Der Mops, der Liebesbote spielte - Alisha Bionda - E-Book
SONDERANGEBOT

Der Mops, der Liebesbote spielte E-Book

Alisha Bionda

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

LOVE LETTERS—geschriebene Liebesgeständnisse, die ein-mal fröhlich sind, dann wieder melancholisch—und sogar über den Tod hinaus zwei Liebende verbinden. Tanja Bern, Tanya Carpenter, Christine Eisel, Caitlyn Young und Andrea Weil zeigen, wie unterschiedlich Liebesbriefe und ihre Geschichten sein können. 340 Seiten

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

Hrsg. Alisha Bionda

 

 

 

 

 

 

Love Letters

 

 

 

Romantische Novellen

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2020 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: AdobeStock

Szenentrenner: AdobeStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

 

 

Inhalt

Vorwort

Flaschenpost

Vergiss, "bis dass der Tod euch scheidet"!

Der Mops, der Liebesbote spielte

Das Liebesbrief-Tagebuch

Die Hexe von Norfolk

Die Herausgeberin

 

Alisha Bionda

 

 

Neben den geflüsterten Worten der Liebe sind auch jene, die niedergeschrieben werden, zu Herz gehend.

 

LOVE LETTERS erhitzen das Gemüt, verraten Gefühle, wecken Sehnsüchte, verbergen (Liebes)Geheimnisse – und erreichen einen über den Tod eines geliebten Men-schen hinaus.

 

Wie unterschiedlich Liebesbriefe und die Geschichten derjenigen, die sie geschrieben haben, sein können, zeigt diese Novellensammlung.

 

Viel Spaß und romantische Lesestunden,

 

Alisha Bionda, Frühjahr 2020

 

 

 

Tanya Carpenter

 

 

Zoé, meine Liebste!

Wenn Du ahnen würdest, wie sehr mein Herz noch immer für Dich schlägt, obwohl Deines nun für immer schweigt. Es gibt so vieles, was ich Dir noch sagen wollte, noch immer sagen will. Dinge, die Du hättest wissen sollen, und nie mehr erfahren wirst. Zum Beispiel wie sehr ich Deine Nachrichten geliebt habe. Die tausende von Post-it-Zetteln, mit denen Du mein Leben zugepflastert hast. Ich glaube, ich hab Dir das nicht oft genug gesagt. Manchmal war ich sogar richtig genervt. Aber jetzt vermisse ich sie. Ich vermisse Dich.

Ich hab Angst, Zoé. Angst vor dem, was ich Dir nie gesagt habe und was mich jetzt eingeholt hat. Angst vor allem, was ich gemacht habe – für ihn. Wissend, dass es nicht richtig ist. Aber ich wollte doch ein Leben für uns. Und er hat mich schließlich aus dem Dreck gezogen, war immer gut zu mir. Das macht es nicht besser, nicht richtiger. Das weiß ich mittlerweile. Darum bin ich auch ausgestiegen, Zoé. Endlich hab ich den Mut dazu gefunden – viel zu spät.

Ich weiß, wenn ich mit Dir offen darüber geredet hätte, dann wäre das schon früher passiert. Rechtzeitig vielleicht. Weil Du mir den Weg gezeigt hättest. Du wusstest immer, was richtig und was falsch ist, mit Deinem unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn und Deinem Glauben an das Gute. Daran denke ich nun, und so hast du es am Ende doch geschafft, mir den Schubs in die richtige Richtung zu geben. Durch Deinen Tod. Ich tu das für dich, Zoé, weil ich weiß, dass Du es so gewollt hättest. Du hast schon lange gespürt, dass ich nachts Dinge mache, die nicht richtig sind. Trotzdem bist Du bei mir geblieben, hast mich nie bedrängt und mir nie Vorwürfe gemacht. Nur hin und wieder waren da diese kleinen Worte zwischen den Zeilen in Deinen Nachrichten. Ich hab sie nicht sehen wollen. Ich hätte sie sehen müssen. Es ist eine makabre Ironie, dass ich mich erst durch Deinen Tod von ihm gelöst habe, wo Du doch nur deshalb sterben musstest, weil er dachte, dass ich ihn längst verraten hab. Dabei hab ich vor dieser Nacht nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht. Wie das Leben so spielt, nicht wahr? Oder in dem Fall eben der Tod. Dich zu verlieren, ist meine gerechte Strafe. Nur ist es nicht fair, dass Du die Rechnung begleichen musstest. Ich hätte an Deiner Stelle sterben sollen. So war es geplant. So wäre es richtig gewesen. Warum nur musstest Du ausgerechnet in dieser Nacht mit dem Boot rausfahren? Sonst hast Du es nie angerührt. Jetzt bist Du nicht mehr da. Nichts ist mir geblieben von Dir. Nur die Erinnerungen und blasse Bilder, die Deine Schönheit und Deinen Liebreiz niemals werden widerspiegeln können. Ich vermisse Dich, mein Engel. Mit jedem Tag, ja mit jeder Stunde. Mein Leben ist bedeutungslos ohne Dich, und trotzdem muss es weitergehen. Nur noch ein wenig. Bis ich diese eine Sache erledigt hab. Das bin ich Dir schuldig.

Und dann …

Ich weiß, Du würdest es mir nie vergeben, wenn ich Dir stumm nachfolge. Das allein lässt mich zaudern und bindet mich an ein Leben, das ohne Dich keines mehr ist.

Könnte ich nur einmal noch Deine Stimme hören, Dein wundervolles Lachen. Nur einmal noch Dein weiches Haar berühren, fühlen, wie es sich über mich legt – gleich einem Schleier aus Nacht, während wir uns lieben. Wenn mir das Schicksal doch nur noch ein einziges Mal erlauben würde, Deine süßen Lippen zu küssen und Dich in meinen Armen zu halten. Dich festzuhalten, damit Du mir nicht entrissen wirst. Ich wäre der glücklichste Mensch auf Erden und würde alles besser machen. Alles richtig. Doch es wird nicht sein – kann nie mehr sein. Du bist fort. Und ich fühle mich wie ein Wanderer ohne Ziel, wie ein Ertrinkender im Ozean, wie ein Lied ohne Klang.

Auf ewig

Dein José

 

 

Heute

Der Wind verfing sich in seinen dunklen Haaren, während er gedankenverloren die Saiten der Gitarre zupfte. Dabei entlockte er dem Instrument eine wehmütige Melodie, die sich aus den Tiefen seiner Seele an die Oberfläche wand, um sich mit dem Rauschen der Brandung zu vermischen und weit übers Meer hinfort zu ziehen. Seine Stimme, rau und wund, kaum mehr als ein tränenschweres Flüstern, sang ein trauriges Lied über verlorene Liebe und gestorbene Hoffnung. Sang es mit so viel Tiefe und Verzweiflung, dass es selbst einen Felsen zum Weinen hätte bringen mögen. Doch die Eine, der dieses Lied galt, würde es nie empfangen. Josés Herz quoll über vor Sehnsucht und Pein – ein Schmerz, der niemals mehr enden würde, weil er Zoé für immer verloren hatte und ihr Tod eine immerwährende Schuld war, die auf ihm lastete und ihn in die Knie zwang. Seine große Liebe. Sein Licht, das ihn aus der Dunkelheit geführt hatte – um dann zu verlöschen. Nachdem es ein letztes Mal lichterloh gebrannt und ihm damit die Augen geöffnet hatte. Erneut stieg all die Bitterkeit des Schicksals in seiner Kehle empor. Er wandelte sein Leid in Klang mit seinem Spiel. Auf eine Art, die niemanden unberührt lassen konnte, der es vernahm. Nicht einmal die Männer in den dunklen Anzügen, die stets im Hintergrund blieben und ihn keine Minute aus den Augen ließen, ganz gleich, was er auch tat. Sie waren immer da, zumindest so lange, bis er seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte. Was danach kam … ob man ihn auch dann noch beschützte … es war ihm egal.

Er verlor sich in jedem Ton, war der Welt zur Gänze entrückt, in der er ohnehin keine Freude mehr finden konnte, weil ohne Zoé jeder Tag bedeutungslos war. Mit dem letzten Akkord brach José am Strand zusammen. Er war ein junger Mann – schön, erfolgreich, begehrt und mit einem nahezu dämonischen Talent für die Musik. Donovan hatte das aus ihm gemacht, oder besser: Er hatte es für sich zu nutzen gewusst. Geld, eine schicke Wohnung, ein schnelles Auto, ein Boot ... dieses verdammte Boot. Warum nur hatte er nicht sehen wollen, dass all die Großzügigkeit, die sein Boss ihm gegenüber an den Tag legte, um ihn zu halten, nur Mittel zum Zweck war. Ein noch größeres Blendwerk, als seine Freundlichkeit und Fürsorge zuvor. Zoé hatte es immer geahnt. Sie hatte all das nicht gewollt, hatte sich vor Donovan gefürchtet und José tausend Mal gebeten, auszusteigen. Nicht mehr in die Clubs zu gehen, sondern einen anderen Weg mit seiner Musik einzuschlagen. Dabei hatte sie die Wahrheit nicht einmal gekannt.

Oder doch?

Egal.

Am Ende war der Preis für all das zu hoch gewesen. Jetzt fühlte er nichts mehr von dem Prunk und der Leichtigkeit, mit denen Donovan ihn eingefangen hatte. Stattdessen kam sich José vor wie ein Greis, obwohl nicht mehr als ein paar Monate vergangen waren seit jener Nacht, in der Zoés Seele gegangen war. Es wäre ihm gleichgültig gewesen, wenn er alles verloren hätte, wenn nur sie ihm geblieben wäre. Seinen noch immer betörenden Anblick, über den sogar seine Wächter anerkennend murmelten, ertrug er nicht länger. Wenn er in den Spiegel sah, ekelte seine Schönheit ihn an, weil ihm bewusst war, zu was er sie missbraucht hatte. Tief im Inneren hatte er es immer gewusst, aber die Versuchung war zu groß gewesen. Der schöne Schein, die Illusion eines freien, unbeschwerten Lebens ¬ – irgendwann.

Es waren sein Aussehen und seine fast schon unheimliche Begabung gewesen, die ihn einst in diesen Sumpf gezogen hatten, in dem er viel zu lange freiwillig verweilt hatte, bis er den Schmutz von dort nie wieder gänzlich loswurde. Ihr war es egal gewesen. Sie hatte ihn dennoch geliebt. Nicht wegen seines Äußeren, sondern wegen des kleinen Stückchens Unversehrtheit in seiner Seele, das noch geblieben war – das sie erkannt und wieder zum Leben erweckt hatte, nur um am Ende bitter dafür zu bezahlen.

Er hatte auch bezahlt, oh ja. Aber längst nicht genug. Und jetzt sann sein Herz nur noch auf Rache. Seine Hände gruben sich in den feuchten Sand, bis man die Narben darauf nicht mehr sah. Selbst der Wind vermochte seine Tränen nicht zu trocken. Lautlos schluchzte er, zitterte unter der Last seiner Verzweiflung und Schuld. Warum nur? Warum hatte das Meer sie fortgenommen? Sie und nicht ihn? Warum hatte sie an diesem Abend das Boot genommen? Seine wunderschöne Zoé. Sie hatte den Tod nicht verdient. Das reinste Wesen auf dieser Erde. Es wäre an ihm gewesen, mit dem Leben zu bezahlen, nicht an ihr. Das Schicksal konnte so grausam sein. Als er sich erhob, war ihm als wögen seine Glieder Tonnen. Er torkelte auf die Brandung zu wie ein Betrunkener. Als seine Füße bereits von eisigem Nass umspült wurden, holte er aus und schleuderte die Flasche weit aufs Meer hinaus. Nie würde sie sie erhalten. Doch näher konnte er ihr nicht mehr bringen, was ihm auf dem Herzen brannte. Er musste es ihr sagen, bevor er in gut einer Woche alles auf eine Karte setzen und in diesen Gerichtssaal gehen würde. Was danach geschah, lag nicht mehr in seiner Hand. Aber mit seiner Aussage war es unwahrscheinlich, dass Donovan das Gefängnis jemals wieder verließ. Darum war er hier, abgeschottet von der Welt und besser bewacht als Fort Knox. Um sicherzustellen, dass er in einer Woche noch lebte. Nach seiner Aussage würde kein Hahn mehr nach ihm krähen, das wusste er. Vielleicht traf ihn dann eine Kugel von Donovans Handlangern. Auch das kümmerte ihn nicht. Er wollte nur leben bis zum Prozess, damit Donovan dafür büßte, was er getan hatte. Je schneller er danach sein eigenes Leben aushauchte, umso besser, dann wäre er wenigstens wieder bei Zoé.

Kurz versank die Flasche unter der Wasseroberfläche, ehe sie wieder auftauchte und mit der Brandung hinaus auf das offene Meer gezogen wurde. Sie tanzte auf den Wellen, drehte sich, und schwamm mit jedem neuen Sog der einsetzenden Ebbe weiter davon bis sie Josés Blicken entschwunden war. Allein und einsam, mit der letzten Botschaft einer tragischen Liebe in ihrem gläsernen Leib, driftete sie mit den Gezeiten davon. Hin zu einem unbestimmten Ziel. Glühend im Schein des roten Feuerballs, der sich in den dunklen Fluten zur Ruhe zu begeben schien. Und später gestreichelt von den kühlen Strahlen des bleichen Mondes, der ihr Geleit gab durch die Finsternis der Nacht.

 

 

Ein Jahr zuvor

José war müde. Die ganze Nacht hatte er in einem von Donovans Club gespielt. Es waren viele Frischlinge im Publikum gewesen, darum war es eine besonders harte Nacht gewesen. Sein Boss hatte gleich mehrere der Jungs und Mädels in den Backstagebereich gebracht, damit sich José und die Band um sie kümmerten. Es lief immer gleich ab. Seine Musik war das Erste, was sie berauschte. Danach sein Körper. Und später nur noch die bunte Zaubermedizin aus Donovans spezieller Apotheke. Die ersten Male waren gratis. Scheinbar harmlose Shots, um gut draufzukommen – und den Sex intensiver zu machen. Es dauerte nie lange, bis die Sucht sie packte. Danach hatte Donovan sie in der Hand. Wenn sie nicht zahlen konnten, schickte er sie anschaffen. Der Nachschub riss nie ab und er suchte sich immer nur diejenigen raus, die seinen Zwecken dienlich waren. José schauderte kurz, weil ihm wieder mal der Gedanke kam, dass er genauso hätte enden können. Groß war der Unterschied nicht, aber immerhin war er weitgehend clean geblieben, durfte seine Musik ausleben und musste sich nicht jedem widerlichen Freier hingeben, an den Donovan ihn verkaufte. Die Rekruten, die er vorbereitete, waren allesamt jung und hübsch, damit sie später ihrem Zweck dienten. Das machte es leichter, sogar dann, wenn es Jungs waren, obwohl ihm Mädchen lieber waren.

Manchmal kotzte es José an, weil er genug Grips hatte, um zu blicken, was hier abging. Aber wenn seine Laune zu tief sank, gab es meistens einen Bonus und dann rief er sich wieder in Erinnerung, wofür er das alles tat. Dass Donovan ihn schließlich aus dem Dreck gezogen hatte und er ihm sein Leben verdankte. Also blendete er weiterhin aus, was er da in Wahrheit tat und wohin es für diese jungen Menschen führte. Das war nicht sein Problem und durfte es niemals werden. Sie alle hatten eine Wahl, im Gegensatz zu ihm. In dieser Welt galt nunmal das Recht des Stärkeren, und er wollte nicht noch einmal am Boden liegen.

José gab das Geld, das er verdiente, nicht sinnlos aus, auch wenn seine Börse immer gut gefüllt war. Er machte sich nichts vor, für immer wollte er nicht so weitermachen. Er musste den Absprung schaffen, ehe er zu alt wurde und seine Schönheit verblasste. Für diese Zeit musste er vorbereitet sein. Ein Leben ohne Donovan und seine finsteren Geschäfte, wenn er nicht mehr das Gefühl hatte, diesem Mann noch etwas schuldig zu sein. Wann das sein würde … José wusste es nicht. Im Moment trieb er einfach so dahin, genoss den trügerischen Ruhm und all die Annehmlichkeiten – und behielt im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen das Später immer im Auge. José war nicht der einzige Catcher, mit dem Donovan seine Masche abzog. Der Kerl hatte unzählige Clubs überall im Land. Seine Lockvögel waren gezielt ausgesucht und sorgten dafür, dass die Geschäfte bestens liefen. Sex sells – noch dazu mit dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein, weil man seinem Idol ganz nahekommen durfte. José zog sich erst zurück, wenn es kein Entrinnen mehr gab. Wenigstens musste er sich Folgen seines Tuns dann nicht mehr ansehen. So konnte er sein Gewissen den größten Teil der Zeit stumm halten. Die Wahrheit einfach ausblenden.

„Sei ihr Freund, sei ihr Lover“, sagte Donovan immer. „Gib ihnen das Gefühl, was Besonderes zu sein. Und wenn sie dir vertrauen …“

Es war so mies, aber warum sich Gedanken machen? Er tat nichts gegen ihren Willen. Sie suchten doch danach. Warum sonst kamen sie in Donovans Clubs? Immer wieder.

Eigentlich wollte José wie jeden Morgen einfach nur in sein Bett. Er war fertig von dem Gig und dem danach. Die Augen des Mädchens von letzter Nacht verfolgten ihn. Groß und panisch. Bisher hatte keine so schnell begriffen, worum es ging, wie sie. Aber das würde ihr auch nicht mehr helfen. Sein Magen rumorte. Er hatte seit gestern Mittag nichts mehr gegessen. Vor den Auftritten aß er nie und diesmal hatte er keinen Bissen mehr runterbekommen, solange diese Kleine vor ihm lag und mit den Auswirkungen des ersten Shots kämpfte. Er kam an einem kleinen Café vorbei und der Duft von Kaffee und frischen Sandwiches stieg ihm in die Nase. José überlegte nicht lange, sondern ging rein. Kaum, dass er die Schwelle übertreten hatte, fiel sein Blick auf sie. Schwarze Haare bis zur Taille, leuchtend grüne Augen, die wie Smaragde funkelten. Zierlich und doch unübersehbar stark. Sie stand hinter der Verkaufstheke und kochte gerade Kaffee. Als sie ihn sah, lächelte sie freundlich – es wirkte auf ihn wie ein Sternenregen. Belebend und euphorisierend. Ihm entging die Bewunderung in ihrem Blick nicht. Er wusste um sein Äußeres und seine Wirkung auf andere Menschen, schließlich war beides sein Kapital. Lässig trat er näher, neigte den Kopf zur Seite und überlegte sich, mit welchem Spruch er wohl ihr Herz erreichen könnte.

Gerade wollte er das Wort an sie richten, da streifte sein Blick, den er kurz durch den Raum schweifen ließ, ein vertrautes Gesicht. Alles in ihm erstarrte. Braune, unstete Augen hefteten sich auf ihn. Gehetzt, leer, ein bisschen panisch und dann voller Flehen. Blaze! Er hatte den hübschen Jungen seit fast einem Monat nicht mehr gesehen. Nicht drüber nachgedacht, obwohl gerade er sein Herz nicht völlig kalt ließ. Viel zu jung, devot aufgrund seiner Unerfahrenheit, was Donovan natürlich sofort geblickt und genutzt hatte. Wenigstens lebte er noch. José konnte seine Augen nicht von ihm wenden. Hilf mir, schien Blazes Blick zu sagen. Für einen Moment vergaß José die dunkelhaarige Schönheit hinter dem Tresen. Langsam ging er auf den Tisch zu, an dem Blaze saß. Der Junge klammerte sich an einen Becher mit Tee. Unter seinen Augen zeigten sich dunkle Ringe, die Haut war fahl und offenbar schlief Blaze seit Tagen draußen.

Verdammt, José wusste, wie das war. Hatte das alles selbst durch. Nicht zu wissen, wo man die nächste Mahlzeit herbekommen oder einen trockenen Platz zum Schlafen finden sollte. Jemand anderen in der Lage zu sehen, in der er selbst einst gewesen war, führte ihm diese Zeit wieder vor Augen und machte seine Schuldgefühle so groß, dass er gerade kaum atmen konnte.

José spürte die Blicke der jungen Frau in seinem Rücken, als er sich zu Blaze setzte.

„Hi, Blaze. Lange nicht gesehen.“

Blazes ganzer Körper zitterte, war ausgemergelt und schwach. An den Handgelenken und am Hals erkannte José verblassende blaue Flecke. Gottverdammt, dachte er.

„Hast du …“ Blaze hatte kaum Kontrolle über seine Stimme. „Hast du … vielleicht … was für mich?“

Die Hoffnung schnitt José in seine Seele. Nein, er hatte nichts dabei. Er rührte diesen Mist nicht an, auch wenn es für die Kids immer so aussah. „Ich kann dir was zu Essen kaufen. Und dir ein bisschen Geld geben“, sagte er leise.

Die Leere in den Augen des Jungen schwand ein bisschen. José drehte sich um und winkte die Schöne heran. „Wir hätten gern ein Frühstück“, bat er leise. „Und vielleicht noch einen Coffee to go und ein paar Sandwiches für später.“

Ihre Blicke trafen sich. Er sah ihr Mitleid für Blaze. Sie nickte schweigend, drehte sich um und kam wenig später mit zwei gefüllten Tellern zurück. José rührte nichts an. Er ließ Blaze alles aufessen. Danach schob er ihm einige Scheine über den Tisch. Er brauchte sie nicht unbedingt. Geld war nie sein Problem. Verstohlen, als täte er etwas Verbotenes, griff der Junge danach und steckte sie ein.

„Bin gleich wieder da“, sagte José und drehte sich um, damit er die Sandwiches noch für ihn holen konnte. Doch gerade, als er die Tüte in die Hand nahm, erklang die Türglocke und alles, was er von Blaze noch sah, war sein blonder Schopf, der um die Ecke verschwand.

„Kennst du ihn?“ Wieder dieses tiefe Mitgefühl in ihrer Stimme.

„Nein“, log José. „Er tat mir nur leid.“

Sie nickte. „Ja, mir auch. Darum der Tee.“ Sie lächelte scheu. „Das war eine gute Tat. Ihm was zu Essen zu kaufen. Ich hoffe, er benutzt das Geld nicht …“

Sie sprach es nicht aus, blickte beklommen auf den Tresen und fing an, ihn hektisch mit einem Lappen sauberzuwischen, obwohl nicht einmal ein Fussel darauf lag. Sanft legte er seine rechte Hand auf ihre und unterbrach ihr Tun. Ihre Hoffnung würde sich nicht erfüllen, das wussten sie wohl beide.

„Ich nehme dann die Sandwiches wohl mit. Wäre schade drum“, meinte er und zückte seine Börse, um zu bezahlen. „Moment noch. Der Kaffee“, sagte sie und nahm ihm die Tüte wieder ab, drehte sich weg. Als sie zurückkam, lächelte sie zaghaft und stellte sie vor ihm ab. Man konnte sehen, dass nun auch ein Becher darin verstaut war.

José legte einen Zwanzig-Dollar-Schein auf den Tresen. „Stimmt so“, sagte er, hielt für einen Moment noch ihren Blick fest und bedauerte, nicht mit ihr ins Gespräch gekommen zu sein. Aber nach der Begegnung mit Blaze wirkte es irgendwie unpassend.

Auf dem Heimweg kreisten seine Gedanken immer wieder um den Jungen. Er zitterte plötzlich genauso wie Blaze. Diese leeren Augen! Verdammt, er war kein Idiot. Er wusste es doch. Auch wenn er es verdrängte. Aber es zu wissen und zu sehen waren zweierlei Dinge. Und jetzt gleich zweimal direkt hintereinander. Erst das Mädchen, jetzt Blaze ...

Fuck, er war noch so jung. Zu jung für die Straße. Zu jung für diesen Scheiß. Zu jung um zu sterben. So wie José damals, als Donovan ihn aufgegriffen hatte. Der Unterschied zwischen ihnen beiden waren lediglich die Absichten, die Donovan mit ihnen verfolgte. José kannte das doch, es sollte ihm nicht so viel ausmachen. Trotzdem blieb das Gefühl, dass er Blaze hätte helfen müssen, weil er eine Mitschuld an seinem Schicksal trug. Aber Blaze hatte den point of no return bereits weit überschritten.

Zuhause angekommen realisierte José, dass sein Magen immer noch knurrte, weil er Blaze ja sein Frühstück überlassen hatte. Er seufzte. Na ja, dann würde er sich eben die Sandwiches schmecken lassen. Er holte den Kaffee hervor, der noch immer lauwarm war und schüttete dann die belegten Brote auf den Tisch. Mit ihnen fiel ein kleiner, gelber Post-it-Zettel heraus. Mit gerunzelter Stirn nahm er ihn auf und las.

 

Hallo schöner, fremder Mann mit dem großen Herzen! Deine Tat hat mich sehr berührt. Es gibt nicht viele Menschen, die so selbstlos helfen. Du hast heute jemandem Hoffnung gegeben. Ich bete, dass er sie zu nutzen weiß.

Vielleicht verrätst Du mir ja Deinen Namen, wenn Du wieder mal vorbeikommst. Ich würde mich freuen. Ich mag nämlich Menschen wie Dich. Menschen mit Herz. Zoé

 

Zoé! José war sprachlos ob ihrer Nachricht. Gute Tat? Mensch mit Herz? Er lachte bitter. Wenn sie wüsste. Aber dass sie ihn wiedersehen wollte, ließ ihm die Kehle eng werden und beschleunigte seinen Puls. Er wollte sie auch wiedersehen. Nachholen, was er heute versäumt hatte. Und ja, er würde ihr auf jeden Fall seinen Namen verraten. Wenn sie wollte, gerne auch noch mehr. Nur die Schatten, die mussten bei ihm bleiben, sollten nicht in ihre Nähe. Zoé war ein Engel. Und deren Flügel mussten rein bleiben.

 

 

Als er das Café am nächsten Tag betrat, begrüßten ihn wieder ihre leuchtenden Augen und ihr strahlendes Lächeln, womit man Eisberge zum Schmelzen bringen konnte. Ihr dunkles Haar war zu einem Zopf geflochten, aber einige vorwitzige Strähnen hatten sich daraus gelöst und ringelten sich um ihr ebenmäßiges Gesicht. Sie raubte ihm den Atem, mehr noch als beim ersten Mal, obwohl er nicht sagen konnte, warum. Sie war einfach … unwirklich. Tatsächlich wie ein Engel, den eine höhere Macht zu ihm geschickt hatte. Was für ein irrer Gedanke. Er setzte sich zu ihr an die Theke, bestellte einen Kaffee und einen Schokomuffin und dann redeten sie. Sie war immer noch berührt davon, was er gestern für Blaze getan hatte. José war es unangenehm, dass sie ihn auf einen Sockel stellte, den er nicht verdient hatte, aber er sagte nichts dazu, sondern lenkte das Gespräch möglichst rasch in andere Bahnen. Von da an ging er jeden Tag zu Zoé. Innerhalb weniger Wochen, in denen sie täglich die zwei Stunden zwischen dem Öffnen des Cafés und dem großen Frühstücksandrang redeten, kamen sie sich näher, als ihm jemals ein anderer Mensch gewesen war. Sie erzählten sich von ihrer Vergangenheit, ihren Niederlagen und Erfolgen, Hoffnungen und Träumen. Da war so viel Vertrauen und blindes Verstehen. Natürlich verschwieg er ihr weiterhin all die Schattenseiten seiner Welt. Nicht aus seiner Zeit auf der Straße, aber das, was er Backstage für Donovan tat. Sie musste das nicht wissen. Er wusste nicht, was er mehr fürchtete – sie dadurch zu verlieren, oder sie mit sich in den Abgrund zu reißen. Aber loslassen konnte er sie auch nicht mehr. Sich von ihr fernhalten – undenkbar. Er schrieb ihr einen Song und sie war entzückt von seiner Künstlerseele. Umso mehr, nachdem er einige Male gratis im Café für die Gäste spielte. Über Geld sprach José nicht, denn er wollte nicht wie ein Angeber erscheinen und Zoé schien ohnehin niemand, den man damit beeindrucken könnte. Ihr Leben war auch nicht immer rosig verlaufen. Zoé erzählte von ihrer Familie, in der es leider mehr bittere als schöne Momente gegeben hatte. Von ihrem Studium, das sie abbrechen musste, weil das Geld nie reichte, egal wie viele Jobs sie angenommen hatte. Sie bedauerte es, hatte sich aber längst damit arrangiert. Ihr Traum war inzwischen ein anderer. Ein eigenes Café, in dem es Nahrung für den Körper und die Seele gab. Nicht nur mit Kaffee, Kakao und Gebäck, sondern auch mit Büchern. Das war ihr größter Wunsch. Und seit sie ihm davon erzählt hatte, wurde es zu einer fixen Idee, ihr diesen Traum einmal zu erfüllen und sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr aufzubauen. Fernab von Donovan und seinen Geschäften. Noch schaffte er es nicht, denn sich von Donovan loszusagen war alles andere als leicht. Wen er einmal in seinen Fängen hatte, den gab er ungern wieder frei. Aber mit Zoé existierte nun noch ein Grund mehr durchzuhalten und für eine Zukunft zu kämpfen.

Das zwischen José und Zoé war Magie. Schon ihr Name spiegelte all das wider, was er sich erhoffte. Ein Leben. Ein richtiges Leben. Zoé war nicht nur schön, sondern auch klug und das liebenswertestes Geschöpf, das ihm je begegnet war.

Er konnte nicht von ihr lassen, und sie nicht von ihm, obwohl sie lange Zeit nur umeinanderschlichen, wie zwei Katzen um den heißen Brei. Sie entwickelten kleine Rituale, die sie einander näherbrachten, ohne eine bestimmte Grenze zu überschreiten. Und wenn José gegen acht Uhr das Café verließ, dann stets mit einer Tüte voller Sandwiches und einer kleinen Botschaft von Zoé.

 

Weißt Du, dass Du Grübchen, in den Wangen hast, wenn Du lachst? Du lachst aber viel zu selten.

 

Zuhause hatte er das sofort überprüft und seitdem achtete er darauf, häufiger zu lachen oder wenigstens zu lächeln.

 

Hey, Schöner. Deine Augen sehen heute gar nicht so müde aus wie sonst. Ich glaube, es geht dir langsam besser.

 

Was auch stimmte, obwohl sie – zum Glück – nicht wissen konnte, woher das kam. Aber seit er sie täglich besuchte und mit ihr sprach, kam er innerlich zur Ruhe und brauchte bald keine Tabletten mehr zum Einschlafen. Kalter Entzug? Pah! Er hatte seine Ersatzdroge. Sie. Ihre Stimme, ihr Lachen, ihre seelentiefen Blicke, die flüchtigen Berührungen – und all die Träume mit ihr, von denen er manche nicht laut auszusprechen wagte.

 

Sorry, heute gibt es leider nur Tunfisch. Ich weiß, du magst ihn nicht so sehr, aber der Lieferant war noch nicht da. Ich mach es morgen wieder wett.

 

Er hätte sogar Schlimmeres als Tunfisch gegessen, Hauptsache, sie hatte das Sandwich für ihn gemacht.

Ich hab Dich gestern vermisst. Nein, stimmt nicht, ich hab mir Sorgen gemacht. Jag mir nie wieder einen solchen Schrecken ein, wortlos einfach wegzubleiben.

Daneben ihre Handynummer. Es war ein einziges Mal vorgekommen, dass er wegen eines beschissenen Auftrags für Donovan zu spät dran gewesen war, um sie noch vor dem Frühstücksansturm zu besuchen. Dabei hatte er selbst am meisten gelitten, weil jeder Tag ohne Zoé sinnlos war. Aber immerhin war er so an ihre Nummer gekommen und seitdem telefonierten sie täglich vor seinen Auftritten, was ihnen noch mehr gemeinsame Zeit verschaffte.

 

 

Drei Monaten lief es so zwischen ihnen, bis er sich endlich traute, sie zu sich einzuladen. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er sie fragte. Und dann lächelte sie nur und gab ihm keine Antwort. Er kam sich vor wie der letzte Idiot. Bis er zu Hause seine Tüte mit den Sandwiches aufmachte und wieder ein Post-it von ihr fand.

 

 

Mein lieber José,

ich wusste nicht, wie geduldig eine Frau sein muss, wenn sie ihr Herz verschenken will. Wenn Du noch eine Woche länger gebraucht hättest, wäre ich Dir einfach zuvorgekommen. Ich will Dir endlich nahe sein. Ohne diesen Tresen zwischen uns. Oh mein Gott, vielleicht wirst Du erschrecken, denn ich habe tatsächlich auch Beine und nicht bloß einen Oberkörper.

 

Hinter dem Satz hatte sie ein tränenlachendes Smiley aufgemalt.

 

Ich freu mich auf unser erstes Date. Und lass Dir mit dem Rest nicht nochmal so lange Zeit, ja?

Mit Herzklopfen

Zoé

 

Dieses Date bestand aus einem Abendessen, bei dem so ziemlich alles schiefging. Der Kuchen verbrannt, die Nudeln verkocht, der Nachtisch nicht gar. Nur der Wein war gut, den hatte er ja auch nicht selbst machen müssen. Zoé lachte bloß, küsste ihn und blieb über Nacht. Es war die erste von unzähligen Nächten, in denen sie sich bis zur Erschöpfung liebten und neben ihren Körpern auch ihre Seelen miteinander vereinten. Ihnen beiden war klar, das hier war für immer. Schon eine Woche später zog Zoé bei ihm ein. José war so glücklich, wie nie zuvor in seinem Leben, auch wenn sein Leben mehr und mehr ein Drahtseilakt wurde. Zoé war zu klug und viel zu empathisch, um nicht die einen oder anderen Anhaltspunkte zu finden, die auf sein eigentliches Nachtleben hinwiesen. Sie stellte ihn nie infrage, aber die Sorge malte rasch tiefe Linien in ihr Gesicht, und Donovan hasste sie, weil sie José veränderte. Von dem Moment an, wo sie ein Paar waren, zog sich José mehr und mehr zurück, versuchte, sich den Treffen mit den Frischlingen zu entziehen, was für seinen Boss Einbußen bedeutete. Viele starben früher oder später an dem Zeug, das sie im Club bekamen, daher konnte Donovan es sich nicht leisten, dass der Nachschub an Kunden ausblieb. Er redete José mehrmals ins Gewissen und so versuchte er, ihn hinzuhalten und zu beruhigen. Zumindest ab und zu seine Nummer im Backstage abzuziehen, obwohl er sich jedes Mal schäbig vorkam, weil er Zoé praktisch betrog. Ihm wurde immer stärker bewusst, dass er aussteigen musste, aber er wusste nicht wie. José war zerrissen zwischen der Welt, die Donovan ihm geöffnet hatte, und dem Leben, das er mit Zoé führen könnte. Und dann begann Zoé schließlich doch, Fragen zu stellen und ihn mit kleinen Botschaften zwischen den Zeilen wissen zu lassen, dass sie die Dinge sah, auch wenn er nicht darüber sprach.

 

Ich liebe Deine Augen, José. Sie sind wie das Meer oder wie der weite Himmel. Wenn ich in Deine Augen sehe, fühle ich mich wundervoll frei. Wäre da nur nicht der Sturm, der in letzter Zeit so oft die Wellen aufwühlt und mich hilflos auf den Gezeiten treiben lässt.

 

Augen. Spiegel zur Seele. Er hoffte nicht. Er hatte Angst vor dem, was sie dann in seinen Augen sehen könnte, wenn sie nur ein einziges Mal zu tief hineinsah. Wenn aus ihrer Ahnung Gewissheit wurde und der Sturm zu einem Orkan.

 

Deine Stimme ist wie eine Berührung. Sie streichelt meine Seele. Das ist so … unbeschreiblich intim, weil es etwas in mir erreicht, das weit über alles Körperliche hinausgeht. Gott, das klingt so kitschig. Hoffentlich lachst Du mich jetzt nicht aus. Ich kann Deine Liebe hören, in jedem Wort. Aber auch Deinen Schmerz. Und dieser schneidet tief in mein Herz hinein, weil ich ihn nicht verstehe und weil er nach manchen Nächten so tief ist, dass ich Dein Seelenblut auf meiner Haut spüren kann.

 

Er hätte sie niemals ausgelacht. Er sprach so gerne mit ihr, wenn sie nach ihren sinnlichen Stunden in seinen Armen lag. Diese Nähe, dieses Vertrauen, bedeuteten ihm unendlich viel. Und genauso gern, wie er ihr von seinen Träumen erzählte und davon, wie sehr er sie liebte, lauschte er auch ihren Worten, wenn sie es ihm mit gleicher Münze zurückgab. Aber es war Selbstbetrug, zu glauben, dass sie nur das Licht in ihm sehen konnte, die Schatten jedoch nicht. Er wollte diese Dunkelheit vor ihr verbergen und scheiterte jedes Mal daran. Der Gedanke, dass es sie eines Tages verschlingen könnte, war mehr, als er ertragen konnte. Mehrmals versuchte er, sich einzureden, dass er sie gehen lassen musste. Sie schützen. Aber er war zu schwach. Voller Bitterkeit gestand er sich ein, dass ihr Leben so schön sein könnte, wenn … ja wenn er nur endlich den Absprung schaffen würde.

 

Ich könnte immer noch weinen vor Rührung. Du weißt gar nicht, was für ein Geschenk Du mir damit gemacht hast. Ich lese die Zeilen des Songs zwanzig Mal jede Stunde und da ist so ein Druck in meinem Herzen. Oh, José, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll.

 

Er hatte ihr etwas zurückgeben wollen für ihre vielen kleinen Liebesnotizen. Und da Briefe nicht seine Stärke waren, hatte er ihr stattdessen einen weiteren Song geschrieben und freute sich, dass seine Worte sie erreichten. Sie musste nicht erklären, was sie fühlte. Er verstand es, weil er ihm genauso ging. Das Lied, das er für sie geschrieben und allein für sie gesungen hatte, war von ihr inspiriert. Aber das hatte er ihr erst einige Tage später erzählt. Es handelte von seinen Hoffnungen und Träumen mit ihr, und von der Dunkelheit, die er für sie verlassen wollte.

Es waren keine Zweifel, die ihn davon abhielten, den nächsten Schritt zu gehen. Es waren die Ängste, in was er sie mit hineinziehen würde, wenn er diese eine Schwelle übertrat. Zoé wusste zu wenig über ihn. Er gab so viel preis, wie er verantworten konnte, und trotz seiner Schweigsamkeit hatte er das Gefühl, dass sie ihn besser kannte, als er sich selbst. Sie blickte in seine Seele, sah seine Gefühle und vermutlich auch seine Sorgen, obwohl sie diese immer nur vage erwähnte, als wolle sie ihn nicht bedrängen. Aber mehr und mehr wurde ihm klar, dass Zoé mehr wusste, als gut für sie war, und dass Donovan dieses Risiko vielleicht irgendwann erkennen würde. Wenn er blieb, war sie immer in Gefahr, wenn er ging jedoch nicht weniger, denn Donovan würde das niemals einfach so hinnehmen. War das ein Leben, das er ihr zumuten wollte? Immer auf der Flucht?

 

 

„José?“

Überrascht hob er den Blick. Er war an diesem einen Morgen so in Erinnerung, Grübeleien, Zweifeln und Hoffnungen gefangen, dass es ihn innerlich zerriss, was sie natürlich merkte. Es wurde Zeit, Entscheidungen zu treffen, die weit größere Kreise zogen, als sie ahnen konnte. Er spürte, er näherte sich einem Kreuzweg. Einem Punkt, der danach schrie, das Richtige zu tun, weil er sonst alles verlieren konnte. Wäre da nur nicht dieser innere Druck gewesen. Dieses beschissene Gefühl der Verpflichtung gegenüber Donovan. Aber er musste auch an Zoé denken und wie es zwischen ihnen weitergehen sollte. Auf jeden Fall wurde es Zeit, dass er den nächsten Schritt tat. Sie konnten nicht ewig so weitermachen. „Du siehst fertig aus“, sagte sie sanft. „Nicht nur müde, sondern … ist etwas nicht in Ordnung?“

Die ehrliche Sorge in ihrer Stimme berührte ihn tief. Tatsächlich war vergangene Nacht etwas passiert, dass ihn stärker belastete, als es sein dürfte. Er war dabei gewesen, wie jemand starb. An diesem Mist, den er vertickte. Und es war dieses junge Mädchen gewesen, dessen Augen ihn an dem ersten Morgen verfolgt hatten, an dem er Zoé begegnet war.

---ENDE DER LESEPROBE---