Todesspur durch Wyoming - U.H. Wilken - E-Book

Todesspur durch Wyoming E-Book

U. H. Wilken

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Beschreibung

U. H. Wilken war einer der ganz großen Autoren, die den Western prägten und entscheidend zum Erfolg dieses Genres beitrugen. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. U. H. Wilken ist zugleich einer der bestinformierten Autoren und kennt sich genau in der Historie des Wilden Westens aus. Was er schreibt, lässt sich hautnah belegen. Ein Meister seines Fachs, der mit Leidenschaft und Herzblut die großen Geschichten nachzeichnet, die sich in der Gründerzeit ereigneten. Sie warteten schon gegenüber dem Marshal's Office im tiefen Schatten der Häuser und hielten die Colts bereit. Quietschend schwang die Tür des Office auf, und flackernder Lichtschein fiel auf die Straße. Langsam trat ein Mann aus dem Office und verharrte an der Türschwelle. Schwarz hob er sich vor dem Licht ab, sah die Straße hinauf zum Saloon, wo die erleuchteten Fenster helle Rechtecke in die Schwärze der Nacht zeichneten, atmete tief ein und straffte sich. Hinter ihm im Office schlug die Standuhr die zwölfte Stunde. Er sah nicht die Männer zwischen den Häusern auf der anderen Seite, nicht ihre brutalen und zynisch grinsenden Gesichter, nicht den Hass in ihren Augen. Es war Zeit, durch die Stadt zu gehen wie jede Nacht zur selben Stunde. In dieser Nacht endete der Rundgang des Deputy Marshals vor dem Office, noch bevor er begonnen hatte. Aus dem Dunkel flammten die grellen Mündungsfeuer herüber, peitschten die Schüsse durch die Stille, tobte der Knall die Straße hinauf und stieß gegen die Häuser, ließ die Fensterscheiben klirren und zerflatterte über den Dächern. Torkelnd bewegte sich der Deputy über die Bretter des Gehsteigs, prallte gegen den Dachpfosten und stürzte zurück, lag auf dem Gesicht, und die Radsporen an seinen Stiefeln klingelten wie fernes Geläute. Hart trommelten die Hufe vieler Pferde über den Hinterhof, pochten dumpf davon und erstickten weit draußen auf der Ebene. Von den fernen hohen Bergen kam das Echo der Schüsse schwach zurück. Es war nicht mehr still in der Stadt; Türen klappten, Stimmen wurden laut, und Männer hasteten über die Straße. In einem kleinen Haus am Stadtrand richtete sich ein großer sehniger Mann auf seinem harten Lager auf und horchte hinaus. Mit heftiger Bewegung riss er die Decke zur Seite, schnellte hoch und packte den schweren Waffengurt, legte ihn um und fuhr in die Stiefel hinein, stampfte einige Male und warf sich die lange Lederjacke über. »Daddy«, tönte da eine verschlafene Stimme durch den dunklen Raum, »was ist denn draußen los? Waren das nicht Schüsse gewesen?« »Ja, mein Junge«, antwortete der Mann mit rauer Stimme.

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U.H. Wilken – 3 –

Todesspur durch Wyoming

U.H. Wilken

Sie warteten schon gegenüber dem Marshal’s Office im tiefen Schatten der Häuser und hielten die Colts bereit.

Und dann war es soweit …

Quietschend schwang die Tür des Office auf, und flackernder Lichtschein fiel auf die Straße. Langsam trat ein Mann aus dem Office und verharrte an der Türschwelle. Schwarz hob er sich vor dem Licht ab, sah die Straße hinauf zum Saloon, wo die erleuchteten Fenster helle Rechtecke in die Schwärze der Nacht zeichneten, atmete tief ein und straffte sich. Hinter ihm im Office schlug die Standuhr die zwölfte Stunde.

Er sah nicht die Männer zwischen den Häusern auf der anderen Seite, nicht ihre brutalen und zynisch grinsenden Gesichter, nicht den Hass in ihren Augen.

Es war Zeit, durch die Stadt zu gehen wie jede Nacht zur selben Stunde.

In dieser Nacht endete der Rundgang des Deputy Marshals vor dem Office, noch bevor er begonnen hatte.

Aus dem Dunkel flammten die grellen Mündungsfeuer herüber, peitschten die Schüsse durch die Stille, tobte der Knall die Straße hinauf und stieß gegen die Häuser, ließ die Fensterscheiben klirren und zerflatterte über den Dächern.

Torkelnd bewegte sich der Deputy über die Bretter des Gehsteigs, prallte gegen den Dachpfosten und stürzte zurück, lag auf dem Gesicht, und die Radsporen an seinen Stiefeln klingelten wie fernes Geläute.

Hart trommelten die Hufe vieler Pferde über den Hinterhof, pochten dumpf davon und erstickten weit draußen auf der Ebene. Von den fernen hohen Bergen kam das Echo der Schüsse schwach zurück.

Es war nicht mehr still in der Stadt; Türen klappten, Stimmen wurden laut, und Männer hasteten über die Straße.

In einem kleinen Haus am Stadtrand richtete sich ein großer sehniger Mann auf seinem harten Lager auf und horchte hinaus. Mit heftiger Bewegung riss er die Decke zur Seite, schnellte hoch und packte den schweren Waffengurt, legte ihn um und fuhr in die Stiefel hinein, stampfte einige Male und warf sich die lange Lederjacke über.

»Daddy«, tönte da eine verschlafene Stimme durch den dunklen Raum, »was ist denn draußen los? Waren das nicht Schüsse gewesen?«

»Ja, mein Junge«, antwortete der Mann mit rauer Stimme. »Bleib ruhig liegen, ich bin bald zurück.«

Schon rannte er aus dem Haus, über den Brettersteig und in die Stadtmitte. Marshal Jock Lonnigan war unterwegs, lief mit langen Beinen und schwappender Lederjacke am Saloon vorbei, wo die wenigen späten Gäste wie festgenagelt auf dem Gehsteig standen, hastete mit anderen Einwohnern zum Office und drängte sich durch die Menschen, die sich vor dem Office zusammengerottet hatten.

»Platz, Leute, Platz!« sagte er rau und stieß sie weg, polterte auf den Gehsteig hinauf und erstarrte einen Atemzug lang, sah erschrocken und düster auf den leblosen Deputy und beugte sich dann steif über ihn.

Das Schweigen des Entsetzens umgab ihn, und viele Blicke waren auf ihn gerichtet – auf sein hartes, kantiges Gesicht, auf das strähnige sandgraue Haar, auf die schlanken kräftigen Hände, die fast scheu den toten Deputy berührten.

»Mallory, mach keinen Mist«, flüsterte er heiser, »du kannst doch nicht …« Er verstummte, schluckte hart und erschüttert und blickte auf. Der Lichtschein fiel aus dem Office und in sein wettergegerbtes Gesicht; die grauen Augen schimmerten im Licht wie Eis. Langsam kamen die Worte über seine Lippen: »Mallory musste für mich sterben. Die Schweinehunde hatten es auf mich abgesehen und geglaubt, ich wäre es, nicht Mallory. Wir sind ja gleich groß: Hat jemand von euch die Halunken gesehen?«

Überall nur Kopfschütteln.

Ratlosigkeit war in den Gesichtern. In der Ferne schrillte der Pfiff der Lok über die nächtliche Ebene; der Zug näherte sich der Stadt.

Marshal Lonnigan schloss seinem Deputy die starren Augen, hockte neben ihm und schwieg.

Ein paar Leute gingen weg, verschwanden zur Bahnstation hin. Licht fiel aus den Häusern, und überall redeten Leute leise miteinander. Rasselnd kam der Zug heran, die Bremsen kreischten durchdringend, die Lok zischte und stampfte, Funken wirbelten über der Lok, Rauch wehte in die Stadt. Immer mehr Leute liefen zum Schienenstrang.

Lonnigan verzog bitter den Mund.

War Mallory schon so schnell vergessen? Hatten diese Leute vergessen, dass Mallory oftmals für sie sein Leben eingesetzt hatte? War er nicht wert, dass man bei ihm verharrte und seiner gedachte?

»Scheißkerle …«

Leise kam es über Lonnigans Lippen, während er den Blick senkte und auf Mallory sah.

Denk mal darüber nach, Lonnigan. Das Leben geht weiter, auch wenn Mallory tot ist. Hast du dir das nicht schon oft selber eingehämmert?

Er atmete schwer und spürte plötzlich den brennenden Blick im Gesicht. Langsam sah er zur Straße hinunter.

Dort stand sein Junge.

Billy war fünfzehn Jahre alt. Aus ihm würde mal ein kräftiger Mann werden. Sein schwarzes Haar glänzte fast bläulich, die braunen Augen blickten starr auf den toten Deputy Marshal. Er schluckte würgend und verkrampfte sich etwas.

»Was willst du denn hier?« knurrte Lonnigan. »Mach, dass du ins Bett kommst, Junge.«

Billy nickte kaum merklich.

»Ja, Dad.«

Dann ging er zurück.

Und während er an den Häusern vorbeiging und der Rauch der Lok über ihn hinwegwehte, dachte er.

Armer Mallory. Er war ein so feiner Kerl. Wir hatten uns so prächtig verstanden, er, Dad und ich. Jetzt ist er tot. Bestimmt haben die Halunken das getan, um sich zu rächen. Dad hatte doch einen von ihnen in den Bergen erwischt, hergebracht und nach dem Todesurteil aufhängen lassen. Jetzt sind sie hinter Dad her. Ich weiß nicht, was Dad machen wird. Vielleicht wird er gar nichts tun und abwarten. Mallory war sein Freund. Dad sieht so schrecklich aus, so sehr ernst, wie ich ihn noch niemals gesehen habe. Heute Nacht kann er bestimmt nicht mehr schlafen …

Das dachte Billy, und er dachte noch vieles mehr, als er ins Haus zurückging und dort auf seinen Vater wartete.

Marshal Lonnigan hob die Hände unter den Deputy, hob ihn auf und trug ihn ins Office, legte ihn aufs Lager neben den leeren Zellen und setzte sich auf die Kante des Lagers. Aber er saß nicht lange dort, verließ plötzlich das Office und rannte zum Haus, sattelte sein Pferd, holte es aus dem Stall und saß auf. Im Galopp ritt er durch die Stadt und auf die Ebene hinaus. Wenig später stieß er auf die Spur der Banditen, die sich im Gras deutlich abzeichnete. Er folgte ihr und näherte sich den dunklen Bergen, die wie große formlose Tiere unter dem Nachthimmel lagen. Der Wind der Berge kam ihm entgegen und bewegte das strähnige Haar, das unterm Stetson hervorfiel. Unterwegs zog er die Winchester hervor und vergewisserte sich, dass die Waffe schussbereit war.

Die Spur führte in eine Bergfalte hinein.

Lonnigan ritt ins Schattenfeld der Berge, vorbei an den Felsen und mannshohen Sträuchern. Er lauschte dem trockenen Wispern des Windes und dem Geschrei eines aufgeschreckten Vogels. Der Boden wurde immer härter, steiniger. Steile Pfade führten durch die Bergwildnis. Lonnigan überquerte so manchen Höhenzug und verhielt schließlich zwischen Felsklippen.

So weit der Blick reichte, war alles einsam und unberührt. Von der Bande war nichts zu erkennen; die Spur hatte sich aufgelöst.

Doch Lonnigan suchte weiter und ließ noch lange nicht nach. Das war er Mallory schuldig.

Sein Sohn Billy wartete in der Stadt, schlief nicht, ging oft vor die Tür und blickte suchend über die Straße. Nur noch wenige Leute hielten sich draußen auf. Vor der Stadt rollte der Zug an, schrillte der Pfiff der Lok und wallte schwarzer Rauch über den Gleisen. Der Himmel verfärbte sich bereits und wurde heller. Fahles Licht erschien hinter den Bergzügen im Osten. Der Tag brach an, und Lonnigan kam noch immer nicht.

Als Dad zurückkam, war es Nachmittag. Er sah müde aus, und sein Gesicht war grau wie Fels. Er stieg vor unserem Haus ab und drückte mir den Zügel in die Hand. Ich sah ihm an, dass er keine Ruhe finden konnte. Ja, irgendwie war er ein anderer Mensch geworden. Ich hätte ihm gern geholfen, aber wie nur …

»Reib das Pferd gut ab, mein Junge. Es wird noch viele Meilen laufen müssen.«

Lonnigan lächelte flüchtig und auch freudlos, legte die Hand auf die Schulter seines Jungen und ging dann mit flachen, müden Schritten die Straße hinauf. Er schien die Leute vor den Häusern gar nicht zu bemerken. Im Saloon lachten Männer, klirrten Gläser und rollte eine leere Whiskyflasche unter der Schwingtür hervor.

»He, du alte Schleuderbacke«, rief jemand, »gib uns noch einen aus!«

Lonnigan stapfte weiter, hielt die Schulter seltsam schräg und verschwand im Marshal’s Office. Kurz darauf kam er wieder hervor, überquerte die Straße und ging in die Sargmacherei. Auch dort blieb er nicht lange; sein Weg führte ihn zum Town Mayor, und als er wieder auf der Straße erschien, kam gerade der alte knarrende Wagen mit dem Sarg aus der Tischlerei gerollt und hielt vor dem Office. Zwei Männer stiegen ab, nahmen den Sarg und ging ins Office. Lonnigan war dabei, als sie Mallory in den Sarg legten.

»Laß den Deckel weg. Er soll noch mal die Sonne im Gesicht haben.«

»Ist gut, Marhsal.«

Sie brachten Mallory im Sarg hinaus und auf den Wagen. Viele Leute standen plötzlich vor dem Office. Die Männer stiegen auf den Wagen und fuhren los. Lonnigan ging hinterm Wagen her. Die Leute schlossen sich ihm an. Es wurden immer mehr, bis die ganze Stadt auf den Beinen war. Zwischen den kleinen flachen Hügeln auf dem alten Friedhof hielt der Wagen an. Hier war bereits eine Grube ausgehoben worden. Lonnigan nickte den beiden Männern zu. Sie holten den Sarg vom Wagen und senkten ihn in die Grube. Noch war der Sarg offen. Das bleiche Gesicht des Deputys sah sie alle an. Sonnenschein fiel schräg ins Grab und auf das Gesicht.

Lonnigan sah umher. In seiner Nähe stand der Town Mayor, und etwas abseits war Billy und hatte kleine Schweißperlen auf dem Gesicht.

Nun legte Lonnigan den Waffengurt des Deputys in den Sarg, den Stetson und eine alte dickbauchige Taschenuhr. Sein Gesicht war wie versteinert, als er am offenen Grab verharrte.

Unterdrücktes Räuspern tönte über den Friedhof, und Staub wehte über die Gräber und verwitterten Kreuze.

Dann nickte Lonnigan.

Die beiden Männer schlossen den Sarg und ergriffen die Schaufeln. Sie warfen Erde auf den Sarg und füllten das Grab. Als sie fertig waren, sahen sie zu Lonnigan hin.

»Ich hab’ schon mit dem Town Mayor gesprochen«, sagte Lonnigan mit spröder Stimme, nahm den Stern ab und hielt ihn in der offenen Hand. »In dieser Stadt wird das Office des US Marshals geschlossen. Die Stadt wird sich nun einen Sheriff wählen müssen, damit Recht und Ordnung aufrechterhalten werden können.«

Er wandte sich steif ab und nahm Billy am Arm. Beide gingen vom Friedhof und zum Haus zurück.

»Ich – ich hab’ uns schon was zu essen gemacht, Dad.«

»Fein, mein Junge.«

»Bohnensuppe mit viel Speck.«

»Das esse ich ja am liebsten, mein Junge.«

Sie gingen ins Haus und setzten sich. Billy aß und blickte über den Tisch. Lonnigan starrte auf den Teller und aß ganz wenig. Oft rührte er mit dem Löffel in der Suppe.

»Schmeckt sie dir nicht, Dad?«

»Doch, Billy. Das hast du ausgezeichnet gemacht.« Lonnigan straffte sich, verbannte die düsteren Gedanken und löffelte, aber dann wurde er wieder nachdenklich.

»Dad, iss doch.«

»Ja, mein Junge.« Lonnigan sah auf und lächelte ernst. »Wir werden lange reiten, Billy. Ich nehme dich mit. Du sollst nicht so lange allein sein. Es kann Monate dauern, bis ich die Banditen gefunden habe. Die Halunken nehmen an, dass sie mich erwischt hätten. Das wird sie hoffentlich leichtsinnig machen. Ich kriege sie schon noch – irgendwann und irgendwo. Pack viel Proviant zusammen, mein Junge, und füll die Wasserflaschen. Nimm auch Pferdefutter mit. Die Bande wird sich irgendwo in Wyoming verkriechen. Im Süden wird sie schon seit Langem gesucht. Hier in den Bergen gibt es tausend Schlupfwinkel, wo sich die Halunken verbergen können. Yeah, wir werden lange unterwegs sein, Billy.«

Ich packte alles zusammen, was man so braucht auf einem langen Ritt. Ich sattelte unsere Pferde, und als ich ins Haus zurückkam, hielt Dad das Bild von Mutter in der Hand. Er hat sie sehr geliebt, aber ich kann mich nur noch an ganz bestimmte Dinge erinnern. Dad schob das Bild unter das Hemd, sah im Haus umher und ging dann mit mir raus. Wir stiegen auf die Pferde und ritten los. Es war spätabends, die Sonne glühte über den Bergen, und die Dämmerung kam schon. Viele Leute waren auf der Straße. Ein paar hoben die Hand. Ich werde das alles nie vergessen. Damals wußte ich noch nicht, was uns erwartet. Mein Gott, wenn man die ganze Zeit zurückholen könnte, wenn Mallory nur nicht erschossen worden wäre!

Sie zogen hinaus und nach den dunklen Bergen, genau der untergehenden Sonne entgegen. Schwarz waren die Silhouetten auf dem Höhenzug, und der aufgewirbelte Staub war wie funkelnder Goldstaub. Am hohen Himmel glitzerten schon die ersten Sterne, und aus der Ferne tönte das Heulen umherstreifender Wölfe herüber.

Der Mann zog mit seinem Sohn unter den wandernden Sternen immer tiefer in die Bergwildnis hinein.

*

Irres Gelächter tönte durch die Sternennacht. Ein junger verwahrloster und schmutziger Mann kam zur alten windschiefen Hütte und stieß die Tür mit dem Fuß auf.

»Seht euch das an!« kicherte er. »Was zum Abendessen hab’ ich gefunden.«

Neun schwerbewaffnete und bärtige Männer hockten in der Hütte und sprangen jetzt auf, blieben steif stehen und starrten auf den Schlangenleib, der sich um den Arm des hereinkommenden Komplizen wand. Scharfes Zischen und hektisches Klappern waren zu hören. Die Klapperschlange fauchte und zeigte ihr Gift. Der Bandit lachte, als er die erstarrten Gesichter der Komplizen sah.

»Angst, wie? He, soll sie mal beißen?«

»Bist du verrückt, du Idiot?« keuchte der breitschultrige bärtige Mann zwischen den anderen und zog den Colt. »Verschwinde mit dem Vieh, oder ich schieß’ dir das Ding aus der Hand! Los, raus mit dir, du verfluchter Kerl!«

Der Bursche grinste.

»Seit wann hast du Angst, Delone? Als wir den verfluchten Marshal umlegten, da hattest du doch auch keine Angst. Dieses Tierchen kann doch nichts tun! Ich hab’s genau am Genick gepackt. Hat ganz schön in meinen Stiefel gebissen, aber ich hab’s schnell erwischt …«

»Verschwinde damit!« fauchte Delone wütend und verengte drohend die Augen. »Du wirfst das Viech sofort weg, Smiley, sonst …«

»Was, gleich hier?« grinste Smiley, lachte laut auf und verließ die Hütte, ging durch den Sand und blieb stehen, zog den linken Colt und drückte die Mündung in den Rachen der Schlange, drückte ab und zerfetzte mit Feuer und Blei den Kopf. Der Knall des Schusses hallte durchs weite Bergtal und stieß gegen die Berge. Heftig schlug der Schlangenleib. Der Mann hatte Mühe, den Leib vom Arm zu streifen. Hart trat er auf den Leib, zog das Messer und schnitt das Leibende ab, nahm es und kehrte zur Hütte zurück. Lachend kam er herein und bewegte das Leibende; schauriges Rasseln war zu hören. Die Komplizen fluchten und glaubten, dass er mit der Schlange zurückgekommen wäre. Sie verwünschten ihn, als sie merkten, dass sie auf seinen Scherz hereingefallen waren.

Delone schob sich heran, holte plötzlich aus und schlug ihm die offene Hand klatschend ins Gesicht.

Der Bursche stürzte zur Tür hinaus und prallte in den Sand. Er ruckte hoch und spie Sand aus.

Delone stand breitbeinig in der Tür.

»Mach nicht noch mal so was, Smiley!« drohte er. »Ich bin hier der Boss, verstanden?«

»Schon gut, Delone«, flüsterte Smiley und erhob sich. »War ja nur ein kleiner Scherz.«

»Noch so ein Scherz, und ich schieße dir die Nasenspitze weg – nur zum Scherz!« grollte Delone, machte kehrt und ging in die Hütte zurück.

Smiley zuckte die Achseln, entfernte sich von der Hütte und wachte weiter. Verlassen lagen die Berghänge unter dem bleichen Mondlicht. Dumpf tönten die Stimmen der Komplizen aus der Hütte.

In der halbdunklen Ecke hockte ein wohl zweiundzwanzig Jahre junger Mann und starrte vor sich hin. Das blonde Haar klebte schweißnass am Kopf und kräuselte sich im Nacken.

»Wir haben Dee gerächt«, sagte er mit klangloser Stimme und sah zur Tür hinaus. »Mein Alter glaubt bestimmt, dass Dee und ich irgendwo mit Treibherden unterwegs sind. Wenn er hört, dass Dee und ich zu dir gekommen sind, Delone, dann schlägt er mich zusammen, und wenn er hört, dass Dee tot ist, jagt er mich davon.«

»Du brauchst ja nicht hinzureiten«, erwiderte Delone grinsend. »Dein Alter hat eine Riesenranch. Der denkt bestimmt nicht an euch, weil er zu viel Arbeit am Hals hat. Ich weiß was Besseres, als zu arbeiten. Wir holen uns einfach das, was wir brauchen! Werde nur nicht melankomisch, Trace Cassidy. – He, Doc, wie nennt man das? War doch nicht richtig, wie?«

Zwischen den anderen lag ein dürrer Mann und hielt eine Whiskyflasche, nahm einen tiefen Schluck und quälte sich ein müdes Lächeln ab.

»Melancholisch, so heißt das«, sagte er lustlos. »Ihr seid so dumm, dass euch die Schweine beißen. Immer müsst ihr mich fragen, den Doc, der richtig studiert hat. Dazu bin ich gut – und wenn ich euch mal Kugeln rausfischen soll. Eine Scheißbande seid ihr, ja, das seid ihr, zum Henker!«

Die Banditen grinsten ungerührt.

»Ach, höre doch auf, Professor«, knurrte Delone. »Du bist freiwillig mit uns gekommen, damals im Süden. Fang nicht an zu spinnen, Doc. Du alter Säufer kannst in keiner Stadt mehr neu anfangen. Halt also das Maul und gieß dir die Rübe voll.«

»Scheißbande«, flüsterte der Doc, drehte sich um und trank weiter.

»Ich bin nicht melancholisch«, murmelte Tracy Cassidy düster. »Dee ist tot, der Marshal ist tot – und wir sitzen hier in den Bergen und öden uns an. Ich hab’ die Schnauze voll, sag’ ich euch. Wir müssen endlich was tun, irgendetwas, sonst hau’ ich ab und reite zu meinem Alten.«

In Delones dunklen Augen glühte es auf und erlosch schnell wieder. Er starrte zu Tracy Cassidy hinüber und lächelte zynisch.

»Du kannst nicht so einfach zurück, Cassidy. Auch auf der Ranch deines Alten würden sie dich finden. Von uns allen hängen Steckbriefe aus. Wir müssen zusammenhalten und weiterreiten. Was hast du gegen diese Berge, he? Hier sind wir sicher. Bald reiten wir in die nächste Stadt und holen uns Dollars und Whisky. Und dann suchen wir uns ein stilles Plätzchen.«

»Das kotzt mich an!« fauchte Cassidy wütend. »Das ist doch kein Leben, verflucht! Warum bin ich Narr nur mit euch geritten! Ich musste damals verrückt gewesen sein.«

»Nicht verrückt. Du hattest Krach mit deinem Alten, auch Dee. Du hattest es mit den Weibern in der Stadt zu toll getrieben, Kleiner, und dein Alter hat dich daraufhin davongejagt. Dann bist du noch einmal in die Stadt geritten, und hast einen Mann erschossen, und Dee hatte dir dabei geholfen. Das Aufgebot hatte euch tagelang gehetzt, und dann habt ihr beide uns gefunden. Du hast mich damals angefleht, euch mitzunehmen. Du wolltest wie wir sein und nicht mehr arbeiten.«

Trace Cassidy wollte heftig antworten, hielt den Atem an und winkte dann ab.

»Schon gut, du hast ja recht. Aber ich halte dieses Herumlungern nicht länger aus.«

»Wir reiten morgen.« Delone erhob sich und ging hinaus, sah umher und gähnte. Drüben stand Smiley mit dem Gewehr und grinste. Tiefes Schweigen war im Tal und zwischen den Bergen. Herbstlich verfärbte Bäume leuchteten von den Berghängen herüber. Tagsüber war es heiß, nachts kühl. Delone wanderte umher und brütete ein neues Verbrechen aus. Er war die böse treibende Kraft dieser Bande und hielt sie alle zusammen. Ihre Welt war böse und gemein, und für sie alle gab es keinen Weg mehr zurück in das ordentliche Dasein von Arbeit, Rechtschaffenheit und Geborgenheit.

Delone hatte Männer gefunden, die mit ihm ritten und zu allem bereit waren. Er und die Komplizen glaubten sich in den Bergen von Wyoming sicher, aber schon war Unruhe unter ihnen und trieb sie einem neuen Verbrechen entgegen.

»Alles ruhig, wie?«

Delone war stehen geblieben und sah Smiley an.

»Ja«, grinste Smiley, »und es bleibt auch still. Hier reitet niemand durch die Gegend.«

»Pass auf, Smiley, und wecke nachher Hackett; er wird dich ablösen.«

Smiley nickte und spähte wieder umher, und Delone ging zur Hütte zurück. Die Nacht blieb ruhig, niemand kam, die Wolken zogen über die Berge, und das Sternenlicht erhellte das weite Tal. Dann verblasste es langsam, und ein neuer Tag begann im Fernen Osten.

Nach einem kargen Mahl brachen Delone und seine Komplizen auf und ritten ohne Eile durch die Einsamkeit. Sie folgten den Bergfalten und überquerten so manchen Höhenzug. Unterwegs sprachen sie kaum ein Wort miteinander.

Es war Spätnachmittag, als sie auf den ausgefahrenen Weg der Postroute stießen und im Tal die Stadt erblickten. Lauernd spähte Delone ins Tal und beobachtete die Leute auf der Straße. Mitten in der Stadt erhob sich das rote Backsteingebäude der Bank.

*

Lautlos fiel die Nacht über die kleine Stadt. Niemand sah die Reiter, die vom Talrand herunterkamen und sich den Hinterhöfen näherten.

Lichtbahnen fielen aus den Häusern, aus Saloon, Bank und Mietstall. Stimmengemurmel ertönte im Saloon, und manchmal schwappte die Tür, kam ein angetrunkener Mann heraus und torkelte davon.