Trump – Die Halbzeitbilanz - Frankfurter Allgemeine Archiv - E-Book

Trump – Die Halbzeitbilanz E-Book

Frankfurter Allgemeine Archiv

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Amerika wieder großartig machen – hinter dieser Parole versammelten sich 2016 rund 63 Millionen Wähler, die in Donald Trump denjenigen sahen, der Amerikas Untergang abwenden und sie aus Not und Bedrängnis befreien werde. Rund zwei Jahre später, zur Halbzeit der Präsidentschaft des Immobilienmoguls mit deutschen Vorfahren, steht die große Mehrheit dieser Kernklientel felsenfest zu ihrem Mann. Genauso fest, wie das andere Lager in unerschütterlicher Gegnerschaft zu ihm steht. Versöhnung? Überwindung der Spaltung der Vereinigten Staaten? Fehlanzeige. Die Gräben, die Politik und Gesellschaft durchziehen, sind noch tiefer und noch breiter geworden. Donald Trump war angetreten, um vermeintlicher Benachteiligung der Vereinigten Staaten ein für alle Mal ein Ende zu machen, den "Sumpf der Korruption" in Washington trockenzulegen und den angeblichen "Volksverrätern", den Eliten, ans Leder zu gehen. Keine Kontinuität, sondern "Disruption" – das ist das, was er wollte, was er versprochen hat zu tun und wovon er nicht abgeht. Von der Abkehr vom Pariser Klimaabkommen bis zur Abwendung vom Atom-Vertrag mit Iran hat er es auch wahr gemacht. Aber seine Krawallrhetorik im Inneren und seine Politik der Ausgrenzung sowie der Stil des Denunzierens und des Verächtlichmachens schaden dem Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt – und sie tun ihnen selbst nicht gut. Das vorliegende eBook zieht nach zwei Jahren eine erste Bilanz. Was hat Trumps Politik in der Welt verändert, zerstört oder sogar Gutes bewirkt? Ist hinter seinem erratisch erscheinendem Handeln gar eine politische Idee verborgen, die sich dem Beobachter lediglich nicht erschließt?

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Trump – Die Halbzeitbilanz

Ist Amerika schon wieder ein bisschen größer?

F.A.Z.-eBook 54

Frankfurter Allgemeine Archiv

Herausgeber: Frankfurter Allgemeine Archiv / Klaus-Dieter Frankenberger

Redaktion und Gestaltung: Hans Peter Trötscher / Anna Thaut

Projektleitung: Olivera Kipcic

eBook-Produktion: rombach digitale manufaktur, Freiburg

Alle Rechte vorbehalten. Rechteerwerb und Vermarktung: [email protected]© 2018 Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main

Titel-Grafik: © Adobe Stock / Alexander Sánchez

ISBN: 978-3-89843-469-0

Inhalt

Vorwort

1. Make America great again: Ein einfaches Programm

»Jetzt gilt eine neue Vision«

Trumps Nationalismus

Der Siegertyp

2. Make security fail again: Außen- und Sicherheitspolitik

Alles und sein Gegenteil

Trump dankt ab

Rückzugspräsident Trump

Zerstörer Trump

Zerstörungswerk

3. Make trade hard again: Wirtschaft- und Handelspolitik

Welche Wirtschaftspolitik plant Trump?

Trumps Crashkurs

Schulterschluss mit Washington

Handelskonflikt: Wo Trump schlechtere Karten hat

Der Stoff, aus dem Handelskriege sind

Oberwasser im Weißen Haus

GM-Fabrikschließungen verstimmen Trump

4. Make the news fake again: Trump und die Medien

Kampfansage

Trump bezeichnet Medien als Volksfeinde

Empörung, Empörung

Feindselig

Keine Volksfeinde

Zwingende Gründe?

5. Make America white again: Migrationspolitik

Mit Handschellen ins Land der Freiheit

Auf der Lauer

Trumps amerikanische Träumer

Der Liebe eine Mauer

Haft, aber herzlich

6. Make rogue-states nice again: Trump und Kim Jong-un

Der Zündler

Atomdesperados

Das wird teuer

Nordkorea kann jetzt jeden Ort Amerikas treffen

Trumps Knopf

Mission Kimpossible

Abgesagt

Das Gipfeltreffen

China kommt seinen Zielen näher

7. Make Putin laugh again: Trump und Russland

Der Rauswurf

Trump-Gate

Ein ganz integrer Hexenjäger

Gefährlicher als Watergate

Angst des Präsidenten

8. Make oil cheap again: Die Saudi-Connection

Geschäfte zuerst

Da könnte etwas schlimm schiefgelaufen sein

Ein letzter Freund in Washington

9. Make politics exciting again: Die Midterm elections

Trump: Wahl gewaltiger Erfolg für Republikaner

Auftrumpfender Verlierer

Trump muss sich nicht grämen

Trump ist noch lange nicht am Ende

Vorwort

Der erfolgreiche Spalter

Von Klaus-Dieter Frankenberger

Amerika wieder großartig machen – hinter dieser Parole versammelten sich 2016 rund 63 Millionen Wähler, die in Donald Trump denjenigen sahen, der Amerikas Untergang abwenden und sie aus Not und Bedrängnis befreien werde. Rund zwei Jahre später, zur Halbzeit der Präsidentschaft des Immobilienmoguls mit deutschen Vorfahren, steht die große Mehrheit dieser Kernklientel felsenfest zu ihrem Mann. Genauso fest, wie das andere Lager in unerschütterlicher Gegnerschaft zu ihm steht. Versöhnung? Überwindung der Spaltung der Vereinigten Staaten? Fehlanzeige. Die Gräben, die Politik und Gesellschaft durchziehen, sind noch tiefer und noch breiter geworden.

Das konnte man unter anderem an dem Ergebnis der Kongresswahlen im vergangenen Herbst ablesen, die zum Referendum über »zwei Jahre Trump« ausgerufen worden waren. Die Demokraten übernahmen dank starker Gewinne vor allem in den »Suburbs« wieder die Kontrolle im Repräsentantenhaus; die weitgehend auf Trump-Linie gebrachten Republikaner konnten dagegen ihre Mehrheit im Senat noch ausbauen – mehr Spaltung geht nicht. Und was das »alte Amerika« von dem Nationalisten im Weißen Haus trennt, das war bis in die Mimik hinein bei der Trauerfeier für den früheren Präsidenten George H.W. Bush zu erkennen. Mehr Feindseligkeit geht auch da nicht. Immerhin war Trump der Einladung zur Teilnahme an der Feier gefolgt. Die deutsche Bundeskanzlerin, den früheren Präsidenten und Wegbereiter der deutschen Wiedervereinigung würdigend, fasste den Wandel in Stil und Inhalt der amerikanischen (Welt-)Politik so zusammen: Welch »unfassbar großes Glück« sei es gewesen, dass in einem so kritischen Moment der Weltgeschichte wie den Jahren der Wende George H.W. Bush Herr im Weißen Haus war – und nicht, das musste sie nicht ausdrücklich aussprechen, sein Nachnachnachnachfolger Trump, der Verächter von Multilateralismus, Allianzen und Gewaltenteilung.

Dabei hat der, objektiv betrachtet und gemessen an seinen Wahlversprechen, durchaus einige vorzuweisen. Die Wirtschaft läuft auf Hochtouren, selbst wenn sich ersten Eintrübungen am Horizont zeigen. Sie wird von einer Steuerreform befeuert, die es von der Dimension her in der Form lange nicht gegeben hat, die aber auch nicht gegenfinanziert ist, und von wirtschaftsfreundlicher Deregulierung. Trump hat seine Kandidaten für vakante Posten am Obersten Gerichtshof im Senat durchgebracht, in einem Fall gegen massivsten Widerstand der Opposition und von Teilen der Öffentlichkeit, und damit bei dem wichtigsten Anliegen evangelikaler Wählergruppen »geliefert«. Und was das ihm verhasste Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta anbelangt, so sind Mexiko und Kanada zu Kreuze gekrochen: Sie haben weitgehenden Modifikationen zugestimmt, die alle das Ziel verfolgen, industrielle Produktion wieder in die Vereinigten Staaten zurückzuverlagern.

Auf den ersten Blick scheint das auch ein Motiv des Handelskriegs mit China zu sein, den Trump vom Zaun gebrochen hat. Die Fachleute sind sich nicht schlüssig, ob sich die Motive darin, also in einer stärker ausgeglichenen Handelsbilanz und in einer Reform der chinesischen Wirtschaftspolitik, schon erschöpfen. Oder ob es um viel mehr geht: um die Vorherrschaft im 21. Jahrhundert, darum, wer die Regeln setzt. Das Ziel, Chinas Aufstieg Grenzen zu setzen, gehört jedenfalls zu den ganz wenigen Themen, bei dem (mittlerweile) ein großes politisches Einvernehmen in Washington herrscht. Und selbst wenn Trump noch immer große Sympathien für den russischen Präsidenten Putin hegen sollte, so kann man nicht sagen, dass die amerikanische Russland-Politik davon geprägt wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Das hängt auch damit zusammen, dass das Damoklesschwert der Russland-Untersuchung über dem Präsidenten schwebt.

Donald Trump war angetreten, um vermeintlicher Benachteiligung der Vereinigten Staaten ein für alle Mal ein Ende zu machen, den »Sumpf der Korruption« in Washington trockenzulegen und den angeblichen »Volksverrätern«, den Eliten, ans Leder zu gehen. Keine Kontinuität, sondern »Disruption« – das ist das, was er wollte, was er versprochen hat zu tun und wovon er nicht abgeht. Von der Abkehr vom Pariser Klimaabkommen bis zur Abwendung vom Atom-Vertrag mit Iran hat er es auch wahr gemacht. Aber seine Krawallrhetorik im Inneren und seine Politik der Ausgrenzung sowie der Stil des Denunzierens und des Verächtlichmachens schaden dem Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt – und sie tun ihnen selbst nicht gut. Selbst wenn viele Millionen Amerikaner das anders sehen und von einer Widerwahl Trumps träumen. Für zig Millionen andere Amerikaner wäre die Wiederwahl des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten ein Albtraum. Ein Zurück zum Status quo ante gibt es jedenfalls nicht.

1. Make America great again: Ein einfaches Programm

»Jetzt gilt eine neue Vision«

Trumps Antrittsrede in Auszügen.

»Die heutige Zeremonie ... hat eine besondere Bedeutung. Denn heute übergeben wir die Macht nicht nur von einer Regierung an eine andere oder von einer Partei an eine andere – sondern wir geben sie von Washington, D.C. an euch, das amerikanische Volk, zurück.«

* * *

»Zu lange hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unserer Nation den Lohn geerntet, während das Volk die Kosten trug. Washington gedieh – aber das Volk hatte an seinem Wohlstand nicht teil. Politiker wurden reich, aber die Jobs verschwanden, und die Fabriken schlossen. Das Establishment schützte sich selbst, aber nicht die Bürger unseres Landes.«

* * *

»Für zu viele unserer Bürger gab es aber eine andere Realität: Mütter und Kinder in der Falle der Armut in unseren Städten, ver­rostete Fabriken verteilt wie Grabsteine überall in unserem Land, ein Bildungssystem, das Geld verschlingt, aber unsere jungen, wundervollen Schüler ohne Wissen zurücklässt. Und Verbrechen, Banden und Drogen, die so viele Leben kosteten und unserem Land so viel ungenutztes Potential stahlen.«

* * *

»Wir haben die Grenzen anderer Staaten verteidigt und uns geweigert, unsere eigenen Grenzen zu verteidigen. Wir haben Billio­nen Dollar im Ausland ausgegeben, während unsere Infrastruktur zerfiel. Wir haben andere Länder reich gemacht, während unser Reichtum, unsere Stärke und unser Selbstvertrauen am Horizont verschwanden.«

* * *

»All das ändert sich jetzt – es beginnt hier und jetzt, denn dieser Moment gehört euch.«

* * *

»Von heute an wird eine neue Vision unser Land regieren. Von nun an gilt: Amerika zuerst.«

* * *

»Wir werden neue Straßen und Autobahnen bauen, Brücken und Flughäfen, Tunnel und Eisenbahnstrecken durch unser wunderbares Land. Wir werden unsere Leute aus der Wohlfahrt holen und zurück in Arbeit bringen, unser Land mit amerikanischen Händen und amerikanischer Arbeit wiederaufbauen. Wir folgen dafür zwei einfachen Regeln: Kauf amerikanische Produkte, stelle Amerikaner ein.«

* * *

»Wir suchen Freundschaft und guten Willen mit den Nationen der Welt. Aber wir tun das in der Überzeugung, dass es das Recht aller Nationen ist, ihre eigenen Interessen an die erste Stelle zu stellen. Wir wollen unsere Art zu leben niemandem aufdrängen, sondern sie strahlen lassen als ein Beispiel, dem man folgen kann.«

* * *

»Wir werden ... die zivilisierte Welt gegen den radikalislamischen Terrorismus vereinen, der vollständig vom Antlitz der Erde getilgt werden wird.«

* * *

Es ist Zeit, sich an die alte Weisheit zu erinnern, ... dass, egal ob wir schwarz oder braun oder weiß sind, in unseren Adern dasselbe, rote Blut von Patrioten fließt.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2017

Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte für F.A.Z.-Inhalte erwerben Sie auf www.faz-rechte.de

Trumps Nationalismus

Der demokratische Machtwechsel ist vollzogen. Donald Trump ist als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt worden in einer zivilreligiösen Zeremonie, die tief in die Geschichte der Republik zurückreicht.

Von Klaus-Dieter Frankenberger

Und doch war dieses Hochamt der amerikanischen Demokratie beschwert: Viele Amerikaner halten den Nachfolger Barack Obamas für gefährlich, die halbe Welt hat das ungute Gefühl, dass fortan im Weißen Haus der Geist einer ruppigen Unberechenbarkeit und eines unsentimentalen Nationalismus herrschen wird. Dieses Gefühl haben Trumps Ausführungen zur Amtseinführung noch verstärkt.

Trump ist der unwahrscheinlichste Präsident der jüngeren amerikanischen Geschichte. Hätte man vor gut eineinhalb Jahren darauf gewettet, man wäre reich geworden. Der Immobilienmilliardär hat erst die Republikanische Partei auf den Kopf gestellt und dann die Demokraten geschlagen mit dem eingängigen Slogan »Amerika zuerst« und dem vagen Versprechen, »Amerika wieder groß zu machen«. Mit seinem Angebot aus ökonomischem Na­tionalismus, Abschottung und Neoisolationismus kam er so gut an, dass er nun Präsident ist. Das soll auch die Politik seiner Regierung werden. »America first« war nicht nur der Kern seiner Wahlkampfbotschaft, es ist das Leitmotiv seiner Präsidentschaft. Trumps Rede zur Amtseinführung war eine einzige Kampfansage, wie man das bei diesem Anlass noch nicht gehört hatte: an das »Establishment«, an Washington, die Globalisierung und an alle, die das amerikanische Volk »aussaugen«. Sie war nationalistisch in Ton und Inhalt.

Die Europäer bekommen es mit einem Präsidenten zu tun, der nicht daran denkt, Freundlichkeiten auszuteilen, sondern der »regime change« in Washington will. Doch banges Klagen und apokalyptisches Warnen helfen nicht. Sie müssen es nehmen, wie es ist. Schließlich hat sich das Interesse an engen, tiefen und breiten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nicht erledigt, nur weil Trump abschätzige Bemerkungen über EU und Nato gemacht hat. Zweifellos wird es komplizierter werden. Europa und Deutschland sollten den Amtsantritt des Donald Trump als Weckruf verstehen: Es wird jetzt mehr denn je auch auf sie ankommen, auf ihre Leistungsfähigkeit und ihre Verantwortungsbereitschaft, damit der Westen den Stürmen der Gegenwart standhält. Aber Amerika unter Donald Trump – das wird ein anderes Amerika sein.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2017

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Der Siegertyp

Donald Trump wird auch im Weißen Haus wohl der bleiben, der er immer schon war. Amerika und die Welt werden mit einem höchst labilen Charakter leben müssen. Ein Psychogramm.

Von Bertram Eisenhauer

Er hätte auch mal den Mund halten können. Aber Donald Trump ist Donald Trump, und der kann es einfach nicht lassen. Anfang der Woche musste das Komitee für die Organisation von Trumps Amtseinführung damit fertig werden, dass eine ganze Reihe prominenter Künstler Auftritte für die Feier abgesagt hatte. Elton John, die Beach Boys oder Bruce Springsteen wollten für den Neuen im Weißen Haus ebenso wenig performen wie Beyoncé and Yo-Yo Ma, die einst für Barack Obama aufgetreten waren. Das sah nach einer glamourarmen, traurigen Angelegenheit aus; gegen Ende der Woche sollte sich auch die Springsteen-Cover-Combo »B-Street Band«, die bereits zugesagt hatte, zurückziehen – wie sie wissen ließ, aus »Respekt und Dankbarkeit« für den »Boss« (Springsteen, nicht Trump).

Trump jedoch entschied sich, der Wirklichkeit eine der für ihn typischen Schwindeleien entgegenzusetzen; in einem Telefoninterview mit der »New York Times« behauptete er, seine Amtseinführung werde »eine unglaubliche Teilnehmerzahl, vermutlich einen neuen Rekord« anlocken, inklusive einer ganzen Menge an Stars verschiedenster Provenienz. Und, so fügte er hinzu: »In Washington sind alle Kleiderläden ausverkauft. Es ist schwer, für diese Amtseinführung noch ein Kleid zu kriegen.« Die Stylisten der Gegend indessen sahen das sehr viel weniger dramatisch; die stellvertretende Verkaufsleiterin der Kette »Nordstrom« etwa ließ die »Times« auf Nachfrage wissen, von Lieferschwierigkeiten könne nicht die Rede sein, und Kleider zwischen 200 und 10 000 Dollar in den besonders beliebten »fröhlichen Farben«, vom Juwelenblau bis zum leuch­tenden Pink, seien reichlich zu haben.

Eine kleine dumme Lüge, die sich mit einem Telefonanruf entlarven lässt, nur um einen Moment lang besser dazustehen? Wieder mal so, wie Trump sich selbst immer und ohne Ausnahme sieht: als Gewinner? Hat der Mann, der am Freitag als angeblich mächtigster der Welt vereidigt wurde, so etwas Armseliges nötig? Die Antwort ist: offenbar ja.

Seit der Jahrmarktschreier aus Manhattan bei den Vorwahlen der Republikanischen Partei immer mehr Anhänger gewann, begleitet ihn die Frage, ob er für das Amt des Präsidenten die entsprechende Reife besitze, ob seine aggressive, schamlose, schnell gekränkte, maßlose, selbstverliebte, aufschneiderische, rachsüchtige, zwanghafte Persönlichkeit ihn nicht disqualifiziere. Joe Scarborough, einstmals republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus, inzwischen Moderator einer Talkshow beim Kabelsender MSNBC und Trump eigentlich zugeneigt, hatte im Sommer einen beunruhigenden Gedanken: »Wir fragen uns – ich bin nicht der Erste, der davon redet, diese Frage stellt sich jeder: Ist Donald Trump ein Soziopath?«

In seiner Siegesrede in der Wahlnacht sprach Trump davon, nun sei »die Zeit, die Wunden der Gegnerschaft zu verbinden« – doch stellte sich bald heraus, dass er, anstatt auch auf jene Amerikaner zuzugehen, die ihn nicht gewählt hatten, sie während des Interregnums der »transition«, in dem er sich auf die Amtsübergabe vorbereitete, nur abermals daran erinnerte, warum sie ihn für ungeeignet befunden hatten. Zu Silvester schickte er eine Botschaft über Twitter: »Frohes neues Jahr an alle, auch an meine vielen Feinde und an jene, die mich bekämpft und so schlimm verloren haben, dass sie gar nicht wissen, was sie noch tun sollen. Alles Liebe!« Die Geheimdienste, die dem designierten Präsidenten von einer versuchten Beeinflussung der Wahl durch den Kreml berichteten, zieh er der »Hexenjagd« und ließ durchblicken, dass er ihnen weniger Glauben schenkte als Wladimir Putin – und das nur, weil er befürchtete, andernfalls nicht ständig mit seinem »überragenden« Wahlsieg prahlen zu können.

Für viele in Amerika und jenseits seiner Grenzen ist es ein Albtraum: Trump und seine Kleingeistigkeit auf der größten Bühne der Welt, ein so volatiler Charakter als Kopf der Exekutive, als Chefdiplomat, als Taktgeber der Zivilgesellschaft in seiner Heimat. Wie Trump zu dem wurde, was er ist, versteht man gut, wenn man drei Männer betrachtet, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben und die amerikanische Archetypen verkörpern: der Vater; der Coach; der Pastor.

Der Senior, Bauunternehmer Frederick »Fred« Trump, ließ den Familiennamen nur auf eines seiner Projekte schreiben: »Trump Village«, eine Ansammlung von Wohnblocks in Coney Island – aber seinem Vorbild verdankt der Sohn alles Entscheidende. Nicht lange nachdem Donald 1946 geboren war, als das vorletzte von fünf Kindern, lebte die Familie, durch Freds Bauprojekte für die amerikanische Mittelschicht in Queens und Brooklyn zu beträchtlichem Wohlstand gekommen, in einem 23-Zimmer-Haus, das ein wenig wie eine Südstaatenplantage aussah, Haushaltshilfe und Chauffeur inklusive. Fred war als Unternehmer old-school: sparsam, aber gerissen; auf seinen Baustellen gab er den Zimmerleuten unbenutzte Nägel zurück, die er gefunden hatte, doch die Steuervorteile, die ihm der Staat bot, nutzte er bis zur Grenze zum Betrug.

Fred, der zu Hause Anzug und Krawatte trug und Disziplin verlangte, war kein sonderlich herzlicher Mensch; die Flitterwochen mit Gattin Mary Anne, die als Einwanderin aus Schottland gekommen war, bestanden aus einer Nacht in Atlantic City, und die Kinder wurden nicht gerade verwöhnt, mussten Pfandflaschen sammeln und Zeitungen austragen. Doch das Leben hatte auch angenehme Seiten: Die Urlaube verbrachte man in Florida (im Sommer) und in den Catskills (im Winter); wenn es regnete, fuhr der Chauffeur mit den Kindern die Zeitungsroute ab. »Du bist ein König«, sagte Fred zu Donald.

Dem zweitgeborenen Sohn, der ihm im Büro und auf Baustellen bei der Arbeit zusah, vermittelte er eine Weltsicht, die dieser später so zusammenfassen sollte: »Leute, von denen du glaubst, sie seien in der Geschäftswelt deine Freunde, werden dir dein Geld, deine Frau, deine Haustiere und alles andere nehmen, wenn du es zulässt.« Das Dasein als Dschungel, in dem man bereit sein muss zu kämpfen – hier begann Trumps »kontrollierte Paranoia«, wie er es mal nannte. Überleben werde nur der Stärkere, wie es überhaupt laut Trump nur zwei Sorten von Menschen gibt: Gewinner – und Verlierer; man ist entweder das eine oder das andere. »Sei ein Killer«, auch das lehrte der Vater ihn.

In der Schule war der junge Trump, so einer seiner Biographen, Michael D'Antonio, »a bit of a terror« – ein Schrecken für Mitschüler und Lehrer, deren Regeln er ausgiebig austestete. Seine Schwester Maryanne erinnere sich, er sei »extrem aufsässig« gewesen, prügelte sich oft. Nur im Sport ließ sich seine Energie kanalisieren; er war besonders gut im Baseball, hatte am Ende jedes Spiels die schmutzigste Uniform – und hasste nichts mehr, als zu verlieren.

Offenbar weil sein Vater das Gefühl hatte, dass er mit Donald nicht mehr zurechtkam, schickte er ihn ins Internat, die New York Military Academy, wo der Dreizehnjährige in eine Uniform gesteckt wurde und ein winziges Zimmer zugewiesen bekam. 450 Jungs lebten hier, Söhne von Wall-Street-Bankern, Industriellen aus dem Mittleren Westen und dem gelegentlichen Mafia-Boss; sie erfuhren akademische Strenge und militärischen Drill und wurden auf ein Leben maskuliner »Exzellenz« vorbereitet. Hier, wo man um seinen Platz in der Hackordnung kämpfen musste, gedieh Trump; er ließ sein Babyfett hinter sich und wurde zum Sporthelden, und auch seine Schulnoten interessierten ihn jetzt mehr.

In dieser »aggressiven und isolierten Subkultur« (D'Antonio) wurde ein Weltkriegsveteran zu Trumps Ersatzvater: Theodore Dobias, der »Taktisches Training« unterrichtete und die Baseball- und Footballteams coachte. Die beiden, der Junge und der »Maje« – kurz für »Major« –, fanden zusammen durch ihre geteilte Überzeugung, dass Gewinnen das sei, was zählte im Leben; das prägte der »Maje« allen Schutzbefohlenen ein. Und Trump, so erinnerte er sich später an einen seiner Favoriten, »wollte einfach immer der Beste sein, bei allem, und er wollte, dass die Leute wussten, dass er der Beste ist«.

Überhöht wurde diese Gewinnsucht durch den Pastor seiner Familie, Dr. Norman Vincent Peale. In den Bänken von dessen Kirche an der Fifth Avenue verbrachte der junge Trump viele Stunden: »Man konnte ihm den ganzen Tag zuhören«, erinnerte er sich vor Evangelikalen 2015. »Und wenn man die Kirche verließ, war man enttäuscht, weil es vorbei war.« Peale, Autor des Millionensellers »The Power of Positive Thinking« von 1952, wirkte weit über Manhattan hinaus; er brachte durch Bücher, Newsletter, Radiosendungen, Predigten und Zeitungskolumnen einer ganzen Generation Amerikaner bei, dass kapitalistisches Eigeninteresse und Wohlstand glänzend mit Gottes Willen zu vereinbaren sind.

Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung, versehen mit einem Touch Religion, als Lebensphilosophie – das verfing auch bei den Trumps, da konnten Kritiker Peale einen Schwindler und seine Kirche einen Kult nennen. Dieses sogenannte prosperity gospel, ein Wohlstands- und Wohlfühl-Evangelium, heute noch in vielen charismatischen Kirchen populär, ist ein klassisches amerikanisches Artefakt, das Trump bis hart an die Grenze der Parodie für sein egozentrisches Weltverständnis nutzbar macht.

»Formuliere und präge deinem Verstand ein mentales Bild von dir selbst als jemand ein, der Erfolg hat«, heißt es etwa in Peales »The Power of Positive Thinking for Young People«. Und weiter: »Halte hartnäckig daran fest. Lass es niemals verblassen. Denk nie von dir selbst als jemand, der versagt.« Bei Peales Adepten Trump wird das Prinzip zur Autosuggestion: »Ich gewinne, ich gewinne, ich gewinne immer«, sagte er einem Journalisten. »Am Ende gewinne ich immer, ob nun beim Golf, beim Tennis oder im Leben, ich gewinne einfach immer. Und ich sage den Leuten, dass ich immer gewinne, weil ich eben immer gewinne.« Und wenn man mal nicht gewinnt – Moment, das kommt nicht vor.

Der Trump, den wir heute täglich im Fernsehen sehen, ist strenggenommen nichts Neues. Schon seit Jahrzehnten führt er dieses Psychodrama »Donald Trump« in aller Öffentlichkeit auf; alles, was er tut, hat nur ein Ziel: seiner Person Aufmerksamkeit zu verschaffen, sein eigenes Gefühl seiner Großartigkeit durch andere zertifiziert zu sehen, das Alpha-Männchen zu geben. Jeder, der dem Bild widerspricht, das Trump sich von sich selbst macht, wird abgestraft. Kann er die Verhältnisse nicht unter seinen Willen zwingen, werden sie zurechtgeredet.

Anders als Fred Trump wagte er sich als Bauherr auch nach Manhattan (dank einer Anschubfinanzierung des Seniors), hatte Erfolg mit einigen spektakulären Projekten – und wurde doch von der Elite der Halbinsel nie so ganz akzeptiert. Als er in den neunziger Jahren zum Opfer seiner Hybris wurde und Bankrotte von sechs Trump-Firmen belegten, dass er nicht der unfehlbare Geschäftsmann ist, als der er sich gerne gibt – da spielte er eben einen fürs Fernsehen, in der Reality-TV-Show »The Apprentice« und einem Promi-Ableger. Er überlebte – und wurde endgültig zur Marke.

Ein Kolumnist der »New York Times«, David Brooks, stellte einmal fest, Trump habe »biblische Werte durch das Ethos eines Gladiators ersetzt. Alles dreht sich nur um Eroberung, Erfolg, Überlegenheit und Dominanz.« Biograph D'Antonio schrieb kurz vor der Wahl über Trumps krudes Winner-take-all-Credo: »Diese Ansichten machen den Mann aus. Falls Sie nach mehr suchen – oder vielleicht auf mehr hoffen –, dann sollten Sie nicht erwarten, es zu finden. Falls Sie die Zusicherung erwarten, dass der Mann, der der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein könnte, eine in sich geschlossene politische Philosophie oder ethische Grundlage besitzt, die über diesen eher voraufklärerischen Verhaltenskodex hinausgeht – dass er sich zum Beispiel den Idealen der Gründerväter verpflichtet fühlt, oder dass er die amerikanische Demokratie, die Menschenrechte und unser Verfassungssystem studiert und verstanden hätte –, dann werden Sie eine Enttäuschung erleben.« Doch genau so einen kruden Agenten eines regime change in der eigenen Hauptstadt wollten ausreichend viele Wähler haben.

Um zu erklären, was ihre Figuren motiviert, geben Drehbuchautoren diesen oft eine »Wunde« mit, einen ersten Schmerz, einen Mangel. Für Trumps Entschluss, nach mehreren abgebrochenen Versuchen einer Kandidatur fürs Weiße Haus noch einen weiteren zu wagen, gilt manchen Interpreten ein Tag im April 2011 als entscheidend. Damals war er für die meisten Angehörigen des Establishments von Washington gerade mal als ein schaler Witz. Beim »White House Correspondents Dinner«, zu dem alljährlich Politiker und Journalisten im Washingtoner »Hilton« zusammenkommen, um sich gutgelaunt gegenseitig aufzuziehen, wurde Trump in jenem Jahr sowohl vom Präsidenten als auch von dem für den Abend engagierten Komiker gnadenlos mit Spott überzogen. Barack Obama etwa sagte trocken, ein Beispiel unter mehreren: »Scherz beiseite. Natürlich wissen wir alle, über welche Referenzen und über welch breite Spanne an Erfahrungen Sie verfügen.« Wie Trump in seiner Sendung »The Celebrity Apprentice« immer wisse, welchen der teilnehmenden C-Promis er feuern müsse: »Das ist die Art von Entscheidung, die mir den Schlaf rauben würde. Gut gemacht, Sir! Gut gemacht!« Wie die Nerds in der populären Comedy-Serie »The Big Bang Theory« sagen: Bazinga! Das saß. Einen »Tsunami« des Gelächters im Saal notierte die Website »The Daily Beast«.

Auf dem Video, das es von der Veranstaltung gibt, sieht man, wie Trump die Gesichtszüge in einem halben Lächeln gefroren. Er und seine Frau Melania saßen am Tisch der Familie, die (damals noch) die »Washington Post« verlegte; als das Dinner vorbei war, verabschiedete das Paar sich umgehend – eine Flucht. Doch »dieser Abend der öffentlichen Erniedrigung«, so befanden die »New York Times«-Reporter Maggie Haberman und Alexander Burns später, habe Trumps »wildes Bemühen, in der politischen Welt Statur zu gewinnen«, nur befeuert.

Inzwischen lacht in Washington keiner mehr – ein weiteres unerwartetes Kapitel in der Fortsetzungsgeschichte um den Überlebenskünstler Trump. Sicher, er gilt als der Meister des drastischen Tweet; doch das wahre Funktionsprinzip der tour de force seines bisherigen Lebens – und womöglich seiner Präsidentschaft – ist der Cliffhanger der Fernsehserie: Was kommt da als Nächstes? Was haben die Autoren sich wieder Unmögliches ausgedacht? Ronald Reagan, der letzte große Theatraliker unter den Präsidenten, musste das rhetorisch evozieren. Trump lebt es. Die Show, die Trump abzieht, ist keine Show. Bei ihm regiert die permanente Erregung. Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein für eine dramatische Episode.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2017

Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte für F.A.Z.-Inhalte erwerben Sie auf www.faz-rechte.de

2. Make security fail again: Außen- und Sicherheitspolitik

Alles und sein Gegenteil

Wie Donald Trump und die Nato-Führung übereinander reden.

Von Michael Stabenow

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