Der Mops, der Weihnachten verschlief - Alisha Bionda - E-Book

Der Mops, der Weihnachten verschlief E-Book

Alisha Bionda

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Beschreibung

Weihnachten ist keine Jahreszeit. Es ist ein Gefühl. Edna Ferber Nicky DeMelly, Tabea Petersen, Konrad K.L. Rippmann, Nena Siara, Mirjam Wiesemann und Caitlyn Young unterhalten die Leser humorvoll-weihnachtlich. Mit der Titelnovelle von Caitlyn Young. „Liebes Christkind, bitte nicht wieder durcheinanderbringen: -Mein Konto: fett. -Ich: schlank. Danke!“ Autor unbekannt

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Hrsg. Alisha Bionda

 

 

 

 

Der Mops,

der Weihnachten verschlief

 

 

 

Anthologie

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erste Auflage im November 2022

 

 

 

Copyright © 2022 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: pixabay

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Printed by: Booksfactory

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Impressum

Vorwort

Good Old Rudolph

Die Autorin

MEGA MOPS - Der überforderte Schutzengel

Die Autorin

Eymen und die Erbsenzähler

Die Autorin

Der Mops, der Weihnachten verschlief

Die Autorin

Dänische Weihnachtsdelikatessen - Oder: Hilfe, die Familie kommt

Die Autorin

Der Weihnachtsbaum, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Autor

Vorwort

Alisha Bionda

 

„Weihnachten ist, wenn die besten Geschenke am Tisch sitzen und nicht unterm Baum liegen.“

 

Weihnachten ist die Zeit der Besinnlichkeit, der Familie, des Friedens .... und der Geschenke.

Für mich ist das größte Geschenk, die Zeit, die mir die Menschen widmen, die mir am Herzen liegen. Zeit der Gemeinsamkeit. Monetäres kommt mir da eher nicht in den Sinn.

 

Auch wir wollen unseren Lesern etwas schenken – einige humorvolle Lesezeiten, und somit Stunden der Ruhe und Entspannung.

 

Merry Christmas.

 

Alisha Bionda, November 2022

 

Good Old Rudolph

Nena Siara

 

„Noch eine Woche, Martha. Bis dahin muss ich einsatzbereit sein“, bestimmte ich und erntete schallendes Gelächter. „Was gibt‘s da zu lachen?“, wollte ich wissen und reckte meinen fast steifen Hals. Das schwere Geweih war mir lästig.

„Das wird nie was, Opi. Du kriegst jetzt schon die Maximaltherapie, mein Guter. Irgendwann fällt jede Krone“, höhnte die blöde Kuh, die sich meine persönliche Ärztin und Masseurin nannte, aber auch eine üppige Elfe mit magischen und talentierten Händen war. „Vielleicht noch eine Cortisonspritze direkt ins Gelenk?“, plapperte sie und ich nickte.

„Au. Geht‘s vielleicht etwas sanfter?“, motzte ich, mein Körper verkrampfte sich schlagartig. Aber dann kroch die Betäubung in das Hüftgelenk und bescherte mir ein angenehmes Wohlgefühl.

„Dann wollen wir mal, Opa Rudi“, neckte mich Martha und setzte die Cortisonspritze an.

„Himmel Santa und noch eins. Nenn mich nicht Opi, Martha“, wetterte ich, eigentlich bettelte ich. Am liebsten hätte ich Martha-Minikloß gesagt, aber die Spritze war noch nicht an Ort und Stelle und ich befürchtete, Martha würde sich in den kommenden Tagen verleugnen lassen, wenn ich sie auf ihr massives Übergewicht ansprach. Das weibliche Geschlecht konnte uns Männer immer foppen. Umgekehrt galt die Wahrheit oft als Todsünde und wurde mit sofortiger Ignoranz bestraft.

„Ich setz dir auch ein paar Akku-Nadeln. Du musst ohnehin noch liegenbleiben. Nebenbei ein wenig Rotlicht, Rudi?“ Da war sie wieder, meine hilfsbereite Martha.

„Gerne beides, Martha. Akupunktur wirkt wahre Wunder und das nasskalte Wetter der letzten Tage bringt den Schmerz in jede Zelle“, lobte ich ihre Aufmerksamkeit und entspannte sofort wieder auf dem Rentier-Relaxbett. Es bestand aus einem weichgepolsterten Bock, der meine Bauchseite wattierte. Sobald ich über dem Bock hing, drückte Martha auf einen Knopf, der die Trittbretter in die Tiefe beförderte. Meine Beine baumelten daraufhin in der Luft. Zur Behandlung gehörte auch eine Kopfschlinge, die mich um das Gewicht meines Geweihs entlastete und gleichzeitig den Nackenmuskel dehnte. Herrlich. Genau da setzte Martha gerade genüsslich die ersten Akupunkturnadeln an, die mich augenblicklich entspannten. Die Wärmelampe gab mir ein Gefühl von Wonne und erinnerte mich an Klein-Rudolph, der sich wärmend an Mamas Brust schmiegte. Wow, das war lange her. Ich sank in einen genüsslichen Schlaf und träumte vom Nordpol-Wellness-Resort.

 

 

Etwa eine halbe Stunde später rüttelte mich Martha wach. „Hey, Schlafmütze, ist heute nicht das große Treffen mit Santa?“

„Ja, verdammt, aber ich habe doch gerade vom North-Well geträumt“, schwärmte ich verschlafen und gähnte, während die Trittbretter zu meinem Leidwesen in die Hö-he gefahren wurden, und ich mein ganzes Gewicht, samt Übergewicht wieder allein tragen musste. Grrr.

„Damit kann ich leider nicht dienen. Bei mir gibt es nur das Rentier-Einmaleins. Aber vielleicht kannst du dich nach Weihnachten für eine Kur anmelden. Das hatte ich dir schon letztes Jahr empfohlen“, sagte sie mit einem mahnenden Blick.

Als mir auch die Kopfschlinge entfernt wurde, stöhnte ich kurz auf. Das verdammte Geweih.

„Sag, Rudolph, was macht das nächtliche Herzrasen?“, wollte Martha wissen, weil sie wusste, dass ich auch dieses Jahr nicht auf ihren Wellnessvorschlag einging. Aber mit dem Herzthema sprach sie ein noch viel besorgniserregenderes Thema an. Nur zu gerne hätte ich es unter den Schnee gekehrt.

„Mittelprächtig“, versuchte ich mich zu winden, aber ich wusste, es gab keinen Martha-Notausgang.

„Konkreter bitte, Rudi. Das mit deinem Herzen nehmen wir ernst, ja. Die Knochen sind das eine, die Pumpe ist dein Lebenselixier.“

„Mein Lebenselixier ist die weihnachtliche Schlittenfahrt mit Santa Claus. Alles andere kann mich mal. Und jetzt lass mich gehen. Stehen ist das unangenehmste von allem“, raunte ich. „Danke für deine tolle Hilfe, Martha. Bis übermorgen.“ Ich grüßte und wollte mich abwenden, aber sie hielt mich zurück.

„Moment mal. Du schluckst das jetzt mein Freund und wir sehen uns nicht erst in zwei Tagen, sondern morgen. Verstanden?“ Das war definitiv keine Frage.

Sie hielt mir ein Stück Würfelzucker vor die Nase und ich nahm es auf die Zunge. Es schmeckte herrlich süß. Wie Zucker eben, aber ich wusste, es war der Betablocker, den sie mir schon gestern andrehen wollte. Heute hatte sie gewonnen und zog mir siegessicher die Tür ihrer Praxis auf. „Viele Grüße an Santa Claus und hab einen schönen Abend mit deinen Kollegen“, wünschte sie mir und ich wünschte ihr etwas Ähnliches.

 

 

Von der Behandlung belebt stapfte ich leichterer Hufe durch den Schneepfad Richtung Kreishalle. Der Bau erinnerte mich an eine monströse Schwitzhütte. Allerdings für Riesen, weil noch fünf Rentiere über mir Platz gehabt hätten. Obwohl die Hüfte noch schmerzte und mir kaum eine Bewegung fließend gelang, bemühte ich mich, mir nichts anmerken zu lassen, als ich den pompösen Holzbau durch die Pforte betrat. Schloss man die Tür, war eine Schnitzerei von Santa Claus‘ Kopf zu sehen, war sie geöffnet, halbierte er sich. Dennoch schien Santa auf beiden Hälften breit zu lachen, was einladend und behütend wirkte. Als würde Santa Claus jeden willkommen heißen, der seinen Huf oder Fuß über die Schwelle setzte.

„Hey, Rudolph, alles ready bei dir? Red Nose is shining tonight?“, begrüßte mich einer der Elfen, die das Catering übernommen hatten.

„Every night my nose is shining“, antwortete ich und hob die Brust, um kraftvoller zu wirken. Mir Schwäche anmerken zu lassen, war ein No-Go in dem Business.

„Hey, kannst du nicht aufpassen, Rudi. Du hättest mich fast erwischt.“

Ich erstarrte. Tatsächlich. Fast hätte ich Dancers Elfe Karla mit dem Geweih erwischt. In letzter Zeit wurden auch meine Augen immer schlechter. Was zum Rentier kam denn noch?

Ein ehrliches „Entschuldigung“ brummelnd schritt ich zur Bühne. Santa Claus wünschte sich seine Rentiere zum Endspurt sichtbar für alle auf der großen Bühne, die ellipsenförmig die Mitte der Kreishalle einnahm. Die anderen Rentiere warteten bereits und scharrten mit den Hufen, röhrten laut und schüttelten ihre prachtvollen Geweihe. Der goldene Schlitten war auf Hochglanz poliert und glitzerte. Das rote Polster, auf dem Santa Claus jeden Moment sitzen würde, ebenfalls.

Stolz, auch in diesem Jahr die erste Geige zu spielen, trottete ich zur Rampe, die auf die Bühne führte. Die Elfen und Kobolde jubelten und klatschten, als ich dort stehenblieb, bereit, hinaufzulaufen. Doch beim Nachziehen des Hinterhufs wurde mein Ischias trotz Cortisonspritze aktiviert und schoss mir einen stechenden Schmerz durch den Rücken.

Ohne es zu wollen, röhrte ich und verzog das Gesicht. Die tobende Menge verstummte.

Die Blicke, die sich noch nicht auf mich gerichtet hatten, tackerten sich an mir fest. Verdammt. Mit aller Kraft zog ich den Huf nach und schritt auf die Plattform. Zitternd und den stechenden Schmerz veratmend lief ich an meinen Rentierkollegen vorüber bis zur Spitze. Würde ich ihn dieses Jahr tatsächlich anführen können? Ich, Opa Rudolph?

 

 

Im Saal wurde gemurmelt und mein Körper aufmerksam beäugt, aber gerade, als die Blicke unangenehm wurden, ertönte das Horn. Santa Claus wurde angekündigt und im nächsten Moment wurde der Fokus von einem Opa zum nächsten gelenkt. Halleluja.

Santa betrat mit einem strahlenden Lächeln die Kreishalle und winkte. Wie immer trug er seine rot-weiße Kluft und die schweren, schwarzen Stiefel. Warum kam er nie in die Jahre? Verbrachte er vielleicht die meiste Zeit im North-Well und ließ sich glücklich massieren?

Ich war derart auf ihn und das Veratmen meiner Schmerzen fixiert, dass ich den jungen Rentierbock erst wahrnahm, als er bereits mit Santa Claus auf der Bühne ankam und sich neben Santa platzierte. Was zum Henker hatte dieser Jungspund hier zu suchen?

Das Gemurmel verstummte. Alle Blicke richteten sich auf den berühmten Weihnachtsmann. Verglichen mit den letzten Jahren nichts Unübliches. Dennoch schwang zwischen der Stille eine unsichtbare Erwartung. Veränderung lag im Raum. Und ich sollte gleich erfahren, wie tief man fallen konnte.

Nach der jährlichen Begrüßung, der Danksagung an sein Verpackungsteam und den Helfern, um Weihnachten seine Magie zu erhalten, setzte Santa Claus erneut an. „Liebe Freunde der Weihnachtszeit. In diesem Jahr werden wir ein neues Mitglied in unsere Reihen aufnehmen. Ein alter Bekannter aus Lappland hat uns den jungen Stardust ans Herz und in unsere Obhut gelegt. Möge er von uns in Liebe aufgenommen werden, viel von unserer Rentiercrew lernen und nur glückliche Tage erleben. Willkommen am Nordpol, Stardust“, jubelte Santa und schmetterte mich damit zu Boden.

In Trance nahm ich den roten Weihnachtsopi und den jugendlichen Stardust wahr, wie sie beide auf mich zuliefen. Rot-silber-Team auf der Überholspur. Erst als Stardust neben mir ankam, bemerkte ich das zweite, schmalere Geschirr, das ohne Inhalt neben mir glänzte. Kaum war mein Frontpartner an seinem Platz angekommen, erhob sich das Geschirr von selbst und legte sich um jeden einzelnen Muskel von Stardust. Genauso hatte ich es vor vielen Jahrzehnten erlebt. Die Menge hatte damals wie heute getobt, als sich das Geschirr wie ein goldenes Band um mich legte. Jetzt um Stardust, diesem Verräter. Im selben Moment jagte mein Herz mit Mehrfachumdrehungen bis zur Kehle, mir wurde schwarz vor Augen, die Beine sackten unter mir wie Wackelpudding weg und ich gelangte in einen friedlichen Raum ohne Bewusstsein.

 

 

„Himmel Herrgott, Rudolph. Drei Tage im North-Well werden auch keinen Stardust aus dir zaubern“, höhnte Martha und erhöhte damit meine Willenskraft, statt sie, wie wahrscheinlich gewünscht, zu minimieren.

„Wenn du nicht so klein und heilig wärst, würde ich dich jetzt mit meiner rauen Zunge aufschlecken und dich zu Brei kauen“, warnte ich und schnaubte. Martha war mir in den letzten Jahrzehnten eine gute Freundin gewesen, aber in diesem Moment konnte sie nicht nachempfinden, was in mir vorging. Auf der Bühne in dem Augenblick zusammengebrochen zu sein, in dem ein junger Bock eingeführt wurde, und das eine Woche vor Weihnachten, war wie ein Todesurteil für meine Schlittenposition. Obwohl mir Martha und auch die anderen Rentiere versichert hatten, Santa würde mich niemals austauschen, gab es für mich keine Zweifel. Ich sollte ersetzt werden. Vielleicht nicht in diesem aber im nächsten Jahr. Santa Claus hatte mich in den letzten Wochen mit seltsamen Blicken beäugt. Das Auftauchen eines engagierten Jungspunds war kein Zufall, sondern prompte Absicht.

„Ich lasse mich nicht ersetzen. Punkt“, schmetterte ich der kleinen Elfe meine Wahrheit entgegen und bat sie, mir die beiden Taschen für meinen Wellness-Aufenthalt umzuschnallen.

„Es ist zwecklos, dich zu überzeugen, Rudi. Tu, was du nicht lassen kannst. Grüße Hainer von mir. Er soll dir ein paar extra Massagen verpassen. Aber am besten legst du dir ein Saunatuch vor deine heilige Mitte. Sonst wird der alte Lustmolch noch handgreiflich.“ Martha kicherte.

„Sehr lustig. Ihr Elfen seid schon seltsame Geschöpfe“, grummelte ich und schüttelte mich mit dem Gepäck.

„Oh, Hainer ist keine Elfe. Er ist ein Rentier wie du, und er hat magische Hufe. Wirst schon sehen“, flötete Martha, flog nervös um mein Geweih und sah mich mit ihren viel zu großen grünen Augen belustigt an.

„Sieh zu, dass du meine Schlitten-Truppe fit bekommst. Ich bin in drei Tagen wieder da“, bat ich, oder befahl ich es?, schnaufte und trat in die Kälte hinaus. Der Himmel war klar, die Cortisonspritze wirkte, und der Weg würde nur drei Stunden dauern. In wenigen Tagen würde sich Santa Claus über mich wundern. Sein Rudolph würde in Topform zurückkehren und seinem Schlitten den Weg durch die Heilige Nacht leuchten. Stardust und alle anderen würden zu spüren bekommen, dass Rudolph nicht ersetzt werden konnte. Das wollte ich allen Nordpolbewohnern zeigen. Ich schüttete etwas Elfenstaub auf meine Hufe, hob vom verschneiten Boden ab und schaltete meine in meine Rentiernatur integrierte Sternnavigation ein. Der Flug würde ein Heimspiel werden, nur die Hufe, der Rücken und die Augen hatten mitzuspielen.

 

 

Die Bilder auf North-Insta waren im Vergleich zu dem Anblick, der mir bei der Ankunft geboten wurde, geradezu lachhaft. Der Eispalast, der sich North-Well nannte, raubte mir den Atem. Während ich mich ihm aus dem dunklen Nordpolhimmel näherte, bot er ein einzigartiges Schauspiel. Elsas Eispalast war dagegen eine primitive Hütte. Der Prachtbau glänzte wie in pures Gold gegossene, beleuchtete Eiszapfen. Glitzernde Brücken verbanden Türme, die von hängenden Schneegärten umgeben waren. Ich war im Paradies angekommen.

Ich drosselte meine Geschwindigkeit und kam etwas plump am Vorplatz des North-Well zum Stehen.

„Willkommen, Rudolph. Ich bin Helena und für deinen gesamten Aufenthalt deine persönliche Begleiterin“, säuselte eine Schneehäsin, die aufrecht auf den Hinterbeinen stand, und dabei tiefenentspannt aussah. Kurz fragte ich mich, wie weit die Begleitung gehen sollte. Doch hoffentlich nicht bis unter die Dusche. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht hängte sie mir einen Eiskübel an einem Trageriemen um den Hals, aus dem eine bordeauxrote Flüssigkeit dampfte.

„Dein Willkommensdrink. Ein Smoothie aus roter Beete und frischen Kräutern. Er wird dir Kraft schenken.“

Die hatte ich dringend nötig, dank der langsam nachlassenden Wirkung der Cortisonspritze. Die waren auch nicht mehr das, was sie versprachen. Ein Eisstrohhalm ragte aus dem Kübel, den ich in mein Maul führen wollte, aber es gelang mir nicht. Mehrmals verfehlte ich ihn. Der Puls schoss vor Wut in die Höhe.

„Ich würde sagen, ein Augenarzt ist dringend notwendig. Und gleich beginnt ein Qi-Gong-Kurs gegen Wutanfälle und für Langsamkeit.“ Die ich dem Schneehäschen gerne in ihren Allerwertesten geschoben hätte. Stattdessen grinste ich wie ihr Spiegelbild und nahm ihre Hilfe, mir den Strohhalm festzuhalten, an. Das Zeug rann mir genüsslich durch die Kehle. Es schmeckte fantastisch.

Keine halbe Stunde später hatte ich meine Taschen in meiner Suite abgelegt, die im Gegensatz zum restlichen Eispalast aus warmen Materialien bestand. Zahlreiche Felle waren überlappt und bildeten ein himmlisches Bettlager. Ich sagte ja schon, ich war im Paradies angekommen.

 

 

Helena wies mir den Weg zum ersten Termin und erläuterte mir auf dem Weg die weiteren Behandlungen, zu denen sie mich selbstverständlich begleiten würde.

16.15 Uhr: Blutabnahme Helena

16.30 Uhr: Qi-Gong – Glashalle

17.45 Uhr: Augenarzt – Praxis Westturm

18.30 Uhr: Abendessen – kleiner Saal

21.00 Uhr: Massage – Noitoi

22.00 Uhr: Bettruhe

„Zu dem Aufenthalt im North-Well gehört eine tägliche Blutentnahme durch mich und ein Wassercheck in der Haut dazu. Bitte trink ausreichend Wasser und Kräutertee“, erläuterte sie und blieb vor einer monströsen gläsernen Halle stehen. Für mich kaum wahrnehmbar,

„Die Glashalle. Ich hole dich um siebzehn Uhr dreißig hier ab. Namaswell“, summte sie mit ihrem bekannten Lächeln, das eingefroren wirkte. Dabei zog sie die Zehen einer Pfote zu einer Lotusblütenform zusammen, tippte an ihre Stirn und schloss die Augen. Dann öffnete sie ihre Zehen und hielt die Pfote vor ihrer Stirn in die Höhe. Ihr Blick folgte.

Ich murmelte ebenfalls ein „Namaswell“ und betrat den glatten Boden. Wow. Besonders rutschfest sah anders aus. Ein Huf vor den anderen setzend trottete ich in die Mitte des Raumes, in der sich bereits einige andere Gäste aufhielten. Drei Pinguine, die mich an die von Madagaskar erinnerten, zwei Schneeleoparden, offensichtlich ein Pärchen, ein weiteres Rentier, zwei Schneehasen und ein beachtlicher Eisbär, der abseits von allen stand und gemieden wurde. Kein Wunder. Mit seinem einen Auge und den vielen Brandnarben auf dem Körper sah er bedrohlich aus, und mit Sicherheit würde ich mich von ihm fernhalten. So gut es ging.

Kaum hatte sich jeder von uns wie automatisiert im Kreis aufgestellt, tappelte einer der beiden Schneehasen, der Helena um gute dreißig Zentimeter überragte, in die Mitte des Kreises und begrüßte uns aufs Wärmste. Der Einführungskurs galt der Wahrnehmung unseres Körpers, denen der anderen und dem, was dazwischenlag, wenn wir die Augen schlossen.

„Spürt das Universum, spürt die Dichte der anderen Körper und dann entscheidet, jeden Schritt bewusst und in Achtsamkeit zu gehen“, erklärte er unsere Aufgabe. Dass der Boden schon allein Achtsamkeit forderte, fügte er nicht hinzu. Wozu auch. Die glatte Fläche, die einer Eiskunstlaufbahn glich, glänzte wie frisch geputzte Spiegel.

„Geht erst den Schritt, wenn ihr ihn wirklich wahrnehmen könnt, und die Gewissheit habt, ihn vollständig ausführen zu können. Wenn die Gewissheit einige Momente auf sich warten lässt, verharrt in Stille. Namaswell“, erklärte sie mit monotoner Stimme und führte die gleiche Geste wie Helena aus. Lotushand zur Stirn und in den Himmel.

Achtsam schloss ich die Augen und verharrte auf dem verdammten Glatteis. Was zur Hölle war Sinn und Zweck der Aufgabe? Eine Massage zur Ankunft wäre mir tausendmal lieber gewesen. Drei Tage waren kurz. Wäre es nicht besser gewesen, wenn ich mich in ein wärmendes Dampfbad begeben hätte? Bei gutem Essen, Akupunktur und Rotlicht? Stattdessen kroch die Kälte der Eishalle in meine Hufe und das Universum zwischen allen Körpern schwieg.

„Hey, verflucht“, motzte ich, als mir jemand gegen die Beine lief.

„Entschuldige. Ich hatte unter dir nichts wahrgenommen“, piepste jemand und ich vermutete einen der Pinguine. Wer außer den Schneehasen würde es sonst wagen, unter mir durch zu marschieren.

Endlich spürte ich vollkommene Leere unter mir und setzte den ersten Schritt. Seltsamerweise fühlte ich mich aufgehoben und getragen. Daher wagte ich den zweiten und den dritten. Langsam bewegte ich mich in alle Richtungen und spürte in die Außenwelt. Gelegentlich empfand ich irgendeine Dichte und hielt inne, bis das Gefühl vorüberging. Das Unbehagen wich und nach einer gewissen Zeit fühlte ich die notwendige Sicherheit, um mich in einem guten Tempo durch den Raum zu bewegen. Als uns eine Stimme bat, innezuhalten und die Augen zu öffnen, war ich überrascht. Die Zeit war um, mir war warm und ich befand mich exakt am Anfang meiner Reise. Erstaunlich. Mein Blick fiel auf den Eisbären und die anderen Teilnehmer. Sie wirkten entspannter als zuvor. Ergo, Qi-Gong half zur Entspannung.

 

 

„Du siehst gut aus, alter Mann.“ Mit diesen Worten empfing mich Helena und ich hätte sie direkt schlachten können.

„Bei solchen Begrüßungen ändert sich das schlagartig. Darauf kannst du Gift nehmen, oder was auch immer sie dir hier verabreichen“, nörgelte ich. Hatte sie sich mit Martha abgesprochen, diese Schlange?

Helena lachte aus vollem Hals. „Martha hat mir gesagt, ich soll dich ein wenig piesacken“, gab sie zu und wir liefen weiter durch die Gänge. „Aber ich kanns auch lassen.“

Besser so.

Beim Augenarzt traf ich auf den gruseligen Eisbären. Meine Begleiterin ließ mich erneut allein und tänzelte davon.

„Für die Orientierung sind sie nützlich, aber sie nerven enorm“, brummelte mein Nachbar und deutete auf Helena, die mit ihrem Kugelschwänzchen davonwackelte.

„Definitiv“, antwortete ich und sah zu ihm. Jetzt wirkte der Eisbär weniger bedrohlich. Beinahe bemitleidenswert und verletzt. Was war ihm nur widerfahren?

„Ich bin Olson und bevor du fragst, was mit mir passiert ist, ich bin statt auf Eis, irgendwo im nördlichen Russland gestrandet. Die Richtung stimmte, aber statt gefrorenes Wasser fand ich kaltes Land mit Stahl und Beton. Ich habe lange Zeit hungrig am Ufer gelegen. Von der langen Reise geschwächt und ratlos. Menschen sind gekommen und haben mich mit Unrat beworfen, nachts haben mich Jugendliche mit Benzin übergossen und angezündet. Zu meinem Glück landeten andere Tiere ebenfalls fälschlicherweise auf dem fremden Boden. Ich konnte sie fressen, mich stärken und verschwinden. Der Mensch sorgt für Chaos, aber diesen aufzuräumen kommt ihm nicht in den Sinn.“

Die Geschichte stimmte mich traurig, zumal ich eben diese Menschen, auch wenn es sich nur um Kinder handelte, jährlich mit beschenkte. Zu viel Wohlstand und ein wachsender Verlust von Bewusstheit und emotionalem Wohlbefinden sorgten weltweit für massiven Konsum, um einen winzigen Teil des minderen Selbstwertes zu kompensieren. Ich wusste es. Santa Claus auch. Aber was nutzte das?

„Bist du nicht der gute alte Rudolph mit der roten Nase?“, wollte er wissen und ich nickte. Leider konnten wir unser Gespräch nicht fortsetzen. Ich wurde zur Augenärztin gerufen und verließ dreißig Minuten später mit einem Konstrukt, das sich Sehverstärker nannte, die Praxis. Helena stand mit vor der Brust zusammengefalteten Händen bereit, mich zum Abendessen zu führen.

Der kleine Saal bestand vollständig aus Eis. In nördlichen Gefilden verbrachten sie wahre Kunstwerke aus Eis. Was für Menschen eine Eisbar mit Eisgläsern- und geschirr bedeutete, war für uns in Eis gegossene Futtertröge, Anrichten und Servierplatten. Die Kräuter dufteten hypnotisierend und ich fand mich in einem Rausch der Geschmackssinne wieder. Zwischendurch schlürfte ich lauwarmes Wasser, das an bestimmten Stellen im Saal an der Wand hinablief.

„Du siehst um das Vielfache besser aus, als zur Zeit deiner Ankunft.“ Sie kicherte, behielt aber das eingefrorene Lächeln. War ihr das durch eine Schönheits-OP festgetackert?

„Ich fühle mich auch besser. Leichter und seltsam betäubt. Sind Drogen in dem Essen?“

„Tut mir leid, Rudolph. Mit der Therapie bin ich nicht vertraut. Ich stehe nur als Begleiterin für die Dauer deines Aufenthalts zur Verfügung“, erklärte sie und faltete ihre Hände. Ein verschmitztes Lächeln umzingelte ihre kleinen Knopfaugen. Wusste sie doch mehr, als sie bereit war zu verraten?

 

 

In meiner Suite angekommen, döste ich auf Anhieb weg. Die Reise und Umstellung auf den Slowmotion-Modus hatte mir den Stecker gezogen. Nur am Rand bemerkte ich, wie mich Samthufe am ganzen Körper massierten und ich viel zu müde war, den Rat von Martha zu befolgen. Mit offener Mitte driftete ich in einen tiefen Schlaf und ließ Hainer seine Arbeit machen. Der Lustmolch blieb hoffentlich professionell. Im beruflichen Sinn.

 

 

Die nächsten Tage verliefen ebenso entspannt. Hammam-Waschungen, heiße Quellen, Schwitzbäder, und Chiropraktiken – okay, die waren wirklich notwendig und schmerzhaft, und ich war froh, dass der Raum schallisoliert war. Dazu verwöhnte mich das North-Well mit ayurvedischer Rentierkost – entweder mit oder ohne Drogen. Mir war es egal. Dieses Hochgefühl konnte gerne noch bis nach dem Heiligen Abend andauern. Oder länger.

Jeden einzelnen Teilnehmer aus dem Qi-Gong-Kurs lernte ich persönlich kennen. Die Pinguine alle gleichzeitig. Genussvoll saßen sie in der heißen Quelle neben mir und ließen sich von ihren Begleitungshasen frische, zappelnde Fische in ihr Maul legen. Wie sich herausstellte, waren die drei die Stuntpinguine der echten Pinguinstars aus dem Madagaskar-Film. In der Tat ähnelten sie ihnen sehr. Die beiden Schneeleoparden waren Topmodels und ließen sich für einen Fototermin aufpolieren.

Was es alles gab!

Obwohl ich vor Olson am größten Respekt gehabt hatte, tat mir der Abschied von ihm am meisten weh. Ich hoffte inständig, ihn eines Tages wiederzusehen. Ohne diesen Seelenschmerz, den er mit sich trug. Aber dazu brauchte es den reflektierten Geist, der die Natur über sich selbst stellte. Leider war der dünn besiedelt.

 

 

„Hier ist dein Essensplan und eine auf dich zugeschnittene Kost für die nächsten fünf Tage. Deine Medizin ist bereits in den Tagesrationen enthalten. Ich wünsche dir eine wundervolle Reise, Rudolph. Namaswell“, verabschiedete sich Helena am Morgen des vierten Tages. Zwei Tage vor Heilig Abend.

„Danke für deine Begleitung und gönne dir auch mal ein paar Tage als Gast“, empfahl ich ihr.

„Das Wohl der Gäste ist ein Geschenk.“ Damit schloss sie die Augen und wiederholte die Lotusgeste. Mit dem Gepäck auf dem Rücken verharrte ich einen Moment. Meine Schneehasenbegleitung blieb mit geschlossenen Augen stehen. Es war wohl alles gesagt.

Mit Feenstaub auf den Beinen hob ich ab und galoppierte meinem Zuhause entgegen. Ein Schneesturm war angesagt und die Reise würde sicher einige Stunden mehr in Anspruch nehmen.

 

 

Am Morgen des dreiundzwanzigsten Dezembers landete ich durchnässt und mit einigen Zentimetern Schnee auf dem Körper vor dem Stall. In dem kreisförmig angelegten Gebäude gab es rundherum Ställe, die Waben glichen. Jedes Rentier hatte sein eigenes Reich und doch lebten wir im Team. Froh, beim Betreten niemandem zu begegnen, schüttelte ich mir die weiße Masse vom Körper und rieb mich unter der elektrischen Bürste mit integriertem Föhn ab. Anschließend trottete ich in meine Schlafwabe und schlief selig bis zum Nachmittag.

Martha stand neben mir, als ich die Augen aufschlug.

„Na, siehst gut aus Rudi. Zehn Jahre jünger. Hainer hat wohl ganze Arbeit geleistet“, höhnte sie.

„Schenkst du mir zu Weihnachten einen Tag ohne Sarkasmus?“

Die Frage lockte ein lautes Lachen hervor. „Mal sehen, was ich tun kann“, versprach sie mit zwinkerndem Auge.

Die Hoffnung starb zuletzt.

„Die Probefahrt findet in einer Stunde statt. Schaffst du das?“ In Marthas Stimme lag ehrliche Fürsorge. „Stardust wird an deiner Seite reiten. Ich würde mir jegliche Kommentare verkneifen“, fügte sie hinzu.

„Das würde ich mir von dir auch wünschen, Martha. Du bist nicht meine Mutter“, schmetterte ich sie ab und nahm damit in Kauf, sie zu verletzen. Mein Stolz ging mit mir durch die Decke und ich war es einfach verdammt leid, als der geschwächte Rentier-Opa dazustehen. Die kleine Elfe verstummte, verweilte kurz mit einem beobachtenden Blick und zischte dann mit einem „Hoffentlich weißt du, was du tust“ ab.

---ENDE DER LESEPROBE---