Totgespielt: Thriller - L.C. Frey - E-Book
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Totgespielt: Thriller E-Book

L.C. Frey

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Beschreibung

Der neue Psychothriller von Bild- und Amazon-Bestseller L.C. Frey Der erfolgreiche Thriller-Autor Andreas Herzog erwacht nach einem schweren Autounfall im Krankenhaus zu schrecklichen Neuigkeiten: Er soll seine Ex-Frau grausam verstümmelt und ermordet haben – vor den Augen ihres gemeinsamen Sohnes. Doch Herzog ist überzeugt von seiner Unschuld und stürzt sich in eine waghalsige Flucht mit der jungen Krankenschwester Lina. Während Herzog sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellt, verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion: Weitere brutal zugerichtete Leichen tauchen auf – ermordet nach dem Muster in Herzogs letztem Thriller … Dieser schonungslose Psychothriller ist L.C. Freys bisher gewagtester Roman – und vielleicht auch sein persönlichster? Sichern Sie sich jetzt Ihr Exemplar und finden Sie heraus, ob Sie wirklich bereit für die Wahrheit sind! Empfohlen für Leser ab 18 Jahren.

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TOTGESPIELT

THRILLER

L.C. FREY

BÜCHER DES AUTORS

als ALEX POHL

WIR ODER IHR (Forever Ida-Reihe Bd. 2)

UND RAUS BIST DU (Forever Ida-Reihe Bd. 1)

HEISSES PFLASTER (Seiler&Novic-Reihe Bd. 2)

EISIGE TAGE (Seiler&Novic-Reihe Bd. 1)

als L.C. Frey:

TODESZONE: Tatort Malmö

SO KALT DEIN HERZ

TOTGESPIELT

DIE SCHULD DER ENGEL : Sauers erster Fall

ICH BRECHE DICH: Sauers zweiter Fall

BEUTETRIEB (Sloburn 3)

KINDERSPIELE (Sloburn 2)

SEX, DRUGS & TOD (Sloburn 1)

DAS GEHEIMNIS VON BARTON HALL

DRAAKK

Schreib-Ratgeber:

STORY TURBO: Besser Schreiben mit System

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Autors

Alex-Pohl.de

Über dieses Buch:

Der erfolgreiche Thriller-Autor Andreas Herzog erwacht nach einem schweren Autounfall im Krankenhaus zu schrecklichen Neuigkeiten: Er soll seine Ex-Frau grausam verstümmelt und ermordet haben – vor den Augen ihres gemeinsamen Sohnes. Doch Herzog ist überzeugt von seiner Unschuld und stürzt sich in eine waghalsige Flucht mit der jungen Krankenschwester Lina. Während Herzog sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellt, verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion: Weitere brutal zugerichtete Leichen tauchen auf – ermordet nach dem Muster in Herzogs letztem Thriller …

Lektorat: Anke Höhl-Kayser

Covergestaltung, Layout und Satz: Ideekarree Leipzig, www.ideekarree.de, unter Verwendung von

©Jakub Krechowicz, Fotolia.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung von L.C. Frey. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Alle in diesem Roman beschriebenen Personen sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

L.C. Frey, C/o Ideekarree, Alexander Pohl, Breitenfelder Str. 66, 04157 Leipzig, E-Mail: [email protected]

Für Krissy,

und meine Leserinnen und Leser.

Danke, jedes Mal und immer wieder!

Bevor du dich ins Vergnügen stürzt …

Als kleines Dankeschön für den Download dieses Buches möchte ich dir gern einen weiteren Thriller mit Kommissar Sauer schenken. Du erhältst ihn direkt auf meiner Website. Klicke dazu einfach auf folgenden Link:

https://alex-pohl.de/gratis-buch

Immer noch unentschlossen?

Dann einfach weiterblättern … Nach der Danksagung am Ende dieses Buches habe ich dir noch eine Leseprobe meines Bestseller-Thrillers DIE SCHULD DER ENGEL angehängt, den du kostenlos auf meiner Website erhältst.

Doch nun viel Spaß mit und Vorhang auf für …

TOTGESPIELT

»Andreas Herzog ist der Meister der Spannung!«

— Münchner Rundblick

»Geschmacklos, dumm und übertrieben brutal. Herzog ist der absolute Nullpunkt der deutschen Gegenwartsliteratur.«

— Kölner Tageblatt

PROLOG

Tommy hatte die ganze Zeit an der Tür gewartet. Als es endlich klingelte, deutete er auf das kleine Bildschirmfenster oberhalb des Schlüsselbretts und rief: »Papa, Papa!«, während er aufgeregt in seinem Rollstuhl herumzappelte. Sabine warf einen Blick auf den kleinen Monitor der Gegensprechanlage und lächelte unwillkürlich. Ja, das war Herzog, unverkennbar. Niemand sonst trug einen derart aufsehenerregend hässlichen Ledermantel zu Nike-Turnschuhen. Zumindest niemand, der dieses Ensemble mit einer sechshundert Euro teuren Gucci-Jeans vervollkommnete.

Er hatte sich wohl auch in diesem Jahr Mühe gegeben, sich selbst zu übertreffen, was die Geschenke für Tommy betraf. Die prall gefüllte Sporttasche, die er stolz in die Kamera reckte, war so riesig, dass sie den Großteil seines Gesichts verbarg, und dahinter ragte eine lächerliche Weihnachtsmannmütze hervor, passend zu seinen knallroten Nikes. Während sie ihrem aufgeregten Sohn abwesend durch die Haare fuhr, drückte Sabine auf den kleinen Knopf, der mit

Öffnen

beschriftet war, und setzte ein unverbindliches Lächeln auf. Tommy gab sich weit weniger Mühe, seine Freude über den Besuch zu verbergen, und auch wenn er bestimmt über Herzogs Geschenke begeistert sein würde, so war es doch das Erscheinen seines Vaters, dem er hauptsächlich entgegenfieberte.

Wenn du das bloß mal kapieren würdest, Herzog, dachte Sabine und lauschte auf die beschwingten Schritte im Treppenhaus, die zu ihnen unterwegs waren.

Dass es nicht nur um dein Geld geht, auch wenn das natürlich hilft.

Doch dann beschloss sie, dass sie Herzog heute, am Weihnachtsabend, mit Predigten dieser Art verschonen würde. Und sich selbst.

Er wummerte dreimal kräftig gegen die Tür.

»Weihna’mann!«, flüsterte Tommy ehrfürchtig und presste dann seine Hände auf den Mund. Sah sie aus weit aufgerissenen, leicht schräg stehenden Augen an.

»Genau«, sagte Sabine, laut genug, dass man es auf der anderen Seite der Tür hören konnte. »Hoffen wir mal, dass wir beide artig waren, was?«

Tommy stimmte ihr eifrig nickend zu.

Lächelnd öffnete Sabine Neuhaus die Tür. Draußen stand Herzog, die Sporttasche hochgereckt, hinter der die blödsinnige Mütze hervorlugte. Machte sich wahrscheinlich einen Riesenspaß aus dieser Weihnachtsnummer.

»Hey«, sagte sie und öffnete die Arme. »Soll ich dir was abnehmen, lieber Weihnachtsmann?«

»Aber gern«, sagte Herzog und drückte ihr die Sporttasche in die Arme.

Als Sabine sein Gesicht sah, erstarrte sie.

EINS

24. DEZEMBER

Herzog, 23 Minuten vorher

Es war kaum mehr als eine akustische Randnotiz. Etwas, das sie noch hinten an die Nachrichten quetschten, und das vermutlich auch bloß, weil irgendwer im Sender irgendwem beim Verlag einen Gefallen schuldete.

Gestern Nacht um Punkt zwölf startete der Verkauf des neuen Herzog-Thrillers »Totgespielt«. Der Münchner Autor Andreas Herzog, der Mitte der 2000er Jahre beachtliche Verkaufserfolge mit seinen Romanen »Mädchenaugen« und »Das Schattengericht« erzielte, ist für seine detaillierten und bisweilen recht blutrünstigen Szenen bekannt. Er selbst gab mit einer Lesung den Startschuss für den Verkauf seines neuesten Romans, der identisch mit dem Start der fiktiven Handlung im Buch ist, gerade noch rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft. Was für eine verrückte Idee!

Kurz nach zehn spielten »Sturmwärts«, unsere allseits beliebten Coverrocker aus München, die im Buch einen kleinen Auftritt haben sollen.

Pünktlich um Mitternacht las Herzog das erste Kapitel direkt im Anschluss an den Auftritt von »Sturmwärts«. Die Kranhalle war mit etwa einhundert eingefleischten Herzog-Fans eher schwach gefüllt, trotz der geschickt getimten Marketingaktion blieben etliche Plätze frei.

Marion vom Wetter hat sich das Buch heute Morgen schon im Buchladen besorgt. Allerdings musste sie sich diesmal nicht durch Reihen kaufwütiger Fans kämpfen, wie das bei Herzogs ersten drei Büchern noch der Fall gewesen war. Sie meint, das Buch sei wie immer gut und knüpfe durchaus an die früheren Erfolge des Autors an. Es wartet allerdings neben den üblichen Psychospielchen und den üblichen Mengen an Blut mit wenig neuen Ideen auf.

Ich frage mich: Wird Herzog seinen Erfolg wiederholen und das Buch wochenlang in den Bestsellerlisten platzieren können wie seine früheren Knaller, oder hat er seine Leser bereits »Totgespielt«? Nun, wir werden sehen.

Okay, das warʼs mit den Lokalnachrichten. Hier ist für euch der Holger mit dem Neuesten vom Sport, und danach geht’s weiter mit den besten Hits und Infos aus München und Umgebung. Gefolgt vom Wetter mit unserer bezaubernden Marion …

Wütend drückte Herzog auf die Media-Taste am Autoradio und würgte den Sprecher ab. Eingefleischte Fans, dachte er, am Arsch!

Dann gab er Gas.

Arschlöcher,dachte Herzog, Arschlöcher allesamt.

Wie die subtil ihren Spott zum Ausdruck bringen, nachdem sie einem jahrelang für ein Interview in den Hintern gekrochen sind, das ist phänomenal. Ihr hättet Schriftsteller werden sollen, ihr Flachzangen! Seid richtig talentiert, bringt die Message zwischen den Zeilen rüber, ohne dabei allzu verkopft zu wirken, was immer das eigentlich bedeuten soll. Die Kritiker hätten ihre Freude dran. Aber im Gegensatz zu uns freischaffenden Risikoberuflern bezieht ihr ein sattes monatliches Gehalt mit eurer Schmutzschleuderei im Gute-Laune-Dudelradio. Eure zusammengestümperten Sendungen mit der immergleichen Unmusik zwischen den Werbeblöcken hören mehr Menschen, als sich ein Autor je als Leser wünschen kann. Das gibt euch die Macht zu entscheiden, wer gerade hot ist und wer nicht. Wer kommen darf und für wen es langsam Zeit wird, abzutreten.

Ach, fickt euch, dachte er und musste ein wenig kichern ob der Gossensprache, die sich mal wieder seiner Gedanken bemächtigte. Fickt euch, so schlecht lief es gestern nun auch wieder nicht.

Das stimmte. Die Kranhalle war nicht ausverkauft gewesen, wohl wahr, aber diese Schmach hatten schon ganz andere Größen einstecken müssen, bevor sie ein gigantisches Comeback hingelegt hatten. Schließlich pilgerte nicht jeder seiner Leser zu einer bescheuerten Lesung. Er selbst hätte es auch nicht getan, schon gar nicht zu einer Lesung von ihm, denn er hielt sich für einen furchtbaren Interpreten und einen noch schlechteren Vermarkter seiner eigenen Werke. Allerdings war das eine Meinung, die weder Urby noch der Verlag und vor allem nicht der Großteil seiner Leserschaft zu teilen schienen, und daher musste dieser Quatsch wohl hin und wieder sein. Promoaktionen eben. Nun, wenn es denn half, das Buch zu verkaufen. Das Buch, wie es Urby zu nennen begonnen hatte, und es dann — vermutlich mit Hilfe irgendeines streng geheimen Voodoozaubers — geschafft hatte, der Presse einzureden. Das Buch. Der neue Herzog. Die Rückkehr zu den Wurzeln. Endlich wieder lehrte der Meister des knallharten Thrillers die Konkurrenz das Fürchten. Bla bla bla. Was für ein Witz.

Aber dennoch war es alles andere als schlecht gelaufen. Herzog hatte sich, wie in alten Zeiten, zwei Drinks gegönnt und eine große Line, und dann hatte er die Sache meisterlich geschmissen. Vermutlich. Denn, wie immer, hatte er hinterher so gut wie keine Erinnerung an seine Lesung. Wie er sich auch kaum jemals an das eigentliche Schreiben seiner Bücher erinnern konnte. Totales Abtauchen in die Twilight Zone. Verschluckt von einem schwarzen Loch in der Realität oder so ähnlich. Aber die Signierstunde war gut gewesen. Schon mal grundsätzlich, weil sie das Ende dieser unsäglichen Lesung markiert hatte, inklusive Standing Ovations einiger der Anwesenden. Immerhin. Man war zufrieden. So zufrieden, wie die Leser es zuletzt bei »Vom Tod der Engel« gewesen waren und diese Veröffentlichung war immerhin schon über sechs Jahre her. Die beiden Versuche dazwischen hatte die Presse gehässig als ‚krampfhaften Versuch eines Bestsellerautors, sich zu einem richtigen Schriftsteller zu mausern‘ bezeichnet, und er gab ihnen recht, zumindest, was das Adjektiv ‚krampfhaft‘ betraf.

Was den Rest anging, so hatte Herzog eine wesentlich kürzere Beschreibung parat: Schrott — und diese Einschätzung schienen selbst die eingefleischtesten unter den Herzog-Fans zu teilen. Die Rezensionen auf ihren Blogs und bei den Onlinebuchhändlern klangen bemüht und eher so, als wolle man einen ehemaligen guten Freund nicht kränken, nachdem der seinen Zenit überschritten hatte.

Herzog war tatsächlich eine Weile gekränkt gewesen über die allzu harschen Urteile der Kritiker und Fans. Über Urbys verdrehte Augen und über die Weigerung des Verlags, »Das Windspiel schweigt« und »Sommerstille« ins Hauptprogramm aufzunehmen. Bloß, weil man ‚Roman’ draufschreiben musste, um der Wahrheit Genüge zu tun, anstatt wie sonst bei seinen Büchern üblich: »Thriller-Alarm! Nichts für Weicheier! Hardcore-Krimi!« und ähnlichen Mist. Wie auch, es starb ja gerade mal einer in »Sommerstille«. Ein Großvater, und der auch noch aufgrund von Altersschwäche. Wahrlich nicht unbedingt der Stoff, der einen die Nägel in die Sessellehne krallen ließ.

Und es gab noch ein, zwei klitzekleine Probleme, die betrafen den Porsche und das Haus, möglicherweise. Das Leben als Topautor war kostspielig, und man konnte es sich nur leisten, wenn man ein Topautor blieb.

Aber scheiß was drauf, auf das alles. Jetzt war er wieder da, nicht wahr? Mit »Totgespielt« war ihm ein weiterer Herzogscher Thriller-Killer gelungen. Zurück zu den Wurzeln, genau. Heißer und besser denn je. Roh und unverblümt. Herzog is back! Sogar Urby glaubte das. Der Einzige, der das ganze Ausmaß des Betrugs kannte, war Herzog selbst. Er und Sabine, natürlich.

Herrgott, er war in einem Alter, in dem andere Autoren gerade erst anfingen, einigermaßen wichtige (geschweige denn erfolgreiche) Bücher zu schreiben. Achtunddreißig, ein Altjugendlicher. Ein Mann in der Blüte seiner Jahre, der sich vehement weigerte, sich auch nur einen Tag älter als fünfundzwanzig zu fühlen. Er ging ins Fitnessstudio, hatte volles Haar, und dass es an den Schläfen grau wurde, tat der Attraktivität seiner Erscheinung durchaus keinen Abbruch — eine Tatsache, die sich auch gestern wieder bestätigt hatte. Während diese beschissene, drittklassige Coverband »Sturmwärts« ihren Mist runtergedudelt hatte, hatte er Bücher signiert. Genau wie früher, auch wenn die Schlange vielleicht ein klein wenig kürzer war. Wenn schon. Immerhin war da eine Schlange gewesen. Und diese blutjunge Blondine.

Das war nett gewesen, sehr nett sogar. Natürlich hatte die Blondine einen Namen gehabt, bloß welchen? Sie war Studentin, natürlich. Germanistik vielleicht, oder Philosophie? Irgendwas in der Art, von der Einrichtung ihrer Wohnung zu schließen – vom Sperrmüll aufgesammelte Antikmöbel, die Spiegel voller Antifa-Aufkleber und ein Monster von Bücherschrank, in dem sich buchstäblich querbeet alles finden ließ, von Nietzsche bis Dan Brown. Ein bisschen wie sein eigener Bücherschrank, damals. Als er eine ähnliche Wohnung bewohnt hatte, nur eine Winzigkeit kleiner und schmutziger. Na gut, eine ziemlich große Winzigkeit. Die Blondine war hübsch, verteufelt hübsch, auf eine Weise, auf die es nur Studentinnen Anfang zwanzig sein können. Eine Art durchtriebener Naivität: Ein Mädchen, das wusste, was es wollte, aber kaum dem Alter entwachsen schien, da sie es bekam, indem sie eine Schnute zog und ein wenig mit den Wimpern klimperte. Als sie ihm das Buch zum Unterschreiben rüberreichte, hatten sich ihre Finger berührt, und das war kein Zufall gewesen. Grün lackierte Fingernägel. Süß, irgendwie. Also hatte Herzog seinen Stift gezückt und ihr eine Widmung hineingeschrieben, und zwar eine ganz persönliche:

Wir sind dann später im Club Zacharias. Komm doch vorbei, ich will dich tanzen sehen, schönes Mädchen.

Nicht unbedingt die hohe Poesie, fürwahr. Aber es hatte seinen Zweck erfüllt. Er hatte sie tanzen sehen, und anschließend hatten sie noch ein bisschen weiter getanzt, in ihrer zugemüllten Studentenbude im Westend. Ihr junger, geschmeidiger Körper hatte mit jedem Quadratzentimeter das gehalten, was ihr engelhaftes Gesicht versprochen hatte. Der Sex war gut gewesen, heftig und leidenschaftlich, auch wenn sie beide da schon ziemlich im Eimer gewesen waren von der Nacht im Zacharias. Das Vögeln hatte für einen Moment Herzogs Gedanken an weniger erfreuliche Dinge vertrieben. Wie zum Beispiel diesen erbärmlichen, fetten Kerl, der hinter dem Mädchen — blond, studentisch, namenlos — in der Schlange gestanden hatte. Hatte ihm sein Exemplar hingestreckt wie eine Waffe und dabei ein Gesicht aufgesetzt, als überreiche er einen Beschwerdebrief. Auf Herzogs aufgesetztes Lächeln und die Frage: »Für wen darf ich es signieren?«, hatte der Kerl irgendetwas Unverständliches in seinen Bart gemurmelt und dabei hektisch auf das Buch gedeutet. Mit Fingern, die nur so von Schmutz starrten. Ekelhaft. Und fett war der Kerl gewesen! Herzog hatte die übliche Belanglosigkeit in das Buch gekritzelt.

Vielen Dank und viel Spaß beim Lesen!

Als der Kerl davongewatschelt war, in seinen braunen, abgewetzten Cordhosen, hatte Herzog bemerkt, dass er die gleichen roten Nike-Sneakers trug, die Herzogs Markenzeichen waren. Erbärmlich. So sahen also die Die-Hard-Herzog-Fans heutzutage aus. Schmutzig, ungepflegt und fett und in etwa so sozial kompetent wie ein Hackklotz.

Vermutlich Hartz-IV-Empfänger und ausgezeichneter Kenner einer erlesenen Sammlung von Billigspirituosen.

Seht her, Leute, das ist der typische Herzog-Leser! Laden wir ihn doch in eine Talkshow ein, damit er uns erzählen kann, was ihn mit der hochgeistigen Literatur des Meisters verbindet.

Immerhin schien er das Buch gekauft und nicht aus irgendeiner Mülltonne gezogen zu haben. Den Verlag würde es freuen, und Urby vermutlich auch. Klar, bei denen tauchten solche Typen ja nicht auf und wollten die dreckige Klaue geschüttelt haben. Herzog signierte weiter, wie eine Maschine, was auch ganz gut der Art und Weise seines Profi-Lächelns entsprach. Als er aufschaute, verschwand die Blonde gerade mit einer Freundin am Ausgang, drehte sich noch einmal zu ihm um und schenkte ihm ein Lächeln. Dieses Lächeln sagte ‚Zacharias‘, und dass sie tanzen würde. Und was immer sonst er wollte, das sie tat. Bei Gott, hatte die Kleine einen süßen Po gehabt.

Herzogs Gedanken wurden jäh durch das Klingeln des Telefons unterbrochen, das mit dem Radio gekoppelt war. Es war ein Rrrinng!, wie es typisch für analoge Telefone war, bevor diese begonnen hatten, einen mit unsäglichen Pieptonvarianten von Beethovens Neunter und ähnlichem Unfug zu nerven. Auf dem Flachbildschirm des Gerätes erschien der Name des Anrufers.

Sabine :-(

Den traurigen Smiley hatte Herzog hinzugefügt, als es richtig schlimm gewesen war zwischen ihnen, und dann irgendwie vergessen, ihn wieder zu löschen. Seufzend warf er einen Blick auf seine Rolex. Fünf Minuten nach fünf, und er war noch nicht mal an der Reichenbachbrücke. Er rief: »Annehmen«, das Klingeln verstummte, es knackte und dann war er mit seiner Exfrau verbunden. Eine Tatsache, die für sich genommen nicht einer gewissen Ironie entbehrte, wie Herzog fand.

»Tut mir leid, Bine«, begann er das Gespräch denkbar ungünstig mit einem Schuldeingeständnis. »Ich bin gleich da. Du machst dir keine Vorstellung, was hier los ist. Weiße Weihnacht und das alles, kann kaum die Hand vor Augen sehen.« Was sogar stimmte. Aber natürlich war er auch zu spät losgefahren, wie immer. Was sie natürlich wusste.

»Hallo Andy.« Ihre Stimme klang matt aus den Boxen. Herzog hasste es, beim Vornamen genant zu werden, und Andy ging schon mal gar nicht. Was Sabine fünf Jahre lang mit erstaunlicher Vehemenz ignoriert hatte, erst recht, seit ihre Scheidung durch war. »Ich wollte nur …« O Mann, dachte Herzog und bremste. Sein Vordermann, der Fahrer eines uralten Audi 80, hatte urplötzlich beschlossen, in die Eisen zu steigen, weil die Ampel vor ihm auf Gelb schaltete. »Scheiße!«, rief Herzog, aber der Porsche hatte die Straße gut im Griff, sogar bei zentimeterhohem Schnee. Was man vom Großteil der Münchener Autofahrer nicht behaupten konnte. »Die fahren wie die Idioten hier! Als ob es jedes Jahr zum ersten Mal schneit! Mann!«

»Oh, sorry, ich wollte dich nicht ablenken, Andy.«

»Kein Problem, Bine. Ich hab’ ein Headset. Ich kann fahren. Auch wenn ich da scheinbar der Einzige hier bin. Was wolltest du denn?«

»Ich wollte nur wissen, ob du noch kommst. Tommy … er fragt die ganze Zeit nach dir.«

Tommy.

»Na klar komme ich, keine Frage! Und dann machen wir einen drauf, Tommy und ich, sag ihm das, ja?«

Sie kicherte ein bisschen. Es klang schwach und auch nicht ganz echt. Aber es rief die Erinnerung an das hervor, was er an Sabine einst geliebt hatte. Als sie in etwa in dem Alter gewesen war wie das blonde Mädchen gestern. Herzog schob den Gedanken mit einer unwirschen Kopfbewegung beiseite. »Ich werde allerdings nicht lange bleiben können, Bine.«

»Oh.«

»Ja, tut mir leid. Ich muss dann noch dringend in den Verlag.«

»An Heiligabend?«

»Ja, es geht um das neue Buch, sie haben ein paar Fragen wegen der zweiten Auflage.«

»Zweite Auflage? So gut läuft es? Wow!«

»Klar, Scha … Bine. Du kennst mich doch«, plapperte er fröhlich. Shit. Das war knapp gewesen. »Immer auf der Sonnenseite.« Halt die Klappe, Herzog, halt doch endlich deine verdammte Klappe!

»Na das freut mich für dich. Also wenn es Umstände macht, können wir auch …«

»Bist du verrückt? Ich komme vorbei. Ich hab’s Tommy schließlich versprochen.«

»Okay, schön. Bis dann. Fahr vorsichtig!« Klick, und damit war sie aus der Leitung.

Großartig, dachte Herzog. Du riesengroßer Vollidiot.

Er warf einen Blick auf die schwarze Sporttasche auf dem Beifahrersitz. Natürlich war es eine Lüge gewesen, dass er noch einmal zum Verlag musste. So, wie die Dinge lagen, war das vermutlich auch Sabine klar. Vom Verlagsgeschäft hatte sie nie auch nur das Mindeste verstanden, sah man von Herzogs augenrollenden Beschwerden über die Lahmarschigkeit der dort beschäftigten Dinosaurier ab, auch wenn diese Beschwerden mit zunehmendem finanziellen Erfolg Herzogs immer leiser geworden waren. Die Dinosaurier hatten ihn letztlich gut genährt, sehr gut sogar. Wenn er vielleicht auch nur die Krümel fraß, die aus ihren reißzahngespickten, träge mahlenden Mäulern fielen, so hatten diese Krümel ihm doch eine hübsche Villa und einen fast neuen Porsche 911 beschert. Carrera S, versteht sich. 560 PS, mit denen man auch ganz hervorragend im Stau stecken konnte.

Für Sabine hatte es eine schöne Scheidung gegeben, dachte Herzog bitter. Auch sie lebte schließlich vom Verkauf seiner Bücher, und das nicht schlecht. Herzog war niemals kleinlich gewesen, was die Unterhaltszahlungen betraf, und zum Geburtstag und Weihnachten hatte er für Tommy einen Dauerauftrag eingerichtet, von immerhin eintausend Euro. Jeweils. Kein Grund, sich wegen irgendetwas Vorwürfe zu machen.

Wieso war dann seine gute Laune, die Vorfreuden der Sporttasche betreffend, plötzlich wie weggeblasen? Wieso wäre er dann am liebsten gleich wieder umgedreht und hätte sich in seinem Haus verkrochen, das Telefon abgestellt, in einer kochend heißen Wanne voll Schaumbad und mit einer vollen Flasche Dalwhinnie auf dem Wannenrand?

I’m dreaming of a white christmas, plärrte Bing Crosby aus dem Radio.

Keine Ahnung, dachte Herzog, muss wohl an Weihachten liegen. An der beschissenen weißen Weihnacht.

Auch wenn die Scheibenwischer des Porsche auf Hochtouren arbeiteten, war durch die Scheibe wenig mehr zu erkennen als verschwommenes weißgraues Schneetreiben, erhellt von den kräftigen Xenonscheinwerfern, die scharfe Lichtkegel in das Flockengestöber schnitten und versuchten, für so etwas Ähnliches wie klare Sicht zu sorgen.

Die Straße war nun frei von anderen Fahrzeugen. Feiglinge, die bereits zu Hause vor dem Weihnachtsbaum hockten und ihre langweiligen Kleinbürgergeschenke auspackten. Sollten sie doch. Herzogs Hand tastete nach der schwarzen Sporttasche und streichelte sanft die raue Oberfläche. Sein Geschenk, an ihn selbst. Ein kleines bisschen Ruhe.

Herzog trat aufs Gaspedal und der Porsche beschleunigte mit einem kräftigen Röhren.

Aus: Andreas Herzog, »Vom Tod der Engel: Thriller«

2. Auflage: 450.000 Exemplare

Der Junge ging näher, folgte dem Duft. Öffnete die Tür, obwohl Mama gesagt hatte, er dürfe sie nicht beim Backen stören. Sie hatte sich verändert, seit Papa nicht mehr da war. Aber das war eine Lüge. Papa war nicht einfach nur weg oder für eine Weile verreist oder so. Das hatte er früher auch schon gemacht, sogar häufiger in letzter Zeit, aber da war er jedes Mal zurückgekommen. Diesmal nicht. Wenn Mama auch anfangs traurig über seine tagelangen Ausflüge gewesen war, seit einem Jahr oder so schien es, als hätte sie sich damit irgendwie abgefunden. Achselzuckend. Aber sie hatte ihn belogen. Papa war tot. Das war dem Jungen klar, als er gesehen hatte, dass Mama wieder weinte. Tagelang. Als die Tränen schließlich verebbt waren, war etwas anderes gekommen. Etwas Dunkleres, das Mama gepackt und seitdem nie wieder losgelassen hatte, das in sie eingedrungen war und von ihr Besitz ergriffen hatte wie der Dämon in einem der Gruselfilme, die er heimlich schaute. Auch das hatte ihm Mama natürlich verboten. Vermutlich glaubte sie, er würde sich fürchten und ins Bett machen oder so was. Aber das war selbstverständlich Unfug. Der Junge fürchtete sich kein bisschen vor den Gruselfilmen. Auch nicht vor denen mit Freddy Krueger, dem Mann mit der Krallenhand und dem verbrannten Gesicht. Den mochte er besonders gern, denn er war witzig. Hatte immer diese flapsigen Sprüche drauf, während er die Teenager aufschlitzte.

Aber jetzt, als er die Treppe hinunter in die Küche ging — dorthin, woher der Duft kam, dorthin, wohin zu gehen ihm verboten war — da stellten sich ihm die kleinen Haare im Nacken und an den Unterarmen auf, und etwas in seinem Unterleib zog sich zu einem kleinen, festen Ball zusammen. Vorsichtig schlüpfte er aus seinen Plüschpantoffeln, damit die dicke Gummisohle keinen Lärm auf den Fliesen unten machte.

Dann ging er weiter.

Es war Plätzchenduft, seine Mutter backte. Wie in jedem Jahr um die Weihnachtszeit. So, als sei überhaupt nichts passiert mit Papa. Sogar in dem Jahr, als Papa während der gesamten Feiertage fortgegangen (aber nicht gestorben) war, hatte Mama für sie beide Plätzchen gebacken. Nie durfte er dabei zuschauen oder vom Teig naschen. Aber das machte nichts, die fertigen Plätzchen entschädigten ihn dafür mehr als ausreichend.

Inzwischen hatte er den Fuß der Treppe erreicht und spähte um den Pfeiler des Treppengeländers hinüber zur Küche. Die Tür, stellte er fest, war nur angelehnt. Jetzt bemerkte er auch, was mit dem Duft nicht stimmte. Er war zu herb, zu intensiv. Etwas anderes war darin, etwas Scharfes, Bitteres. Der Junge presste den Ärmel seines Pyjamas vor Mund und Nase und ging weiter.

Auf den Duft, auf die angelehnte Küchentür zu.

Auf Mama zu.

Als er die Tür erreicht hatte, war aus dem Duft ein schwerer, intensiver Gestank geworden. Er öffnete die Tür und ihm quoll schwerer, beißender Rauch entgegen. Schwarzer Rauch, der aus den Spalten des Gasherds drang.

Die Plätzchen!

Noch während der Junge diesen Gedanken hatte, wieder und wieder in einer absurden Schleife, wie eine Schallplatte mit einem Sprung,

Die Plätzchen …

starrte er auf den Körper, der in der Mitte der Küche von der Decke hing.

… Sie sind alle …

Dort, wo sonst die Küchenlampe war. Den kleinen Bastkorb, der als Lampenschirm diente, hatte Mama abgenommen und säuberlich auf das karierte Tischtuch des Küchentischs gelegt. Des Tisches, an dem sie damals, in guten Zeiten, gemeinsam gegessen, miteinander gesprochen und gelacht hatten. Vor langer Zeit. All diese Gedanken schossen durch den Kopf des Jungen wie flinke, kleine Fische in einem trüben Teich. Silbrige Körper, die auftauchten und blitzschnell wieder verschwanden, ohne erkennbaren Zusammenhang.

… Die Plätzchen sind alle verbrannt.

Das Bein seiner Mutter zuckte noch einmal, und ihr Pantoffel flog von ihrem Fuß, als schüttele sie ihn unwillig ab.

Fort mit dir, denn ich brauche dich nicht mehr!

Nie wieder!

Dann war sie still. Schwankte nur noch leicht hin und her, baumelte an dem Seil, das sie sich aus dem Kabel der Lampe gemacht und um den Hals gelegt hatte, bevor sie vom Esstisch gesprungen war.

Er starrte auf den Körper seiner Mutter, bemerkte, dass etwas an der Innenseite ihrer Schenkel entlanglief und zu Boden tropfte. Er unterdrückte ein schrilles Lachen, indem er sich den Pyjamaärmel fester auf den Mund drückte, und so kam nur ein gedämpftes Glucksen hervor.

Mama fürchtete sich ebenfalls, hatte sich offenbar ganz gewaltig gefürchtet, der Sauerei auf dem Küchenboden nach zu urteilen. Seine Augen tränten von dem beißenden Qualm, der die Küche erfüllte und ihm den Atem nahm, aber das störte ihn nicht. Er starrte bloß auf die Leiche, die echte Leiche seiner Mutter, die da vor ihm hing. Er empfand keine Trauer, keine Furcht und kein Entsetzen.

Was er spürte, war Faszination.

Das hier war besser als die Freddy-Filme.

Weil es echt war.

Etwas tief in ihm war gerufen worden, und nun hob es seinen Kopf an die Oberfläche seines Bewusstseins wie ein Urtier, das vom Grund eines stillen Sees auftauchte. Der Junge sah an sich hinab und bemerkte, dass eine seiner Hände in seinen Pyjamahosen steckte und dort reibende Bewegungen vollführte. Er schaute nur einen Augenblick hin, dann zuckte sein Blick zurück zu dem baumelnden Körper. Während seine Bewegungen heftiger wurden, und seine Lunge gegen die erstickenden Gase ankämpfte, hatte er nur Augen für das eine Objekt seiner Begierde.

Für seine erste Konfrontation mit dem ultimativen Gefühl.

Später würde er noch sehr oft an diese erste Begegnung mit dem Tod zurückdenken. Ihm würde klarwerden, dass er damals, in diesem Moment, den Tod bei der Arbeit beobachtet hatte. Live und in Farbe. Und der Tod hatte ihn, im Gegensatz zu seiner Mutter beim Plätzchenbacken, zuschauen lassen.

Ihm würde klar werden, dass dies ein gewaltiges Privileg war, nur wenigen vorbehalten.

Er würde beginnen, die Arbeit des Todes zu tun — auf der Suche nach jenem ultimativen Gefühl, das sein Denken im Laufe der Jahre auszufüllen begann wie ein Luftballon, den jemand in seinem Kopf aufblies. Größer und immer größer, bis es nur noch den Ballon in seinem Kopf gab. Das ultimative Gefühl. Das ihn schweben ließ. Aber so oft er sich auch bemühte, nie wieder würde das Gefühl so intensiv sein wie an jenem ersten Tag in der Küche.

ZWEI

27. DEZEMBER

Walkowiak fror. Ganz erbärmlich, und das alles wegen eines Arschlochs, um die Dinge beim Namen zu nennen. Also beschloss der Kommissar, nicht länger tatenlos mitten im Schneegestöber herumzustehen und den Jungs von der Kriminaltechnik dabei zuzusehen, wie sie inmitten des anhaltenden Schneegestöbers versuchten, Fotos von dem eingeschneiten Wrack des Porsche 911 Carrera S zu schießen, das allmählich unter einer Schneewehe versank.

Um den Wagen war es wirklich schade, fand Walkowiak.

Um den Kerl, der darin gewesen war, wäre es nicht halb so schade gewesen. Wenn er sich denn in dem Wagen befunden und Walkowiak und dem Dutzend Polizisten, welche die Mordkommission ‚Neuhaus’ inzwischen umfasste, eine Menge Arbeit erspart hätte. Zwischen Weihnachten und Neujahr, ausgerechnet. Sie hatten Walkowiak am ersten Feiertag vom Gänsebraten weggeholt, eine der wenigen wirklichen Traditionen, welche die Familie Walkowiak heute noch pflegte. Eine heilige Tradition. Mit Füßen getreten, wegen eines durchgedrehten Schriftstellers, der anschließend noch nicht einmal den Anstand besessen hatte, seinen Selbstmord richtig hinzubekommen. Ein Arschloch eben.

Walkowiak stapfte durch den Schnee zurück zum Einsatzwagen und klopfte, worauf die Schiebetür rasselnd zur Seite geschoben und hinter ihm gleich wieder zugeworfen wurde. An dem Porsche hatte sicher nichts gerasselt, so lange er noch aus einem Stück bestanden hatte, anstatt aus einer nutzlosen Masse verbogenen Blechs und gesplittertem Sicherheitsglas. Ein Jammer war das.

»Kaffee?«, fragte einer der Beamten und streckte ihm einen Pappbecher mit einer schlammfarbenen Flüssigkeit hin, die Walkowiak mit einem angewiderten Gesichtsausdruck hinunterkippte. Ekelhaft, wie zu erwarten. Aber immerhin heiß.

»Also?«, fragte er in die Runde.

Hinrichs, der Leiter der KT, antwortete ihm. »Muss wohl von der Straße abgekommen sein. Ist auch nicht schwer, man kann ja kaum was erkennen bei dem Mistwetter. Dann ist der Wagen die Böschung hinab ausgerollt und — bumm! — Endstation deutsche Eiche.«

»Gut gezielt, wie?« Walkowiak grinste in die Runde.

»Kann man sagen, ja.«

»Also habe ich recht mit dem Selbstmord?«

»Hm. Schwer zu sagen. Es könnte auch ein Unfall gewesen sein. Er war nicht mal besonders schnell.«

»Wie schnell denn?«

»Um das sagen zu können, müssen wir uns den Wagen im Labor anschauen. Aber nach einer ersten flüchtigen Betrachtung dessen, was die Jungs da gerade aus dem Schnee graben, würde ich sagen dreißig bis fünfzig km/h. So in der Richtung.«

»Witterungsangepasste Geschwindigkeit also?«

»Das liegt wiederum im Auge des Betrachters. Angepasst wäre es, bei dieser Witterung zu Hause zu bleiben.«

»Wem sagen Sie das?« Walkowiak gedachte der knusprigen Gans, die er am ersten Tag dieses Debakels verpasst hatte. Er hatte sich am nächsten Tag ein Stück aus dem Kühlschrank stibitzt, bevor er zur Arbeit gehastet war, aber es war irgendwie nicht das Gleiche gewesen wie ein Festtagsbraten in Familie.

»Na gut. Wissen wir inzwischen, wo der Kerl ist?«, wandte sich Walkowiak diesmal an den jungen Bebrillten, der in einer Ecke saß und auf die Tastatur des Laptops auf seinen Knien einhackte.

»Hä?«, fragte der Bebrillte. Offenbar hatte Walkowiak ihn aus einem komplexen Geflecht von Ermittlergedanken gerissen. Oder aus der Betrachtung von Pornobildchen. Walkowiak machte sich da wenig Illusionen.

»Herzog, Andreas. Unser entsprungener ‚Künstler’, der das Schmuckstück da draußen geschrottet hat.« Walkowiaks Art, das Wort Künstler zu betonen, ließ keinen Zweifel daran, was er von dieser Art des Broterwerbs hielt.

»Er ist ein Künstler? Maler oder so was?«

»Schriftsteller. Schundromane. Hab’ mal einen gelesen. Mord und Totschlag, hauptsächlich. So wie bei …«

»Oh«, machte der junge Polizist.

»Genau. Und? Haben Sie schon eine heiße Spur?«

»Ich, äh …«

Wer zur Hölle ist dieser Vollidiot?, dachte Walkowiak, und was macht er in meiner Mordkommission? Schicken sie uns jetzt schon die Schülerpraktikanten zum Einsatz?

Von draußen wurde erneut an die Blechtür des Kleinbusses geklopft. Walkowiak selbst riss die Tür auf und das von der Kälte gerötete Gesicht eines Polizisten erschien. Die Kapuze auf seinem Kopf war schneebedeckt. Seine behandschuhte Rechte verschwand darunter, weil er ein Mobiltelefon an sein Ohr drückte.

»Ja«, sagte er, offenbar in das Telefon, »Ich weiß, wo das ist.«

Walkowiak schaute den Polizisten erwartungsvoll an, während große Schneeflocken und eine anständige Portion Kälte in das Innere des Busses geweht wurden. Er trug einen Bart, der voller Eiszapfen war. Wie ein Promotionsfoto von Reinhold Messner, dachte Walkowiak. Oder auch vom Yeti.

»Und?«, fragte er ungeduldig.

»Sie haben Herzog gefunden«, antwortete der Polizist.

Herzog kam nur langsam zu sich. Die Realität war ein fernes Ereignis am Ende eines langen Tunnels aus weißen Wattebäuschen, durch die sich Herzogs Bewusstsein nur träge hindurchkämpfte. Immer wieder verschwamm die Sicht vor seinen Augen, das Weiß wurde grau, farblos … schwarz. Dann rüttelte ihn jemand an der Schulter und das diffuse Licht kehrte zurück. Allmählich lichtete sich auch der Tunnel aus Watte und Nebel. Weißem Nebel. Schneegestöber. Schneegestöber, das in fetten, weißen Flocken die Frontscheibe seines Porsche verklebte, während er den Wagen durch die Nacht steuerte. Und dann …

Und dann? Schneegestöber über seiner Erinnerung. Da war nichts mehr außer … Erneut drohte er das Bewusstsein zu verlieren, wieder wurde er wachgerüttelt. Von kräftigen, erfahrenen Händen.

»Hallo?«, fragte eine sonore Männerstimme, irgendwo seitlich seiner Wahrnehmung, »Hallo, können Sie mich hören? Kommen Sie, wachen Sie auf. Geben Sie sich ein bisschen Mühe.«

»Ischhh …«, krächzte Herzog. Seine Kehle fühlte sich rau und trocken an, so als hätte er sich ein paar Tage lang ausschließlich von Sandpapier und Sägespänen ernährt. »Issschhhh…«, hauchte er noch einmal.

»Wunderbar!«, freute sich die Stimme. »Das ist doch schon mal ein Anfang. Jetzt schlagen wir mal ein wenig die Augen auf, ja?« Ein Arzt. Niemand sonst würde dieses bescheuerte ‚Wir’ verwenden. Denn dass dieser Typ, der ihn gelegentlich rüttelte, seine bereits offen hatte, stand ja wohl außer Frage.

»Aaarsccchthsch?«

»Ja, ich bin ein Arzt. Mein Name ist Dr. Schaller. Sie haben verdammt großes Glück gehabt.«

Langsam hob Herzog die Augenlider. Auch wenn es ihn erhebliche Anstrengung kostete, setzte er sich letztlich durch und öffnete die Augen einen Spaltbreit.

»Guten Tag, guten Tag!«, frohlockte der Arzt.

»Guuuhn …«

»Sehr schön. Sie sind also wieder bei uns. Wunderbar.« Aus dem Nichts schoss ein gleißend heller Lichtstrahl in Herzogs ungeschützte Augen, als der Arzt mit einer kleinen Lampe hineinleuchtete.

»Au!«, zischte Herzog.

»Pupillenreaktion normal«, konstatierte der Arzt. »Willkommen zurück im Leben!«

»O Mann.« Blinzelnd schaute Herzog nach oben, direkt in das vollbärtige Gesicht eines Endfünfzigers mit einer auffällig rot umrandeten Brille, die in seiner Holzfällervisage ungefähr so passend wirkte wie eine Schlagbohrmaschine in der Hand einer Ballerina.

»Fühlen wir uns noch ein wenig benommen, ja? Das geht vorbei. Wie geht es Ihnen sonst so? Schmerzen?«

»Nein, nein, ich … denke nicht. Da ist … Nebel.«

»Einschränkungen der Klarsicht. Okay. Das ist normal. Versuchen Sie doch bitte mal, Ihr Bein anzuheben.« Herzog tat es, auch wenn er viel lieber zurück in den wohltuenden Schlaf gedriftet wäre. »Wunderbar. Jetzt das andere. Gut! Okay, jetzt heben Sie Ihre Hände bitte so, dass Sie selbst sie sehen können! Ausgezeichnet. Halten Sie mal drei Finger hoch. Wunderbar. Vier plus fünf ist?«

»Äh … nn … neun.«

»Wundervoll. Alles bestens, würde ich sagen. Verraten Sie mir eben noch, wie Sie auf den, äh … Sperlingsweg geraten sind?«

»Schperlingwhe…?« Sperlingsweg?

»Ganz recht«, fuhr die sonore Stimme des Arztes fort. »Dort hat man Sie aufgelesen. Nachdem Sie auf der Straße zusammengebrochen sind. Ziemlich leicht bekleidet für die herrschenden Temperaturen, möchte ich hinzufügen.«

»Ich … ich weiß nicht. Hab’ noch nie … von einem … Sper … Sperlingsweg gehört.«

»Oh. Aber Sie erinnern sich schon an Ihren kleinen Ausflug, ja?«

»Ich, nein … oder doch. Da war etwas, ein … irgendetwas Schlimmes … ich …«

Ein Auto, an einem Baum. Sein Porsche. Ein Unfall, und er selbst. Er steht auf, sieht sich um. Es ist furchtbar kalt, aber er hat nur seinen Anzug an, friert bis auf die Knochen. Durch das dichte Schneegestöber sieht er Lichter am Horizont. Die Lichter einer Stadt. München. Oder nein, das sind die Lichter eines kleinen Dorfes, es sind viel zu wenige für München.

Dann war die Erinnerung plötzlich wieder da.

»Autounfall«, sagte Herzog. »Ich hatte einen Unfall. Da waren Lichter, auf die bin ich zugelaufen, weil mir kalt war und ich nicht wusste, wohin. Dann … Häuser, ein Dorf oder so was.« Er musste den Unfall auf dem Weg zu Sabine gebaut haben. Ja, genau, dahin war er unterwegs gewesen. Sabine, und dann die schwarze Sporttasche. Prall gefüllt mit allem, was man für ein paar Tage in einer einsamen Berghütte benötigte. Warme Klamotten, ein paar Flaschen Wein und … und ein paar Sachen, die doch recht speziell waren. Nicht gut.

»Genau. Sie hatten einen Unfall, auf der Neureeder Straße, kurz vor Buchendorf. Sie erinnern sich, wunderbar. Es war gut, dass Sie auf das Dorf zugelaufen sind. Wer weiß, wann ob Sie bei diesem Wetter überhaupt rechtzeitig gefunden hätte. Aber nächstes Mal packen Sie sich eine dicke Jacke ins Auto, versprechen Sie mir das? Und ziehen Sie die an, bevor Sie bei vier Grad unter Null auf Erkundungstour gehen.«

»Ich … ja, klar. Mach ich.« Herzog versuchte ein Lächeln. Er hatte den Porsche geschrottet. Unfall. Das bedeutete Polizei, die früher oder später auftauchen und den Wagen unter die Lupe nehmen würde. Ergo auch die schwarze Sporttasche. Vielleicht auch deren Inhalt. Und wenn sie schon dabei waren, vielleicht auch das kleine Geheimfach, in dem er seinen Vorrat ‚Inspiration’ versteckt hatte. Shit. Herzog spürte, wie sein Lächeln verebbte.

»Ist … ist der Wagen ausgebrannt?«, fragte er mit matter Stimme. Die Hoffnung starb wohl zuletzt.

»Ausgebrannt?«, fragte der Arzt. »Ich weiß nicht. Bis gerade eben wusste ich ja nicht mal, dass Sie einen Autounfall hatten. Aber so weit ich weiß, brennen Autos nur äußerst selten aus. Die Tatsache, dass Sie es noch bis nach Buchendorf geschafft haben, spricht doch deutlich dagegen, dass der Wagen … o mein Gott!«, entfuhr es ihm plötzlich, »Waren Sie denn etwa nicht allein in dem Auto?«

»Doch, doch«, beruhigte ihn Herzog. Nur ich und das Koks, haha.

»Na dann, Herr Herzog. Glück im Unglück, würde ich sagen. Ihr CT sieht gut aus, das heißt, in Ihrem Kopf ist alles in Ordnung. Bis auf eine leichte Gehirnerschütterung. Die kleinen Lücken, die Sie noch in Ihrer Erinnerung haben, dürften sich in der nächsten Stunde schließen. Versuchen Sie, sich einfach zu erinnern, und es wird nach und nach wiederkommen. Die Teile des Puzzles werden sich zu einem Bild zusammenfügen, sozusagen. Okay?«

»Ja, klar«, sagte Herzog, »Okay.«

»Wundervoll. Sehen Sie zunächst von allzu hastigen Bewegungen ab, das könnte Schwindelanfälle hervorrufen und wir wollen ja nicht, dass Sie uns zusammenklappen wie ein altes Mütterchen, nicht wahr?«

»Nein.« Das wollen wir ganz sicher nicht.

»Gut. Ich habe Ihnen außerdem eine Halskrause verschrieben, nur für den Fall, dass wir irgendwelche Haarrisse übersehen haben. Nicht, dass Ihnen der Kopf plötzlich von den Schultern rollt.« Der Arzt kicherte. Herzog fand, es klang wie ein Zwölfjähriger, der sich diebisch über die Pointe in einem anzüglichen Witz freut. Ärzte!

»Hm«, machte Herzog.

Der kichernde Witzbold mit der Designerbrille wandte sich von Herzog ab. »Schwester Lina, wir legen ihn erst mal in Zimmer elf zu Herrn … Dingens …«

»Heintze«, ließ sich eine angenehm sanfte, weibliche Stimme vernehmen.

»Genau, Heintze. Nehmen Sie sich Sebastian und betten Sie unseren Herrn Herzog zur Ruhe. Schauen Sie alle halbe Stunde mal nach ihm, und wenn er einschläft, können Sie ihn jetzt schlafen lassen. Ich denke, wir können Hirnschäden weitestgehend ausschließen.« Fragt sich nur, bei wem, dachte Herzog und hätte beinahe selbst ein bisschen gekichert. Vielleicht würde die Polizei auch gar nicht in seine Tasche schauen. Schließlich spielte die ja für den Unfall keine Rolle. Ja, und vielleicht fliegen draußen auch ein paar Schweine durchs Schneegestöber.

»Ich schau dann nochmal vorbei, aber ich denke, mit ein paar Tagen Ruhe ist unserem Englischen Patienten hier am meisten gedient.«

»Ist gut, Doktor.« Eine sexy Stimme, dachte Herzog. Es würde sich vermutlich lohnen, herauszufinden, zu welchem Gesicht diese Stimme gehörte. »Ich mach das Bett fertig.«

»Ja, ja«, sagte der Arzt, »tun Sie das.«

Herzog hörte, wie die Schwester die Tür hinter sich schloss, und daraufhin beugte sich der Rübezahl mit der knallroten Hipsterbrille über ihn. »Mal ganz im Vertrauen, Herr Herzog. Ich weiß, es ist Winter, und es geht mich auch nichts an, aber ein Rat unter Freunden: Sie sollten sich künftig vom Schnee fernhalten. Verstehen wir uns?«

»Vom Schnee?« Herzog tat unschuldig. Reiner Reflex.

»Sie wissen schon.« Der Arzt machte eine Geste, indem er seinen Zeigefinger mit einer blitzschnellen Bewegung abwechselnd unter eins seiner gewaltigen Nasenlöcher hielt und kurz schniefte. »Wenn Sie sich schon diesen Scheiß reinpfeifen müssen, dann fahren Sie anschließend bitte nicht mit dem Wagen. Nicht jeder hat so viel Glück wie Sie.«

»Ich … ist in Ordnung«, log er dem Arzt vor, und der nickte ernst, wohl wissend, dass in dieser Beziehung nur sehr wenig in Ordnung war oder in absehbarer Zeit in Ordnung kommen würde.

»Was ist das?«

»Was ist was?«

»Ihr rechter Arm. In der Beuge. Ist das der Einstich, mit dem Sie …?«

»Einstich?« Hektisch zog Herzog den Arm hervor. Er zog ab und zu mal eine Line und auch das nicht regelmäßig. Außer, wenn der Stress ihn zu übermannen drohte. Wenn Veröffentlichungstermine näher rücken, zum Beispiel, und er noch kein einziges vernünftiges Wort zu Papier gebracht hatte. Aber ein Einstich? Er war doch kein verdammter Junkie, der sich irgendeinen Scheiß in die Venen pfiff! Doch da war ein kleines Loch, keine Frage, mit einem blassrosa Rand. Er hatte keine Ahnung, wie das da hingekommen war.

»Es … ich …«, stammelte Herzog. »Keine Ahnung. Das muss wohl vom Unfall stammen.«

»Wie Sie meinen«, sagte der Arzt. Ernst nun, ohne jede Spur eines Lächelns in seinem grundgütigen Gesicht. »Sie haben noch ein paar Kratzer im Gesicht — keine Angst, es sind nur kleine — und wir haben eine Fleischwunde in ihrem Oberarm genäht, nur zur Sicherheit. Kratzen Sie nicht daran herum, dann haben Sie gute Chancen, dass nicht mal eine Narbe zurückbleibt.«

Die Tür ging auf, die Schwester war zurück.

»Rollen Sie ihn rüber«, sagte der Arzt und würdigte Herzog keines weiteren Blickes.

Wie sich herausstellte, war Schwester Lina nicht ganz das, was ihre Stimme versprochen hatte. Hübsch, ja, aber auch nicht gerade die angehende Sexgöttin, die ihre Stimme hatte vermuten lassen. Eine Frau, die Herzog in einem Club als ‚süß’ etikettiert und ihr ein kurzes Lächeln geschenkt hätte, bevor er sich den wirklich heißen Mädchen zuwandte. Nur für den Fall.

Herzog warf einen Blick auf ihren Oberkörper, denn der war alles, das er aus seiner derzeitigen Position von ihr sehen konnte. Ihre Schultern waren eine Winzigkeit zu rund, was darauf schließen ließ, dass sie nicht eben gertenschlank war. Vielleicht nicht unbedingt dick, aber eben auch nicht Herzogs bevorzugtes Beuteschema: groß, blond, und sportlich schlank bis durchtrainiert. Und blond war das Mädchen ganz bestimmt nicht. Beziehungsweise ließ sich das nicht sagen, denn ihre Haare waren von einem so tiefen Schwarz, dass es nur gefärbt sein konnte. Als sie den Kopf ein wenig drehte, bemerkte Herzog, dass ihre Haare auf dieser Seite zu wenig mehr als einem kurzen Stoppelfeld zurechtgestutzt waren, über das ihre längeren Haare fielen. Herzog fand diese Art von Frisur bescheuert, musste aber zugeben, dass es diesem Mädchen durchaus stand. Ihr Gesicht war wirklich hübsch, vielleicht sogar etwas mehr als nur süß. Nein, korrigierte er sich, definitiv mehr als nur süß. Eine gerade Nase, hohe Wangenknochen, die ihrer Erscheinung beinahe etwas Vornehmes verliehen. Ein kleiner Mund, volle Lippen und schwarze, geheimnisvolle Augen. Wobei das Attribut ‚geheimnisvoll‘ wohl hauptsächlich auf den großzügig darum verteilten, schwarzen Eyeliner zurückzuführen war.

Diese Art von Mädchen kannte Herzog zur Genüge, wenn sie auch normalerweise nicht annähernd so gut aussahen wie dieses hier. Aus irgendeinem Grund zogen seine Bücher solche Leserinnen geradezu magisch an. Vermutlich morbide Faszination an der grausamen Seite des Todes. Schwester Lina schenkte ihm einen aufmunternden Blick aus ihren dunklen Augen und Herzog musste zugeben, dass diese durchaus etwas für sich hatten. Ein Versprechen dunkler Mysterien, das hatte er mal in der Liebesschnulze einer Konkurrentin gelesen — ihr Verlag bezeichnete die äußerst erfolgreichen Teenieschmonzetten allerdings als Paranormal Romance, was immer das bedeuten sollte. Man mochte von dieser Art von Mädchen halten, was man wollte, auf jeden Fall waren sie im Bett ausgesprochen experimentierfreudig, wie Herzog aus eigener Erfahrung wusste. Mit einer Mischung aus fatalistischer Nonchalance und kindlicher Neugier machten die alles Mögliche mit, von Fesselspielchen bis zu einer Menage a trois mit ihrer besten Freundin. Er würde dieses Krankenhaus nicht ohne ihre Nummer verlassen, so viel stand fest.

»Sie sind Andreas Herzog, der Schriftsteller, oder?«, sagte sie. Nun, das lief ja besser an als erwartet.

»Schon möglich«, sagte er und versuchte, es wie in einem alten Gangsterfilm klingen zu lassen. Sie kapierte es. Kicherte. Sympathisches Mädchen. Während sie das tat, also das Kichern, bildeten sich auf ihrem Nasenrücken entzückende, kleine Kräusel. Gott, dachte Herzog und bemerkte, dass sich unter seiner Bettdecke ein aufrichtiges Interesse an der jungen Krankenschwester zu regen begann. Wenn sie damit nicht auf der Stelle aufhört, ziehe ich sie in mein Bett, und es ist mir völlig wurscht, ob uns der alte Knacker da drüben dabei zuschaut.

»Ha, wusste ich’s doch«, sagte sie und wandte sich dann unvermittelt zum Gehen. Als sie die Tür erreicht hatte, sagte Herzog, nun selbst eine Schmonzette imitierend: »Oh, Schwester, werde ich Sie jemals wiedersehen?«

Sie drehte sich zu ihm um und ja, sie war nicht schlank, oder hochgeschossen, so weit sich das unter ihrem Kittel erkennen ließ. Ihre Figur war weiblich. Ausgesprochen weiblich und voll sinnlicher Versprechungen.

Gott, Herzog, reiß dich zusammen, sonst fängst du noch an zu sabbern.

»Schon möglich«, wiederholte sie seine Worte von vorhin — nun war sie die Femme fatale aus jenem alten Gangsterfilm — schenkte ihm noch ein entzückendes Lächeln und dann war sie durch die Tür verschwunden.

»Det is ’ne janz Kesse«, ließ sich prompt sein Zimmergenosse vernehmen. Das musste demnach der allseits beliebte Herr Heintze sein. Herzog drehte den Kopf und gewahrte ein schmächtiges Männlein, das in einem Bett mit aufgerichtetem Kopfteil saß und zu ihm herübergrinste, wobei es den Daumen der rechten Hand in die Höhe streckte. Schwester Lina hatte ihre Fans hier, keine Frage. Herzog erwiderte die Geste des Alten mit der linken Hand, woraufhin Heintzes schelmisches Grinsen noch ein wenig breiter wurde.

»Ich bin Herzog«, sagte er, aber der Alte hatte seinen Blick schon wieder dem Fernseher zugewandt, der in einer gegenüberliegenden Ecke des Zimmers angebracht war. Völlig fasziniert folgte der Mann irgendwelchen Nachrichten und jetzt bemerkte Herzog auch die Stöpsel der Kopfhörer, die sich der Alte bis zum Anschlag in die Ohren geschoben hatte.

Er bemerkte noch etwas: Der linke Ärmel seines Krankenhaushemdchens war nach oben gerutscht und hatte die verblassten Buchstaben eines Satzes freigelegt, die jemand auf Herzogs Arm gemalt hatte, vermutlich mit einem Permanentmarker. Herzog konnte nur den letzten Teil des Satzes erkennen:

… es nicht.

Also schob er den Ärmel weiter nach oben, bis er die ganze Botschaft lesen konnte. Die offenbar von ihm selbst stammte, wie er am charakteristischen Schwung des Strichs beim kleinen ’t’ erkennen konnte. Eine Marotte, die er sich irgendwann — offengestanden aus reiner Affektiertheit — zugelegt hatte, abgeschaut aus irgendeinem alten Hitchcockfilm. Ein typischer Herzog, also. Auch wenn er keinerlei Erinnerung daran hatte, sich das auf den Arm geschrieben zu haben. Was da stand, entzifferte Herzog mit einiger Mühe als:

Du warst es nicht.

Er war es nicht, na wunderbar. Gut zu wissen, vermutlich. Eigentlich hätte er jetzt wohl grinsen müssen. Die Blondine, das war die einzig mögliche Erklärung. Offenbar hatten sie in der Wohnung der Studentin irgendeinen kindischen Unfug angestellt, bevor sie die erwachsene Art von Unfug angestellt hatten und er hatte wer weiß was getan, ihr vielleicht einen Schnurrbart angemalt, während sie ihm einen genuckelt hatte oder so was.

Sehr erwachsen, Herzog.

Aber aus irgendeinem Grund wollte ihm das Grinsen nicht so recht gelingen. Diese Botschaft hatte etwas unbestimmt Beunruhigendes. Er war es also nicht. Er wollte auf keinen Fall, dass er das vergaß. Blieb die Frage, was um alles in der Welt gemeint war.

Was war er nicht gewesen?

Oder:

Was hatte er nicht getan?

Als Herzog den Blick erneut zum Fernsehgerät hob, erhielt er eine mögliche Antwort auf eben jene Frage. Aus seiner nagenden Beunruhigung wurde blankes Entsetzen.

Auf dem Bildschirm erschien ein Foto von ihm. Kein besonders aktuelles. Eines, auf dem er noch nicht den Fünftagebart trug, der mittlerweile — zusammen mit den roten Sportschuhen — zu seinem optischen Markenzeichen geworden war. Das mit dem Fünftagebart hatte mit dem kleinen Ansatz eines Doppelkinns zu tun, der erschien, wenn Herzog sich glatt rasierte, weswegen er das nach Möglichkeit vermied. Sein erster Gedanke, als er das Foto auf dem Bildschirm des Fernsehgerätes erblickte, war:

Urby, du Idiot.

Sein Agent. Von wem sonst sollten sie das Foto auch haben?

Was Herzog allerdings wesentlich mehr beunruhigte, war das nächste Bild, das eingeblendet wurde. Es zeigte Sabine Neuhaus, ehemals — wenn auch nur für kurze Zeit — Sabine Herzog. Bine. In der Laufzeile darunter flimmerte ein Wort, das Herzogs Aufmerksamkeit geradezu magisch in seinen Bann zog.

---ENDE DER LESEPROBE---