moment mal, sagten Sie beerdigen? Hier?“

Judith runzelte die Stirn, als könne sie Melodys Einwand nicht verstehen. „Ja sicher. Es ist doch viel zu teuer, ihn nach Deutschland zu bringen. Und wo man unter die Erde kommt, ist ja auch vollkommen egal.“

Melody verschlug es die Sprache. Von jetzt auf gleich wirkte Judith alles andere als mitgenommen. Ganz im Gegenteil schien sie sogar sehr gefasst und resolut. Die Krone setzte sie dem Ganzen damit auf, zu bemerken wie schade es doch sei, dass man ihren Werner nicht nach altägyptischen Traditionen mumifizieren könne. Dann bliebe er sogar der Nachwelt erhalten.

 

 

„Das ist sicher nur der Schock“, versuchte Paul es später zu erklären, als er und Melody allein auf ihrem Hotelzimmer waren. Doch das genügte ihr nicht.

„Paul, da stimmt was nicht, das spür ich.“

„Ach Unsinn. Misch dich da nicht ein. Du musst nicht immer deinen Job überall mit hintragen. Der Mann war herzkrank und hat sich zu viel zugemutet.“

„Weil Judith ihn dazu gedrängt hat.“

Paul verdrehte die Augen. „Melody, sie ist doch keine Ärztin. Nicht mal Krankenschwester wie du. Sie wird das nicht richtig einzuordnen gewusst haben. Sowas passiert. Und er war schließlich alt genug, um selbst zu wissen, wo seine Grenzen sind. Wenn nicht, war das seine Entscheidung. Ich sag nur Frühstück.“

Beleidigt presste Melody die Lippen zusammen und sagte nichts mehr. Trotzdem ließ es ihr keine Ruhe. Die ganze Nacht grübelte sie darüber nach. Über die Gespräche mit den beiden Senioren. Sie hatten sich hier in Ägypten kennengelernt. Im Urlaub. Darum waren sie wieder hier. Ein letztes Mal, hatte Judith gesagt. War das auf das Land bezogen gewesen oder auf ihren Mann? Fast dreißig Jahre verheiratet. Die Aufgaben klar verteilt. Hatte Werner nicht gesagt, um die Medikamente kümmere sich Judith allein? Er hatte nicht einmal gewusst, welche er einnahm. Sie hatte sie ihm jeden Morgen gegeben. Beim Frühstück. Das hatte Melody die letzten drei Tage selbst gesehen. Und war es nicht merkwürdig, dass der Arzt ein neues Präparat verordnete, wenn er wusste, dass sein Patient in den Urlaub fuhr? Und das hatte er doch gewusst. Judith hatte selbst gesagt, dass sie ihn extra vor dem Urlaub aufgesucht hatten, um auf Nummer sicher zu gehen. Aber jeder verantwortungsvolle Arzt gab ein neues Medikament nur, wenn sein Patient bei Problemen umgehend Rückmeldung geben konnte. Unverträglichkeiten oder schlichte Wirkminderungen konnten immer vorkommen und waren im Risiko nicht zu unterschätzen. Was, wenn Judith diesen Urlaub bewusst genutzt hatte, um ihren Mann loszuwerden? Vielleicht um die Summe einer Lebensversicherung zu kassieren. Oder einfach, weil die Liebe nicht mehr so innig war, wie sie einmal begonnen hatte. Dafür sprach auch, dass sie so schnell die Fassung wiedergewonnen hatte. Und erst recht, dass sie Werners Leichnam gleich hier bestatten lassen wollte. Das mussten doch viel mehr Formalitäten sein, als ihn zurück nach Deutschland zu holen.

Nach einer schlaflosen Nacht beschloss Melody am nächsten Morgen, Judith direkt mit ihren Vermutungen zu konfrontieren. Sie war eine ältere Dame, wenn Melody forsch genug vorging, würde sie bestimmt einbrechen und ihren hinterhältigen Plan gestehen.

„Du hast sie nicht mehr alle“, kommentierte Paul ihren Plan. „Ehrlich, du schaust zu viele Krimis. Willst du einer frisch verwitweten Frau sowas antun? Die hat gerade echt genug zu verkraften. Immerhin ist ihr Mann gestorben. Praktisch vor ihren Augen.“

Aber Melody blieb hart. „Ich habe kein Mitleid mit ihr, wenn sie es genau darauf angelegt hat.“

„Das kannst du nicht wissen. Du bringst dich mit solchen Anschuldigungen noch in Teufels Küche.“

Den ganzen Weg zum Frühstückssaal versuchte Paul seiner Freundin ihr Vorhaben auszureden. Nur um festzustellen, dass er sich die Mühe hätte sparen können. Judith war noch am Vorabend abgereist. Gleich nachdem sie Werners Leichnam zur Einäscherung freigegeben hatte.

„Siehst du. Sie flüchtet.“

Paul schüttelte den Kopf. „Sie ist abgereist, nicht geflüchtet. Ich glaube, ich würde auch nicht hierbleiben wollen, wenn ich sie wäre. Der Urlaub ist gelaufen.“

Melody konnte nicht begreifen, wie Paul so blauäugig sein konnte. „Man bekommt doch nicht so mir nichts dir nichts einen Flug. Den hat sie todsicher schon vorher gebucht.“

Ein genervtes Schnauben war die Antwort. „Ja, klar. So ein Tod lässt sich ja auch taggenau planen. Was kommt als Nächstes? Dass du ihr unterstellst, sie hätte ihm Arsen ins Rührei gemischt? Bleib auf dem Teppich. Sie hat bestimmt gefragt, weil sie nach Hause wollte, und hatte Glück, dass noch ein Platz in der Maschine frei war.“

„Und Werner?“

„Vielleicht war das sogar abgesprochen zwischen den beiden. Dass die sterblichen Überreste in das Land kommen sollen, wo sie sich kennengelernt haben. Oder eben gleich hierbleiben, in diesem Fall. Ist doch irgendwie romantisch, dort beerdigt werden zu wollen, wo die Liebe ihren Anfang nahm. Judith lässt sich nach ihrem Tod bestimmt auch von einem Enkelsohn hier in der Wüste verstreuen.“

Pauls makaberer Humor kam bei Melody nicht an. In ihren Augen war der Fall eindeutig. Es gab genug Indizien, wenn auch keine richtigen Beweise. Aber die würde die Polizei schon finden.

„Wir müssen was tun!“, beharrte sie.

„Und was? Schatz, wir wissen doch im Grunde nichts. Das ist nur eine fixe Idee von dir. Du kannst nicht einmal ein Motiv nennen. Und jeder würde bezeugen, dass die beiden ein glückliches Pärchen waren. Melody finde dich damit ab. Judith ist weg. Wir kennen nicht einmal ihre Adresse. Und Werner ist vermutlich nur noch ein Häufchen Asche. Selbst wenn du Recht hättest, könnten wir das niemandem plausibel erklären.“

Damit gab sie sich nicht zufrieden. Sie bestand darauf, die Polizei zu verständigen. Vielleicht konnte man Judith noch am Flughafen abfangen. Paul schimpfte die ganze Zeit, dass seine Freundin den Verstand verloren hätte und ihnen den Urlaub verderben würde. Die letzten vier Tage verbrachten sie überwiegend im Streit. Es brachte jedoch weder Paul noch Melody etwas, denn die ägyptischen Behörden zeigten sich nur mäßig interessiert an dem Fall, Werner war nicht mehr aufzufinden, die Klinik, in die man ihn gebracht hatte, nicht bekannt, und das Hotel gab über Gäste sowieso nur ungern Auskunft. Schließlich gab sich Melody geschlagen, obwohl sie absolut sicher war, dass Judith eine sehr gewitzte Mörderin war. Aber mit dem Rückflug nach Deutschland verlor sie jegliche Spur und Möglichkeit. Damit musste sie sich abfinden. Paul war froh, dass das Thema schließlich beendet war.

 

 

Ein halbes Jahr später

„Guten Morgen. Sind Sie Melody Hanssen?“ Ein Polizist mit ernstem Gesicht stand vor der Tür ihrer Wohnung.

„Paul!“, rief Melody über ihre Schulter. „Kommst du bitte mal?“

Der Beamte blickte auf das Schreiben in seiner Hand und dann wieder zu Melody. „Herr Krüger ist auch hier?“

Melody nickte. Sie hatte eine ungute Ahnung, die sich Sekunden später auch bestätigte.

„Es geht um den Mord an einem Werner von Claussen. Wir verdächtigen seine Frau, Judith von Claussen. Das Hotel, das sie in Ägypten während des Urlaubs bewohnten, hat uns Ihre Adresse gegeben und gemeint, Sie könnten etwas zu dem Mord sagen.“

„Ja, wir waren sogar vor Ort bei den Behörden, aber die wollten nicht auf mich hören“, sprudelte Melody sofort los.

„Schatz, bitte!“, unterbrach Paul sie. Und dann an den Polizisten gewandt. „Sind Sie sicher, dass es Mord war?“

„Oh ja“, bestätigte der Beamte. „Daran besteht kein Zweifel mehr. Wir hätten da nur noch einige Fragen, und uns wurde gesagt, Sie wären sozusagen direkt Zeuge des Mordes geworden.“

Melody und Paul wechselten Blicke. Beide schluckten. Kurze Zeit später saßen Sie mit dem Polizeibeamten im Wohnzimmer und hatten beide erzählt, wie sie Werner und Judith kennengelernt hatten und was in den drei Tagen alles geschehen war. Bis hin zu Werners Ableben und Judiths merkwürdigem Verhalten im Anschluss.

„Ich habe gleich gesagt, da stimmt was nicht“, schloss Melody ihre Ausführungen.

„Da hatten sie das richtige Näschen“, bestätigte der Polizist.

„Und wie ist das jetzt alles herausgekommen?

---ENDE DER LESEPROBE---