Die Katze, die Osterhase spielte - Alisha Bionda - E-Book

Die Katze, die Osterhase spielte E-Book

Alisha Bionda

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es ist das Osterfest alljährlich für den Hasen recht beschwerlich. (Wilhelm Busch) Doch dieses Jahr ist er davon befreit, die Katze ihm zu Hilfe eilt. (Alisha Bionda) Stefan S. Kassner, Jo Kommer, Nicky DeMelly, Isabel Renner, Andrea Weil und Mirjam Wiesemann erzählen in ihren Novellen, warum Katzen Osterhase spielen wollen. Nicht nur für Katzenfans

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

Hrsg. Alisha Bionda

 

Die Katze die Osterhase spielte

 

Tierisch, Tierisch 2

 

 

 

Bisher in der Reihe erschienen:

Der Mops, der Liebesbote spielte, Novellensammlung, Hrsg. Alisha Bionda

Die Katze, die Osterhase spielte, Novellensammlung, Hrsg. Alisha Bionda

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

Erste Auflage im März 2022

 

 

 

Copyright © 2022 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Ashera Verlag GbR

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: AdobeStock

Szenentrenner: AdobeStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

Inhaltsverzeichnis

Es ist das Osterfest alljährlich

Vorwort

Die abergläubische Ninette und die Auferstehung des weißen Kaninchens

Die Autorin

Undercover aus Versehen

Die Autorin

Kampf der Gefühle

Die Autorin

Kalinkas Osterhasenohren

Der Autor

Der letzte Ausweg

Die Autorin

Langohren für ein Lächeln

Die Autorin

Nachwort

Die Herausgeberin

 

 

Es ist das Osterfest alljährlich

für den Hasen recht beschwerlich.

(Wilhelm Busch)

 

Doch dieses Jahr ist er davon befreit,

die Katze ihm zu Hilfe eilt.

(Alisha Bionda)

 

Vorwort

Alisha Bionda

Ich gebe zu, ich liebe Anthologien.

Sie zu lesen und sie herauszugeben.

Sie bieten mir und den Lesern die Möglichkeit, ein Thema aus vielen Blickwinkeln heraus zu betrachten.

 

Oft komme ich zu den Themen wie die sprichwörtliche „Jungfrau zum Kinde“.

So auch hier.

Ich neige dazu, mich ständig bei istock nach Covermotiven umzusehen. Was meist fatale Folgen hat, weil ich Fotos entdecke, die mich ad hoc zu neuen Projekten anregen.

 

Bei einem dieser virtuellen Streifzüge habe ich etliche Tierfotos gesehen, zu denen ich unbedingt Novellensammlungen herausgeben wollte. Zu meiner großen Freude war meine Verlagspartnerin Annika Dick auch sofort Feuer und Flamme. Und schnell war bei mir der Gedanke geboren, es mit besonderen Ereignissen im Jahr zu verbinden. Ereignisse, die für uns Menschen wichtig oder Tradition sind, die aber aus der Sicht der Tiere gelebt und erzählt werden.

 

Was ich an Textsammlungen ebenfalls liebe ist ihre Vielfalt. Auch „Die Katze, die Osterhase spielte“ zeigt dies deutlich, da die Novellen mal mehr und mal weniger an Ostern angelehnt sind, dennoch spielt dieses Fest eine Rolle.

 

Und nun viel Spaß mit den „Osterkatzen“!

 

Alisha Bionda, Ostern 2022

 

Mirjam Wiesemann

 

 

Gründonnerstag

Oh nein! Schon im Moment des Erwachens am Morgen des Gründonnerstags ahnte Ninette, dass der elfte Todestag ihrer Eltern große Herausforderungen für sie bereithalten würde. Zunächst war sie mitten in der Nacht um ein Uhr elf erwacht, um dann bis fünf Uhr dreiunddreißig weiterzuschlafen und um sieben Uhr zweiundzwanzig endgültig zu sich zu kommen. Drei numerologische Meisterzahlen gleich hintereinander in der Minutenangabe ihres elektronischen Weckers. Solch deutliche Zeichen waren nicht zu unterschätzen. Ninette hatte sich gerade aus ihrer pinkfarbenen Blumenbettwäsche geschält, um ihre Hände gründlich zu reinigen, die Utensilien für die Morgentoilette ordentlich zurechtzulegen und sich mit einem Gläschen Holunderblütensaft zu stärken, als sie den leeren Käfig ihres Kaninchens Rosa erblickte! Das konnte doch nicht wahr sein. Wie schaffte sie es immer wieder, zu entwischen? Ihr Käfig war mit allen Raffinessen ausgestattet und mit Abstand das sicherste und komfortabelste Modell, das sie ausfindig machen konnte. Sie würde sich beschweren müssen.

„Rosa! Rosa, wo bist du, mein Schatz? Komm zu Mama! Rosa!“ Ninette blickte in den kleinen Vorgarten. Dort saß sie! Ihre schneeweiße Rosa. Im Gras, zwischen den Gänseblümchen, friedlich, und mümmelte an einer sattgelben Löwenzahnblüte, die viel zu groß für das kleine Mäulchen zu sein schien, dann aber erstaunlich schnell in ihm verschwand. „Du jagst mir einen Schrecken ein, mein süßes Rosilein. Was machst du denn für Sachen?“ Ninette stellte das Hasenzäunchen auf, setzte sich mit ihrem Getränk in die Hollywoodschaukel und beobachtete ihren kleinen Nager. Sie hatte ja nichts dagegen, dass Rosa den Garten aufsuchte, aber nicht ohne ihr Wissen und völlig allein. Sie war dort draußen vielen Gefahren ausgesetzt und Ninette wollte verhindern, dass sie schlechte Erfahrungen machen musste. Sie sollte ein wunderschönes, ungetrübtes, perfektes Kaninchenleben haben, ohne Zwischenfälle. Wenn sie viele positive Erfahrungen machen und ein gutes Karma aufbauen würde, käme sie im nächsten Leben vielleicht als Mensch zurück. Als Ninettes Tochter oder ihre beste Freundin. Das wäre schön. Andererseits, ihre beste Freundin war sie ja bereits. Bald begann die Osterzeit und Ninette hatte noch einiges vorzubereiten. Nicht, dass sie Gäste erwarten würde. Ihre Eltern waren ja nun schon lange tot und ihre Freunde hatten sich im Laufe der Jahre von ihr zurückgezogen. Oder sie sich von ihnen. Dafür hatte sie aus ihrem Elternhaus ein wahres Kleinod gezaubert. Für sich selbst und Rosa. Aber auch, damit sich ihre Eltern vom Himmel aus darüber freuen konnten. Die Fußbodendielen hatte sie weiß angestrichen, die Wände schimmerten in einem hauchzarten Roséton. Wandtattoos in rosaroter Blumenoptik und Möbelstücke in Weiß und Rosé, kleine Plüschteppiche in ebenjenen Farbtönen und ein Gärtchen voller duftender Frühlingsblumen ergänzten das freundliche Ambiente. Ninette achtete akribisch darauf, dass niemals etwas Dunkles ihr Haus heimsuchte. Und sie putzte derart gründlich, dass niemals und nirgends auch nur der kleinste Fleck zu finden war. Ostern war Mama immer sehr wichtig gewesen. Immerhin war Jesus auferstanden. Das war schon eine unglaubliche Geschichte. Als Jugendliche hatte Ninette angenommen, dass die Erzählung von der Auferstehung Christi eine jener Geschichten wie die vom Weihnachtsmann sei, die man Kindern erzählte, bis sie selbst logisch genug denken konnten, um den Schwindel aufzudecken. Oder bis sie sanft von ihren Eltern an die Realität herangeführt wurden. Beziehungsweise grob von ihren Schulkameraden. Kinder waren ja so brutal. Aber dann begriff sie, dass auch viele Erwachsene daran glaubten, manche ein Leben lang. Das beeindruckte Ninette. Und sie hatte damals, als ihre Eltern plötzlich von ihr gingen, sehr viel darüber nachgedacht, ob sie wohl auch in der Lage sein würden, aufzuerstehen. Bisher war ihnen das offenbar noch nicht gelungen. Sie hätten sich ihr ohne Zweifel zu erkennen gegeben, auch wenn sie eine andere Gestalt angenommen hätten. Doch immerhin sandten sie Zeichen. Eine Wolke zum Beispiel, die dem Profil des Vaters glich. Oder eine Pflanze, die in genau jenem Augenblick von einem plötzlichen Windzug zu einem Nein oder Ja bewegt wurde, in dem Ninette eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte. Es gab auch Botschaften aus dem Fernsehen oder dem Radio, die ihr persönlich zu gelten schienen und ihr in vielen Fällen weiterhalfen. Oder Fundstücke auf der Straße. Auch wenn ihr eine Frau mit einem roten Seidenschal begegnete, schaute Ninette immer genau hin. Sie war im Laufe der Jahre eine Meisterin in der Deutung von Zeichen geworden. Und sie hatte neben ihrer Arbeit in der Wäscherei mehr als genug mit der Pflege des Hauses und der Betreuung von Rosa zu tun. Natürlich blieb da wenig Zeit für Freunde. Ihre Arbeit gefiel ihr im Übrigen sehr gut. Sie mochte es, dafür zu sorgen, dass der Schmutz aus allem herausgewaschen wurde und liebte es, die ihr anvertrauten Textilien glatt und makellos an ihre Besitzer zurückzugeben.

Ninette brachte Rosa zurück in ihren Käfig und legte ihr Wildkräuter, Gräser und einige Leckereien hinzu. Herzchenkekse, in den Sorten Waldfrucht und Anis-Fenchel. Nur wenige. Sie musste aufpassen, dass sie ihre Rosa nicht allzu sehr verwöhnte, sie war ein wenig moppelig geworden.

Dann kämmte sie ihre langen, blonden Haare vor dem Spiegel mit dem Perlenrand. Der dunkle Ansatz war schon wieder zu erkennen. Ninette konnte das nicht leiden, sie würde bald nachfärben müssen. Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu. Dem blassen Gesicht und den großen, morastfarbenen Augen. Man hätte vielleicht meinen können, ein Anflug von Glück hätte diesen Ausdruck der Freude auf ihre Lippen gezaubert, doch so war es nicht. Sie lächelte, weil sie hoffte, das Glück auf diese Weise anlocken zu können, wenn die Traurigkeit wie ein schwarzer Starkregenguss über sie kam. Im Radio erklang Chopin. Die Nocturnes. Leider, leider funktionierte der Empfang nicht störungsfrei. Ninette liebte die Nocturnes, ihre Melancholie und Leichtigkeit. Die groben Nebengeräusche machten den Genuss jedoch zunichte. Ninette summte. Summen half, wenn ihr Geist drohte Kapriolen zu schlagen. Besonders am Todestag ihrer Eltern. Sie dachte an Gründonnerstag vor elf Jahren zurück, den Tag, an dem sie für immer aus Ninettes Leben verschwanden. Es war ihr zehnter Hochzeitstag gewesen und sie wollten savoir vivre spielen. Also sammelten sie Bilder des Glücks, die meisten wahrscheinlich aus der Werbung, mieteten ein Cabriolet und besorgten Baguette und Käse für ein Picknick am nahegelegenen Fluss. Mutter winkte Ninette noch zu, als sie sich im offenen Wagen und in bester Stimmung vom Haus entfernten. Ninette würde dieses letzte Winken und das Lächeln ihrer Mutter nie vergessen. Ihr neuer Seidenschal tanzte in allen Rottönen vor Vaters Augen im Wind und versperrte ihm die Sicht, nur für einen Augenblick. Dann bogen sie um die Ecke und kehrten nie wieder zurück. Es musste einen Knall gegeben haben. Geschrei und viele Sirenen. Doch Ninette hatte all das vergessen. In ihrem Kopf war Stille gewesen, damals. Eine Art Betäubung der Sinne. Der schillernde Blick zurück, den Mutter ihr zuwarf wie einen sonnengelben Schmetterlingsschwarm, der sie bis zum heutigen Tag begleitete und ihr Freude und Leichtigkeit schenkte, war die letzte Einstellung ihres Familienfilms gewesen. Ein Happy End. Und genau so wollte sie den Abschied auch in Erinnerung behalten. Sie war siebzehn Jahre jung gewesen, als der Unfall passierte. Alt genug, um mit den Leben alleine fertig werden zu können, eine Ausbildung zu beginnen und erwachsen zu werden. Eine Handvoll Menschen begleiteten sie, bis sie einigermaßen zurechtkam. Alles war gut. Plötzlich erblickte Ninette im Spiegel, hinter ihrem Rücken, vor der Glasscheibe ihres bodentiefen Fensters zum Garten, etwas Großes, Dunkles. Zunächst dachte sie, es könne sich um einen Stein oder eine alte Wurzel, einen Schatten oder eine vom Wind herbeigewehte Plastiktüte handeln. Doch dort saß eine große, schwarze Katze die sie neugierig aus riesigen, gelben Augen anblickte. Rosa war aufgeregt, ihr Käfig stand dicht vor dem Fenster und sie war nur durch die dünne Glasscheibe und einer Entfernung von etwa einem Meter von der Katze getrennt. Ninette erschrak fürchterlich. Sie hatte das Tier noch nie in der Siedlung gesehen. Die meisten Nachbarn bevorzugten Hunde und die wenigen, die sich Katzen zugelegt hatten, besaßen graue, rötliche, mehrfarbige oder gemusterte Exemplare, aber diese hier war pechschwarz und um einiges größer als die anderen. Vielleicht eine Streunerin. Umso schlimmer. Wenn sie zu niemandem gehörte, konnte man sich auch bei niemandem über ihre Anwesenheit beschweren. Ninette hasste schwarze Katzen, überzeugt davon, dass sie Unglück brachten. Überhaupt hasste sie alles Schwarze. Schwarze Kleider, Krähen, schwarzen Humor, schwarze Löcher und das dunkle Nichts des Todes. Nicht umsonst hatte sie sich in ihrem Leben für die Farbe Rosa entschieden. Den dunklen Fleck, der sich im Laufe der Jahre an der rechten Vorderpfote ihres geliebten Kaninchens gebildet hatte, übersah sie geflissentlich.

Die Katze wich nicht von der Stelle. Sie verfolgte Ninette mit ihren Blicken. Rosa fiepste und sprang in ihrem Käfig umher. Sie hatte offenbar großes Interesse an dem mysteriösen Wesen und konnte sie mit ihrem 360 Grad-Blick aus jedem Winkel beobachten. Nun bemerkte die Katze Rosa und näherte sich ihr, bis beide vis-à-vis einander gegenübersaßen, nur wenige Zentimeter durch die Fensterscheibe und die Gitterstäbe des Käfigs voneinander getrennt. Sie starrten einander fasziniert in die Augen. Ninette hingegen war außer sich. Ausgerechnet am Todestag ihrer Eltern musste ein solch finsteres Geschöpf in ihr Heiligtum eindringen. Konnte sie nicht woanders ihr Unwesen treiben? Die Ostertage waren immer besonders schlimm für Ninette, da brauchte sie Ruhe und Frieden, um nicht aus dem empfindlichen Gleichgewicht zu geraten, das sie in ihrer kleinen, überschaubaren Welt erlangt hatte. Ninette nahm sich vor, von nun an noch besser auf Rosa achtzugeben und der Katze so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Doch die schwarze Fellnase verfolgte Ninette geradezu. Wieder und wieder tauchte sie vor den Fenstern des Hauses auf und starrte hinein. Doch Ninette konnte sich nicht für die unheimliche Kreatur erwärmen. Anders als Rosa, die geradezu darauf wartete, dass sie wiederauftauchte. Sehnsüchtig suchend schaute sie in die Ferne, bis sich der große, schwarze Schatten ihr wieder näherte. Dann starrten sie einander in die Augen, regungslos und minutenlang. Ninette versuchte, das fremde Ungetüm fernzuhalten, streute Kaffeesatz und Pfeffer rund ums Haus, versuchte es mit Essig, Knoblauch, Nelken und Menthol und ließ Rosa keine Sekunde aus den Augen. Bevor sie zu Bett ging, stellte sie Rosas Käfig neben sich und schloss die Schlafzimmertür hinter sich ab. Sie schlief noch schlechter als in der Nacht zuvor. Das war unter anderem auch Rosa zu verdanken, die dem Namen ihres berühmten Artgenossen Klopfer in jener Nacht alle Ehre machte. Ninette mochte das Häschen aus dem Film, dessen Benimmregel lautete: „Wenn man nichts Nettes zu sagen hatte, sollte man den Mund halten“. Schön und gut, aber warum klopfte Rosa mit ihren Hinterläufen? Hatte sie Angst? War sie wütend, überspannt? Ninette streichelte ihre Stirn, konnte sie und auch sich selbst ein wenig beruhigen und schlief ein. Im Traum erwachte sie und versuchte, die Jalousien hochzuziehen. Doch sie bewegten sich keinen Millimeter und waren schwer wie Blei. Es war dunkel im Haus. Selbst die Lichter funktionierten nicht mehr. Ninette tastete sich ängstlich von Zimmer zu Zimmer und rief nach ihrer Rosa. Plötzlich erblickte sie zwei riesige Augen, die strahlten wie goldene Scheinwerfer und ihr den Weg zur Tür leuchteten. Doch bevor sie feststellen konnte, ob sie zu öffnen war, endete der Traum.

 

 

Karfreitag

Karfreitag schmückte Ninette den Garten, wie in jedem Jahr, aufwändig: Auf dem Rasen arrangierte sie ein großes, dekoratives Nest aus Moos und Pinienrinde, gefüllt mit Osteraccessoires, umgeben von roséfarbenen Frühlingsblumen.

Als sie mit einem Büschel Spitzwegerich und Löwenzahn für ihr kleines Rosinchen zurück ins Haus kehrte, sah sie, dass der Käfig wieder leer war. Wie konnte das geschehen? Sie hatte Rosa nur wenige Minuten aus den Augen gelassen! Sie konnte also nicht weit gekommen sein. Ninette irrte verzweifelt im Haus umher und rief nach ihr, konnte sie aber nirgends finden. Auch im Garten war sie nicht zu sehen. Ob die Katze ihren Schatz geholt hatte? Schon am Vortag hatte sie lauernd auf Rosa geblickt. Man durfte das nicht unterschätzen, Katzen waren Raubtiere und schwarze Katzen noch dazu Unglückbringende. Ninette war sehr, sehr enttäuscht, dass ihre Eltern kein Zeichen sandten und stattdessen dieser Störenfried aufgetaucht war, der ihr Liebstes bedrohte.

Nach stundenlangem Umherstreifen zwischen Moos, Farn und Asphalt fand Ninette den silbernen Namensanhänger ihres geliebten Hasen am Straßenrand. Sie war untröstlich. Es war, als würde Rosa in ihr nagen, scharren, klopfen, ängstlich fiepsen und gleichzeitig vor Wut fauchen. Ein schriller, durchdringender Laut, der sich aus all jenen Zuständen zusammensetzte, hallte in Ninette wieder. Ein Notruf, mitten ins Herz. Sie fühlte Rosas Zustand als Klos im Hals, Stich in der Brust, Faust im Nacken. Als plötzlichen Tränenfluss, der keiner eigenen Not oder Freude entsprang. Auch, wenn sie nicht ununterbrochen laut nach ihr rufen konnte, schrie sie doch innerlich ohne Unterlass. Rosa! Rosa! Der Ruf wollte nicht verhallen. Wie sollte sie ohne Rosa zurechtkommen? Sie war ein Teil ihrer selbst. Sie erweckte ihr Heim erst zum Leben. Rosas Anwesenheit war es, die Ninette erquickte und wärmte. Die es sinnvoll machte, für Nahrung zu sorgen, zu arbeiten und es schön zu machen. Ohne Rosas weiches Fell in greifbarer Nähe fror Ninette, auch im Sommer. Sobald sie es berührte, breitete sich ein weiches, zartes Gefühl von flauschiger Geborgenheit auf ihrer Haut aus, als lege Mutter sanft eine Bettdecke über sie, kurz vor dem Schlafengehen.

Einer ihrer Nachbarn hatte sie Ninette nach dem Unfall ihrer Eltern geschenkt, als sie noch ein winziges Tierbaby war. Der Anblick dieses kleinen, hilflosen Wesens war es, der ihr die Kraft gegeben hatte, Sorge zu tragen für sich selbst und ein weiteres, noch viel bedürftigeres Wesen.

Plötzlich horchte Ninette auf. Der Ruf einer Eule drang an ihr Ohr! Am helllichten Tag. Sie wusste nur zu gut, dass eine Eule, die sich tagsüber bemerkbar machte, ein Vorbote des Todes war. Ninette meinte, ein „kuwitt, kuwitt ... komm mit, komm mit“ herauszuhören, den Lockruf des Steinkauzes, der die Seelen der Sterbenden mit sich in sein Reich der Nacht nimmt. Ihre Angst schwoll zu einer unerträglichen Panik heran. Außer sich überquerte Ninette die Straße, da erblickte sie die schwarze Katze auf der anderen Seite. Sie bewegte sich langsam und geschmeidig von links nach rechts. Unwillkürlich erinnerte sich Ninette: Geht die schwarze Katze von rechts nach links, gelingt’s, geht sie von links nach rechts, wird’s was schlecht’s. Kein Wunder, schon in der Bibel stand geschrieben, dass die guten Menschen beim Jüngsten Gericht auf der rechten Seite stehen, die schlechten jedoch auf der linken. Die Katze blieb stehen und starrte Ninette an. Ihre Augen leuchteten und ihr Blick durchdrang Ninette, als wäre er mit Röntgenstrahlen ausgestattet, derart intensiv, dass Ninette mitten auf der Straße innehielt. Genau in jenem Augenblick raste ein Cabriolet um Haaresbreite an ihr vorüber. Ninette erschrak beinahe zu Tode. Hätte sie die Katze nicht bemerkt und kurz innegehalten, wäre sie höchstwahrscheinlich von dem Fahrer erfasst, vielleicht sogar getötet worden. Der jedoch kam von rechts, von der guten Seite, was Ninette nachdenklich stimmte. Als sie heil auf der gegenüberliegenden Straßenseite angelangt war, war die schwarze Fellnase verschwunden.

Ninettes Suche nach Rosa blieb ergebnislos. Sie gestaltete und verteilte noch am selben Tag Suchplakate mit einem zauberhaften Bild und einer detaillierten Beschreibung ihres Kaninchens. Nur ihren dunklen Fleck an der Vorderpfote sparte sie aus. In der Nacht von Freitag auf Samstag träumte sie erneut. Rosa hoppelte munter in der Nachbarschaft umher. Die schwarze Katze verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Ninette beobachtete die Situation mit einem Fernglas von zu Hause aus, konnte aber nicht eingreifen, weil ihr hübsches Heim zu einem Gefängnis geworden war. Die Fenster waren vergittert und die schweren Metalltüren mit den Essensklappen waren verriegelt. Ninette hatte eine solche Angst um ihr kleines Kaninchen, dass sie fast wahnsinnig wurde. Doch plötzlich wandte sich Rosa der Katze zu, hoppelte ihr entgegen und zeigte ihr die Zähne, die zu einem furchterregenden Raubtiergebiss herangewachsen waren. Die Katze war derart verschreckt, dass sie eingeschüchtert davonlief. Erhobenen Hauptes und ohne sich noch einmal umzuschauen, setzte Rosa ihren Weg fort. Ninette schrie durch die Gitterstäbe des Fensters hindurch um Hilfe. Sie wollte das Haus verlassen und hoffte, dass jemand sie befreien würde. Rosa war nicht mehr zu sehen, aber die Katze tauchte wieder auf, lief auf ihr Haus zu und schob mit einer Tatzenbewegung den Riegel der Eingangstür beiseite. Ninette war frei. Als sie die Tür öffnete, saß die Katze da und schaute sie an. Ninette bemerkte plötzlich einen weißen Fleck auf ihrer rechten Pfote.

 

 

Ostersamstag

Als Ninette am frühen Samstagmorgen erwachte, drang Sonnenlicht in ihr Zimmer. Sie schaute sich verstohlen um und stellte erleichtert fest, dass ihr schönes Heim weder mit Gitterstäben noch mit schweren Metalltüren ausgestattet war. Mit Ausnahme von Rosas Käfig. Der lange Schatten der Stäbe wuchs auf dem Boden zu einer bedrohlichen Größe heran. Ninette meinte, auf den Schattenlinien balancieren zu müssen, um nicht in die Abgründe dazwischen zu stürzen. Nachdem sie ihre Hände drei Mal gewaschen und ihre Vitamintabletten mit einigen ordentlichen Schlucken ihres Holunderblütensaftes zu sich genommen hatte, schaute sie in ihren Briefkasten. Nichts. Als würde ihr Haus nicht existieren.

Auch auf ihrem Handy und dem alten Festnetztelefon, das noch aus dem Nachlass ihrer Eltern stammte, keine Nachricht auf ihr Vermisstenplakat. Als wäre nicht nur Rosa vom Erdboden verschluckt. Nur sie war übriggeblieben, völlig allein.

Sie durfte nicht aufgeben und entschloss sich, die Suche auszudehnen. Auf ihrem Fahrrad führ sie stadteinwärts. Dies tat sie selten. Und in diesem Fall ausschließlich aus Liebe zu Rosa, um weitere Vermisstenplakate zu verteilen. Als sie eines davon an einem Pfosten in der Nähe der Brücke, die in die Innenstadt führte, befestigen wollte, begegnete ihr eine einsame Elster. Ein weiteres schlechtes Omen. Elstern pflegten normalerweise zu zweit unterwegs zu sein. Und, zumindest in England, war man überzeugt davon, dass Elstern, die alleine daherkamen, Unglück bedeuteten. Ein Kunde, der seine weißen Hemden einmal in der Woche in die Reinigung brachte und dessen Eltern in England lebten, hatte ihr dies verraten und ihr auch gleich anvertraut, wie man in einem solchen Fall zu reagieren habe, um das Unglück von sich abzuwenden. Ninette grüßte also das schwarz-weiße Federvieh betont freundlich mit den Worten: Guten Tag, Herr Elster, wie geht es Ihrer Frau?“ um dann, sollte es sich um eine Dame handeln, vorsichtshalber hinzuzufügen: Guten Tag, Frau Elster, wie geht es Ihrem Mann?“. Schnell schickte sie den vom Kunden empfohlenen Spruch „One for Sorrow, two for Joy“ hinterher. Auf diese Weise schloss sie Freundschaft und konnte angeblich verhindern, dass die Elster sie später bestehlen würde. Dennoch wagte Ninette es nun nicht mehr, die Brücke zu überqueren. Nicht nur die einsame Elster, auch ihre feuchten Hände, ihre weichen Knie und ihr staubtrockener Mund, der nach Wasser lechzte, als sei sie seit Tagen in der Wüste unterwegs, bewegten sie zur Umkehr. Sie musste die Zeichen ernst nehmen. Wenn ihr etwas zustoßen würde, wer sollte sich dann um Rosa kümmern? Also legte sie die restlichen Plakate in den Fahrradkorb und machte sich auf den Weg zurück nach Hause.

Nach Hause?

Wenn Rosa nicht dort war, war es kein Zuhause mehr. Als sie sich umschaute, wurde ihr bewusst, dass sie die Straßen, durch die sie das Fahrrad schob, schon lange nicht mehr aufgesucht hatte. Sie kannte viele der neueren Geschäfte nicht. Die Menschen waren ihr zu hektisch und zu laut. Raserei, wo sie auch hinblickte. Jeder verfolgte ein Ziel, doch die Getriebenen liefen nicht auf etwas zu, sondern vor etwas davon. Jeder vor etwas Anderem. Die Frau mit dem blauen Kostüm und dem zusammengekniffenen Mund vor ihrem lieblosen Mann. Der kleine, dicke Junge vor seinen Schulkameraden, die sich über ihn lustig machten. Der arrogante Muskelprotz vor den Erinnerungen an eine einsame Kindheit. Ninette fühlte die fremden Schicksale hinter den Fassaden. Die Angelegenheiten der Anderen wurden unwillkürlich zu ihren eigenen, sie konnte nichts dagegen tun. Unter derart vielen Menschen verlor sie sich selbst. Sie wusste nicht zu unterscheiden, welche Bilder und Stimmungen ihrem Inneren entsprangen und welche dem der Anderen? Sie brauchte den Schutz von Wänden, Kleidern und Sonnenbrillen und die Gegenwart von Blumen und Singvögeln. Dies schützte sie zwar eher schlecht als recht, aber immerhin ein wenig.

Nachdem sie ihren Ausflug überstanden hatte, setzte sie sich erschöpft in ihre Hollywoodschaukel. Doch es wollte keine Freude aufkommen, weder an ihren Blumen, noch an ihrem süßen Getränk oder der vielgestaltigen Dekoration. Ohne Rosa war ihr Leben sinnlos. Ein Lebewesen brauchte doch jeder Mensch in seiner Nähe. Und ihres war nun fort. Sie lauschte und blickte umher. Sie hoffte immer noch auf ein Zeichen ihrer Eltern, ein Geräusch im Gebüsch, das die Rückkehr ihres Kaninchens ankündigte, eine Reaktion auf ihre Aushänge. Nichts dergleichen geschah. Sie war mutterseelenallein. Nur die schwarze Katze schlich ums Haus, aber in gebührendem Abstand. Ninette betrachtete besorgt den Wetterwechsel, der sich am Himmel ankündigte. Ein Windzug setzte ihre Hollywoodschaukel in Bewegung. Es war ein dichter Wind, beinahe körperlich, als würde eine mächtige Hand sie berühren und durchdringen. Ninette hatte Angst, dass ein aufziehender Sturm, vielleicht aber auch schon dieser erste leise Hauch eines Windes, ihr Haus zerstören, ihren Garten verwüsten, alles fortwehen könne, was ihr etwas bedeutete. Alles war so zerbrechlich in ihrem Leben, auch und besonders das Leben an sich. Sie sah noch den roten Schal ihrer Mutter vor sich, der vom Wind wie ein exotischer Vogel fortgetragen wurde. Ninette dachte, vielleicht würde es helfen, zu Gott zu beten. Doch sie musste unwillkürlich weinen, sobald sie ihre Hände faltete. Sie erinnerten sie zu sehr an die Hände ihrer Mutter. Ninette hatte die gleichen leicht nach innen gebogenen Zeigefinger und die ausgeprägten Adern wie sie. Arbeiterhände, zäh und stark, anders als Ninettes sonst so verletzliche Erscheinung.

Es half alles nichts, sie würde sich nicht zurechtfinden in der Welt ohne Rosa.

 

 

Ostersonntag

Nach einem schrecklichen Samstag der ergebnislosen Suche und einer durchwachten, tiefschwarzen Nacht der Trauer öffnete Ninette wie an jedem Morgen die Vorhänge. Am Himmel hatte sich ein Regenbogen gebildet. Die strahlende Sonne war durch die Regentropfen gedrungen, die jede einzelne Farbe des Sonnenlichts sichtbar gemacht hatte. Als sie so dastand und gedankenverloren in den Garten blickte, bemerkte Ninette plötzlich eine Bewegung in ihrem großen Osternest zwischen den Blumen und Gräsern. Leise, begleitet von einer Mischung aus Angst und Neugier, öffnete sie die Gartentür und schlich näher an das Nest heran. Sie konnte nicht fassen, was sie dort erblickte: Die schwarze Katze hatte es sich zwischen den Dekohasen und Eiern gemütlich gemacht. Ninette war außer sich! Womöglich hatte das schwarze Übel ihre Rosa gefressen und ruhte sich nun fett und unverschämt in deren Zuhause von ihrer ergiebigen Mahlzeit aus. Jedenfalls saß sie recht zufrieden da.

In der Absicht, den ungebetenen Gast endgültig zu vertreiben, wollte sie gerade den Rückweg antreten, um den Wasserschlauch auf das Nest zu richten, da offenbarte sich ihr ein einmaliger Anblick: An den Bauch der Katze schmiegten sich mindestens vier, vielleicht auch sechs winzige neugeborene Katzenbabys. Die Katze ließ es zu, dass Ninette noch einen Schritt näher herankam. Bei genauerer Betrachtung bemerkte sie, dass zwei der winzigen Wesen anders aussahen als die Anderen. Es waren neugeborene Kaninchen! Die Katze hatte Osterhase gespielt!

Die Kleinen waren offensichtlich von ihr aufgenommen worden und wurden von ihr behütet und gesäugt wie ihre eigenen Babys. Die frischgebackene Mutter ließ sich durch Ninettes Anwesenheit kaum stören. Ein kurzer Blick und eine leichte Bewegung des Schwanzes waren die einzigen Anzeichen dafür, dass sie Ninette wahrgenommen hatte. Rosa war allem Anschein nach trächtig gewesen, ohne dass Ninette es bemerkt hatte. Jedenfalls ging sie davon aus, dass die Hasenbabys im Osternest zu ihr gehörten. Ninette war ja nicht entgangen, dass ihr Häschen etwas fülliger geworden war, sie hatte dies aber ihrer guten und reichhaltigen Ernährung zugeschrieben. Wie konnte es passieren, dass sie schwanger geworden war? Und das in ihrem hohen Alter? Nun lag da diese Katzenmama und sorgte dafür, dass die Jungen ihrer geliebten Rosa auch ohne deren Mutter überleben konnten. Doch was war aus Rosa geworden? Hatte sie all das überstanden? Ninette machte sich nun noch viel größere Sorgen als zuvor. Wie war die Katze an Rosas Junge gekommen? Eine Mutter ließ ihre Neugeborenen doch nicht allein! Jedenfalls nicht ohne ernsthaften Grund. Es musste also etwas Schlimmes geschehen sein. Hatte sie die Geburt nicht überlebt? Mit elf Jahren konnte sie zwar noch trächtig werden, doch in dem außergewöhnlich hohen Alter würde eine Schwangerschaft auch ihren Tod bedeuten können.

Sie sah die arme Rosa vor ihrem inneren Auge in höchster Not, während sie immer noch erstaunt über das Bild war, das sich ihr darbot. So viel Bewegung wie in den letzten Tagen hatte es in den gesamten letzten Jahren ihres gleichförmigen Lebens nicht gegeben.

Ninette setzte sich vorsichtig in ihre Hollywoodschaukel, um die Katze nicht zu erschrecken. Schließlich wurde sie noch gebraucht. Würde der Grund für Rosas Verschwinden ein trauriges Rätsel bleiben? War sie Überfahren worden? Vielleicht hatte die Katze sie doch gefressen und dann ihre Jungen entwendet. Vielleicht lag Rosa auch schwerverletzt und hilflos irgendwo, mutterseelenallein. Oder hüpfte einsam und ziellos umher, auf der Suche nach ihrem Zuhause und ihren Jungen? Hatte jemand sie eingefangen und in seine Obhut genommen? War sie in einem Tierheim gelandet?

Ninette konnte nicht aufhören, über Rosas Schicksal nachzudenken.

Leben tat weh. Alles, was man liebte, würde eines Tages fort sein. Alles, ohne Ausnahme. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie sich darauf eingestellt, dass das Leben aus einer langen Folge von Abschieden bestehen würde.

Etwas riss sie aus ihren Gedanken. Ein Mann stand plötzlich vor ihr, der aussah wie Jesus in seiner gealterten Version. Langes, angegrautes Haar, helle Augen in denen sich das Licht der ganzen Welt spiegelte, mit einem sanft-ironischen Lächeln um die Mundwinkel und einem schlichten, weißen T-Shirt, dass seine schlanken, aber muskulösen Arme nur teilweise bedeckte. In seinen unglaublich sensiblen und feingliedrigen Händen hielt er ein weißes, leicht lädiertes und verschmutztes Knäuel: ihre Rosa! Ninette konnte es kaum fassen. Pünktlich zum Ostersonntag war also Jesus gemeinsam mit ihrem über alles geliebten Hasen auferstanden. In ihrem Garten! Welch eine Ehre! Andererseits konnte das Ganze auch eine Art Halluzination sein, die ihrem Stress und dem Schlafmangel der letzten Tage geschuldet sein mochte. Doch die beiden waren sehr real, was spätestens in dem Moment nicht mehr zu übersehen war, als auch die Katze auf deren Erscheinen mit einem neugierigen Blick und spürbarer Anspannung reagierte. Glücklicher als Ninette hätte ein Mensch nicht sein können. Danke! Vielen, vielen Dank! Voller Glückseligkeit lief sie auf ihr liebes Tierchen zu, nahm es Jesus lächelnd aus den Händen und wollte es an sich drücken. Doch Rosa strampelte sich ungeduldig aus ihrer Umklammerung und konnte es kaum erwarten, sich dem Nest zu nähern. Ninette wollte sie zurückhalten, aber Jesus hinderte sie mit einer sanften Geste daran.

„Keine Sorge, es wird nichts passieren.“

„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte Ninette, erstaunt und leicht verärgert über die beinahe überhebliche Gewissheit, die er ausstrahlte.

„Ich kenne die Katze. Sie ist regelmäßig Gast bei mir. Offensichtlich gehört sie niemandem. Sie ist anhänglich, aber nicht aufdringlich und schon gar nicht gefährlich. Glauben Sie mir.“

Ninette glaubte ihm. Er war durch und durch glaubwürdig. Vertrauenerweckend. Neugierig, aber noch ein wenig vorsichtig, setzte Rosa einen Pfote vor die Andere. Sie sah mitgenommen aus. Ihr Fell war struppig und am Unterbauch sah man noch Reste von getrocknetem Blut.

Ihre Ohren waren nach vorn gerichtet, ihr Körper angespannt und auf dem Sprung. Die Katze erstarrte, als Rosa langsam näherkam, duckte sich ein wenig und rollte ihren Schwanz eng an ihren Körper. Ihre Ohren waren angelegt und die Augen, die Rosa auf Schritt und Tritt beobachteten, waren weit aufgerissen. Doch der mutige Hase wagte sich weiter vor. Ninette war nicht weniger angespannt, griff aber nicht ein. Dieser Moment gehörte den Tieren. Würde die Katze sie an die Neugeborenen heranlassen? Wie würde Rosa auf ihre Babys reagieren? Würde sie die Kleinen als die ihren akzeptieren können, obwohl sie einen fremden Geruch angenommen hatten? Wie konnte es überhaupt passieren, dass Rosa nicht bei ihnen geblieben war?

Rosa war nun beim Osternest angelangt. Zu Ninettes Überraschung rührte sich die Katze nicht vom Fleck, als die Häsin behutsam über den Nestrand glitt, um sich langsam zwischen die Kleinen zu schieben. Irritiert und aufgeregt beschnüffelte sie die vielen Babys! Und siehe da, die Kleinen quiekten aufgeregt und Rosa leckte sie von oben bis unten ab, auch die Neugeborenen der Katze, die das Ganze in leichter Daueranspannung über sich ergehen ließ, jedoch nicht eingriff. Im Gegenteil! Plötzlich rückte sie ein wenig näher an Rosa heran. Ninette würde nachlesen, ob es ein derartiges Zusammentreffen in der Tierwelt schon einmal gegeben hatte. Obwohl: wozu? Hier fand es statt und das war die Hauptsache.

Erst jetzt wandte sich Ninette Rosas Retter zu.

„Ich hatte den schwarzen Racker schon vermisst“, sagte er. Seine Stimme drang in sie ein wie das Schnurren einer glücklichen Katze, die es sich auf dem Bauch ihres Lieblingsmenschen gemütlich gemacht hat. „Aber sie scheint ja ein neues Zuhause gefunden zu haben. Und offensichtlich hat sie gleich eine ganze Großfamilie gegründet.“ Er lächelte.

„Sie kennen die Katze?“

„Ja, ich kümmere mich ab und zu um sie. Ich habe sie übrigens Zuanshi getauft.“

„Und was bedeutet Zuanshi?

---ENDE DER LESEPROBE---