Über Leben in Deutschland - Imre Grimm - E-Book

Über Leben in Deutschland E-Book

Imre Grimm

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Beschreibung

Warum reißt bei Männern sofort der dünne Firnis der Zivilisation, sobald die Familie aus dem Haus ist? Wie funktioniert die Yogafigur »Der schwankende Kugelfisch«? Hat die NASA vegetarischen Brotaufstrich erfunden, um Risse im Hitzeschild abzudichten? Stimmt es, dass Zwölftonmusiker uns alle veräppeln? Und was nützt einem alles Geld der Welt, wenn es einem anderen gehört? Seit zwei Jahrzehnten beobachtet Imre Grimm in seinen Texten den deutschen Alltag– sprühend vor Witz und voller Liebe zur Sprache. Seine Artikel erscheinen in ganz Deutschland, seine wöchentliche Kolumne ist ein von vielen Lesern herbeigesehnter Fundus der Absonderlichkeiten – geistreich und wortgewandt, aber niemals prätentiös.

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Imre Grimm

Über Leben in Deutschland

Kolumnen aus einem lustigen Land

© 2021 Ein RND-Buch beim zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe www.zuklampen.de

Umschlaggestaltung: © Philipp Bieler unter Verwendung von Motiven von Adobe-Stock · Hannover Satz: Germano Wallmann · Gronau · www.geisterwort.de E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH · Rudolstadt

ISBN Printausgabe 978-3-86674-816-3

ISBN E-Book-PDF 978-3-86674-375-5

ISBN E-Book-EPUB 978-3-86674-374-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

Für I, J und J

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Die deutsche Sprache

»O Genie, der Herr ehre dein Ego!«

Politik & Wirtschaft

Was nützt einem alles Geld der Welt, wenn es einem anderen gehört?

Essen & Trinken

Spargel in der Not, dann hast du in der Zeit

Recht & Gesetz

Pferdestehlen ist kein Kavalleriedelikt

Der Mann & die Familie

»Papa, du warst wie ein Vater zu mir«

Körper & Geist

Lieber ächzextrem als rechtsextrem

Arbeit & Heimwerken

Es riecht nach Sägemehl und toten Tischlerträumen

Lifestyle & Kunst

Nonkonformismus für Jägerzaunpiraten

Prominente & andere Wesen

Brust raus, Bauch rein, Hirn aus

Tiere

Hunde sind Wölfe ohne Ideale

Digitales & Technik

Kleine Drohne, flieg nach Helgoland

Das Auto

Hulk Hogan in einem Marmeladenglas

Unterwegs

Dänisch klingt, als wäre Holländisch die Treppe heruntergefallen

Sport & Freizeit

Das Herz eines Kämpfers, der Körper eines Zuschauers

Musik

Den Ausdruck »abkratzen« haben Eltern von Geigenschülern erfunden

Natur

Ein Wald ist ein guter Kompromiss zwischen drinnen und draußen

Weihnachten & Silvester

Gottes schräge Methode, unsere Langmut zu prüfen

Über den Autor

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

es ist ein Satz, über den es sich lohnt, zehn Sekunden oder gern auch etwas länger nachzudenken. Vorgelesen hat ihn mir meine Großmutter, ausgesprochen hatte ihn viele Jahrzehnte zuvor der Widerstandskämpfer und erste Ministerpräsident Indiens, Jawaharlal Nehru.

»Die Vernunft spricht leise, deshalb wird sie so oft nicht gehört.«

Imre Grimm, Leiter des Gesellschaftsressorts im RedaktionsNetzwerk Deutschland, spricht und schreibt grundsätzlich leise, doch gehört wird er immer. Mit seiner Liebe zur Sprache, seinen klugen Gedanken sowie seinem ausgesprochen feinen Witz schafft es der Journalist und Wortakrobat Grimm in seinen Kolumnen, zu informieren, zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen – subjektiv, entspannt und temporeich.

Die Grundidee dieses Kolumnenformats entstand bereits im Jahr 1999: Das Große am Kleinen erzählen, und das auch noch lustig. Oftmals geht es um einen satirischen Blick auf den deutschen Alltag; mit persönlichen Anekdoten und Erlebnissen, mit Kuriositäten aus Politik, Gesellschaft und Kultur. Die aus der Feder von Grimm stammenden Beiträge lassen einen Schluss zu: Er besitzt eine der wichtigsten charakterlichen Fähigkeiten, die ein Mensch überhaupt haben kann – jene, über sich selbst lachen zu können.

Mehr als 1000 Folgen seiner beliebten Rubrik sind inzwischen in den Titeln des RedaktionsNetzwerks Deutschland erschienen; ein Best-of hat der Autor in diesem Buch versammelt. »Über Leben in Deutschland – Kolumnen aus einem lustigen Land« sortiert spielerisch den Alltag in 17 Kapitel. Es richtet sich, wie Grimm so typisch Grimm sagt, an »alle, die früher die Nächte durchgemacht haben und heute nicht mal mehr die Tage schaffen«.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Herzliche Grüße

Ihr

Marco Fenske

Chefredakteur RedaktionsNetzwerk Deutschland

Die deutsche Sprache

»O Genie, der Herr ehre dein Ego!«

Mein Name ist Imre Grimm

Gestatten Sie mir, dass ich mich kurz vorstelle: Mein Name ist Jakob Wilhelm Imre Grimm. Geboren wurde ich vor wenigen Jahrzehnten neben einer Köhlerhütte im Spessart. Nach dem Besuch einer Feld-, Waldorf- und Wiesenschule studierte ich Ahnung und Prokrastination an der Universität von Kaputtistan. Nach dem Klau eines Ikea-Bleistifts begann ich mit der Herstellung von Lesbarem. Seither schreibe ich auf, niemanden ab, mir die Finger wund, Ihnen etwas gut und meine Träume in den Wind. In meiner Freizeit esse und wohne ich gern.

Es gehen nicht viele Segnungen mit dem Schicksal einher, einen Namen zu tragen, der nicht nur äußerst selten und vokalarm ist, sondern sich zudem durch eine ungewöhnliche Dichte von »GRR«-, »RRMM«- und »MMRR«-Lauten auszeichnet. Imre Grimm. Warum heiße ich so knurrig? Niemand weiß das mehr so genau. Meine Eltern verweisen auf einen Film, in dessen Abspann ihnen wenige Tage vor meiner Geburt diese Vornamenspreziose in die Augen fiel. Ich lebe seither in dem Bewusstsein, dass mein Namensvetter möglicherweise ein zweiter Unterbeleuchter aus Ungarn ist. Ich bin nur froh, dass die Not nicht so groß war, dass ich Ortwin Blasius heiße, nur weil Ortwin Blasius der letzte Name im Abspann war, kurz vor dem Hinweis, dass für diesen Film keine Tiere verletzt wurden.

Dank wiederholter Nachfragen zu meinem Vornamen in den letzten Jahrzehnten liegt in meinem Kopf ein fertig ausformulierter Allzweckdialog auf Wiedervorlage bereit, den ich selbst nachts um vier Uhr aus tiefstem Schlaf geweckt fehlerfrei abzuspulen imstande bin. Auf größeren Veranstaltungen trage ich inzwischen ein Schild um den Hals, auf dem die üblichen Fragen beantwortet werden: »1. aus Ungarn. 2. Nein, keine Verwandten. 3. Vielen Dank. 4. Ja, das kommt oft vor. 5. Herrgott, fragen Sie doch meine Eltern!«

Imre heißt auf Deutsch Emmerich. Zu den bekanntesten Namensträgern gehören Emmerich, der Käsemann aus dem Knax-Heft der Sparkasse, und Emmerich der Heilige aus dem elften Jahrhundert, ein ungarischer Prinz aus dem Haus der Arpaden, Sohn von König Stephan I. und Gisela von Bayern. Der Prinz soll asketisch gelebt, wenig geschlafen und die Nächte hindurch gebetet haben. Er heiratete dann um das Jahr 1026 die Tochter des kroatischen Fürsten Kresimir und soll geschworen haben, trotz Ehe seine Unschuld zu bewahren. Emmerich starb um 1031 bei einem Wildschweinangriff.

Askese, wenig Schlaf und Enthaltsamkeit – uns verbindet offenbar keine Blutsverwandtschaft. Ich fühle mich charakterlich eher zu Emmerich dem Käsemann hingezogen.

Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, mit einem normalen Namen durchs Leben zu wandeln. Ich habe einen Freund, der heißt Karl Müller. Ich kann Ihnen das ruhig verraten, es gibt Tausende Karl Müllers in diesem Land. Mein Freund Karl Müller nennt sich gern »DER Karl Müller«, was ich sehr lustig finde. Mein eigener Vorname deckt für die meisten Menschen offenbar eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten ab; vom rumänischen Blumenmädchen bis zum peruanischen Viehtreiber. Spätestens, wenn sie meiner dann angesichtig werden, ist zumindest die Geschlechterfrage geklärt. Meistens jedenfalls.

Als Namenspatrone habe ich also die Wahl zwischen einem ungarischen Unterbeleuchter, einem freudlosen Prinzen aus dem Frühmittelalter und einem Kleinkrämer von der Insel Knax. Es gibt allerdings noch mehr Imres: einen siebenbürgischen Maler etwa, einen »konkret-konstruktiven« Grafiker, einen Politiker, einen Fußballnationalspieler und natürlich den emeritierten Erzabt der ungarischen benediktinischen Territorialabtei Pannonhalma, ungarischer Halma-Meister von 1979.

Jüngst verdankte ich jenen seltsamen neun Buchstaben, die mit mir durchs Leben gehen, einen Moment des Glücks. Ich las Sebastian Barrys Buch Tausend Monde. Es ist die nicht minder brillante Fortsetzung von Tage wie diese, einem grandiosen Western aus der Zeit der amerikanischen Indianerkriege, in der das Chaos zwei Unionssoldaten und ein Indianermädchen namens Winona zu einer eigentümlichen kleinen Familie voller Liebe zusammenschweißt. Auf Seite 191 begegnete mir eine Figur, die einen seltsamen Namen trug. Sie hieß Imre Grimm.

Nun kommt es vor, dass man, wenn man zum Beispiel Karl Müller oder Daniel Richter heißt, gelegentlich auf Namensvettern trifft. Als Imre Grimm passiert das normalerweise nicht. Jener Imre Grimm auf Seite 191 war ein freigelassener Sklave, der angeblich einer weißen Frau hinterhergestiegen war. Ich zitiere: »Ein Mob zerrte Imre Grimm aus dem Gefängnis. Sie schürten ein Feuer und hängten Imre Grimm an einer langen Kette über der Esse auf. Sie schnitten ihm die Finger ab. Als er endlich tot war, zerstückelte man seinen geschwärzten Leichnam.«

Angesichts dieser Mordfantasien überlegte ich kurz, ob ich dem Autor Barry, einem irischen Dramatiker von beträchtlichem Ruhm, in jüngster Zeit die Ehefrau ausgespannt, seinen Hund überfahren oder ihn einen niederträchtigen Mistkerl genannt hatte. Dies war nicht der Fall. Im Gegenteil: Ich hatte seinen Roman Tage wie diese in einer winzigen Kritik sehr positiv besprochen. Beim Steidl Verlag in Göttingen versicherte man mir sehr freundlich, dass man Barry diese kleine Kritik damals zugeschickt habe. In einem erfreulichen Mailverkehr, in dem ich mich für die Ehre bedankte, offenbar Eingang in einen Roman gefunden zu haben, bestätigte Barry, dass er stets auf der Suche nach raren Namen meinen entdeckt und verwendet habe. »Sie sind offensichtlich eine sehr lebendige Person«, schrieb Barry, »aber bei der Namenswahl für den tragischen Mann in dem Buch dachte ich, er hätte etwas Auffallendes und Großartiges verdient. Vielen Dank für Ihr Verständnis für diesen schamlosen Diebstahl.«

Es hat Vorteile, so zu heißen wie niemand sonst. Und wenn schon ein Name aus dem Knax-Heft, dann lieber Emmerich als Gantenkiel, Pomm-Fritz, Ambros, Schlapf, Fetz Braun, Mampf oder Backbert beziehungsweise Steuerbert. Obwohl der Name Mampf gelegentlich … aber lassen wir das.

Ich habe mich daran gewöhnt, Post an »Frau Irme Grimm« zu bekommen oder an Ingo, Emma, Erna, Irmi, Irma, Erme, Emre … Ich tröste mich damit, dass es bisher keinen Heiligen Karl Müller gibt. Und dass ich um Ortwin Blasius knapp herumgekommen bin.

So bin ich nun also auf ewig ein zerstückelter Sklave der Literatur, von einem wütenden Mob gequält und zerteilt. Ich hätte lieber ein aufregendes Liebesabenteuer erlebt oder mich als genialer Milliardär erwiesen. Aber du darfst nicht wählerisch sein als Romanfigur. Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben.

Sprichwörter, kurz erklärt

Die deutsche Sprache ist reich an wunderschönen Wörtern (liebestrunken, nebelschwer, sternhagelvoll) sowie außerordentlich hässlichen Wörtern (Wurstsalat, Rapsöl, rattazong). Hinzu kommt eine Flut von Redewendungen, deren Ursprung im Dunkeln liegt. Diesem Umstand will ich abhelfen – hier sind die wahren Hintergründe populärer Ausdrücke:

Alle Trümpfe in der Hand

Diese Redensart stammt aus dem Frühmittelalter, als Waschfrauen den Brunnen erst verlassen durften, wenn sie alle »Strümpfe« in der Hand hielten. Das »S« geriet unter Papst Benedikt VIII. (bürgerlicher Name: Theophylakt von Tusculum) als »Buchstabe der Sünde« in Verruf und wurde gestrichen.

Asche auf mein Haupt

König Wenzel von Luxemburg, genannt Der Faule, hatte ab etwa 1382 die Angewohnheit, seine Pfeife auf dem Haupte säumiger Steuerzahler zu entleeren. Im Jahr 1400 wurde Wenzel wegen Untätigkeit abgesetzt.

Da geht der Arsch auf Grundeis

Die Redensart wurde geprägt von Untertanen des böhmischen Fürsten Ladislaus, genannt Der Arsch. Ladislaus frönte als Nichtschwimmer gern dem Winterbaden und lief, vom Volk bekichert (»Da geht der Arsch auf Grundeis!«), oft in kalten Gewässern herum.

Eulen nach Athen tragen

Die Redewendung hieß noch bis in die Zeit Kaiser Hadrians »Eulen nach Thessaloniki tragen«. Erst im Großen Eulenkrieg von 126 bis 128 n. Chr. setzte sich Athen durch. Der Ursprung des Vorgangs ist unbekannt.

In Bausch und Bogen

Hieronymus Bausch und Fritz Bogen waren das bekannteste Komponistenduo der Biedermeierzeit. Sie glichen einander so sehr, dass, sie »in Bausch und Bogen« zu sortieren, sprichwörtlich unmöglich war.

Seinen Senf dazugeben

Diese Redensart spielt auf die altfränkisch-südelsässische Tradition des »Einsenfens« an. In der ersten Vollmondnacht im Juni bewerfen sich junge Adelige bei der »Grande Moutarde Alsacienne« mit heimischen Senfspezialitäten und rufen dazu Unflätiges. Zur sogenannten Besenftigung werden Würstchen gereicht.

Sitt und Anstand

Forscher ohne nennenswertes Privatleben haben herausgefunden, dass die deutsche Sprache über 5,3 Millionen unterschiedliche Wörter verfügt. Darunter sind fragwürdige Komposita wie Straßenbegleitgrün und Bibabutzemann sowie ein Dutzend Verbalexperimente, die Til Schweiger exklusiv verwendet. Trotzdem mangelt es dem Deutschen an eigenen Wörtern für fundamentale Vorgänge, zum Beispiel das »frühe Aufstehen, um Vögel zu beobachten«, was im Schwedischen bekanntlich »Gökotta« heißt. Die türkische Sprache dürfen wir um ein Verb beneiden, das »Nein sagen und Ja meinen« bedeutet: »nazlanmak«. Auch nimmt es mich Wunder, wie wir all die Jahre ohne eine eigene Vokabel für den Kauf von Büchern nicht zum Zwecke des Lesens, sondern um sie auf Tischen, Regalen oder Fußböden zu stapeln, auskamen. Das Japanische bezeichnet diese sympathische Schrulle als »Tsundoku«. Wie oft saß ich schon hirnmelkend auf meinem Wortschemel auf der Suche nach einer Vokabel für kontemplatives Bücherstapeln?

Eine der bekanntesten deutschen Sprachlücken ist ein Wort für den Zustand des Nichtmehrdurstigseins, also das Äquivalent zu satt. 1999 machte sich die Dudenredaktion für das Kunstwort »sitt« stark. Diese Initiative wurde weiland vom Getränkehändler meines Vertrauens vehement unterstützt – nicht zuletzt deshalb, weil das inhabergeführte Unternehmen den fröhlichen Namen »Sitt Getränkemarkt« trägt. Im Erfolgsfall hätten die Dudenjungs gleich noch Wörter für »ausreichend sonnengebräunt« (sott), »lange gesessen habend« (sett) und das Gefühl, den Pfandflaschenrückgabeautomaten aus den Angeln reißen zu wollen (sutt), etablieren können.

»Sitt« hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Aber wie jede RTL-II-Doku zeigt: Die Sprache hält vieles aus, und wirklich jeder darf mittun. So möchte ich mich anheischig machen, das bisher unbenannte Gefühl, das Äußerste an Wohlbefinden aus wirklich jeder Situation zu ziehen, als »gnülpfig« zu bezeichnen. Möglich, dass die Verwendung dieses Wortes die Gefahr einer Blamage mit sich bringt. Im Finnischen gibt es dafür das schöne Wort »kehdata«: Handeln im vollen Bewusstsein, dass die Folgen peinlich sein könnten. Eine Vokabel, die ich praktisch täglich brauchen könnte.

Copy and paste

Der Erfinder von Copy-and-paste ist gestorben. Der Erfinder von Copy-and-paste ist gestorben. Der Erfinder von Copyand-paste ist gestorben. Der Erfinder von Copy-und-paste ist gestorben. Ich könnte ewig so weitermachen. Dank Larry Tesler, dem Erfinder von Copy-and-paste, der Ausschneiden-und-Einfügen-Funktion am Computer. Der Rechnerpionier Tesler wurde 1946 im tschechischen Rokytnice v Orlických horách geboren und wuchs in Hrušovany nad Jevišovkou auf. Die Idee seines Lebens hatte er, als er in der vierten Klasse 100-mal den Satz »Ich darf meine Hausaufgaben nicht aus dem Lexikon abschreiben« an die Tafel schreiben musste.

Sein Abitur machte er am Llanfairpwllgwyngyll-Gymnasium in Kaldbaksbotnur. Gemeinsam mit seinem polnischen Freund Szczescie Bezwzgledny aus Szczebrzeszyn eröffnete er eine Zungenbrecherei in Kedzierzyn-Kozle. Tesler leitete dann von 1980 bis 1997 ein Kopierwerk im walisischen Städtchen JEANNY, quit livin’ on dreams, JEANNY, life is not what it seems, Such a lonely little girl in a cold, cold world, There’s someone who needs you, JEANNY … Verzeihung, da war noch etwas Altes in meiner Computerzwischenablage.

Larry Teslers literarisches Hauptwerk trägt den Titel Das Plagiat – Die höchste Form der Anerkennung. Zur Verteidigung einer unterschätzten Kulturtechnik. Es war in weiten Teilen identisch mit den Romanen Schuld und Sühne von Fjodor Dostojewski und Fünf Freunde und das Burgverlies von Enid Blyton. Ende der Nullerjahre wurde Tesler zum Ehrenmitglied im International Copy Club ernannt und erhielt 2016 den Goldenen Abschrei-Bär als »Kopitalist des Jahrhunderts«. Die Laudatio hielt Karl-Theodor zu Guttenberg.

Zeit seines Lebens hielt sich Tesler an die Maxime aller Lohnschreiber: »Kopiere in der Zeit, dann hast du in der Not.« Bis zu seinem Tod führte er in Kaisersklautern sein Restaurant Copy & Pasta. Zu den Stammgästen gehören Annalena Baerbock und Helene Hegemann. Tesler starb im Alter von 74 Jahren an chronischer kompilatorischer Kuratoristik. In dieser Woche wird Tesler per »Steuerung + C«/»Steuerung + V« beigesetzt.

Risotto, Sir?

Die Sprache ist ein steter Quell der Freude. So lassen sich zum Beispiel die Worte »Regelbasisableger« und »Gnubelebung« vorwärts- und rückwärtslesen. Wir lernen: Palindrome können Leben retten. Sollten Sie jemals in der Savanne knien und als Ersthelfer und ehrenamtlicher Gnubeleber einem kreislaufschwachen Gnu ins Leben zurück helfen müssen, kann es Ihnen in dieser misslichen Lage Trost und Stütze sein, dass der Vorgang, wenn er schon wenig erbaulich ist, wenigstens als sprachliche Spezialität taugt. Während das Gnu röchelnd raunt »Rettender Retter, red netter«, können Sie sich der Tatsache erfreuen, dass Sie an einem Palindrom teilnehmen. Nach erfolgreicher Gnubelebung haben Sie sich dann einen Retsinakanister aus dem Regallager verdient.

Ebenso lässt sich der folgende philosophische Satz vorwärtswie rückwärtslesen: »Vitaler Nebel mit Sinn ist im Leben relativ.« Überhaupt wird dem Genre der Palindromphilosophie viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteil. Vergessen wir nie: »Die Liebe ist Sieger, stets rege ist sie bei Leid.« Und trösten Sie jene, deren Beziehung kriselt: »Die Liebe geht – hege Beileid!«. Und bedenke wohl: »Eine güldene, gute Tugend: Lüge nie!«

Die Welt der Palindrome ist voll von nützlichen Ratschlägen (»Sei fein, nie fies!«), Grabsteininschriften für Tiere (»Dein Grab, Reittier, barg Neid«) und potenziellen Werbeslogans für Reisen nach Island (»Leben Sie mit im Eisnebel!«). Und was selbst Fachhistoriker nicht über das alte Rom wissen: »Nie, Knabe, nie, grub Nero neben Orenburg eine Bank ein.«

Apropos Nero: »O Genie, der Herr ehre dein Ego!« Und falls Sie sich fragen, was Ida und Abdul in letzter Zeit so getrieben haben, die beiden Racker: »Ida war im Atlas, Abdul lud Basalt am Irawadi.« Irgendwas ist halt immer. Nun muss ich mich entschuldigen, ich bin ganz dringend zum Abendessen verabredet (»Risotto, Sir?« – »Es eilt, Liese!«).

Der Daniel und die Wiebke

Kürzlich hat mich der Daniel angerufen. »Hallo Imre!«, rief der Daniel fröhlich. »Hier ist der Daniel! Du hattest neulich ja schon mit der Wiebke gesprochen. Es geht um deinen Internetanschluss.« Der Daniel und die Wiebke arbeiten für die Telekom. Bei der Telekom haben sie nicht nur 10 000 Stellen gestrichen, sondern offenbar auch die Nachnamen. Wir sind jetzt alle dicke Kumpels, die Telekom und ihre Kunden.

Nun ist es so, dass ich mich ungern ankumpeln lasse von Menschen, die bisher wenig dafür getan haben, sich meinen Respekt zu verdienen. Schon weil ich Daniel und Wiebke gar nicht kenne. Ich bin ein Freund der verbalen Distanzregelung per optionaler Anrede.

Kurz spielte ich mit dem Gedanken, dem Daniel freundlich das Hamburger Sie anzubieten: »Mein lieber Daniel«, hätte ich gesagt, »Sie unterliegen hier einem Irrtum. Die Verwendung distanzvermindernder Anredeformen erhöht nicht die Chance eines erfolgreichen Geschäftsabschlusses – ganz im Gegenteil: Ich möchte nicht Kunde einer Firma werden, die mit passiv-aggressiven Gefühlssimulationen artifizielle Nähe herzustellen versucht. Versuchen Sie lieber, mit fairen Preisen und übersichtlichen Tarifen Nähe herzustellen.«

Aber ich wollte dem Daniel seine gute Laune nicht verderben. Es gibt Momente, da sollte man fremder Leute Glück nicht zugunsten eigener kleiner Triumphe aufs Spiel setzen.

Die flächendeckende Duzerei hat zuletzt wieder zugenommen. Als Anhänger eines ehrlichen Sie gilt man in der zwangsjuvenilen Gesellschaft als hirnverknorpelter Klemmbourgeois. Dabei ist die hohe Kunst des stilvollen Siezens ein schützenswertes Kulturgut.

Unvergessen die glücksbesoffene Bild-Schlagzeile während der Fußball-WM 2006: »Wollen wir uns alle duzen?« Meine Reaktion war schon damals: »Danke, nein. Und darf ich Ihnen das Tschüss anbieten?«

Bei unklarer Duz-Siez-Lage bin ich ein großer Freund des Ihr-Tricks: Es ist die perfekte Lösung für gemischte Du/Sie-Gruppen (»Habt ihr lange gewartet?«). Typen wie den Daniel werde ich künftig nach alter Väter Sitte preußisch-fürstlich erzen: »Kerl«, werde ich fragen – »Telekom-Schmelekom. Hat er denn überhaupt Pulver auf der Pfanne?«

Heda – Ihr da mit dem Hute!

Zu den nie restlos geklärten zwischenmenschlichen Verhaltensmaßregeln gehört die Frage, welche Grußformel beim zufälligen Zusammentreffen mit Kollegen im Büro anzuwenden ist. Als schicklich gilt, im zeitlichen Umfeld von Ernährungsvorgängen ein halbironisch gedehntes »Maaaahlzeit« herauszukrähen. Ein Wort, das im Umfeld von Freunden und Familie praktisch unbekannt ist. Niemand sagt beim Sonntagsfrühstück »Mahlzeit«. Höchstens: »Jetzt wird‘s aber auch mal Zeit.«

Zur Hebung der Firmenmoral empfehle ich stattdessen folgendes Sozialexperiment: Begrüßen Sie Kollegen mal mit einem Wort aus dem Kuriositätenfundus der Höflichkeit. Sie werden folgenden Effekt bemerken: Menschen antworten aus Denkfaulheit reflexhaft mit derselben absurden Grußformel, mit der sie angesprochen wurden. Und zwar zu ihrer eigenen Verblüffung.

Sagen Sie zum Beispiel am Fahrstuhl »Howdy-ho und vergelt’s Gott!«, wird Ihnen auch der akkurateste, ironieresistenteste Mensch aus Versehen mit »Howdy-ho!« antworten – entgegen seiner eigentlichen Absicht. Niemand außerhalb von texanischen Ranches sagt »Howdy-ho!«. Man wird Sie rätselnd ansehen, aber mitspielen, um nichts falsch zu machen. Es könnte ja sein, dass Sie über Geheimwissen verfügen.

Sagen Sie »Salve«. Oder völlig sinnlos »In diesem Sinne!«. Oder sagen Sie »Gott zum Gruße!«. Sie werden sich wundern. Plötzlich klingen selbst atheistische Kantianer wie bayerische Dorfpfarrer. Neulich begrüßte ich einen Bekannten mit den Worten »In Christi Blut verbunden«. Man sagt insgesamt viel zu selten »In Christi Blut verbunden«. Er antwortete schlicht »ja« und ging weiter. Eine gute Lösung. Versuchen Sie es auch mit »Frisch auf, Professor!«. Oder mit »Hei Di Ho und ahoi, Kapitän!«. Die Variante »Heda – Ihr da mit dem Hute!« bietet sich jedoch nur an, wenn der Angerufene tatsächlich etwas auf dem Kopf trägt. Und sei es ein toter Waschbär.

Im Grunde gibt es nur zwei Regeln für eine feine Begrüßung: Sie muss von Herzen kommen. Und sagen Sie niemals »Buon giorno Adorno«, »Hallöchen Popöchen«, »Bis Danzig«, »Wirsing« oder gar »Gruß an den Rest vom Schützenfest sendet der Held im Erdbeerfeld!«. Am besten sagen Sie einfach: »Schönes Wochenende«. Zur Not auch schon am Montag.

Born to be Wald

Frühling, du liebliches Fest voll Poesie und Alkoholismus! Der Herr Mai ist gekommen – gut, noch nicht ganz, aber er hat sein Ränzlein geschnürt, seine Schühlein gebunden und das Mützlein über die Äuglein geschoben und all die anderen Diminutivlein getan, die die Frühlingspoesie erst so richtig erbaulich machen. Kein Frühling ohne Verniedlichungsförmchen. Die Schneeglöckchen blühen, die Maiglöckchen folgen, die Kindlein trollen sich ins Wäldchen – nur der gute alte Krokus heißt rumpelig wie ein brockiger Altkeks, obwohl »Kroküsschen« doch viel frühlingshafter klänge. Ab heute sage ich Kroküsschen. Sektchen, jemand?

Die deutsche Sprache versüßt nicht nur den Frühling durch vorsätzliche Verniedlichung. Sie versucht auch, strengen Dingen durch lyrische Entschärfung den Schrecken zu nehmen. Ich möchte zum Beispiel keine »Knöllchen« mehr bekommen. Ich lehne sie nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus sprachästhetischen Gründen ab. Ab 20 Euro aufwärts heißt das Ding bei mir »Knolle«.

Ich bin überhaupt dafür, häufiger mal auf Verniedlichung zu verzichten – zum Wohle einer Erwachsenensprache ohne Chichi. Her mit dem Ohrlappen, dem Meerschwein, der Rotkehle und dem Eichhorn. Ich habe auch keine Wehwechen und Zipperlein – ich habe Weh und Zipper. Und was spricht dagegen, den Fischstab endlich Fischstab zu nennen, ihn also aufzunehmen in die Gruppe vollwertiger Erwachsenenlebensmittel, statt ihn als Kindernahrung zu bagatellisieren? Was würde wohl aus dem Erdmännchen, wenn wir es endlich Erdmann nennten? Ein echter Kerl! Schluss mit der Zootierbagatellisierung! Ich muss dann jetzt auch mal los, ich fahre nach Mün. Mit einem Strauß Gänseblumen.

Nur Mädchen möge man bitte weiterhin Mädchen nennen. Denn nach seiner Entniedlichung verliert das Wort doch viel von seinem Charme.

Miese, gute Witze

Es gibt im Grunde ja nichts Schlimmeres als Menschen, die ungefragt Witze erzählen. Lange, ausschweifende Geschichten, deren Pointe sich zur Story verhält wie ein Knallfrosch zum Silvesterfeuerwerk von Sydney. Völlig unterschätzt wird hingegen der trockene, kurze, humoreske Hüftschuss (»Mir scheißegal, wer dein Vater ist – solange ich hier angele, geht hier keiner übers Wasser!«).

Ich bin ein Freund von miesen, aber guten, kurzen Witzen (»Ich hab’ ein furchtbar schlechtes Namensgedächtnis.« – »Wem sagst du das?« – »Keine Ahnung.«). Offensichtlich sitzt in meinem Humorzentrum kein Studierter, der zu Ringelnatz leicht die Mundwinkel lupft, sondern ein kleines Äffchen mit einem Liftboyhut auf dem Kopf, das mit zwei Schellen ganz feste Ding-Dong-Ding macht (»Wie war dein Zeitmanagement-Seminar?« – »Das war schon??«). Meinem Äffchen genügt zur Beömmelung einfachstes Material (»Mir geht’s nicht gut, ich gehe mal besser zum Psychopathen.«). Nichts gegen Ringelnatz, aber gehobene Heiterkeit ist nicht mein Ding (»Barkeeper, zwei Martini bitte!« – »Dry?« – »Zwei habe ich gesagt! … Idiot.«)

Meine Skepsis ist groß, wenn Rezensenten über Romane schreiben, sie seien »zum Brüllen komisch«. Kein Roman der Welt war je zum Brüllen komisch. Viele waren zum Schlafen zu spannend, zum Heulen schön oder zum Gähnen langweilig, aber nie zum Brüllen komisch.

Je flacher also der Witz, desto größer mein Vergnügen (»Denk dir mal ’ne Zahl aus.« – »17.« – »Gibt’s schon.«). Und ich meine damit nicht das olle Sponti-Zeug aus der Telefonbuchzeit, diesen Allen-geht-das-Wasser-bis-zum-Hals-nur- nicht-Rainer-der-ist-kleiner-Kram. Nein, ich meine neuzeitlichen Nonsens (»Ist das dieses Twitter?« – »Nee, Oma, das ist die Mikrowelle.«). Diese kleinen Humorwasserbomben, die nach drei Bier bei 28 Grad im Schatten den Rest des Wochenendes unbrauchbar machen können (»Ist hier jemand Arzt???« – »Nein, aber ich habe hier revitalisierendes Duschgel!«). Wenn die Sonne vom Himmel knallt, genügt meinem Äffchen für ein bisschen Glücksbesoffenheit der schrundigste Quatsch (»Ich gehe nicht auf Partys« – »Warum?« – »Ich bin nicht eingeladen.«). Hach, Sommer. Lachen Sie so weiter.

Sprich Wörter!

Neulich bin ich in der Kneipe versickert. Das war nicht gerade das Grüne vom Ei, aber der Groschen war halt gelutscht, und wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Fische auf dem Dach. Meine Frau hatte den Rochen schon gebraten, das war dann der Funke, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie sagte, jetzt sei aber mal Schicht im Karton, mich könne man doch in der Pfanne rauchen! Ich habe noch versucht, ihr Ravioli zu bieten, aber da waren Hoffnung und Malz verloren. »Daher weht der Hase!«, sagte sie. – »Du bist mein Licht in der Brandung!«, schwor ich. »Ich meine: mein Fels am Ende des Tunnels.« – »Nee«, sagte sie. »Du hast das mit den Bierchen und den Blümchen nicht verstanden. Du benimmst dich wie der Elefant im Walde.« – »Du meinst die Axt im Porzellanladen«, sagte ich und lachte mich speckig. Aber ich will hier gar nicht so viel aus dem Nesthäkchen plaudern. Für meine Hand lege ich meine Frau ins Feuer. Insgesamt kochen wir auch nur kleine Brötchen. Und wenn uns einer einen Strick durch die Rechnung dreht, dann lassen wir uns nicht übers Ohr ziehen. Wir sind wie einäugige Zwillinge. Wir haben unser Süppchen ins Trockene gebracht.

Meine Frau weiß einfach, woher der Hase weht. Sie hat als Ampère-Mädchen in Frankreich gearbeitet. Sie weiß: Einem geschenkten Gaul haut man nicht aufs Maul. Und einem geschenkten Barsch schaut man nicht … in die Augen. Schon der Biss eines einzigen Pferdes kann eine Hornisse töten. In Wahrheit bin ich ja nur ein Kartoffelheld. Also versprach ich vollbusig, meine Besserung nicht wieder auf die lange Schulter zu schieben. »Guck«, sagte ich und zeigte aus dem Fenster, »es strömt in Gießen.« – »Schnee drüber!«, sagte sie. »Ist doch alles Schlamm von gestern.« Sie wolle jetzt nicht noch Öl ins Feuer streuen. Schließlich sei ich nah am Fluss aufgewachsen, und man dürfe das Pferd nicht immer wieder von hinten aufrollen.

Mir fiel ein Stein von der Schulter. Ich freute mich wie ein Schneekuchenpferd! Als könnte ich Berge ausreißen! »Du siehst heute wieder aus wie aus dem Ei geleckt«, sagte ich und sah ihr tief in die Augen, trotz meiner 1,8 Neopren. »Du bist das Mädel im Heuhaufen!«, sagte ich. »Das ist so sicher wie abends in der Kirche.«

Mal ’ne Frage

Am 9. Mai jedes Jahres ist Internationaler Tag der Fragen. Den habe ich persönlich soeben eingeführt. Die Vereinten Nationen sind unterrichtet. Ich rechne stündlich mit Post aus New York. Bis dahin sind hier schon mal die wichtigsten Fragen:

Warum suche ich in einer Tüte Haribo Colorado immer erst die Himbeeren raus, obwohl ich am Ende sowieso alles aufesse?

Wer ruft für 50 Cent bei Videotextumfragen an und wählt dann »Mir egal«?

Warum sind die Meinungen über die deutsche Einheit geteilt?

Gibt es ein anderes Wort für Synonym?

Warum wurden die Pyramiden von den alten Ägyptern gebaut und nicht von den jungen?

Warum hat die Neuausgabe von Hitlers Mein Kampf 1948 Seiten und nicht 1933 bis 1945 Seiten?

Warum heißt ein Durchbruch in der Kernspaltung nicht Teilerfolg?

Sind Krebsweibchen krebserregend?

Warum sehen Taxifahrgäste immer so mitgenommen aus?

Warum stellen sich Engländer immer so an?

Besteht Erdöl aus flüssigen Dinosauriern?

Wann sollte man seinen Eltern sagen, dass man adoptiert ist?

Machen Astronauten mit ihren Kindern zur Begrüßung Nasa, Nasa?

Wie gut sind die Aufstiegschancen für Bergsteiger?

Gibt’s für Boxer beim Proktologen auch eine Einlaufmusik?

War Abraham Lincoln Einzylinder?

Wenn es eine Rheinschifffahrt gibt – gibt es dann auch eine Wiederrausschifffahrt?

Was ist schlimmer: fahrlässige Tötung oder fahrlässige Zeugung?

Und was passiert, wenn man sich zweimal halb totgelacht hat?

Die Antwort kennt ganz allein der Wind.

Auf ein Wort

Kleine Hundebabys und Pandas finden alle niedlich – aber wer denkt eigentlich an die kleinen Sprachen? Alle 14 Tage stirbt eine unschuldige Sprache, weil niemand sie mehr spricht. Weltweit gibt es 19 Sprachen, die nur noch ein einziger Mensch beherrscht (also: jeweils einer, nicht einer alle 19). Zu den Sprachsolisten gehört ein älterer Herr, der seit Jahren im peruanischen Amazonasgebiet in der Sprache Taushiro erfolglos Anschluss sucht. Weitere Menschen, die eine für den Rest der Welt unverständliche Sprache verwenden, sind: Martin Heidegger, mein Sohn im Tiefschlaf sowie Til Schweiger.

Auch blöd: In Mexiko steht eine Sprache kurz vor dem Aussterben, weil die beiden letzten verbliebenen Menschen, die sie beherrschen, seit Jahren nicht mehr miteinander reden (»Duhu …?« – »Ich rede nicht mehr mit dir.« – »Aber du musst! Wer denn sonst?«). Andernorts kommt man kaum geradeaus vor lauter Sprachen: Allein in London werden etwa 300 Sprachen gesprochen. Darunter sind Arabisch, Türkisch, Hindi und die Geräusche, die Prinz Charles von sich gibt, wenn der Pantoffelvorwärmer die Pantoffeln nicht vorgewärmt hat.

Nicht nur Sprachen sind dem Tode geweiht. Auch Wörter. Es ficht mich an und nimmt mich wunder, dass die Sprachverrohung fröhliche Urständ feiert, dass Wörter sich allenthalben anheischig machen, das Hasenpanier zur ergreifen. Manch gleisnerischer, ausgepichter Bramarbas treibt in seinen halbschürigen Schmieralien mit großem Aplomb Schindluder mit der hiesigen Diktion. Ich dagegen fröne der Leidenschaft, nur famose Wörter zu erkiesen. Manch Lumpazi in seinem Losament maßt sich jetzund an, mit seinem Hohngezisch der Hölle herumzukütern und den Sparifankal zu mimen.

Nicht mit mir, ihr bewämsten Bagaluten! So bat ich kurzerhand die Leser meiner Kolumne um die Einsendung angejahrter Lieblingswörter. Das Ergebnis war eine ergötzliche Flut von Vokabeldelikatessen, aus denen ich das folgende Antwortschreiben generierte:

Heidewitzka, ihr beflissenen Frauenzimmer und spitzbübischen Galane! Sapperlot, was für ein bonfortionöses Schurrimurri habt ihr mir da geschickt, ihr windigen Eintänzer und schnieken Muhmen! Da bat ich mit Engelszungen ergebenst um Entsendung eines erklecklichen Batzens althergebrachter Lieblingswörter. Das Ergebnis fetzt urst! Es nimmt mich fürbass Wunder und ich fühle mich gebauchpinselt und gebumsfideldeit, was da alles hereinklabastert kam an knorke ausbaldowerten Kawenzmännern! Was für eine bumsfidele Leserschaft, die sich geradezu entleibte, um ihren jubilierenden Skribenten stante pede ins Futter zu setzen behufs seiner gediegenen Queste nach sprachlichem Krusch.

Barhäuptig neige ich mich in Anmut vor der erklecklichen Flut verbaler Posamenten, die ihr emsigen Vielliebchen und Haderlumpen mit sommerfrischlerischer Schnaftigkeit und ohne gleisnerisches Tamtam und fickeriges Kujonieren per Depesche schnacks aufs Gleis setztet. Mir ward ganz blümerant, sintemalen es sich die Lectores kommod sein ließen, auch solche Worte zu quinquilieren, die mich Lorbass und Pflaumenaugust in die Bredulje brachten, weil sie mir mitnichten bekannt waren und ob ihrer Schnuckeligkeit mit Gehirnvertüterung einhergingen.

Denn gänzlich neu war mir etwa das schnieke Wort »Pluppertrulle« zur Verhohnepiepelung einer redseligen Wuchtbrumme, die Fraubasereien liebt und gern Maulaffen feilhält. Oder »Draschakel« für eine dem Backfischalter entronnene, aufgedonnerte Zierhaubitze. Oder auch der in Harnisch geäußerte Satz, man lasse sich »doch von dem nicht kujonieren«, wenn es darum geht, Fisimatenten mit widerborstigen, radebrechenden Prahlhänsen zu vermeiden, die sich unbotmäßigerweise nicht entblöden, an mir ihr Mütchen kühlen zu wollen, bis es Maulschellen setzt. Hundsfott! Kanalje! Filou im Schemisett! Wenn wir uns in die Möte kommen! Ich hätte nicht übel Lust, hier Zank und Hader vom Zaun zu brechen, du rachullricher Spitzbube!

Fürwahr – ich fühle mich pudelwohl und kann abends leichten Herzens auf dem Pfühl in Morpheus’ Arme sinken angesichts der durablen Güte einer solchen Leserschaft! Die Liebe zum Wort feiert fröhliche Urständ. Schisslaweng!

Flachwitz, olé!

Warum ging der Luftballon kaputt? Aus Platzgründen. (Entschuldigung, ich bin als Kind in einen Topf mit Flachwitzen gefallen.) Was steht auf dem Grabstein des Mathematikers? Damit hat er nicht gerechnet. (Ich hab’s ja gesagt.) Was steht auf dem Grabstein der Putzfrau? Sie wird nie wieder kehren. (Ey Gehirn, das findest du wohl lustig!?) Was steht auf dem Grabstein des Turners? Der ist verreckt. (Okay, offenbar wird’s nicht besser …) Was steht auf dem Grabstein des Spanners? Der ist weg vom Fenster. (Was sollen überhaupt diese Grabsteinwitze? Schluss jetzt!) Ich bin heute aus dem Töpferkurs geflogen – habe mich wohl im Ton vergriffen. (Schon besser. Wenigstens kein Grabstein.)

Forscher haben ja jetzt rausgefunden, sind dann aber wieder reingegangen. (Okay, der war jetzt wieder schlimm. Sehr schlimm. Ich distanziere mich von mir selbst.) Was steht auf dem Grabstein des Bäckers? Jetzt ist der Ofen aus. (Das war wieder ein Grabsteinwitz! Menno!) Wie heißt ein helles Mammut? Helmut! (Okay, toll. Damit befinden wir uns jetzt auf dem Niveau einer goldenen Hochzeit nachts um drei nach vier Flaschen Korn.) Was macht eine Bombe im Bordell? Puff! (Gut, es geht immer noch ein bisschen tiefer.) Wie heißt der Bruder von Elvis? Zwölvis. (Der ist so alt! Die sind alle alt! Hast du keinen neuen Witz, Gehirn?) Wie nennt man einen dicken Schriftsteller? Kugelschreiber. (Nein! Einen neuen! Und wer ist hier dick?)

Was machen Motorradrocker auf der Autobahn 7 zwischen Derneburg und Seesen? Saufen, bis der Harz kommt! (Okay, der war neu.) Was sagt der Königssohn im Hörbuch von Rapunzel? »Rapunzel, lad dein Haar herunter!« (Ja! Auch neu. Und kein Grabstein. Aber flach.) Was sagt der Taxifahrer zum Kunden? »Sie sehen heute so mitgenommen aus.« (Okay, reicht langsam.) Spendenaktion im Altenheim? Ein Platz an der Sonde. (Schluss! Aus!) Was isst der Papst am liebsten? Chili con Klave. (Keine Papstwitze, Herrgott!) Aus.

Reise nach Methusalem

Wenn man verreist, landet man oft ganz nah bei dem Ort, zu dem man eigentlich wollte. Trotzdem hat man sein Ziel verpasst. Mit der Sprache ist es gelegentlich genauso.

Ich bin zum Beispiel noch nie mit der Transsilvanischen Eisenbahn gefahren oder habe ein südamerikomisches Land besucht. Ich bleibe lieber auf heimischem Terrarium. Reisen reißt ja auch ein Riesenloch ins Bidet.

Es liegt mir fern, in karibischer Kleinarbeit Reisepläne vom Scherzgebirge nach Schneeapel zu erarbeiten oder durchs spöttische Hochland. Jede Konku-Biene mit frisch marinierten Fingernägeln, die von sich behauptet, sie sei eine Konifere auf ihrem Gebiet, imprägniert mich überhaupt nicht. Ich leide an Latzhose-Intoleranz und verfüge nicht über das Kleine Latrinum. Ich fürchte mich vor dem Tod durch die Gelatine, vor koptischen Täuschungen und vor Krankheiten mit kurzer Inkompetenzzeit. Nachher müssen sie dir eine Invasion legen! Und du liegst krank auf der Barriere! Ich hasse auch Autobahnröststätten. Ich gehe ganz chloroform mit jedem, der lieber Pamphlet im eigenen Land bleibt, mit Blähmobil spielt oder zu karikativen Zwecken auf der Marzi-Panflöte in der Frustgängerzone bläst. Mit denen kann ich mich gut infizieren. Born to be im Wald? Ich doch nicht.

Reisen nach Raustralien? Oder wieder rein? Mit dem Placebus in die Eifel des Gefechts? Von Frankreich nach Spanien über die Pygmäen? Nach Hamburg ins Benno-Ohnesorg-Theater? Für mich eine Syphilisarbeit. Mich bringt kein Lama zum Gehen. Ich bin der letzte Marokkaner, der keine Mangopackung braucht und keinen Pharmaschinken. Ich stecke nicht gern in Salamitäten. Inder? Gern. Aber in der Nähe. Mordkorea? Nach Diktatur verreist? Vom Archipel Gulasch nach Kaputtistan? Polonaise Hollandaise? Ohne mich – da steckst du ganz schnell in der Bretagne. An mir kann man ein Exemplar stationieren, ich kenne mich aus mit der Diabetes der Aufklärung. My home ist my Kassel.

Ich brauche auch keine esoterischen Öle gegen Osterporose in Lechz am Arlberg. Nachher wird man noch halbnackt von Pavarottis fotografiert und muss zum Psychopathen! Da ziehe ich mich jetzt lieber geschickt aus der Atmosphäre. Merke: Implodiere nie mit Fremdwörtern nur wegen des schnöden Mammuts.

Die traurige Ballade vom Ritter Krankwart

Der Ritter Krankwart ist verliebt

in die schönste Frau, die’s gibt.

Heftig hat er sich verknallt –

leider ist er etwas alt.

Schwankend steht er vor der Brüstung,

trägt mit Mühe seine Rüstung.

Oben winkt das Fräulein, nackig.

Unten Krankwart, mäßig knackig.

»Krankwart!«, lockt sie, »komm doch hie!«

»Gerne, schöne Maid – bloß wie?

Zum Klettern bin ich viel zu schwach.«

»Ein schwacher Ritter? – Guten Tach!«

Krankwart drängen jetzt die Säfte,

doch ihm schwinden seine Kräfte.

Tapfer macht er ihr den Hof –

leider ist er etwas doof.

»Gibt es hier denn keine Treppe?

Oder dass mich jemand schleppe?

Ist selber laufen unerlässlich?«

Leider ist er auch noch hässlich.

Krankwart will sein Abenteuer

klettert außen am Gemäuer

hoch und hebt das linke Bein –

leider ist er etwas klein.

Krankwart legt sich auf die Fresse.

Die Maid verliert ihr Restinteresse.

Fluchend sucht er seinen Schuh.

Das Fenster ist schon wieder zu.

Und des greisen Recken Hose

hängt oben an der Heckenrose.

Und die Moral von der Geschicht’:

Bist du alt, doof, hässlich und klein – verlieb’ dich besser nicht.

Politik & Wirtschaft

Was nützt einem alles Geld der Welt, wenn es einem anderen gehört?

Vorsicht vor Entrepreneuren

Immer öfter begegne ich jetzt Typen mit hohem Blutdruck, denen es nicht gelingt, mir ihre berufliche Tätigkeit in unter 30 Minuten verständlich zu machen. Neulich bekam ich eine Visitenkarte, auf der stand »Associate Vice President Digital Development Key Marketing Badass Superhero XXL Royal Galore« (aus dem Gedächtnis zitiert). Keine Ahnung, was der Mann beruflich macht. Klingt für mich nach 13 Jobs, nicht nach einem. Möglicherweise leidet er an multipler Beruflichkeitsstörung.

Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass er Business Punk liest. Solche Typen lesen immer Business Punk – die Auto Motor und Sport für Selbstausbeuter. Business-Punk-Leser halten 18-Stunden-Arbeitstage für Rock ’n’ Roll, kennen ihre Kinder nur von der Kreditkartenabrechnung und nennen sich selbst nicht Unternehmer, sondern »Entrepreneur« – mit englischem Akzent ausgesprochen. Immer, wenn ein Business-Punk-Leser »Entrepreneur« sagt, klappt irgendwo ein Poloshirtkragen hoch.

Früher oder später kommen halt auch Hipster in das Alter, in dem man sich fragt: Bart ab oder Start-up? Ihr Ausweg aus dem Dilemma, trotz Coolness Miete zahlen zu müssen, ist ein fragiles emotionales Konstrukt: Sie tun so, als ob Selbstversklavung das geilste individuelle Freiheitskonzept unter der Sonne ist. In Wahrheit tun sie nichts anderes als arbeitslose Taucher: Sie halten sich mit Gelegenheitsjobs unter Wasser. Business Punkverkauft Poster mit Sprüchen wie »Rock your Riot Demon«. Man soll das ins Büro hängen. Finde den Fehler. Schön Lemmy Kilmister für seine Unangepasstheit feiern, aber dann blöde Business-Schmusetext-Lyrik an die Wand pappen wie »Gipfelstürmer bauen sich eigene Berge«.

Business Punk ist der Versuch, Lemmy Kilmister und Gordon Gekko unter einen Hut zu kriegen. Was dabei herauskommt, ist ungefähr so Heavy Metal wie Selena Gomez. Aber was soll’s. Blödheit ist ja heutzutage kein Problem mehr. Quallen haben 650 Millionen Jahre ganz ohne Gehirn überlebt. Sie sind im Prinzip das erfolgreichste Start-up-Projekt aller Zeiten. Darüber kann man ja mal nachdenken. Jedenfalls, wenn man keine Qualle ist.

Das kleine Glück

Gelegentlich drückt mich die Erkenntnis nieder, dass ich noch nie im Leben an einem Drehstuhlrennen teilgenommen habe. Die Infantilisierung der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran. Google baut quietschfarbene Rutschen für Erwachsene in seine Lobbys. Frauen mit Abitur setzen sich zur After-Work-Beschickerung Rentierhörner auf. Beim Großhandel Metro sind die kleinen Pissoir-Fußballtore zum In-die-Mitte-Pinkeln ausverkauft. In Indoor-Spielparks kraulen mehr erwachsene Männer durchs Bällchenbad als Kinder. Und elektrische Kleinfahrzeuge sehen aus wie Bob-Ross-Gemälde: grellbunt, kitschig und doof. Erwachsensein ist heute eine Kindheit mit Kreditkarte und immervoller Keksdose. Und nur ich sitze hier rentierhörnerlos und rotationsfrei auf meinem Bürodrehstuhl herum, ohne auch nur ein einziges Mal die 0,2-Stundenkilometer-Schallmauer durchbrochen zu haben.