Tot aber feurig - Alisha Bionda - E-Book

Tot aber feurig E-Book

Alisha Bionda

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Beschreibung

Ein Drache und eine Vampirin in trauter Ehe sind schon ungewöhnlich genug. Wenn dann noch ein Butler mit dunklem Geheimnis eine durchgeknallte Reporterin und allerhand Geistervölkchen hinzukommen, die sich im Schlosshotel der besonderen Art tummeln, ist Chaos noch das Harmloseste, was passieren kann.

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Alisha Bionda & Tanya Carpenter

 

 

 

Tot aber feurig

 

Schwiegerdrachen inklusive

 

 

Roman

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

 

 

In der Reihe FUNTASY bereits erschienen:

 

Die Geister der Weihnacht gehen in Rente – Haike Hausdorf

Tot aber feurig - Alisha Bionda & Tanya Carpenter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2021 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Ashera Verlag GbR

Alisha Bionda & Annika Dick

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: iStock, adobeStock

Szenentrenner: adobeStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

 

Inhalt

Vorwort

Wie es zu der Idee kam

Tot aber feurig

Middeath Crisis

Ein neuer Anstrich

Schaschlikspieße und andere Katastrophen

Ach du fröhliche

Fehlbuchungen

Russische Polonaise

Impyrotenz

Lisa

Der Feuerwahrdrache

Geteiltes Leid wird Freundes-Eid

Rhythmus, Kresse und Raketen

Irrungen und Wirrungen

Tante Bille

Betriebsausflug

Glossar

Die Autorinnen

Vorwort

Alisha Bionda

 

Manchmal kommt man zu einer Serie, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde.

So auch in diesem Fall.

Als Tanya Carpenter und Melanie Stone die Idee zu „Tot aber feurig“ hatten und sie mir vortrugen, war ich im wahrsten Sinne sofort „Feuer und Flamme“.

Ich wollte diese Serie unbedingt auf LITERRA bringen, hegte aber auch sofort den Wunsch, diese turbulenten, phantasievollen und höchst amüsanten Texte darüber hinaus sowohl als eBook als auch in Print dem Leser anzubieten.

Gesagt, getan.

Mittlerweile wurde aus dem Dreierteam ein Zweierteam und Tanya und ich haben die Grundidee zu Ende gebracht und umgesetzt.

Doch genug geplaudert – nun übergebe ich das Wort an Tanya Carpenter, die Ihnen verraten wird, wie alles begann.

 

Alisha Bionda, Dezember 2020

 

Wie es zu der Idee kam

 

Im Sommer 2009 besuchte mich Melanie für ein Schreib- und Plot-Wochenende. Es war herrliches Wetter, weshalb wir den ganzen Tag mit unseren Laptops im Garten verbrachten. Und wie das so ist, wenn zwei kreative Köpfe aufeinandertreffen, ergab fast jeder Satz, den man aussprach, irgendeine Idee.

Melanie arbeitete damals gerade an einem Romanprojekt, ich an mehreren Kurzgeschichten für Anthologie-Projekte von Alisha Bionda. Und da Mel und ich uns so wunderbar ergänzten, fragte ich Alisha, ob wir nicht eine der geplanten Kurzgeschichten zusammen schreiben könnten.

Das ging zwar aus unterschiedlichen Gründen nicht so einfach, doch als Alternative schlug Alisha vor, wenn wir so viel Spaß am gemeinsamen Plotten hätten, könnten wir eine Online-Serie für LITERRA zusammen bestreiten. Die Idee gefiel uns. Es galt, an dem Wochenende ein grobes Gerüst für Handlung und Personen zu erstellen und vielleicht die erste Geschichte anzufangen.

Doch es kam anders.

Vier Stunden später gehörten Lucy und Gil, Gerard und Waldemar, Mortica und Penelopee (mit zwei e!) praktisch zur Familie und die erste Folge war fertig geschrieben, überarbeitet und – was leider am wichtigsten war – gekürzt. Die Folgen sollten nämlich maximal um die zwanzigtausend Zeichen haben. Wir hatten in unserem Eifer über dreißigtausend geschrieben.

Ich erinnere mich, dass wir die Folge in vier Parts aufteilten, die wir unabhängig voneinander schreiben und dann aufeinander anpassen wollten.

Doch als wir unsere Abschnitte aneinanderreihten, passte es bereits wie aus einem Guss.

Mel und ich hatten auch schon Ideen für die nächsten Folgen und so sprudelte die Geschichte von Mort M’ardent Folge für Folge aus uns heraus. Ab Folge 6 klinkte sich dann auch Alisha mit ihrer Lisa ins Geschehen ein, die für ordentlich zusätzlichen Wirbel im neu gegründeten Schlosshotel sorgte.

Bedingt durch ihr Mutterglück hat sich Melanie dann 2012 aus der Serie zurückgezogen, aber das Herzblut, das sie bis dahin in jede Folge gelegt hat, bleibt.

 

Tanya Carpenter, Dezember 2020

 

 

 

 

 

 

Einführung

 

In dem idyllisch gelegenen Château Mort M’ardent im Herzen der Champagne, umgeben von Wiesen, Wäldern und Weinbergen, lebt das Ehepaar Lucretia und Gilnaro von Pyromenika zu Alabast. Zwei Liebende, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Lucy, die dem altehrwürdigen Blutsauger-Geschlecht derer zu Alabast entspringt und es mit ihrer zarten sonnensensiblen Haut vorzieht, des Nachts als Fledermaus durch die Wälder zu flattern und von dem ein oder anderen verirrten Wanderer einen kleinen Umtrunk zu nehmen. Und Gil, Stammhalter der hochangesehenen Drachenfamilie von Pyromenika, der sich mit seinem feurigen Atem im schlosseigenen Wald das Hirschfilet auch gern mal direkt am Stück grillt. Doch die beiden verbindet eine innige Liebe, die durch nichts zu erschüttern ist und in der Geburt ihres Sohnes die Krönung findet. Der kleine Waldemar, seines Zeichens die bisher einzige Drachenfledermaus auf diesem Planeten, ist der ganze Stolz des Hauses und hat das komplette Schloss nebst Bewohnern und Gästen fest im Griff seiner kleinen Klauen.

Der Familie zur Seite steht Gerard, Butler aus Leidenschaft, ein Multitalent in allen Lebenslagen, der Mann für alle Fälle. Von der Kinderentbindung über die Organisation des Tagesablaufes, große und kleine Renovierungsarbeiten, kreative Gartengestaltung, Säuglingspflege bis zum Fluglotsendienst für den Besuch der Drachenverwandtschaft – er ist bestens vorbereitet. Doch selbst wenn der seltene Fall eintritt und sich Gerard ausnahmsweise nicht mit einem Thema auskennen sollte, weiß er sich zu helfen. Er wird sich umgehend mit einschlägiger Literatur eindecken, Kurse besuchen oder Do-it-yourself-Videos streamen.

Schließlich ist er der MacGyver unter den Butlern, wenn es um das Wohl seiner Herrschaften geht. Und er verliert nie! – wirklich niemals! – die Contenance.

Unterstützt wird er von dem zahlreichen Schlosspersonal, das sich neuerdings nicht nur um die Familie, sondern auch um das paranormale und nicht-paranormale Klientel des jüngst ins Leben gerufenen Schlosshotels kümmert.

Mit den Zwergen der benachbarten Weinberge lag man viele Jahre im Clinch, aber seit Eröffnung des Schlosshotels sind die Führungen durch ihre Weinstein-Stollen das Highlight eines jeden Schlossbesuches.

Welcher Zwerg würde nicht großzügig über jeden Streit hinwegsehen, wenn es in seinem Beutel verführerisch klingelt?

Der dem Schloss angrenzende Sumpf wurde in eine exklusive Moorbadelandschaft für Wellness-Behandlungen umgewandelt. Dabei war es eine nicht unerhebliche Herausforderung für Gerard, den darin lebenden Saugmoränen eine fundierte Crash-Erziehung zuteilwerden zu lassen, damit sie den Gästen nicht das Leben, sondern nur die leidlichen Wehwehchen nehmen. Doch auch hier hat der Butler ganze Arbeit geleistet, sodass die Zahl der Kurgäste inzwischen deutlich angestiegen ist.

Der Irrgarten rechts des Haupthauses ist ein beliebter Kinderspielplatz, in dem man die Kleinen auch mal für einige Stunden vergessen kann. Wortwörtlich, denn der Clou des Labyrinths ist, dass der Ausgang hin und wieder verschwindet und sich die Kinder somit ganztägig beschäftigen können. Durch die zahlreich installierten Falltüren ist das Wiederfinden allerdings kein Problem. Einmal durch die Bodenklappen ins Burgverlies gefallen, können Eltern ihre Sprösslinge rechtzeitig zum Dinner wieder aus den einzelnen Kerkerzellen abholen. Beaufsichtigt werden die Kinder von dem hauseigenen Gespenst Dr. Blow, das mit seinen unkontrollierten Ektoplasmaexplosionen für die richtige Unterhaltung der Kleinen sorgt.

Wesentlich problematischer hingegen sind die Wirren des Internets, da sich die Grenzen zwischen dem WWW (World-Wide-Web) für die menschlichen Gäste und dem AAA (Astral-Allied-Area) für die paranormalen Gäste gelegentlich verschieben. So kann es zuweilen trotz des Engagement von IT-Spezialist Gabriel Engel (seines Zeichens Erzengel inkognito auf Erholungsurlaub vom Himmel und aufgrund der Stressanfälligkeit meist sehr spontan in der Mauser) zu Fehlbuchungen im jeweils anderen Schlossbereich und damit verbundenen Zwischenfällen kommen, bei denen vor allem die menschlichen Gäste dazu neigen, ihre mentale Stabilität in Frage zu stellen. Doch wozu hat man einen Gerard, der solche Kleinigkeiten stets fabulös löst und einen Spezialtarif mit einem ortsansässigen Therapeuten verhandelt hat?

Zu guter Letzt runden die beiden extra eingestellten Köche das Hotel-Ensemble ab. Bei Trollkoch Horst Schlamm darf man sich auf eine eher deftige Küche für den paranormalen Gaumen freuen. Getreu dem Motto: „Schätzelein, isch mach aus allem einen Eintopf, weiste Bescheid“. Hingegen ist der Elf O’dol Grün Vegetarier aus Überzeugung und eine kulinarische Erleuchtung für den menschlichen Gästebereich.

Château Mort M’ardent ist eine absolute Empfehlung für jeden Gast, der das besondere Urlaubserlebnis sucht.

 

Middeath Crisis

 

„Ich bin hässlich!“, jammerte Lucretia nun zum siebzehnten Mal an diesem Morgen und schob angewidert das Frühstück von sich.

„Aber nein, Schatz. Du bist die bezauberndste Schwangere, die es gibt“, versuchte Gil seine Frau zu trösten und hauchte zärtliche Küsse auf ihre bleichen Wangen. Seit sie die Frucht seiner Lenden in sich trug, liebte er sie mehr denn je.

„Ich bin fett!“, widersprach sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du bist schwanger.“

„Ich sehe aus, wie ein überfressener Troll.“

„Nein, Schatz. Nein, wirklich nicht. Wie Cousin Florewig siehst du nicht aus.“

Es war gut gemeint, aber der Vergleich ließ Lucy in Tränen ausbrechen. „Ich erinnere dich an Flo. Oh, ich bin noch fetter, als ich dachte.“

Was auch immer er jetzt sagte, wäre falsch. Lucy litt nach fünf Jahren Schwangerschaft sehr unter Depressionen. Welche Frau würde das nicht? Aber Drachen brüteten nun mal zwischen zehn und fünfzehn Jahren.

Angesichts der sensiblen Stimmung seiner Liebsten entschied Gil, lieber das Thema zu wechseln. „Die Party heute Abend wird bestimmt ein voller Erfolg. Auch Mama muss dir zugestehen, dass du beeindruckend schnell den Stammhalter unseres Hauses unter dem Herzen trägst.“

Er nahm seine Frau in die Arme und mit einem Schmollmund kuschelte sich Lucy an seine Seite.

„Ja“, schniefte sie. „Ich hab Penelopee diesmal auch mit zwei ‚e’ geschrieben.“

Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Man musste es ihr hoch anrechnen, dass sie diesem Fest zugestimmt hatte. Die Beziehung zwischen seiner Frau und seiner Mutter war nicht die beste. Penelopee wollte nicht verstehen, warum ihr Sohn eine Vampirin geheiratet hatte, wo doch so viele junge Drachenmädchen im wahrsten Sinne des Wortes Feuer und Flamme für ihn waren, und er darüber hinaus in Kauf nahm, überwiegend in menschlicher Gestalt herumzulaufen. Lucys Bemühen, ihre Schwiegermutter zu versöhnen, war leider gescheitert. Dabei hatte sie versucht, alles auf die angeheiratete Drachenfamilie abzustimmen. Vom Nobel-XXL-Grill bis hin zu den geräumigen Schlafhöhlen mit automatischer Wärmeregulierung und Dampfabzugshaube. Die besondere Würdigung bei der Ankunft – das Willkommensbanner – war dann aber gründlich in die Hose gegangen. Obwohl Lucy keine Mühen gescheut und es eigenhändig aus in der Sonne glühendem Lavagarn geklöppelt hatte, war ihr der entscheidende Fehler unterlaufen, Penelope mit einem ‚e’ am Ende zu schreiben, wo diese doch so viel Wert auf das zweite ‚e’ in ihrem Namen legte. Seitdem hatte der Satz, ei-nen echten Drachen als Schwiegermama zu haben, eine besondere Bedeutung.

„Es wird schon alles gut gehen“, versuchte Gil seine Frau zu ermutigen. „Und jetzt trink brav dein sedatives Plasma, das Gerard dir heute früh frisch von der Blutbank geholt hat. Das beruhigt die Nerven, dann geht es dir gleich wieder besser.“

 

 

Gerard, Butler des Hauses von Pyromenika zu Alabast, hatte in diesem Moment gänzlich andere Sorgen als den labilen Seelenzustand seiner Herrin. In einem hochherrschaftlichen Hause dienen zu dürfen, war die größte Ehre, die einem Butler zuteilwerden konnte. Mit Stolz erfüllte er diese Rolle, hielt sich diskret im Hintergrund und war stets zur Stelle, wenn er gebraucht wurde. Bei der Erinnerung an diese Einleitungssätze des Studienleiters auf der Butlerschule fragte sich Gerard hin und wieder, welch verworrene Schicksalsfäden ihn wohl in das Haus derer von Pyromenika zu Alabast geführt hatten. Aber ja, er war stolz und willens, jede neue Herausforderung zu bewältigen, die diese Stellung mit sich brachte. Und an solchen mangelte es hier nun wirklich nicht.

Ein letztes Mal kontrollierte er alles, pflückte imaginäre Fussel von seinem Frack und zupfte an der Fliege, bis sie den perfekten Winkel in Relation zu seinem Hemdkragen hatte. Er fuhr sich mit der Hand über das kurze, graumelierte Haar und vergewisserte sich, dass die Pomade einwandfrei hielt. Die hohen Herrschaften von Pyromenika würden bald eintreffen, und so nutzte er die letzte Gelegenheit, seine Fluglotsenkellen zu kontrollieren. Nachdem sein Gesicht mühelos von der hochglanzpolierten Oberfläche widergespiegelt wurde, stellte er sich auf seine Position in der frisch angelegten Einflugschneise, um dafür zu sorgen, dass die Drachen ordnungsgemäß landeten.

Das A und O eines Staatsempfanges war die umfassende Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Gäste. Gut, das Eintreffen der Familie seiner Herrschaft war mit dem Besuch eines Staatsoberhauptes nicht gleichzusetzen, aber Lady Penelopee konnte es, was das Wichtignehmen ihrer eigenen Person anging, mit jedem Staatsoberhaupt der Welt aufnehmen. Und davon abgesehen nahm Gerard, was er kriegen konnte, um seine Qualitäten und Flexibilität ins rechte Licht zu rücken. Immerhin hatte er einen Ruf zu verlieren.

Wie unzählige Male zuvor verdrängte er den Gedanken, welcher Trubel in dem Schloss ausbrechen würde, wenn der Nachwuchs auf der Welt war. Wenigstens blieben noch mindestens fünf Jahre, bis das Chaos endgültig über ihn hereinbrach. Er musste unbedingt den Vorrat an Asbestdecken aufstocken und sich informieren, wie er die antiken Möbel feuerfest bekam. Ehe er Gelegenheit hatte, an seinem Brand-schutzübungsplan weiterzuarbeiten, tauchten am Horizont kleine Punkte auf, die schnell näher kamen.

Es war soweit. Die Drachen – und das meinte er keineswegs abfällig, sondern voller Respekt – schwebten zur Babyparty heran.

Nun ja, schweben war angesichts der Ausmaße und der Auswirkungen der sieben Flugkörper wohl geschmeichelt. Umso wichtiger, eine sichere und zielgenaue Landung zu gewährleisten. Der Schaden an Château und Umgebung wäre sonst kaum abzuschätzen. Ganz zu schweigen davon, wenn es erneut zu Erschütterungen und Einstürzen in den benachbarten Zwergenstollen käme. Das kleine Volk war da äußerst sensibel und das Nachbarschaftsverhältnis seit dem letzten Landeunfall von Lord Gils Verwandtschaft ohnehin angespannt.

Sich der Verantwortung auf seinen Schultern also bewusst, hielt Gerard die Kellen über seinen Kopf und begann zu wedeln. Es dauerte nicht lange, bis die Drachen nahe genug waren, um ihre Gestalten zu erkennen. Die drei Vordersten mit der stattlichen Größe eines Einfamilienhauses, dahinter vier kleinere Jungdrachen, die sich im Flug gegenseitig ihre Hinterläufe in die Seiten rammten und hin und wieder Feuer spuckten. Gerard hob eine Augenbraue und beschleunigte seine Winkbewegungen, um den Herrschaften den perfekten Einflugwinkel zu zeigen. Die Ankömmlinge klappten ihre Flügel ein und setzten zum Sturzflug an.

Ihm traten Schweißperlen auf die Stirn. Mit einem raschen Seitenblick schätzte er ab, in welche Richtung er sich am schnellsten retten konnte, da sausten die ersten Drachen an ihm vorbei. Eine Sturmwelle wirbelte ihn herum, löste seine Frisur in Wohlgefallen auf und drehte die Fliege um neunzig Grad. Konfus wollte er reflexartig das Haar glatt streichen und knallte sich dabei die Kellen an die Stirn. Bei der nächsten Böe wirbelte er mit einem „Oi!“ abermals herum und blieb schwankend stehen, gerade rechtzeitig, um der Nachhut ins Auge zu blicken, die – noch immer mit ihren Keilereien beschäftigt – in Knäuelformation flog. Entsetzt riss Gerard die Augen auf, wollte sich mit einem Hechtsprung aus der Gefahrenzone bringen, da war es schon zu spät. Die Flegel flitzten an ihm vorbei, trafen ihn hier mit einem Flügel, dort mit einer Schuppe und ließen ihn wie einen Kreisel trudeln.

Ihm war speiübel, als er endlich zum Stehen kam und sein brennendes Hosenbein löschte. Während er begleitet von leisem Donnergrollen aus den Zwergenstollen zum Haus zurücktorkelte, die Kellen unter die Arme geklemmt, dachte er nur: Das kann ja heiter werden.

 

 

Erneut den Tränen nah fächelte sich Lucy Luft zu. Anstatt sich mit ihnen über den Nachwuchs zu freuen, äußerte Penelopee seit ihrer Ankunft nur Kritik und Bedenken. Warum das Kinderzimmer nicht angefangen sei. Wieso sie nicht zur Schwangerschaftsgymnastik ging. Und ob sie sich das in ihrem Alter auch gut überlegt hätte. Sie sei ja nicht mehr die Jüngste im Vergleich zu Gil, der praktisch gerade erst der Pubertät entwachsen war. Ein Drachenbaby wäre alles andere als pflegeleicht, wie man an Gils jüngeren Geschwistern sehen könne.

Peinlich waren auch die Geschenke. Schnuller mit Schwefelgeschmack, hitzebeständige Babyflaschen, Strampler mit per Klettverschluss variablen zwei oder vier Beinen. Es blieb ja noch abzuwarten, wie das Baby aussah. Und eine Wagenladung an Windeln, die vermutlich bis zur Geburt mottenzerfressen war. Alles reine Schikane. Wirklich sinnvoll und darüber hinaus extrem haltbar war nur der Laufstall aus feuerfestem Stahl mit Asbestummantelung und nicht schmelzendem Sicherheitsglas.

„Sie meint es gut, Liebling“, tröstete Gil und strich ihr liebevoll eine schwarze Locke aus der Stirn. Die Worte waren noch nicht zu Ende gesprochen, da setzte seine Mutter auch schon zur nächsten Spitze an.

„Es gehört schon Mut dazu, mit 751 Jahren den Bund der Ehe mit einem Jungspund wie meinem Sohn einzugehen. Wenn Gil ein ausgewachsener Bulle in vollem Saft ist, musst du dir Creme gegen Totenflecke holen. So was sollte man nie außer Acht lassen, wenn man in die Jahre kommt. Ich kenne einen guten Schönheitschirurgen. Vielleicht sollte ich schon einen Termin vereinbaren, er ist immer auf Jahre ausgebucht und die Zeichen der Zeit können zuweilen sehr plötzlich kommen.“

Gil verfügte trotz seines jugendlichen Drachenalters von 602 Jahren über den Verstand zu erkennen, dass die Depression seiner Frau bei jedem weiteren Wort seiner Mutter zu einer ausgemachten Middeath-Crisis anschwoll, was bei Vampiren zu dramatischen Reaktionen führte. Sie hatten das Schloss gerade erst von den Spuren ihrer heftigen Flitterjahre befreit. Einige Räume von Grund auf saniert. Rein aus finanzieller Sicht – und im Hinblick auf Gerard, der sich endlich von all den Strapazen erholt hatte – wollte Gil einen neuerlichen Totalausfall von Lucys Gefühlskontrolle nicht riskieren. Also stand er wie ein Fels zu seiner Frau. Selbst die heißeste Lava seiner Mutter konnte ihn nicht zum Schmelzen bringen. Nachdem Penelopee dies mit ihrer Auffassungsgabe – nicht minder scharf wie ihre Zunge – erkannte, gab sie sich geschlagen und mischte sich unter die übrigen Gäste.

„Schätzchen, was für ein drolliges dickes Bäuchlein du hast“, säuselte Lucys Mama und tätschelte die runde Kugel, was den Wasserstand in den Augen ihrer Tochter bedenklich hob.

Auch ein Indiz für Middeath-Crisis, weshalb Gil Lady Mortica zu Alabast ins Ohr flüsterte: „Sie ist grad sehr sensibel, was ihre Figur angeht.“

Mortica schaltete sofort: „Wenn das mal nicht ne stattliche Fledermaus wird.“

Der Pegel sank. „Danke, Mama, aber wir hoffen, es wird ein Drache.“

„Die Schwangerschaft deutet darauf hin“, ergänzte Gil. „Drachen brauchen einfach länger als Fledermäuse.“

„Er kann die Schlafstange ja zu Turnübungen verwenden oder – sobald er Feuer speit – ein Kunstwerk für sein Jugendzimmer basteln. Er wird bestimmt ein kreativer Kopf. Das liegt bei uns in der Familie.“

„Mama!“

„Die Stange ist immer noch sinnvoller als der rosa Schnuller mit Schwefelüberzug. Welch modischer Fauxpas, wenn es ein Junge wird. Und es wird ein Junge, davon bin ich fest überzeugt.“

Lucy warf einen Blick auf besagten Schnuller, ihre Unterlippe zitterte, da war auch schon Gerard zur Stelle und entfernte mit galanter Verbeugung den Stein des Anstoßes aus dem Blickfeld seiner Herrin.

 

 

Gil und Lucy begaben sich Arm in Arm auf eine Runde durch den Festsaal. Die Gespräche mit ihren Freunden machten Lucy ruhiger und Gil zuversichtlicher, dass das Fest doch nicht die schlechteste Idee gewesen war, und er sein Heim nicht aus Schutt und Asche neu erbauen musste, wenn dieser Abend vorüber war.

Zwischen den Alabasters und Pyromenikas herrschte ein angespannter, aber beständiger Frieden. Gils jüngere Geschwister sengten nur leicht die Garderobe ihrer bluttrinkenden Verwandten an, und die Gegenwehr endete in eher oberflächlichen Bisswunden, die Gerard pflichtschuldigst sofort mit Pflastern versorgte, die er erfahrungsbedingt inzwischen immer bei sich trug, wenn Mitglieder beider Familien zeitgleich im Schloss zugegen waren.

Die übrigen Gäste genossen zufrieden die Köstlichkeiten von dem Büffet nebst reichhaltiger Getränkeauswahl und scherzten munter über die potentielle Artenvielfalt des zukünftigen Juniors.

Alles war in bester Ordnung, bis ausgerechnet die beiden problematischsten Vertreter beider Seiten aufeinandertreffen mussten. Als wäre der Festsaal nicht groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Aber nein, so viel Rücksicht konnte man auf Lucys Zustand nun doch nicht nehmen. Nicht, wenn man Penelopee von Pyromenika oder Vladi Dracul zu Alabast hieß.

Lucy vermochte kaum zu sagen, auf wen sie dabei wütender war. Den Großneffen, der mit Beginn seines Reggae-Daseins auf Jamaika, wo er sich vor den Van Helsings dieser Welt versteckte, wohl seinen Verstand gönnerhaft unter den Armen verteilt hatte. Oder Schwiegermama, die sich wie eine hungrige Werwölfin auf den ihr dargebotenen Happen stürzte.

„Boah, das ist total abgedreht. Das Zeug haut endlich voll rein. Überall buntschillernde Farben.“ Dabei starrte Vladi mit einem Joint zwischen den Lippen auf Penelopees perlmuttfarben geschuppten Schwanz, den sie zur Feier des Tages auf Hochglanz poliert hatte und welchen sie aus Prinzip nur in Gegenwart von Menschen mittransformierte. Ihr Satz: „Hoffentlich ist der Geisteszustand nicht erblich. Mein armes Enkelkind“, gab Lucy den Rest. Schwangerschaftsdepri hin, Middeath-Crisis her, sie ließ ihre Familie doch nicht von einer dahergelaufenen Eidechse beleidigen, die vor lauter Übereifer 825 v. Chr. eine ganze Stadt abgefackelt hatte, nur um sich vor ihrem kleinen Bruder aufzuspielen.

Gut, es war nicht die feine englische Art, bei einer Familienfeier auf dem einzig wunden Punkt von Penelopee herumzureiten, aber schließlich waren sie ja auch in Frankreich, nicht in England.

Es folgte ein verbaler Schlagabtausch über Krötenfüße, Stachelschweinimplantate und Leguangesicht auf der Seite von Lucy sowie alternder Diva, Kalksteinfassade und depressivem Fossil auf der von Penelopee.

Gils Vater Rufus lehnte sich behaglich in seinem Sessel zurück, schnappte sich von den umhereilenden Kellnern, die bemüht waren, trotz der Debatte den Anschein einer normalen Feier aufrechtzuerhalten, ab und an ein alkoholisches Getränk und genoss die dargebotene Show wie ein großartiges Theaterstück.

Gil dagegen bemühte sich, die Situation noch irgendwie zu entschärfen, während der Rest der anwesenden Gesellschaft bereits erkannt hatte, dass diese Chance längst verpasst war. Somit verhallten seine beschwichtigende Versuche: „Wir sind doch eine glückliche Familie“ und „Das hat sie jetzt aber wirklich nicht so gemeint“ (wobei aufgrund der Schnelligkeit, mit der sich die beiden Frauen Beleidigungen an den Kopf warfen, nicht klar war, wen er damit meinte) ungehört. Auch der hilfesuchende Blick zu Gerard, der in Hab-Acht-Stellung darauf wartete, eventuelle Spätfolgen zu beseitigen, wenn die beiden Damen fertig waren, prallte an der Wand aus mit 155 Dezibel hin- und hergeworfenen Worten ab. Als dann noch Lucys Mutter ihrer Tochter zu Hilfe kam, indem sie Penelopee einen ziegengesichtigen Triceratops mit dem Verstand einer Kaulquappe und dem Anstand eines dementen T-Rex nannte, sah auch Gil ein, dass er das Fest nicht mehr retten konnte und kalkulierte im Kopf schon mal die Kosten für den Wiederaufbau des Schlosses bis ein lautes Platsch! alle im Raum verstummen ließ. Es herrschte eine Stille, in der man den Schweißtropfen von Gerards Stirn zu Boden hätte fallen hören, wäre nicht Rufus‘ begeisterter Applaus gewesen.

Gerards entgeisterter Blick verließ den Beifall spendenden und Bravo rufenden Schwiegerpapa seiner Brotgeberin und glitt zum Boden zwischen Lucys Füßen, wo sich der Beweis dessen manifestierte, was gerade geschehen war.

Er erfasste die gesamte Tragweite der Tragödie 0,2 Millisekunden bevor Lady Lucy es in drei Worten auf den Punkt brachte: „Das Baby kommt!“

 

 

Gerards gesamter Zeitplan ging den Bach runter. Wie konnte Lady Lucy ihm das nur antun? Das Kinderzimmer glich einer Ruine, die einzigen Babyartikel im Haus waren von der Party und das Buch „Drachenentbindungen for Dummies“ lag unberührt auf seinem Nachttisch. Jetzt half nur noch Improvisation! Endlich zahlten sich die Arztserien aus, die er seit Langem heimlich im Fernsehen verfolgte. Was würde Dr. Lovebone, der Arzt aus Leidenschaft von Kanal 1, dem Gott in Weiß, dem die Frauen vertrauen, jetzt tun? Natürlich! Ruhe bewahren und Wasser kochen. Geschwind befüllte er den größten Topf, den er finden konnte und beförderte ihn auf den Herd, ehe er zum Wäscheschrank eilte, sich einen Arm voll Handtücher schnappte und damit zum Gemach der Herrschaft stürmte.

„Ich will doch nur helfen!“, zeterte Lady Penelopee aufgebracht und konnte nur schwer daran gehindert werden, das Schlafzimmer zu entern.

„Du bist uns nur im Weg!“ Lord Gil verweigerte seiner Mutter mit verschränkten Armen den Zugang. Hinter ihm schrie Lady Lucy so schrill unter einer erneuten Wehe, dass Gerard für die nächsten Tage ein Pfeifen in den Ohren haben würde. Wenn Vampire die Kontrolle über ihre Kräfte verloren, dann gründlich! In Gedanken machte er sich eine Notiz, außer Reichweite ihrer Hände zu bleiben, um bei der nächsten Wehe kein lebenswichtiges Organ einzubüßen.

Er schob sich an Lady Penelopee vorbei und hörte kurz darauf, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.

„Wissen Sie, was Sie tun?“ Lord Gil warf dem Butler einen stirnrunzelnden Blick zu.

„Ja, Sir. Ruhe bewahren und Wasser kochen“, zitierte Gerard und verteilte die Handtücher auf dem Bett.

„Um Himmels willen, wir wollen ein Baby entbinden und keinen Kaffee kochen!“ Lord Gil raufte sich die Haare.

„Genau dafür brauchen wir ...“, setzte Gerard an, wurde aber von Lady Lucy niedergebrüllt.

„Es kommt! Tut doch irgendwas!“

„Gerard!“ Der Lord ergriff den Butler bei den Schultern und schüttelte ihn panisch. „Tun Sie irgendwas!“

„I-ich t-tue jaa sch-schon m-mein B-Bestes!“ Gerards Zäh-ne schlugen aufeinander, als der Lord ihn losließ und er wie ein gefällter Baum zu Boden ging.

„Herrgott! Jetzt ist nicht die Zeit zum Ausruhen!“ Ein Arm packte ihn am Kragen und beförderte ihn trotz des benommenen Zustandes wieder auf die Füße.

„Es kooommt!“ Lady Lucys Kreischen besaß nun eine Oktave, bei der das Fensterglas empfindlich zitterte.

„Ja, Mylady. Bin da“, stammelte Gerard und sank vor dem Bett auf die Knie. Wenn er jetzt nicht Dr. Lovebone in sich entfesselte, dann nie! Er warf einen professionellen Arztserien-Blick zwischen die angewinkelten Beine und schaffte es gerade noch „Nanu?“ zu murmeln, als ihm auch schon etwas Hartes gegen den Kopf flog und er von der Wucht erneut zu Boden geworfen wurde.

„Himmel, Sie haben es geschafft!“ Das Gesicht des Lords tauchte über dem Butler auf. Er streckte die Arme aus und klaubte ein weißes Ei von Gerards Brust, ehe er sich an seine Liebste wandte. „Schatz! Unser Baby!“

„Schaut nur, es schlüpft schon!“, hauchte Lucy erschöpft.

„Gerard, Sie sind ein Genie!“

„Schtets tschu Dienschten, Schir!“ Gerard zappelte wie ein Maikäfer auf dem Rücken, um sich schließlich mühsam wieder aufzusetzen. Es war ihm nicht ganz transparent, was er gerade getan hatte, ehe ihn jemand – oder etwas – kurzzeitig ausgeknockt hatte, aber wenn es geklappt hatte, war alles in Ordnung.

Er blinzelte, bis seine Sicht wieder klar wurde, und sah wie der weiße Ball zwischen den Herrschaften knirschend aufbrach.

---ENDE DER LESEPROBE---